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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.08.2023 – 3 Wx 104/23

Dienstag, 15. August 2023

Irreführung § 18 HGB

§ 18 Abs. 2 GmbHG

1. Angesichts der heute verbreiteten Verwendung der Bezeichnung „Institut“ im privatwirtschaftlichen Bereich führt dessen Verwendung für sich betrachtet den angesprochenen Verkehr nicht mehr zu der Vorstellung, es handele sich um eine öffentliche oder unter öffentlicher Aufsicht oder Förderung stehende, der Allgemeinheit und der Wissenschaft dienende Einrichtung mit wissenschaftlichem Personal, nicht aber um einen privaten Gewerbebetrieb oder um eine private Vereinigung.

2. Eine Irreführung i.S.d. § 18 Abs. 2 HGB ist bei der gebotenen grundrechtskonformen Auslegung jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn ein Privatunternehmen der Bezeichnung „Institut“ einen Zusatz beifügt, der weder identisch mit universitären Studiengängen oder Forschungszweigen ist, noch auf eine bestimmte Fachrichtung hinweist und damit nicht geeignet ist, die Vorstellung einer wissenschaftlichen Einrichtung, die mit dem Wort „Institut“ verbunden werden könnte, zu verstärken.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf – Richter – vom 13.06.2023 aufgehoben.

Das Registergericht wird angewiesen, über die Anmeldung der Beteiligten zur Eintragung vom 23.05.2023 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Nebenentscheidungen sind nicht veranlasst.

Gründe

I.

Die Beteiligte, vertreten durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, hat unter dem 23.05.2023 die am 05.04.2023 gegründete GmbH unter der Firma „… GmbH“ zur Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Eintragung
Eintragung in das Handelsregister
Handelsregister
angemeldet.Randnummer2

Das Registergericht – Richter – hat daraufhin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Kammergerichts (Beschluss vom 26.10.2011 – 25 W 23/11) mitgeteilt, dass der Anmeldung nicht entsprochen werden könne. Die gewählte Firmenbezeichnung sei irreführend (Irreführung § 18 HGB), da die Verwendung des Begriffs „Institut“ den Eindruck erwecke, dass es sich um eine öffentlich oder eine unter öffentlicher Aufsicht stehende Institution handele.Randnummer3

Die Beteiligte ist dem entgegengetreten. Sie meint, die Bezeichnung „Institut“ sei in Verbindung mit dem Worten „für Einfachheit“ zu sehen und dadurch erkennbar eine ironische Bezeichnung, was sich aus der Kontrastierung des eher mit Komplexität und schwierigen Dingen assoziierten Wortes „Institut“ mit den Worten „für Einfachheit“ ergebe. Durch den Zusatz sei eindeutig klargestellt, dass es sich nicht um eine öffentliche oder unter öffentlicher Aufsicht stehende, wissenschaftliche Einrichtung handele. Dies entspreche auch den Anforderungen der Rechtsprechung für die Bezeichnung privater Vereinigungen als „Institut“. Die Gründer seien unter derselben Bezeichnung seit langer Zeit in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft bürgerlichen Rechts
tätig, ohne dass sie Beanstandungen oder wettbewerbsrechtlichen Angriffen auf ihre Geschäftsbezeichnung ausgesetzt gewesen seien. Aus diesem Grund hätten sie ein hohes Interesse an der Fortführung der bisherigen Bezeichnung als Firma.Randnummer4

Das Registergericht hat die Auffassung vertreten, dass die Anforderungen der Rechtsprechung für eine zulässige Verwendung des Begriffs „Institut“ nicht erfüllt seien. Vielmehr entstehe der Eindruck, dass es sich um ein „klassisches“ Institut handele, das sich der Erforschung des Themas „Einfachheit“ widme.Randnummer5

Die Beteiligte hat ihren Standpunkt aufrechterhalten und um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheids gebeten.Randnummer6

Daraufhin hat das Amtsgericht – Richter – den Antrag auf Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Eintragung
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Handelsregister
kostenpflichtig zurückgewiesen. Zur weiteren Begründung hat es ausgeführt, der Umstand, dass die Gründer unter der bisherigen Geschäftsbezeichnung bisher ohne Beanstandung im Wirtschaftsleben tätig seien, habe keinen Einfluss auf die registergerichtliche Kontrolle der gewählten Firmierung.Randnummer7

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten, mit der sie ihre Anmeldung zur Eintragung unverändert aufrechterhält. Zur weiteren Begründung trägt sie vor, die vom Amtsgericht angenommene, der Bezeichnung „Institut“ entgegenstehende theoretische Erforschungsmöglichkeit eines Themas greife zu weit. Dies führe dazu, dass die Verwendung einer dieses Wort enthaltenden Firma grundsätzlich ausgeschlossen sei, da jedes Themengebiet hypothetisch erforscht werden könne. Vielmehr sei auf die tatsächliche Bezeichnung eines Gegenstands abzustellen, der regelmäßig wissenschaftlicher Forschung unterliege. Der Institutsbegriff sei insbesondere hochschulrechtlich geprägt, weswegen nicht der Anschein erweckt werden dürfe, der Forschungsbereich einer Hochschule sei betroffen. Dies sei durch die zusätzliche Tätigkeitsbezeichnung „für Einfachheit“, die keinen Forschungsbereich einer hochschulrechtlichen Einrichtung darstelle, nicht der Fall. Durch die gewählte Firma bestehe auch nicht die Möglichkeit, den angesprochenen Verkehrskreis zu täuschen. Hierfür spreche, dass die seit 15 Jahren in Form der GbR geführte Unternehmensberatung keinen Beanstandungen oder wettbewerbsrechtliche Beschwerden durch Mitbewerber ausgesetzt gewesen sei.Randnummer8

Mit Beschluss vom 07.07.2023 hat das Amtsgericht der Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.Randnummer9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Verfahrensakte Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 382 Abs. 3, 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.Randnummer11

Gemäß § 18 Abs. 1 HGB muss die Firma zur Kennzeichnung des Kaufmanns geeignet sein und Unterscheidungskraft besitzen. Gemäß § 18 Abs. 2 HGB darf die Firma keine Angaben enthalten, die geeignet sind, über geschäftliche Verhältnisse, die für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind, irrezuführen. Im Verfahren vor dem Registergericht wird die Eignung zur Irreführung nur berücksichtigt, wenn sie ersichtlich ist.Randnummer12

Eine ersichtliche Irreführung durch die Verwendung der Firma „…“ im Sinne der Vorschrift lässt sich nicht feststellen.Randnummer13

Zu den bedeutsamen Angaben über die gesellschaftlichen Verhältnisse gehören Angaben zu Art, Größe und Tätigkeit der Gesellschaft, zu ihrem Alter, ihrer Zusammensetzung oder ihren sonstigen Verhältnissen (Senat, Beschluss vom 16.04.2004 – I-3 Wx 107/04, Rn. 15; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2001 – 20 W 84/2001, Rn. 2, juris). Die durch die mögliche Täuschung in Betracht kommende Irreführung muss von einer gewissen Bedeutung für die angesprochenen Verkehrskreise sein, wobei ein objektiver Maßstab aus der Sicht der durchschnittlichen Angehörigen des betroffenen Personenkreises und deren verständiger Würdigung anzulegen ist (Senat, a.a.O., Rn. 16, juris).Randnummer14

Da es heutzutage zahlreiche in privater Rechtsform gewerblich tätige Organisationen gibt, die das Wort „Institut“ in ihrer Firma führen (z.B. Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut, Kosmetikinstitut, Bestattungsinstitut, Reinigungsinstitut), führt – wie von der älteren Rechtsprechung angenommen – alleine die Bezeichnung „Institut“ für sich betrachtet den angesprochenen Verkehr nicht mehr zu der Vorstellung, es handele sich um eine öffentliche oder unter öffentlicher Aufsicht oder Förderung stehende, der Allgemeinheit und der Wissenschaft dienende Einrichtung mit wissenschaftlichem Personal, nicht aber um einen privaten Gewerbebetrieb oder um eine private Vereinigung (so noch BGH, Urteil vom 16.10.1986 – I ZR 157/84, Rn. 23, juris zu § 3 UWG a.F., jetzt § 5 UWG; zu § 18 Abs. 2 HGB a.F. BayObLG, Beschluss vom 26.04.1990 – BReg 3 Z 167/89, Rn. 25, juris, zu § 18 Abs. 2 HGB n.F. noch Senat, a.a.O., Rn. 17; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
, a.a.O., Rn. 3; KG Berlin, Beschluss vom 26.10.2011 – 25 W 23/11, Rn. 10, juris). Dies gilt, obwohl der Begriff „Institut“ nach wie vor als Bezeichnung für eine wissenschaftliche Betriebseinheit einer Hochschule verwendet wird (vgl. z.B. BayObLG, a.a.O., Rn. 18; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
, a.a.O., Rn. 4). So findet sich bei google zu den Stichworten „Institut“ und GmbH zahlreiche Verweise auf Institute für Moderation und Management, für Facility Management, für Mitbestimmung, für Innovation und Transfer, ein Institut für Führungskräfte, das IST Studieninstitut, das Zukunftsinstitut und vieles mehr. Letztlich kann die Frage, ob und inwieweit vor dem dargestellten Hintergrund die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht fortentwickelt werden müssen, auf sich beruhen.Randnummer15

Denn auch bei Anwendung der bisherigen Rechtsgrundsätze folgt aus der Verwendung des Worts „Institut“ in der Firma vorliegend keine Irreführung. Danach muss die Bezeichnung „Institut“ für ein Privatunternehmen zur Vermeidung von Irreführungen mit klaren Hinweisen versehen werden, die einen solchen Charakter außer Zweifel stellen. Dabei kommt es stets auf die konkrete Art des Gebrauchs, insbesondere die im Zusammenhang mit dem Begriff „Institut“ verwendeten weiteren Bestandteile der Bezeichnung oder auf sonstige im Zusammenhang damit benutzte Angaben an (BGH, a.a.O. Rn. 23 zu § 3 UWG a.F.; zu § 18 Abs. 2 HGB BayObLG, a.a.O., Rn. 25; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, a.a.O., Rn. 4; KG Berlin, a.a.O., Rn. 11, juris). Dabei reicht die Angabe des Rechtsformzusatzes, z.B. GmbH in der Regel nicht aus, um die Täuschungseignung auszuschließen (Ries in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 3. Akademie, Institut, Anstalt, Seminar, Kolleg, Rn. 50 f., OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, a.a.O., Rn. 4; vgl. Senat, a.a.O., Rn. 17 zu e.K.; KG Berlin, a.a.O., Rn. 12 zu e.V.).Randnummer16

Eindeutig als nicht täuschungsgeeignet und somit zulässig sind Bezeichnungen wie z.B. Beerdigungs-, Detektiv-, Eheanbahnungs- und Meinungsforschungsinstitut sowie Institut für Schönheitspflege beurteilt worden (vgl. BayObLG, a.a.O., Rn. 23, juris). Etwas anderes wurde angenommen, wenn die Tätigkeitsangabe im Zusammenhang mit der Bezeichnung „Institut“ den Eindruck wissenschaftlicher Betätigung erweckt, z.B. bei Deutsches Vorsorgeinstitut, Kardiologisches Institut, Institut für Marktanalysen, Institut für Zelltherapie, Institut für physikalische Therapie, Institut für steuerwissenschaftliche Information, Institut für Politik und Wirtschaftswissenschaften, Dolmetscher-Institut (Ries in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 3. Akademie, Institut, Anstalt, Seminar, Kolleg, Rn. 50 mit Nachweisen zu der hierzu ergangenen Rechtsprechung).Randnummer17

Nach diesen Grundsätzen ist – bei der im Hinblick auf die Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gebotenen grundrechtskonformen Auslegung des § 18 Abs. 2 HGB – eine Irreführung durch die Firma „…“ nicht ersichtlich. Der Namenszusatz „für Einfachheit“ ist weder identisch mit universitären Studiengängen oder Forschungszweigen, noch weist er auf eine bestimmte Fachrichtung hin. Er ist auch nicht geeignet, die Vorstellung einer wissenschaftlichen Einrichtung, die mit dem Wort „Institut“ verbunden werden könnte, zu verstärken (vgl. KG Berlin, a.a.O., Rn. 12).

III.

Eine Kostenentscheidung war im Hinblick auf den Erfolg des Rechtsmittels entbehrlich (§ 25 Abs. 1 GNotKG).Randnummer19

Aus demselben Grund erübrigt sich eine Festsetzung des Geschäftswerts.Randnummer20

Über die Zulassung der Rechtsbeschwerde war angesichts des Erfolgs des Rechtsmittels nicht zu entscheiden.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-Recht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

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OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.07.2023 – VI-6 U 1/22 (Kart)

Donnerstag, 27. Juli 2023

Geschäftsführerhaftung

1. Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens.

2. Die Verjährung von Regressansprüchen gegen einen Geschäftsführer oder Vorstand wegen deren Beteiligung an einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch beginnt im Falle einer Grundabsprache mit dem letzten zu einer Bewertungseinheit zusammengefassten Teilakt („Einzeltat“).

Der 6. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat entschieden, dass Vorstand und Geschäftsführer nicht persönlich für Geldbußen eines Unternehmens haften.

Tenor

1. Die Berufungen des Beklagten und diejenigen der Klägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf werden zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens, die außergerichtlichen Kosten des Beklagten im Berufungsverfahren und die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin des Beklagten im Berufungsverfahren tragen die Klägerin zu 1) zu 66% und die Klägerin zu 2) zu 18%. Der Beklagte trägt die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens zu 16%. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) im Berufungsverfahren trägt der Beklagte zu 11 % und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) im Berufungsverfahren zu 30%. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.

3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Leistung einer Sicherheit oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerinnen nehmen den Beklagten als ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin zu 1) und als ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 2) aus Organhaftung wegen der Beteiligung an wettbewerbswidrigen Kartellabsprachen und -abstimmungen auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin zu 1) begehrt den Ersatz des vom Bundeskartellamt wegen dieser Verhaltensweisen gegen sie verhängten Bußgeldes nebst Gebühren und Auslagen. Die Klägerin 2) verlangt den Ersatz ihr entstandener Aufklärungs- und Verteidigerkosten in Form von Kosten für ihre Verteidiger und IT-Kosten. Zudem begehren beide Klägerinnen die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten wegen möglicher künftiger Schäden, u.a. aus der Inanspruchnahme Dritter nach § 33a GWB.2

Die Klägerinnen sind Gesellschaften der X.-Gruppe, einer Herstellerin metallischer Präzisions-Halbzeuge, spezialisiert auf Kaltumformung von rostfreiem Edelstahl, Titan, C-Stahl und Sonderwerkstoffen zu Band, Draht, Stab und Profil. Die X.-Gruppe erzeugt selbst keinen Edelstahl, sondern bezieht diesen von verschiedenen Stahlherstellern aus der ersten Marktstufe als Abnehmerin. Die Klägerin zu 1) ist die operative Gesellschaft der X.-Gruppe und eine 100%ige Tochtergesellschaft der Klägerin zu 2). Die Klägerin zu 2) ist die Holding der gesamten X.-Gruppe.3

Der Beklagte war von 1998 bis Ende 2015 Vorstandsmitglied der Klägerin zu 2) und jedenfalls ab dem Jahr 2003 ihr Vorstandsvorsitzender. Gleichzeitig war er während des gesamten Zeitraums von 1998 bis 2015 – neben anderen – Geschäftsführer der Klägerin zu 1).4

Zugunsten des Beklagten schloss die Klägerin zu 2) bei der Streithelferin des Beklagten eine Geschäftsleiterhaftpflichtversicherung (sog. Directors and Officers Liability) mit einer Deckungssumme in Höhe von .. Mio. € ab. Dem Versicherungsvertrag liegen die Versicherungsbedingungen .. zu Grunde. Darin ist u.a. geregelt, dass der Versicherer weltweit Versicherungsschutz für den Fall gewährt, dass eine der versicherten Personen wegen einer (behaupteten) Pflichtverletzung, die sie in ihrer Eigenschaft als geschäftsführendes Organ begangen hat, in Anspruch genommen wird. Der Versicherungsschutz erstreckt sich nicht auf Schadensersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung (dolus directus) der in Anspruch genommenen Person. Er erstreckt sich auch nicht auf gegen die versicherte Person verhängte Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Tatbestand des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main (2-08 O 313/20 vom 20.1.2023) verwiesen.5

Die Klägerin zu 1) war als stahlverarbeitendes Unternehmen u.a. Mitglied des F. e.V. und des Wirtschaftsverbandes der D.. Der Beklagte nahm im Namen beider Klägerinnen regelmäßig an den Sitzungen des F.e.V. teil und gehörte seit November 1998 dem Vorstand sowie seit 2004 dem .. Vorstand dieser Vereinigung an. 2012 wurde er ihr Vorstandsvorsitzender. Außerdem nahm er für die Klägerin zu 1) bis Ende 2009 an Treffen des D. teil.6

In der Zeit vom Ende des EGKS-Vertrages am 23.7.2002 bis zum 31.12.2015 beteiligte sich der Beklagte als Vertreter der Klägerin zu 1) an einem Preiskartell. Er traf als ihr Vertreter gemeinschaftlich handelnd mit Vertretern diverser anderer stahlherstellender, stahlverarbeitender und stahlvertreibender Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet waren und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezweckten und bewirkten. Zwischen den an diesem Kartell beteiligten Unternehmen – vertreten durch ihre jeweiligen Leitungspersonen einschließlich des Beklagten – bestand das Grundverständnis, einen Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen.7

Sie praktizierten ein branchenweit einheitliches Preissystem aus Basispreis und Zuschlägen für die von den beteiligten Stahlherstellern bezogenen und weiter verarbeiteten eigenen Produkte, wobei die Zuschläge der Höhe nach wiederum unter den beteiligten Stahlherstellern abgestimmt waren. Hierbei handelte es sich um den Schrottzuschlag und den Legierungszuschlag, den die Stahlhersteller auf ihre Produkte erheben. Diesbezüglich bestand nicht nur zwischen den Stahlherstellern untereinander, sondern auch zwischen den Stahlherstellern und ihren Abnehmern auf der ersten Marktstufe sowie zwischen den Abnehmern der Stahlersteller untereinander der Grundsatz, die von den Stahlherstellern nach deren Systemen berechneten Schrott- und Legierungszuschläge sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig den eigenen Verträgen zugrunde zu legen. In der Verantwortung des Beklagten legte auch die Klägerin zu 1) auf Grundlage dieses gemeinsamen Grundverständnisses die von den Stahlherstellern berechneten Legierungszuschläge sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig den eigenen Verträgen zugrunde. Auch im Handelsgeschäft mit Werkzeug- und Schnellarbeitsstählen legte die Klägerin zu 1) in der Verantwortung des Beklagten auf Grundlage des gemeinsamen Grundverständnisses den eigenen Verträgen den brancheneinheitlichen Schrottzuschlag zugrunde. Ebenfalls auf Grundlage des gemeinsamen Grundverständnisses veröffentlichten die betroffenen Unternehmen Preiszuschlagslisten im Internet, die hinsichtlich ihres Aufbaus, der Struktur und der Höhe weitgehend identisch und damit vergleichbar waren. Die damit einhergehende branchenweite Markttransparenz und Vergleichbarkeit – als Ersatz des Preismeldesystems der EU-Kommission unter dem EGKS-Vertrag – ermöglichte es den betroffenen Unternehmen, sich – entsprechend dem zu Zeiten des EGKS-Vertrages bestehenden Angleichungsrecht – scheinbar autonom an dem jeweiligen Marktführer auszurichten und das eigene Wettbewerbsverhalten hieran anzugleichen. Wie bereits zu Zeiten des EGKS-Vertrages, in der die betroffenen Unternehmen das Diskriminierungsverbot als Argument genutzt haben, um nicht von ihren Listenpreisen abzuweichen, diente danach die Einheitlichkeit der Zuschläge oftmals als Argument, Verhandlungen hierüber auszuschließen.8

Die Klägerin zu 1) hatte aufgrund ihrer Marktstellung das beschaffungsseitig bestehende System zu akzeptieren. Auch absatzseitig musste sie zwangsläufig versuchen, die beschaffungsseitig vereinbarten Basispreise und Zuschläge an ihre eigenen Abnehmer weiterzureichen. Soweit sie teilweise intensiv über die Berechnung und Weitergabe von Zuschlägen verhandelte, bestand ein nicht unerheblicher Teil der Kunden der Klägerin zu 1) auf der branchenweit einheitlichen Berechnung der Zuschläge. Die Klägerin zu 1) hatte keine konstituierende Bedeutung für das Preissystem. Dem Beklagten ging es daher auch nicht um die Stabilisierung oder Erhaltung des einheitlichen Preissystems, sondern um die Absicherung der eigenen Beschaffung und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) auf der Weiterverarbeitungsstufe.9

Bei den Sitzungen des F. e.V. und des .. Vorstands sowie bei den Sitzungen der D. tauschte sich der Beklagte mit den Vertretern diverser anderer an dem Kartell beteiligten Unternehmen (Lieferanten und Wettbewerbern) nicht nur über dieses branchenweit einheitliche Preissystem, sondern auch über die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände bei den Kunden und den Ablauf des Versands ihrer Produkte, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen aus. Bis Januar 2015 stellte der F. e.V. – seit 2012 unter dem Vorstandsvorsitz des Beklagten – monatlich den von den Stahlherstellern abgestimmten Schrottzuschlag den teilnehmenden Mitgliedsunternehmen zur Verfügung.10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Tatgeschehens wird auf den Bußgeldbescheid des Bundekartellamts vom 4.7.2018 verwiesen.11

Der Beklagte wurde durch die Hauptversammlung der Klägerin zu 2) im Zeitraum zwischen 2002 und 2014 jedes Jahr sowohl als Vorstand der Klägerin zu 2) als auch als Geschäftsführer der Klägerin zu 1) entlastet.12

Der Beklagte beauftragte für den F. e.V. die Kanzlei I. mit einem kartellrechtlichen Audit, das im Januar/Februar 2015 durchgeführt wurde. Mit Schreiben vom 20.5.2015, auf das im Übrigen verwiesen wird (Anlage B 12), fasste Rechtsanwältin S. das Ergebnis des Audits u.a. wie folgt zusammen:13

Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die aktuelle Arbeitsweise der F. im Großen und Ganzen den kartellrechtlichen Vorgaben entspricht. Zur Gewährleistung eines weitergehenden Sicherheitsabstands von kartellrechtlichen Risiken werden folgende weitere Maßnahmen ergriffen:14

  • Im Rahmen der Sitzungstätigkeit wird auf Diskussionen unternehmensindividueller Themen zukünftig ganz verzichtet. Insbesondere Tischabfragen zu Neuigkeiten aus einzelnen Unternehmen unterbleiben vollständig.
  • Sitzungsprotokolle werden zukünftig als reine Ergebnisprotokolle geführt […]
  • Die F. trägt keine Verantwortung für Inhalte und Ablauf von Fremdveranstaltungen zum Thema Edelstahl […]
  • Alle Mitarbeiter werden in regelmäßigen Zeitabständen kartellrechtliche Compliance-Schulungen der Wirtschaftsvereinigung .. besuchen […]“.

15

Der F.  e.V. beauftragte ferner die N. Rechtsanwaltsgesellschaft mit der kartellrechtlichen Einschätzung der ab Januar 2015 beabsichtigten „Erhebung der durchschnittlichen Stahlschrott-Einkaufspreise“. In einer Stellungnahme vom 15.11.2015 hielt die Kanzlei N. die Erhebung einer solchen Statistik unter näher beschriebenen Voraussetzungen für zulässig. Hierzu gehörte insbesondere, dass der Ablauf der Datenerhebung und -mitteilung so gestaltet wird, dass kein Mitglied Zugang zu den individuellen eingelieferten Daten hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage B 13 Bezug genommen.16

Im Jahr 2015 entschieden die Klägerinnen, die bestehenden Verträge mit dem Beklagten aus unternehmerischen Gründen nicht fortzusetzen. Spätestens ab August 2015 wurde der Beklagte freigestellt. Im Dezember 2015 schlossen die Klägerin zu 2), vertreten durch den Aufsichtsrat, und der Beklagte mit Wirkung zum 31.12.2015 einen Aufhebungsvertrag über das Dienstverhältnis des Beklagten als Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 2).17

Nach § 1 Nr. 218

sind sich die Parteien einig, dass zwischen Herrn Dr. R. und der Gesellschaft sowie sonstigen Unternehmen der X.-Gruppe keine weiteren Dienst- und Arbeitsverhältnisse bestehen“.19

Nach § 15 sind20

alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Dienstvertrag und aus Anlass seiner Beendigung, die nicht in dieser Vereinbarung geregelt sind, unabhängig davon, ob bekannt oder unbekannt, fällig oder fällig werdend, mit Erfüllung dieser Vereinbarung erledigt. Ausgenommen sind Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Handlung und Ansprüche aus dem Mindestlohngesetz.“21

Wegen der Einzelheiten wird auf den Aufhebungsvertrag Bezug genommen (Anlage B 17).22

Im November 2015 nahm das Bundeskartellamt erste Durchsuchungen wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Absprachen und Abstimmungen in der Edelstahlbranche vor. Weitere Durchsuchungen folgten u.a. am 7.4.2016 und am 20.4.2016. Nachdem bis dahin – beginnend ab März 2015 – zahlreiche geständige Einlassungen diverser an dem Kartell beteiligter Unternehmen und Betroffener beim Bundeskartellamt eingegangen waren, teilte das Bundeskartellamt dem Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 2), T., mit Schreiben vom 12.9.2016 (Anlage K 1) mit, dass es ein Ermittlungsverfahren gegen Hersteller von Stahlprodukten wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Absprachen und Verhaltensweisen führe. Nach Darlegung des Tatvorwurfs erläuterte das Amt, dass die Beschlussabteilung auch „gegen die X. AG einschl. der mit ihr verbundenen X. GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet“ habe.23

Die Klägerin zu 2) beauftragte daraufhin die auf kartellrechtliche Ermittlungsverfahren spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei K. mit der internen Aufklärung des Sachverhalts und der Vertretung gegenüber dem Bundeskartellamt. Mit inhaltlich gleichem Schreiben vom 24.11.2016 (Anlage K 2), gerichtet an die vorgenannte Anwaltskanzlei, informierte das Bundeskartellamt auch die Klägerin zu 1) über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.24

Mit Vertrag vom 6./7.12.2016 beauftragte der Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2), in deren Namen die M. GmbH. Das Unternehmen wertete, sichtete und verwahrte im Hinblick auf das kartellrechtliche Ermittlungsverfahren elektronisch gespeicherte Daten von 11 Mitarbeitern u.a. aus 11 Laptops und acht Handys.25

Nach weiteren unternehmensinternen Aufklärungsmaßnahmen setzten die Klägerinnen am 12.12.2016 beim Bundeskartellamt einen „Marker“ und erklärten ihre Bereitschaft zur Kooperation nach Maßgabe der Bonusregelungen des Bundeskartellamtes.26

Nachdem die Haftungsfrage des Beklagten zwischen den Parteien ohne Ergebnis erörtert worden war, verzichtete der Beklagte mit Vereinbarung vom 15.12.2016 auf die Erhebung der Einrede der Verjährung, soweit es um Ansprüche geht, die gegebenenfalls nach Abschluss der Vereinbarung und vor dem bestandskräftigen Abschluss des Kartellordnungswidrigkeitenverfahrens verjähren würden. Nachdem die Klägerin zu 2) zunächst noch in der Einladung zur außerordentlichen Hauptversammlung am 22.12.2016 die Entlastung des Beklagten für das Geschäftsjahr 2015 vorgeschlagen hatte, wurde dem Beklagten dann aber eine Entlastung wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens verweigert.27

Mit Schriftsatz vom 13.2.2017 legten die Klägerinnen dem Bundeskartellamt einen mit dem Beklagten abgestimmten Bonusantrag vor. Dieser reichte ebenfalls einen Bonusantrag ein, mit dem der Bonusantrag der Klägerinnen im Wesentlichen bestätigt wurde. Es wurde dann mit dem Bundeskartellamt über ein Settlement verhandelt. Am 29.1.2018 akzeptierten die Klägerinnen und der Beklagte das vom Bundeskartellamt vorgeschlagene Settlement. Aufgrund des von den Klägerinnen und dem Beklagten eingeräumten Sachverhalts erließ das Bundeskartellamt am 4.7.2018 einen Kurzbußgeldbescheid, mit dem es gegen den Beklagten ein Bußgeld .. wegen einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV festsetzte. Gegen die Klägerin zu 1) verhängte es ein solches in Höhe von .. €. Die Geldbußen hatten ausschließlich ahndenden Charakter. Von einer Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile sah das Bundeskartellamt ab. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beklagten und der Klägerin zu 1) als Gesamtschuldnern auferlegt, wobei auf die Klägerin zu 1) Gebühren in Höhe von .. € und Auslagen in Höhe von .. € entfielen. Wegen der Einzelheiten wird auf den bestandskräftigen Bußgeldbescheid verwiesen (Anlage K 4). Mit Schreiben vom 6.8.2018, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Anlage K 6), stellte das Bundeskartellamt das Bußgeldverfahren gegen die Klägerin zu 2) aus Ermessensgründen nach § 47 Abs. 1 OWiG ein.28

Die Klägerin zu 1) zahlte das Bußgeld nebst Gebühren und Auslagen. Beide Klägerinnen fürchten Schadenersatzansprüche, namentlich solche aus einer Inanspruchnahme potentiell Geschädigter auf Schadensersatz nach § 33a GWB. Hierbei droht nicht nur die Inanspruchnahme durch eigene Abnehmer, sondern auch seitens der Abnehmer jedes an dem Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmens. Die tatsächliche Höhe etwaiger Schadenersatzansprüche kann derzeit nicht abgeschätzt werden. Bislang haben zwei Kunden Schadensersatz gefordert.29

Mit Vereinbarung vom 30.7.2018 bestätigten die Parteien die Verjährungsverzichts-Vereinbarung. Wegen der Einzelheiten wird auf § 1 dieser Vereinbarung verwiesen (Anlage BK 12). Mit weiteren Vereinbarungen vom 10.12.2018, 15.2.2019 und 24.4.2019 wurde der Verjährungsverzicht verlängert, zuletzt bis zum 30.6.2019.30

Die Streithelferin des Beklagten lehnte diesem gegenüber mit Schreiben vom 12.6.2019 und vom 4.7.2019, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Anlagen B 1), eine Deckung für die von den Klägerinnen geltend gemachten Schäden ab. Dies geschah u.a. mit dem Hinweis, dass der Regress von Bußgeldern wegen vorsätzlicher, wissentlicher Kartellverstöße nicht versichert sei. Mit Urteil vom 20.1.2023 verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main (Az. 2-08 O 313/20) die Streithelferin zur Leistung von Deckungsschutz bis zur Höhe der Deckungssumme. Der Beklagte habe nicht wissentlich im Sinne der Versicherungsbedingungen gehandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf dieses Urteil verwiesen.31

Die Klägerinnen haben die Ansicht vertreten, der Beklagte hafte wegen seines wettbewerbswidrigen Verhaltens für das gegen die Klägerin zu 1) verhängte Bußgeld einschließlich Auslagen, für die der Klägerin zu 2) entstandenen Rechtsverfolgungskosten sowie für heute noch nicht bezifferbare künftige Schäden aus einer potentiellen Inanspruchnahme Dritter nach § 33a GWB.32

Die Klägerinnen haben behauptet, die Klägerin zu 2) habe zur tatsächlichen und rechtlichen Aufklärung des Sachverhalts im Ermittlungsverfahren Rechtsanwaltskosten in Höhe von .. aufgewendet. Diese Kosten, die ausschließlich zur Abwehr des Bußgeldes im Ermittlungsverfahren angefallen seien, seien erforderlich und angemessen, da ihnen ein Bußgeld von bis zu 10 % des Konzernumsatzes, also bis zu .. Mio. €, gedroht habe. Durch die getroffenen Maßnahmen habe das Bußgeld gegen die Klägerin zu 1) auf .. € und für die Klägerin zu 2) auf null reduziert werden können. Ferner seien der Klägerin zu 2) Auslagen .. für den externen IT-Dienstleister M. GmbH für die tatsächliche Aufarbeitung des Sachverhalts entstanden. Auch diese Kosten seien nur für das Ermittlungsverfahren zur Abwehr bzw. Reduzierung des drohenden Bußgeldes aufgewendet worden.33

Die Klägerinnen haben gemeint, der Beklagte könne sich nicht auf eine Vorteilsausgleichung berufen, sein Vortrag sei unsubstantiiert, er sei für die Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig. Im Übrigen hätten sie aus dem Pflichtverstoß des Beklagten keine ausgleichsfähigen Vorteile erlangt.34

Wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts (Bl. 212 f. GA) verwiesen.35

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, er habe sich in einem schuldausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Hierzu hat er behauptet, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er oder die Klägerin zu 1) durch die im Bußgeldbescheid geahndeten Verhaltensweisen gegen Wettbewerbsrecht verstoßen hätten. Er sei gutgläubig gewesen und habe sich mit einem branchenweiten System konfrontiert gesehen. Trotz Prüfung der Rechtslage und Einholung entsprechenden Rechtsrats sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass die betreffenden Verhaltensweisen wettbewerbswidrig gewesen seien. So hätten sowohl die Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) als auch die externen Gutachten der Rechtsanwältin S. und der Kanzlei N. keine Veranlassung gegeben, von einem wettbewerbswidrigen Verhalten auszugehen. Das Preissystem sei seit Jahrzehnten etabliert, offen und von der gesamten Stahlbranche praktiziert worden.36

Der Beklagte hat die Geltendmachung von Schadensersatz für rechtsmissbräuchlich gehalten. Er hat behauptet, er habe auf stillschweigende Weisung der Klägerinnen gehandelt. Das gelebte Preissystem sei den Klägerinnen und ihren Vertretern, insbesondere dem damaligen Vorstandsmitglied und heutigem Vorsitzenden des Vorstands der Klägerin zu 2), T., sowie dem Aufsichtsrat und Eignern der Klägerin zu 2) bekannt gewesen. T. habe sich als Vorstandsmitglied der Klägerin zu 2) und als Geschäftsführer der Klägerin zu 1) ebenso wie zahlreiche weitere Führungspersonen und Mitarbeiter der Klägerinnen an den ihm nun vorgeworfenen Verhaltensweisen beteiligt. So habe T. seit 2010 an diversen Sitzungen des F. e.V. und der D. teilgenommen. Im Übrigen sei der Beklagte im Zeitraum von 2002 bis 2014 jeweils in der Hauptversammlung der Klägerin zu 2) als Vorstand und Geschäftsführer trotz voller Kenntnis aller Beteiligten von den das Grundverständnis konstituierenden Umständen und seinem gesamten als wettbewerbswidrig eingestuften Verhalten entlastet worden.37

Der Beklagte hat gemeint, die Erledigungsklausel in § 15 des Aufhebungsvertrages stehe seiner Haftung entgegen, da sein Verhalten allenfalls als leicht fahrlässig zu bewerten sei. Die Forderungen hätten darüber hinaus eine existenzvernichtende Wirkung.38

Der Beklagte hat ferner die Ansicht vertreten, eine Kartellgeldbuße gegen ein Unternehmen könne im Regressfall nicht als Schaden ersetzt verlangt werden. Dem stünden die Wertungen des Kartellrechts entgegen. Jedenfalls sei kein regressfähiger Schaden entstanden, weil die Klägerinnen durch das Verhalten des Beklagten erheblich wirtschaftlich profitiert hätten. Die Klägerinnen seien darlegungs- und beweispflichtig, dass ihnen keine kartellbedingten Gewinne verblieben seien.39

Mit Nichtwissen hat der Beklagte die von der Klägerin zu 2) geltend gemachten Rechtsanwalts- und IT-Kosten bestritten und hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren eine unzureichende Substantiierung gerügt. Diese Kosten seien nicht notwendig gewesen und teilweise bei der Klägerin zu 1) entstanden. Mit Nichtwissen hat der Beklagte bestritten, dass die Auslagen für den externen IT-Dienstleister M. im Zusammenhang mit der Aufklärung der Wettbewerbsverstöße angefallen seien.40

Die seit dem 28.6.2019 anhängige Klage ist dem Beklagten am 30.7.2019 zugestellt worden.41

Mit Urteil vom 10.12.2021 hat das Landgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 4.7.2018 dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren. Die Klägerin zu 1) könne von dem Beklagten dem Grunde nach Schadensersatz aus § 43 Abs. 2 GmbHG beanspruchen. Durch den Kartellverstoß habe der Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1) eine Pflichtverletzung begangen. Dies sei schuldhaft erfolgt. Anhaltspunkte für eine wissentliche und willentliche Pflichtverletzung, also vorsätzliches Handeln, bestünden nicht. Jedoch habe der Beklagte fahrlässig gehandelt. Unter Anlegung eines objektiven Maßstabs hätte er wissen müssen, dass sein Verhalten rechtswidrig gewesen sei. Selbst wenn man von einer unklaren Rechtslage ausgehen wolle, hätte der Beklagte zu Beginn seiner Teilnahme im Jahr 2003 Rechtsrat einholen müssen und nicht erst im Jahr 2015. Der Beklagte könne der Klägerin zu 1) im Innenverhältnis nicht das Mitverschulden anderer Geschäftsführer entgegenhalten, weil dem der Sinn der in § 43 Abs. 2 GmbHG angeordneten Solidarhaftung entgegenstehe.42

Auch ein Überwachungsverschulden könne er nicht einwenden, weil die jeweiligen Organpflichten nebeneinander bestünden.43

Eine Haftung entfalle nicht wegen der im Laufe der Jahre erteilten Entlastungen. Diese erfassten nur Ansprüche, deren Existenz bei sorgfältiger Prüfung erkennbar gewesen sei. Dies setze die Erkennbarkeit bzw. Kenntnis der entsprechenden Umstände durch alle Gesellschafter voraus. Insoweit sei es Aufgabe des Geschäftsführers, die Gesellschafter über alle relevanten Vorgänge und Vorkommnisse zu informieren. Dies sei hier nicht geschehen, zumal der Beklagte die objektiv gebotene Einholung von Rechtsrat Unterlassen habe. Aus diesem Grund sei die Haftung des Beklagten auch nicht durch eine sonstige Billigung oder stillschweigend erklärte Einverständniserklärung ausgeschlossen. Die jedenfalls unvollständige Information der Gesellschafter stehe der Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerinnen entgegen.44

Die Forderung der Klägerin zu 1) sei nicht durch den zwischen der Klägerin zu 2) und dem Beklagten geschlossenen Aufhebungsvertrag erloschen. Soweit der Aufhebungsvertrag Forderungen der Klägerin zu 1) mitumfasse, liege ein unwirksamer Vertrag zu Lasten Dritter vor.45

Die Frage der Vorteilsausgleichung könne für den Feststellungsantrag dahinstehen, weil nicht auf erste Sicht und ohne eine aufwändige Sachverhaltsklärung festzustellen sei, dass der eingeklagte Kartellschaden in voller Höhe weitergegeben worden sei.46

Aus denselben Gründen sei der Feststellungsantrag der Klägerin zu 2) gemäß § 93 Abs. 2 AktG begründet. Der in dem Aufhebungsvertrag vereinbarte Forderungsverzicht sei gegenüber der Klägerin zu 2) gemäß § 93 Abs. 4 S. 3 AktG unwirksam.47

Der Klageantrag zu 1) sei unbegründet. Die Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Haftung
Haftung des Geschäftsführers
aus § 43 Abs. 2 GmbHG umfasse nicht die Erstattung eines gegen die GmbH vom Bundeskartellamt nach deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht verhängten Unternehmensbußgeldes. Eine solche Haftung widerspreche dem Sanktionszweck des § 81 GWB. Der Schutzzweck der Haftungsnorm sei – was detailliert ausgeführt wird – einzuschränken. Diese Erwägungen führten dazu, dass auch der Klageantrag zu 2) unbegründet sei. Die Verteidigungskosten im Bußgeldverfahren seien von der Klägerin zu 2) mit dem Ziel aufgewendet worden, die Höhe des ihr bzw. der Klägerin zu 2) drohenden Bußgelds zu reduzieren, für das der Beklagte jedoch nicht einzustehen habe.48

Gegen dieses Urteil wenden sich der Beklagte und die Klägerinnen mit ihren jeweils form- und fristgerecht eingelegten, selbständigen Berufungen.49

Der Beklagte meint, das Landgericht habe nicht hinreichend seinen Tatsachenvortrag gewürdigt, insbesondere nicht hinsichtlich des Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Der Kartellverstoß sei für ihn und einen gewissenhaften, informierten, ordentlichen und redlichen Geschäftsführer nicht erkennbar gewesen. Er hätte die unklare oder umstrittene Rechtslage nicht erkennen können, zumal die Umstände hier atypisch gewesen seien. So habe auch das Bundeskartellamt nur aufgrund einer Kumulation der Gesamtumstände einen Kartellverstoß angenommen. Unstreitig sei er an den Absprachen der Stahlhersteller auf der ersten Marktstufe nicht beteiligt gewesen. Er und die Klägerinnen hätten auf der zweiten Marktstufe eine völlig untergeordnete Rolle gespielt. Die eingeholten Rechtsgutachten hätten sein Verhalten als kartellrechtlich unbedenklich bewertet. Die kartellrechtliche Praxis habe sich im Laufe der Jahre bis 2018 erst entwickelt. Die anzuwendenden kartellrechtlichen Maßstäbe seien im Jahr 2003 noch viel geringer gewesen. Zu berücksichtigen sei, dass die gesamte Branche das System praktiziert habe und dem Bundeskartellamt bekannt gewesen sei.50

Der Beklagte behauptet, er habe die Absprachen der Stahlhersteller und damit einen zentralen Punkt des vorgeworfenen Kartellverstoßes nicht gekannt. Auch der Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) sei nie davon ausgegangen, dass kartellrechtlich etwas nicht korrekt gewesen sein könnte. Selbst wenn er, der Beklagte, bereits im Jahr 2003 Rechtsrat eingeholt hätte, hätte dies zu keinem anderen Ergebnis geführt.51

Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Er vertritt die Auffassung, zum Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage seien solche Schadensersatzansprüche verjährt gewesen, die bereits vor dem 28.6.2014 entstanden seien. Den durch den Kartellverstoß geschädigten Dritten sei jeweils ein Schaden im Zeitpunkt der Durchführung der kartellbefangenen Transaktion entstanden. Gleichzeitig sei ein entsprechender Anspruch der Klägerinnen gegen den Beklagten entstanden, den diese zu diesem Zeitpunkt im Wege der Feststellungsklage hätten geltend machen können.52

Der Beklagte beantragt,

1. unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 10.12.2021, Az.: 37 O 66/20 (Kart), die Klage auf Feststellung, dass er verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 4.7.2018 (Az.: B12-21/17, U2 und P1) dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren, abzuweisen,

2. hilfsweise für den Fall, dass das Gericht von einer schuldhaften Pflichtverletzung durch ihn i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG ausgehen sollte, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 10.12.2021, Az.: 37 O 66/20 (Kart), die Klage auf Feststellung, dass er verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 4.7.2018 (Az.: B12-21/17, U2 und P1) dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren, insoweit abzuweisen, als diese Schäden auf einem Kartellschaden beruhen, der Dritten vor dem 28.6.2014 entstanden ist.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie meinen, der Bußgeldbescheid stelle nicht nur den Pflichtverstoß, sondern auch das Verschulden des Beklagten bestandskräftig fest. Er könne nicht aufgrund der gleichen Handlung einerseits ordnungsrechtlich schuldhaft und andererseits zivilrechtlich entschuldigt gehandelt haben. Den Schuldvorwurf habe er vor dem Bundeskartellamt akzeptiert. Eine Erleichterung oder Relativierung des Verschuldensmaßstabs bei Verstößen gegen die Legalitätspflicht komme nicht in Betracht. Es hätte nahegelegen, die noch zulässigen Verhaltensweisen nach Auslaufen des EGKS-Vertrags im Jahr 2002 rechtlich prüfen zu lassen. Tatsächlich sei nicht nur von einem fahrlässigen, sondern einem bedingt vorsätzlichen Pflichtverstoß des Beklagten auszugehen.59

Der Beklagte sei mit der Einrede der Verjährung präkludiert. Außerdem habe er wirksam bis zum 30.6.2019 auf die Erhebung dieser Einrede verzichtet, so dass die Klageerhebung rechtzeitig erfolgt sei, um etwaige Ansprüche zu hemmen. Es sei rechtsmissbräuchlich, sich auf die Verjährungseinrede zu berufen. Der Schadensersatzanspruch sei am 12.9.2016 entstanden, so dass Verjährung erst am 12.9.2021 eingetreten sein könne. Die Verjährung beginne nicht mit der pflichtverletzenden Handlung, sondern mit Eintritt des durch die Verletzungshandlung verursachten Schadens. Erst am 31.12.2015 habe die pflichtverletzende (Dauer-) Handlung des Beklagten ein Ende gefunden.60

Mit ihrer Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr erstinstanzliches Begehren weiter, soweit sie vor dem Landgericht unterlegen waren. Sie meinen, auch das Bußgeld und die für die Rechtsverfolgung angefallenen Kosten seien nach der Differenzhypothese ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von § 249 BGB. Dies folge aus den §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG, 249 ff. BGB. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass der Gesetzgeber in sämtlichen Novellen des Aktien- und GmbH-Rechts trotz entsprechender Forderungen nie eine Haftungsbeschränkung von Organmitgliedern normiert habe. Dies auch deshalb, weil – wie auch seitens der Klägerinnen geschehen – zugunsten von Organmitgliedern D&O-Versicherungen abgeschlossen werden könnten. Auch habe der Bundesgerichtshof, etwa in den sogenannten Beraterfällen, Bußgelder als ersatzfähigen Schaden anerkannt.61

Hinsichtlich der Abweisung des Klageantrags zu 2) sei die Entscheidung des Landgerichts überraschend. Warum die Rechtsverfolgungskosten schadensrechtlich wie das Bußgeld zu behandeln seien, habe das Landgericht nicht erläutert. Die durch einen Pflichtverstoß ausgelösten Ermittlungskosten seien ersatzfähig. Sie behaupten unter Vorlage der Anlagen BK 2 bis BK 11, die dort aufgeführten und näher beschriebenen und nach Daten aufgelisteten Tätigkeiten ihrer Verteidiger seien tatsächlich angefallen, abgerechnet und von der Klägerin zu 2) bezahlt worden sowie in der Sache erforderlich und angemessen.62

Die Klägerinnen beantragen,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 10.12.2021, Az.: 37 O 66/20 (Kart), den Beklagten über die bislang ausgesprochene Verurteilung hinaus zu verurteilen,

1. an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von .. zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. an die Klägerin zu 2) einen Betrag in Höhe von .. zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte und seine Streithelferin beantragen,68

  die Berufungen der Klägerinnen zurückzuweisen.69

Der Beklagte meint, dass das Landgericht zutreffend eine Regressfähigkeit von Kartellbußen abgelehnt habe. Mit Nichtwissen bestreite er, dass die Kanzlei K. den Klägerinnen Rechnungen gestellt hätte und diese tatsächlich bezahlt worden seien. Die im Berufungsverfahren vorgelegten Übersichten seien weder nachvollziehbar noch der Höhe nach angemessen.70

Die Streithelferin ist – auf Grundlage einer umfangreichen Argumentation, auf die Bezug genommen wird – ebenfalls der Ansicht, dass die gegen die Klägerin zu 1) verhängte Geldbuße kein ersatzfähiger Schaden sei.

B.

Die Berufungen sind zulässig, aber unbegründet.

I. Berufung des Beklagten

72

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Soweit das Landgericht den Beklagten auf den Klageantrag zu 3) hin antragsgemäß verurteilt hat, beruht die Entscheidung des Landgerichts weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).73

Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen Schadensersatz zu leisten für alle Schäden, die über die mit den Klageanträgen zu 1) und 2) verfolgten Schäden hinausgehen und die auf dem Wettbewerbsverstoß des Beklagten beruhen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von dem Beklagten im Berufungsverfahren erstmals erhobenen Einrede der Verjährung.

1. Zulässigkeit der Feststellungsklagen

Die Feststellungsklagen beider Klägerinnen sind zulässig.75

Die Klägerinnen haben ein rechtliches Interesse, dass die Verpflichtung des Beklagten zum Schadensersatz, soweit er über die mit den Klageanträgen zu 1) und 2) geltend gemachten Schäden hinausgeht, festgestellt wird. Zwar besteht ein berechtigtes Interesse an der Erhebung einer positiven Feststellungsklage grundsätzlich nicht, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17, NJW 2019, 661; BGH, Urteil vom 9.6.1983, III ZR 74/82, NJW 1984, 1118, 1119). Sie ist jedoch zulässig, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger seinen Anspruch deshalb ganz oder teilweise nicht beziffern kann. Ist bereits ein Teil des Anspruchs bezifferbar, steht es dem Kläger frei, diesen Teil durch Leistungsklage und den Rest durch einen ergänzenden Feststellungsantrag geltend zu machen. Er darf stattdessen aber auch den gesamten Anspruch im Wege der Feststellungsklage einklagen (vgl. BGH, Urteil vom 30.3.1983, VIII ZR 3/82, NJW 1984, 1552, 1554).76

Beiden Klägerinnen, die nach den unangefochten gebliebenen Feststellungen des Landgerichts bereits mit Schadensersatzansprüchen Dritter nach § 33a GWB konfrontiert wurden, drohen unstreitig Schäden, die über die Klageanträge zu 1) und 2) hinausgehen, namentlich solche aus einer Inanspruchnahme potentiell Geschädigter auf Schadensersatz nach § 33a GWB. Einige geschädigte Dritte haben bei den Klägerinnen bereits Schadensersatzansprüche angemeldet. Den Klägerinnen droht nicht nur die Inanspruchnahme durch eigene Abnehmer, sondern auch seitens aller Abnehmer jedes an dem Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmens sowie seitens deren Abnehmern. Die tatsächliche Höhe der Inanspruchnahme kann nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Klägerinnen derzeit nicht abgeschätzt werden.

2. Begründetheit der Feststellungsklagen

Die Feststellungsklagen beider Klägerinnen sind begründet.78

Begründet ist eine Feststellungsklage, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann.79

Diese Voraussetzungen sind bei beiden Klägerinnen gegeben, wobei dahingestellt bleiben kann, ob dafür die Möglichkeit eines Schadens ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 9.1.2007, VI ZR 133/06, NJW-RR 2007, 601) oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt – entsprechend der Rechtsprechung zum zulässigen Erlass eines Grundurteils (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell, NJW 2019, 661-668, Rn. 38) – gegeben sein muss (vgl. BGH, Urteil vom 24.1.2006, XI ZR 384/03). Jedenfalls besteht hier auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Schaden.

a) Begründetheit der Feststellungsklage der Klägerin zu 1)

Die Klägerin zu 1) hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG.81

Nach § 43 Abs. 2 GmbHG haftet der Geschäftsführer einer GmbH im Innenverhältnis für alle Schäden der Gesellschaft, die er auf Grund der Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht schuldhaft verursacht. Da es bei der Feststellungsklage noch nicht auf den Eintritt eines kausalen Schadens ankommt, genügt es festzustellen, dass der Beklagte eine ihm der Klägerin zu 1) gegenüber obliegende Pflicht schuldhaft verletzt hat.82

Das ist der Fall. Der Beklagte hat seine Legalitätspflichten vorsätzlich verletzt.

aa) Pflichtverletzung

Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte die ihm obliegenden Legalitätspflichten verletzt hat. Diese verpflichten ihn, sämtliche Rechtsvorschriften zu beachten, die die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen. Dazu gehört, dass er zwingende gesetzliche Verhaltensvorgaben der Rechtsordnung, also insbesondere auch des Kartellrechts, uneingeschränkt beachten muss. Diese Pflicht ist ohne weiteres verletzt, wenn der Geschäftsführer gegen Vorschriften des europäischen und deutschen Kartellrechts verstößt. Dabei ist es unerheblich, ob der Gesetzesverstoß im vermeintlichen Interesse der Gesellschaft begangen wurde. Ein unternehmerisches Ermessen des Organvertreters zur Begehung sog. nützlicher Gesetzesverstöße besteht nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27.8.2010, 2 StR 111/09, NJW 2010, 3458 Rn. 29; LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 43, 30; Oetker, in: Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021, GmbHG § 43 Rn. 25; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 10).84

Nach den Feststellungen des Landgerichts (vgl. Urteil des Landgerichts, S. 12 Ziffer II Nr. 1), die sich wiederum auf die erstinstanzlich unstreitig gebliebenen Feststellungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid stützen, war der Beklagte über einen über 13 Jahre währenden Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt, die den Tatbestand von § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung erfüllen. Wegen der Einzelheiten der Tathandlung wird auf die Ausführungen im Tatbestand dieses Urteils verwiesen. Erstinstanzlich wie auch in der Berufung wendet sich der Beklagte allein gegen die Feststellung des Landgerichts, er habe schuldhaft gehandelt, ohne die festgestellten einzelnen Tathandlungen als solche anzuzweifeln.85

An die Feststellungen des Landgerichts hinsichtlich der Tathandlungen des Beklagten ist der Senat gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Hätte die Berufung die festgestellten Tathandlungen angreifen wollen, hätte sie eine Begründung enthalten müssen, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Nach § 520 Abs. 2 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (vgl. BGH, Urteil vom 28.5.2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531). Das ist nicht geschehen. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Feststellungen in dem Bußgeldbescheid für einen Schadensersatzprozess der vorliegenden Art, der sich nicht auf § 33 Abs. 2 GWB a.F., sondern auf § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG stützt, auch nach § 33 Abs. 4 GWB a.F. bindend sind (vgl. zu dieser Problematik: Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG, Rn. 210).86

Das im Bußgeldbescheid und vom Landgericht festgestellte wettbewerbswidrige Verhalten des Beklagten verstieß während des gesamten Tatzeitraums von Juli 2002 bis Dezember 2015 durchgängig gegen deutsche und europäische Kartellnormen und war bußgeldbewehrt (vgl. § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB in den Fassungen vom 26.8.1998 und 10.11.2001 jeweils i.V.m. § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998; § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB in den Fassungen vom 7.7.2005, 15.7.2005 und 18.12.2007 jeweils i.V.m. Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002; § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB in den Fassungen vom 18.12.2007, 12.11.2010, 12.12.2012 und 30.6.2013 jeweils i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung).87

Der Beklagte kann nicht damit gehört werden, er sei als Vorstandsmitglied für rechtliche Fragen nicht zuständig gewesen. Als Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender war es eine seiner wesentlichen Pflichten als ordentlicher Kaufmann sicherzustellen, dass er sich selbst gesetzeskonform verhielt.

bb) Verschulden

Der Beklagte hat seine Legalitätspflichten vorsätzlich und damit schuldhaft gemäß § 276 Abs. 1 BGB verletzt. Er kann sich nicht auf einen schuldausschließenden, unvermeidbaren Verbotsirrtum oder sonst einen zumindest den Vorsatz ausschließenden Verbotsirrtum berufen.89

Der Beklagte handelte bei Ausübung der in dem Bußgeldbescheid beschriebenen Tathandlungen – vorbehaltlich des Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums  – vorsätzlich im Sinne von § 276 Abs. 1 S. 1 BGB. Die vom Landgericht auf Grundlage des Bußgeldbescheides festgestellte Tathandlung hat der Beklagte vorsätzlich begangen.90

Gemäß § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und § 34 Abs. 2 S. 2 GenG hat das Geschäftsleitungsorgan darzulegen und zu beweisen, dass es in objektiver und subjektiver Hinsicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. Die Gesellschaft muss nur Tatsachen vortragen, aus denen sich die Möglichkeit einer Pflichtverletzung ergibt. Der Geschäftsführer hat dann darzulegen und zu beweisen, dass er seine Pflichten nicht verletzt hat.91

Dem Geschäftsführer obliegt es insbesondere, sein fehlendes Verschulden zu beweisen, d.h. im Einzelfall nachzuweisen, dass er den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab eingehalten hat oder dass ihm die Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs unverschuldet unmöglich war (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2008, II ZR 62/07, Rn. 5, NZG 2008, 314; BGH, Urteil vom 4.11.2002, II ZR 224/00, NZG 2003, 81; Fleischer, in: BeckOGK, 1.7.2022, AktG, § 93 AktG, Rn. 274-276 m.w.N.). Zwar fehlt im GmbHG eine entsprechende Regelung; jedoch werden § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und § 34 Abs. 2 S. 2 GenG nach allgemeiner Ansicht im Rahmen von § 43 Abs. 2 GmbHG analog angewandt. Insoweit stellt sich die Darlegungs- und Beweislage bei Organhaftungsansprüchen der GmbH nicht anders dar als bei der Aktiengesellschaft oder bei der Genossenschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2008, II ZR 62/07 Rn. 5, NZG 2008, 314; BGH, Urteil vom 4.11.2002, II ZR 224/00, NZG 2003, 81; Ziemons, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 2017, § 43 GmbHG, Rn. 471 ff.; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 336-338; Oetker, in: Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG, Rn. 61, 62, jeweils m.w.N.). Dies gilt auch für ausgeschiedene Geschäftsführer (vgl. Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 341 m.w.N. auch zur Rechtsprechung).92

Aufgrund der vom Landgericht für den Senat bindend festgestellten Tatsachen ist davon auszugehen, dass der Beklagte bei der fortlaufenden Verletzung des Wettbewerbsrechts vorsätzlich handelte. Für die Annahme von Vorsatz hinsichtlich der Kartellverstöße genügt es, dass der Beklagte – wie von den maßgeblichen Handlungsnormen des Kartellrechts (§ 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV, die er verletzt hat) verlangt – nicht in Unkenntnis darüber sein konnte, dass das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte oder bewirkte (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2022, KZR 40/20, Schlecker; EuGH, Urteil vom 11. Juli 1989, C 246/86, WuW/E EWG/MUV 865 Rn. 41).93

Dass er in Unkenntnis darüber war, dass sein Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte oder bewirkte, behauptet der Beklagte, auf dessen Angaben der Bonusantrag der Klägerin zu 2) und damit der Bußgeldbescheid maßgeblich beruhen, nicht. So können sämtliche von dem Bußgeldbescheid beschriebenen Tathandlungen nur vorsätzlich ausgeübt werden. Das betrifft insbesondere die bindend festgestellte Teilnahme des Beklagten an einem Grundverständnis, das das Ziel hatte, einen Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen, indem ein branchenweit einheitliches Preissystem aus Basispreis und Zuschlägen praktiziert und aufrechterhalten wurde. Bei diesem Grundverständnis handelt es sich um eine konkludent getroffene Grundabsprache, die die Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV bezweckte. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin zu 1) aufgrund ihrer Marktstellung keine andere Wahl hatte, als beschaffungsseitig das bestehende System zu akzeptieren, und absatzseitig versuchen musste, die beschaffungsseitig vereinbarten Basispreise und Zuschläge an ihre eigenen Abnehmer weiterzureichen. Hierbei handelt es sich um wirtschaftliche Überlegungen. Der Beklagte hatte sich als Leitungsperson der Klägerinnen entschieden, sich dem System anzupassen und dieses durch sein Verhalten zu unterstützen. Insoweit handelte er mit dem Vorsatz, den Wettbewerb beschränken zu wollen.94

Ebenfalls nur als von Vorsatz getragen kann auch das bindend festgestellte Verhalten gewertet werden, wonach auf Grundlage des Grundverständnisses bei der Klägerin zu 1) in Verantwortung des Beklagten Preiszuschlagslisten im Internet veröffentlicht wurden, die hinsichtlich Aufbau, Struktur und Höhe bei allen an dem Kartell teilnehmenden Unternehmen weitgehend identisch und damit vergleichbar waren. Ziel dieser branchenweit bestehenden Markttransparenz und Vergleichbarkeit (Ersatz des Preismeldesystems der EU-Kommission unter dem EGKS-Vertrag) war es unstreitig, es den betroffenen Unternehmen zu ermöglichen, sich scheinbar autonom an dem jeweiligen Marktführer auszurichten und das eigene Wettbewerbsverhalten hieran anzugleichen. Auch hierin liegt eine – vorsätzlich – bezweckte Wettbewerbsbeschränkung.95

Auch die Handlungen des Beklagten anlässlich der Sitzungen des F. e.V. und des .. Vorstands sowie bei den Sitzungen der D. waren nur vorsätzlich zu begehen. Dort tauschte sich der Beklagte mit den Vertretern diverser anderer an dem Kartell beteiligten Unternehmen (Lieferanten und Wettbewerbern) nicht nur über dieses branchenweit einheitliche Preissystem, sondern auch über die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände bei den Kunden und den Ablauf des Versands ihrer Produkte, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen aus. Dieses Verhalten diente ebenfalls dem von dem Beklagten erkannten Zweck, den Wettbewerb zu beschränken.96

Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass es ihm – entsprechend den weiteren Ausführungen im Bußgeldbescheid – um die Absicherung der eigenen Beschaffung und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) auf der Weiterverarbeitungsstufe gegangen sei, steht dies der Bewertung nicht entgegen. Denn auch wenn der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) vorrangiges Motiv für das Handeln des Beklagten gewesen sein mag, war dies nur über das notwendige Zwischenziel zu erreichen, den Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen. Daher wollte der Beklagte auch das Zwischenziel erreichen, um das eigene Unternehmen zu stärken.

cc) Unvermeidbarer Verbotsirrtum

Der Vorsatz des Beklagten ist nicht durch einen Verbotsirrtum ausgeschlossen. Ein solcher Irrtum lässt sich nicht feststellen.98

Selbst wenn man aber – allein höchst vorsorglich und hilfsweise – einen Rechtsirrtum zu Gunsten des Beklagten unterstellen wollte, wäre der Irrtum vermeidbar und sein Verhalten jedenfalls als fahrlässig und damit schuldhaft im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB anzusehen.

(1) Voraussetzungen

Verschulden durch vorsätzliches Verhalten setzt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraus (Vorsatztheorie). Dieses fehlt, wenn ein Verbotsirrtum gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 16.5.2017, VI ZR 266/16, NJW 2017, 2463 Rn. 16; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 276 Rn. 11 m.w.N.). Nur im Rahmen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 StGB bei Verletzung einer Strafnorm oder einer Norm des OWiG muss der Vorsatz nach strafrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. In diesem Fall führt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum gemäß § 17 S. 1 StGB bzw. § 11 OWiG zur Schuldlosigkeit und lässt den Vorsatz unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2019, VI ZR 486/18, NJW-RR 2019, 1524; BGH, Urteil vom 16.5.2017, VI ZR 266/16, NJW 2017, 2463 Rn. 16).100

Soweit sich – wie hier der Beklagte – ein Täter auf einen Rechtsirrtum beruft, ist zudem zu unterscheiden: Während die vorsätzliche Haftung bei einem bloßen Rechtsirrtum entfällt, ist die verbleibende Haftung wegen Fahrlässigkeit nur bei einem unvermeidbaren Rechtsirrtum ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339).101

Wer sich im Rahmen eines Schuldverhältnisses auf einen den Vorsatz ausschließenden Rechtsirrtum beruft, trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Urteil vom 12.5.2009, XI ZR 586/07, NJW 2009, 2298; Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 276 Rn. 158 ff.; Grüneberg, in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 276 Rn. 11). Das deckt sich mit den oben aufgeführten allgemeinen Grundsätzen im Rahmen von § 43 Abs. 2 GmbHG, wonach der Beklagte im Einzelfall nachzuweisen hat, dass er den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab eingehalten hat oder dass ihm die Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs unverschuldet unmöglich war. Insoweit stellt sich die Darlegungs- und Beweislast in diesem prozess zu Lasten des Beklagten anders dar, als bei dem Deckungsprozess des Beklagten gegen die Streithelferin vor dem Landgericht Frankfurt am Main.

(2) Irrtum

Es lässt sich nicht feststellen, dass sich der Beklagte in einem Irrtum über die rechtlichen Folgen seines Verhaltens befand. Die von dem Beklagten für diese innere Tatsache vorgebrachten Indizien vermögen gemäß § 286 Abs. 1 ZPO weder jedes für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit die Überzeugung zu vermitteln, dass er irrte. Insoweit ist es entgegen den Ausführungen des Landgerichts nicht geboten, zugunsten des Beklagten einen Rechtsirrtum anzunehmen, für dessen Vorliegen keine hinreichend konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2021, 5 StR 127/21, BeckRS 2021, 36863) bzw. vorgetragen sind.103

Ein Geschäftsführer hat für die Fähigkeiten und Kenntnisse einzustehen, welche die ihm anvertraute Aufgabe objektiv erfordert. Verfügt er über spezielle, individuelle Fähigkeiten, so ist er gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, diese auch einzusetzen. Umgekehrt vermögen ihn persönliche Unfähigkeit, Unerfahrenheit oder fachliche Unkenntnis nicht zu entlasten. Wer nicht über die nötige Kompetenz verfügt, darf das Amt nicht übernehmen (vgl. Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 308). Der Geschäftsführer hat die Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns zu erfüllen. Dazu gehört als eine seiner Kardinalspflichten, dass er zwingende gesetzliche Verhaltensvorgaben des GmbH-Rechts und der Rechtsordnung im Übrigen, also insbesondere auch des Kartellrechts, uneingeschränkt beachten muss (vgl. Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 30; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 10).104

Gemessen daran war von dem Beklagten zu erwarten, dass er die während seiner Leitungstätigkeit geltenden, zentralen Normen des Wettbewerbsrechts – § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung – sowie deren Anwendungsbereiche kennt. Die von dem Bußgeldbescheid erfassten und von dem Beklagten eingeräumten Tathandlungen sind aufgrund ihrer Schwere und ihrer erheblichen wettbewerbsdämpfenden Wirkung ohne Anstrengung und größere Unklarheiten unter die vorgenannten Normen zu subsumieren. Danach hat sich der Beklagte über Jahre an einer wettbewerbsbeschränkenden Grundabsprache sowie bei der Umsetzung der Grundabsprache in einer Vielzahl von Fällen an abgestimmten Verhaltensweisen, die das Ziel der Wettbewerbsbeschränkung hatten, beteiligt.105

Er hat vor dem Bundeskartellamt und auch erstinstanzlich auf Grundlage des Bußgeldbescheides zugestanden, nach Auslaufen des EGKS-Vertrages das bis dahin bestehende Preissystem unverändert fortgeführt und gefördert zu haben, um den Wettbewerb zu dämpfen und für alle Beteiligten des Kartells ein am Markt möglichst auskömmliches Preisniveau zu etablieren. Hierzu hat er u.a. die zu EGKS-Zeiten bestehende Markttransparenz aufrechterhalten und sich u.a. für die fortlaufende Veröffentlichung von Preiszuschlagslisten im Internet, die mit denjenigen der anderen Wettbewerber nahezu identisch waren, verantwortlich gezeigt.106

Auf den Sitzungen des F. e.V. hat er sich mit anderen Wettbewerbern über wettbewerblich sensible Informationen wie die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht. Auch dies diente dem Ziel, die Preise zu stabilisieren und den Wettbewerb zu dämpfen, um das eigene Unternehmen gut dastehen zu lassen.107

Dass es beispielsweise verboten ist, sich mit Wettbewerbern in regelmäßigen Gesprächsrunden über beabsichtigte Preiserhöhungen auszutauschen, um den Wettbewerb zu beschränken, ist einfachstes kartellrechtliches Grundwissen und bereits interessierten Laien bekannt. Das Verbot zu kennen, kann daher erst recht von einem erfahrenen Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens erwartet werden. Eine unklare Rechtslage, die besonders schwierig zu beurteilen gewesen wäre, bestand – auch schon im Jahr 2003 – hinsichtlich der im Bußgeldbescheid aufgeführten Handlungen nicht.108

Die Behauptung eines Irrtums ist auch vor dem Hintergrund des Endes des EGKS-Vertrages unglaubhaft. Richtig ist, dass zur Zeit der Geltung des EGKS-Vertrages ein Teil der ihm vorgeworfenen Handlungen – es galten Sonderregeln hinsichtlich Markttransparenz und Vergleichbarkeit der Preise – zeitweise erlaubt war. Der Beklagte war jedoch im Juli 2002 bereits über vier Jahre Geschäftsführer der Klägerin zu 1) und Mitglied des Vorstandes der Klägerin zu 2). Angesichts der gravierenden Zäsur durch das Ende des EGKS-Vertrages drängte sich die Frage geradezu auf, wie in Zukunft noch rechtskonform gehandelt werden konnte. Dass der Beklagte, wie sein Prozessbevollmächtigter .. erklärt hat, sich keine Gedanken gemacht habe, überzeugt nicht. Vielmehr ist es fernliegend, dass ein Geschäftsführer/Vorstand, der ein Unternehmen mit einem dreistelligen Millionenumsatz führt, sich nicht einmal die Frage gestellt haben will, was sich nach dem Ende des EGKS-Vertrages – auch rechtlich – ändern würde.109

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Beklagte seit dem Jahr 1998 im Vorstand des F. e.V. war. Seit dem Jahr 2004 war er Mitglied im .. Vorstand und seit 2012 Vorsitzender des Vereins. Das Bundeskartellamt hatte – so sein Vorbringen – bereits im Jahr 1975 Kartellabsprachen zwischen stahlherstellenden bzw. -vertreibenden Unternehmen festgestellt und geahndet, wobei – wie zum Teil auch hier – Gegenstand kartellrechtswidriges Verhalten in Zusammenhang mit Listenpreisen für Edelstahlerzeugnisse war. Hier wie dort war der F. e.V. maßgeblich an der Organisation des Informationsaustausches beteiligt. Ein weiteres Verfahren gegen die Branchenverbände der Stahlindustrie wurde von der EU-Kommission im Jahr 1994 abgeschlossen. Das führte dazu, dass die Branchenverbände in der Folgezeit ihren danach weiter praktizierten Informationsaustausch aus Furcht vor erneuter Entdeckung nicht mehr protokollierten. Das zeigt, dass in den Verbänden Unrechtsbewusstsein herrschte.110

Auch ist die lange Dauer des Kartells kein Indiz dafür, dass man nicht vorsätzlich handelte. Vielmehr werden oft gerade auch besonders schwerwiegende Kartellverstöße mit erheblicher kartellrechtswidriger Energie über viele Jahre begangen. So ist es vor dem Hintergrund seines Wissens als Mitglied im Vorstand des F. e.V. und seines Wissens um das Ende des EGKS-Vertrages nicht glaubhaft, wenn der Beklagte anführt, er sei nicht davon ausgegangen, dass sein Verhalten wettbewerbswidrig hätte sein können, weil sich auch alle anderen Unternehmen an dem Preissystem beteiligt hätten. Die Beteiligung möglichst vieler Unternehmen an einem Kartell und eine hohe Marktabdeckung machen dieses vielmehr besonders erfolgreich.111

Die Behauptung eines Rechtsirrtums, ist schließlich vor dem Hintergrund seines Verhaltens im Bußgeldverfahren insgesamt unschlüssig und unglaubhaft. Weder aus dem Entwurf des Bonusantrages, der maßgebend auf den Angaben des Beklagten beruht, noch aus dem Bußgeldbescheid geht hervor, dass der Beklagte sich dort auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum berufen hat. Entsprechendes hat er auch im Rahmen der Anhörung auf Nachfrage nicht vorgetragen. Vielmehr haben seine Prozessbevollmächtigten nur erklärt, man habe dem Bundeskartellamt den Sachverhalt mitgeteilt. Man habe auf fahrlässiges Verhalten hinwirken wollen. Dies spricht gegen einen unvermeidbaren Verbotsirrtum. Ein unvermeidbarer Rechtsirrtum, hätte er denn vorgelegen, hätte dazu geführt, dass weder gegen den Beklagten noch gegen die Klägerin zu 1) ein Bußgeld hätte verhängt werden dürfen. In diesem Fall wäre dem Beklagten nach § 11 Abs. 2 OWiG die Tat nicht vorwerfbar gewesen, so dass sie nicht hätte geahndet werden können (vgl. Valerius, in: BeckOK Graf, OWiG, 37. Edition, Stand 1.1.2023, § 11 Rn. 35 ff.). Auch hätte keine Geldbuße gegen die Klägerin zu 1) nach § 30 Abs. 4 OWiG verhängt werden dürfen, da eine Verfolgung im selbständigen Verfahren nur möglich ist, wenn die Leitungsperson die Zuwiderhandlung schuldhaft, d.h. vorwerfbar, begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8.2.1994, KRB 25/93, NStZ 1994, 346; Gürtler/Thoma, in: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 30 Rn. 40 m.w.N.).

(3) Unvermeidbarkeit

Selbst wenn man entgegen den obigen Ausführungen hilfsweise zugunsten des Beklagten einen Verbortsirrtum annehmen wollte, wäre dieser nicht unvermeidbar gewesen, so dass der Beklagte jedenfalls fahrlässig gehandelt hätte (§ 276 Abs. 2 BGB).113

Es gilt ein strenger Maßstab. Eine Leitungsperson muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten (vgl. BGH, Urteil vom 20.9.2011, II ZR 234/09, NZG 2011, 1271; BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Urteil vom 27.9.1989, IV a ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160). Der Irrtum ist vorwerfbar, wenn der Schädiger bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung seines Verhaltens durch die Gerichte rechnen musste. Keinesfalls reicht es zur Entlastung aus, wenn sich der Schädiger über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens keine Gedanken macht (vgl. BGH, Urteil vom 24.1.2017, KZR 47/14, BeckRS 2017, 104876, Rn. 37). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gelten noch strengere Maßstäbe. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum kann danach nur angenommen werden, wenn der Schädiger alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um den ihm zur Last gelegten Verstoß gegen das Unionskartellrecht zu vermeiden (vgl. EuGH, Urteil vom 18.6.2013, C-681/11, NZG 2013, 1198 – Schenker & Co. AG).114

Danach liegt hier keine Unvermeidbarkeit vor. Die Argumentation des Beklagten lässt – wenn man nicht ohnehin von einer Kenntnis von der Rechtslage ausgeht (s.o.) – allenfalls den Schluss zu, dass er sich keinerlei Gedanken über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens gemacht hat. Seine Argumentation in der Berufung beruht im Wesentlichen darauf, dass es angesichts der Komplexität der Rechtslage weder für ihn als juristischem Laien noch für andere möglich gewesen sei, sein Verhalten als kartellrechtlich bedenklich einzustufen. Niemand sei imstande gewesen, das kartellrechtliche Problem überhaupt auch nur zu identifizieren.115

Diese Annahmen sind vor dem Hintergrund der vom Bußgeldbescheid beschriebenen sowie unstreitig gebliebenen zahlreichen und schwerwiegenden wettbewerbsbeeinträchtigenden Tathandlungen abwegig. Soweit der Beklagte meint, das Kartellrecht habe sich 2003 erst in seinen Anfängen und am Beginn einer Entwicklung befunden, überzeugt dies nicht. Darüber hinaus verweist der Beklagte selbst darauf, dass bereits 1975 vom Bundeskartellamt und später im Jahr 1994 von der Europäischen Kommission Bußgeldverfahren wegen ähnlicher Verhaltensweisen gegen Stahlunternehmen und deren Verbände geführt worden seien. Wie bereits ausgeführt, drängte sich im Übrigen aufgrund der Zäsur des EGKS-Vertrages eine Rechtsprüfung auf.116

Dass ein Teil des kartellrechtswidrigen Verhaltens öffentlich und – so meint der Beklagte – „unter den Augen des Bundeskartellamtes“ stattgefunden habe, ändert nichts an der Bewertung. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Bundeskartellamt beispielsweise die Praxis der Veröffentlichung einheitlicher Preislisten, geschweige denn der Austausch geheimer, wettbewerbsrechtlich hoch sensibler Informationen – wie etwa Preiserhöhungsabsichten – bekannt gewesen war.117

Soweit der Beklagte im Jahr 2015 externen und internen Rechtsrat eingeholt hat, entlastet ihn das nicht.118

Ein Geschäftsführer handelt nicht schuldhaft, wenn er bei fehlender eigener Sachkunde den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm darauf erteilten Antwort dem Rat folgt (vgl. BGH, Urteil vom 14.5.2007, II ZR 48/06, NJW 2007, 2118, 2119; BGH, Urteil vom 27.3.2012, II ZR 171/10, NZG 2012, 672; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 314).119

Gemessen daran war der von dem Beklagten eingeholte Rechtsrat unzureichend, um sein Verschulden auszuschließen. Der Beklagte hat weder vorgetragen noch ist es sonst ersichtlich, dass er die Kanzlei I., die Rechtabteilung der Klägerin zu 2) oder die N. Rechtsanwaltsgesellschaft mit der uneingeschränkten Überprüfung seines Verhaltens, wie es im Bußgeldbescheid dargestellt ist, beauftragt hat. Es ist ebenfalls nicht vorgetragen und sonst nicht ersichtlich, dass er die Anwaltskanzleien und die Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert hätte. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus Teilen der von ihm vorgelegten Unterlagen.120

Den konkreten Inhalt des Auftrags, den der Beklagte an Rechtsanwältin S. im Namen des F. e.V. erteilt haben will, trägt der Beklagte nicht vor. Auch im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung wurde hierzu nichts Substantiiertes erläutert. Es bleibt nebulös, über welche konkreten Verhaltensweisen er die Rechtsanwältin informiert haben will. Dies lässt sich auch nicht dem Schreiben vom 20.5.2015 entnehmen. Auch erscheint es abwegig, dass eine kartellrechtlich geschulte Rechtsanwältin etwa den Geheimaustausch von geplanten Preiserhöhungen als kartellrechtlich unbedenklich eingestuft hätte. Im Übrigen hat der Beklagte den Auftrag nicht im Namen der Klägerinnen oder im eigenen Namen, sondern im Namen des F. e.V. erteilt. Inhaltlich stand daher das Verhalten dieses Vereins zur Prüfung an.121

Nichts Anderes gilt für den von dem Beklagten vorgelegten E-Mail-Verkehr mit dem Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2). Dass dieser von dem Beklagten über dessen gesamtes kartellrechtswidriges Verhalten, das im Bußgeldbescheid beschrieben wird, informiert wurde, ist nicht vorgetragen.122

Hinsichtlich des von dem Beklagten im Namen der F. e.V. erteilten Auftrags an die N. Rechtsanwaltsgesellschaft folgt aus den vorgelegten Unterlagen, dass dieser Auftrag das im Bußgeldbescheid beschriebene Verhalten nicht betraf. Vielmehr war diese Kanzlei mit der kartellrechtlichen Einschätzung der ab Januar 2015 beabsichtigten „Erhebung der durchschnittlichen Stahlschrott-Einkaufspreise“ beauftragt worden. In einer Stellungnahme vom 15.11.2015 hielt die N. Rechtsanwaltsgesellschaft die zukünftige „Erhebung einer solchen Statistik“ unter näher beschriebenen Voraussetzungen für zulässig. Hierzu gehörte insbesondere, dass der Ablauf der Datenerhebung und -mitteilung so gestaltet wird, dass kein Mitglied Zugang zu den individuellen eingelieferten Daten hat. Die Erhebung einer derartigen anonymen Statistik ist aber nicht Gegenstand des Bußgeldbescheides.123

Selbst wenn er sich rechtzeitig im Jahr 2002 den Rechtsrat eingeholt hätte, den er im Jahr 2015 eingeholt hat, wären die erteilten Ratschläge aus den oben aufgeführten Gründen nicht geeignet gewesen, bei ihm einen Vertrauenstatbestand aufzubauen und ihn als gutgläubig erscheinen zu lassen. Im Übrigen war aus der Stellungnahme vom 15.11.2015 leicht zu erkennen, dass es für ein kartellrechtskonformes Informationssystem gerade erforderlich war, dass Daten nur anonym, gerade ohne Rückverfolgbarkeit auf bestimmte Hersteller, ausgewertet werden sollten. Tatvorwurf des Bußgeldbescheides war dagegen u.a., sich „face-to-face“, eben nicht anonym, über Preiserhöhungsabsichten ausgetauscht zu haben.

dd) Verjährung

Der Anspruch der Klägerin zu 1) aus § 43 Abs. 2 GmbHG ist nicht verjährt.125

Die im Berufungsrechtszug von dem Beklagten erhobene Verjährungseinrede ist zulässig. § 531 Abs. 2 ZPO ist auf die in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede nicht anzuwenden, wenn zwischen den Parteien sowohl die Erhebung der Einrede als auch die sie begründenden tatsächlichen Umstände unstreitig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 23.6.2008, GSZ 1/08, NJW 2008, 3434; Rimmelspacher, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 531 ZPO, Rn. 30). So verhält es sich hier.126

Die Einrede der Verjährung ist nicht begründet.127

Ersatzansprüche nach § 43 Abs. 2 GmbHG gegen Geschäftsführer verjähren gemäß § 43 Abs. 4 GmbHG unabhängig von der Kenntnis des Geschädigten in fünf Jahren. Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung trägt der Schuldner, hier der Beklagte (vgl. BGH, Urteil vom 17.6.2016, V ZR 134/15, NJW 2017, 248; Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, § 194 BGB, Rn. 24). Die am 28.6.2019 anhängig gewordene Klage ist dem Beklagten am 30.7.2019 zugestellt worden, so dass jedenfalls seit dem 28.6.2019 die Verjährung gehemmt ist (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 167 ZPO). Das gilt unabhängig von einer weiteren Hemmung, die die Verhandlungen der Parteien und die Verjährungsverzichtserklärungen des Beklagten ausgelöst haben mögen. Am 28.6.2019 waren die Schadensersatzansprüche der Klägerin zu 1) noch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist begann erst mit Ablauf des 31.12.2015 zu laufen.128

Nach § 200 S. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch entstanden ist. Ein Schadensersatzanspruch ist in diesem Sinn entstanden, sobald der Berechtigte in der Lage ist, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, d.h. mit dem Eintritt des durch die Verletzungshandlung verursachten Schadens dem Grunde nach, ohne dass der Schaden schon bezifferbar sein muss; es genügt regelmäßig die Möglichkeit einer Feststellungsklage (vgl. BGH, Urteil vom 18.9.2018, II ZR 152/17 juris, Rn. 17, 18; BGH, Urteil vom 29.9.2008, II ZR 234/07, NJW 2009, 68, 70, Rn. 16; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 401; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG, § 43 GmbHG, Rn. 103, jeweils m.w.N.) bzw. jede Verschlechterung der Vermögenslage (vgl. BGH, Urteil vom 14.7.2008, II ZR 202/07, NJW 2008, 3361).129

Die Bestimmung des Verjährungsbeginns bei einem – wie hier gegebenen – schädigenden Dauerverhalten des Geschäftsführers hängt davon ab, ob man das fortdauernde Handeln/Unterlassen als eine einheitliche Dauerhandlung begreift oder es sich um mehrere, sich wiederholende neue Eingriffe handelt. So hat der Bundesgerichtshof für Unterlassungshandlungen entschieden, dass bei der Annahme einer einheitlichen Dauerhandlung die Verjährung nicht eingreife, solange der Eingriff noch andauere (vgl. BGH, Urteil vom 18.9.2018, II ZR 152/17 juris, Rn. 17 – 18). Zuvor hatte er für einheitliche Tathandlungen entschieden, dass in dem Fall, dass eine Reihe von Maßnahmen auf einem einheitlichen Tatplan beruhen, die Verjährung nicht vor Abschluss der als einheitliches Geschehen anzusehenden schädigenden Handlung beginne. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn sei dann erst der Abschluss des letzten Teilakts (vgl. BGH, Beschluss vom 14.7.2008, II ZR 202/07, NJW 2008, 3361, zustimmend: Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 365; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 105).130

Diese Entscheidungen sind teilweise auf Kritik gestoßen. Nach teilweise in der Literatur vertretener Ansicht soll bei wiederholten Eingriffen durch aktives Tun wie auch bei einer andauernden pflichtwidrigen Unterlassung nicht von einer einheitlichen Dauerhandlung ausgegangen werden dürfen, sondern nur von sich unter Umständen täglich wiederholenden Verletzungshandlungen, für die jeweils ein eigener Verjährungsbeginn gegeben sei (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 12. Auflage 2021, § 43 GmbHG, Rn. 412; Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG, Rn. 67; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 404). Die Annahme einer einheitlichen Dauerhandlung mit der Folge, dass die Verjährungsfrist nicht vor deren Abschluss beginnen könne, führe zu Ergebnissen, die den Zweck der Verjährung, Rechtsfrieden zu schaffen, zurückdränge. Nur dies füge sich auch in die übrige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Urteil vom 9.11.2007, V ZR 25/07, Rn. 2, juris) zu sich wiederholenden vergleichbaren Handlungen (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG, Rn. 412 m.w.N.).131

Die erstgenannte Auffassung ist vorzugswürdig. Ihr ist jedenfalls für Schadensersatzansprüche wegen andauernder Pflichtverletzungen gegenüber dem Unternehmen in Form von Kartellverstößen, denen – wie hier – eine einheitliche und auf Dauer angelegte Grundabsprache zugrunde liegt, zu folgen. Nach der bußgeldrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründen Einzelabsprachen, die lediglich eine kartellrechtswidrige Grundabsprache konkretisieren, regelmäßig keine selbständigen Taten. Sie stellen keine mehrfache Verletzung desselben Tatbestandes dar; vielmehr werden sie vom gesetzlichen Tatbestand zu einer Bewertungseinheit verbunden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.1995, KRB 33/95, BGHSt 41, 385, 394; BGH, Beschluss vom 28.6.2005, KRB 2/05, NJW 2006, 163 f. – Berliner Transportbeton I; BGH, Beschluss vom 26.2.2013, KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rn. 23, juris – Grauzementkartell I). Das hat der Bundesgerichtshof auch für das Zivilrecht übernommen und ausgeführt, dass die unter Geltung einer Grundabsprache vorgenommenen, konkretisierenden Einzelakte auch zivilrechtlich eine tatbestandliche Handlungseinheit darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2022, KZR 42/20, Rn. 90 – Schlecker; BGH, Urteil vom 19.5.2020, KZR 70/17, NZKart 2020, 535, Rn. 32 – Schienenkartell III).132

Es würde daher der gesetzlichen Wertung widersprechen, die zu einer Bewertungseinheit verbundenen Teilakte allein für die Frage der Verjährung – entsprechend der oben aufgeführten Ansicht in der Literatur – wieder in Einzelakte aufzuspalten. Die vorgenannte Rechtsprechung fügt sich vielmehr überzeugend und nachvollziehbar in die zivilrechtliche Rechtsprechung zur Verjährung ein, wonach bei Maßnahmen, die – wie es bei dem Bestehen einer Grundabsprache der Fall ist – auf einem einheitlichen Tatplan beruhen, die Verjährung nicht vor Abschluss der als einheitliches Geschehen anzusehenden schädigenden Handlung beginnt. Durch die hier vom Bundeskartellamt festgestellte und unstreitige Grundabsprache werden die wesentlichen Merkmale des weiteren Vorgehens der Kartellbeteiligten verbindlich und auf unbestimmte Zeit festgelegt. Zur Stabilisierung des Preissystems und Unterdrückung des Wettbewerbs haben die Teilnehmer – in unterschiedlichem Umfang – die Grundabsprache konkretisierende Einzelabsprachen und -abstimmungen vorgenommen, so dass von einer Bewertungseinheit und einem einheitlichen Tatplan auszugehen ist.133

Dem steht nicht entgegen, dass im Rahmen von Schadensersatzansprüchen Dritter gemäß § 33 GWB die aus einzelnen Erwerbsvorgängen abgeleiteten Schäden materiell-rechtlich jeweils selbständige Ansprüche bilden. Das hat in den Fällen des § 33 GWB zur Folge, dass insoweit die Frage der Verjährung für jeden Erwerbsvorgang gesondert zu beurteilen ist. In solchen Fällen sind Schadensersatzansprüche aus den Erwerbsvorgängen spätestens mit Vollzug der Kaufverträge zu kartellbedingt erhöhten Preisen entstanden (vgl. BGH, Kartellsenat, Urteil vom 23.9.2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell, NZKart 2021, 117 Rn. 73 ff.), so dass ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist läuft. Im Streitfall liegt jedoch die für den Schadensersatz maßgebliche Pflichtverletzung nicht in dem Abschluss eines für einen Dritten ungünstigen Kaufvertrages, sondern in der auf einem einheitlichen „Tatplan“ beruhenden, dauerschädigenden Legalitätspflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft.134

Das führt dazu, dass die Verjährung erst mit dem Abschluss des letzten Teilaktes, also mit Beendigung des Kartells und damit der Grundabsprache am 31.12.2015, zu laufen begann. Die kenntnisunabhängige fünfjährige Verjährungsfrist war damit am 28.6.2019, dem Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage, noch nicht abgelaufen.

ee) Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts

Die für die Begründetheit der Feststellungsklage erforderliche Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht ebenso wie die teilweise in der Rechtsprechung geforderte Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts.136

Das Bestehen einer Schadenswahrscheinlichkeit hat das Landgericht unangefochten festgestellt. Es hat dazu ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass der eingetretene Kartellschaden in Gänze seitens der Klägerinnen weitergegeben worden sei. An diese Feststellung ist der Senat gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).137

Unabhängig davon ist die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bei beiden Klägerinnen auch in der Sache zu bejahen.138

Die Klägerinnen sind unstreitig bereits mit ersten Schadensersatzverlangen Dritter konfrontiert worden. Dass diese grundsätzlich begründet sein können, hat der Beklagte in beiden Instanzen nicht in Frage gestellt. Er hat sich vielmehr auf den Einwand der Vorteilsausgleichung berufen und darauf verwiesen, dass die Kartellabsprachen zu höheren Preisen geführt hätten, was den Klägerinnen zugutegekommen sei. Er hat damit eingestanden, dass es grundsätzlich zu einem Schaden bei den Abnehmern der am Kartell Beteiligten gekommen ist.139

Der von dem Beklagten erstinstanzlich erhobene Einwand der Vorteilsausgleichung steht der Annahme der Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht entgegen. Zwar kann der Vorteil, der dem Geschädigten aus einer Abwälzung des kartellbedingten Preisaufschlags auf seine Abnehmer erwächst, unter dem Aspekt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sein. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung liegt jedoch auch in Kartellschadensersatzprozessen nach allgemeinen Grundsätzen beim Schädiger (vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI). Er hat anhand der allgemeinen Marktverhältnisse auf dem relevanten Absatzmarkt, insbesondere der Nachfrageelastizität, der Preisentwicklung und der Produkteigenschaften plausibel dazu vorzutragen, dass eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung ernsthaft in Betracht kommt. Er hat greifbare Anhaltspunkte vorzubringen, die für eine Weitergabe des kartellbedingten Schadens sprechen, und muss konkret darlegen, dass die Preiserhöhung gerade auf das Kartellgeschehen und nicht etwa auf andere preisbildende Faktoren zurückgeht (vgl. BGH, Urteil vom 23.9.2020, KZR 4/19, NZKart 2021, 44, Rn. 36 ff. – Schienenkartell V; BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI). Gegebenenfalls kann den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast treffen, wenn der Schädiger außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und dem Geschädigten nähere Angaben zumutbar sind. Hierbei ist jedoch Zurückhaltung geboten (vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI).140

Dem ist zu folgen. Soweit vereinzelt für die Haftung von Organen für Kartellbußgelder eine Umkehrung der Beweislast vertreten wird (vgl. Kersting, ZIP 2016, 1255, 1273 ff.), steht dies der ganz überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur entgegen (vgl. zum Kartellrecht: BGH, Urteil vom 23.9.2020, KZR 4/19, NZKart 2021, 44, Rn. 36 ff. – Schienenkartell V; BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI; LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782 ff.; Beck, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 1. Aufl. 2019, § 16 Rn. 37; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 452, 456; Thomas, NZG 2015, 1409, 1415; im Übrigen: BGH, Urteil vom 4.4.2014, V ZR 275/12, NJW 2015, 468, Rn. 22; BGH, Urteil vom 15.1.2013, II ZR 90/11, NJW 2013, 1958; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, vor § 249 Rn. 75; Oetker, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 249 BGB, Rn. 279; Grigoleit, in: Grigoleit/Tomasic, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG, Rn. 98 jeweils m.w.N.). Die von der herrschenden Ansicht vertretene Beweislastverteilung beruht auf dem Gedanken, dass die Abwälzung des (kartellbedingten) Vermögensnachteils nicht bereits die Entstehung eines Schadens ausschließt. Vielmehr geht es bei der Vorteilsausgleichung darum, dem Geschädigten unter bestimmten Voraussetzungen diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Hierbei handelt es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung, für die nach allgemeinen Grundsätzen derjenige die Beweislast trägt, der sich auf sie berufen möchte. Gründe, hiervon abzuweichen, sind nicht gegeben.141

Soweit teilweise in der Literatur diskutiert wird, ob es vor dem Hintergrund jahrelanger vorsätzlicher Verstöße gegen die Legalitätspflichten überhaupt gerechtfertigt sei, dass sich ein Organ auf die Grundsätze der Vorteilsausgleichung berufen können solle (vgl. zum Streitstand: Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 266, Fn. 1113), braucht diese Frage nicht entschieden zu werden. Denn der Beklagte hat seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Es ist von ihm nicht dargetan, dass und – und wenn überhaupt – in welcher Höhe den Klägerinnen durch sein kartellrechtswidriges Verhalten Vorteile entstanden sind. Erst recht ist nicht dargetan, dass diese Vorteile die möglichen Schäden der Klägerinnen übersteigen, so dass ihnen – wie es aber für die vollständige Abweisung der Feststellungsklage erforderlich wäre – überhaupt kein Schaden entstanden wäre. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Klägerinnen ausnahmsweise eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast treffen würde, wäre substantiierterer Vortrag von dem Beklagten zu erwarten gewesen. Denn als langjähriger Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der Klägerinnen kannte er jedenfalls die Grundsätze der Preisbildung zur Zeit seiner Geschäftsführertätigkeit und mögliche Vorteile, die er durch die von ihm begangene Wettbewerbsbeschränkung für die Klägerinnen erzielt haben will.

b) Begründetheit der Feststellungsklage der Klägerin zu 2)

Die Feststellungsklage der Klägerin zu 2) ist ebenfalls begründet. Es gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Für die Klägerin zu 2) folgt die Haftung des Beklagten aus § 93 Abs. 2 AktG, da er während des Tatzeitraums als Vorstand der Klägerin zu 2), seit dem Jahr 2012 als Vorsitzender des Vorstands, tätig war.

II. Berufung der Klägerin zu 1)

Die Berufung der Klägerin zu 1) ist unbegründet.144

Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass die Klägerin zu 1) gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von .. gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG hat. Sie kann den Beklagten nicht für die gegen sie verhängte Unternehmenskartellbuße .. zuzüglich Gebühren und Auslagen in Regress nehmen, weil nach zutreffender Auffassung in der vorliegenden Konstellation der Anwendungsbereich von § 43 Abs. 2 GmbHG aufgrund der Sanktionszwecke von §§ 81a bis 81d GWB teleologisch zu begrenzen ist.145

Die Frage, ob und inwieweit ein Regress für Unternehmensgeldbußen gegen (ehemalige) Führungskräfte eines Unternehmens, die an einem Kartellverstoß beteiligt sind, nach den Sanktionszwecken von §§ 81a bis 81d GWB rechtlich möglich ist, ist umstritten und bislang nicht höchstrichterlich geklärt (Übersichten zum Meinungsstand: Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 304 ff.; Beck, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 16 Rn. 21 ff.).

1. Auffassungen für die Erstattungsfähigkeit von Kartellbußgeldern

Eine im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum stark vertretene Ansicht spricht sich für die grundsätzliche Ersatzfähigkeit einer gegen die Gesellschaft verhängten Verbandsgeldbuße aus, dies aber zu einem erheblichen Teil mit Beschränkungsvorschlägen zur Höhe (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 260; Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, AktG § 93Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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AktG § 93
Rn. 194; Koch, in: Koch/AktG, 17. Aufl. 2023, § 93 AktG, Rn. 88; Hopt/Roth in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2014, § 93 AktG, Rn. 419; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rn. 37; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 322; Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4; Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449-456; Degner, Vorstandsinnenhaftung nach Kartellrechtsverstößen, 2021, S. 75 ff.; Kersting, ZIP 2016, 1266, 1267 ff.; Stancke, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2. Aufl. 2021, Rn. 116 ff.; Mühlhoff, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 10 Rn. 9; jeweils m.w.N.).

a) Differenzhypothese

Ausgangspunkt dieser Ansicht ist, dass Kartellbußgelder nach der Differenzhypothese zu einer Vermögensminderung bei der Gesellschaft führen und damit nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen einen Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB bilden. Eine teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 249 Abs. 1 BGB ist nach dieser Auffassung nicht gerechtfertigt.148

Dies folge insbesondere nicht aus entgegenstehenden Wertungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. So habe der Bundesgerichtshof zur Beraterhaftung (vgl. BGH, Urteil vom 31.1.1957, II ZR 41/56, NJW 1957, 586 – Bankenhaftung; BGH, Urteil vom 14.11.1996, IX ZR 215/95, NJW 1997, 518, 519 – Steuerberaterhaftung; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8, WM 2010, 993 f. – Steuerberaterhaftung) entschieden, dass zwischen strafrechtlicher Sanktion und zivilrechtlicher Inanspruchnahme zu trennen sei. Die Belastung mit einer entsprechenden Strafe bzw. Geldbuße sei ein zivilrechtlich zu ersetzender Schaden, sofern es gerade Inhalt der vertraglichen Verpflichtung gewesen sei, den Täter vor der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten durch entsprechende Hinweise zu schützen. So verhalte es sich auch bei den Legalitätspflichten eines Vorstandes oder Geschäftsführers. Ob die Gesellschaft im Innenverhältnis bei ihren Organmitgliedern Rückgriff nehmen könne, werde nicht durch das Ordnungsrecht präjudiziert; dessen spezial- und generalpräventiver Sanktionszweck sei vielmehr mit der Verhängung der Verbandsgeldbuße erreicht (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 260).149

Hierfür spreche, dass die Erstattung einer Geldbuße nach der Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 8.7.2014, II ZR 174/13, NZG 2014, 1058, Rn. 12; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8 – Steuerberater, WM 2010, 993 f.) nicht als Strafvereitelung gemäß § 258 StGB strafbar sei (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 258, 260). Durch die Inanspruchnahme des Managers werde die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion gegen die Gesellschaft nicht unterlaufen. Die Kartellbußgelder seien regelmäßig so hoch, dass sie kaum vollständig von einem Organmitglied ersetzt erlangt werden könnten. Auch überschritten sie oftmals die Deckungssumme von D&O-Versicherungen, deren Eingreifen wegen verschiedener Ausschlussgründe – etwa regelmäßig für vorsätzliches Handeln – ohnehin fraglich sei (vgl. Kersting, ZIP 2016, 1266; Mühlhoff, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 10 Rn. 9).150

Für Kartellbußgelder gälten im Verhältnis zu anderen Bußgeldern keine Besonderheiten, die sich etwa daraus ergeben könnten, dass neben der Verbandsgeldbuße auch eine Geldbuße gegen das Leitungsorgan verhängt worden sei. Zum einen enthielten die vorgenannten höchstrichterlichen Entscheidungen zumindest eine Tendenzaussage gegen ein sanktionsrechtliches Regressverbot (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 258, 260). Zum anderen sei es für den Schaden der Gesellschaft bzw. dessen Ersatzfähigkeit ohne Belang, dass gegen den Vorstand bzw. Geschäftsführer gegebenenfalls auch ein Bußgeld verhängt worden sei (vgl. Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4).151

Der Einwand, dass die Möglichkeit eines Bußgeldregresses normativ widersprüchlich sei und die staatliche Legitimation der Unternehmensbuße zum Fortfall brächte, verfange nicht. Der Zweck der Kartellgeldbuße bestehe darin, für eine wirksame Kartellverfolgung zu sorgen und zukünftige Wettbewerbsverstöße zu vermeiden. Dafür sei ein gesellschaftsrechtlicher Regress aufgrund seiner erheblichen Abschreckungswirkung auf Leitungsorgane besonders geeignet (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 261 m.w.N.). Zudem würde ein Verbot des Kartellbußgeldregresses zu wertungsmäßigen Ungereimtheiten führen. Es liefe auf eine sektorale Ausnahme hinaus, die eine Privilegierung von Kartellrechtsverstößen zu Folge hätte (vgl. Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, AktG § 93Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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AktG § 93
Rn. 194; Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 263; Hopt/Roth in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2014, § 93 AktG, Rn. 419). Schließlich spräche die fehlende gesetzliche Regelung eines Haftungsausschlusses – anders als sie etwa mit § 11 VbVG (Österreich) gegeben sei – gegen eine teleologische Reduktion.152

Innerhalb dieser Auffassung besteht weitgehend Einigkeit darin, dass nur der Ahndungsteil, nicht aber der Abschöpfungsteil der Geldbuße ersatzfähig sei. Dies wird u.a. damit begründet, dass der Gesellschaft hinsichtlich des Abschöpfungsteils kein Schaden entstanden sei, weil damit der durch die Pflichtverletzung erlangte Vorteil beseitigt werde (vgl. Koch, in: Koch/AktG, 17. Aufl. 2023, § 93 AktG, Rn. 88; Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4; Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 264).

b) Einschränkungen

Einige Vertreter der oben aufgeführten Auffassung vertreten, dass eine angemessene Haftungsbegrenzung nur durch den Gesetzgeber erfolgen könne (vgl. Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449-456 m.w.N), weshalb eine solche derzeit ausscheide.154

Demgegenüber wurden auch innerhalb der oben aufgeführten Auffassung vor dem Hintergrund der in jüngerer Zeit deutlich gestiegenen Beträge für Verbandsgeldbußen in Kartellbußgeldverfahren, die aufgrund des hohen Bußgeldrahmens des § 81c Abs. 4 S. 1 GWB ohne Weiteres im dreistelligen Millionenbereich liegen und deshalb zu einer Existenzvernichtung des Leitungsorgans im Fall seiner Inanspruchnahme führen können, Ansätze zur Begründung einer weiteren Haftungsbegrenzung entwickelt.155

Eine Ansicht erzielt eine erhebliche Einschränkung der Haftung über eine stark ausgedehnte Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung. Ansatzpunkt ist auch hier die Annahme, dass der Gesellschaft der illegal erzielte Gewinn nicht verbleiben dürfe. Um dies zugunsten des Leitungsorgans wirksam werden zu lassen, wird eine gegenüber den allgemeinen Grundsätzen abweichende Verteilung der Beweislast angenommen. Die Gesellschaft soll nachweisen müssen, dass in Höhe des gegenüber dem Organ geltend gemachten Schadens die Nachteile aus dem Kartell die Vorteile insgesamt überwiegen (vgl. Kersting, ZIP 2016, 1266 ff.).156

Weiter wird vertreten, dass die Unternehmen die Vorstandsmitglieder nicht stets auf den vollen Schaden in Regress nehmen könnten; es müsse aufgrund der Treuebindung und Fürsorgepflichten gegenüber den Organmitgliedern eine angemessene Beschränkung des Regresses vorgenommen werden (vgl. Hopt/Roth in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2014, § 93 AktG, Rn. 419; Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4).157

Vertreten wird in diesem Zusammenhang auch, dass sich die Regresshöhe an den Umständen des Einzelfalls zu bemessen habe; sie müsse sich am Maß der Pflichtwidrigkeit und der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Vorstandsmitgliedes orientieren (vgl. Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, AktG § 93Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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AktG § 93
Rn. 194).158

Erwogen wird ferner, die Abmilderung der Organhaftung in Anlehnung an die arbeitsrechtlichen Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs vorzunehmen (vgl. Lotze, NZKart 2014, 162, 168; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1804 m.w.N.).159

Schließlich wird in Betracht gezogen, dass bei den unterschiedlichen Bußgeldrahmen nach § 81c GWB für juristische und natürliche Personen der für die natürlichen Personen geltende Bußgeldrahmen von einer Million Euro die Obergrenze des Regresses bilden müsse (vgl. ArbG Essen, Urteil vom 19.12.2013, 1 Ca 657/13, NZKart 2014, 193, 195).

2. Auffassungen gegen die Erstattungsfähigkeit von Kartellbußgeldern

Demgegenüber hält eine in Teilen der Rechtsprechung und des gesellschaftsrechtlichen Schrifttums sowie in der kartellrechtlichen und sanktionsrechtlichen Literatur vertretene Ansicht auch den über die Gewinnabschöpfung hinausgehenden Ahndungsteil der Verbandskartellbuße schon dem Grunde nach nicht für erstattungsfähig und nimmt eine teleologische Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG vor, weil ansonsten der Sanktionszweck der Verbandsbuße unterlaufen würde (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782 ff., das wegen anderweitiger Verfahrensfehler vom Bundesarbeitsgericht – BAG, Urteil vom 29.6.2017, 8 AZR 189/15, ZIP 2017, 2424 – aufgehoben und vom Landesarbeitsgericht anschließend an die für Kartellsachen zuständige Kammer beim Landgericht Dortmund verwiesen wurde; LG Saarbrücken, Urteil vom 15.9.2020, 7HK O 6/16, BeckRS 2020, 32440, Rn. 122; Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 Rn. 310 ff.; Mertens/Cahn in: KölnerKomm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 56, die zudem bei Settlements einen Zurechnungszusammenhang verneinen; Bachmann, BB 2015, 911 ff.; Baur/Holle, ZIP 2018, 459 ff.; Dreher, VersR 2015, 781 ff.; Grunewald, NZG 2016, 1121 ff.; Labusga, VersR 2017, 394 ff.; Lotze/Smolinski, NZKart 2015, 254; Thomas, NZG 2015, 1409 ff.; Thomas, VersR 2017, 596 ff.). Teilweise wird darauf abgestellt, dass die kartellrechtlichen Unternehmensbußgelder gegenüber den Leitungspersonen nicht als zivilrechtlich ersatzfähige Vermögensschäden im Sinne von §§ 249 ff. BGB zu qualifizieren seien (vgl. Bunte, NJW 2018, 123 ff.).161

Diese Auffassungen argumentieren im Wesentlichen damit, dass ein zivilrechtlicher Binnenregress den Zweck der Unternehmensbuße vereitele. Der Zweck der Bußgeldregelungen gebiete es, dass die Geldbuße den Unternehmensträger – also die Gesellschaft – treffe und auch dort verbleibe, um diesen zu einer angemessenen Kontrolle seiner Organe anzuhalten (LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 790; Bunte, NJW 2018, 123, 125, 126; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 465). Das Gesetz sähe für Gesellschaften und natürliche Personen unterschiedliche Sanktionsobergrenzen vor.162

Die unterschiedliche Ausgestaltung der Bußgeldrahmen liefe ins Leere, wenn die Gesellschaft es in der Hand hätte, die gegen sie verhängte Geldbuße an die insoweit eigentlich privilegierte natürliche Person weiterzureichen. Eine Abwälzung der Geldbuße auf das Leitungsorgan würde das differenzierte Sanktionssystem des Kartellrechts entwerten und sowohl seinem spezial- als auch generalpräventiven Zweck zuwiderlaufen (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 791; Bunte, NJW 2018, 123, 125). Der vom Gesetzgeber vorgesehene abschließende Charakter der ordnungsrechtlichen Regeln ergebe sich daraus, dass die Verbandsgeldbuße zwingend eine rechtswidrige und schuldhafte Anknüpfungstat einer Leitungsperson voraussetze (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 310; Bunte, NJW 2018, 123, 124; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 463). Eine Belastung des Organwalters mit zwei Geldbußen, eine unmittelbar und eine auf dem Umweg der Organhaftung, wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich, da sie zwar nicht formal, aber im praktischen Ergebnis auf eine unzulässige Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) und einen Verstoß gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens hinausliefe (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 311; ähnlich: Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 465).163

Es bestehe auch kein Widerspruch zu den oben aufgeführten höchstrichterlichen Entscheidungen zur Beraterhaftung. Die dort entschiedenen Sachverhalte unterschieden sich maßgeblich von dem hier zu entscheidenden Sachverhalt, weil das anspruchsstellende Unternehmen – anders als der Steuerberater oder die beratende Bank – selbst Täter nach dem Ordnungsrecht sei (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 791; Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 312; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 464).164

Aus der Rechtsprechung, dass die Zahlung einer Geldstrafe durch einen Dritten keine Strafvereitelung i.S.d. § 258 StGB sei, lasse sich nichts herleiten. Die genannten Entscheidungen beinhalteten nur die Aussage, dass der Strafanspruch des Staates nichts mit der zivilrechtlichen Dispositionsbefugnis von Privatpersonen über ihr Vermögen zu tun habe (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 789; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 464; Thomas, NZG 2015, 1409, 1411).

3. Abwägung

165

Der zuletzt genannten Auffassung ist der Vorzug zu geben. Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe dafür, Verbandsgeldbußen nach deutschem Kartellrecht von der Organhaftung auszunehmen und die Organhaftung nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG insoweit teleologisch zu reduzieren.

a) Nicht nur Haftungsreduzierung

166

Die im Rahmen der erst genannten Auffassung entwickelten Ansätze zur Begründung einer Haftungsbegrenzung vermögen de lege lata nicht zu überzeugen.167

Soweit eine Ansicht eine gegenüber den allgemeinen Grundsätzen abweichende Verteilung der Beweislast bei der Frage der Vorteilsausgleichung annimmt und von der Gesellschaft fordert, nachzuweisen, dass in Höhe des gegenüber dem Organ geltend gemachten Schadens die Nachteile aus dem Kartell sämtliche über die Jahre gezogenen Vorteile insgesamt überwiegen, steht dies in Widerspruch zur herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, auch soweit sie sich auf Kartellschäden beziehen (vgl. zum Kartellrecht: BGH, Urteil vom 23.9.2020, KZR 4/19, NZKart 2021, 44, Rn. 36 ff. – Schienenkartell V; BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 – ORWI; LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782 ff.; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 452, 456; Thomas, NZG 2015, 1409, 1415; im Übrigen: BGH, Urteil vom 4.4.2014, V ZR 275/12, NJW 2015, 468, Rn. 22; BGH, Urteil vom 15.1.2013, II ZR 90/11, NJW 2013, 1958; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, vor § 249 Rn. 75; Grigoleit, in: Grigoleit/Tomasic, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG, Rn. 98 jeweils m.w.N.). Eine Abweichung hiervon wäre nur zweckgerichtet und widerspräche der Gesetzesssystematik. So entscheidet häufig die Frage der Darlegungs- und Beweislast für eine etwaige Vorteilsausgleichung den Ausgang des Rechtsstreits.168

Soweit ein teilweiser Haftungsausschluss aus organschaftlichen Fürsorge- und Treuepflichten der Gesellschaft resultieren können soll, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Die Überlegung, dass es mit Blick auf Fürsorge- und Rücksichtnahmepflichten der Gesellschaft treuwidrig wäre, das gesamte Bußgeld, das erst durch den multiplizierenden Faktor des Unternehmensbezugs seinen für natürliche Personen oftmals existenzbedrohenden Charakter erhalte, an das Organ weiterzureichen, überzeugt jedenfalls in den Fällen nicht, in denen das Organ – wie hier – über Jahre und vorsätzlich gehandelt hat. Wer sich so verhält, wird sich kaum auf die Grundsätze von Treu und Glauben, an die sich die Gegenseite zu halten habe, berufen können. Zudem beinhaltet diese Auffassung erhebliche Unwägbarkeiten, wie die Haftung bzw. ihr Ausschluss im konkreten Fall ausgestalten sein sollen. Entsprechendes gilt für Vorschläge, die Höhe der Haftung an den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Gesetzliche Anhaltspunkte für beides bestehen nicht.169

Soweit eine entsprechende Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung erwogen wird, besteht dafür ebenfalls kein gesetzlicher Anhaltspunkt. Nach diesen Grundsätzen kann ein Regress seitens des Arbeitgebers ganz oder zum Teil ausgeschlossen werden, wenn die Pflichtverletzung des Angestellten lediglich auf Fahrlässigkeit beruht. Die kartellrechtlichen Bußgeldverfahren betreffen aber regelmäßig nicht Fälle leichter und mittlerer Fahrlässigkeit, sondern – wie hier – vorsätzliche Taten, so dass die Haftungsreduzierung selbst bei Übertragung der arbeitsrechtlichen Grundsätze kaum durchschlagen würde (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 125).170

Schließlich überzeugt der Vorschlag nicht, die Bußgeldobergrenze des § 81c Abs. 1 GWB – eine Million Euro – auf den Regress gegen Organe/Mitarbeiter, die die Handlung des Unternehmens bestimmen, analog anzuwenden. Auch für eine solche Begrenzung der Weiterreichung entsprechend der Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

b) Telelogische Reduktion

171

Auch im Übrigen ist die Möglichkeit eines Binnenregresses mit der zuletzt ausgeführten Auffassung abzulehnen.172

Den Befürwortern eines Binnenregresses ist zwar zuzugeben, dass die wortlautgetreue Anwendung zivil- und gesellschaftsrechtlicher Haftungsnormen eine unbeschränkte Einstandspflicht pflichtwidrig handelnder Organmitglieder hinsichtlich des ahndenden Teils der Geldbuße nahelegt. Bei Anwendung allgemeiner haftungsrechtlicher Grundsätze stellt jedenfalls der ahndende Teil einer Unternehmensgeldbuße regelmäßig einen regressfähigen Schaden der Gesellschaft dar. Zuzugeben ist auch, dass ein gesellschaftsrechtlicher Regress aufgrund seiner gravierenden spezial- und generalpräventiven Abschreckungswirkung geeignet erscheint, die Leitungspersonen zu mehr Sorgfalt und der Vermeidung von Kartellen anzuhalten. Dennoch sprechen die Besonderheiten des deutschen Kartellrechts sowie der Sinn und Zweck der Bußgeldvorschriften dafür, die Möglichkeit eines Binnenregresses im vorliegenden Fall abzulehnen.

aa) Besonderheiten der Verbandsgeldbuße

173

Für einen abschließenden Charakter der sanktionsrechtlichen Regelungen der Verbandsgeldbuße, der zu einer teleologischen Reduktion der zivilrechtlichen Haftung führt, sprechen die Besonderheiten der Verbandsgeldbuße jedenfalls im Zusammenspiel mit den deutschen Kartellrechtsnormen.174

Die Verbandsgeldbuße bedarf notwendig einer Anknüpfungstat einer natürlichen Person, die für das Unternehmen rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Der Gesetzgeber hatte somit gerade solche Fälle im Blick, in denen die Leitungsperson im Innenverhältnis eine Legalitätspflichtverletzung begeht. Wenn das Gesetz in dieser Situation neben der persönlichen Bebußung der Leitungsperson eine Verbandsbuße vorsieht, spricht bereits dies dagegen, die Zuschreibung der Sanktionierung des Unternehmens durch die allgemein gehaltene zivilrechtliche Haftungsdogmatik wegen der Legalitätspflichtverletzung unmittelbar wieder auf die Leitungsperson umzulenken (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 310; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 464; Thomas, NZG 2015, 1409, 1412). Insoweit stellte sich die Frage, warum der Staat überhaupt eine Buße gegen das Unternehmen verhängt, wenn diese Folge vom Haftungsrecht sogleich als unerwünschter Schaden auf das Organmitglied verlagert wird (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1412).175

Dies gilt in besonderem Maße unter Berücksichtigung des speziellen kartellrechtlichen Sanktionssystems. In diesem Zusammenhang fällt ins Gewicht, dass der Gesetzgeber mit der Sanktionierung gerade das Unternehmen, nicht aber die natürliche Person nachhaltig belasten will. Das zeigt sich an den vom Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Bußgeldrahmen und Bußgeldzumessungsgesichtspunkten. So liegt der Bußgeldrahmen für Unternehmen gravierend über demjenigen, der für die natürliche Person anzuwenden ist. Während für Letztere eine Bußgeldobergrenze von einer Million Euro gilt, kann diejenige für das Unternehmen bei bis zu 10 % des Jahresumsatzes des gesamten Unternehmensverbundes liegen (vgl. § 81c Abs. 1 und Abs. 4 GWB), was ohne weiteres zu Bußgeldern im dreistelligen Millionenbereich führen kann und in der Praxis auch regelmäßig führt.176

Eine besondere Bedeutung für die Zumessung der Geldbuße für das Unternehmen kommt dabei der Größenordnung der mit der Zuwiderhandlung in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stehenden Umsatzes (sog. tatbezogener Umsatz) zu. Der tatbezogene Umsatz spielt nicht nur in den Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes eine zentrale Rolle für die Bußgeldzumessung, auch der Bundesgerichtshof hat deutlich gemacht, dass die vorrangige Orientierung am tatbezogenen Umsatz „der Maßgeblichkeit des Unrechtsgehalts der Bezugstat für die Bestimmung des Ahndungsteils ausdrücklich gerecht“ werde (vgl. BGH, Beschluss vom 17.10.2013, 3 StR 167/13, BeckRS 2014, 5757 Rn. 39; Vollmer, in: MüKoEuWettbR, 4. Aufl. 2022, § 81d GWB, Rn. 21). Der tatbezogene Umsatz bildet einen Bezug zur Bedeutung des betroffenen Marktes, der Stellung des Unternehmens am Markt sowie dem daraus folgenden Gewinn- und Schadenspotenzial ab (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 124).177

Auf dieses maßgebliche Bußgeldzumessungskriterium hat das Leitungsorgan nahezu keinen Einfluss, da der tatbezogene Umsatz im Wesentlichen von der Größe des Unternehmens und seiner Stellung am Markt abhängt. Die Höhe der Buße, die sich gegen das Organ richtet, hängt zwar auch von der Schwere der Tat ab, die sich zum Teil auch nach dem tatbezogenen Umsatz richten kann. Entscheidend sind jedoch auch weitere individuelle Kriterien wie die Dauer der Tat und die eigene Leistungsfähigkeit.

bb) Sinn und Zweck

178

Diese besondere Ausgestaltung der Sanktionen im Kartellrecht, insbesondere die am Gesamtumsatz des zu bebußenden Unternehmens orientierte u.U. enorme Höhe der möglichen Geldbußen gegen Unternehmen im Verhältnis zur natürlichen Person und deren Ausrichtung am tatbezogenen Umsatz, zeigt, dass Sinn und Zweck der Unternehmensgeldbuße insbesondere darin besteht, das rechtlich verselbständigte Vermögen der juristischen Person nachhaltig zu treffen (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 125). In der Begründung zum OWiG von 1967 (vgl. BT-Drs. V/1269 vom 8.1.1967 – 59/60) heißt es, dass mit der Geldbuße gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen der Zweck verfolgt wird, diesen die Vorteile abzunehmen, die ihnen durch Zuwiderhandlung ihrer Organe unrechtmäßig zugeflossen sind, weiterhin der Zweck, die Erzielung solcher unrechtmäßigen Vorteile zu bekämpfen. Liegt aber die Begründung für die extreme Höhe der Buße darin, dem Unternehmen – unabhängig von der weiteren Möglichkeit, den Mehrerlös abzuschöpfen – die Vorteile der Kartellzuwiderhandlung zu entziehen, kann es nicht gewollt sein, diese auf das Leitungsorgan bzw. – erst recht nicht wie hier beim Bestehen einer D&O-Versicherung – auf diese Versicherung zu verlagern (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1412). Die Bemessung der Geldbuße des Unternehmens zeigt, dass der Gesetzgeber von einem dauerhaften Verbleiben der Geldbuße bei dem Unternehmen ausgegangen ist, gegen das die Sanktion verhängt worden ist (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 125).179

Um die Ziele des Wettbewerbsrechts zu erreichen, ist es auch nicht notwendig, das Leitungsorgan – zusätzlich zu der eigenen gegen ihn verhängten Geldbuße – noch mit der Geldbuße des Unternehmens zu belasten. Der Sanktionsgesetzgeber ging für Unternehmensangehörige jedenfalls davon aus, dass – vorbehaltlich des § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG – in keinem Fall, auch nicht in den schwersten Fällen, eine höhere Geldbuße als eine Million Euro festgesetzt werden soll (§ 81c Abs. 1 GWB). Dem Leitungsorgan droht zudem neben der individuellen Bebußung, dass es für alle weiteren Schäden der Gesellschaft jenseits der Verbandsbuße haftet und je nach Gewicht der Pflichtverletzung mit der fristlosen Kündigung seines Anstellungsvertrags rechnen muss (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 312).180

Soweit argumentiert wird, dass durch die Inanspruchnahme des Managers die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion gegen die Gesellschaft nicht unterlaufen werde, weil die Kartellbußgelder regelmäßig so hoch seien, dass sie kaum vollständig von einem Organmitglied ersetzt werden könnten, überzeugt dies nicht. Dies hängt nämlich zufällig von den tatsächlichen Gegebenheiten, der jeweiligen Vermögenssituation des Geschäftsleitungsorgans und der Höhe der Unternehmensgeldbuße ab. Vielmehr zeigt der vorliegende Fall, dass die Sanktionswirkung einer Geldbuße gegen das Unternehmen faktisch leerliefe, wenn – wie hier – eine D&O-Versicherung und damit letztlich die Versichertengemeinschaft den Schaden vollständig trüge. Dies gilt insbesondere dann, wenn die D&O-Versicherung eine Deckungssumme – wie hier – in der Größenordnung oder noch über der 10%-Umsatzschwelle für Unternehmensgeldbußen (§ 81c Abs. 2 S. 2 GWB) vorsieht. Hierbei ist auch zu sehen, dass die verhängten Bußgelder den 10%-Umsatzrahmen oft nur zu einem geringeren Teil ausschöpfen.181

Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine unmittelbare Versicherung von Bußgeldrisiken durch das Unternehmen als so genannte Eigenschadensdeckung nicht in Betracht kommt. So verstieße ein Vertrag, mit dem die Versicherung das Unternehmen unmittelbar von seiner Bußgeldpflicht – insbesondere im Fall des Vorliegens von Vorsatz – freistellte, gegen § 138 Abs. 1 S. 1 BGB. Bestehender Versicherungsschutz kann nämlich dazu führen, dass die versicherte Person nachlässiger agiert. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die Verhängung einer Geldstrafe oder Geldbuße für die Verletzung bestimmter Verhaltensweisen gerade für erforderlich gehalten hat (vgl. Armbrüster, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 7, 6. Aufl. 2020, § 108 D&O-Versicherung, Rn. 82; Thomas, NZG 2015, 1409, 1416 jeweils m.w.N. auch zum Streitstand).182

Demgegenüber wird der Abschluss einer D&O-Versicherung zugunsten des Leitungsorgans einer Gesellschaft zivilrechtlich für wirksam gehalten. Daher besteht in den Unternehmen regelmäßig D&O-Versicherungsschutz für den Vorstand bzw. die Geschäftsführung. Abhängig von den Versicherungsbedingungen und der Verschuldensform des Leitungsorgans wäre es daher möglich, dass letztlich die D&O-Versicherung für das gegen das Unternehmen verhängte Bußgeld einzutreten hätte, wenn man einen Binnenregress zuließe. Damit würde die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion aber unterlaufen. Hierbei ist auch zu sehen, dass das Leitungsorgan als versicherte Person seinen Deckungsanspruch erfüllungshalber wiederum an das Unternehmen abtreten kann (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1416).183

Wie bereits erläutert, wird die Sanktionswirkung insbesondere dann unterlaufen, wenn die Deckungssumme – wie hier bei einer Höhe von bis zu .. Mio. € – den möglichen Bußgeldrahmen weitgehend und die zu erwartende Geldbuße faktisch sicher abdeckte. In diesem Fall würde die vom Gesetzgeber bezweckte Präventionswirkung einer Geldbuße ins Leere laufen.

cc) Bundesgerichtshof

Die von den Befürwortern des Binnenregresses zur Stützung ihrer Auffassung herangezogene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den sog. Beraterfällen (vgl. BGH, Urteil vom 31.1.1957, II ZR 41/56, NJW 1957, 586 – Bankenhaftung; BGH, Urteil vom 14.11.1996, IX ZR 215/95, NJW 1997, 518, 519 – Steuerberaterhaftung; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8, WM 2010, 993 f. – Steuerberaterhaftung) steht nicht entgegen.185

Der wesentliche Unterschied zwischen den zitierten Beraterfällen und der vorliegenden Konstellation besteht darin, dass die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG zwingend die Anknüpfungstat einer für den Verband handelnden Leitungsperson voraussetzt. Der Gesetzgeber hatte klar vor Augen, dass denknotwendig mindestens zwei Rechtsträger (eine Leitungsperson und die Gesellschaft) als Sanktionsadressaten in Betracht kommen. Wenn er in dieser Situation anordnet, dass beide Parteien bebußt werden können und sollen, und zwar jede nach auf sie individuell abgestimmten Bemessungsfaktoren, handelt es sich dabei um eine Sanktionsregelung, die speziell auf diesen besonderen Fall der Verantwortlichkeit Mehrerer zugeschnitten ist. Diese Wertung darf nicht durch den Rekurs auf die allgemeine Organhaftung unterlaufen werden. Im Unterschied dazu fehlt es in den Beraterfällen, in denen nur der Geschädigte der alleinige Sanktionsadressat ist, an einer (weiteren) sanktionsrechtlichen Regelung im Verhältnis Berater und Beratenem (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 312; Thomas, NZG 2015, 1409, 1413).186

Daher widerspricht auch die von den Klägerinnen besonders hervorgehobene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 22.9.2016, VII ZR 14/16, NJW 2016, 3715) zum Regress einer Verbandsgeldbuße eines Fußballvereins gegen einen Zuschauer, der während eines Fußballspiels einen gezündeten Sprengkörper geworfen hatte, nicht der hier vertretenen Auffassung. Auch in dem dortigen Fall war allein der Fußballverein nach § 9 a Nr. 1 und 2 der Rechts- und Verfahrensordnung des Deutschen Fußball-Bundes e.V. Sanktionsadressat der Geldstrafe.187

Auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18.11.2014, KZR 15/12, BeckRS 2015, 33 ff.) können die Klägerinnen für den vorliegenden Fall nichts für sie Günstiges ableiten. Dort hat der Bundesgerichtshof die Möglichkeit eines Innenregresses gemäß § 426 Abs. 1 BGB bejaht, nachdem die Europäische Kommission eine Geldbuße gegen drei Unternehmen als Gesamtschuldner verhängt hatte. Der Bundesgerichtshof hat dort ausgeführt, dass sich in diesem Fall die Höhe der Ausgleichsansprüche der Gesamtschuldner untereinander nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere anhand der individuellen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge bemessen (BGH, Urteil vom 18.11.2014, KZR 15/12, BeckRS 2015, 33 ff., Rn. 32 ff.). Diese Fallkonstellation ist mit dem Streitfall nicht zu vergleichen. Hier geht es nicht um einen im Innenverhältnis vorzunehmenden Gesamtschuldnerausgleich. Dort waren drei Gesellschaften einheitlich mit einem Bußgeld belegt worden. Hier wurden hingegen jeweils gesonderte Sanktionen gegen zwei Adressaten nach den jeweils für sie individuell geltenden Regeln festgesetzt.188

Soweit der Bundesgerichtshof (vgl. BGH, Urteil vom 8.7.2014, II ZR 174/13, NZG 2014, 1058, Rn. 12; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8 – Steuerberater, WM 2010, 993 f.) entschieden hat, dass die freiwillige Zahlung einer Geldstrafe durch einen Dritten keine Strafvereitelung nach § 258 StGB darstellt, folgt daraus lediglich, dass das Verhalten des Dritten nicht strafwürdig ist. Daraus ergibt sich aber nicht, dass die Zahlung einer Geldstrafe oder Buße durch einen Dritten den Sanktionszweck nicht verhindern würde (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1411).

III. Berufung der Klägerin zu 2)

Die Berufung der Klägerin zu 2) ist nicht begründet. Auch insoweit beruht die Entscheidung des Landgerichts weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).190

Die Klägerin zu 2) hat gegen den Beklagten keinen Anspruch gemäß § 93 Abs. 2. S. 1 AktG auf Erstattung ihrer IT- und Rechtsanwaltskosten, weil diese unmittelbar durch das Bußgeldverfahren und die Abwehr des Erlasses bzw. der Reduzierung von Bußgeldbescheiden gegen die Klägerinnen entstanden sind und deshalb als damit zusammenhängende Nebenforderungen an der teleologischen Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG teilnehmen.191

Zwar sind derartige Ermittlungs- und Rechtsverfolgungskosten grundsätzlich entsprechend der allgemeinen Dogmatik zu §§ 249 ff. BGB von dem nach diesen Normen zu ersetzenden Schaden umfasst (vgl. LG München, Urteil vom 10.12.2013, 5 HK O 1387/10, BeckRS 2014, 1998; Koch, in: Koch/AktG, 16. Aul. 2022, § 93 AktG Rn. 89; Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rn. 300; Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG, Rn. 193; Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 258; Lüneborg/Resch, NZG 2018, 209, 214 jeweils m.w.N.; Beck, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 16 Rn. 33; vgl. auch BAG, Urteil vom 28.5.2009, 8 AZR 226/08, NZA 2009, 1300 und BGH, Beschluss vom 15.5.2013, XII ZB 107/08, NW 2013, 2668 zu sog. Detektivkosten).192

Hier scheidet ein Anspruch aufgrund der oben aufgeführten Erwägungen zur teleologischen Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG jedoch aus. Der Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, sämtliche geltend gemachten Kosten seien ausschließlich als Ermittlungs- und Rechtsverteidigungskosten zur Abwehr des Erlasses von Bußgeldbescheiden bzw. zur Reduktion etwaiger Bußgelder entstanden. Nach dem Vortrag der Klägerinnen hängen die von der Klägerin zu 2) geltend gemachten Kosten damit nur mit dem Erlass bzw. Nichterlass von Bußgeldbescheiden zusammen. Ist aber die festgesetzte Geldbuße nicht zu ersetzen, teilen die hierfür aufgewandten (Neben-) Kosten ihr Schicksal und nehmen an der teleologischen Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG teil.

IV. Revision

Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen. Es liegt bislang keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu der umstrittenen Frage vor, ob im Fall der Verhängung eines Verbandskartellbußgeldes gegen ein Unternehmen ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen sein (ehemaliges) Leitungsorgan besteht oder ob die Sanktionszwecke des deutschen Kartellrechts es gebieten, die Haftung des Organs nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG teleologisch zu beschränken.

V. Nebenentscheidungen

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

VI. Streitwert

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 3 ZPO auf .. festgesetzt. Auf die Berufung des Beklagten entfällt ein Betrag in Höhe von .. von denen auf jede Feststellungsklage .. entfallen. Das entspricht den Angaben der Klägerinnen in der Klageschrift. Weiter entfällt auf die Berufung der Klägerin zu 1) ein Betrag in Höhe von .. und auf diejenige der Klägerin zu 2) ein solcher in Höhe von .. .

VII. Nicht nachgelassene Schriftsätze

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerinnen vom 5.7.2023 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Soweit die Klägerinnen dort erneut Argumente für die von ihnen vertretene Ansicht, die die Möglichkeit eines Regresses bejaht, vortragen, sind diese bereits Gegenstand ihrer vorangegangenen Schriftsätze und auch der mündlichen Verhandlung gewesen. Der Senat verkennt diese Argumente nicht, hat sich aber aus den oben aufgeführten Gründen gegen die Möglichkeit eines Regresses entschieden. Dies gilt auch im Hinblick auf die geltend gemachten Verteidiger- und sonstigen Aufklärungskosten.197

Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass mit der Vorlage einer Stundensatzvereinbarung und von Rechnungen die Berechtigung der geltend gemachten Anwaltskosten nicht bewiesen ist.198

Damit eine Gebührenvereinbarung wirksam ist, bedarf sie nach § 3a Abs. 1 RVG der Textform. Jedoch finden sich in der mit Schriftsatz vom 19.4.2022 vorgelegten Auflistung der durchgeführten Tätigkeiten diverse Tätigkeiten, die mit Stundensätzen über .. € und über .. € abgerechnet worden sein sollen. Dass diese Stundensätze vereinbart worden sind, ergibt sich jedenfalls nicht aus der vorgelegten Vergütungsvereinbarung, die andere Stundensätze vorsieht.199

Damit der Klägerin zu 2) ein entsprechender Ersatzanspruch gegen den Beklagten zustünde, wäre darüber hinaus Voraussetzung, dass die Kanzlei K. ihre Leistungen ordnungsgemäß nach § 10 RVG abgerechnet und die Klägerin zu 2) diese beglichen hat. Honorarrechnungen sind nach § 10 Abs. 1 RVG von dem Rechtsanwalt zu unterschreiben. Zudem ist eine Berechnung der Gebühren zu erstellen. Entspricht die Kostenberechnung nicht den Anforderungen des § 10 RVG, ist die Vergütung nicht einforderbar. Der Mandant gerät weder in Zahlungsverzug noch tritt eine Verzinsung ein (vgl. Hans-Jochem Meyer, in: HK-RVG, 8. Aufl. 2021, RVG § 10 Rn. 37). Dass diese Anforderungen eingehalten wurden, lässt sich anhand der vorgelegten Unterlagen, die keine Unterschrift aufweisen, nicht feststellen. Auch ist nicht dargelegt, wie sich die im prozess geltend gemachte Teilforderung über .. € von den vorgelegten Rechnungen über .. € konkret unterscheidet und ob die Teilforderung korrekt berechnet wurde.200

Ebenso wenig bietet der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagten vom 17.7.2023 Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-Recht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 2023 – I-3 Wx 72/23

Mittwoch, 26. Juli 2023

Nachtragsliquidator

§ 66 Abs 5 GmbHG  

1. Will ein Beteiligter die Bestellung eines Nachtragsliquidators nach § 66 Abs. 5 GmbHG erreichen, genügt die bloße Behauptung, die wegen Vermögenslosigkeit gelöschte Gesellschaft besitze noch Vermögenswerte, nicht; vielmehr muss der Beteiligte durch substantiierte Behauptungen nachvollziehbar darlegen, dass noch konkretes verteilbares Vermögen der gelöschten Gesellschaft vorhanden ist.

2. Sind Vermögenswerte der Gesellschaft vor deren Löschung im Handelsregister an einen Dritten übertragen worden, setzt die Bestellung eines Nachtragsliquidators voraus, dass der antragstellende Beteiligte stichhaltige Einwände gegen die Wirksamkeit der Rechtsübertragung vorträgt.

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. werden der Beschluss des Amtsgerichts (Registergericht) Düsseldorf vom 15. März 2023 aufgehoben und der Antrag der Beteiligten zu 1. auf Bestellung ihres Verfahrensbevollmächtigten … zum Nachtragsliquidator der gelöschten … GmbH zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 1. hat der Beteiligten zu 2. die ihr in der Beschwerdeinstanz entstandenen notwendigen Aufwendungen zu ersetzen.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die betroffene Gesellschaft vermittelte bis zu ihrer Löschung wegen Vermögenslosigkeit am 15. Juni 2020 als Finanzdienstleisterin Darlehen. In dem Rechtsstreit 6 O 236/17 ist zu ihren Gunsten durch Endurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Juni 2022 eine Hauptforderung in Höhe von 83.555 Euro nebst Zinsen gegen den Schuldner S… D… tituliert worden. Dem Urteil vorausgegangen waren ein entsprechendes Versäumnisurteil vom 11. Januar 2018 und ein jenes Versäumnisurteil bestätigendes Vorbehaltsurteil vom 7. Juni 2019. Das genannte Endurteil hat das Vorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt. Der Beklagte hat gegen das Endurteil Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist (OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Düsseldorf
, I-16 U 133/22).Randnummer2

Die Beteiligte zu 1. ist Gläubigerin einer Forderung von mindestens 300.000 Euro gegen Herrn Peter B… Dieser war alleiniger Geschäftsführer und einer von drei Gesellschaftern der betroffenen Gesellschaft. Die Beteiligte zu 1. hat in dessen Geschäftsanteile an der betroffenen Gesellschaft sowie in alle mit diesen Anteilen verbundenen Ansprüche vollstreckt.Randnummer3

Unter Hinweis auf die vorgenannte titulierte Forderung gegen Herrn D… begehrt die Beteiligte zu 1. die Bestellung ihres Verfahrensbevollmächtigten als Nachtragsliquidator der gelöschten … GmbH.Randnummer4

Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben und Rechtsanwalt … aus … als Nachtragsliquidator mit dem Aufgabenkreis „Prüfung des Bestandes sowie gegebenenfalls der Durchsetzung/Beitreibung der titulierten Forderung gegen den Schuldner S… D…“ bestellt.Randnummer5

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2., die auf die „Darlehensrückführungsvereinbarung mit Abtretung“ vom 22. Dezember 2017 (Anlage Ast 1 zur Beschwerdeschrift) verweist und geltend macht, die in Rede stehende Forderung stehe seit Ende 2017 nicht mehr der betroffenen Gesellschaft, sondern ihr selbst zu. Zudem reklamiert die Beteiligte zu 2. die Besorgnis eines Interessenkonflikts des bestellten Nachtragsliquidators und führt dazu näher aus.Randnummer6

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat mit Beschluss vom 16. Mai 2023 zur Entscheidung vorgelegt.Randnummer7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Registerakte und die im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg und führt zur Zurückweisung des Antrags der Beteiligten zu 1. auf Bestellung eines Nachtragsliquidators.Randnummer9

A. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist die Beteiligte zu 2. nach § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt. Denn als Zessionarin des Abtretungsvertrages vom 22. Dezember 2017 kann sie geltend machen, durch die angefochtene Bestellung eines Nachtragsliquidators in ihren Gläubigerrechten an der streitbefangenen Forderung gegen den Schuldner S… D… beeinträchtigt zu sein.Randnummer10

B. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Die Voraussetzungen, unter denen das Registergericht gemäß § 66 Abs. 5 GmbHG auf Antrag einen Nachtragsliquidator für eine gelöschte Gesellschaft bestellen kann, liegen nicht vor.Randnummer11

1. Ist eine GmbH durch Löschung wegen Vermögenslosigkeit aufgelöst, findet eine Liquidation nach § 66 Abs. 5 GmbHG nur statt, wenn sich nach der Löschung herausstellt, dass Vermögen vorhanden ist, welches der Verteilung unterliegt; hierbei sind die Liquidatoren auf Antrag eines Beteiligten durch das Gericht zu ernennen. Erforderlich für die Bestellung eines Nachtragsliquidators ist, dass im Zeitpunkt der Eintragung der Löschung in das Handelsregister noch Vermögen in dem einer Löschung entgegenstehenden Umfang vorhanden gewesen ist, also bereits seinerzeit zugunsten der Gläubiger verwertbare Aktivposten existierten. Eine Forderung stellt ein derartiges Aktivvermögen dar, wenn sie rechtlichen Bestand hat und werthaltig ist. Bestrittene oder sonst unsichere Forderungen der Gesellschaft verkörpern demgegenüber einen Vermögenswert nur dann, wenn die Gesellschaft beabsichtigt, sie ernsthaft zu verfolgen und diese Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Der genannte Prüfungsmaßstab rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass es grundsätzlich nicht die Aufgabe des Registergerichts, sondern des Prozessgerichts ist, rechtliche oder tatsächliche Fragen in Bezug auf die geltend gemachte Forderung zu klären, und dass das Registergericht im Falle einer weitergehenden Forderungsprüfung die Gesellschaft zumindest faktisch an der effektiven Durchsetzung ihres Anspruchs hindern würde. Auf der anderen Seite begründet eine Löschung der GmbH im Handelsregister die Vermutung ihrer Vermögenslosigkeit. Will ein Beteiligter die Bestellung eines Liquidators erreichen, genügt deshalb die bloße Behauptung, die Gesellschaft besitze noch Vermögenswerte, nicht; vielmehr muss der Beteiligte durch substantiierte Behauptungen nachvollziehbar darlegen, dass noch konkretes verteilbares Vermögen der gelöschten Gesellschaft vorhanden ist (Senat, Beschluss vom 30.4.2015, I-3 Wx 61/14 m.w.N.; KG, Beschluss vom 13.2.2007, 1 W 272/06). Sind Vermögenswerte der Gesellschaft vor deren Löschung im Handelsregister an einen Dritten übertragen worden, setzt die Bestellung eines Nachtragsliquidators voraus, dass der Beteiligte stichhaltige Einwände gegen die Wirksamkeit der Rechtsübertragung vorträgt. Die pauschale Behauptung, die Vermögenswerte der Gesellschaft seien nicht rechtsgültig übertragen worden, genügt für die Bestellung eines Nachtragsliquidators ebenso wenig wie der nicht näher erläuterte Vortrag, die wegen Vermögenslosigkeit gelöschte Gesellschaft verfüge tatsächlich noch über Vermögenswerte.Randnummer12

2. Das Amtsgericht hat diese Rechtsgrundsätze verkannt und daher zu Unrecht einen Nachtragsliquidator bestellt.Randnummer13

Die Beteiligte zu 2. hat durch die Vorlage von Ablichtungen der „Darlehensrückführungsvereinbarung mit Abtretung“ vom 22. Dezember 2017 und der Abtretungsbestätigungen des Herrn Peter B… vom 26. Juli 2022 sowie ihrer eigenen vier Gesellschafter aus Mai 2022 nachvollziehbar und schlüssig vorgetragen, dass die betroffene Gesellschaft die streitbefangene Forderung gegen den Schuldner S… D… im Rahmen einer Globalzession bereits Jahre vor der Handelsregisterlöschung auf die Gesellschafter der Beteiligten zu 2. übertragen hat. Wortlaut und Inhalt des Abtretungsvertrages vom 22. Dezember 2017 geben keine Veranlassung, an der rechtlichen Wirksamkeit der Forderungsabtretung zu zweifeln. Das entspricht auch der rechtlichen Würdigung des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf in seinem Beschluss vom 23. Januar 2023 (I-7 W 94/22) über die Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils gegen den Schuldner S… D… (Anlage B 3). Gültigkeitsbedenken resultieren ebenso wenig aus dem Sachvortrag der Parteien. Der Einwand der Beteiligten zu 1., die in Rede stehende Abtretung sei erst nach der Löschung der betroffenen Gesellschaft im Handelsregister erfolgt, widerspricht den vorgelegten Unterlagen und erfolgt ins Blaue hinein. Die „Darlehensrückführungsvereinbarung mit Abtretung“ datiert vom 22. Dezember 2017 und es fehlt der geringste Anhaltspunkt für die Annahme, die vorgelegten Urkunden seien in Täuschungsabsicht vordatiert und tatsächlich erst nach dem Datum der Löschung am 15. Juni 2020 erstellt worden. Substanzlos ist gleichermaßen die Behauptung der Beteiligten zu 1., der Abtretungsvertrag sei nur zum Schein abgeschlossen worden und infolge dessen nach § 117 BGB nichtig. Die Beteiligte zu 1. zeigt nicht das geringste Indiz zur Rechtfertigung ihres schwerwiegenden Vorwurfs gegen die an der Abtretungsvereinbarung beteiligten Personen auf.Randnummer14

Bei zutreffender rechtlicher Würdigung besteht somit – anders als das Amtsgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung meint – keinerlei Veranlassung, die Rechtsgültigkeit des Abtretungsvertrages vom 22. Dezember 2017 in Zweifel zu ziehen und mithilfe eines Nachtragsliquidators aufzuklären.

III.

Die Beschwerdeentscheidung ergeht gemäß §§ 25 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG gerichtskostenfrei. Allerdings entspricht es der Billigkeit (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG), der unterlegenen Beteiligten zu 1. die in der Beschwerdeinstanz angefallenen notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Beteiligten zu 2. aufzuerlegen.Randnummer16

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor.Randnummer17

Einer Wertfestsetzung bedarf es im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht.

Schlagworte: Nachtragsliquidator

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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.06.2023 – I-3 Wx 83/23 

Mittwoch, 21. Juni 2023

§ 122 Abs 3 S 1 AktG, § 122 Abs 3 S 2 AktG

1. Ein Versammlungsleiter kann in entsprechender Anwendung des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG auch ohne den Erlass einer Ermächtigungsanordnung nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG dann bestimmt werden, wenn belastbare Anhaltspunkte die dringende Annahme nahelegen, dass der satzungsmäßig berufene Versammlungsleiter die Hauptverhandlung nicht dem Gesetz entsprechend, unvoreingenommen und unparteiisch leiten wird.

2. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit kann es geboten sein, dem gerichtlich bestimmten Versammlungsleiter nur die Durchführung einzelner Tagesordnungspunkte zu übertragen.  

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 20. Juni 2023 über die Ablehnung des Antrags auf Bestellung eines Versammlungsleiters abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsbehelfs wie folgt neu gefasst:

Auf den Antrag der Beteiligten zu 1. wird Rechtsanwalt … für die Tagesordnungspunkte 7 (Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 16. Juli 2015 über die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Abberufung des Besonderen Vertreters … sowie Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen diesen), 8 (Bericht des Besonderen Vertreters …) und 9 (erneute Beschlussfassung zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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sowie über die Bestellung eines Besonderen Vertreters) zum Versammlungsleiter der auf den 22. Juni 2023 anberaumten Hauptversammlung der Beteiligten zu 2. bestimmt.

Der weitergehende Antrag auf Bestimmung eines Versammlungsleiters wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 2. hat die Kosten des Verfahrens zu tragen sowie der Beteiligten zu 1. die ihr entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

IV. Der Beschwerdewert wird auf 60.000 Euro festgesetzt (§ 67 Abs. 1 GNotKG).

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1. begehrt die gerichtliche Bestimmung eines Versammlungsleiters für die auf den 22. Juni 2023 anberaumte Hauptversammlung der Beteiligten zu 2., und zwar mit ihrem Hauptantrag für die gesamte Dauer der Hauptversammlung, hilfsweise für die Tagesordnungspunkte 7 bis 9, weiter hilfsweise für die Tagesordnungspunkten 7 und 8 sowie äußerst hilfsweise für den Tagesordnungspunkt 9.Randnummer2

Unter dem Tagesordnungspunkt 7 soll der Vorschlag behandelt werden, den Hauptversammlungsbeschluss vom 16. Juli 2015 aufzuheben. Inhalt jener Beschlussfassung war die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Geltendmachung von Ersatzansprüchen
u.a. gegen die Hauptaktionärin der Beteiligten zu 2., die ….., und die jeweiligen Obergesellschaften der …-Gruppe sowie gegen damalige Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der Gesellschaft und ferner die Bestellung von Rechtsanwalt …. als Besonderer Vertreter nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG.Randnummer3

In der Hauptversammlung vom 21. Juli 2017 nahm die Hauptaktionärin der Beteiligten zu 2. an der Abstimmung über den Antrag auf Abberufung des Besonderen Vertreters teil. Der damalige Versammlungsleiter berücksichtigte die Stimmen der Hauptaktionärin trotz eines bestehenden Stimmverbots nach § 136 Abs. 1 3. Alt. AktG (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.112.2021, I-6 U 87/20) und stellte zu Unrecht die vorschlagsgemäße Beschlussfassung fest.Randnummer4

Anfang 2023 hat der Besondere Vertreter … die vorgenannten Ersatzansprüche eingeklagt.Randnummer5

In der auf den 22. Juni 2023 anberaumten Hauptversammlung der Beteiligten zu 2. steht unter Tagesordnungspunkt 7 die Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 16. Juli 2015 über die Geltendmachung der Ersatzansprüche und die Bestellung von Rechtsanwalt … als Besonderer Vertreter zur Abstimmung. Darüber hinaus soll der Beschluss gefasst werden, Ersatzansprüche gegen …(lies: den Besonderen Vertreter) geltend zu machen. Die Beteiligte zu 1. befürchtet, dass der satzungsmäßig berufene Versammlungsleiter – wie schon im Jahr 2017 – die Stimmen der Hauptaktionärin trotz eines Stimmverbots mitzählt und die Antragsgegnerin anschließend die anhängige Klage zurücknimmt, wodurch Verjährung der reklamierten Ersatzansprüche eintreten würde.Randnummer6

Um dem vorzubeugen, verfolgt die Beteiligte zu 1. die gerichtliche Bestellung eines neutralen Versammlungsleiters. Außerdem hat sie im Vorfeld die Beteiligte zu 2. darum gebeten, weitere Punkte auf die Tagesordnung der Hauptversammlung zu setzen. Dem ist die Beteiligte zu 2. nachgekommen. Unter Punkt 8 steht nunmehr auch der Bericht des Besonderen Vertreters … und unter Punkt 9 die erneute Beschlussfassung zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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sowie über die Bestellung eines Besonderen Vertreters auf der Tagesordnung.Randnummer7

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 20. Juni 2023 den Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Versammlungsleiters zurückgewiesen und mit Beschluss vom selben Tag den Erlass einer darauf gerichteten einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG die isolierte Bestellung eines Versammlungsleiters nicht vorsehe. Die genannte Vorschrift gestatte dem Gericht die Bestimmung eines Versammlungsleiters nur, wenn der antragstellende Aktionär zugleich nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG ermächtigt werde, die Hauptversammlung einzuberufen oder den Gegenstand der Versammlung bekannt zu machen.Randnummer8

Dagegen wendet sich die Beteiligte zu 1. mit ihrer Beschwerde. Sie befürwortet unter Hinweis auf Stimmen in der Literatur eine analoge Anwendung von § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG, wenn konkrete Anhaltspunkte befürchten lassen, dass der nach den Statuten berufene Versammlungsleiter die Hauptversammlung nicht unparteiisch führen wird. Hilfsweise bitte sie, ihrem Begehren durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 64 Abs. 3 FamFG zu entsprechen.Randnummer9

Die Beteiligte zu 2. verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt den Ausführungen der Beschwerde entgegen.Randnummer10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Registerakte HRB …, und die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.Randnummer12

A. Der Rechtsbehelf der Beteiligten zu 1. ist zulässig. Dem Rechtschutzbedürfnis an der gerichtlichen Bestellung eines Versammlungsleiters steht nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 1. aktuell nur noch einen Geschäftsanteil von 0,04 % an der Beteiligten zu 2. hält und wegen des erheblichen Anteils an Aktien im Streubesitz rechnerisch auch dann überstimmt werden kann, wenn das Stimmverbot der Hauptaktionärin beachtet wird. Die Beachtung des Stimmverbots bliebe für das Abstimmungsergebnis von vornherein nur dann bedeutungslos, wenn eine hinreichende Anzahl der Streubesitz-Aktionäre an der Hauptversammlung und insbesondere an der Abstimmung zu den Tagesordnungspunkten 7 bis 9 teilnehmen. Das ist indes völlig unklar. Dass die Antragstellerin – wie die Beteiligte zu 2. in ihrer Antragserwiderung (dort Seite 2, GA 54) vorträgt – in der Hauptversammlung vom 21. Oktober 2021 mit einem Antrag ohne Beteiligung der Hauptaktionärin alleine mit den Stimmen der Streubesitz-Aktionäre abgewiesen worden ist, bedeutet nicht, dass an der Hauptversammlung vom 22. Juni 2023 Streubesitz-Aktionäre in vergleichbarer Anzahl teilnehmen werden und diese bei den Tagesordnungspunkten 7 bis 9 erneut dem Standpunkt der Beteiligten zu 1. widersprechen werden.Randnummer13

B. Die Beschwerde ist auch begründet.Randnummer14

Auf den Antrag der Beteiligten zu 1. ist für die anstehende Hauptversammlung der Beteiligten zu 2. Rechtsanwalt …. als neutraler VersammlungsleiterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
neutraler Versammlungsleiter
Versammlungsleiter
zu bestimmen. Zur Wahrung der Rechte der Beteiligten zu 1. ist diesem allerdings nur die Versammlungsleitung zu den Tagesordnungspunkten 7 bis 9 zu übertragen.Randnummer15

1. Gemäß § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG kann das Gericht die antragstellenden Aktionäre, deren Verlangen auf Einberufung einer Hauptversammlung nicht entsprochen worden ist, ermächtigen, die Hauptversammlung einzuberufen oder den Gegenstand der Versammlung bekannt machen. Nach § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG kann das Gericht in einem solchen Fall zugleich den Vorsitzenden der Versammlung bestimmen. Die isolierte – d.h. von einer Ermächtigung nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG losgelöste – Bestimmung des Versammlungsleiters durch das Gericht sieht das Gesetz nach seinem Wortlaut nicht vor. Gleichwohl besteht weitgehende Einigkeit, dass die Vorschrift des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden ist. Zum einen kann die Bestimmung des Versammlungsleiters entgegen dem Wortlaut der Norm („zugleich“) zeitlich auch noch nach der Ermächtigung bestimmt werden (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 16.12.2011, 11 W 89/11 m.w.N.; Heckschen/Löffler/Reul/Stelmaszczyk in Wachter, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 5. Aufl. 2021, Rn. 1082). Darüber hinaus wird zu Recht eine entsprechende Anwendung des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG befürwortet, wenn die Aktiengesellschaft einem Begehren auf Einberufung einer Hauptversammlung nur unter Druck nachkommt, etwa erst nachdem ein Antrag nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG eingereicht oder angekündigt worden ist (OLG Hamburg, Beschluss vom 16.12.2011, 11 W 89/11; Grigoleit/Herrler, AktG, 2. Aufl. 2020, § 122 Rn. 18; Marsch-Barner/von der Linden in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte Ag, 5. Aufl. 2022, Rn. 35.28; Kubis in MüKo AktG, 5. Aufl. 2022, § 122 Rn. 173; Koch, AktG, 17. Aufl. 2023, § 122 Rn. 30). Begründet wird diese Analogie mit der Erwägung, dass in einem solchen Fall Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Gesellschaft nicht auszuschließen seien (Grigoleit/Herrler, AktG, 2. Aufl. 2020, § 122 Rn. 18). In gleicher Weise ist eine isolierte Bestimmung des Versammlungsleiters zuzulassen, wenn zwar dem Verlangen der Aktionäre auf Einberufung einer Hauptversammlung oder – wie hier – auf Aufnahme bestimmter Tagesordnungspunkte freiwillig entsprochen wird, sich aber aus anderen Umständen konkrete und stichhaltige Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptversammlung ergeben. Für die Wahrung der Rechte der betroffenen Aktionäre in der Hauptversammlung ist es nämlich unerheblich, ob das Misstrauen in eine vorschriftmäßige und unparteiische Durchführung der Versammlung daraus resultiert, dass ihre Belange erst unter dem Druck eines angedrohten oder eingeleiteten Ermächtigungsverfahrens nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG zur Geltung gebracht werden oder ob sich die ernsthaften Bedenken gegen eine unvoreingenommene und korrekte Durchführung der Hauptversammlung aus anderen belastbaren Indizien ergeben. In dem einen wie in dem anderen Fall kann es zur Gewährleistung einer vorschriftsmäßigen Hauptversammlung notwendig sein, gerichtlich einen neutralen Versammlungsleiter zu bestimmen. Der Senat teilt aus diesem Grund die Ansicht, dass ein Versammlungsleiter in entsprechender Anwendung des § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG auch ohne den Erlass einer Ermächtigungsanordnung nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG dann bestimmt werden kann, wenn belastbare Anhaltspunkte die dringende Annahme nahelegen, dass der satzungsmäßig berufene Versammlungsleiter die Hauptverhandlung nicht dem Gesetz entsprechend, unvoreingenommen und unparteiisch leiten wird (OLG Hamburg, Beschluss vom 16.12.2011, 11 W 89/11; Rieckers in BeckOGK, AktG § 122 Rn. 72; Koch, AktG, 17. Aufl. 2023, § 122 Rn. 30; Theusinger/Schilha, NZG 2016, 56, 58).Randnummer16

2. Mit Recht macht die Beschwerde geltend, dass derartiges Misstrauen gegen den nach der Satzung der Beteiligten zu 2. berufenen Versammlungsleiter gerechtfertigt ist.Randnummer17

a) Durchgreifende Zweifel an dessen Bereitschaft zu einer rechtlich ordnungsgemäßen und unparteiischen Versammlungsleitung resultieren aus der Verhandlungsführung in der Hauptversammlung am 21. Juli 2017. Dort hat der Versammlungsleiter unter klarer Missachtung des Stimmverbots aus § 136 Abs. 1 3. Alt. AktG die Stimmen der Hauptaktionärin mitgezählt und dadurch deren Begehren auf Abberufung des Besonderen Vertreters … einstweilen zum Erfolg verholfen. Es liegt nahe, dass der Versammlungsleiter die Position der Hauptaktionärin auch in der anstehenden Hauptversammlung vom 22. Juni 2023 unterstützt. Denn die unter Tagesordnungspunkt 7 anstehende Beschlussfassung über die Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 16. Juli 2015, mit dem die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Geltendmachung von Ersatzansprüchen
gegen die Hauptaktionärin, ihrer Obergesellschaften sowie damaliger Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und die Bestellung von Rechtsanwalt …. als Besonderer Vertreter beschlossen worden ist, betrifft dasselbe Unternehmensthema wie die Beschlussfassung vom 21. Juli 2017. Dass der Versammlungsleiter zum Rechtsbruch bereit ist, belegt sein Vorgehen in der Hauptversammlung vom 21. Juli 2017.Randnummer18

b) Umstände, die die daraus begründete Wiederholungsgefahr beseitigen könnten, liegen nicht vor. Von der Möglichkeit der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zugunsten der Antragstellerin hat weder der Versammlungsleiter noch die Beteiligte zu 2. Gebrauch gemacht. Die Beteiligte zu 2. begnügt sich im Gegenteil mit der nichtssagenden und inhaltsleeren Floskel, sie habe Rechtsrat mit dem glaubhaft gemachten Ergebnis eingeholt …, dass die befürchteten Verstöße gegen das Stimmverbot nicht eintreten werden“. Zudem verweist sie auf eine E-Mail-Korrespondenz zwischen ihrem anwaltlichen Vertreter und einem deutschsprachigen Aufsichtsratsmitglied der Beteiligten zu 2.; über die Bereitschaft des Versammlungsleiters zu einer unparteiischen und rechtstreuen Verhandlungsführung besagt die Korrespondenz indes nichts Tragfähiges.Randnummer19

c) Zusätzliches Misstrauen gegen die Beteiligte zu 2. und ihren Versammlungsleiter folgt vielmehr aus der Tatsache, dass in der bevorstehenden Hauptversammlung nicht nur über die Abberufung von … (lies: des Besonderen Vertreters) entschieden, sondern überdies der Beschluss gefasst werden soll, die eingeklagten Ersatzansprüche gegen die Hauptaktionäre fallen zu lassen. Eine nachvollziehbare Begründung für den letztgenannten Aspekt des Tagesordnungspunkts legt die Beteiligte zu 2. nicht dar. Ihre Behauptung (Seiten 3 f. der Antragserwiderung vom 16.6.2023, GA 65 f.), Hintergrund des Beschlussvorschlags sei nicht die Vereitelung der klageweise verfolgten Ersatzansprüche, sondern ihr (der Beteiligten zu 2.) fehlendes Vertrauen in den Besonderen Vertreter …, widerspricht den Tatsachen. Denn Gegenstand der vorgeschlagenen Beschlussfassung ist die Aufhebung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 16. Juli 2015, und mit jenem Beschluss ist nicht nur … als Besonderer Vertreter bestellt, sondern auch (und vor allem) die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen die Hauptaktionärin der Beteiligten zu 2. und die jeweiligen Obergesellschaften der …-Gruppe sowie gegen damalige Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der Gesellschaft beschlossen worden.Randnummer20

Unter den Umständen des Falles drängt sich nach alledem der Verdacht auf, dass die Beteiligte zu 2. die Hauptversammlung vom 22. Juni 2023 dazu nutzen will, die anhängige Ersatzklage unter Mithilfe ihres Versammlungsleiters zu Fall zu bringen. Nichts schließt es aus, dass der Versammlungsleiter – wie schon im Jahr 2017 – zu diesem Zwecke notfalls die Stimmen der Hauptaktionärin unter Missachtung des Stimmverbots berücksichtigt, die Beschlussfassung feststellt und damit die Klagerücknahme ermöglicht.Randnummer21

3. Liegen somit die Voraussetzungen für eine gerichtliche Bestellung eines Versammlungsleiters vor, genügt es zur Wahrung der Rechte der Beteiligten zu 1., diesem die Versammlungsleitung zu den Tagesordnungspunkten 7 bis 9 zu übertragen. Das weitergehende Gesuch war aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zurückzuweisen.Randnummer22

4. Auf Vorschlag der Beteiligten zu 1. hat der Senat Rechtsanwalt … als Versammlungsleiter bestimmt. Einwände gegen seine Person oder seine fachliche Qualifikation sind weder von der Beteiligten zu 2. geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG. Da die Beteiligte zu 1. trotz der teilweisen Zurückweisung ihres Bestimmungsbegehrens mit ihrem Anliegen, dem satzungsmäßig berufenen Versammlungsleiter für die Tagesordnungspunkte 7 bis 9, bei denen eine unparteiische Verhandlungsleitung nicht zu erwarten ist, die Verhandlungsleitung zu entziehen, durchgedrungen ist, entspricht es der Billigkeit, der Beteiligten zu 2. die gesamten Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der erfolgreichen Beteiligten zu 1. aufzuerlegen.Randnummer24

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor.

Schlagworte: Abberufung des Versammlungsleiters, Abberufung des Versammlungsleiters Abberufung des Vorstandsmitglieds, Abwahl Versammlungsleiter, neutraler Versammlungsleiter, unparteiischer Versammlungsleiter, Versammlungsleiter, Versammlungsleiter laut Satzung

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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. März 2023 – I-3 Wx 55/22

Donnerstag, 16. März 2023

Beschwerde Handelsregister

§ 59 Abs 1 FamFG, § 59 Abs 2 FamFG, § 395 Abs 1 S 1 FamFG, § 398 FamFG      

1. Der Gesellschafter einer GmbH ist weder nach § 59 Abs. 1 FamFG noch nach § 59 Abs. 2 FamFG befugt, Beschwerde gegen die Entscheidung des Registergerichts einzulegen, die Eintragung einer Person als Geschäftsführer der GmbH nicht nach § 395 FamFG im Handelsregister zu löschen.

2. Dasselbe gilt, wenn das Registergericht die Löschung einer im Handelsregister eingetragenen nichtigen Geschäftsführerbestellung nach § 398 FamFG ablehnt.

Tenor

I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1. vom 24. März 2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Duisburg – Registergericht – vom 18. Februar 2022 wird verworfen.

II. Der Beteiligte zu 1. hat die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen sowie der Beteiligten zu 2. die ihr in der Beschwerdeinstanz entstandene notwendigen Auslagen zu erstatten.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

IV. Der Beschwerdewert beträgt 5.000 Euro.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 2. ist die Ehefrau des am 23. November 2020 verstorbenen bulgarischen Staatsbürgers M… (nachfolgend: Erblasser). Dieser war bis zu seinem Tod der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer der … GmbH. Der Beteiligte zu 1. ist der Sohn des Erblassers aus erster Ehe. Aus der Ehe mit der Beteiligten zu 2. stammen zwei Kinder.Randnummer2

Der Erblasser ist aufgrund gesetzlicher Erbfolge von den Beteiligten zu 1. und zu 2. sowie von seinen beiden Kindern aus zweiter Ehe mit einem Anteil von jeweils einem Viertel beerbt worden. Die Erbengemeinschaft besteht ungeteilt.Randnummer3

Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 2. am 15. September 2021 als neue Geschäftsführerin der … GmbH eingetragen.Randnummer4

Mit dem Argument, er habe an der Beschlussfassung über die Geschäftsführerbestellung der Beteiligten zu 2. nicht mitgewirkt, hat der Beteiligte zu 1. unter dem 24. September 2021 die Löschung dieser Eintragung angeregt.Randnummer5

Das Amtsgericht hat daraufhin ein Löschungsverfahren eingeleitet, die Löschung der streitbefangenen Handelsregistereintragung nach § 395 Abs. 1 Satz 1 FamFG jedoch abgelehnt. Es hat angenommen, dass die Beteiligte zu 2. am 26. August 2021 mit einer Dreiviertel-Mehrheit – nämlich mit der eigenen Stimme und mit den Stimmen ihrer beiden Kinder – rechtswirksam zum gemeinsamen Vertreter der ungeteilten Erbengemeinschaft im Sinne von § 6 des Gesellschaftsvertrages bestellt worden sei und in dieser Eigenschaft sodann für die Erbengemeinschaft rechtsgültig den Beschluss über ihre Berufung als neue Geschäftsführerin der … GmbH gefasst habe. Beide Maßnahmen seien von dem Ergänzungspfleger, der für den seinerzeit noch minderjährigen Sohn A.M… bestellt worden sei, genehmigt worden.Randnummer6

Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 1. mit seiner Beschwerde. Er ist der Ansicht, die Beteiligte zu 2. sei rechtswirksam weder zur Vertreterin der Erbengemeinschaft noch zur Geschäftsführerin der … GmbH bestellt worden. Nach dem maßgeblichen bulgarischen Erbstatut sei ein einstimmiger Beschluss aller Miterben notwendig gewesen, an dem es fehle.Randnummer7

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.Randnummer8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen in dem amtsgerichtlichen Beschluss sowie auf den Inhalt der Handelsregisterakte und der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 Abs. 1, 382 Abs. 3 FamFG statthaft sowie frist- und formgerecht gemäß §§ 63 Abs. 1, 64 FamFG eingelegt. Sie ist aber unzulässig, weil dem Beteiligten zu 1. kein Beschwerderecht nach § 59 FamFG zusteht. Darauf hat die Beteiligte zu 2. in ihrer Beschwerdeerwiderung zutreffend hingewiesen.Randnummer10

1. Die Löschung einer unzulässigen Eintragung im Handelsregister erfolgt gemäß § 395 Abs. 1 Satz 1 FamFG von Amts wegen oder auf Antrag der berufsständigen Organe. Das gleiche gilt für die Löschung von im Handelsregister eingetragenen nichtigen Gesellschafterbeschlüsse nach § 398 FamFG. Der einzelne Gesellschafter einer GmbH hat weder in dem einen noch in dem anderen Fall ein Antragsrecht. Ihm steht daher auch keine Beschwerdebefugnis nach §§ 58, 59 Abs. 2 FamFG zu (vgl. BGH, Beschluss vom 15.7.2014 – II ZB 18/13).Randnummer11

2. Eine Beschwerdebefugnis ergibt sich für den Beteiligten zu 1. auch nicht aus § 59 Abs. 1 FamFG.Randnummer12

a) Nach dieser Vorschrift steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den angefochtenen Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Erforderlich ist ein unmittelbarer, nachteiliger Eingriff in ein dem Beschwerdeführer zustehendes subjektives Recht. Die angefochtene Entscheidung muss ein bestehendes Recht des Beschwerdeführers aufheben, beschränken, mindern, ungünstig beeinflussen oder gefährden, die Ausübung dieses Rechts stören oder dem Beschwerdeführer die mögliche Verbesserung seiner Rechtsstellung vorenthalten oder erschweren. Ein bloß rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Beseitigung der angefochtenen registergerichtlichen Entscheidung genügt nicht (BGH, Beschl. v. 15.7.2014 – II ZB 18/13).Randnummer13

b) Eine rechtliche Betroffenheit des Beteiligten zu 1. in diesem Sinne besteht nicht. Die Entscheidung des Registergerichts, die Eintragung der Beteiligten zu 2. als neue Geschäftsführerin der …. GmbH nicht zu löschen, greift nicht nachteilig in eine vorhandene Rechtsposition des Beteiligten zu 1. ein.Randnummer14

aa) Gem. § 39 Abs. 1 GmbHG ist jede Änderung in den Personen der Geschäftsführer sowie die Beendigung der Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers zur Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Eintragung in das Handelsregister
Handelsregister
anzumelden. Dabei handelt es sich allerdings um eine bloß deklaratorische Eintragung, die der Bekanntgabe von Tatsachen oder Rechtsverhältnissen dient, die unabhängig von der Eintragung bestehen; die Eintragung im Handelsregister hat keine konstitutive Wirkung (vgl. nur: Stephan/Tieves in Münchener Kommentar GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 39 Rdnr. 51 m.w.N.).Randnummer15

Bereits aus diesem Grund ist die verweigerte Löschung der streitgegenständlichen Handelsregistereintragung nicht geeignet, subjektive Rechte des Beteiligten zu 1. zu beeinträchtigen. Das gilt ungeachtet der Frage, in welchem Umfang dem Registergericht im Eintragungsverfahren ein Prüfungsrecht zusteht. Da der Anmeldung die Urkunden über die Bestellung der Geschäftsführer oder über die Beendigung der Vertretungsbefugnis beizufügen sind (§ 39 Abs. 2 GmbHG), fällt jedenfalls die Prüfung, ob ein die Eintragung rechtfertigender Gesellschafterbeschluss ordnungsgemäß zustande gekommen ist, in die Prüfungskompetenz des Registergerichts. Inwieweit das Registergericht darüber hinaus zu einer Prüfung der Wirksamkeit des der Anmeldung zugrunde liegenden Organbeschlusses berechtigt ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet (vgl. nur: Noack/Servatius/Haas, GmbH-Gesetz, 23. Auflage 2022, § 39 Rdnr. 16 m.w.N.; Stephan/Tieves, a.a.O. § 39 Rdnr. 37 – 47 m.w.N.; Wicke in Münchener Kommentar GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 9 c Rdnr. 31). Trotz dieser Prüfungskompetenz des Registergerichts kommt der Handelsregistereintragung als solcher eine rechtsschaffende Wirkung nicht zu. Im Umkehrschluss kann sie ebenso wenig geeignet sein, bestehende Gesellschafterrechte zu beeinträchtigen (vgl. auch OLG HamburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Hamburg
, Beschl. v. 12. 4. 2011 −11 W 25/11; Fischer in Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 59 Rdnr. 100).Randnummer16

bb) Es kommt Folgendes hinzu: Der Geschäftsführer einer GmbH erhält seine gesellschaftsrechtliche Vertretungsbefugnis nicht durch die Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Eintragung in das Handelsregister
Handelsregister
, sondern durch den der Eintragung zugrunde liegenden Gesellschafterbeschluss. Alleine dieser – und nicht die Eintragung im Handelsregister – bindet überdies die Gesellschafter der GmbH, den Gewählten zum Geschäftsführer zu bestellen. Beseitigt wird diese Bindung im gesetzlichen Normalstatut durch einen unter Beachtung der §§ 47 ff. GmbHG gefassten Aufhebungsbeschluss der Gesellschafter. Die anschließende Löschung der entsprechenden Registereintragung vollzieht die durch den Aufhebungsbeschluss geschaffene materiell-rechtliche Lage nur deklaratorisch nach. Auch Fehler bei der Willensbildung – seien es formelle Fehler im Rahmen des Beschlussverfahrens wie etwa Einladungsmängel oder seien es Umstände, die den Gesellschafterbeschluss materiell fehlerhaft machen – schlagen auf den Gesellschafterbeschluss zurück und sind in einem gerichtlichen Streitverfahren über die Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses zu klären. Prozessual wird die Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses durch Feststellungsklage (§ 256 ZPO) gegenüber der Gesellschaft, vertreten durch die Geschäftsführung, geltend gemacht und können rechtswidrige Gesellschafterbeschlüsse im Wege der Anfechtungsklage zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden. Die Eintragung des Geschäftsführers im Handelsregister beschränkt diese rechtlichen Möglichkeiten eines Gesellschafters, den der Eintragung zugrunde liegenden Bestellungsbeschluss anzugreifen, nicht. Gleichermaßen tangiert auch die abgelehnte Löschung der Geschäftsführereintragung nicht die Möglichkeit einer gegen die Geschäftsführerbestellung gerichteten Anfechtungs- oder Feststellungsklage.Randnummer17

cc) Der daraus resultierenden Erkenntnis, dass die Registereintragung keinen Eingriff in die Rechte des Gesellschafters darstellt, können die Rechtsfolgen einer fehlerhaft eingetragenen Geschäftsführerposition nicht entgegen gehalten werden. Zwar besteht Einigkeit, dass die Gesellschaft durch die Handlungen des fehlerhaft Bestellten im Außenverhältnis wirksam verpflichtet wird. Das begründet indes keine rechtliche Betroffenheit des Beteiligten zu 1. im Sinne von § 59 Abs. 1 FamFG. Denn die Wirksamkeit der vom fehlerhaft bestellten Geschäftsführer getätigten Rechtsgeschäfte berührt unmittelbar nur den Rechtskreis der Gesellschaft; der Beteiligte zu 1. als ihr Gesellschafter ist demgegenüber nur mittelbar in seinen Rechten betroffen. Das genügt für eine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG nicht. Sein bloß wirtschaftliches Interesse daran, dass der Unternehmenswert – und infolge dessen auch der Wert seines eigenen Geschäftsanteils – nicht durch die Rechtshandlungen eines anfechtbar bestellten Geschäftsführers geschmälert wird, vermittelt ihm gleichfalls keine Beschwerdebefugnis.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Danach soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Für einen Ausnahmefall ist hier nichts ersichtlich.Randnummer19

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG besteht kein Anlass.Randnummer20

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.

                

Schlagworte: Abberufung aus wichtigem Grund, Anmeldung Handelsregister, Aussetzung Register-Anmeldungsverfahren, Erkennbarkeit der Beschränkung der Vertretungsmacht, Haftung wegen Vertretung ohne Vertretungsmacht, HGB § 15, Missbrauch der Vertretungsmacht, Vertretungsbefugnis, Vertretungsmacht Geschäftsführer

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OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.11.2022 – 24 U 38/21

Dienstag, 8. November 2022

RVG §§ 3a, 10 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 97 Abs. 2, § 531 Abs. 2

1. Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 analog RVG ist ein vereinbartes Zeithonorar mangels Angabe der jeweils angesetzten Stundensätze in der Rechnung – differenzierend nach Tätigkeiten von Partnern einerseits und angestellten Rechtsanwälten andererseits – nicht fällig.

2. Die vorgenannten Angaben können grundsätzlich auch noch in der Berufungsinstanz nachgeholt werden; § 531 Abs. 2 ZPO steht dem regelmäßig nicht entgegen.

3. Soweit die Berufung nach entsprechender Ergänzung der Rechnung Erfolg hat, hat der auf Vergütung klagende Rechtsanwalt die Kosten der Berufung nach § 97 Abs. 2 analog ZPO zu tragen.

4. In einer Vergütungsvereinbarung gem. § 3a RVG muss eindeutig festgelegt werden, für welche Tätigkeiten der Auftraggeber eine höhere als die gesetzliche Vergütung zahlen soll; insbesondere muss in der Vergütungsvereinbarung festgelegt werden, ob diese nur für das derzeitige Mandat oder auch für zukünftige Mandate, insbesondere Weiterungen des bestehenden Mandates gelten soll.

5. Selbst eine geltungserhaltende Reduktion einer Vergütungsvereinbarung auf ein (vermeintlich) originäres Mandat kann nach den konkreten Umständen des Einzelfalles aufgrund der bei dem Abschluss der Vereinbarung vorherrschenden Situation (hier: Konglomerat potenzieller Auseinandersetzungen verschiedener Personen) Ausscheiden.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin und auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 13. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Düsseldorf vom 12.02.2021 unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 2.096,90 nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.08.2022 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von EUR 77.905,49 nebst Zinsen iHv 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.03.2020 zu zahlen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Anwaltshonorar auf der Basis einer Mandatsvereinbarung nebst einer Vergütungsvereinbarung vom 05./08.10.2015 (Anlage K 1) in Anspruch. Widerklagend nimmt die Beklagte die Klägerin auf Erstattung bereits gezahlten Honorars in Anspruch.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil („LGU“, GA 143ff) gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Das Landgericht hat sowohl die Klage als auch die Widerklage abgewiesen und insoweit im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt:

Die Klage sei derzeit unbegründet, weil die Klägerin mangels einer ordnungsgemäßen Berechnung keine Zahlung mit Erfolg verlangen könne. Die Regelung des § 10 RVG gelte auch für Zeithonorare. Insbesondere sei § 10 Abs. 2 S. 1 RVG analog anzuwenden, soweit die Eigenart der vereinbarten Vergütung eine nähere Spezifizierung erfordere und zulasse. Insofern sei im Rahmen der notwendigen Berechnung eines Zeithonorars insbesondere der angesetzte Stundensatz anzugeben. Das gelte erst recht, wenn die Tätigkeit mehrerer Rechtsanwälte abgerechnet werde und unterschiedliche Stundensätze in Betracht kämen. Da weder in den erstinstanzlich vorgelegten Rechnungen der Klägerin noch in deren Schriftsätzen der jeweils angesetzte Stundensatz genannt sei, seien Vergütungsansprüche der Klägerin noch nicht fällig gewesen. Die Klägerin könne auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Geschäftsführer der Beklagten die von der Klägerin geforderten Rechnungsbeträge vorprozessual anerkannt habe: Dem betreffenden Vorbringen der Klägerin sei nicht zu entnehmen, dass sich das vermeintliche Anerkenntnis auch auf den angesetzten Stundensatz bezogen habe.

Am betreffenden Einwand in Bezug auf die fehlende Angabe des angesetzten Stundensatzes sei die Beklagte auch nicht etwa deshalb gehindert, weil sie die Rechnungen – unstreitig – nicht binnen eines Monats nach Zugang beanstandet habe. Die Vereinbarung im vorletzten Absatz der Vergütungsvereinbarung (Anlage K 1 a.E.) beziehe sich allein auf „Bearbeitungszeiten“ und es sei zudem nicht erkennbar, dass mit ihr eine Einwendungsfrist rechtsgeschäftlich vereinbart worden sei.

Die Widerklage bleibe ebenfalls ohne Erfolg. Die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Vergütungsvereinbarung als Rechtsgrund iSv § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB dafür ausscheide, dass die Klägerin die bislang von der Beklagten erbrachten Zahlungen behalten dürfe. Die streitgegenständliche Vergütungsvereinbarung wahre die Anforderungen des § 3a Abs. 1 S. 1 und S. 2 RVG. Insbesondere sei sie hinreichend bestimmt. Aus ihr ergebe sich im Zusammenspiel mit dem Mandatsbrief (s. ebenfalls Anlage K 1), dass sie sämtliche Tätigkeiten erfasse, die während des Mandats zu den genannten jeweiligen Gegenparteien anfallen werden. Die Vereinbarung enthalte keine Einschränkung auf bestimmte Rechtsfragen oder bestimmte Prozesse. Der letzte Satz der Gebührenvereinbarung stelle einen noch hinreichenden Hinweis iSv § 3a Abs. 1 S. 3 RVG dar. Ein Mandant könne von ihm erbrachte Zahlungen nicht mit der Begründung zurückverlangen, dass die Rechnungen des Rechtsanwalts nicht den Anforderungen des § 10 RVG genügten. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, jedenfalls aber nicht unter tauglichen Beweis gestellt, dass die Klägerin die abgerechneten Leistungen nicht erbracht habe bzw. dass diese in einem unangemessenen Verhältnis zu Umfang und Schwierigkeit der Sache gestanden hätten. Die Klägerin sei insoweit auch nicht sekundär darlegungsbelastet. Die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass die vereinbarte Vergütung nach § 3a Abs. 2 S. 1 RVG herabzusetzen sei und es daher zu einer Überzahlung gekommen sei. Insbesondere habe die Beklagte nicht ein fünffaches Überschreiten der gesetzlichen Vergütung schlüssig dargelegt. Einen besonderen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit der Klägerin habe die Beklagte nicht zu widerlegen vermocht.

Gegen dieses Urteil wendet sich zunächst die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Argumentation im Wesentlichen wie folgt: Das Landgericht habe die Reichweite der analogen Anwendung des § 10 Abs. 2 S. 1 RVG verkannt. Hilfsweise verweist die Klägerin auf das Anlagenkonvolut K 10 (GA 189ff), mit dem sie nunmehr in zweiter Instanz korrigierte 2. Seiten ihrer Rechnungen (Anlagen K 2 bis K 7) vorlegt, die ihrer Auffassung nach in der Berufungsinstanz noch berücksichtigt werden müssten. Letzteres entspreche der Rechtsprechung des BGH.

In Reaktion auf den Hinweis des Senats mit Verfügung vom 04.08.2022 (GA 274), wonach Bedenken gegen die Bestimmtheit der Honorarvereinbarung bestünden, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.08.2022 (GA 277ff) weiter hilfsweise eine Abrechnung ihrer anwaltlichen Tätigkeit nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) des RVG vorgelegt, wonach sich auf dieser Basis insgesamt eine Honorarforderung gegen die Beklagte iHv EUR 32.815,45 ergebe.


Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 32.086,74 nebst Zinsen iHv neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus:

– einem Betrag iHv EUR 12.294,48 seit dem 15.09.2017,

– einem Betrag iHv EUR 1.570,80 seit dem 12.12.2017,

– einem Betrag iHv EUR 642,60 seit dem 06.01.2018,

– einem Betrag iHv EUR 5.316,19 seit dem 04.08.2018,

– einem Betrag iHv EUR 10.400,60 seit dem 09.03.2019,

– einem Betrag iHv EUR 1.862,07 seit dem 07.04.2019, zu zahlen,

hilfsweise die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landgericht Düsseldorf zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zu verweisen.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.


Sie verteidigt insoweit das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Standpunktes im Wesentlichen wie folgt: Entgegen der Berufung der Klägerin finde § 10 Abs. 2 S. 1 RVG auch analoge Anwendung auf Zeithonorare. Mit den Korrekturen der Rechnungen gem. Anlagenkonvolut K 10 sei die Klägerin präkludiert; jedenfalls fehle es an notwendigen schriftsätzlichen Erläuterungen. Davon abgesehen fehle es auch den nunmehr vorgelegten 2. Seiten der Rechnungen an der Prüfbarkeit: Es mangele immer noch an der differenzierenden Zuordnung zu Tätigkeiten eines Partners und anwaltlicher Mitarbeiter. Die Klägerin habe ihr nicht – wie ihrer Ansicht nach erforderlich – neue Rechnungen im Original zukommen lassen; der Beklagtenvertreter habe bloß Kopien erhalten. Allgemein fehle es an der erforderlichen Bestimmtheit der Vergütungsvereinbarung sowie an der Prüfbarkeit der Rechnungen.

11Mit Blick auf die von der Klägerin im Berufungsverfahren hilfsweise vorgelegte Abrechnung der gesetzlichen Vergütung hat die Beklagte mit nachgelassenem Schriftsatz vom 09.09.2022 (GA 288ff) im Wesentlichen Folgendes erwidert: Gegen die betreffende Abrechnung in den Verfahren LG Düsseldorf mit dem Az. 15 O 173/15 und OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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mit dem Az. I-11 U 6/17 erhebe sie keine Einwände. Soweit die Klägerin allerdings für weitere Angelegenheiten eine gesetzliche Vergütung fordere, seien diese nicht streitgegenständlich. Soweit der Klägerin eine Vergütung nach RVG zustehe, habe sie (die Beklagte) dies schon bei der Berechnung ihrer Widerklageforderung (vgl. unten) berücksichtigt.

Mit ihrer selbständigen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Abweisung der Widerklage durch das Landgericht:

Das Landgericht habe seine Hinweispflicht gem. § 139 ZPO verletzt, indem es die Widerklage ohne vorherigen Hinweis (trotz entsprechender Bitte der Beklagten mit Schriftsatz vom 21.10.2020, S. 16) mit der Begründung abgelehnt habe, dass die Beklagte gleich mehrere entscheidungserhebliche Tatsachen nicht hinreichend dargelegt habe. Es habe damit auch die Darlegungslast der Beklagten überdehnt und so ihr rechtliches Gehör verletzt. Nicht einmal die Urteilsgründe des Landgerichts erfüllten die Anforderungen an einen konkreten richterlichen Hinweis. Der Schriftsatz der Klägerin vom 15.01.2021, auf den das Landgericht in seiner Entscheidung maßgeblich abgestellt habe, sei ihr vor Urteilsverkündung nicht einmal zugestellt worden. Verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht von einer Vernehmung ihres Geschäftsführers Dr. W zu ihrer Behauptung, wonach keine Bereitschaft zu einer Blanko-Mandatierung auch für zukünftige Mandate bestanden habe, abgesehen. Das Landgericht hätte zur streitigen Frage der Bestimmtheit und Wirksamkeit der Vergütungsvereinbarung Beweis erheben müssen. Zumindest hätte es ihren Geschäftsführer nach § 141 ZPO anhören müssen. Das Landgericht habe die Vergütungsvereinbarung rechtsirrig für bestimmt iSv § 3a Abs. 1 S. 1, S. 2 RVG gehalten und diese willkürlich ausgelegt. Rechtsirrig sei das Landgericht davon ausgegangen, die Beklagte müsse im Rahmen des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB darlegen/beweisen, dass die Klägerin die abgerechneten Leistungen nicht erbracht habe. Das Landgericht habe überdies verkannt, welche Anforderungen an die gerichtliche Durchsetzung einer Stundensatzvergütung zu stellen seien. Es habe zudem außer Acht gelassen, dass sie erstinstanzlich die Prüfbarkeit der Honorarrechnungen der Klägerin umfangreich beanstandet habe; insbesondere mangele es an einer Zuordnung der abgerechneten Tätigkeiten zu bestimmten Verfahren. Überdies sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Landgericht die fehlende Angabe des Stundensatzes in Bezug auf die Widerklage im Gegensatz zur Entscheidung über die Klage als unerheblich eingeordnet habe. Verfehlt sei die Ansicht des Landgerichts, wonach ein Mandant gezahltes Honorar nicht mit der Begründung zurückverlangen könne, dass die formalen Anforderungen des § 10 Abs. 1, Abs. 2 RVG nicht erfüllt seien. Unter rechtsirriger Gesamtbetrachtung der gesetzlichen Gebühren für erste und zweite Instanz sei das Landgericht zu dem falschen Ergebnis gelangt, die mit der Klägerin vereinbarte Gebühr überschreite die gesetzliche Gebühr nicht um das Fünffache. Das Landgericht habe grundlos ausgeblendet, dass die Beklagte die mit der Widerklage zurückgeforderte Zahlung allein mit einer 6,37-fachen Überhöhung im Vergleich zu gesetzlichen Gebühren für die erstinstanzliche Vertretung durch die Klägerin gerügt habe; insoweit verweist die Beklagte auf ihre tabellarische Übersicht auf S. 14f der Klageerwiderung: Bis auf eine Rechnung betreffe diese ausschließlich Rechnungen für erstinstanzliche Tätigkeiten der Klägerin; Tätigkeiten in zweiter Instanz seien ohnehin nicht durch die Vergütungsvereinbarung abgedeckt. Verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht bei der Ermittlung des Faktors der Überhöhung der vereinbarten Vergütung im Vergleich zur gesetzlichen Vergütung allein Argumente der Klägerin berücksichtigt. Namentlich habe das Landgericht außer Acht gelassen, dass die Klägerin „für die Beklagte … nichts erreicht und nur horrende Kosten produziert habe.“ Verfehlt habe das Landgericht im vorliegenden Verfahren hier nicht streitgegenständliche Tätigkeiten der Klägerin für den Geschäftsführer der Beklagten berücksichtigt.


Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klägerin zu verurteilen, an sie EUR 77.905,49 nebst Zinsen hieraus iHv neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils – soweit mit diesem die Klage abgewiesen worden ist – an das Landgericht Düsseldorf zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.


Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.


Sie verteidigt insoweit das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Argumentation. Zu Unrecht rüge die Beklagte eine Verletzung der Hinweispflicht des Landgerichts; die Beklagte räume sogar ein, dass sie selbst im Falle der Erteilung von Hinweisen nichts Ergänzendes habe vorbringen können. Eine Parteivernehmung bzw. Anhörung des Geschäftsführers der Beklagten sei schon deshalb nicht angezeigt gewesen, weil dieser den Wortlaut der Vergütungsvereinbarung akzeptiert und die Beklagte in der Vergangenheit auch Honorarrechnungen der Klägerin beglichen habe. Die Vergütungsvereinbarung gem. Anlage K 1 sei hinreichend bestimmt iSv § 3a Abs. 1 S. 1, S. 2 RVG. Die Beklagte und die in der Mandatsvereinbarung als zweite Partei genannte P. GmbH & Co KG („P.“) seien über den sog. „…fall“ miteinander verbunden. Der Geschäftsführer der Beklagten habe anfänglich selbst nicht abschätzen können, wieviel Streitigkeiten mit der P aus der sog. Februarvereinbarung resultieren würden. Die Vergütungsvereinbarung habe vereinbarungsgemäß alles abdecken sollen. Dass der Geschäftsführer der Beklagten die Klägerin – unstreitig – mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt habe (vgl. Prozessvollmacht gem. Anlage K 8), zeige, dass dieser selbst davon ausgegangen sei, dass auch diese anwaltliche Tätigkeit von der Vergütungsvereinbarung umfasst sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei nicht das Zeitmoment in Gestalt der Dauer eines Gerichtsverfahrens für die Reichweite der Vergütungsvereinbarung bestimmend, sondern der Mandatsgegenstand. Die Beklagte übersehe, dass mit Blick auf § 10 Abs. 3 RVG ein einmal gezahltes Honorar nicht unter Verweis auf fehlende Anforderungen des § 10 RVG zurückgefordert werden könne. Wegen Art und Umfang der von ihr abgerechneten Tätigkeiten, die stets mit der Beklagten abgestimmt gewesen seien und zu denen letztere stets Abschriften von Schriftverkehr mit Dritten erhalten habe, verweist die Klägerin auf ihr erstinstanzliches Vorbringen (Schriftsätze vom 07.05.2020, ab S. 5 und vom 15.01.2021, ab S. 2). Die Gerichtsverfahren seien zeitlich nacheinander geführt worden, so dass allein durch den Abrechnungszeitraum eine Zuordnung möglich gewesen sei. Zudem hätten sich die Parteien vor Zahlung durch die Beklagte über die Honorarrechnungen inhaltlich geeinigt. Die Höhe des Gesamthonorars resultiere vor allem aus dem Umfang der von ihr erbrachten Tätigkeiten im Rahmen des komplexen Mandats, das mit Blick auf Weisungen des Geschäftsführers der Beklagten sehr betreuungsintensiv gewesen sei (Verweis auf Schriftsatz vom 07.05.2020, ab S. 11).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den Akteninhalt im Übrigen verwiesen.


B.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nur in geringfügigem Umfang begründet, während die Berufung der Beklagten vollumfänglich Erfolg hat.

I.

Mit Blick auf die Berufung der Klägerin gilt im Einzelnen Folgendes:

Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Begleichung des primär begehrten Zeithonorars (dazu näher unter 1.), sondern bloß des hilfsweise geltend gemachten gesetzlich geschuldeten Honorars (dazu unter 2.) verlangen.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der mit dem Hauptvorbringen geltend gemachten Anwaltsvergütung iHv insgesamt EUR 32.086,74 aus §§ 611675 BGB iVm der Mandats- und Vergütungsvereinbarung (Anlage K 1). Dementsprechend besteht insoweit auch kein Anspruch auf Entrichtung von Verzugszinsen.

a) Zunächst ist Folgendes festzuhalten:

Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung im Wege einer analogen Anwendung des § 10 Abs. 2 S. 1 RVG am für das Landgericht maßgeblichen Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz angenommen, dass etwaige Vergütungsansprüche auch unter Berücksichtigung des der Klägerin nachgelassenen Schriftsatzes vom 15.01.2021 mangels ordnungsgemäßer Angabe der von der Klägerin jeweils angesetzten Stundensätze nicht fällig gewesen sind. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (LGU, S. 6 – S. 8) Bezug genommen. Mit Blick auf das Berufungsvorbringen ist insoweit lediglich Folgendes ergänzend anzumerken:

Die Sichtweise des Landgerichts entspricht der Entscheidungspraxis des Senats (Urteil vom 18.02.2010 – I-24 U 183/05 = NJOZ 2010, 1490Beschluss vom 06.10.2011 – I-24 U 47/11 = NJW 2012, 621 = FD-RVG 2012, 327347 mit zustimmender Anmerkung Mayer), die – soweit ersichtlich – auch in der einschlägigen Kommentarliteratur (Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. A. 2021, § 10 Rn 27; v. Seltmann, in: BeckOK RVG, 56. Edition, Stand: 01.09.2021, § 10 Rn 3f) ohne Einschränkung geteilt wird. Entgegen der Berufung sind auch keine gerichtlichen Entscheidungen ersichtlich, denen eine abweichende Auffassung zugrunde liegt:

Das von der Klägerin angeführte Urteil des BGH vom 21.10.2010 (IX ZR 37/10 = NJW 2011, 69 Rn. 29) trägt ihre Auffassung keineswegs. Die dort gegenständliche Abrechnung hat der BGH schon deshalb als nicht ordnungsgemäß eingestuft, weil den dort angegebenen einzelnen Tagen nicht die jeweilige Stundenanzahl zugeordnet worden war. Der BGH hatte folglich keine Veranlassung, sich mit der Erforderlichkeit einer Angabe des Stundensatzes zu befassen.

In dem ferner von der Klägerin zitierten Urteil vom 04.02.2010 (IX ZR 18/09 = NJW 2010, 1364 Rn. 77) führt der BGH lediglich näher aus, dass der ein Zeithonorar beanspruchende Rechtsanwalt die geltend gemachten Stunden substantiiert darzulegen habe. Er beschäftigt sich insoweit erkennbar nicht mit der Frage, ob eine ordnungsgemäße Abrechnung gem. § 10 RVG die Angabe des Stundensatzes erfordert, weil die dortige Entscheidung keinen Anlass zu Ausführungen zu dieser Frage gab. Der von der Klägerin gezogene Rückschluss ist daher nicht tragfähig.

Nicht nachvollziehbar ist schließlich die auf den Senatsbeschluss vom 08.05.2018 (24 U 96/17) abstellende Argumentation der Klägerin: Der Senat hat sich dort an keiner Stelle mit der hier virulenten Rechtsfrage befassen müssen, welche Anforderungen sich in analoger Anwendung des § 10 Abs. 2 S. 1 RVG für die Abrechnung eines Zeithonorars ergeben. Der Senat ist im betreffenden Beschluss keineswegs von seiner oben zitierten Rechtsprechung abgewichen.

Soweit die Klägerin einzelne Argumente des Landgerichts (Parallele zum Vorschuss (Rz 1.2 der Berufungsbegründung, GA 185); Frage der Zumutbarkeit des Aufwandes der Angabe des Stundensatzes (Rz 1.3 der Berufungsbegründung, GA 186), etwaige Anpassung des Stundensatzes (Rz 1.4 der Berufunsgbegründung, GA 186)) angreift, kann dies letztlich auf sich beruhen: Tragender Gesichtspunkt für die Verpflichtung zur Angabe des Stundensatzes in der Abrechnung einer Zeitvergütung ist unabhängig davon die Erwägung, dass Sinn und Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Abrechnung das Transparenzgebot ist und sich der Umfang der Spezifizierung nach der Eigenart der in Rede stehenden vereinbarten Vergütungsform richtet. Das Landgericht hat insbesondere richtig angemerkt, dass gerade dann, wenn mehrere Rechtsanwälte, die jeweils unterschiedliche Stundensätze abrechnen dürfen, an den abgerechneten anwaltlichen Tätigkeiten beteiligt waren, die Angabe des jeweils bei der Abrechnung angesetzten Stundensatzes notwendig ist: Der Rechtsanwalt schuldet die Berechnung der Vergütung unter Angabe der einschlägigen Vergütungsparameter, zu denen bei einer nach Zeitaufwand berechneten Vergütung denknotwendig der angesetzte Stundensatz gehört.

b) Nachdem die Klägerin in Gestalt des mit der Berufungsbegründung eingereichten Anlagenkonvoluts K 10 geänderte bzw. ergänzte 2. Seiten der streitgegenständlichen Rechnungen (Anlagen K 2 bis K 7) vorgelegt hat, liegt nunmehr indessen eine den Anforderungen des § 10 RVG jeweils in jeder Hinsicht genügende Abrechnung vor.

aa) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Anlagenkonvolut K 10 bei der Entscheidung des Senats über die Berufung zu berücksichtigen. Die Klägerin ist mit diesem Sachvortrag nicht etwa nach § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert:

Die Klägerin hat zutreffend angemerkt, dass nach der Rechtsprechung des BGH eine nach der letzten mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug erstellte Schlussrechnung eines Architekten im Berufungsrechtszug nicht auf der Grundlage der §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt bleiben darf (BGH NJW-RR 2004, 167; BGH NJW-RR 2005, 1687, 1687f). Der BGH hat dies damit begründet, dass die prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften die Partei anhalten sollen, zu einem bereits vorliegenden Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen, hingegen nicht den Zweck verfolgen, auf eine beschleunigte Schaffung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken.

Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für eine Abrechnung einer anwaltlichen Tätigkeit, wenn – wie hier – eine bis zum Abschluss der ersten Instanz vorliegende Rechnung an einem formalen Mangel leidet, der den Eintritt der FälligkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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des Vergütungsanspruchs hindert. Vor allem spricht der Grundsatz der prozessökonomie für die Übertragung der vorzitierten BGH-Rechtsprechung zu Schlussrechnungen eines Architekten. Denn materiell-rechtlich ist (auch) der Rechtsanwalt nicht gehindert, eine neue bzw. eine geänderte Abrechnung vorzulegen (vgl. auch unten). Es überzeugt daher nicht, die Parteien durch Nichtberücksichtigung einer erstmals in zweiter Instanz vorgelegten formell ordnungsgemäßen Rechnung in einen neuen Rechtsstreit zu „treiben“ (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1687, 1687f).

Soweit die Beklagte das Augenmerk darauf richtet, dass der BGH (NJW-RR 2005, 1687, 1687f) betont hat, seine Überlegungen bezögen sich nur auf den allein zu entscheidenden Fall der Vorlage einer neuen Schlussrechnung eines Architekten, steht das einer Übertragung auf den Streitfall, der eine anwaltliche Honorarabrechnung zum Gegenstand hat, keineswegs entgegen. Die wesentliche Gemeinsamkeit einer Schlussrechnung eines Architekten einerseits und der Abrechnung iSv § 10 RVG besteht nämlich darin, dass es sich bei beiden um zwingende materiell-rechtliche Anforderungen an die Fälligkeit des jeweiligen Vergütungsanspruchs handelt. Soweit die Beklagte anführt, Schlussrechnungen eines Architekten seien regelmäßig komplexer als anwaltliche Abrechnungen gem. § 10 RVG ist das ersichtlich kein Gesichtspunkt, der für die betreffende BGH-Rechtsprechung zur Fälligkeit von Schlussrechnungen eines Architekten leitend gewesen ist. Auch bei weniger komplexen Rechnungen dienen die Präklusionsvorschriften der ZPO nicht dazu, den Anspruchsteller dazu anzuhalten, materiell-rechtliche Voraussetzungen – wie hier die Fälligkeit – zwingend schon erstinstanzlich zu schaffen.

Es ist in Literatur und Rechtsprechung zu § 10 RVG zudem anerkannt, dass der Rechtsanwalt eine unrichtige Berechnung auch noch im laufenden prozess nachträglich berichtigen kann (BGH NJW 2002, 2774f; Senat NJOZ 2011, 2026, 2030 mwN betreffend Korrektur während der ersten Instanz; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. A. 2021, § 10 Rn 6 mwN; Mayer, in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 8. A. 2021, § 10 Rn 38 mwN). Dies gilt auch für eine erstmals in der Berufungsinstanz geänderte Abrechnung: Aus den oben zu einer Schlussrechnung eines Architekten angeführten Gründen steht das Präklusionsrecht des § 531 ZPO dem nicht entgegen.

Eine darüber hinausgehende schriftliche Erläuterung der Abrechnung ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht erforderlich, um den Anforderungen des § 10 RVG zu genügen. Denn eine etwaig inhaltlich unrichtige Berechnung beeinflusst die Wirksamkeit der Mitteilung der Berechnung nicht (vgl. BGH NJW 2007, 2332; BGH NJW 2018, 1479). Aus den unten genannten Gründen ist die Abrechnung der Klägerin nach Vorlage des Anlagenkonvoluts K 10 nunmehr prüfbar.

bb) Der Einwand der Beklagten, wonach ihr bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten das Anlagenkonvolut nicht in der gebotenen Schriftform (§ 10 Abs. 1 S. 1 RVG, § 126 BGB) zugegangen sei, greift nicht durch.

aaa) Die Ergänzung / Korrektur mittels des Anlagenkonvoluts K 10 stellt schon keine Stornierung und Neuerstellung der ursprünglichen – unstreitig vom Partner Dr. J unterschriebenen – Rechnungen (Anlagen K 2 bis K 7) dar. Der berechnete Betrag hat sich nicht geändert, so dass es insbesondere keiner umsatzsteuerrechtlichen Korrekturen bedarf. Die Rechnungen sind lediglich um Zusatzinformationen betreffend den angesetzten Stundensatz je nach Person und „Rang“ des tätig gewordenen Rechtsanwalts zum besseren Verständnis ergänzt worden.

bbb) Jedenfalls ergibt sich die Wahrung der notwendigen Form mit Rücksicht auf Folgendes:

Eine Mitteilung der Berechnung in der Vergütungsklageschrift oder in einem anderen Prozessschriftsatz reicht aus; es genügt insbesondere, dass im prozess vorgelegte Rechnungskopien einem vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatz beigefügt werden. Die Unterzeichnung soll nur sicherstellen, dass die Rechnungen von dem Rechtsanwalt (oder einem bevollmächtigten Vertreter) erstellt und überprüft worden sind (Senat NJOZ 2011, 2026, 2030 mwN). Bei einer Sozietät genügt auch die Unterschrift eines Sozius`, der die Sache selbst nicht bearbeitet hat (v. Seltmann, in: BeckOK RVG, 56. Edition, Stand: 01.09.2021, § 10 Rn 7).

Vor diesem Hintergrund ist im Streitfall die Form dadurch gewahrt, dass Rechtsanwalt P. (der zu den Partnern der Klägerin gehört) das Anlagenkonvolut K 10 zusammen mit der von ihm signierten Berufungsbegründung eingereicht hat. Gem. § 130a Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ZPO genügt insoweit u.a. eine von der verantwortenden Person signierte und auf einem sicheren Übermittlungsweg (hier: „beA“) eingereichte einfache Signatur. Für die einfache Signatur im Sinne des § 130a Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ZPO genügt es, wenn – wie hier – (statt einer eingescannten Unterschrift) die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes (zB maschinenschriftlicher Namenszug unter dem Schriftsatz) erfolgt. Wie §130a Abs. 3 S. 2 ZPO explizit klarstellt, müssen beigefügte Anlagen ihrerseits nicht signiert sein.

Soweit die Beklagte überdies moniert, sie habe selbst nicht einmal Kopien der neuen 2. Seiten der Rechnungen erhalten, ist dies unschädlich. Denn die Prozessvollmacht des Beklagtenvertreters deckt die Entgegennahme von materiell-rechtlichen Willenserklärungen, die sich auf den Gegenstand des Rechtsstreits beziehen, wenn sie zur Rechtsverfolgung innerhalb des Prozessziels oder zur Rechtsverteidigung dienen, ab (BGH NJW 2003, 963, 964 mwN; BAGE 106, 217, 224 = NZA 2003, 1049, 1051). Ferner umfasst die Prozessvollmacht insbesondere die Entgegennahme aller materiell-rechtlichen Erklärungen, die die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen darauf gestützten prozessualen Angriff bzw. die prozessuale Verteidigung schaffen (näher zum Ganzen Toussaint, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. A. 2020, § 81 Rn 25). Demzufolge wirkt die Übermittlung des Anlagenkonvoluts K 10 an den Beklagtenvertreter im Streitfall auch gegen die Beklagte.

cc) Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt es den streitgegenständlichen Rechnungen nach Vorlage des Anlagenkonvoluts K 10 nicht mehr an der erforderlichen Prüfbarkeit.

Soweit die Beklagte meint, es fehle nach wie vor an der notwendigen Differenzierung des angesetzten Stundensatzes für Partner einerseits und anwaltliche Mitarbeiter andererseits, ist das nicht nachvollziehbar: Eine Partnertätigkeit wird nur mit insgesamt drei spezifizierten 2. Seiten (GA 190, GA 191, GA 193) abgerechnet. Es findet sich die Angabe, welcher Stundensatz für welchen Rechtsanwalt angesetzt worden ist, und es wird auch mitgeteilt, wieviel Zeit welcher namentlich benannte Rechtsanwalt für welche Tätigkeit aufgewendet hat. Dies entspricht den einschlägigen Anforderungen, da der Beklagten damit eine Überprüfung ermöglicht wird und die Berechnung zumindest taugliche Grundlage einer gerichtlichen Auseinandersetzung sein kann (vgl. BGH NJW 2011, 63). Insbesondere genügt für die Prüfbarkeit auch unter Beachtung von §?14 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 UStG, dass einer Kurzbezeichnung entnommen werden kann, welche Dienstleistung erbracht wurde (Senat NJW 2012, 621, 622; v. Seltmann, a.a.O., § 10 Rn 27).

dd) Lässt sich nach dem für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Schluss der mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz nicht mehr annehmen, dass es der geltend gemachten Forderung an der Fälligkeit mangele, so stellt sich in der Berufungsinstanz nunmehr erstmals die Frage, ob die Honorarklage im Übrigen begründet ist. Dies ist in Bezug auf das Hauptvorbringen, mit dem die Klägerin Vergütung aufgrund der Honorarvereinbarung verlangt, nicht der Fall.

Vorweg ist festzuhalten, dass die Beklagte (erstinstanzlich, GA 26) zu Unrecht moniert hat, dass die Textform gem. §§ 3a Abs. 1 S. 1, RVG 126 b BGB nicht gewahrt sei, weil ihr (der Beklagten) Geschäftsführer nicht auch den Mandatsbrief (Anlage K 1) unterzeichnet habe. Erstens bedarf es gerade keiner Unterschrift der Parteien für die Wahrung der Textform des §126b BGB. Zweitens hat der Geschäftsführer der Beklagten durch unstreitige Unterzeichnung der „Vergütungsvereinbarung“, die auf den Mandatsbrief Bezug nimmt, jedenfalls sein Einverständnis auch mit diesem zum Ausdruck gebracht.

aaa) In der Vergütungsvereinbarung muss eindeutig festgelegt werden, für welche Tätigkeiten der Auftraggeber eine höhere als die gesetzliche Vergütung zahlen soll (OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Karlsruhe
 NJW 2015, 418; Winkler/Teubel, in: Mayer/Kroiß, a.a.O., § 3a Rn 54a). Insbesondere muss geregelt werden, ob die Vergütungsvereinbarung nur für das derzeitige Mandat oder auch für zukünftige Mandate, insbesondere Weiterungen des bestehenden Mandates gelten soll. Fehlt eine solche Festlegung in der Vergütungsvereinbarung, gilt sie nur für das bei ihrem Abschluss bestehende Mandat.

47bbb) Eine Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, dass die Vergütungsvereinbarung in Bezug auf den Mandatsumfang insgesamt unbestimmt ist und sich insbesondere nicht auf zukünftige Mandate erstreckt:

An potenziell den Mandatsgegenstand spezifizierenden Ausführungen finden sich lediglich folgende Angaben in der gesamten Anlage K 1:

– „Mandatsvereinbarung i.S. … GmbH ./. … GmbH“;

– „Wir werden für sie sowohl unterstützend bei auftretenden Rechtsfragen als auch im Bereich der Prozessführung tätig“;

– „…vielen Dank für ihr Interesse, uns in der im Betreff angegebenen Angelegenheit zu mandatieren“.

Zwar ginge es – entgegen der Auffassung der Beklagten – zu weit, von der Klägerin die Angabe konkreter Rechtsfragen in der Honorarvereinbarung zu verlangen, solange sich das Mandat nicht auf ein konkretes Rechtsgutachten beschränkt.

(1) Von der Klägerin wäre indessen zu erwarten gewesen, dass sie das unstreitig (vgl. GA 28) bei Abschluss der Vereinbarung vor dem LG Düsseldorf bereits rechtshängige Verfahren gegen die P (LG Düsseldorf 15 O 173/15) in die Vereinbarung aufnimmt. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass nach ihrer (der Klägerin) eigenen Schilderung (GA 68 unten ff) der bei dem Abschluss der Vereinbarung vorherrschenden Situation gänzlich unklar war, welche streitigen Angelegenheiten infolge des Ausscheidens des Geschäftsführers der Beklagten aus der P (noch) resultieren würden. Es bestand demnach ein Konglomerat an potenziellen Auseinandersetzungen, wobei kaum zu trennen war, was den Geschäftsführer persönlich und was die Beklagte als Gesellschaft selbst betraf. Im Falle einer derart unübersichtlichen Situation muss der Rechtsanwalt erst recht auf eine genaue Festlegung des von der Vergütungsvereinbarung abgedeckten Mandatsgegenstandes achten. Wenn die Klägerin sicherstellen wollte, dass (zumindest) das bereits rechtshängige Verfahren vor dem LG Düsseldorf erfasst sein sollte, hätte sie zwecks Spezifizierung dessen Aktenzeichen angeben sollen oder zumindest in geeigneter Weise diesen Mandatsgegenstand umreißen müssen (zB in einer vergleichbaren Weise, wie die Klägerin es in der Berufungserwiderung vorgenommen hat: GA 264, 3. Abs.: „…fall“ pp). Demzufolge scheidet auch eine „geltungserhaltende Reduktion“ der Vergütungsvereinbarung in Bezug auf dieses vermeintlich originäre Mandat aus.

(2) Jedenfalls ist der Klägerin darin zu widersprechen, dass sich die Vergütungsvereinbarung „automatisch“ auch auf das Berufungsverfahren vor dem OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Düsseldorf
 (I-11 U 6/17) erstreckte. Insoweit verfängt nicht das Argument der Klägerin, wonach eine umfassende Beauftragung keiner weiteren Konkretisierung bedürfe. Insbesondere beruft sie sich insoweit vergeblich auf eine Entscheidung des OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
(BeckRS 2017, 142669 Rn. 83): Anders als im dort entschiedenen Fall fehlt es in der streitgegenständlichen Vereinbarung gem. Anlage K 1 nämlich an einem expliziten (oder sinngemäßen) Passus mit den Worten „für alle Tätigkeiten“ in der Vergütungsvereinbarung selbst. Es reicht nicht, dass die Vereinbarung keine Beschränkung erkennen lässt; es geht vielmehr – umgekehrt – darum, den Mandatsgegenstand positiv festzulegen. In jedem Falle hätte es somit einer ausdrücklichen Klarstellung bedurft, dass vereinbarungsgemäß auch künftige Mandate erfasst sein sollen; nur dann könnte man die Vergütungsvereinbarung als eine Art „Rahmenvereinbarung“ verstehen (vgl. dazu Senat AnwBl. 2006, 770).

Entsprechendes gilt mit Blick auf die von der Klägerin überdies angeführte Entscheidung des OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG München
(NJW-RR 2018, 244). Nach der dort maßgeblichen Vereinbarung (vgl. OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
, a.a.O. Rn. 44) sollte „in sämtlichen außergerichtlichen zivilrechtlichen Fragestellungen“ beraten und vertreten werden „wie eine ausgelagerte Rechtsabteilung“.

Es verhilft der Argumentation der Klägerin auch nicht zum Erfolg, dass nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2005, 2142) das Ausmaß der zeitlichen Beanspruchung bei Abschluss einer Vergütungsvereinbarung noch offen sein darf. Es geht insoweit darum, dass zwar die zeitliche Beanspruchung eines bestimmt bezeichneten Mandats noch offen sein darf, nicht aber der Gegenstand des Mandats als solcher.

Überdies verkennt die Klägerin in diesem Zusammenhang, dass der erste Rechtszug und die Rechtsmittelinstanz gem. § 17 Nr. 1 RVG in aller Regel selbständig zu vergütende Angelegenheiten darstellen und schon deshalb in einer Vergütungsvereinbarung ein konkreter Anhalt vorgesehen werden muss, wenn sie sich auch auf weitere Instanzen erstrecken soll. Hier ist (s. oben) noch nicht einmal das (vermeintlich) originäre Mandat hinreichend bestimmt worden.

Bezüglich ihres Hinweises auf die Anlage K 8 (Email des Geschäftsführers, vgl. das Zitat gem. GA 61), wonach die Einlegung der Berufung mit dem Geschäftsführer der Beklagten abgestimmt gewesen sein mag, lässt die Klägerin Folgendes unberücksichtigt: Auch dieser Umstand ist unbeachtlich für die Frage nach dem Anspruch auf Zahlung einer Zeitvergütung. Dafür hätte es einer entsprechenden Vereinbarung schon in der Honorarvereinbarung selbst bedurft.

Die Klägerin kann sich aus rechtlichen Gründen nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine weitere Konkretisierung von der Beklagten nicht gewünscht gewesen sei (was diese indessen auch in tatsächlicher Hinsicht bestreitet: vgl. GA 55f). Denn es hätte der Klägerin oblegen, mit Blick auf § 3a Abs. 1 RVG auf eine Inkorporation zukünftiger Mandate zu bestehen, wenn sie für diese ein Stundenhonorar wirksam vereinbaren wollte. Die Warn-, Schutz- und Beweisfunktion der Textform gem. § 3a Abs. 1 RVG (vgl. OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Karlsruhe
, a.a.O., Rn 31; Winkler/Teubel, a.a.O., § 3a Rn 13f mwN) steht nicht zur Disposition der Parteien.

Schließlich verfängt auch nicht der Hinweis der Klägerin darauf, dass die Beklagte (insoweit unstreitig) in der Vergangenheit ohne Beanstandung Rechnungen der Klägerin beglich. Die Beklagte hat insoweit überzeugend angemerkt, dass ihr die Unwirksamkeit der Vereinbarung erst nach anwaltlicher Beratung bewusst geworden sei. Wie die Regelung des § 4b S. 2 RVG verdeutlicht, sind nicht geschuldete Zahlungen nach den allgemeinen Regeln kondizierbar.

Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 15.01.2021 behauptet hat, die Parteien hätten sich darauf geeinigt, dass die Beklagte die Rechnungen vollständig begleichen werde, ist dieses streitige Vorbringen in zweiter Instanz wegen § 296a ZPO ohnehin nicht mehr zu berücksichtigen, da der Schriftsatz erst am 16.01.2021 (GA 122) und damit außerhalb des vom Landgericht gewährten / verlängerten Schriftsatznachlasses bis 15.01.2021 (GA 120) eingegangen ist. Abgesehen davon ändert dies in rechtlicher Hinsicht zumindest nichts an der mangelnden Bestimmtheit der Vergütungsvereinbarung.

(3) Die rechtlichen Überlegungen der Klägerin, wonach ihre Interpretation der Honorarvereinbarung nicht das gesetzliche Formerfordernis des § 3a Abs. 1 RVG unterlaufe (vgl. Schriftsatz vom 14.09.2022, S. 1 bis S. 4 oben, S. 5 unten f, GA 338ff), verfangen im Ergebnis nicht. Zwar ist ihr uneingeschränkt darin zuzustimmen, dass Vereinbarungen zur Auftragserteilung grundsätzlich nicht der in § 3a Abs. 1 S. 1 RVG vorgeschriebenen Textform genügen müssen (vgl. statt aller Gerold/Schmidt, a.a.O., § 3a Rn 6a). Jedoch vermag dies nichts daran zu ändern, dass wegen § 3a Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt angegeben werden muss, welche Gegenstände von der Vergütungsvereinbarung erfasst werden sollen. Das betreffende Bestimmtheitserfordernis muss dann zwangsläufig durch der Textform genügende Angaben gewahrt werden. Soweit Angaben zur Auftragserteilung zugleich (mittelbare) Bedeutung für die Festlegung des von der Vergütungsvereinbarung erfassten Mandatsgegenstandes haben, müssen sie demnach (ausnahmsweise) in Textform erfolgen.

2. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das vorbeschriebene Bestimmtheitserfordernis ist zwar nicht eine Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung, jedoch darf die Klägerin gem. §4b S. 1 RVG auf Basis der Vergütungsvereinbarung gem. Anlage K 1 keine höhere als die gesetzliche Vergütung mehr fordern (BGHZ 201, 334 = BGH NJW 2014, 2653 ff., s. insbesondere auch den Leitsatz, der sich explizit auf § 3a Abs. 1 S. 1 RVG bezieht; vgl. BGH NJW 2016, 1391 Rn 8). Die gesetzliche Vergütung bedarf insoweit nicht zwingend einer förmlichen Abrechnung gem. §?10 RVG (Winkler/Teubel, a.a.O., § 4 Rn 6). Ebenso wenig bedarf es der Erfüllung der Hinweispflicht gem. §?49 b Abs. 5 BRAO für die anfallende gesetzliche Vergütung (BGH NJW 2014, 2653).

Nachdem die Klägerin in Reaktion auf den mit Verfügung vom 04.08.2022 erfolgten Hinweis fristgerecht hilfsweise die ihrer Auffassung nach geschuldete gesetzliche Vergütung inklusive Umsatzsteuern nach den einschlägigen Regelungen des RVG mit Schriftsatz vom 18.08.2022 (GA 277ff) berechnet hat, lässt sich zunächst tatrichterlich feststellen, dass zugunsten der Klägerin gegen die Beklagte insgesamt ein gesetzlicher Honoraranspruch iHv EUR 32.815,45 entstanden ist (dazu unter a)). Allerdings ist dieser gesetzliche Vergütungsanspruch weitgehend erloschen (dazu unter b)).

a) Wegen der Einzelheiten der maßgeblichen Berechnung der gesetzlichen Vergütung wird zunächst auf die vorgenannten Ausführungen der Klägerin verwiesen und fortan nur insoweit näher darauf eingegangen, als die Beklagte überhaupt Einwendungen hiergegen vorgebracht hat:

Im Ergebnis ohne Erfolg rügt die Beklagte, dass die unter I.2. ihres Schriftsatzes vom 09.09.2022 näher spezifizierten anwaltlichen Tätigkeiten der Klägerin nicht streitgegenständlich seien.

Zwar kann auch der Senat im Einklang mit der Beklagten nicht erkennen, dass diese Tätigkeiten jenen in den (auf die Honorarvereinbarung abstellenden) Rechnungen gemäß Anlagen K 2 bis K 7 zugeordnet werden könnten. Jedoch ist das betreffende Vorbringen der Klägerin gem. § 533 ZPO gleichwohl in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen:

Eine Klageänderung iSv § 533 ZPO kann auch in einer sog. nachträglichen Klagehäufung gesehen werden (vgl. BeckOK ZPO/Wulf, 46. Ed., Stand: 01.09.2022, § 533 Rn 4). So liegt der Fall hier: Die Abrechnung der oben genannten Tätigkeiten durch die Klägerin ist so zu verstehen, dass diese im Wege der nachträglichen Klagehäufung geltend gemacht werden, soweit sie nicht ohnehin in den bisherigen, auf die Honorarvereinbarung abstellenden Rechnungen enthalten gewesen sind.

Die gem. § 533 Nr. 1 ZPO u.a. notwendige Einwilligung der Beklagten ist darin zu erblicken, dass sie im Termin zur mündlichen Verhandlung insgesamt rügelos verhandelt hat (vgl. GA 283f). Abgesehen davon liegt aber auch die alternativ ausreichende Sachdienlichkeit der Klageänderung vor. Die Sachdienlichkeit könnte bei der gebotenen prozesswirtschaftlichen Betrachtungsweise nämlich nur verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt worden wäre, ohne dass das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden könnte (vgl. BGH WM 2020, 841 mwN).

Schließlich kann die Klageänderung auch auf Tatsachen gestützt werden, die der Senat seiner Entscheidung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Denn das betreffende neue Vorbringen der Klägerin ist der Sache nach unstreitig geblieben und damit in zweiter Instanz zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1508; BGH BeckRS 2021, 36639). Die Beklagte hat sich insoweit auf die Rüge beschränkt, dass das betreffende Vorbringen der Klägerin nicht streitgegenständlich sei.

b) Der gesetzliche Honoraranspruch der Klägerin ist indessen überwiegend – nämlich iHv EUR 30.713,31 (= EUR 14.491,23 +16.222,08, vgl. GA 36f) – erloschen. Wie die Beklagte bereits in erster Instanz unwidersprochen dargetan hat, hat sie iHv EUR 108.624,04 Zahlungen an die Klägerin geleistet (vgl. GA 35). Von diesen Zahlungen hat die Beklagte den oben genannten Betrag iHv EUR 30.713,31 bei der Berechnung ihrer Widerklageforderung in Abzug gebracht und damit (zumindest konkludent) gem. § 388 BGB die Aufrechnung mit der Rechtsfolge erklärt, dass der gesetzliche Vergütungsanspruch der Klägerin in dieser Höhe gem. §§ 387389 BGB erloschen ist. Die Klägerin ist dem nicht entgegen getreten, sondern hat diesbezüglich allein geltend gemacht, dass sämtliche Zahlungen der Beklagten mit Rechtsgrund erfolgt seien (vgl. GA 67). Wegen des der Beklagten gegen die Klägerin zustehenden Kondiktionsanspruchs wird auf die (im Rahmen der Entscheidungsgründe betreffend die Berufung der Beklagten erfolgenden) Ausführungen zur Widerklage Bezug genommen, woraus sich im hier interessierenden Kontext die Aufrechnungslage iSv §387 BGB ergibt.

Lediglich aus Gründen der Klarstellung ist festzuhalten, dass in der Erhebung der den Vergütungsanspruch der Klägerin übersteigenden Widerklage keine weitergehende konkludente Aufrechnungserklärung der Beklagten zu erblicken ist: Davon wäre allenfalls dann auszugehen, wenn sie – wie nicht – unter Berufung auf ihren RückerstattungsanspruchZahlung Zug um Zug gegen Zahlung“ von der Klägerin verlangt hätte (vgl. BGH NJW 2017, 2102 Rn 20; OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
 BeckRS 2017, 135405; BeckOGK/Skamel, Stand: 01.10.2022, § 388 Rn 10 a.E.; aA KG WM 2018, 121 Rn 61ff).

In Höhe von weiteren EUR 5,24 ist die gesetzliche Honorarforderung der Klägerin infolge einer Aufrechnung der Beklagten erloschen (§ 389 BGB, vgl. GA 37). Wegen des der Beklagten gegen die Klägerin zustehenden Kondiktionsanspruchs wird auf die (im Rahmen der Entscheidungsgründe betreffend die Berufung der Beklagten erfolgenden) Ausführungen zur Widerklage Bezug genommen.

c) Insgesamt beträgt das von der Beklagten an die Klägerin noch zu entrichtende gesetzliche Anwaltshonorar mithin EUR 2.096,90 (= EUR 32.815,45 – EUR 30.713,31 – EUR 5,24).

d) Soweit die Parteien u.a. darüber streiten, ob die Klägerin ihrer Hinweispflicht nach § 3a Abs. 1 S. 3 RVG genügt hat, kann dies dahinstehen. Gem. § 3a Abs. 1 S. 3 RVG hat die Vergütungsvereinbarung zwar einen Hinweis darauf zu enthalten, dass die gegnerische Partei, ein Verfahrensbeteiligter oder die Staatskasse im Falle der Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss. Ob die streitgegenständliche Vergütungsvereinbarung diesem Erfordernis genügt, bedarf keiner Entscheidung, da Rechtsfolge eines etwaigen Verstoßes „bloß“ eine Schadensersatzpflicht der Klägerin sein könnte (vgl. nur Winkler/Teubel, a.a.O., § 3a Rn 48f). Die Beklagte hat indessen weder einen etwaigen Schadensersatzanspruch konkretisiert / beziffert noch eine Aufrechnung mit einem solchen erklärt (§ 388 f. BGB).

e) Da die Regelung des § 4b S. 1 RVG nicht etwa die gesetzliche Vergütung garantieren, sondern als eine Art Kappungsgrenze für die nach wie vor – immer noch wirksame, aber fehlerhafte – Vergütungsvereinbarung dienen soll, ist zu beachten: Gewährt die fehlerhafte, aber wirksame Vergütungsvereinbarung dem Anwalt niedrigere Gebühren als die gesetzliche Vergütung, bleibt es bei dem entsprechenden Betrag (Schons, in: Hartung/Schons/Enders, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 3. A. 2017, § 4b Rn 15). Im Streitfall hat die Beklagte allerdings zu Recht selbst nicht etwa geltend gemacht, dass die auf Basis der Honorarvereinbarung (fiktiv) zu entrichtende Vergütung geringer ausgefallen wäre als das vorstehend errechnete gesetzliche Honorar.

f) Soweit die Klägerin als Nebenforderung gestaffelte Verzugszinsen geltend macht, gilt Folgendes: Da sie erstmals mit Schriftsatz vom 18.08.2022 hilfsweise ein gesetzliches Anwaltshonorar beansprucht hat, kann sie erst ab dem auf den Zugang dieses Schriftsatzes folgenden Tag Verzugs- bzw. Rechtshängigkeitszinsen gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 2 BGB mit Erfolg begehren (vgl. auch Senat, NJOZ 2011, 2026, 2030). Mit Blick auf die Angaben der Beklagten zu Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (GA 283R) geht der Senat von einem Zugang dieses Schriftsatzes am 18.08.2022 beim Beklagtenvertreter aus.

II.

Die selbständige Berufung der Beklagten hat vollumfänglich Erfolg.

1. Die Beklagte hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Rückzahlung von Anwaltshonorar iHv EUR 77.905,49 aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, § 4b RVG.

a) Die Klägerin hat „etwas erlangt durch Leistung“ iSv § 812 Abs. 1 BGB, da die Beklagte an sie unstreitig Anwaltshonorar iHv EUR 108.624,04 (GA 35) gezahlt hat.

Hieraus macht die Beklagte mit ihrer Widerklage unter Berücksichtigung des von ihr überwiegend als berechtigt anerkannten gesetzlichen Honoraranspruchs der Klägerin und der ebenfalls bereits erwähnten Aufrechnung der Beklagten mit einer geringfügigen Gegenforderung (vgl. GA 37) rechnerisch zutreffend einen Betrag iHv EUR 77.905,49 (= EUR 108.624,04 – EUR 30.713,31 – EUR 5,24) mit der Widerklage geltend.

b) Die betreffende Zahlung erfolgte ohne rechtlichen Grund.

An einem entsprechenden Rechtsgrund iSv § 812 Abs. 1 S. 1 BGB fehlt es schon deshalb, weil es der zwischen den Parteien vereinbarten Vergütungsvereinbarung (Anlage K 1) – wie im Zusammenhang mit der Klage im Detail erläutert worden ist – insgesamt an der infolge von § 3a Abs. 1 S. 1 RVG erforderlichen Bestimmtheit fehlt.

c) Soweit die Parteien darüber streiten, ob eine vertraglich vereinbarte Vergütung unter Hinweis darauf zurückgefordert werden kann, dass es den Abrechnungen an der Wahrung der von § 10 Abs. 1 RVG vorgegebenen Formalien mangele, kann dies dahinstehen. Denn der hier erkannte Mangel der gem. § 3a Abs. 1 S. 1 RVG notwendigen Bestimmtheit der Angabe des von der Vereinbarung abgedeckten Mandatsgegenstandes geht über eine derartige bloße Formalie zweifelsohne hinaus. In einem solchen Falle kann der Mandant daher das gezahlte Honorar kondizieren, soweit es das alternativ nach dem RVG geschuldete Honorar übersteigt (vgl. OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Karlsruhe
 NJW 2015, 418 Rn 27, Rn 32ff).

d) Auf die Hilfsbegründungen der Beklagten, wonach die Klägerin das Zeithonorar nicht ordnungsgemäß abgerechnet habe bzw. dass das der Klägerin auf Basis der Vergütungsvereinbarung zustehende Anwaltshonorar gem. § 3a Abs. 2 S. 1, § 4b RVG herabzusetzen sei, kommt es mithin jeweils nicht entscheidungserheblich an.

e) Soweit die Klägerin die Einrede der Verjährung erhoben hat (vgl. GA 114; GA 140), bleibt dies ohne Erfolg. Denn die insoweit darlegungsbelastete Klägerin hat nicht im Ansatz etwas zu den Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 BGB vorgetragen. Ihre Ausführungen erschöpfen sich jeweils in einem Satz ohne Darlegung der tatsächlichen Voraussetzungen. Entsprechendes gilt mit Blick auf den Einwand der Verwirkung.

2. Der zuerkannte Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin auf Entrichtung von Verzugszinsen ab dem 18.03.2020 ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 2 BGB iVm § 187 Abs. 1 BGB analog. Die Widerklage ist der Klägerin am 17.03.2020 zugestellt worden (vgl. GA 44).

III.

Die Kostenentscheidung beruht für die erste Instanz auf § 92 Abs. 2 Alt.1 ZPO.

Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Klägerin, soweit ihre Berufung erfolglos geblieben ist, nach § 97 Abs. 1 ZPO und im Übrigen nach § 97 Abs. 2 ZPO analog zu tragen. Die Regelung des § 97 Abs. 2 ZPO ist entsprechend anzuwenden, wenn eine Partei erst im höheren Rechtszug infolge eines erst hier eingetretenen Umstandes obsiegt, der nicht dem Bereich der Gegenpartei, sondern ihrem Bereich zuzurechnen ist und den die Partei bereits während des früheren Rechtszuges hätte schaffen bzw. erwirken können (BGHZ 31, 342 (350) = NJW 1960, 766 (768); OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
 FamRZ 1994, 118 f). So verhält es sich hier, da die Klägerin erstmals in zweiter Instanz ordnungsgemäße Honorarrechnungen vorgelegt bzw. hilfsweise ein gesetzliches Honorar geltend gemacht hat.

Dass die Klägerin die Kosten der Berufung der Beklagten zu tragen hat, folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die einschlägigen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO ersichtlich nicht erfüllt sind.

IV.

Der nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 09.09.2022 sowie die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Klägerin vom 14.09.2022 und vom 26.09.2022 gaben dem Senat jeweils keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§§ 296a S. 2, 156 ZPO).

Streitwert des Berufungsverfahrens: EUR 112.089,13 (Berufung der Klägerin: 34.183,64 EUR (EUR 32.086,74 + EUR 2.096,90: § 45 Abs. 1 S. 2, S. 3 GKG); Berufung der Beklagten: EUR 77.905,49).

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I Gesellschafterversammlung I M&A I Unternehmenskauf I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Anwaltshonorar

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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.05.2022 – I-12 U 42/21

Montag, 23. Mai 2022

§ 135 Abs 1 Nr 2 InsO, § 1 Abs 1 S 3 COVInsAG, § 2 Abs 1 Nr 2 COVInsAG

1. Zu den einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellten Forderungen gehören auch Darlehensforderungen von Unternehmen, die mit dem Gesellschafter horizontal oder vertikal verbunden sind. Für diese Verbindung genügt eine mittelbare Beteiligung sowohl am Schuldnerunternehmen als auch (mehrheitlich) an der darlehensgebenden Gesellschaft.

2. Die Beweislast für das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 COVInsAG obliegt dem Insolvenzverwalter. Steht fest, dass der Schuldner bereits am 31. Dezember 2019 zahlungsunfähig war, weil er seine Zahlungen eingestellt hatte, greift die Vermutung des § 1 Abs. 1 Satz 3 COVInsAG nicht zugunsten des Anfechtungsgegners ein. Der Nachweis des Nichtberuhens der Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie kann aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung des Schuldners vor dem Stichtag mit Blick darauf, dass bis zum 31. Dezember 2019 keine Anzeichen für eine coronabedingte Wirtschaftskrise bestanden, als geführt anzusehen sein.

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OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.04.2022 – 2 U 17/20

Donnerstag, 7. April 2022

EPÜ Art. 64, Art. 69; PatG § 9 S. 2 Nr. 3, § 139 Abs. 1 und 2, § 140a Abs. 3, § 140b Abs. 1 und 3;

ZPO § 138, § 529, § 531

1. Unstreitige Tatsachen sind im Berufungsverfahren selbst dann zu berücksichtigen, wenn sie im ersten Rechtszug aus Nachlässigkeit nicht geltend gemacht worden sind.

2. Die Substantiierungslast des Bestreitenden hängt davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. Substantiiertes Vorbringen kann danach grundsätzlich nicht pauschal bestritten werden.

3. Hat die klagende Partei ihren Vortrag durch Vorlage von Unterlagen hinreichend konkretisiert, so muss die beklagte Partei dieses Vorbringen ebenso qualifiziert Bestreiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der  maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind.

Tenor

A.

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24. März 2020 verkündete Urteil der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (Az.: 4b O 73/18) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I.  Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an deren Geschäftsführer zu vollziehen ist, zu unterlassen,

Tore im Geltungsbereich des deutschen Patentgesetzes anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, die hergestellt werden mittels eines Verfahrens zur Herstellung eines Tores, umfassend:

Teilen eines ersten digitalen Bildes in eine Anzahl paralleler Abschnitte, um mehrere Abschnittsbilder zu erstellen; Drucken jedes der Abschnittsbilder mit Tinte auf ein separates angestrichenes Metalltorsegment und Zusammenfügen der Torsegmente, um ein zusammengefügtes Tor mit dem Aussehen des ersten digitalen Bildes zu erzeugen;

2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Mai 2013 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der Einkaufspreise,

b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Kopien der Eingangs- und Ausgangs-Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Kopien der Lieferscheine vorzulegen hat

und

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

3. die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 25. Mai 2013 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 2 401 XXA erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird.

II.

Es wird festgestellt, die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 25. Mai 2013 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

B.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.

C.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

D.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 2 401 XXA (nachfolgend: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin sie ist, auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Rückruf sowie auf Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch. 4

Das Klagepatent wurde am 24. Februar 2010 unter Inanspruchnahme der Priorität der der US 202XXB P vom 27. Februar 2009 sowie der US 560XXC vom 16. September 2009 in englischer Verfahrenssprache angemeldet. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 4. Januar 2012. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 24. April 2013 veröffentlicht. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. 5

Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „Door manufacturing system and method“ (System und Verfahren zur Herstellung von Türen). Sein Patentanspruch 1 ist wie folgt gefasst: 6

„A method of manufacturing a door, comprising: 7

dividing a first digital image into a number of parallel sections to form multiple section images; printing with ink (308) each of the section images on a separate painted metal door segment (300), and assembling the door segments (300) so as to create an assembled door (10) having the appearance of the first digital image.“ 8

Und in der eingetragenen deutschen Übersetzung: 9

„Verfahren zur Herstellung eines Tors, umfassend: 10

Teilen eines ersten digitalen Bildes in eine Anzahl paralleler Abschnitte, um mehrere Abschnittsbilder zu erstellen; Drucken jedes der Abschnittsbilder mit Tinte (308) auf ein separates angestrichenes Metalltorsegment (300), und Zusammenfügen der Torsegmente (300), um ein zusammengefügtes Tor (10) mit dem Aussehen des ersten digitalen Bildes zu erzeugen.” 11

Die nachfolgend verkleinert wiedergegebenen Figuren 1, 4 und 15 erläutern die Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels. Figur 1 zeigt einen Teil eines Hauses mit einer daran angebauten Garage mit einem Überkopfgaragentor, das mittels des unter Schutz gestellten Verfahrens hergestellt wurde. 12

Figur 4 zeigt einen Aufriss der in Figur 1 dargestellten Garage einschließlich der Führungsschienen zur Verbindung des Tors mit der Garage: 13

Schließlich veranschaulicht Figur 15 ein erfindungsgemäßes Herstellungsverfahren in Form eines Blockdiagramms: 14

Die Beklagte ist ein tschechisches Unternehmen, das unter anderem Garagentore herstellt und vertreibt. Sie bot auf der Messe „B“ in Stuttgart Garagentore an, die mit dem als Anlage B&B 3 zur Akte gereichten Prospekt „C“ beworben wurden. Zudem lieferte die Beklagte an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Muster ein bedrucktes Garagentor (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Wegen der Einzelheiten wird diesbezüglich auf die Anlagen B&B 4, B&B 5, B&B 6 sowie auf die in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2020 überreichten Bilderserien verwiesen. 15

Die Klägerin sieht im Angebot und im Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland eine unmittelbare Verletzung des Klagepatents. Nach ihrer Auffassung macht die Beklagte bei der Herstellung der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. 16

Die Beklagte, die um Klageabweisung gebeten hat, hat erstinstanzlich eine Verletzung des Klagepatents mit der Begründung in Abrede gestellt, das Klagepatent betreffe nicht den Druck als Solches, sondern eine komplexe Fertigung des gesamten Garagentores in automatisierter Form. Abgesehen davon setze die Beklagte den erfindungsgemäßen Druckprozess bei der Herstellung der angegriffenen Ausführungsform in Ermanglung der Aufteilung von Bildern in neue Einzelbilder nicht ein. Bei dem durch die Beklagte eingesetzten Verfahren werde lediglich die Größe des Gesamtbildes bearbeitet, damit dieses auf das gesamte Garagentor passe. So könnten auch die Ränder der Torelemente bedruckt werden, um am Ende ein schlüssiges Bild auf dem Garagentor zu erhalten. Der Drucker pausiere lediglich, wenn ein neues Torelement eingelegt werden müsse. Dabei komme es nicht zu einem aktiven Teilen oder Schneiden des Bildes in einzelne Datensätze. Dies sei vielmehr rein mechanisch bedingt. Zudem werde eine Beschichtung vor dem Drucken abgeschliffen und entfettet, um so eine bessere Haftung der Tinte zu erzielen. Schließlich könne es bei dem durch die Beklagte eingesetzten Verfahren zu Überlappungen kommen, so dass am Ende nicht zwingend das erste Bild entstehe. 17

Mit Urteil vom 24. März 2020 hat das Landgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: 18

Patentanspruch 1 gebe nach seinem Wortlaut nicht vor, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form ein Abschnittsbild vorliegen müsse. Weder sei es notwendig, dass die Abschnittsbilder jeweils in einer eigenen Datei gespeichert würden, noch, dass das Teilen vollständig abgeschlossen sein müsse, bevor mit dem Druck begonnen werde. Aus der Notwendigkeit des Teilens in Abschnittsbilder ergebe sich lediglich, dass zu irgend einem Zeitpunkt voneinander getrennte Datensätze vorliegen müssten, die die den Abschnittsbildern entsprechenden Daten enthielten. Bei einer Zusammenschau der einzelnen Verfahrensschritte sei eine bestimmte Verfahrensreihenfolge dahingehend impliziert, dass das Teilen in Abschnittsbilder wenigstens soweit fortgeschritten sein müsse, dass zumindest ein erstes Abschnittsbild vollständig vorliege, bevor mit dem Drucken begonnen werden könne. Um mit dem Drucken eines Abschnittsbildes beginnen zu können, müsse dieses überhaupt erst existieren. Folglich müsse das Teilen in zumindest ein Abschnittsbild bei Druckbeginn bereits stattgefunden haben. Gleiches gelte auch für die weiteren Abschnittsbilder. Auch diese müssten jeweils vollständig vorliegen, bevor mit dem Druck des jeweiligen Abschnittsbildes begonnen werden könne. Die Notwendigkeit des Vorliegens eines Abschnittsbildes vor Druckbeginn ergebe sich auch daraus, dass die Maße bzw. Proportionen des ersten Bildes bei Druckbeginn feststehen müssten, damit diese mit dem zu bedruckenden Torsegment korrespondierten. Nur so werde gewährleistet, dass die später zusammengefügten Torsegmente im Erscheinungsbild dem ersten Bild entsprächen. Einem Teilen in Abschnittsbilder stehe es dabei nicht entgegen, wenn sich die parallelen Abschnitte teilweise überlappen. Das Bedrucken müsse den Besonderheiten von Torpaneelen Rechnung tragen, wie beispielsweise vorhandenen Rändern oder überlappenden Teilen. Insofern könne es erforderlich sein, zwei Torpaneele überlappend zu bedrucken, um dem Garagentor im zusammengebauten Zustand möglichst das Erscheinungsbild des ersten Bildes zu verleihen. Die Beschreibung des Klagepatents äußere sich zu dieser Möglichkeit nicht und schließe sich überlappende Abschnittsbilder damit nicht aus. 19

Ausgehend von einem solchen Verständnis stelle die angegriffene Ausführungsform kein unmittelbares, patentverletzendes Verfahrenserzeugnis dar. Die Aufteilung eines ersten Bildes in parallele Abschnitte vor Druckbeginn lasse sich nicht feststellen. 20

Nach dem Klägervortrag solle sich aus den überlappenden Bereichen der Torsegmente, auf denen sich auch das Bild überlappe, ergeben, dass das Bild vor dem Druck in Abschnitte aufgeteilt werde. Werde nur ein Bild gedruckt, seien die Daten mit dem Drucken „verbraucht“ und könnten nicht erneut auf ein weiteres Torsegment gedruckt werden. Insofern sei es zwingend notwendig, ein Bild vorher in Abschnitte aufzuteilen, wenn Bereiche des Bildes mehrfach gedruckt werden sollen. 21

Die Beklagte habe dem entgegengehalten, der Drucker arbeite bei dem durch sie eingesetzten Verfahren nur mit einem Bild. Dieses Bild werde vor dem Senden der Bilddatei an den Drucker formatiert, damit es an die Torsegmente angepasst sei. Der Drucker müsse dann nur auf ein bestimmtes Format von Torsegmenten eingestellt sein und könne mit dem Drucken des Bildes beginnen. Der Drucker sei so eingestellt, dass er das Torsegment kippe, wenn mit dem Druck der Schrägkante begonnen werde, um einen gleichbleibenden Abstand zwischen den Druckköpfen und dem Torsegment zu gewährleisten. Auch werde der Druck automatisch gestoppt, wenn das Bedrucken eines Torsegmentes beendet sei. Es müsse dann ein neues Torsegment eingelegt werden. Aufgrund der Voreinstellung könne der Drucker einen bestimmten Bildbereich erneut auf das nächste Torsegment drucken, um eine Überlappung zu erzielen. 22

Der Vortrag der Beklagten sei an sich schlüssig. Es sei durchaus nachvollziehbar, dass der Drucker durch eine Software gesteuert werde, die den Befehl erteile, einen bestimmten Bereich des Bildes zweifach zu drucken, um eine Überlappung zu erreichen. Es sei nicht erkennbar, dass zur Erzielung dieses Effektes ein Aufteilen in Bilder zwingend notwendig sei, da die Daten in irgendeiner Art und Weise verbraucht seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Drucker über einen ausreichenden Zwischenspeicher verfüge, da er sonst das Bild gar nicht speichern könne. Aufgrund der Voreinstellungen betreffend die Maße und Optionen des einzulegenden Torsegments sei es auch ohne Weiteres möglich, auf der Software des Druckers basierende Bildbereiche überlappend zu drucken. Schließlich sei denkbar, dass der Drucker die Daten wiederholt aus dem Datensatz des Gesamtbildes gewinne. Überdies habe der Hersteller der angegriffenen Ausführungsform der Beklagten bestätigt, dass der Drucker bei dem zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten Verfahren keine Abschnittsbilder erstelle, sondern ein Gesamtbild drucke. Der Umstand, dass der Drucker mit dem Druck pausiere, wenn das Bedrucken eines Torsegmentes beendet werde, stelle kein Teilen in Abschnittsbilder dar. Auch wenn damit eine „manuelle“ Teilung verbunden sei, liege das erste Bild noch nicht vor, bevor mit dem Druck begonnen werde. Vielmehr fielen das Teilen und das Drucken zusammen, was wiederum nicht der erfindungsgemäßen Lehre entspreche. Vor dem Hintergrund des hinreichend substantiierten Vortrages der Beklagten sei es Aufgabe der Klägerin, näher dazu vorzutragen, warum der von der Beklagten verwendete Drucker zwingend das eingespeiste Bild in Abschnittsbilder unterteile. Zum Bedrucken von Torsegmenten seien verschiedene Verfahren denkbar, wobei sich das durch das Klagepatent vorgeschlagene und das durch die Beklagte beschriebene Verfahren gleichwertig gegenüberstünden. 23

Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigten am 1. April 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20. April 2020 Berufung eingelegt, mit der sie ihr vor dem Landgericht erfolglos gebliebenes, auf eine Verurteilung der Beklagten gerichtetes Begehren weiterverfolgt. 24

Sie wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht insbesondere geltend: 25

Das mit dem Klagepatent unter Schutz gestellte Verfahren unterscheide sich maßgeblich dadurch von dem als nachteilig angesehenen Stand der Technik, dass anstelle des Torblattes als Ganzes einzelne Torsegmente mit entsprechenden Abschnittsbildern bedruckt würden, wobei erst nach dem Zusammenfügen der so bedruckten Torsegmente ein zusammengefügtes Tor mit dem Aussehen des ersten digitalen Bildes erzeugt werde. Den Erläuterungen in der Klagepatentbeschreibung entnehme der Fachmann, dass im Rahmen der Erfindung daran gedacht sei, die Abschnittsbilder erst während des Druckvorgangs zu erstellen, weil nur so der Einsatz von Toren unterschiedlicher Länge ohne (vorherige) Anpassung der Zeitgebung möglich sei. Dementsprechend enthalte Patentanspruch 1 keinerlei Vorgaben zur zeitlichen Abfolge der Erstellung der Abschnittsbilder und des Bedruckens der Metalltorsegmente. In den Schutzbereich des Klagepatents falle daher auch eine Gestaltung, bei der erst im Verlauf des Druckvorgangs festgelegt werde, mit welchen Daten der Druckvorgang für das einzelne Metalltorsegment abgeschlossen werden solle. Nur so werde die Bedruckung unterschiedlicher Torsegmentformate auf Grundlage der sequentiellen Erfassung des vorlaufenden und des nachlaufenden Randes ohne Einstellung der Zeitgebung zum Bedrucken ermöglicht. Soweit die Kammer demgegenüber fordere, das Teilen des Gesamtbildes in Abschnittsbilder müsse zumindest derart abgeschlossen sein, dass wenigstens ein erstes Abschnittsbild vollständig vorliege, bevor der Druckvorgang begonnen werden könne, finde dies weder im Anspruchswortlaut noch in der Klagepatentbeschreibung eine Grundlage. Vom Schutzbereich umfasst seien vielmehr auch solche Verfahren, bei denen das Erstellen der Abschnittsbilder erst abgeschlossen werde, wenn bereits die ersten Zeilen des Abschnittsbildes gedruckt wurden. Zur Abgrenzung vom als bekannt vorausgesetzten Stand der Technik reiche es aus, dass überhaupt eine Unterteilung des digitalen Bildes in Abschnittsbilder erfolge, die dann auf Metalltorsegmente gedruckt würden. 26

Von der so umschriebenen technischen Lehre mache die Beklagte bei der Herstellung der angegriffenen Ausführungsform wortsinngemäß Gebrauch. Anders als bei den im Klagepatent als bekannt vorausgesetzten Verfahren werde das Tor nicht als Ganzes bedruckt, sondern nur einzelne Torsegmente mit einzelnen Abschnittsbildern, wobei das Drucken auf mit einer Grundierung versehenden Metalltorsegmenten erfolge. Bei dem von der Beklagten zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform verwendeten Verfahren komme es zudem nicht nur zum Pausieren des Druckers nach Drucken des ersten Abschnittsbildes. Der Beginn des Druckvorgangs für das zweite Abschnittsbild werde vielmehr in Abhängigkeit von den zuletzt zum Bedrucken des ersten Abschnittsbildes verwendeten Daten bestimmt, um so eine überlappende Bedruckung mit entsprechenden Abschnittsbildern zu ermöglichen. Bei dem zum Herstellen der angegriffenen Ausführungsform verwendeten Verfahren stehe der Beginn des einzelnen Abschnittsbildes vor Beginn des Druckvorgangs für dieses Abschnittsbild fest. 27

Selbst wenn das Ende des Abschnittsbildes erst während des Druckvorgangs festgelegt würde, wäre dies für die Verwirklichung der mit dem Klagepatent unter Schutz gestellten technischen Lehre unschädlich, weil entgegen der Annahme im erstinstanzlichen Urteil von der mit dem Klagepatent unter Schutz gestellten technischen Lehre auch solche Verfahren erfasst würden, bei denen das Teilen und das Drucken zusammenfielen. Abgesehen davon gestehe die Beklagte in den als Anlagen B 1 und B 5 zur Akte gereichten Unterlagen selbst zu, dass bei den zum Herstellen der angegriffenen Ausführungsform angewendeten Verfahren ein Teilen eines ersten digitalen Bildes in eine Anzahl paralleler Abschnitte erfolge, um mehrere Abschnittsbilder zu erstellen. 28

Die Klägerin beantragt, 29

zu erkennen wie geschehen. 30

Die Beklagte beantragt, 31

die Berufung zurückzuweisen. 32

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen der Klägerin unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen. 33

Beim Bedrucken der Torsegmente durch die Beklagte werde lediglich eine Datei (und damit ein ungeteiltes Bild) mithilfe der Software D geteilt. Eine Teilung eines Bildes in Abschnittsbilder finde nicht statt. Der Vortrag der Klägerin lasse nicht den Schluss zu, dass es zwangsläufig zum Teilen des Bildes vor dem Drucken kommen müsse. Es werde vielmehr die Größe des zu verwendenden Torsegmentes eingegeben. Es entstünden keine an die Torsegmente angepassten Abschnittsbilder, sondern der Drucker bekomme die Information über das zu bedruckende Torsegment. Eine Aufteilung des Bildes sei hiermit ebenfalls nicht verbunden. 34

Die Klägerin ist diesem Vorbringen entgegengetreten. Das Beklagtenvorbringen lasse sich nur so verstehen, dass die den einzelnen Torsegmenten zugeordneten Druckdaten vor Beginn des Druckvorgangs feststünden und in Abhängigkeit von der eingegebenen Größe des Torsegmentes derart skaliert würden, dass eine vollständige Bedruckung des Torsegments erfolge. Das bedeute nichts anderes, als dass die beanstandeten Produkte mit solchen Verfahren hergestellt würden, bei denen das Teilen des ersten digitalen Bildes in eine Anzahl paralleler Abschnitte zur Erstellung mehrerer Abschnittsbilder sogar vor Beginn des Druckvorgangs erfolge. Anderenfalls würde auch beim Einlegen eines Torsegmentes, dessen Größe die eingegebene Größe überschreite, nicht beobachtet werden, dass dieses Torsegment, wie durch die Beklagte behauptet, teilweise unbedruckt bleibe. Vielmehr würde eine Bedruckung dieses Torsegmentes auf Grundlage von Druckdaten erfolgen, die bei ordnungsgemäßer Bedruckung zum Bedrucken eines anderen Torsegmentes herangezogen würden. 35

Dass die Beklagte tatsächlich Abschnittsbilder als getrennte Datensätze erzeuge, werde zum einen daraus deutlich, dass sie auch einzelne bedruckte Torsegmente als Ersatzpaneele anbiete. Zum anderen sei auf dem Videokanal der Beklagten ein durch die Klägerin als Anlage K 18 zur Akte gereichtes Video abrufbar, welches neben der Vorbereitung eines Paneels für den Farbdruck auch den Druckvorgang selbst zeige. Wie die nachfolgend eingeblendete Abbildung verdeutliche, werde das Paneel danach in Querrichtung bedruckt: 36

Dieser Druckvorgang ermögliche die Erzeugung von Überlappungen an den Übergängen der Paneele. Bei einem Druck in Querrichtung sei die Erzeugung derartiger Überlappungen zwangsläufig nur dann möglich, wenn das auf das gesamte Tor zu druckende Bild in Abschnittsbilder geteilt worden sei. Auf andere Weise sei dem Drucker nicht vermittelbar, dass bestimmte Segmente des Gesamtbildes – bewerkstelligt dadurch, dass der Endbereich eines Abschnittsbildes und der Anfangsbereich des darauffolgenden Abschnittsbildes dasselbe Segment des Gesamtbildes aufweisen – zweimal gedruckt werden sollen. 37

Die Beklagte hat diesen Vortrag als verspätet gerügt. Insbesondere handele es sich bei dem Vorbringen zum Querdruck der Paneele um ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel. Ein Grund für dessen Zulassung sei nicht ersichtlich. Die Beklagte bestreite mit Nichtwissen, dass die Klägerin das als Anlage K 18 vorgelegte Video, wie von ihr behauptet, erstmals im Oktober 2021 entdeckt habe. 38

Abgesehen davon sei der Vortrag zum Querdruck auch in der Sache unschlüssig.  Weshalb eine Überlappung zwangsläufig nur möglich sein solle, wenn die Bilder in Abschnittsbilder geteilt würden, habe die Klägerin nicht näher erläutert. Derartiges werde auch weder durch das zur Akte gereichte Video noch durch die vorgelegten Bilder belegt. Ebenso wenig lege die Klägerin dar, weshalb der Druck in Querrichtung in Verbindung mit der Aufteilung der Motive in Abschnittsbilder stehen solle. Aus einer, durch die Beklagte vorgelegten Abbildung des Bedienungsbildschirms der angegriffenen Ausführungsform (vgl. Anlage B 11, Bl. 476 f. GA) gehe eindeutig hervor, dass nur eine Datei als Ganzes verarbeitet werde. Zudem seien auf dem Bedienungsbildschirm die exakten Maße des gesamten Garagentores sowie das gesamte Druckmotiv zu erkennen. Der Drucker drucke daher das gesamte Motiv und nicht einzelne Abschnittsbilder. 39

Die Klägerin ist diesem Vorbringen entgegen getreten. 40

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und der von ihnen vorgelegten Anlagen sowie auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. 41

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens in der Berufungsinstanz stellen das Angebot und der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in der Bundesrepublik Deutschland eine unmittelbare wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents dar, weswegen die Beklagte wegen unmittelbarer Patentverletzung zur Unterlassung, zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung, zum Rückruf sowie – dem Grunde nach – zum Schadenersatz verpflichtet ist. Der Klägerin stehen entsprechende Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG i.V.m. §§ 242, 259 BGB zu. 43

1.

Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von (Garagen-) Toren. 45

Konventionelle Überkopfgaragentore bestehen üblicherweise aus einem vertikalen Stoß horizontaler klappbarer Abschnitte, die untereinander durch Scharniere verbunden sind und von einer Führungsschiene getragen werden. Bei solchen Toren entstehen, wenn sich das Tor in einer geschlossenen, vertikalen Position befindet, dort, wo die horizontalen Paneele des Tores zusammentreffen, sichtbare Falze. Derartige Falze lenken jedoch von der Ästhetik des Tores ab und ermöglichen das Eindringen von Feuchtigkeit, Wind und Schmutz durch das Garagentor. Zudem kann die wiederholte Benutzung des Tores über längere Zeiträume dazu führen, dass sich diese Falze weiten, womit sich die Gefahr des Eindringens von Feuchtigkeit, Wind und Schmutz in die Garage erhöht (Abs. [0002] f.). 46

Die relativ hohen Gewichte, die Anzahl der Montageschritte und die Größe des Türblattes können dazu führen, dass die Herstellung eines solchen Garagentores langsam und arbeitsintensiv vonstattengeht, was zu hohen Herstellungskosten führen kann. Darüber hinaus erhöht sich die Anzahl an Produktionsfehlern, wodurch die Produktqualität sinkt (Abs. [0004]). 47

Wie der Fachmann der Klagepatentbeschreibung weiter entnimmt, offenbart die WO-A1-03/084760 ein Verfahren zum Bedrucken eines Gegenstandes mit einem Bild, bei dem das Bild mittels eines Tintenstrahldruckkopfes gedruckt wird, der in konstantem Abstand zu einer ebenen Fläche des Gegenstandes gehalten wird (Abs. [0005]). 48

Vor dem geschilderten Hintergrund liegt dem Klagepatent die in der Klagepatentbeschreibung nicht näher erläuterte Aufgabe zugrunde, ein Verfahren bereitzustellen, mit dem Garagentore einfacher und kostengünstiger bedruckt werden können. 49

Zur Lösung dieser Problemstellung sieht Patentanspruch 1 ein Verfahren mit folgenden Merkmalen vor: 50

Verfahren zur Herstellung eines Tors, umfassend: 51

1.              Teilen eines ersten digitalen Bildes in eine Anzahl paralleler Abschnitte, um mehrere Abschnittsbilder zu erstellen; 52

2.              Drucken jedes der Abschnittsbilder mit Tinte (308) auf ein separates angestrichenes Metalltorsegment (300), und 53

3.              Zusammenfügen der Torsegmente (300), um ein zusammengefügtes Tor (10) mit dem Aussehen des ersten digitalen Bildes zu erzeugen. 54

2.

Unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens in der Berufungsinstanz hat die Beklagte eine Verwirklichung der Merkmale 1. und 2. der vorstehenden Merkmalsgliederung nicht mehr erheblich in Abrede gestellt. Bei der angegriffenen Ausführungsform handelt es sich um ein unmittelbares Verfahrenserzeugnis i.S.v. § 9 S. 2 Nr. 3 PatG. 56

a)

Das durch Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Verfahren zeichnet sich nicht allein dadurch aus, dass anders als im Stand der Technik (WO 03/084760 A1, Anlage B&B 10) nicht mehr ein ganzes Torblatt eine Druckvorrichtung durchläuft und dort bedruckt wird, sondern dass der Druckvorgang auf das Bedrucken einzelner, im Anschluss zu einem Gesamtbild zu verbindender Segmente aufgeteilt wird. Gefordert wird vielmehr das Teilen eines ersten digitalen Bildes in eine Anzahl paralleler Abschnitte, um mehrere Abschnittsbilder zu erstellen und das Drucken jedes der Abschnittsbilder mit Tinte auf ein separates angestrichenes Metalltorsegment. Auch wenn der Fachmann dem für die Reichweite des Schutzbereichs maßgeblichen Patentanspruch 1 (Art. 69 EPÜ) keine dahingehende Vorgabe entnimmt, dass der Druckvorgang erst dann gestartet werden darf, wenn die Aufteilung des digitalen Bildes beendet ist, impliziert Patentanspruch 1 eine bestimmte zeitliche Reihenfolge. Er belässt es nicht bei der Forderung nach einer Teilung des ersten digitalen Bildes in einzelne parallele Abschnitte. Eine solche Aufteilung in eine Anzahl paralleler Abschnitte soll vielmehr erfolgen, um mehrere Abschnittsbilder zu erstellen, die ihrerseits mit Tinte (jeweils) auf ein separates angestrichenes Metalltorsegment gedruckt werden sollen. Damit ein Abschnittsbild (und nicht lediglich das Gesamtbild bzw. ein Teil hiervon) gedruckt werden kann, muss es zuvor erstellt werden. Nicht vom Schutzbereich umfasst ist somit eine Gestaltung, bei welcher sich der Druckvorgang auf das Gesamtbild erstreckt und lediglich im Fall des Segmentwechsels kurzzeitig unterbrochen wird. 58

Eine Bestätigung hierfür erhält der Fachmann mit Blick auf Figur 15 des Klagepatents. Bei der dort gezeigten Ausführungsvariante der Erfindung werden der Druckvorrichtung parallel mehrere Segmente zugeführt und zeitgleich mit jeweils einem separaten Bild bedruckt. Auch wenn es sich lediglich um ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel handelt, das nur der Beschreibung von Möglichkeiten der Verwirklichung des Erfindungsgedankens dient und daher grundsätzlich keine einschränkende Auslegung des die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs erlaubt (vgl. BGHZ 160, 204, 210 = GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH, GRUR 2007, 778, 779 f. – Ziehmaschinenzugeinheit; GRUR 2008, 779, 783 – Mehrgangnabe; BGH, GRUR 2021, 942, 944 – Anhängerkupplung II; OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Urt. v. 02.12.2021, Az.: I-15 U 43/20, GRUR-RS 2021, 37601 – Schiebedach II; Urt. v. 09.12.2021, Az.: I-2 U 12/21, GRUR-RS 2021, 41553, Rz. 47  – Wärmedämmelement), geht daraus klar hervor, welches Grundprinzip dem erfindungsgemäßen Verfahren zugrundeliegt: Auf jedes Segment soll jeweils ein Abschnittsbild gedruckt werden, welches demnach mit Druckbeginn existieren muss. Eine, nicht den Schutzbereich beschränkende Ausführungsvariante zeigt Figur 15 nur insofern, als dass es erfindungsgemäß nicht zwingend eines parallelen Bedruckens mehrerer Segmente mit jeweils einem Abschnittsbild bedarf. 59

Nichts anderes folgt aus der maßgeblichen englischen Anspruchsfassung, in der es heißt: 60

„ […] 61

dividing a first digital image into a number of parallel sections to form multiple section images; printing with ink (308) each of the section images on a separate painted metal door segment (300) […]” 62

Auch aus dem englischen Anspruchswortlaut geht somit klar hervor, dass es für eine Verwirklichung des beanspruchten Verfahrens der Einhaltung einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge bedarf: Gedruckt werden sollen die aus dem Teilungsvorgang gewonnenen Abschnittsbilder, was bedingt, dass das jeweilige Abschnittsbild im Zeitpunkt seines Druckes bereits existiert. Davon kann dann keine Rede mehr sein, wenn sich der Druckvorgang auf das (zunächst noch) ungeteilte Gesamtbild erstreckt, auch wenn dieses Gesamtbild nacheinander auf mehrere Metalltorsegmente gedruckt wird. Es mag sein, dass sich auch mit einem solchen Vorgehen vergleichbare Ergebnisse wie mit dem erfindungsgemäßen Verfahren erzielen lassen. Am Ende steht stets eine Vielzahl von bedruckten Metalltorsegmenten, die sich zu einem das Gesamtbild zeigenden Tor zusammenfügen lassen. Patentanspruch 1 stellt jedoch nicht ein bestimmtes Erzeugnis im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG, sondern ein Verfahren unter Schutz, so dass es entscheidend auf die unter Schutz gestellte Verfahrensführung ankommt. 63

Soweit die Klägerin ein weiteres Verständnis des Schutzbereichs aus den auf Figur 12 bezogenen Absätzen [0045] und [0046] herzuleiten versucht, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Dort heißt es in deutscher Übersetzung: 64

„Wie weiterhin in ABB.12 gezeigt, kann der Druckabschnitt 600 auch Innen- und Außentürsensoren 602, 604 umfassen, um einen gesteuerten Vorschub in den Druckabschnitt 600 zu ermöglichen. Die Sensoren 602, 604 tasten insbesondere die Einlaufkante und die Hinterkante des Torsegmentes ab. Bei einer Anordnung sind die Sensoren 602, 604 optische Sensoren, die einen Lichtstrahl nach oben oder unten richten, wenn eine Torkante das Licht passiert. Im Betrieb kann der Innensensor 602 so konfiguriert werden, dass er die Einlaufkante und vorzugsweise auch die Hinterkante während der Beförderung des Tores (z. B. über ein Endlosband oder einen Rollenvorschub) vom Montageabschnitt 500 zum Druckabschnitt 600 abtastet. Die Erfassung der Eintrittskante des Tores zeigt an oder signalisiert der Controllereinheit 1200 anderweitig, dass das Tor im Druckabschnitt 600 angekommen ist. Nach dem Druck tastet der Außensensor die Hinterkante des Tores ab und signalisiert der Controllereinheit, dass der Druckabschnitt bereit ist zur Aufnahme weiterer Tore. 65

Bei einer Konstruktion können die Türsensoren 602, 604 fotoelektrische Sensoren sein, die einen Gegenstand erfassen. Es können jedoch auch andere Arten von Sensoreinheiten sein, wie z. B. Kontaktfühler, kapazitive Sensoren oder Endschalter. Ein kapazitiver Sensor kann die Hinterkante des Tores erfassen, indem er eine Änderung der Kapazität durch das Tor erfasst, wenn das Tor am Detektor vorbeirückt. Die Torpositionssensoren 602, 604 sind operativ mit der Mikroprozessor-Controllereinheit 1200 über eine Schnittstellenkontroll-Hardware verbunden, z. B. über Kabel oder kabellose Verbindungen. Dies erlaubt es der Controllereinheit 1200 gleichfalls, ein von den Torsensoren 602, 604 generiertes Erfassungssignal zu empfangen und zu verarbeiten. So reduziert die aktive Steuerung Produktionsfehler, ohne von konventionellen Zeitrastern abhängig zu sein. Die sequentielle Erfassung der Einlauf- und der Hinterkante ermöglicht die Verwendung unterschiedlicher Torlängen ohne Anpassungen an das Timing. Darüber hinaus wird ein Tor geeignet erfasst, um mit dem Druckvorgang zu beginnen.“ 66

(Hervorhebungen hinzugefügt) 67

Die bei der in Figur 12 gezeigten Gestaltung zu findenden Sensoren dienen somit der Steuerung des Vorschubs in den Druckabschnitt und der Reduzierung von Produktionsfehlern durch eine aktive Steuerung des Transports der einzelnen Torsegmente. Anhaltspunkte dafür, dass mit der Abtastung der Einlauf- und/oder Hinterkante eine an den jeweiligen Druckvorgang angepasste Teilung eines zu druckenden Gesamtbildes in Abschnittsbilder dergestalt realisiert werden soll, dass das Gesamtbild erst während eines laufenden Druckvorgangs in ein bestimmtes Abschnittsbild geteilt wird, sucht der Fachmann in den vorgenannten Abschnitten der Klagepatentbeschreibung vergebens. Soweit die sequentielle Erfassung der Einlauf- und der Hinterkante die Verwendung unterschiedlicher Torlängen ohne Anpassungen an das Timing ermöglichen soll, ist auch dieser Hinweis im Zusammenhang mit der den Sensoren zuvor zugewiesenen Funktion zu lesen. Dadurch, dass die Sensoren sowohl die Einlauf- als auch die Hinterkante der einzelnen Segmente erfassen, bedarf es keiner Steuerung des Druckvorgangs über vorgegebene Zeitfenster, die jeweils, ggf. auch manuell, an das zu bedruckende Segment angepasst werden müssen. Vielmehr wird eine automatische Anpassung des Druckvorgangs auf der Grundlage der Sensordaten ermöglicht. Nichts gesagt ist damit jedoch zum Inhalt der jeweils zu druckenden Informationen, zu deren Bearbeitung und zum Zeitpunkt einer Solchen. Ein dahingehender Rückschluss, das Klagepatent schließe ein paralleles Drucken und Teilen in Bezug auf einen bestimmten Abschnitt des Gesamtbildes nicht aus, lässt sich daraus somit nicht ziehen. 68

b)

Gemessen daran hat die Beklagte unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens in der Berufungsinstanz nicht erheblich in Abrede gestellt, dass das von ihr bei der Herstellung der angegriffenen Ausführungsform zum Einsatz kommende Verfahren von sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch macht. 70

aa)

Erstmals im Berufungsverfahren hat die Klägerin als Anlage K 18 ein Video präsentiert, wonach die einzelnen Paneele der angegriffenen Ausführungsform in Quer- und nicht – wie zunächst angenommen – in Längsrichtung bedruckt werden. Dieses neue tatsächliche Vorbringen hat die Beklagte nicht bestritten, weshalb diese Behauptung als zugestanden gilt, § 138 Abs. 3 ZPO. Sie ist auch in zweiter Instanz zu berücksichtigen. Das gilt schon deshalb, weil der Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsrechtszug, auch soweit sie im ersten Rechtszug aus Nachlässigkeit nicht geltend gemacht worden sind, nicht für unstreitige Tatsachen gilt. Aus der die Zwecke des Zivilprozesses und der Präklusionsvorschriften berücksichtigenden Auslegung der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 ZPO ergibt sich, dass unter „neue Angriffs- und Verteidigungsmittel” im Sinne des § 531 ZPO lediglich streitiges und beweisbedürftiges Vorbringen fällt. Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht gemäߧ 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung ohne Weiteres zu Grunde zu legen (BGHZ 161, 138, 141 ff. = NJW 2005, 291; BGHZ 166, 29 = NJW-RR 2006, 630 Rz. 6; BGHZ 177, 212 = NJW 2008, 3434 Rz. 9 ff.; BGH, NJW-RR 2006, 755 R. 5; NJW 2009, 2532 Rz. 19; OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Düsseldorf
, Urt. v. 13.08.2020 – I-2 U 52/19, GRUR-RS 2020, 49189, Rz. 68 – WC-Sitzgelenk II). 72

bb)

Ausgehend hiervon hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass ein solcher Druckvorgang in Querrichtung, der unstreitig auch die Erzeugung von Überlappungen an den Übergängen der Paneele ermöglicht, zwangsläufig nur dann realisiert werden könne, wenn das auf das gesamte Tor zu druckende Bild zuvor in einzelne Abschnittsbilder geteilt wurde. Auf andere Weise könne dem Drucker nicht vermittelt werden (insbesondere nicht durch das manuelle Anhalten und Neujustieren des Druckkopfes), dass bestimmte Segmente des Gesamtbildes zweimal gedruckt werden sollen. Letzteres werde dadurch bewerkstelligt, dass der Endbereich des Abschnittsbildes und der Anfangsbereich des darauffolgenden Abschnittsbildes dasselbe Segment des Gesamtbildes aufwiesen. 74

Ist dem so, macht die Beklagte von dem durch das Klagepatent geschützten Verfahren wortsinngemäß Gebrauch. Es wird ein erstes digitales Bild in eine Anzahl paralleler Abschnitte geteilt, um mehrere Abschnittsbilder zu erstellen, wobei jedes der Abschnittsbilder mit Tinte auf ein separates angestrichenes Metalltorsegment gedruckt wird (Merkmale 1. und 2.). Im Anschluss werden die Torsegmente unstreitig zusammengefügt, um ein zusammengefügtes Tor mit dem Aussehen des ersten digitalen Bildes zu erzeugen (Merkmal 3.). 75

cc)

Den durch die Klägerin auf dieser Grundlage erhobenen Verletzungsvorwurf kann die Beklagte nicht dadurch erheblich Bestreiten, dass sie lediglich den klägerischen Vortrag dahingehend kritisiert, es fehle an genaueren Angaben zur behaupteten Zwangsläufigkeit. 77

(1)

Die Substantiierungslast des Bestreitenden hängt davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat: Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen (BeckOK ZPO/Bacher, 43. Edition Stand: 01.12.2021, § 286 Rz. 18). Dabei obliegt es zunächst der darlegungsbelasteten Partei, ihr Vorbringen zu konkretisieren und zu detaillieren (BGH, NJW 1999, 1404). Je detaillierter ihr Vorbringen ist, desto höher sind die Substantiierungsanforderungen gemäß § 138 Abs. 2 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, NJW-RR 2011, XXA9; BGH, NJW-RR 2015, 468; BGH, NJW-RR 2018, 1089; BGH, NJW-RR 2020, 1320, jew. m.w.N.). Substantiiertes Vorbringen kann danach grundsätzlich nicht pauschal bestritten werden (BGH, NJW 2010, 1357; BGH, NZG 2018, 497; BGH, NZG 2020, 1149). Hat etwa die klagende Partei ihren Vortrag durch Vorlage von Unterlagen hinreichend konkretisiert, so muss die beklagte Partei dieses Vorbringen ebenso qualifiziert Bestreiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH, NJW 1983, 687; BGH, NJW 1987, 2008; BGH, NJW 2005, 2614; BGH, NJW-RR 2019, 1332). In diesen Fällen ist einfaches Bestreiten mit Nichtwissen nicht zulässig, sondern es kann von dem Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (BGH, NJW 2008, 982, 984). Dies erfordert eine konkrete Erwiderung, indem sich die beklagte Partei aktiv an der Sachverhaltsaufklärung beteiligt, zu den einzelnen relevanten Behauptungen der klagenden Partei Stellung nimmt und eine eigene Darstellung dazu liefert, dass und weshalb diese Behauptung unzutreffend ist (OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, GRUR-RR 2021, 421 – Montagegrube; Urt. v. 09.12.2021, GRUR-RS 2021, 39600, Rz. 65 – Rasierapparat). 79

(2)

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs genügt der Vortrag der Beklagten nicht den Anforderungen an ein qualifiziertes Bestreiten. 81

Die durch die Klägerin aufgestellte Behauptung, der bei der Beklagten unstreitig eingesetzte Querdruck lasse sich ausschließlich durch eine vorherige Aufteilung des Bildes in Abschnittsbilder realisieren, kann die Beklagte nur dadurch Bestreiten, dass sie selbst konkret ein hiervon abweichendes Vorgehen benennt. Da sie das Verfahren selbst einsetzt und auch Rücksprache beim Hersteller der angegriffenen Ausführungsform halten kann, ist sie – anders als die Klägerin – dazu auch ohne Weiteres in der Lage. Eine solche Vortragslast trifft die Beklagte umso mehr, nachdem sie zunächst die (offenbar unzutreffende) Behauptung aufgestellt hat, bei dem durch sie eingesetzten Verfahren werde der Druckvorgang lediglich beim Übergang zu einem neuen Paneel unterbrochen. Dass sich ein solches Vorgehen schwerlich mit dem eingesetzten Querdruck in Einklang bringen lässt, bedarf keiner näheren Erläuterung. 82

Aus der durch die Beklagte als Anlage B 1 zur Akte gereichten Übersicht, in welcher sich die Herstellerin der eingesetzten Druckeinheit näher zum Druckverfahren äußert, folgt nichts anderes. Dort heißt es unter anderem bezogen auf Patentanspruch 1 des Klagepatents: 83

„[…] Similary as under the solution described in the patent, different images (as part of whole image that should be the result image on the doorways) can be printed on seperate segments on doorways. However, as regards the Device: 84

(i)             the motif is not cut into the sections to be printed on each segment prior to sending the image for printing; the size of the image is customized so that it fits to the doorway as a whole (this is done in a computer outside the Device) and then (after uploading the customized image into the Device) the Device starts printing on the first segment until it reaches the end and continues with printing on next segment; 85

[…] 86

Under printing type 2, it does print partial image on each segment (the way of „creating“ such partial image is different then cutting the image in advance before printing. 87

[…]“ 88

Und im Hinblick auf den, vergleichbare Verfahrensschritte beinhaltenden Patentanspruch 7: 89

„Under type 2) of printing, the assembled doorway does give the look of one compact image; however, such image is not divided before the printing (the image is sent as a whole for the printing) into sections that are each printed out on seperate segment and that creates together the final image […] 90

The Device does not divide the image before printing“. 91

Auch die Stellungnahme der Herstellerin lässt somit nicht im Ansatz erkennen, wie – wenn nicht durch die vorherige Aufteilung der sodann einzeln zu druckenden Abschnittsbilder – der bei der Herstellung der angegriffenen Ausführungsform eingesetzte Querdruck realisiert werden soll. Allein das behauptete Hochladen des Gesamtbildes und des abschnittsweisen Drucks der Segmente reicht hierfür erkennbar nicht aus. 92

Nichts anderes folgt aus der durch die Beklagte als Anlage B 11 vorgelegten Abbildung des Bedienbildschirms der angegriffenen Ausführungsform. Weshalb dieser den Schluss zulassen soll, es werde – bis zum Abschluss des Drucks – nur eine Datei als Ganzes verarbeitet, erschließt sich nicht und wird durch die Beklagte auch nicht hinreichend erläutert. Allein die Eingabe der Gesamtmaße des Garagentores lässt ebenso wenig wie das Druckergebnis in Gestalt eines kompletten Garagentores Rückschlusse darauf zu, wie dieser Druck im Hintergrund – wenn nicht durch den Querdruck einzelner Abschnittsbilder – realisiert wird. Eine Erklärung zu dieser Frage ist die Beklagte bis zum Verhandlungsschlusszeitpunkt schuldig geblieben. 93

3.

Da die Beklagte durch das Angebot und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform das Klagepatent unmittelbar (§ 9 S. 2 Nr. 3 PatG) verletzt, ergeben sich die folgenden Rechtsfolgen: 95

a) 96

Der Unterlassungsanspruch beruht auf Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes im Inland ohne Berechtigung erfolgt. 97

b)

Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG folgt. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. 99

Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin aber noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO. 100

c)

Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihre Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung im zuerkannten Umfang zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar ausArt. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG ohne Berücksichtigung eines Karenzmonats, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Rechnungslegungspflicht folgt aus §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die ihr abverlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. 102

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. 104

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO. 105

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbHRecht I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Beweislasterleichterung, Beweislastumkehr, Darlegung, Darlegungs- und Beweislast, Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes, objektive Beweislast, Sachvortrag, sekundäre Beweislast, sekundäre Darlegungslast, Vier-Augen-Gespräch, Waffengleichheit

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OLG Düsseldorf, Urteil vom 3. Februar 2022 – 6 U 36/21

Donnerstag, 3. Februar 2022

§ 249 Abs 1 BGB, § 278 BGB, § 280 Abs 1 S 1 BGB, § 675 BGB, § 929 S 1 BGB, § 930 BGB, § 1 Abs 2 Nr 7 VermAnlG

1. Die Fachkompetenz eines Anlageberaters ist auch und gerade dann gefragt, wenn die eigene Risikoeinordnung eines Kunden und das bisherige Anlageverhalten sowie der Anlagezweck einander widersprechen.

2. Die Empfehlung einer unternehmerischen Beteiligung mit Totalverlustrisiko kann schon für sich genommen fehlerhaft sein, wenn eine sichere Anlage für Zwecke der Altersvorsorge gewünscht wird (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012, III ZR 66/12).

3. Die unterlassene Prüfung einer empfohlenen Kapitalanlage kann nur dann zur Haftung führen, wenn bei dieser Prüfung ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Anleger hätte aufgeklärt werden müssen, oder aber wenn erkennbar geworden wäre, dass eine Empfehlung der Kapitalanlage nicht anleger- und/oder objektgerecht ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 2009, III ZR 302/07).

4. Ein Kauf- und Verwaltungsvertrag, der keine Risikodarstellung enthält, reicht als Beratungsgrundlage nicht aus.

5. Eine Bank, die eine Geldanlage unter Hinweis auf auf das Eigentum an Containern empfiehlt, ist gehalten, der Frage nachzugehen, ob die Anleger Eigentum an den von ihnen gekauften Containern erlangen.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 22.12.2020 wird mit der Maßgabe, dass der Tenor dahin berichtigt wird, dass es statt „Containerkaufvertrag“ jeweils „Containerkauf- & Verwaltungsvertrag“ heißt, auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

  I.

Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Schadensersatz in Anspruch, nachdem er sich am 12.05.2016 an dem „A. CI-Programm“ beteiligt und hierfür einen Betrag von 38.570,00 EUR eingesetzt hat. Randnummer2

Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Randnummer3

Das Landgericht hat die Klage als begründet angesehen und, soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung, ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 33.755,97 EUR zu. Als Vorteil seien – neben den angerechneten Mietzahlungen – die Rechte aus dem Kauf- und Verwaltungsvertrag zurückzugewähren; dem trage die im Tenor enthaltene Zug-um-Zug-Einschränkung Rechnung. Außerdem habe die Beklagte dem Kläger 2.256,24 EUR für die vorgerichtliche Tätigkeit seiner Anwälte zu erstatten und sei der Annahmeverzug der Beklagten sowie deren Verpflichtung festzustellen, den Kläger von Ansprüchen des Insolvenzverwalters freizustellen. Unstreitig sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Die Beklagte habe jedenfalls gegen ihre Pflicht zur anlagegerechten Beratung verstoßen. Es könne dahinstehen, ob der Berater der Beklagten die Anlage als risikolos angepriesen oder der vom Kläger unterzeichneten Dokumentation folgend über die Risiken aufgeklärt habe. Denn auch der Inhalt der Dokumentation sei nicht geeignet, über die bestehenden Risiken vollständig und zutreffend aufzuklären. Die Beklagte hätte den Kläger, so das Landgericht, darauf hinweisen müssen, dass auch nach Eigentumsverschaffung ein erhebliches Risiko durch die Haftung für den Container und nicht bezahlte Standgebühren bestehe, das über den Totalverlust habe hinausgehen können. Über dieses Risiko sei schon nach der Behauptung der Beklagten nicht aufgeklärt worden. Die Gesprächsdokumentation, anhand derer der Berater der Beklagten die Beratung des Klägers vorgenommen haben solle, enthalte keinen Hinweis auf ein über das Totalverlustrisiko hinausgehendes Verlustrisiko bis zur Privatinsolvenz des Anlegers. Zu einem späteren Zeitpunkt hätten die Risikohinweise der Emittentin jedoch auch diesen Hinweis enthalten, was der Kammer aus einem Parallelverfahren bekannt sei. Dass ihr Berater den Kläger auf Risiken hingewiesen habe, welche in der Gesprächsdokumentation nicht erwähnt seien, behaupte die Beklagte nicht. Nach dem Grundsatz der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens sei davon auszugehen, dass der Kläger den Kauf- und Verwaltungsvertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn er von der Beklagten vollständige und richtige Auskünfte erhalten hätte. Die Beweisaufnahme habe die entgegenstehende Behauptung der Beklagten nicht zur Überzeugung der Kammer zu bestätigen vermocht. Der Kläger habe ausgesagt, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn er gewusst hätte, dass er nicht nur das angelegte Kapital, sondern auch darüber hinaus Geld verlieren könne. Die Kammer habe keine Veranlassung, insofern vom Gegenteil überzeugt zu sein. Mit diesen glaubhaft geschilderten Vorstellungen des Klägers sei die Anlage, die mit einem über das Totalverlustrisiko hinausgehenden Privatinsolvenzrisiko behaftet sei, nicht vereinbar. Randnummer4

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, die Beratung des Klägers sei fehlerfrei, insbesondere objektgerecht erfolgt. Tatsächlich habe den Anlegern keine „Haftung für den Container und nicht bezahlte Standgebühren“ gedroht. Aus dem geschlossenen Vertrag sei der Kläger nur zur Zahlung des Kaufpreises für die Container verpflichtet gewesen. Weitere Leistungspflichten seien nicht begründet worden. Das vom Landgericht angenommene Risiko bestehe nicht. Insoweit bezieht sich die Beklagte auf die „Allgemeinen Bedingungen für die Nutzung des Hamburger Hafens durch Wasserfahrzeuge der Hamburg Port Authority AöR“ (Anlage B 5), aus denen sich ergebe, dass Zahlungspflichten einen privatrechtlichen Vertrag voraussetzten. Ein solcher Vertragsschluss sei aber praktisch ausgeschlossen, soweit es um die Containereigentümer selbst gehe und scheitere im Übrigen an der fehlenden Vollmacht der Emittentinnen, der Containermieter oder der Reedereien. Ein Haftungsrisiko bestehe auch in Bezug auf ausländische Hafenbehörden nicht. Etwaige Ansprüche wären in Deutschland nicht durchsetzbar und es sei bei wirtschaftlicher Betrachtung auch völlig fernliegend anzunehmen, dass eine ausländische Hafenbehörde diesen Weg beschreiten würde. Der Kläger habe es damit selbst in der Hand, zu entscheiden, welche Aufwendungen er freiwillig investieren wolle, um seine Container zu erhalten. Im Übrigen habe sie, die Beklagte, über das Risiko zusätzlicher Kosten hinreichend aufgeklärt. Insoweit verweist die Beklagte darauf, dass die Kauf- und Verwaltungsverträge auf der Grundlage des Angebots der Emittentin angeboten worden seien, in welchem ausgeführt werde, dass Kosten für Wartung, Reparatur und Versicherung vom Mieter der Container übernommen würden. Dies setze zwar voraus, dass es einen Mieter gebe und dieser leistungsfähig sei. Auf das Risiko, dass der Mieter ausfallen könnte, sei der Kläger in der Gesprächsdokumentation (Anlage B 4) aber hingewiesen worden. Dieses Risiko sei auch nicht verharmlost worden. Dass eine Neuvermietung erforderlich werden könnte, werde in den Beratungsunterlagen neutral dargestellt. Dass in diesen nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass Kosten für Wartung, Reparatur, Versicherung und anderes zu einer Privatinsolvenz des Anlegers führen könnten, sei nicht zu beanstanden. Auch hätte es der Anleger bei einem Ausfall des Containermieters selbst in der Hand gehabt, fortlaufende Kosten zu begrenzen, indem er einen Container verkaufe. Eine Privatinsolvenz infolge fortlaufender Kosten komme daher nur in Betracht, wenn der Anleger selbst kostenpflichtige Aufträge erteilen und danach über längere Zeit untätig bleiben würde. Über ein derart fernliegendes Risiko sei nicht aufzuklären. Das Landgericht habe daher die Anforderungen an die objektgerechte Beratung überspannt. Diese müsse sich nur auf Risiken mit wesentlicher Bedeutung beziehen, mit deren Verwirklichung ernsthaft zu rechnen sei oder die jedenfalls nicht ganz entfernt lägen. Mit Recht werde in der zu den A.-Containern ergangenen Rechtsprechung eine Pflicht zur Aufklärung über ein Totalverlustrisiko ganz überwiegend abgelehnt. Sei eine solche Pflicht zu verneinen, so gelte dies erst recht für eine Aufklärung über vermeintliche Kostenrisiken. Randnummer5

Die Beklagte beantragt (sinngemäß), Randnummer6

die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Kleve vom 22.12.2020 (4 O 326/19) abzuweisen. Randnummer7

Der Kläger beantragt, Randnummer8

die Berufung zurückzuweisen. Randnummer9

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil als im Ergebnis zutreffend und meint, seine Klage stütze sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher Pflichtverletzungen der Beklagten, von denen jede einzelne für sich gesehen bereits zum titulierten Anspruch führe. Der Kläger verweist unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen auf eine seiner Ansicht nach unterlassene Plausibilitätsprüfung, die Ungeeignetheit der Geldanlage zur Altersvorsorge, die unterlassene Aufklärung über die Risiken der Containerprodukte der A.-Gruppe und das Fehlen einer Vergleichsberechnung bzw. eines Hinweises auf die Möglichkeit einer Vergleichsberechnung. Randnummer10

Er, der Kläger, sei hinsichtlich der Frage des Eigentumserwerbs an den Containern durch die Anleger grundlegend anderer Rechtsauffassung als das Landgericht, welches sich trotz seines umfangreichen Vortrags mit dieser Thematik nicht einmal ansatzweise auseinandergesetzt habe. Teile man seine Ansicht, die des Insolvenzverwalters der A. CV-GmbH und auch des LG Karlsruhe (20 O 42/20) und des OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(3 U 18/20), habe aufgrund der Konstruktion des Kapitalanlageproduktes bestimmungsgemäß kein Anleger, und damit auch er, der Kläger, nicht, Eigentum an irgendeinem verkauften Container erworben. Komme man zu diesem Ergebnis, sei die rechtliche Argumentation des Landgerichts nicht haltbar. Randnummer11

Die Beklagte stütze ihre Berufung umfassend auf neuen Vortrag, mit dem sie präkludiert sei und den er, der Kläger, als verspätet rüge. Die Rechtsauffassung der Beklagten sei aber auch rechtsirrig, da sie übersehe oder nicht verstehe, dass der Eigentümer eines Containers hafte, weil er Eigentümer sei und zwar unabhängig davon, ob er sich vertraglich gegenüber Dritten verpflichtet habe. Über das Risiko zusätzlicher Kosten seien die Anleger und auch er gerade nicht aufgeklärt worden. Im Übrigen vergesse die Beklagte vorzutragen, dass sie ihm, dem Kläger, anhand der Beispielrechnung erklärt habe, dass darin überhaupt kein Risiko liege, da die Mietzahlungen garantiert seien. In der Beispielrechnung sei von keinerlei Risiken die Rede, sie lasse auch weder Raum für eventuelle Risiken noch weise sie darauf hin. Die Beispielrechnung enthalte auch kein mögliches schlechteres Szenario oder gar ein Worst Case Szenario. Jegliche Risiken würden ausgeblendet und damit ganz bewusst und vorsätzlich relativiert. Er bestreite, dass es die Anleger selbst in der Hand gehabt hätten, fortlaufende Kosten zu begrenzen. Einmal unterstellt, der Anleger wäre überhaupt Eigentümer eines Containers geworden, würde dies voraussetzen, dass der Anleger jederzeit wisse, wann seine Container sich wo in wessen Besitz befänden. Das sei unstreitig nie der Fall gewesen. Ein Anleger, der weder wisse, wo sich „seine“ Container befänden, noch „welche konkreten Container“ ihm gehörten, und auch nicht wisse, in wessen Besitz sich diese Container gerade befänden, werde diese bereits wegen der nicht möglichen Konkretisierung nicht schuldrechtlich verkaufen können. Daraus ergäben sich jede Menge weiterer wirtschaftlich nachteiliger Rechtsfolgen für den Anleger. Randnummer12

Der Beklagten sei aber auch eine unterlassene Plausibilitätsprüfung anzulasten. Hätte die Beklagte das streitgegenständliche Containerangebot der ihr obliegenden Prüfung unterzogen, wäre ihr aufgefallen, so der Kläger, dass ein Eigentumserwerb der Anleger als Käufer überhaupt nicht vorgesehen und bereits in tatsächlicher Hinsicht auch nicht möglich gewesen sei. Die Anleger hätten laut Angebot und Vertrag lediglich eine gewisse Anzahl eines bestimmten Containertyps gekauft, ohne dass einzelne Container in den Kaufverträgen individuell zugeordnet und den einzelnen Anlegern übereignet worden seien. Gleichwohl sei den Anlegern im Widerspruch dazu immer das Eigentum an den von ihnen gekauften Containern versprochen worden. In der ihr eigenen Offenheit trage die Beklagte im Schriftsatz vom 28.05.2020 dann auch selbst vor, dass sie zu keinem Hinweis dahingehend verpflichtet gewesen sei, dass die Anleger durch den Abschluss des Vertrages kein Eigentum erworben hätten, obwohl dies in den Beratungsunterlagen immer so dargestellt worden sei. In allen Unterlagen sei dargestellt, dass der Anleger durch den Abschluss des Kauf- & Verwaltungsvertrages Eigentum an den dort „verkauften“ Containern erwerbe; auch die Beklagte habe ihm das im Rahmen der Anlageberatung so erklärt. Und genau dies sei falsch. Die Beklagte hätte ihn, den Kläger, daher über die insofern nicht gegebene Plausibilität sowie über die aus der Nichterlangung der Eigentümerstellung sich ergebenden Risiken aufklären müssen. Wäre die Beklagte dem nachgekommen, hätte er, der Kläger, von dem Erwerb der Container abgesehen. Randnummer13

Die Beklagte repliziert hierauf, der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe auch in der Berufungserwiderung nicht darzulegen vermocht, dass in Bezug auf eine „Haftung für den Container“ ein aufklärungspflichtiges Risiko gegeben sei, also ein solches, mit dessen Eintritt ernsthaft zu rechnen oder dessen Verwirklichung nicht nur ganz entfernt gelegen habe. Aufklärung über ein nur gedachtes Risiko könne der Kläger nicht verlangen, ohne Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass dieses auch vorgelegen habe. Vertragliche Ansprüche kämen ebenso wenig in Betracht wie solche deliktischer Art. Erst wenn es zu einem Wegfall der Emittentin oder der Containermieterin gekommen und der Besitz an den Containern von letzterer aufgegeben worden wäre, entstünde Raum für die Eigentümerhaftung. Die Beklagte verweist ergänzend auf das Urteil des Hanseatischen OLG BremenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vom 12.05.2021 (1 U 22/20) und meint, aus der Eigentümerstellung resultierende Kosten seien nicht aufklärungspflichtig, weil das Bestehen finanzieller Lasten jedem Anleger bekannt sei. Randnummer14

Sie, die Beklagte, habe auch nicht ihre Pflicht zur Banküblichen Prüfung der empfohlenen Kapitalanlage verletzt. Die zu übereignenden Container seien im Kauf- & Verwaltungsvertrag, für den deutsches Recht vereinbart worden sei, gattungsmäßig bezeichnet gewesen. Um die Konkretisierung hätten sich die Anleger selbst bemühen müssen. Selbst wenn die spätere Eigentumszertifizierung dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht gerecht geworden wäre, wäre dieses vertragswidrige Verhalten der Emittentin im Rahmen der von ihr geschuldeten allgemeinen Plausibilitätskontrolle nicht vorhersehbar gewesen. Die Übereignung der Container sei auch nicht von vorneherein unmöglich gewesen, da mit dem Verwaltungsvertrag ein Besitzkonstitut vereinbart worden sei, wie das OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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entschieden habe (Beschluss vom 13.07.2020 – 8 U 2610/20). Dass ein Eigentumserwerb nach einer fremden Rechtsordnung nicht möglich gewesen wäre, habe der Kläger nicht dargetan. Jedenfalls habe es sich um eine ungeklärte und schwierige Rechtsfrage gehandelt, welche sie, die Beklagte, nur unter Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe (Rechtsgutachten) hätte abklären können, wozu sie aber nicht verpflichtet gewesen sei (so OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aaO). Randnummer15

Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Insolvenzverwalter der „A.“ sich unter Hinweis auf das vertraglich vereinbarte Abtretungsverbot weigere, die Übertragung der Rechte der Anleger anzuerkennen. Dem sei Rechnung zu tragen. Randnummer16

Der Senat hat in der Sitzung vom 02.12.2021 darauf hingewiesen, unter welchen vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil nicht behandelten weiteren Aspekten eine Pflichtverletzung in Betracht kommen dürfte. Dem ist die Beklagte mit nachgelassenem Schriftsatz vom 13.01.2022, auf den im Einzelnen verwiesen wird, entgegengetreten. Randnummer17

Zur Vervollständigung des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 02.12.2021 sowie die in diesem Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.

  II.

Die Berufung ist nicht begründet. Dem Kläger steht aus Anlass des aufgrund der pflichtwidrigen Beratung durch die Beklagte abgeschlossenen Kauf- & Verwaltungsvertrages vom 12.05.2016 ein Schadensersatzanspruch in vom Landgericht zuerkanntem Umfang zu, §§ 280 Abs. 1 S. 1, 675 BGB iVm § 249 BGB. Die Beklagte hat sowohl ihre Pflicht zur anleger-, als auch zur anlagegerechten Beratung des Klägers verletzt. Randnummer191. Die Parteien sind nach zutreffender und mit dem Rechtsmittel nicht angegriffener Feststellung des Landgerichts durch einen aus Anlass des Abschlusses des Kauf- & Verwaltungsvertrages LF-…1 mit der – im Folgenden als „A.“ bezeichneten – A. CV-GmbH (Anlage K 2) geschlossenen Anlageberatungsvertrag verbunden. Im Übrigen hat nach der eigenen Darstellung der Beklagten ihr Berater B. dem Kläger die Geldanlage im Rahmen des Gesprächs am 12.05.2016 vorgestellt, den Kläger bei seiner Entscheidungsfindung unterstützt und haben die sich anschließenden Verhandlungen eine konkrete Anlageentscheidung des Klägers zum Gegenstand gehabt, nämlich die Investition von 38.570,00 EUR in das Containerangebot Nr. 302 der A. (Anlage K 3). Randnummer20

Die Beklagte traf somit nach den Grundsätzen des sog. Bondurteils des Bundesgerichtshofs vom 06.07.1993 (BGHZ 123, 126 ff.) die Pflicht zur anleger- und objektgerechten Beratung des Klägers. Inhalt und Umfang der Beratungspflicht sind danach von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprojekt beziehen. Die konkrete Ausgestaltung der Pflicht hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab (BGH aaO). Zu den Umständen in der Person des Kunden gehören insbesondere dessen Wissensstand über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft; zu berücksichtigen ist also vor allem, ob es sich bei dem Kunden um einen erfahrenen Anleger mit einschlägigem Fachwissen handelt und welches Anlageziel der Kunde verfolgt. Die Kenntnis von solchen Umständen kann die Bank aus langjährigen Geschäftsbeziehungen mit dem Kunden gewonnen haben; verfügt sie nicht über entsprechendes Wissen, muss sie Informationsstand und Anlageziel des Kunden erfragen. Die Beratung hat sich daran auszurichten, ob das beabsichtigte Anlagegeschäft der sicheren Geldanlage dienen soll oder spekulativen Charakter hat. Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung dieses Ziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten, also „anlegergerecht“ sein (BGH a.a.O.). In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können, wobei zwischen allgemeinen Risiken wie der Konjunkturlage und den speziellen Risiken zu unterscheiden ist, die sich aus den speziellen Risiken des Anlageobjekts ergeben (BGH a.a.O.). Für den Umfang der Beratung ist insbesondere von Bedeutung, ob die beratende Bank das Anlageobjekt in ein von ihr zusammengestelltes Anlageprogramm aufgenommen hat und sie dieses Anlageprogramm zur Grundlage ihrer Beratung macht. Der Anlageinteressent darf davon ausgehen, dass seine ihn beratende Bank, der er sich aufgrund der von dieser in Anspruch genommenen Sachkunde anvertraut, die von ihr in das Anlageprogramm aufgenommenen Papiere selbst als „gut“ befunden hat. Die Beratung der Bank muss richtig und sorgfältig, dabei für den Kunden verständlich und vollständig sein, die Bank muss demnach zeitnah über alle Umstände unterrichten, die für das Anlagegeschäft von Bedeutung sind. Fehlen ihr derartige Kenntnisse, so hat sie das dem Kunden mitzuteilen und offenzulegen, dass sie zu einer Beratung z.B. über das konkrete Risiko eines Geschäfts mangels eigener Information nicht in der Lage ist (BGH aaO). Randnummer21

2. Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es zunächst an einer anlegergerechten Beratung des Klägers. Es steht außer Streit, dass der Kläger als Anlageziel „Altersvorsorge“ angab und eine sichere Anlage wünschte. Hierunter ist eine solche zu verstehen, bei der jedenfalls das eingesetzte Kapital erhalten bleiben soll [vgl. dazu nur Wiechers/Henning, WM 2015 Sonderbeilage 4, S. 7 unter 2. b) und c)]. Der Kapitalerhalt war bei der in Rede stehenden Anlage jedoch nicht gewährleistet und zur Altersvorsorge war sie ungeeignet. Randnummer22

a) Ihrer anlegerbezogenen Explorationspflicht ist die Beklagte nachgekommen, indem ihr Berater, der Zeuge B., mit dem Kläger die „C.-Bank Basisanalyse“ (Anlage B 1) durchgegangen ist und nach einer Bestandsaufnahme der aktuellen Vermögensstruktur und Abklärung seines Wissens sowie seiner Erfahrungen und Vorkenntnisse die jetzigen Anlageziele und seine Risikobereitschaft abgefragt hat. Danach hatte der Kläger 99,6% seines damaligen Geldvermögens in Höhe von 432.979,70 EUR in sichere Anlagen wie Sparkonten und nur einen Betrag von 1.618,83 EUR in „UniFonds Aktien“ investiert. Als er von dem Berater B. gebeten wurde, anhand eines Blattes mit fünf Risikotypen seine generelle Risikobereitschaft einzuschätzen, wählte der Kläger den Typ 3 „ausgewogener Anleger“ aus. Hierzu heißt es in der „C.-Bank Basisanalyse“ (Anlage B 1): Randnummer23

„Der Anleger erwartet höhere Erträge, aber nicht um jeden Preis. Werteinbußen werden in gewissem Maße temporär in Kauf genommen. Prinzipiell sollen Ertragschancen und Risiken in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.“ Randnummer24

b) Ob dem Kläger allein aufgrund dieser schematischen Einordnung, die ausweislich der Darstellung in der „C.-Bank Basisanalyse“ maximal 50% tendenziell riskante Anlagen zulässt, die streitgegenständliche Geldanlage hätte empfohlen werden dürfen, wie die Beklagte meint, erscheint fragwürdig, kann aber dahinstehen. Gleiches gilt für die Auffassung des Klägers, der meint, eine Geldanlage mit Totalverlustrisiko dürfe nur einem Anleger des spekulativen Risikotyps 5 empfohlen werden. Die Bank darf sich, da es stets auf die konkrete Anlageentscheidung ankommt, ohnehin nicht allein auf derartige standardisierte Risikoklassen stützen. Es ist gerade die Aufgabe des Anlageberaters, ausschließlich Produkte zu empfehlen, die mit den Anlagezielen des Kunden – Anlagezweck und Risikobereitschaft – tatsächlich übereinstimmen (vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2011 – XI ZR 33/10-, juris Rz. 24). Die berufliche Qualifikation des Anlegers oder dessen Gesamtvermögen spielen bei der Beurteilung der Risikobereitschaft des Kunden keine entscheidende Rolle. Die Fachkompetenz des Anlageberaters ist auch und gerade dann gefragt, wenn, wie hier, die eigene Risikoeinordnung und das bisherige Anlageverhalten sowie der Anlagezweck einander widersprechen. Einen solchen Widerspruch muss der Berater ggf. auflösen (so auch Kern in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bankrecht und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2022, Anlageberatung und beratungsfreies Geschäft aus zivilrechtlicher Sicht, Abschnitt III. 2. Rz. 17.59). Schon ob der Berater B. dem Kläger dies deutlich genug vor Augen geführt und sich vergewissert hat, dass dieser diesen Widerspruch erkannt hat, die ins Auge gefasste Geldanlage von A. aber dennoch abschließen wollte, erscheint fraglich. Nicht nur der schriftsätzliche Vortrag des Klägers und dessen Angaben im Rahmen der Parteivernehmung, sondern auch und gerade derjenige der Beklagten lassen vermuten, dass dies nicht der Fall ist. Dies kann aber offenbleiben. Randnummer25

c) Jedenfalls beruft sich die Beklagte erfolglos darauf, dass das Containergeschäft den Anlagezielen und der Risikobereitschaft des Klägers entsprach. Das ist tatsächlich nicht der Fall. Wird eine sichere Anlage für Zwecke der Altersvorsorge gewünscht, so kann die Empfehlung einer unternehmerischen Beteiligung mit Totalverlustrisiko schon für sich genommen fehlerhaft sein (BGH, Urteil vom 06.12.2012 – III ZR 66/12-, juris Rz. 22). So liegen die Dinge auch hier. Richtig ist zwar, dass eine solche Beteiligung für eine ergänzende Altersvorsorge nicht schlechthin oder generell ungeeignet ist (BGH aaO; BGH, Urteil vom 24.04.2014 – III ZR 389/12 -, juris Rz. 28). Von diesem Anlageziel ist aber nicht auszugehen, da es dem Kläger auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht um eine ergänzende, sondern nur um Altersvorsorge ging. Dass der Kläger beispielsweise erklärt habe, er wolle mit der streitgegenständlichen Geldanlage seine Altersrente aufbessern, was für eine ergänzende Altersvorsorge sprechen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2014 – III ZR 365/13-, juris Rz. 14), macht die Beklagte selbst nicht geltend. Sie beruft sich vielmehr darauf, dass der Kläger und seine Ehefrau über reichlich Vermögen verfügten, was der Kläger jedoch – in der Sache zutreffend – als in diesem Kontext unerheblich zurückweist. Der Verweis auf weiteres Vermögen des Anlegers spielt für dessen Risikotragfähigkeit eine Rolle, ist aber für das von ihm mit einer Kapitalanlage verfolgte Anlageziel ohne Bedeutung. Dass es dem Kläger neben der Altersvorsorge zumindest auch darum ging, Steuern einzusparen, macht die Beklagte ebenfalls nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Das Angebot Nr. 302 der A. ist kein Steuersparmodell. Dass die Einnahmen aus der Containervermietung bzw. der Veräußerungsgewinn nach 5 Jahren steuerpflichtig sind, wird in der Beispielrechnung dargestellt; auf mit der Geldanlage verbundene Steuerspareffekte wird an keiner Stelle hingewiesen. Randnummer26

Die Empfehlung der Beklagten entsprach schließlich auch nicht der nur moderaten Risikobereitschaft des Klägers, da dieser ausdrücklich eine sichere Anlage gewünscht hat. Dies hat er im Rahmen seiner Parteivernehmung durch das Landgericht nochmals glaubhaft bekräftigt. Unabhängig davon entspricht der vom Kläger betonte Wunsch nach einer sicheren Geldanlage seinem bisherigen, der Beklagten bekannten sehr risikoaversen Anlageverhalten. Eine Geldanlage, die wie das Angebot Nr. 302 der A. nach der eigenen, in ihrer Dokumentation (Anlage B 4) festgehaltenen, Beurteilung der Beklagten ein Totalverlustrisiko, in jedem Fall aber ein Kapitalverlustrisiko aufweist, durfte ihm daher nicht ohne ausdrücklichen Hinweis auf die darin liegende Abweichung von seinem bisherigen, äußerst vorsichtigen Anlageverhalten empfohlen werden. Geht es dem Kunden um eine sichere Anlage und ist deswegen davon auszugehen, dass jedenfalls das eingezahlte Kapital erhalten bleiben soll, kann, wenn keine Einlagensicherung existiert, sogar die Empfehlung von der Bank selbst emittierter Sparbriefe oder eines Tagesgeldkontos pflichtwidrig sein [Wiechers/Henning aaO unter 2. b)]. Dass das vom Kläger eingezahlte Kapital erhalten bleiben wird, war nach der Konzeption der Geldanlage gerade nicht sichergestellt. Randnummer27

3. Der Beklagten ist des Weiteren eine Verletzung ihrer Pflicht zur anlagegerechten Beratung vorzuwerfen. Der Anleger ist rechtzeitig in Bezug auf diejenigen Eigenschaften und Risiken der Beteiligung, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können, zu beraten. Diese Pflicht kann der Berater mündlich in einem Beratungsgespräch oder durch Übergabe von Prospektmaterial erfüllen, sofern dieses inhaltlich ausreicht und rechtzeitig übergeben wird (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24.04.2014 – III ZR 389/12-, juris). Die Beratung hat richtig, sorgfältig, verständlich und vollständig zu sein, wie eingangs unter 1. bereits dargestellt worden ist. Diesen Anforderungen wird die Beratung des Klägers durch die Beklagte in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Randnummer28

a) Ein Prospekt der A., anhand dessen die Beklagte den Kläger hätte beraten können, existiert nicht. Das ist allerdings nicht zu beanstanden, weil die Kauf- & Verwaltungsverträge von A. im maßgeblichen Zeitraum (Mai 2016) noch keiner gesetzlichen Prospektpflicht unterlagen. Eine Regulierung von Direktinvestments in Container erfolgte erst mit dem am 03.07.2015 erlassenen Kleinanlegerschutzgesetz. Durch die Auffangvorschrift in § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG waren ab dem 10.07.2015 auch Beteiligungen an dem Erwerb einzelner Container mit einer zugesagten jährlichen Verzinsung und einem Rückerwerb der Anlage nach einem gewissen Zeitraum erfasst und der Prospektpflicht unterworfen (vgl. Buck-Heeb, NJW 2015, 2535). Sie erfasste aber in der bis zum 30.12.2016 gültigen Fassung nur „sonstige Anlagen, die einen Anspruch auf Verzinsung und Rückzahlung gewähren oder im Austausch für die zeitweise Überlassung von Geld einen vermögenswerten auf Barausgleich gerichteten Anspruch vermitteln“. Die Geltung dieser Vorschrift hat A. dadurch umgangen, dass es anders als ursprünglich kein unbedingtes Rückkaufangebot für die Container („Nach Ablauf der Garantiezeit ist A. bereit, den/die Container zurückzukaufen, und wird rechtzeitig vor Ablauf des Vertrages ein Kaufangebot unterbreiten“) mehr gab, sondern sich nur „vorbehalten“ hat, zum Ablauf des Vertrages ein Angebot zum Kauf zu unterbreiten (Ziff. 4 in Anlage K 2). Der Gesetzgeber hat § 1 Abs. 2 Nr. 7 VermAnlG mit Wirkung ab dem 31.12.2016 dahingehend verschärft, dass nunmehr sonstige Anlagen auch dann erfasst sind, wenn eine Rückzahlung oder ein vermögenswerter Barausgleich im Austausch für die zeitweise Überlassung von Geld in Aussicht gestellt wird (vgl. OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Beschluss vom 13.07.2010 – 8 U 2610/20 -, juris Rz. 25 ff.). Erst durch diese Änderung wurden die streitgegenständlichen Geschäfte ab dem Jahr 2017 prospektpflichtig (so zutreffend OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aaO und ihm folgend Hanseatisches OLG Bremen, Urteil vom 12.05.2021 – 1 U 22/20 -, juris Rz. 43). Die Unanwendbarkeit des auch vom Landgericht bemühten Pflichtenprogramms der FinanzanlagenvermittlungsVO dürfte sich damit aber nicht begründen lassen (so aber wohl die Oberlandesgerichte München und Bremen), da es sich bei dieser Verordnung nicht um diejenige gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 VermAnlG handelt. Die dort angeführten allgemeinen notwendigen Prospektinhalte werden vielmehr durch die Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung (VermVerkProspV), dort § 2, umgesetzt (Maas in: Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Wertpapiergesetz/Vermögensanlagengesetz, 3. Aufl. 2017, § 7 VermAnlG Rz. 31). Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die FinanzanlagenvermittlungsVO für Anlagevermittler und freie Berater gilt. Ob die darin enthaltenen Anforderungen an Informationen auch für Banken galten (und ob eine Haftung der Beklagten sich unter dem Aspekt drittschützenden Charakters aufsichtsrechtlicher Vorschriften ergeben könnte), kann indes dahinstehen. Denn für die Beklagte als Bank und Anlageberaterin galt in jedem Fall der unter 1. beschriebene vertragliche Pflichtenkanon nach Maßgabe des Bond-Urteils. Danach ist der Anlageberater bei einem Beratungsvertrag zu mehr als nur zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet. Da sich die Beratung in Bezug auf das Anlageobjekt auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen hat, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können, ist ein Anlageberater verpflichtet, eine Anlage, die er empfehlen will, mit üblichem kritischem Sachverstand zu prüfen, oder den Anleger auf ein diesbezügliches Unterlassen hinzuweisen. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Bank, wie die Beklagte, die Anlage in ihr Programm aufgenommen hat. Eine unterlassene Prüfung der empfohlenen Kapitalanlage kann aber nur dann zur Haftung führen, wenn bei dieser Prüfung ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Anleger hätte aufgeklärt werden müssen, oder aber wenn erkennbar geworden wäre, dass eine Empfehlung der Kapitalanlage nicht anleger- und/oder objektgerecht ist (BGH, Urteil vom 05.03.2009 – III ZR 302/07-, juris Rz. 13 mwN). Randnummer29

b) Unstreitig hat die Beklagte dem Kläger die Geldanlage anhand des Angebots Nr. 302 (Anlage K 3) und des Kauf- & Verwaltungsvertrages (Anlage K 2) vorgestellt sowie deren Funktionsweise und Eigenschaften erklärt. Der Kauf- & Verwaltungsvertrag enthält zwar die vertraglichen und finanziellen Eckdaten der Geldanlage, aber keine Darstellung der Risiken. Gleiches gilt für das Angebot mit Beispielrechnung. Diese Unterlagen reichten als Beratungsgrundlage mithin nicht aus. Dies hat die Beklagte nach Prüfung der Anlage offenbar erkannt und will den Kläger über die Risiken der Geldanlage mündlich anhand ihrer Dokumentation (Anlage B 4) aufgeklärt haben. Diese Risikoaufklärung genügt indes jedenfalls in Bezug auf die Bedeutung der Veräußerungserlöse für den Kapitalrückfluss an die Anleger nicht den genannten Anforderungen. Die Pflichtwidrigkeit der Beratung steht fest. Sie ergibt sich aus einer Erklärung des Beraters der Beklagten und aus dem Inhalt der Dokumentation selbst. Randnummer30

aa) Die streitbefangene Kapitalanlage ist so konzipiert, dass Anleger A. eine bestimmte Anzahl von Containern abkaufen und diese während der Laufzeit des Verwaltungsvertrages von A. unter Abwälzung der Containerkosten an Dritte vermietet werden. Der Rückfluss des investierten Betrages soll, jeweils etwa zur Hälfte, einerseits über die (von A. garantierten) Mietzahlungen, andererseits darüber erfolgen, dass der Anleger die erworbenen Container nach Ende der Laufzeit verkauft. Ob der Anleger den investierten Betrag zurückerhält, hängt also davon ab, dass der Verkauf der Container stattfindet und zu einem Preis erfolgt, der das Delta zwischen dem eingesetzten Kapital und den erhaltenen Mietzahlungen ausgleicht. Ob über den Kapitalrückfluss hinaus die im Angebot von A. angegebene Rendite erzielt wird, hängt davon ab, dass zum Ende der Laufzeit der genannte Rückkaufpreis in Höhe des kalkulierten Restwertes der Container tatsächlich erzielt wird. Randnummer31

Nach der Regelung unter Ziffer 4. des Verwaltungsvertrages (Anlage K 2) hat sich A., anders als bei früheren Angeboten aus dem Containerprogramm, nicht (mehr) vertraglich dazu verpflichtet, die Container zurückzukaufen, sondern sich nur noch vorbehalten, den Investoren zum Ablauf des Vertrages ein solches Angebot zu unterbreiten. Dies wird der Beklagten im Rahmen ihrer Banküblichen Prüfung der Geldanlage nicht entgangen sein, wofür u.a. ihr Vortrag in dem Schriftsatz vom 28.05.2020 spricht, wonach eine verbindliche Rückkaufverpflichtung nicht Gegenstand des Containerkaufvertrages sei. Nach von der Beklagten weder in diesem Schriftsatz noch anderweitig bestrittener Darstellung des Klägers in dessen Schriftsatz vom 03.04.2020 hat der Berater B. ihm am 12.05.2016 ungeachtet dessen erklärt, Randnummer32

„der Rückkauf sei praktisch mit dem Kaufvertrag schon vereinbart, so dass auch hier kein Risiko bestehe“. Randnummer33

Darin liegt eine falsche Darstellung des Anlagekonzepts durch die Beklagte. Der Vortrag ist unstreitig, sodass diese Aussage des Beraters feststeht, § 138 Abs. 3 ZPO. Ausdrücklich bestritten hat die Beklagte in dem Schriftsatz vom 28.05.2020 nur eine vom Kläger ebenfalls behauptete Bemerkung ihres Beraters (Stichwort „Flugzeugabsturz“) sowie dessen angebliche Behauptung, der „Containerkauf sei sicher, weil wegen des wachsenden Welthandels eine hohe Nachfrage nach Containern bestehe“. Hinreichende Anhaltspunkte im weiteren Sachvortrag der Beklagten dafür, den Vortrag des Klägers nicht als zugestanden zu behandeln, fehlen. Der Kläger hat zu dem Thema mit Schriftsatz vom 11.11.2020 weiter vorgetragen und auf den Beklagtenvortrag vom 28.05.2020 erwidernd gemeint, die Beklagte sei sich ihrem eigenen Vorbringen nach der aus der fehlenden Rückkaufverpflichtung folgenden Verlustrisiken für die Anleger bewusst gewesen und habe diese dennoch nicht über dieses Risiko aufgeklärt. Auch dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Ihr ist zu dem neuen tatsächlichen Vorbringen des Klägers vom Landgericht in der mündlichen Verhandlung zwar antragsgemäß eine Schriftsatzfrist eingeräumt worden. Nach Lage der Akten hat sie hiervon aber keinen Gebrauch gemacht. Auch nachdem der Senat die Parteien auf diesen Aspekt in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, ist die Behauptung des Klägers weder mündlich noch schriftlich bestritten worden. Randnummer34

bb) Der Kläger hat in dem Schriftsatz vom 11.11.2020 außerdem zu Recht das Fehlen einer den Anforderungen genügenden Aufklärung über das Risiko des nicht gesicherten Rückkaufs der Container gerügt. Wie erwähnt, war der Beklagten bekannt, dass sich A. nicht dazu verpflichtet hat, die Container zurückzukaufen, sondern sich nur vorbehielt, ein solches Angebot zu unterbreiten. Dies ergab sich zwar aus der Bestimmung unter Ziffer 4. des Verwaltungsvertrages, worauf sich die Beklagte nun auch beruft, nicht aber aus dem Angebot, welches eine Beispielberechnung enthält, die unterstellt, dass ein Rückkaufpreis in Höhe des kalkulierten Restwertes der Container nach 5 Jahren erzielt wird (Anlage K 3). Wird bedacht, dass der Anleger den mündlichen Angaben seines Beraters erfahrungsgemäß mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem Inhalt überreichter Unterlagen, was hier umso mehr deshalb gilt, weil es keinen Prospekt der A. gibt, weswegen der Kläger sich bei seiner Entscheidung ohnehin nur auf die Beratung durch die Beklagte stützen konnte, muss die Berufung der Beklagten darauf, der Kläger habe dem Verwaltungsvertrag entnehmen können, dass der Rückkauf zu dem angegebenen Preis nicht feststeht, fehlgehen. Wegen des aufgezeigten Widerspruchs und der Bedeutung des Rückkaufs der Container auch und gerade für den Kapitalrückfluss kann sich die Beklagte nicht darauf zurückziehen, der Kläger habe dem Verwaltungsvertrag entnehmen können, dass der Rückkauf zu dem angegebenen Preis nicht feststeht. Der Beklagten kann bei ihrer Prüfung des Anlagekonzepts nicht entgangen sein, dass den Anlegern in der Beispielrechnung (Seite 2 des Angebots Nr. 302) ein Rückfluss ihres Kapitals in Höhe des kalkulierten Restwerts der Container suggeriert, zumindest aber in Aussicht gestellt wird, welcher jedoch schon mangels Rückkaufverpflichtung von A. nicht gewährleistet war. Deshalb war diese Beispielrechnung erläuterungsbedürftig und wäre ein den Widerspruch zwischen Verwaltungsvertrag und Beispielrechnung auflösender Hinweis darauf geboten gewesen, dass laut Verwaltungsvertrag der Rückkauf durch A., erst recht nicht zu dem in der Beispielrechnung genannten Preis, und damit auch der Rückfluss etwa der Hälfte des Kapitals gerade nicht feststehen. Randnummer35

Erschwerend hinzu tritt, dass die Beklagte nach ihrer eigenen Darstellung zum Inhalt des Beratungsgesprächs dem Kläger einen solchen Hinweis nicht nur nicht erteilt, sondern noch dazu in einer Weise auf das diesbezügliche Risiko hingewiesen hat, die den falschen Eindruck, der bei Ansicht der Beispielrechnung entstehen musste, nicht etwa beseitigte, sondern verstärken musste. In ihrer Dokumentation heißt es: Randnummer36

„Es besteht das Risiko, dass die Container trotz sorgfältiger Kalkulation bei den zu Vertragsabschluss vorhandenen Marktverhältnissen nach Ablauf des Verwaltungsvertrages nicht genau zu dem prognostizierten Preis zurückgekauft werden können. In diesen Fällen wäre die im Angebot prognostizierte Rendite niedriger.“ Randnummer37

Damit verharmlost die Beklagte nicht bloß das tatsächlich bestehende Risiko der Anleger, d.h. das Ausbleiben des Rückkaufs und damit des Rückflusses des Kapitals, sondern erweckt außerdem den unzutreffenden Eindruck, das Risiko bestehe nur in einer geringeren Rendite als prognostiziert. Da nur knapp 50% des eingesetzten Kapitals über die Mietzahlungen an die Anleger zurückfließen sollten, gut 50% konzeptionsgemäß aber erst durch den Rückkauf der Container, wird der Hinweis, dass bei einem Rückkauf zu einem niedrigeren als dem prognostizierten Preis auch die prognostizierte Rendite niedriger wäre, dem wahren Risiko nicht annähernd gerecht. Die Beispielrechnung unterstellt bei einer Investition von 38.570 EUR einen Kapitalrückfluss in Höhe von 45.676 EUR, der sich aus Mietzahlungen von 18.031 EUR und dem kalkulierten Restwert der Container von 27.645 EUR zusammensetzt. Nur dann, wenn A. die garantierte Miete über 5 Jahre gezahlt und nach Ablauf der 5 Jahre Laufzeit jemand die 10 Container zu 20.539 EUR (38.570 EUR abzgl. 18.031 EUR) gekauft hätte, hätte der Kläger sein Kapital in voller Höhe zurückbekommen. Andernfalls könnte also von einer womöglich geringeren Rendite nicht mehr die Rede sein, sondern hätte der Kläger sein Kapital selbst dann teilweise verloren gehabt, wenn A. die garantierten Mietzahlungen 5 Jahre lang erbracht hätte. Das Vorbringen der Beklagten vom 13.01.2022 gibt zu einer abweichenden Beurteilung schon deshalb keinen Anlass, weil es nicht das gerade beschriebene Risiko betrifft, sondern das Ausfallrisiko von A. oder konjunkturelle Risiken. Es geht nicht darum, dass der Verkauf zu einem bestimmten Preis nicht gesichert war; der Beklagten ist vorzuwerfen, dass sie dem Kläger nicht erklärt hat, dass und warum der Kapitalerhalt teilweise unsicher ist. Randnummer38

c) Daneben haftet die Beklagte wegen einer Verletzung ihrer Pflicht, das Angebot von A. vor der Empfehlung einer Prüfung im Hinblick auf die Frage, ob die Investoren Eigentum an den Containern erlangen, mit Banküblichem kritischem Sachverstand zu unterziehen und den Kläger insofern vollständig und zutreffend zu informieren. Ob die Beklagte eine solche Prüfung vorgenommen hat, lässt sich zwar mangels Klarstellung ihrerseits weder feststellen noch ausschließen. Dies ist jedoch für ihre Haftung aufgrund der hier gegebenen Umstände ohne entscheidende Bedeutung. Randnummer39

aa) Die sich aus einem Beratungsvertrag ergebende Pflicht zur objektgerechten Beratung ist nicht darauf beschränkt, einen – hier mangels Prospektpflichtigkeit der Anlage nicht einmal vorhandenen – über die Kapitalanlage herausgegebenen Prospekt lediglich auf seine innere Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Dies kann im Rahmen eines Anlagevermittlungsvertrages ausreichend sein, wenn ein Anlageprodukt ohne Beratung vertrieben wird (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2009 – XI ZR 337/08, WM 2009, 2303). Der Berater schuldet dagegen, wie oben schon angesprochen, nicht nur eine zutreffende, vollständige und verständliche Mitteilung von Tatsachen, sondern darüber hinaus auch eine fachmännische Bewertung, um eine dem Anleger und der Anlage gerecht werdende Empfehlung abgeben zu können. Eine Bank, die die gebotene Prüfung unterlässt, jedoch gleichwohl den Eindruck erweckt, die Anlage mit positivem Ergebnis geprüft zu haben, haftet nach dem Schutzzweck der verletzten Prüfungs- und Offenbarungspflicht nur dann, wenn der Emissionsprospekt – hier das Anlagekonzept von A. – der geschuldeten Prüfung in einem für die Anlageentscheidung wesentlichen Punkt nicht standgehalten hätte. Das wäre anzunehmen, wenn ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Anleger hätte aufgeklärt werden müssen, oder wenn erkennbar geworden wäre, dass eine Empfehlung der Kapitalanlage nicht anleger- und/oder objektgerecht ist (BGH aaO). Fehlen der Bank Kenntnisse über Umstände, die für das Anlagegeschäft von Bedeutung sind, hat sie dies dem Kunden mitzuteilen und offenzulegen, dass sie zu einer Beratung z.B. über das konkrete Risiko eines Geschäfts mangels eigener Information nicht in der Lage ist (vgl. BGH, Urteil vom 06.07.1993 – XI ZR 12/93-, juris Rz. 19). Umfang und Art der Hinweis- und Ermittlungspflichten des Anlageberaters bestimmen sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei kommt es insbesondere darauf an, wie der Anlageberater gegenüber dem Anlageinteressenten auftritt sowie ob und inwieweit dieser die berechtigte Erwartung hegt, über bestimmte Umstände informiert zu werden (BGH, Urteil vom 01.12.2011 – III ZR 56/11-, juris Rz. 17). Randnummer40

bb) Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte gehalten, der Frage nachzugehen, ob die Anleger Eigentum an den gekauften Containern erlangen und konnte der Kläger erwarten, dass dies auch mit positivem Ergebnis geschehen ist, bevor die Beklagte ihm die Geldanlage unter Hinweis auf das Eigentum an den Containern empfiehlt. Randnummer41

(1) Die Frage des wirksamen Erwerbs des Eigentums an den Containern ist von zentraler Bedeutung für das Anlagegeschäft. Bei dem Eigentum an den Containern „als Gegenwert“ handelte es sich, wie der Kläger vor dem Landgericht es geschildert hat und dem Senat auch aus den Akten in Parallelverfahren bekannt ist, um das Argument der Berater der Beklagten für die angebliche Sicherheit der Anlage in den Gesprächen mit den Kunden. Dass das Eigentum der Anleger an den zu erwerbenden Containern von wesentlicher Bedeutung für das Anlagegeschäft ist, ergibt sich aber auch aus der Anlagekonzeption. Danach sollten die Anleger, wie schon erwähnt, Container kaufen und als deren Eigentümer und Vermieter während der Vertragslaufzeit aus ihrer Vermietung Einnahmen erzielen. Der Stellung als Eigentümer und Vermieter der Container kommt bereits während der Laufzeit des Vertrages deshalb eine wesentliche Bedeutung zu, weil nur diese den Anleger in die Lage versetzt, bei Ausfall der A. in deren Vertrag mit dem Containermieter einzutreten oder eine Neuvermietung vorzunehmen. Erst recht gilt dies für den Zeitpunkt des Ablaufs der Vertragslaufzeit. Nur dann, wenn dem Anleger die Container gehören, kann er sie an A. oder Dritte verkaufen, was deshalb von wesentlicher Bedeutung ist, weil nach der Konzeption der Anlage der Kapitalrückfluss nur dann gewährleistet ist, wenn A. die garantierten Mieten während der fünfjährigen Vertragslaufzeit zahlt und nach Ablauf des Vertrages ein Rückkauf der Container durch A. oder ein Verkauf an Dritte zu einem Kaufpreis erfolgt, der das Delta zwischen eingesetztem Kapital und Mieteinnahmen ausgleicht. Der Kläger konnte schon danach erwarten, dass die Beklagte ihm den Eigentumserwerb und damit einen als der Absicherung seines Kapitals dienenden Sachwert nur dann in Aussicht stellt, wenn sie sich vorher davon überzeugt hat, dass er tatsächlich Eigentümer der Container wird. Randnummer42

(2) Veranlassung zu der Prüfung der Eigentumserwerbsfrage hatte die Beklagte aber auch nach dem Inhalt des Kauf- & Verwaltungsvertrages, da dieser in Bezug auf einen sachenrechtlich wirksamen Eigentumsübergang etliche Fragen aufwirft, die sich auch nicht erst nach näherer rechtlicher Prüfung stellen konnten, sondern schon bei oberflächlicher Lektüre der Bestimmungen geradezu aufdrängen. Randnummer43

So stellt sich die Frage, nach welchem Recht sich der Eigentumserwerb hätte vollziehen sollen, Art. 43 ff. EGBGB. Unstreitig befanden sich die Container nicht in Deutschland, sondern an – unbekannten – Orten irgendwo in der Welt, mutmaßlich im asiatischen Raum. Noch dazu befanden sie sich bestimmungsgemäß nicht an einem festen Ort, sondern bestimmungsgemäß auf – unbekannten – Containerschiffen, die weltweit Waren transportierten. Die Annahme des OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(Beschluss vom 13.07.2020 – 8 U 2610/20) und ihm folgend der Beklagten, wonach gemäß Art. 46 EGBGB wegen einer wesentlich engeren Verbindung deutsches Sachenrecht anzuwenden wäre, ist so selbstverständlich nicht und lässt sich nicht schon damit begründen, dass für den Kauf- & Verwaltungsvertrag deutsches Recht gilt. Randnummer44

Wollte man zugunsten der Beklagten unterstellen, dass sich die Eigentumsübertragung nach deutschem Recht richtet, bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Bestimmungen in dem Kauf- & Verwaltungsvertrag für eine wirksame Eigentumsübertragung ausreichen. Ein Kaufvertrag dürfte zwar zustande gekommen sein. Die Ansicht des Klägers, es handele sich tatsächlich um einen Darlehensvertrag, teilt der Senat jedenfalls nicht. Zweifelhaft ist aber schon, ob die Anforderungen an ein Besitzkonstitut nach § 930 BGB erfüllt sind. Dagegen dürfte – neben den weiteren vom Kläger insofern geäußerten Bedenken – insbesondere die mangelnde Konkretisierung der Container, an denen später Eigentum erworben werden sollte, im Vertrag sprechen. Zwar reicht es unter Bestimmtheitsaspekten aus, wenn die zu übereignende Sache durch einfache äußere Merkmale so bestimmt bezeichnet ist, dass jeder Kenner des Vertrages sie in dem Moment, in dem das Eigentum übergehen soll, unschwer von anderen unterscheiden kann (Grüneberg/Bassenge, BGB, 81. Aufl., § 930 Rz. 2 mN). Ob hierfür aber ausreicht, dass die Container, von denen allein im Bestand von A. zigtausende existieren, mit dem im Kaufvertrag näher bezeichneten, offenkundig weit verbreiteten Typ gekennzeichnet sind, hält der Senat für fraglich. Der Einwand der Beklagten, wonach es konzeptionsgemäß Sache der Anleger gewesen sei, sich um die Konkretisierung auf einen bestimmten Container selbst zu bemühen, und sie die Vertragserfüllung und -abwicklung nicht zu kontrollieren gehabt habe, geht am aufgezeigten Problem vorbei. Entscheidend ist, ob die vertraglichen Bestimmungen überhaupt abstrakt geeignet waren, Eigentum an den Containern zu verschaffen. Randnummer45

Selbst wenn man für ausreichend halten wollte, dass A., wie im Vertrag vorgesehen, nach Eingang des Kaufpreises die Container auswählt und der Anleger die Möglichkeit hat, ein Zertifikat mit den Seriennummern seiner Container zu erhalten, verbleiben durchgreifende Bedenken. Denn über § 930 BGB kann nur die fehlende Übergabe der Sache ersetzt werden, nicht das Fehlen einer dinglichen Einigung zwischen A. und dem Investor iSd § 929 S. 1 BGB. Der Kauf- & Verwaltungsvertrag enthält aber weder ein Angebot an den Investor, ihm das Eigentum an den später auszuwählenden Containern zu übertragen, noch eine Annahmeerklärung des Investors. Randnummer46

(3) Danach bestehen daran, ob der Kläger unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Kauf- & Verwaltungsvertrages Eigentum an den von ihm gekauften Containern erworben hat, zumindest Zweifel (a.A. und den Eigentumserwerb in ähnlicher Konstellation bejahend OLG München, Beschluss vom 13.07.2020 – 8 U 2610/20; Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 12.05.2021 – 1 U 22/20). Der Anlageberater muss zwar nicht, worauf sich die Beklagte auch beruft, ohne besondere Anhaltspunkte schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen nachgehen, die er regelmäßig nur unter Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe (Rechtsgutachten) abklären könnte (BGH, Urteil vom 01.12.2011 – III ZR 56/11-, juris Rz. 17). Sie schenkt bei ihrer Argumentation aber dem Umstand zu wenig Beachtung, dass aus den unter (1) und (2) genannten Gründen zumindest Anhaltspunkte dafür vorlagen, zumal für eine mit Fragen der (auch sachenrechtlich wirksamen) Kreditsicherung regelmäßig befasste und somit vertraute Bank wie die Beklagte, sich mit der Frage zu befassen, ob mit der für eine Betonung des Eigentums als Sicherheit gegenüber den Anlageinteressenten erforderlichen Gewissheit angenommen werden kann, dass die Anleger Eigentümer der Container werden. Ob sie in dieser Lage verpflichtet war, ein Rechtsgutachten einzuholen und die Rechtsfrage zu klären, hält auch der Senat für fraglich. Dies kann aber dahinstehen, weil es darauf nicht maßgeblich ankommt. Ihre eigene Prüfung mit Banküblicher Sorgfalt hätte jedenfalls, was die Beklagte zuletzt selbst vorbringt, ergeben, dass es sich um eine komplizierte, schwierige und ungeklärte Rechtsfrage handelt (so auch OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aaO). Die Beklagte durfte vor diesem Hintergrund ausgehend von den dargestellten Grundsätzen also nicht den Eindruck entstehen lassen, dass die Anleger selbstverständlich Eigentümer der Container werden, sondern hätte dem Kläger wenigstens ihre fehlende Gewissheit in Bezug auf den Eigentumserwerb unter Hinweis auf das Unterbleiben einer Prüfung der diesbezüglichen Rechtsfragen oder deren Kompliziertheit und Ungeklärtheit offenbaren müssen, was unstreitig unterblieben ist. Randnummer47

cc) Ob sich die Beklagte im Rahmen ihrer Prüfung mit der Frage des Eigentumserwerbs an den Containern durch die Anleger befasst hat, lässt ihr Vortrag zwar nicht erkennen, kann aber ebenso dahinstehen wie die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Anleger Eigentum an den Containern erlangen konnten. Sie haftet, wie erwähnt, jedenfalls deshalb, weil sie das A.-Angebot unter Hinweis auf das Eigentum an den Containern als sichere Geldanlage empfohlen hat, ohne dem Kläger entweder mitzuteilen, dass der Eigentumserwerb von ihr nicht geprüft worden ist, oder aber, dass der Eigentumserwerb nach dem Ergebnis ihrer Prüfung aufgrund der Bestimmungen des Kauf- & Verwaltungsvertrages nicht zweifelsfrei feststeht, sie der Frage aber nicht weiter nachgegangen ist. Randnummer48

Hiervon abgesehen gilt: Hätte die Beklagte das Angebot der A. insofern tatsächlich keiner Prüfung unterzogen, haftete sie, weil bei dieser Prüfung ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Kläger hätte aufgeklärt werden müssen. Dieses Risiko ist – je nach Ausgang der hypothetischen Prüfung – wie ausgeführt entweder darin zu sehen, dass der Eigentumserwerb zweifelhaft ist, oder darin, dass, den wirksamen Eigentumserwerb unterstellt, den Anlegern die Inanspruchnahme wegen der Kosten der ihnen gehörenden Container drohte. Hätte sie das Angebot von A. in Bezug auf die Erlangung von Eigentum mit positivem Ergebnis geprüft, würde ihre Haftung ebenfalls daraus folgen, dass sie den Kläger nicht über das Risiko einer Inanspruchnahme wegen der Kosten aufgeklärt hat. Wäre sie bei ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anleger kein Eigentum an den Containern erwerben, wäre ihr anzulasten, dass sie dies nicht offenbart hat. Randnummer49

(1) Hätten Anleger wie der Kläger kein Eigentum erworben und auch nicht erwerben können, folgte die Haftung der Beklagten aus der nicht nachweisbar durch eine rechtliche Überprüfung gestützte Hervorhebung des Eigentums an den Containern gegenüber dem Kläger. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Regelungen des Kauf- & Verwaltungsvertrages der – unzutreffende – Eindruck erweckt wurde, dass die Investoren mit Vertragsschluss Eigentümer der Container werden, was der Beklagten aber nach eigener Darstellung in ihrem Schriftsatz vom 28.05.2020 bewusst war. Sie führt aus, dass die Anleger tatsächlich nicht schon bei Abschluss des Kaufvertrages Eigentum erwarben, obwohl dies in den Beratungsunterlagen so dargestellt wurde. Eine Veranlassung, dies in dem Beratungsgespräch näher zu erläutern, hat die Beklagte aber – soweit erkennbar – nicht gesehen. Die Beklagte durfte dem Kläger die Geldanlage daher nicht unter Betonung der Sicherheit in Form des Eigentums an den Containern, die man ja immer noch verkaufen könne, ohne Hinweis darauf empfehlen, dass sie die Frage des Eigentumserwerbs nicht oder aber mit dem Ergebnis geprüft hat, dass die Frage des Eigentumserwerbs an den Containern nicht leicht zu beantworten sei (ähnlich für den Fall einer Rechtsfrage das KWG betreffend: OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Beschluss vom 20.10.2016 – I-34 U 84/16). Randnummer50

(2) Hätten die Anleger Eigentum an den Containern erworben, war die Beklagte hingegen verpflichtet, den Kläger vor dem Abschluss der Kauf- & Verwaltungsverträge darüber aufzuklären, dass und unter welchen Voraussetzungen ein über den Totalverlust des eingesetzten Kapitals hinausgehendes Risiko besteht, mit Kosten der ihm gehörenden Container belastet zu werden. Unstreitig hat die Beklagte keinen ausdrücklichen Hinweis auf dieses Risiko erteilt. Auch die Vertragsunterlagen enthalten keinen solchen Hinweis. Dass sie deshalb keine Aufklärung über dieses Risiko schuldete, weil den Anlegern schon keine Haftung für Containerkosten drohte, hat die Beklagte nicht dargetan. Auch hat die Beklagte über dieses Risiko nicht dadurch hinreichend aufgeklärt, dass sie die von ihr in Bezug genommenen allgemeinen Hinweise auf das Ausfallrisiko des Mieters erteilt hat (Anlage B 4). Randnummer51

(a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Konzeption der Kapitalanlage ein Risiko bestanden hat, nach dem (hier unterstellten) Erwerb des Eigentums an den gekauften Containern mit deren Kosten belastet zu werden. Dass generell, vor allem im Zusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Verwendung der Container Kosten für Wartung, Reparatur und Versicherung anfallen, bedarf entgegen der Auffassung der Beklagten keiner Darlegung durch den Kläger, weil dieser Umstand sich aus den Vertragsunterlagen ergibt, also feststeht. Davon, dass Standgebühren für die Zeiten, in denen der Container ungenutzt ist und deshalb an geeigneter Stelle gelagert werden muss, anfallen, ist nach allgemeiner Lebenserfahrung auszugehen. Dass ein Grundstückseigentümer, Pächter oder Mieter die kostenlose Nutzung seiner Flächen durch Dritte gestatten würde, hält der Senat für äußerst unwahrscheinlich. Wie dem unter Bezugnahme auf das Gutachten des Insolvenzverwalters in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. TC GmbH vom 23.07.2018 erfolgten Vortrag des Klägers in dem Parallelverfahren I-6 U 79/21 (dort Bl. 66/67) entnommen werden kann, in dem die Beklagte ebenfalls durch ihre hiesigen Bevollmächtigten vertreten wird, waren die Standkosten für die nicht im Einsatz befindlichen Container auch durchaus hoch, konnten daher also deren Wert schnell übersteigen. Randnummer52

(b) Es bestand für die Anleger auch ein Risiko, mit den genannten Kosten belastet zu werden und zwar schon deshalb, weil sie in ihrem (unterstellten) Eigentum standen, sodass sie bei einem Ausfall des Containermieters als dem vertraglichen Kostenschuldner oder der A. als Garantiegeberin grundsätzlich aus ihrer Eigentümerstellung für anfallende Kosten hafteten. Nichts anderes würde dann gelten, wenn A. den Anlegern nach dem Ende der vereinbarten Laufzeit von fünf Jahren kein Angebot zum Kauf des Containers unterbreitet, wozu laut der Regelung unter Ziffer 4. des Verwaltungsvertrages keine Verpflichtung bestand. Dass die Anleger in diesem Fall zumindest solange Schuldner aller Kosten wären, wie es ihnen nicht gelingt, den Container anderweitig zu verkaufen oder unter erneuter Abwälzung der Kosten neu zu vermieten, wird kaum verneint werden können. Dieses Risiko ergibt sich aber auch aus der Konzeption der Kapitalanlage. Kennzeichnend für das streitgegenständliche Investment ist, dass der Anleger Container erwirbt und deren alleiniger Eigentümer wird, sich aber in keiner Weise um den ihm gehörenden Container kümmern muss, da A. die komplette Verwaltung des jeweiligen Containerbestandes übernimmt. Die Mieterlöse wurden dem Anleger durch A. für die gesamte Laufzeit garantiert. Der Anleger trägt aber bei näherer Betrachtung nicht nur das Bonitätsrisiko der Emittentin und mittelbar auch das der Containermieter, da die Auszahlung der garantierten Miete gemäß der Regelung unter Ziffer 1. des Verwaltungsvertrages aus den für den Investor eingezogenen Mieten erfolgen sollte, und A. nur etwaige Unterdeckungen gegenüber dem Investor auszugleichen hatte. Denn das Risiko des Anlegers beschränkt sich in dem Fall, dass der Verwaltungsvertrag mit A. aus welchem Grund auch immer beendet wird, nicht darauf, die vereinbarten Zinszahlungen nicht zu erhalten und mit dem Anlagebetrag womöglich keinen Gewinn zu erwirtschaften. In diesem Fall trägt der Anleger vielmehr neben dem Kapitalverlustrisiko auch das Risiko, über das eingesetzte Kapital hinaus mit Kosten belastet zu werden, die er aus seinem Vermögen finanzieren müsste. Richtig mag zwar sein, dass der Abschluss die Container betreffender und die Anleger verpflichtender Verträge mit Dritten jedenfalls am Fehlen einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht scheitern dürfte. Die Beklagte schenkt bei ihrer auf das Erfordernis privatrechtlicher Verträge und das Fehlen der Berechtigung, im Namen der Anleger derartige Verträge abzuschließen, abhebenden Argumentation aber dem Umstand keine genügende Beachtung, dass A. laut den Regelungen unter Ziffer 1. des Verwaltungsvertrages zwar „alle mit der Verwaltung zusammenhängenden Verträge eigenverantwortlich“ abschließen sollte, jedoch nicht nur mit dem Eigentumsübergang sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Miet- und Agenturverhältnis auf den Investor übergehen sollten, sondern diese Rechte dann, wenn der Verwaltervertrag gekündigt wird oder A. seine Pflichten nicht mehr erbringen kann oder nicht ordnungsgemäß erfüllt, „von dem Investor oder einem von diesem bestellten neuen Verwalter unmittelbar wahrgenommen“ werden mussten. Dies entspräche im Übrigen auch der (unterstellten) Rechtslage, da die Investoren (angeblich) Eigentümer der gekauften Container waren. In diesem Fall trügen die Anleger also nicht nur das Bonitätsrisiko eines etwaig noch vorhandenen Containermieters nunmehr mangels Garantiegeber unmittelbar, sondern bei dessen Ausfall oder gänzlichem Fehlen als einzige überhaupt in Betracht kommende Schuldner auch sämtliche ursprünglich kraft mietvertraglicher Abrede auf die Mieter abgewälzten Kosten der Container. Randnummer53

(c) Dass, wie die Beklagte argumentiert, durch die geschlossenen Verträge bis auf die Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung keine weiteren Leistungspflichten begründet worden sind, ist zwar insofern zutreffend, als es um unmittelbare vertragliche Pflichten der Anleger geht, stellt aber ein Argument für und nicht gegen die Aufklärungspflichtigkeit des Kostenrisikos dar. Denn die geschilderten Konstellationen, deren nicht ganz unwahrscheinlichen Eintritt die Emittentin für regelungsbedürftig hielt, schafft für den Anleger ein zusätzliches Risiko, bei welchem es sich um eine für die Anlageentscheidung wesentliche Information handelt. Die Anleger konnten nach den eigenen Ausführungen der Beklagten die unter Umständen auf sie zukommenden zusätzlichen Verpflichtungen anhand der Vertragsunterlagen nämlich nicht erkennen, weswegen sie auch zur ungefragten Aufklärung über dieses Risiko verpflichtet war. Randnummer54

(d) Nicht zu folgen vermag der Senat der Beklagten auch insoweit, als sie meint, durch den in der Gesprächsdokumentation enthaltenen Hinweis auf das Risiko des Ausfalls des Mieters hinreichend über das Risiko zusätzlicher Kosten aufgeklärt zu haben. Dem Hinweis in der Gesprächsdokumentation unter „Ausfall eines Mietpartners“ darauf, dass der Fall eintreten könne, dass ein Mieter zahlungsunfähig wird, konnten Anleger wie der Kläger nicht entnehmen, dass sie in den unter Ziffer 1. des Verwaltungsvertrages sowie der Gesprächsdokumentation unter „Ausfall von A.“ beschriebenen Konstellationen die – laut Prospekt – auf den Containermieter abgewälzten Kosten am Ende womöglich selbst zu tragen haben könnten. Den Unterlagen lässt sich nur die Information entnehmen, dass Kosten für „Wartung/Reparatur und Versicherung“ anfallen, diese aber vertraglich vom jeweiligen Mieter übernommen werden. Dazu, wer diese Kosten sowie die gänzlich unerwähnt bleibenden etwaigen Standkosten der Container zu tragen hat, wenn deren Mieter ganz ausfällt oder zumindest jene Kosten vertragswidrig nicht begleicht, findet sich in den Unterlagen kein Wort. Die Garantie der A. umfasst ausweislich des Verwaltungsvertrages (dort Ziffer 1.) nur etwaige Unterdeckungen bei der Miete. Dass der Anfall solcher Kosten und die Pflicht, diese schon aufgrund des Eigentums an den Containern notfalls selbst tragen zu müssen, jedem Anleger bekannt sei, wie etwa das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen (aaO) meint, nimmt der Senat nicht an. Eine solche Kenntnis mag beim Käufer einer Wohnung zwecks Vermietung als bekannt unterstellt werden können. Im Fall eines Direktinvestments in Container der vorliegenden Art, bei dem gerade damit geworben wird, der Anleger müsse sich um nichts kümmern, ist das hingegen nicht der Fall. Randnummer55

(e) Die Beklagte kann nicht damit gehört werden, es handele sich um kein Risiko, welches wesentliche Bedeutung für den Anleger hat. Nach ständiger Rechtsprechung ist in entsprechender Anwendung der für die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im engeren Sinne entwickelten Grundsätze, wonach ein Prospekt über alle Umstände sachlich richtig, vollständig und zeitnah unterrichten muss, die für die Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sein können, wie der BGH entschieden hat, zum Beispiel eine Anleihebedingung als wesentlich anzusehen, wenn sie Umstände betrifft, die den Zweck der Kapitalanlage vereiteln können und die ein Anleger deshalb bei seiner Anlageentscheidung „eher als nicht“ berücksichtigen würde. Diese Aufklärungspflicht der beratenden Bank entfällt nicht deshalb, weil in den Anleihebedingungen ein Sonderkündigungsrecht der Emittentin nur für Ausnahmekonstellationen geregelt wäre, deren Eintritt von vornherein völlig unwahrscheinlich wäre. Denn auch der wenig wahrscheinliche Eintritt eines solchen Kündigungsgrundes (…) kann für einen auf den Erhalt seines eingesetzten Kapitals bedachten Anleger von entscheidender Bedeutung sein (BGH, Urteil vom 25.11.2014 – XI ZR 480/13 -, juris Rn. 23/25). Dies ist hier bei einer Belastung mit den Containerkosten in vergleichbarer Weise deshalb der Fall, weil sie zusätzlich zu der in den angesprochenen Konstellationen im Zweifel bereits eingetretenen Reduzierung der (garantierten) Mietzahlungen, dem Ausfall der A. als Vertragspartnerin und Garantiegeberin und der weiteren Gefährdung des Kapitalrückflusses aus einem ausfallenden Ankauf der Container durch A. eintritt. Entgegen der Auffassung der Beklagten entfällt ihre Aufklärungspflicht als beratende Bank folglich nicht deshalb, weil die Verwirklichung des Risikos möglicherweise unwahrscheinlich war. Auch der wenig wahrscheinliche Eintritt einer Haftung der Investoren oder ihrer Heranziehung für Kosten ihrer Container können aus den genannten Gründen für auf den Erhalt des eingesetzten Kapitals bedachte Anleger wie den Kläger von entscheidender Bedeutung sein, zumal in den beschriebenen Fällen ein finanzieller Schaden sogar über den Totalverlust des eingesetzten Kapitals hinaus, jedenfalls aber ein Teilverlust des Kapitals eintreten könnte. Dass ein Containermieter ausfällt und sich daher die Frage stellt, wer nun die auf ihn vertraglich abgewälzten Containerkosten trägt, kann im Übrigen schon deshalb nicht als fernliegendes oder unwahrscheinliches Ereignis angesehen werden, weil die A. auf dieses Risiko selbst ausdrücklich hingewiesen, den Ausfall also selbst als hinreichend wahrscheinlich und die daraus resultierenden Risiken auch – mit Recht – als aufklärungsbedürftig erachtet hat. Nicht zuletzt ist erneut daran zu erinnern, dass A. sich nur vorbehalten hat, die Container nach Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit zurückzukaufen. Spätestens dann, wenn A. dem Investor kein Angebot unterbreitet und daher ohnehin zumindest ein beträchtlicher Teilausfall des eingesetzten Kapitals droht, kommen die genannten Kosten sowie etwaige Vermarktungs- und Transportkosten auf den Anleger dann zu, wenn er die Container bestimmungsgemäß nutzen will. Randnummer56

3. Das Verschulden der Beklagten, die sich das Verhalten ihres Beraters B. zurechnen lassen muss, § 278 BGB, wird vermutet, § 280 Abs. 1 BGB. Nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB entlastet hat sich die Beklagte hinsichtlich keines der genannten Beratungsfehler. Insofern nimmt der Senat zunächst Bezug auf die auch für diesen Aspekt relevanten Ausführungen zu den einzelnen Pflichtverletzungen. Soweit die Beklagte unter Hinweis auf Entscheidungen anderer Gerichte geltend macht, die streitbefangene Geldanlage weise kein Totalverlustrisiko auf, übersieht sie, dass es darauf nicht maßgeblich ankommt. Ihre damalige Prüfung hat, wie in ihrer Dokumentation (Anlage B 4) festgehalten, ergeben, dass das Risiko eines Totalverlustes besteht und sie daher eine diesbezügliche Aufklärungspflicht trifft. Von einer Geldanlage, die einem auf Sicherheit und Kapitalerhalt bedachten Anleger wie dem Kläger empfohlen werden darf, ist die Beklagte mithin selbst nicht ausgegangen. Randnummer57

Dass sie im Rahmen der von ihr geschuldeten Prüfung die Funktionsweise und Risiken der Kapitalanlage nicht habe verstehen und erkennen können, macht die Beklagte nicht geltend. Was den Hinweis unter der Überschrift „Veräußerungserlöse“ in ihrer Dokumentation anbelangt, hält der Senat es für naheliegend, dass die Beklagte übersehen hat, eine Anpassung der Dokumentation an die geänderte Regelung im Vertrag vorzunehmen oder schlicht die bereits entsprechend angepasste Passage aus dem Merkblatt der A., welches dem Senat aus dem Parallelverfahren I-6 U 75/21 bekannt ist, zu übernehmen. Dass eine anlageberatende Bank das Eigentum an einem Gegenstand als das Argument dafür, es handele sich wegen des darin verkörperten Sachwertes trotz bestehender Risiken um eine sichere Geldanlage, nur dann betonen darf, wenn sie sich insofern Gewissheit verschafft hat, liegt auf der Hand.  Randnummer58

Soweit die Vorstände der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Parallelverfahren darauf verwiesen haben, die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit der A. sei immer beanstandungsfrei gewesen und es sei zu keinerlei Ausfällen gekommen, kann die Beklagte sich damit schon wegen der Art der festgestellten Pflichtverletzungen nicht entlasten. Dieser Umstand ändert am Bestehen der genannten Aufklärungspflichten und am Fehlen einer den Anforderungen genügenden Aufklärung über die dargestellten Risiken nichts, weil es sich um konzeptionelle Risiken handelt. Abgesehen davon könnte sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, dass A. vertragliche Pflichten stets erfüllt hat, weil sie am 12.05.2016 mit der Bestimmung unter Ziffer 4. des Verwaltungsvertrages noch keine positiven Erfahrungen gehabt haben kann. A. hatte sich zuvor vertraglich zum Rückkauf verpflichtet, was in den 2016 geschlossenen Verträgen indes nicht mehr der Fall war. Dass A. auch in dieser Konstellation die Container stets zu dem kalkulierten Restwert oder überhaupt zurückgekauft habe, macht die Beklagte selbst nicht geltend und erscheint angesichts der mehrjährigen Laufzeit und des am 24.07.2018 über das Vermögen mehrerer A.-Gesellschaften, u.a. der A. selbst, eröffneten Insolvenzverfahrens auch äußerst unwahrscheinlich. Im Übrigen wird der Beklagten nicht angelastet, den Zusammenbruch der A.-Gruppe nicht vorhergesehen oder von mutmaßlich kriminellen Machenschaften wie dem Verkauf tatsächlich nicht existierender Container Kenntnis gehabt, sondern Kunden wie den Kläger über ihr bekannte oder für sie erkennbare Risiken nicht, zumindest aber nicht pflichtkonform aufgeklärt zu haben. Randnummer59

4. Steht eine Aufklärungspflichtverletzung fest, streitet für den Anleger nach gefestigter Rechtsprechung die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens und muss daher der Aufklärungspflichtige beweisen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben, also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte. Randnummer60

Was die Aufklärung über das Risiko anbelangt, über das eingesetzte Kapital hinaus mit Kosten der Container belastet zu werden, hat die Beklagte den ihr obliegenden Beweis nicht geführt. Insofern wird auf die überzeugende Beweiswürdigung des Landgerichts, das den Kläger als Partei vernommen hat, in dem angefochtenen Urteil verwiesen, der mit der Berufung nichts entgegengehalten wird. Dass der Kläger den Kauf- & Verwaltungsvertrag auch bei einer gehörigen Aufklärung über die vom Senat angenommenen Risiken abgeschlossen hätte, behauptet die Beklagte nicht; dementsprechend bietet sie hierfür auch keinen Beweis an. Randnummer61

5. Steht dem Kläger somit der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB als Naturalrestitution zu, kann er verlangen, so gestellt zu werden, als habe er die Kapitalanlage nicht erworben (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2012 – XI ZR 334/11-, juris Rn. 15 ff. mwN). Der Kläger war mit der für den Kauf der Container eingegangenen Verbindlichkeit aus dem Kauf- & Verwaltungsvertrag in Höhe von 38.570,00 EUR belastet. Nach deren Erfüllung hat sich sein unmittelbarer Vermögensschaden in dem Verlust des von ihm aufgewendeten Betrages realisiert, den die Beklagte durch Zahlung auszugleichen hat. Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dürfen dem Geschädigten allerdings neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Sind Ersatzanspruch und Vorteil gleichartig, wird die Vorteilsausgleichung durch Anrechnung bewirkt; bei fehlender Gleichartigkeit muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten (BGH aaO). Randnummer62

a) Dies hat der Kläger berücksichtigt und bringt ihm zugeflossene Vorteile in Form der 2016/2017 erhaltenen, in der Klageschrift im Einzelnen bezifferten Mietzahlungen von insgesamt 4.814,03 EUR in Abzug. Dass der Kläger weitere Zahlungen von der A. erhalten oder sonstige anzurechnende Vorteile empfangen hat, wird nicht geltend gemacht. Von der Beklagten zu ersetzen ist daher der vom Landgericht zuerkannte Betrag in Höhe von 33.755,97 EUR. Randnummer63

b) Der Vorteil in Form der an die Beklagte herauszugebenden Rechtsposition aus dem Kauf- & Verwaltungsvertrag ist Zug-um-Zug auszugleichen, wie das Landgericht unter Ziff. I. 5. der Entscheidungsgründe (Seite 11) zutreffend ausgeführt hat. Soweit im Tenor jeweils (nur) von dem „Containerkaufvertrag“ die Rede ist, war das Urteil daher klarstellend zu berichtigen, § 319 ZPO. Dass von dem Ausgleich ausnahmsweise, etwa wegen Wertlosigkeit des Vorteils, abzusehen sei, macht die Beklagte nicht geltend. Soweit sie dem Kläger die Berechtigung, Schadensersatz Zug um Zug gegen Übertragung dieser Rechte und Pflichten zu verlangen, unter Hinweis darauf abspricht, dass der Insolvenzverwalter sich auf ein vertraglich vereinbartes Abtretungsverbot berufe, kann die Beklagte mit ihrem Vortrag nicht durchdringen. Randnummer64

aa) Schwierigkeiten bei der Übertragung des Anlagegegenstandes fallen, wie die Beklagte nicht übersieht, in ihren Risikobereich und nicht in den des geschädigten Klägers (BGH, Beschluss vom 28.11.2007- III ZR 214/06-, juris). Die Beklagte könnte daher nicht verlangen, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine wirksame Übertragung der Rechtsposition aus dem Kauf- & Verwaltungsvertrag herstellt. Dies hätte zur Folge, dass er als Geschädigter, sofern er diese Voraussetzungen nicht zu schaffen vermag, seinen Schadensersatzanspruch nicht durchsetzen könnte, was dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen würde, aus welchem letztlich auch der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung folgt. Die Beklagte würde in diesem Fall aus ihrem pflichtwidrigen Verhalten Vorteile ziehen, indem sie dem Kläger nicht nur die Durchsetzung seines Schadensersatzanspruches verwehren, sondern zudem Verzugs- und Rechtshängigkeitszinsen verweigern könnte. Nichts anderes kann vor diesem Hintergrund gelten, sofern die Beklagte meint, das Angebot des Klägers sei für eine Übertragung des Vorteils ungeeignet und ihm eine alternative Vorgehensweise – Übernahme einer Verpflichtung, etwaige vom Insolvenzverwalter an ihn geleistete Zahlungen an die Beklagte abzuführen und sich ohne Zustimmung der Beklagten jeglicher Verfügungen über seine Ansprüche aus und im Zusammenhang mit dem Kauf- & Verwaltungsvertrag zu enthalten – andient, die im Übrigen nach Sinn und Zweck in dem (weitergehenden) Angebot auf Abtretung seiner Ansprüche aus dem Kauf- & Verwaltungsvertrag als Minus ohnehin bereits enthalten ist. Randnummer65

bb) Unabhängig davon hat die nach allgemeinen Grundsätzen für das Leistungsunvermögen darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. nur Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 297 Rz. 3) nicht schlüssig dargetan, dass die Übertragung der Rechte aus dem Kauf- & Verwaltungsvertrag dem Kläger nicht möglich ist. Es ist schon fraglich, ob das unter Ziffer 7. des Kauf- & Verwaltungsvertrages geregelte Verbot, die Forderungen aus dem Vertrag abzutreten, dingliche und nicht bloß schuldrechtliche Wirkung hat, § 399 Alt. 2 BGB also zur Anwendung gelangt, und falls ja, ob die unter § 305 Abs. 1 BGB fallende Klausel mit diesem Verständnis wirksam wäre. Im Übrigen dürfte der Berufung des Insolvenzverwalters auf das Abtretungsverbot der Einwand aus § 242 BGB entgegenstehen, weil der Kläger mit der Rechtsübertragung seinen Pflichten im Rahmen der Vorteilsausgleichung nachkommt. Randnummer66

6. Da die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung gegen die Feststellung ihrer Verpflichtung, den Kläger von jeglichen Ansprüchen des Insolvenzverwalters aus dem Containerkauf- & Verwaltungsvertrag frei zu stellen und gegen ihre Verurteilung zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nichts erinnert hat, sind Ausführungen hierzu entbehrlich. Gleiches gilt für die vom Landgericht zuerkannten Zinsansprüche. Die Überprüfung durch den Senat hat auch insoweit keine Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten ergeben.

  III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Randnummer68

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Randnummer69

Die Voraussetzungen, unter denen die Revision zuzulassen ist, § 543 Abs. 2 ZPO, liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf der Würdigung der Einzelfallumstände anhand der zitierten Rechtsprechung, von der nicht abgewichen wird. Entscheidungserhebliche Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung werden nicht aufgeworfen. Die Revisionszulassung hat auch nicht wegen der von der Beklagten angegebenen Entscheidungen anderer Obergerichte zu erfolgen, da diese teilweise ohnehin Anlagevermittlungsverträge betreffen, die einen anderen Pflichtenkanon begründen als Anlageberatungsverträge, oder aufgrund von Feststellungen ergangen sind, die sich, auch und gerade was die Inhalte der Beratung anbelangt, in erheblicher Weise von den hier getroffenen Feststellungen unterscheiden. Randnummer70

Streitwert des Berufungsverfahrens: 37.607,19 EUR

Schlagworte: Bestreiten, Bestreiten einfach, Bestreiten qualifiziert, Darlegung, Darlegungs- und Beweislast, Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes, Sachvortrag, sekundäre Darlegungslast, Tatsachenvortrag schlüssig, Tatsachenvortrag substantiiert, widersprüchlicher Parteivortrag

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OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 6 U 87/20 

Donnerstag, 16. Dezember 2021

§ 167 ZPO

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.02.2020 verkündete Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 08.05.2020 (40 O 66/16) teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten wie folgt neu gefasst:

Der in der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 zu Punkt 7 der Tagesordnung gefasste Beschluss, wonach der von der Hauptversammlung am 17.07.2015 bestellte Besondere Vertreter Dr. A. abberufen wurde, wird für nichtig erklärt.

Der in der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 vom Versammlungsleiter festgestellte und verkündete Beschluss zu Punkt 10 der Tagesordnung, wonach die Beschlussanträge der Klägerin zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ersatzansprüchen
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
der B.-AG („B.-AG“) gem. § 147 Abs. 1 AktG gegen Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. durch die B.-AG von der D.-Gruppe sowie zur Bestellung eines Besonderen Vertreters zur Geltendmachung der Ersatzansprüche gemäß § 147 Abs. 2 S.1 AktG abgelehnt worden sind, wird für nichtig erklärt.

Es wird festgestellt, dass in der Hauptversammlung der Beklagten am 21.07.2016 zu Top 10 der Tagesordnung die nachfolgenden Beschlüsse gefasst worden sind:

1. Beschlussfassung über die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ersatzansprüchen
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
, § 147 Abs. 1 AktG

Die Hauptversammlung der Gesellschaft hat am 17.07.2015 beschlossen, Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die E.-S.A.U. und Obergesellschaften im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. durch die Gesellschaft von der D.-Gruppe geltend zu machen. Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf die Bekanntmachung von Top 7 der heutigen Hauptversammlung im Bundesanzeiger vom 08.06.2016 sowie auf die Bekanntmachung von Top 11 der Tagesordnung der Hauptversammlung vom 17.07.2015 im Bundesanzeiger am 19.06.2015.

Ergänzend dazu wird nunmehr beschlossen, die Ersatzansprüche der Gesellschaft aus dem vorgenannten Geschäft als Gesamtschuldner mit der E.-S.A.U. und Obergesellschaften auch geltend zu machen

– gegen die (z.T.) ehemaligen Vorstandsmitglieder der Gesellschaft F., G. sowie H. sowie

– gegen die Aufsichtsratsmitglieder J., K., L., M., N. sowie O..

Zum Grund der geltend zu machenden Ansprüche wird zunächst auf die Darstellung bei der Bekanntmachung des Top 10 im Bundesanzeiger am 28.06.2016 verwiesen. Veranlasst durch die herrschende Mehrheitsaktionärin hat die Gesellschaft durch Tochtergesellschaften (vgl. Geschäftsbericht 2015, Seite 25) 100% der Anteile an der C.-S.A. zum Kaufpreis von EUR 34 Mio. erworben. Der Kaufvertrag wurde nach einer (gerichtlich angefochtenen) Beschlussfassung der Hauptversammlung vom 16.07.2015 am 22.07.2015 unterzeichnet und soweit ersichtlich danach mit Wirkung vom 01.08.2015 vollzogen. Dadurch wurde der herrschenden Mehrheitsaktionärin auf deren Veranlassung verdeckt Vermögen der Gesellschaft zugewendet. Der Kaufpreis war deutlich überhöht. Die Unangemessenheit des Kaufpreises beruht im Wesentlichen auf folgenden Faktoren:

der Annahme einer erhöhten Belegungsquote, zu niedrig angesetzten Kosten für die Beseitigung des Renovierungsrückstaus des erworbenen Hotels, Ansatz einer zu hohen Zimmerzahl, Ansatz zu niedriger laufender Erhaltungsinvestitionen, Nicht-Berücksichtigung des Ergebnisses 2014, Ansatz eines zu Lasten der Gesellschaft unrichtigen Wachstumsabschlags, Nicht-Berücksichtigung des wertmindernden Umstandes, dass das Hotel im Grundbuch als im Bau befindlich bezeichnet ist, sowie Nicht-Berücksichtigung überhöhter Verrechnungspreise von Geschäften der erworbenen Hotelbeteiligung mit den Konzerngesellschaften des herrschenden Unternehmens sowie wirtschaftlicher Aushöhlung der erworbenen Beteiligung vor Erwerb durch überhöhte Auszahlungen an das herrschende Unternehmen.

Die vorgenannten Organmitglieder waren an der Vorbereitung und Umsetzung des Geschäfts zum Vorteil des herrschenden Unternehmens als handelnde Vorstandsmitglieder (z.T. sogar während der Beschlussunfähigkeit des Vorstands!) bzw. deren unzureichender Überwachung als Aufsichtsratsmitglieder gerade auch in der Zeit der Beschlussunfähigkeit beteiligt – Frau F. als Vorstandsmitglied nur an der Umsetzung, Herr G. bis zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft an der Vorbereitung und Umsetzung. Die Pflichtwidrigkeiten bei der Vorbereitung und Umsetzung des Geschäfts folgen schon aus den Feststellungen des Besonderen Vertreters, die er in das Verfahren LG Duisburg 22 0 50/16 eingeführt hat und die unter anderem Grundlage der vom LG Duisburg erlassenen einstweiligen Verfügung vom 09.06.2016 waren:

Danach musste der Besondere Vertreter auf der Grundlage der ihm von der Gesellschaft vorgelegten Unterlagen feststellen, dass für die Bewertung des Kaufobjektes, der C.-S.A., ganz zentrale Aspekte von der Due-Diligence-Prüfung seitens der damit beauftragten WP-Gesellschaft Q. sowie seitens der anlässlich der Transaktion eingeholten Unternehmensbewertung ausgespart worden waren; dies betraf insbesondere den Umstand, dass von der Due-Diligence-Prüfung ausdrücklich jegliche Überprüfung der Angemessenheit der internen Konzernverrechnungspreise im Verhältnis zwischen der C.-S.A. und den Konzernunternehmen der D.-Gruppe ausgenommen war, obgleich in dem Due-Diligence Bericht für den Bereich Finanzen festgestellt wurde, dass gut 41,7% der von der C.-S.A. bezogenen Lieferungen und Leistungen von Unternehmen der D.-Gruppe stammten. Weiter ergab sich, dass die Einhaltung der einschlägigen bauordnungsrechtlichen und baupolizeilichen Vorschriften, insbesondere des Brandschutzes und der Gebäudesicherheit, von der Due-Diligence-Prüfung auftragsgemäß ausgespart geblieben waren. Schließlich ergab sich auch, dass noch kurz vor dem Kauf der Anteile an der C.-S.A. durch die (Tochtergesellschaften der) Gesellschaft im Jahr 2015 ganz erhebliche Zahlungen von der C.-S.A. an Gesellschaften der D.-Gruppe geflossen waren (sprich: Das Kaufobjekt wurde vor der Veräußerung kräftig zur Ader gelassen), ohne dass aus den Unterlagen klar wurde, ob diese Zahlungen berechtigt bzw. bei der Bestimmung des Kaufpreises berücksichtigt waren (vgl. LG Duisburg, Teilurteil vom 09.06.2016, S.8 f).

Der aufgrund des überhöhten Kaufpreises entstandene Ersatzanspruch der Gesellschaft ist auch nicht durch die in der Ad hoc-Meldung der Gesellschaft vom 13.07.2016 mitgeteilte Veräußerung der Beteiligung an der C.-S.A. kompensiert, da die Veräußerung nichts an der im Geschäftsjahr 2015 nicht ausgeglichenen (vgl. § 311 Abs. 2 AktG) Nachteilszufügung durch den überhöhten Kaufpreis zu ändern vermag. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft nur ca. 1/3 des Kaufpreises in Cash erhalten hat und den Rest des Kaufpreises wieder dem Käufer für den Erwerb von Immobilienkrediten zurückgezahlt hat.

Alle Organmitglieder haften neben der Verletzung ihrer Verpflichtungen als Organmitglieder gemäß §§ 93, 116 AktG darüber hinaus auch nach § 318 AktG als Gesamtschuldner neben den Unternehmen der D.-Gruppe, gegen die die Geltendmachung der Ersatzansprüche bereits beschlossen worden ist.

2. Bestellung eines Besonderen Vertreters, § 147 Abs. 2 AktG

Zum Besonderen Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 S. 1 AktG zur Geltendmachung der in Ziff. 1 dargelegten, geltend zu machenden Ansprüche wird bestellt:

Herr Rechtsanwalt Dr. A., geschäftsansässig R., R.-Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

Für den Fall, dass Herr Dr. A. sein Amt nicht annehmen kann oder wegfällt, wird ersatzweise Herr Dr. S., geschäftsansässig R., R.-Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, bestellt.

Der Besondere Vertreter kann sich zur Ausführung seines Auftrags ihm geeignet erscheinender Hilfspersonen, insbesondere zur beruflichen Verschwiegenheit Verpflichteter, seiner Wahl bedienen und sich insbesondere rechtlich (auch was das spanische Recht angeht) und in wirtschaftlicher Hinsicht beraten und unterstützen lassen, insbesondere von Personen mit Kenntnissen der Branche der Gesellschaft. Dem Besonderen Vertreter ist – soweit gesetzlich zulässig unmittelbar und sonst über den Vorstand der B.-AG – Zugang zu Personal und zu seinem Auftrag betreffenden Unterlagen der Gesellschaft zu gewähren.

Die Kosten des Rechtstreits sowie die außergerichtlichen Kosten der Streithelfer der Klägerin trägt die Beklagte.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. die Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Gründe

  I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der in der ordentlichen Hauptversammlung der seinerzeit noch unter B.-AG firmierenden Beklagten vom 21.07.2016 gefassten Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 7 (Abberufung des Besonderen Vertreters der Beklagten) und 10 (Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten und Bestellung eines Besonderen Vertreters).Randnummer2

Die Beklagte ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Duisburg. Gegenstand des Unternehmens der Beklagten ist u.a. der Betrieb von Hotels und anderen gastronomischen Betrieben im In- und Ausland und zwar insbesondere durch die Errichtung von Unternehmen oder der Beteiligung an anderen Unternehmen im In- und Ausland. Das Grundkapital der Beklagten beträgt 51.480.000,00 EUR und ist eingeteilt in 19.800.000 Stückaktien. Größte Aktionärin der Beklagten ist die D.-S.A., die der in der Hotellerie- und Touristikbranche tätigen D.-Gruppe angehört. Zweitgrößte Aktionärin der Beklagten war zu diesem Zeitpunkt die Klägerin. Deren Streithelfer zu 6) ist der mit – anderweitig angefochtenem – Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 16./17.07.2015 zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ersatzansprüchen
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
bestellte und mit dem hier strittigen Beschluss zu Tagesordnungspunkt 7 wieder abberufene Besondere Vertreter der Beklagten.Randnummer3

Hintergrund der streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse ist der – nach mit den Stimmen der Mehrheitsaktionärin gefasster Zustimmung der Hauptversammlung der Beklagten vom 16./17.07.2015, die ebenfalls Gegenstand einer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage ist (Landgericht Düsseldorf 40 O 75/15) – erfolgte Erwerb der Gesellschaftsanteile an der C.-S.A. zu einem Kaufpreis von 34 Mio. EUR durch die Beklagte von der D.-Gruppe.Randnummer4

Die Einberufung der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 erfolgte mit Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger am 08.06.2016 (Anlage MHP 1). Unter Top 7 schlugen der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten „im Kosteninteresse der Gesellschaft“ vor, die von der Hauptversammlung am 17.07.2015 beschlossene Bestellung des Besonderen Vertreters und seines Vertreters mit sofortiger Wirkung zu widerrufen. Zur Begründung heißt es u.a.:Randnummer5

„Der besondere Vertreter hat unverzüglich nach seiner Bestellung seine Tätigkeit aufgenommen. (….) Trotz der unverzüglichen Aufnahme seiner Tätigkeit hat der besondere Vertreter bis zum heutigen Tag keine Ersatzansprüche geltend gemacht. Der besondere Vertreter hat vielmehr angekündigt, eine Vielzahl von kostenintensiven Gutachten in Auftrag geben zu wollen. Sowohl die Fristversäumnis als auch die Gutachtenaufträge indizieren, dass die antragstellende Aktionärin T.-GmbH die Pflichtverletzungen zu den angeführten Sachverhalten nur ins Blaue hinein behauptet hat und nunmehr im Wege von Gutachten erstmals überhaupt Anhaltspunkte für Pflichtverstöße ermittelt werden sollen.“Randnummer6

Die Klägerin erwirkte daraufhin die Ergänzung der Tagesordnung um die Tagesordnungspunkte 8 (Bericht des besonderen Vertreters), 9 (Bestellung eines besonderen Vertreters zur Geltendmachung der von der Hauptversammlung am 17.07.2015 zur Geltendmachung beschlossenen Ersatzansprüche) und 10 (ergänzende Beschlussfassungen gemäß § 147 Abs. 1 AktG über die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der Beklagten gegen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrates im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. und über die Bestellung eines besonderen Vertreters zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gem. § 147 Abs. 2 AktG). Wegen der Einzelheiten wird auf die Bekanntmachung des Ergänzungsverlangens durch Einstellen in den Bundesanzeiger verwiesen (Anlage MHP 2).Randnummer7

Die Hauptversammlung wurde in Bezug auf die Tagesordnungspunkte 1 bis 7 vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten als dem satzungsgemäßen Versammlungsleiter geleitet. In Bezug auf die Tagesordnungspunkte 8 bis 10 übernahm Rechtsanwalt Dr. U. die Versammlungsleitung, nachdem er am Vortag gerichtlich zum Versammlungsleiter bestellt worden war (Beschluss AG Duisburg vom 20.07.2016 – HRB 3291, Anlage MP10).Randnummer8

Wegen des weiteren Sachverhalts und der erstinstanzlichen Anträge wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil in der berichtigten Fassung des Beschlusses vom 08.05.2020 verwiesen, soweit diese den in diesem Urteil getroffenen Feststellungen nicht widersprechen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.Randnummer9

Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des zu Tagesordnungspunkt 7 gefassten Beschlusses als begründet und in Bezug auf den abgelehnten Beschlussantrag zu Tagesordnungspunkt 10 als unbegründet angesehen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei anfechtungsbefugt; ihre Aktionärsrechte ruhten auch nicht aufgrund verletzter Mitteilungspflichten. Der zu Tagesordnungspunkt 7 mit den Stimmen der Beklagten (Anmerkung des Senats: Gemeint ist die Mehrheitsaktionärin der Beklagten) gefasste Beschluss, wonach der von der Hauptversammlung am 17.07.2015 bestellte Besondere Vertreter Dr. A. abberufen werde, sei für nichtig zu erklären, da er unter Verstoß gegen § 136 Abs.1 AktG zustande gekommen sei. Die Feststellung des BeschlussergebnissesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
Feststellung des Beschlussergebnisses
sei fehlerhaft, da die Mehrheitsaktionärin der Beklagten bei der Beschlussfassung einem Stimmrechtsausschluss unterlegen habe. Aktionäre sollten nach dieser Vorschrift in einem Interessenkonflikt zwischen den persönlichen und den Gesellschaftsinteressen ihr Stimmrecht nicht zu Lasten der Gesellschaft ausüben können; die Einflussnahme von verbandsfremden interessen auf das Abstimmungsergebnis solle vermieden werden. Dies gelte schon für jedwede Form der vorbereitenden Maßnahme, etwa die Bestellung eines Besonderen Vertreters zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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. Hier gehe es um die Abberufung des Besonderen Vertreters, der zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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in der Hauptversammlung vom 17.07.2015 bestellt worden sei. Als gegenläufiger Akt unterliege auch der Beschluss über die Aufhebung der Bestellung den Beschränkungen nach § 136 AktG, da ansonsten dem Gesetzeszweck zuwider durch eine Abberufung des Besonderen Vertreters die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen einen Aktionär zunichte gemacht werden könnte. Der Stimmrechtsausschluss sei auch nicht von den Gründen abhängig, aus denen die Aufhebung im Einzelfall erfolge. Insoweit könne dahinstehen, ob es tatsächlich wichtige Gründe gegeben habe, die für eine Abberufung des Besonderen Vertreters gesprochen hätten, wie die Beklagte meine. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Beschluss zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen den Aktionär selbst angreifbar sei, etwa weil die Ersatzansprüche nicht in ausreichender Weise konkretisiert seien. Dies folge aus der Zweckrichtung des Stimmverbotes, welches anderenfalls leerliefe. Der betroffene Aktionär sei auch nicht schutzlos, da ihm die Möglichkeit der Anfechtungsklage bleibe.Randnummer10

Die Klägerin könne hingegen weder mit Erfolg Anfechtungsklage gegen den zu Punkt 10 erfolgten Beschluss erheben, wonach die Hauptversammlung es abgelehnt habe, auch gegen die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. Schadensersatzansprüche geltend zu machen, noch mit Erfolg eine positive Feststellungsklage erheben, dass entsprechende Beschlüsse einschließlich der Bestellung eines Besonderen Vertreters mit diesem Wirkungskreis wirksam gefasst worden seien. Auch die Hilfsanträge hätten keinen Erfolg. Im Gegensatz zu dem zuvor behandelten Sachverhalt unterliege die Beklagte (Anmerkung des Senats: Gemeint ist erneut deren Mehrheitsaktionärin) bei einem Beschluss in Bezug auf die Geltendmachung etwaiger Ersatzansprüche gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat keinem Stimmausübungsverbot nach § 136 AktG. Eine analoge Anwendung des § 53a AktG scheitere an einer planwidrigen Regelungslücke, da ansonsten § 53a AktG auf den vorliegenden Fall erweitert worden wäre. Dem Gesetzgeber sei die grundsätzliche Problematik bewusst gewesen, ohne dass er insoweit eine Regelung getroffen hätte. Es könne dahinstehen, ob hinsichtlich des Lebenssachverhaltes, welcher einem Ersatzanspruch sowohl in Bezug auf den Aktionär als auch in Bezug auf den Vorstand zugrunde liege, ein enger Zusammenhang bestehe. Ein derartiger Zusammenhang sei allein bei mehreren Aktionären zur Ausweitung des Stimmrechts geeignet, nicht aber bei der Beschlussfassung nur über Ansprüche gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat. Es bestehe keine zwingende Notwendigkeit, über den Wortlaut des § 136 AktG hinaus das Stimmrechtsverbot auf Fälle auszuweiten, bei denen Ersatzansprüche gegen Vorstände und Aufsichtsrat geltend gemacht würden, wenn diese nicht gleichzeitig auch Aktionäre seien.Randnummer11

Hiergegen wenden sich die Klägerin und die Beklagte mit ihren form- und fristgerecht eingelegten Berufungen, mit denen die Klägerin ihre abgewiesenen Anträge weiterverfolgt und die Beklagte die vollständige Klageabweisung erreichen will.Randnummer12

Die Klägerin verfolgt ihre auf Nichtigerklärung des vom Versammlungsleiter zu Top 10 der Tagesordnung festgestellten (ablehnenden) Beschlusses sowie Feststellung des Zustandekommens der von ihr beantragten Beschlüsse zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der Beklagten gegen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats und der Bestellung eines Besonderen Vertreters gerichtete Klage weiter, rügt insofern die Verletzung materiellen Rechts und verteidigt das Urteil gegen die Angriffe der Berufung der Beklagten als zutreffend.Randnummer13

Die Klägerin meint, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, der im Antrag genannte Beschluss zu Top 10 der Tagesordnung sei mit den Stimmen der Mehrheitsaktionärin abgelehnt worden. Entgegen dessen Ansicht habe für die Mehrheitsaktionärin ein Stimmverbot nach § 136 Abs. 1 S. 1 Var. 3 AktG bestanden. Die Argumentation des Landgerichts sei derart oberflächlich und ohne Auseinandersetzung mit ihrem Vortrag, dass sie zunächst auf diesen sowie auf die Ausführungen des Nebenintervenienten Dr. A. Bezug nehme. Die Hauptversammlung der Beklagten 2015 habe die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen die Mehrheitsaktionärin im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. durch die Beklagte von der D.-Gruppe beschlossen. In dem insoweit vor dem Landgericht Düsseldorf anhängigen Verfahren (40 O 75/15) werde derzeit aufgrund eines gerichtlichen Beweisbeschusses die Angemessenheit des Kaufpreises von einem Sachverständigen überprüft. Da die Mehrheitsaktionärin die schädigenden Geschäfte nur mithilfe des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten habe durchführen können, habe sie, die Klägerin, die Tagesordnung der Hauptversammlung vom 21.07.2016 erweitern lassen, um auch die gesamtschuldnerische Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen die damaligen Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten zu beschließen. Die Begründung, mit der das Landgericht das Stimmrechtsverbot der Mehrheitsaktionärin trotz der beabsichtigten Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der mit ihr gesamtschuldnerisch haftenden Organmitglieder der Beklagten verneint habe, sei unverständlich. Wie es auf § 53a AktG komme, sei vollkommen unklar, da sie, die Klägerin, nie mit dieser Vorschrift argumentiert habe. Dagegen habe sich das Landgericht in keinster Art und Weise mit der insoweit einschlägigen BGH-Rechtsprechung (BGHZ 97, 28 ff.) auseinandergesetzt. Daraus, dass die Mehrheitsaktionärin kollusiv mit den Organen der Beklagten zu deren Schaden gehandelt habe, folge die gesamtschuldnerische Haftung der herrschenden Aktionärin und der Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft nach § 318 Abs. 1 und 2 AktG. Hinter § 136 Abs. 1 AktG stehe das allgemeine, rechtsformübergreifend anerkannte Verbot des Richtens in eigener Sache. Die entscheidende Frage sei hier, ob das Stimmverbot auch für den gelte, der mit denjenigen, gegen die sich die zu beschließenden Ersatzansprüche richten sollen, gemeinsam gehandelt habe. Würde es sich sämtlich um Aktionäre handeln, wäre das unstreitig der Fall, sofern zwischen den Ansprüchen gegen die einzelnen Aktionäre ein Zusammenhang bestünde. Die Reichweite des Stimmverbots sei auch keinesfalls eine Frage der Einzelanalogie, sondern folge bereits aus der Auslegung der Norm. Die BGH-Rechtsprechung sei ihrer Auffassung nach auch auf Mittäter anwendbar, die keine Aktionäre seien, da die Mehrheitsaktionärin bei der Beurteilung über das den Organmitgliedern vorgeworfene Fehlverhalten ihrer Mittäter und damit gleichzeitig über ihr eigenes Fehlverhalten abstimme. Ohne die Stimmen der D.-S.A. wären der ablehnende Beschluss nicht gefasst worden und die von ihr beantragten Beschlüsse zustande gekommen. Randnummer14

Die Klägerin ist im Übrigen der Auffassung, dass das Landgericht zutreffend von einem Stimmverbot der Mehrheitsaktionärin ausgegangen sei. Ein wichtiger Grund für die Abberufung von Dr. A. würde schon das Stimmverbot nicht aufheben, liege aber auch nicht vor und sei nach dem Vortrag der Beklagten nicht ersichtlich. Auch sei das Stimmverbot nicht rechtsmissbräuchlich herbeigeführt worden.Randnummer15

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),Randnummer16

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und unter teilweiser Abänderung des am 21.02.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Düsseldorf (40 O 66/16)Randnummer17

die in der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 vom Versammlungsleiter festgestellten und verkündeten Beschlüsse zu Punkt 10 der Tagesordnung für nichtig zu erklären, wonach die Beschlussanträge der Klägerin zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der B.-AG („B.-AG“) gem. § 147 Abs. 1 AktG gegen Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. durch die B.-AG von der D.-Gruppe sowie zur Bestellung eines Besonderen Vertreters zur Geltendmachung der Ersatzansprüche gemäß § 147 Abs. 2 S.1 AktG abgelehnt worden sind;Randnummer18

stattdessen im Wege der positiven Beschlussfeststellungsklage festzustellen, dass in der Hauptversammlung der Beklagten am 21.07.2016 zu Top 10 der Tagesordnung die nachfolgenden Beschlüsse gefasst worden sind:Randnummer19

1. Beschlussfassung über die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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§ 147 Abs. 1 AktGRandnummer20

Die Hauptversammlung der Gesellschaft hat am 17.07.2015 beschlossen, Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die E.-S.A.U. und Obergesellschaften im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. durch die Gesellschaft von der D.-Gruppe geltend zu machen. Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf die Bekanntmachung von Top 7 der heutigen Hauptversammlung im Bundesanzeiger vom 08.06.2016 sowie auf die Bekanntmachung von Top 11 der Tagesordnung der Hauptversammlung vom 17.07.2015 im Bundesanzeiger am 19.06.2015.Randnummer21

Ergänzend dazu wird nunmehr beschlossen, die Ersatzansprüche der Gesellschaft aus dem vorgenannten Geschäft als Gesamtschuldner mit der E.-S.A.U. und Obergesellschaften auch geltend zu machenRandnummer22

– gegen die (z.T.) ehemaligen Vorstandsmitglieder der Gesellschaft F., G. sowie H. sowieRandnummer23

– gegen die Aufsichtsratsmitglieder J., K., L., M., N. sowie O..Randnummer24

Zum Grund der geltend zu machenden Ansprüche wird zunächst auf die Darstellung bei der Bekanntmachung des Top 10 im Bundesanzeiger am 28.06.2016 verwiesen. Veranlasst durch die herrschende Mehrheitsaktionärin hat die Gesellschaft durch Tochtergesellschaften (vgl. Geschäftsbericht 2015, Seite 25) 100% der Anteile an der C.-S.A. zum Kaufpreis von EUR 34 Mio. erworben. Der Kaufvertrag wurde nach einer (gerichtlich angefochtenen) Beschlussfassung der Hauptversammlung vom 16.07.2015 am 22.07.2015 unterzeichnet und soweit ersichtlich danach mit Wirkung vom 01.08.2015 vollzogen. Dadurch wurde der herrschenden Mehrheitsaktionärin auf deren Veranlassung verdeckt Vermögen der Gesellschaft zugewendet. Der Kaufpreis war deutlich überhöht. Die Unangemessenheit des Kaufpreises beruht im Wesentlichen auf folgenden Faktoren:Randnummer25

der Annahme einer erhöhten Belegungsquote, zu niedrig angesetzten Kosten für die Beseitigung des Renovierungsrückstaus des erworbenen Hotels, Ansatz einer zu hohen Zimmerzahl, Ansatz zu niedriger laufender Erhaltungsinvestitionen, Nicht-Berücksichtigung des Ergebnisses 2014, Ansatz eines zu Lasten der Gesellschaft unrichtigen Wachstumsabschlags, Nicht-Berücksichtigung des wertmindernden Umstandes, dass das Hotel im Grundbuch als im Bau befindlich bezeichnet ist, sowie Nicht-Berücksichtigung überhöhter Verrechnungspreise von Geschäften der erworbenen Hotelbeteiligung mit den Konzerngesellschaften des herrschenden Unternehmens sowie wirtschaftlicher Aushöhlung der erworbenen Beteiligung vor Erwerb durch überhöhte Auszahlungen an das herrschende Unternehmen.Randnummer26

Die vorgenannten Organmitglieder waren an der Vorbereitung und Umsetzung des Geschäfts zum Vorteil des herrschenden Unternehmens als handelnde Vorstandsmitglieder (z.T. sogar während der Beschlussunfähigkeit des Vorstands!) bzw. deren unzureichender Überwachung als Aufsichtsratsmitglieder gerade auch in der Zeit der Beschlussunfähigkeit beteiligt – Frau F. als Vorstandsmitglied nur an der Umsetzung, Herr G. bis zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft an der Vorbereitung und Umsetzung. Die Pflichtwidrigkeiten bei der Vorbereitung und Umsetzung des Geschäfts folgen schon aus den Feststellungen des Besonderen Vertreters, die er in das Verfahren LG Duisburg 22 0 50/16 eingeführt hat und die unter anderem Grundlage der vom LG Duisburg erlassenen einstweiligen Verfügung vom 09.06.2016 waren:Randnummer27

Danach musste der Besondere Vertreter auf der Grundlage der ihm von der Gesellschaft vorgelegten Unterlagen feststellen, dass für die Bewertung des Kaufobjektes, der C.-S.A., ganz zentrale Aspekte von der Due-Diligence-Prüfung seitens der damit beauftragten WP-Gesellschaft Q. sowie seitens der anlässlich der Transaktion eingeholten Unternehmensbewertung ausgespart worden waren; dies betraf insbesondere den Umstand, dass von der Due-Diligence-Prüfung ausdrücklich jegliche Überprüfung der Angemessenheit der internen Konzernverrechnungspreise im Verhältnis zwischen der C.-S.A. und den Konzernunternehmen der D.-Gruppe ausgenommen war, obgleich in dem Due-Diligence Bericht für den Bereich Finanzen festgestellt wurde, dass gut 41,7% der von der C.-S.A. bezogenen Lieferungen und Leistungen von Unternehmen der D.-Gruppe stammten. Weiter ergab sich, dass die Einhaltung der einschlägigen bauordnungsrechtlichen und baupolizeilichen Vorschriften, insbesondere des Brandschutzes und der Gebäudesicherheit, von der Due-Diligence-Prüfung auftragsgemäß ausgespart geblieben waren. Schließlich ergab sich auch, dass noch kurz vor dem Kauf der Anteile an der C.-S.A. durch die (Tochtergesellschaften der) Gesellschaft im Jahr 2015 ganz erhebliche Zahlungen von der C.-S.A. an Gesellschaften der D.-Gruppe geflossen waren (sprich: Das Kaufobjekt wurde vor der Veräußerung kräftig zur Ader gelassen), ohne dass aus den Unterlagen klar wurde, ob diese Zahlungen berechtigt bzw. bei der Bestimmung des Kaufpreises berücksichtigt waren (vgl. LG Duisburg, Teilurteil vom 09.06.2016, S.8 f).Randnummer28

Der aufgrund des überhöhten Kaufpreises entstandene Ersatzanspruch der Gesellschaft ist auch nicht durch die in der Ad hoc-Meldung der Gesellschaft vom 13.07.2016 mitgeteilte Veräußerung der Beteiligung an der C.-S.A. kompensiert, da die Veräußerung nichts an der im Geschäftsjahr 2015 nicht ausgeglichenen (vgl. § 311 Abs. 2 AktG) Nachteilszufügung durch den überhöhten Kaufpreis zu ändern vermag. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft nur ca. 1/3 des Kaufpreises in Cash erhalten hat und den Rest des Kaufpreises wieder dem Käufer für den Erwerb von Immobilienkrediten zurückgezahlt hat.Randnummer29

Alle Organmitglieder haften neben der Verletzung ihrer Verpflichtungen als Organmitglieder gemäß §§ 93, 116 AktG darüber hinaus auch nach § 318 AktG als Gesamtschuldner neben den Unternehmen der D.-Gruppe, gegen die die Geltendmachung der Ersatzansprüche bereits beschlossen worden ist.Randnummer30

2. Bestellung eines Besonderen Vertreters, § 147 Abs.2 AktGRandnummer31

Zum Besonderen Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 S. 1 AktG zur Geltendmachung der in Ziff. 1 dargelegten, geltend zu machenden Ansprüche wird bestellt:Randnummer32

Herr Rechtsanwalt Dr. A., geschäftsansässig R., R.-Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.Randnummer33

Für den Fall, dass Herr Dr. A. sein Amt nicht annehmen kann oder wegfällt, wird ersatzweiseRandnummer34

Herr Dr. S., geschäftsansässig R., R.-Rechtsanwaltsgesellschaft mbH bestellt.Randnummer35

Der Besondere Vertreter kann sich zur Ausführung seines Auftrags ihm geeignet erscheinender Hilfspersonen, insbesondere zur beruflichen Verschwiegenheit Verpflichteter, seiner Wahl bedienen und sich insbesondere rechtlich (auch was das spanische Recht angeht) und in wirtschaftlicher Hinsicht beraten und unterstützen lassen, insbesondere von Personen mit Kenntnissen der Branche der Gesellschaft. Dem Besonderen Vertreter ist – soweit gesetzlich zulässig unmittelbar und sonst über den Vorstand der B.-AG – Zugang zu Personal und zu seinem Auftrag betreffenden Unterlagen der Gesellschaft zu gewähren;Randnummer36

hilfsweise,Randnummer37

die Nichtigkeit des vorgenannten Beschlusses zu Top 10 der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 festzustellen,Randnummer38

äußerst hilfsweise,Randnummer39

die Unwirksamkeit des vorgenannten Beschlusses festzustellen.Randnummer40

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),Randnummer41

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und die Klage unter teilweiser Abänderung des am 21.02.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Düsseldorf (40 O 66/16) insgesamt abzuweisen.Randnummer42

Die Beklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie macht zunächst geltend, das Landgericht habe ausweislich der alleinigen Begründung hinsichtlich der Begründetheit des Klageantrages zu Ziffer 1. den Kern ihres Vorbringens nicht erfasst. Die Hauptversammlung könne den Besonderen Vertreter nämlich jederzeit abberufen. Die vom Landgericht zitierte Fundstelle beziehe sich demgegenüber auf den Geltendmachungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 AktG. Das Landgericht habe somit erkennbar nicht zwischen der Aufhebung des Geltendmachungsbeschlusses und der bloßen Abberufung des Besonderen Vertreters differenziert. Dass nicht deutlich hervorgehoben werde, dass es bei dem Beschluss zu Top 7 lediglich um den Widerruf der Bestellung des Besonderen Vertreters gehe, begründe auch Zweifel daran, ob das Urteil auf richtigen und vollständigen Tatsachenfeststellungen beruhe.Randnummer43

Auch ihren Vortrag zum Nichtbestehen des Stimmverbots nach § 136 AktG habe das Landgericht nicht beachtet. Im Grunde hafte der Mangel der fehlenden Bestimmtheit schon dem Geltendmachungs- und Bestellungsbeschluss an, sodass kein Raum für die formalistische Betrachtungsweise des Landgerichts sei, die das Stimmverbot nur aufgrund eines actus contrarius des Widerrufs zur Bestellung herleite. Bei genauerer Auseinandersetzung mit ihrem Vortrag hätte das Landgericht, so die Beklagte, erkennen müssen, dass ein anfängliches Stimmverbot (quod non) zumindest wieder entfallen sei und im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Widerruf der Bestellung des Besonderen Vertreters nicht mehr bestanden habe, da insbesondere auch bis heute, also mehr als 2000 Tage nach seiner Bestellung, keine Ansprüche durch diesen geltend gemacht worden seien. Entgegen der Ausführungen des Landgerichts könne es auch nicht dahinstehen, ob es tatsächlich wichtige Gründe gebe, die für die Abberufung sprächen, da auch der Stimmrechtsausschluss nicht von Gründen abhängig sei, aus denen die Aufhebung im Einzelfall erfolge (quod non). Der Widerruf der Bestellung sei vielmehr jederzeit und ohne, dass dafür ein wichtiger Grund vorliegen müsste, möglich. Hier sei es auch so, dass die wichtigen Gründe gerade das Bestehen eines Stimmrechtsverbotes ausschlössen. Ein Stimmverbot bestehe nicht, sofern es rechtsmissbräuchlich und somit treuwidrig herbeigeführt werde. Die wichtigen Gründe, die vorliegend den Widerruf der Bestellung rechtfertigten, korrespondierten gerade mit dem rechtsmissbräuchlichen Geschäftsmodell der Bestellung eines Besonderen Vertreters durch den Minderheitsaktionär. Insoweit sei dem Landgericht nicht nur eine Gehörsverletzung, sondern auch ein Verstoß gegen seine Hinweispflichten nach § 139 ZPO vorzuwerfen. Wäre sie darauf hingewiesen worden, dass sie ihr Vorbringen in Bezug auf die offensichtliche Rechtsmissbräuchlichkeit des Geschäftsmodells der Bestellung eines Besonderen Vertreters sowie zu den wichtigen, dessen Abberufung rechtfertigenden Gründen konkretisieren müsse, hätte sie dies wie folgt getan, sodass ihr neuer Vortrag im Berufungsverfahren zu berücksichtigen sei. Ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vorbringen, welches sie u.a. auf den Aufsatz von Bayer (AG 2016, 637 ff.) gestützt habe, beziehe sie sich für ihren Vorwurf, wonach dem als Besonderen Vertreter tätigen Berater durch die Behauptung von Pflichtverstößen ins Blaue hinein zu einem umfassenden faktisch kaum kündbaren Mandat mit großen Honorarvolumen verholfen werde, was Bayer (aaO) zutreffend als ein neues, der rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklage vergleichbares Geschäftsmodell bezeichnet habe, ergänzend auf die diesbezügliche Veröffentlichung der Ergebnisse einer empirischen Auswertung von Bayer/Hoffmann (AG 2018, 337 ff., Anlage B 11). Aufgrund der offensichtlichen Verbandelung des Prozessvertreters der Klägerin mit dem Besonderen Vertreter und der mit ihm in Kanzlei verbundenen Rechtsanwälte gepaart mit der Untätigkeit des Besonderen Vertreters sei dessen Abberufung im Interesse aller Aktionäre gerechtfertigt.Randnummer44

In materieller Hinsicht begründet die Beklagte ihre Berufung damit, dass der unter Top 11 gefasste Bestellungsbeschluss der Hauptversammlung 2015 nicht nur anfechtbar, sondern entgegen der Auffassung des Landgerichts nichtig sei, da er eine Konkretisierung der Ersatzansprüche vermissen lasse. Die Mehrheitsaktionärin könne daher bei der Beschlussfassung über die bloße isolierte Abberufung des Besonderen Vertreters überhaupt kein Stimmverbot getroffen haben. Der erkennende Senat habe in seinem Urteil vom 20.12.2018 (I-6 U 215/16, Anlage B 10) zudem festgestellt, dass dem Beschluss der Hauptversammlung am 21.07.2016 zu Top 9 und damit allen anderen Beschlüssen, die auf dem infolge der Unbestimmtheit unwirksamen Geltendmachungs- und Bestellungsbeschluss der Hauptversammlung 2015 beruhen, die Grundlage entzogen sei.Randnummer45

Die Beklagte verteidigt das Urteil, soweit es für sie günstig ist, als zutreffend. Die Behauptung, ein Teil ihrer Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder und ihre Mehrheitsaktionärin hätten kollusiv als Mittäter zusammengewirkt und seien in Bezug auf die angeblichen Ersatzansprüche Gesamtschuldner, sei weiterhin unzutreffend. Entgegen der wortreichen, aber unsubstantiierten Behauptungen sei dies auch nicht denknotwendig der Fall. Vielmehr sei es gerade so, dass eine solche unsubstantiierte Behauptung gerade nicht ausreichend sei, einen so gravierenden Eingriff in das Stimmrecht des Mehrheitsgesellschafters bezogen auf die isoliert die Verwaltungsmitglieder betreffende Fragestellung zu begründen. Bereits 2015 sei es nicht gelungen, eine etwaige Gesamtschuld hinreichend substantiiert darzulegen. So verwundere es nicht, dass der auf Betreiben der Klägerin gerichtlich bestellte Versammlungsleiter auf der Hauptversammlung 2016 ebenfalls von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und kein Stimmverbot der Mehrheitsaktionärin angenommen habe. Die Feststellungen des Landgerichts seien richtig und stützten dessen – zutreffende – Rechtsauffassung, wonach das Stimmverbot nicht auf Fälle ausgedehnt werden dürfe, in denen über Ersatzansprüche gegen Organmitglieder Beschluss gefasst werden solle, die nicht zugleich Aktionäre seien. Auch wenn die Formulierung in Bezug auf die Regelung des § 53a AktG etwas verunglückt sei, führe das Landgericht eindeutig aus, dass hier eine Auslegung über den Wortlaut des § 136 AktG hinaus unmöglich sei. Die Erstreckung des Stimmverbots von Aktionären auf Drittsachverhalte werde von der Norm ausdrücklich nicht erfasst. Halte man die Vorschrift dennoch für auslegbar, sei zu beachten, dass es sich um eine Ausnahmeregelung handele, sodass sich eine extensive Auslegung verbiete. Der Verweis des Landgerichts auf § 53a AktG sei nicht einmal falsch, da dieser zeige, dass vorliegend keine planwidrige Regelungslücke bestehe, die eine analoge Anwendung von § 136 AktG auf den Sachverhalt rechtfertigen könnte. Der Gesetzgeber hätte mehrmals die Möglichkeit gehabt, der vorliegenden Konstellation durch eine Gesetzesänderung zu begegnen. Die kasuistische Fassung der Norm sei als gesetzgeberische Entscheidung hinzunehmen. Eine solch weitgehende Analogie wie von der Klägerin gefordert, weiche inhaltlich auch weit von den aufgeführten Anwendungsfällen ab. Außerdem bestehe keine vergleichbare Interessenlage. Entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin unter Verweis auf den Aufsatz seiner in Sozietät verbundenen Kollegen Lochner und Beneke (ZIP 2015, 2010 ff.) vertretenen Auffassung sei die Regelung nicht auch auf Sachverhalte auszuweiten, die eine (separate) Beschlussfassung hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Organmitgliedern zum Gegenstand habe. Die Schlussfolgerung von Lochner/Beneke finde in den Entscheidungen des BGH (Urt. v. 20.01.1986 – II ZR 73/85, ZIP 1986, 429 ff.) und des OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
(Urt. v. 27.08.2008 – 7 U 5678/07, ZIP 2008, 1916 ff.) keine Stütze. Es handele sich um Einzelfallentscheidungen, nicht um Rechtsfortbildung. Die Aufzählung in § 136 Abs. 1 AktG sei grundsätzlich abschließend.Randnummer46

Der Senat hat den Parteien seine vorläufige Rechtsauffassung mit Beschluss vom 01.02.2021 zur Kenntnis gebracht und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.Randnummer47

Zur Vervollständigung des Vorbringens der Parteien zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 11.11.2021 und die in diesem Urteil getroffenen Feststellungen verwiesen.

  II.

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg; das Rechtsmittel der Beklagten ist unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts beruht nur insofern auf einer Rechtsverletzung, als das Landgericht die auf den Tagesordnungspunkt 10 bezogene Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage sowie die positive Beschlussfeststellungsklage als unbegründet abgewiesen hat. Mit Recht hat das Landgericht hingegen den von der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 zu Tagesordnungspunkt 7 gefassten Beschluss für nichtig erklärt, §§ 241 Nr. 5, 243 Abs. 1 AktG.

A.

1. Die Klägerin ist als (seinerzeit) zweitgrößte Aktionärin der Beklagten mit einem Aktienanteil von 33,80% anfechtungsbefugt, § 245 Nr. 1 AktG. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Landgerichts unter I. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ist die Klägerin nicht an der Ausübung ihrer Rechte aus diesen Aktien wegen einer Verletzung gesetzlicher Mitteilungspflichten gehindert. Für die Klägerin hat Rechtsanwalt Dr. V. an der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 teilgenommen. Dieser hat gegen alle, also auch gegen die streitgegenständlichen, Beschlüsse Widerspruch zu der Niederschrift des Notars W. (Vollständiges Hauptversammlungsprotokoll Anlage B 5, Seite 57) erklärt.Randnummer50

2. Die Anfechtungsfrist ist gewahrt. Die Klage ist zwar nicht innerhalb der am (Montag) 22.08.2016 endenden Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG erhoben worden, § 253 Abs. 1 ZPO. Die am 22.08.2016 per Telefax und im Original beim Landgericht eingegangene Klage ist dem Vorstand und dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten jedoch am 16.09.2016 (Vorstand) bzw. am 15.09.2016 (Aufsichtsrat) und damit demnächst i.S.d. § 167 ZPO (vgl. dazu nur Zöller/Schultzky/Greger, ZPO, 33. Auflage, § 167 Rn. 10) zugestellt worden, sodass die Zustellung auf den Zeitpunkt des Klageeingangs zurückwirkt, § 167 ZPO. Die Zustellung ist in nicht allzu erheblichem zeitlichem Abstand vom Fristablauf erfolgt. Außerdem hat die Klägerin alles ihr Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung der Klage getan, indem sie den Streitwert beziffert und die Vorschussrechnung des Landgerichts vom 25.08.2016 bereits durch Überweisung vom 26.08.2016 beglichen hat.Randnummer51

B. Berufung der Beklagten

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Klage ist in Bezug auf den in der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 zu Tagesordnungspunkt 7 gefassten Beschluss über die Abberufung des Streithelfers zu 6) als besonderer Vertreter der Beklagten begründet.Randnummer53

1. Eine – vorrangig zu prüfende – Nichtigkeit des Beschlusses hat die Klägerin nicht geltend gemacht; Nichtigkeitsgründe des Beschlusses sind auch nicht ersichtlich.Randnummer54

2. Der Beschluss zu Tagesordnungspunkt 7 ist aber wegen eines Gesetzesverstoßes anfechtbar, § 243 Abs. 1 AktG. Die Mehrheitsaktionärin der Beklagten, die D.-S.A., unterlag bei der Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt einem Stimmverbot gemäß § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG, sodass der Versammlungsleiter die für sie abgegebenen Stimmen bei seiner Feststellung, der Vorschlag sei von der Hauptversammlung mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden, zu Unrecht berücksichtigt hat (Hauptversammlungsprotokoll Anlage B 5, Seite 42).Randnummer55

a) Die D.-S.A. als die Aktionärin, gegen welche Ersatzansprüche geltend zu machen sind, ist gemäß § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG vom Stimmrecht nicht nur hinsichtlich der Abstimmung über die Bestellung eines Besonderen Vertreters zur Geltendmachung der von der Hauptversammlung am 17.07.2015 zur Geltendmachung beschlossenen Ersatzansprüche (Tagesordnungspunkt 9, Hauptversammlungsprotokoll Anlage B 5, Seiten 43 ff.), sondern auch in Bezug auf die Abstimmung über die Abberufung des von der Hauptversammlung der Beklagten am 17.07.2015 bestellten Besonderen Vertreters ausgeschlossen. Die Verfahrensrügen der Beklagten greifen nicht durch, da sich das angefochtene Urteil im Ergebnis als richtig erweist. Auch dieser Beschluss findet seine Grundlage in dem Geltendmachungsbeschluss der Hauptversammlung 2015 [dazu unter aa)]. Der Abstimmungsgegenstand wird vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst [dazu unter bb)]. Das Stimmverbot gilt hier unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Abberufung des Besonderen Vertreters [dazu unter cc)] und ist auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen [dazu unter dd)].Randnummer56

aa) Ein Stimmverbot der Mehrheitsaktionärin der Beklagten scheidet nicht schon deshalb aus, weil es an einem wirksamen Geltendmachungsbeschluss und damit an einer rechtlichen Grundlage sowohl für die Bestellung eines Besonderen Vertreters als auch für deren actus contrarius, den Widerruf der Bestellung, fehlt. Der Geltendmachungsbeschluss der Hauptversammlung 2015 der Beklagten ist jedenfalls nicht nichtig [BGH, Urt. v. 30.06.2020 – II ZR 8/19, NZG 2020, 1025, juris Rz. 18 ff.; so auch Senat, Urt. v. 20.12.2018 – I-6 U 215/16 unter E. 1. d)] und ist daher bis zur Entscheidung über die vor dem Landgericht Düsseldorf erhobene Anfechtungsklage in dem – nicht gemäß § 148 ZPO vorgreiflichen (BGH aaO, juris Rz. 43/44) – Verfahren 40 O 75/15 als wirksam zu behandeln. Setzt ein Beschluss über die Bestellung eines Besonderen Vertreters lediglich einen wirksamen Geltendmachungsbeschluss gemäß § 147 Abs. 1 AktG voraus, der bereits gefasst wurde oder zeitgleich gefasst wird (BGH aaO, juris Rz.16/17), kann für den Abberufungsbeschluss nichts anderes gelten. Auch dieser beruht als actus contrarius zum Bestellungsbeschluss auf dem Geltendmachungsbeschluss. Eine von dem Geltendmachungsbeschluss losgelöste Betrachtung des Abberufungsbeschlusses ist auch nicht etwa deshalb veranlasst, weil die Organstellung hier eigenständig zu beurteilen wäre und im Falle der Anfechtbarkeit des Geltendmachungsbeschlusses erneut der Widerruf der Bestellung des Besonderen Vertreters beschlossen werden müsste. Vielmehr würde der Bestellungsbeschluss mit Wegfall des Geltendmachungsbeschlusses seine Grundlage verlieren und das Amt des Besonderen Vertreters enden, ohne dass es hierfür einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage bedürfte (BGH aaO, juris Rz. 44).Randnummer57

bb) Gemäß § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG darf kein Aktionär für sich oder für einen anderen das Stimmrecht ausüben, wenn darüber Beschluss gefasst wird, ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen soll. Ob der in Rede stehende Ersatzanspruch tatsächlich besteht, ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung, solange die Geltendmachung keinen Rechtsmissbrauch darstellt (Spindler in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl.2020, § 136 AktG Rz. 28; MüKoAktG/Arnold, 4. Aufl. 2018, AktG § 136 Rn. 13; Hüffer/Koch, 15. Aufl. 2021, AktG § 136 Rn. 23; OLG München, Urt. v. 27.08.2008 – 7 U 5678/07, AG 2008, 864; LG Frankfurt/Main, Urt. v. 26.02.2013 – 3/5 O 110/12, NZG 2013, 1181), was hier nicht der Fall ist [dazu sogleich unter dd)].Randnummer58

Das Stimmverbot bezweckt, den Verbandswillen von solchen Sonderinteressen freizuhalten, mit denen in bestimmten Konstellationen, hier das Richten in eigener Sache, typischerweise zu rechnen ist. Ob der betroffene Aktionär im konkreten Fall tatsächlich verbandsfremde Einzelinteressen verfolgt, ist infolgedessen nicht maßgeblich Vielmehr hat sich der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit gegen einen allgemeinen Stimmrechtsausschlusstatbestand und für eine Aufzählung konkreter Ausschlusstatbestände entschieden. In diesen Fällen gilt eine unwiderlegliche Vermutung der Befangenheit wegen Interessenkollision (so MüKoAktG/Arnold, 4. Aufl. 2018, § 136 Rn. 5 unter Hinweis auf BGHZ 51, 209 u.a.). Unter den Begriff der Geltendmachung in § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG fallen nicht nur die konkreten Schritte zur (außer-)gerichtlichen Verfolgung der Ansprüche, sondern auch Maßnahmen zu deren Vorbereitung (so zum GmbH- und Personengesellschaftsrecht für die Beschlussfassung über die Einholung eines Gutachtens zur Prüfung, ob Schadensersatzansprüche gegen den betroffenen Gesellschafter bestehen BGH, Urt. v. 07.02.2012 – II ZR 230/09, NZG 2012, 625, juris Rz. 16 unter Hinweis auf BGH, ZIP 1990, 1194). Erfasst werden auch Maßnahmen, die auf die Beendigung der Geltendmachung abzielen (MüKoAktG/Arnold, 4. Aufl. 2018, § 136 Rn. 13-14; Hüffer/Koch, 15. Aufl. 2021, AktG § 136 Rn 23; Spindler/Stilz/Rieckers, 4. Aufl. 2019, AktG § 136 Rn. 12-13; Holzborn in: Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 136 Rn. 7; KK-AktG/Tröger, 3. Aufl. 2017, § 136 Rz. 39-42).Randnummer59

Fallen demnach einerseits Maßnahmen wie die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder die Bestellung eines Besonderen Vertreters sowie andererseits der Verzicht, der Abschluss eines Vergleichs oder die Klagerücknahme unter den Begriff der Geltendmachung, gilt dies auch für die Abberufung des Besonderen Vertreters.Randnummer60

Ob sich dies der Vorschrift bereits im Wege der Auslegung entnehmen lässt oder ein Fall der (zulässigen) Einzelanalogie vorliegt, mag dahinstehen. Entscheidend ist, dass ein Sachverhalt, bei dem verbandsfremde Sonderinteressen des betroffenen Aktionärs typischerweise zu erwarten sind, bei der Abstimmung über solche Maßnahmen, die auf ein Absehen von der Geltendmachung der Ersatzansprüche abzielen, in gleicher Weise vorliegt wie bei derjenigen über die Geltendmachung selbst. Eine effektive Umsetzung des Stimmverbots erfordert daher das Freihalten der Willensbildung von diesen Sonderinteressen auch in den Fällen, in denen es der Sache nach um die Beendigung der Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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geht. Dies ist auch bei einer Beschlussfassung über die Abberufung eines Besonderen Vertreters gegeben. § 147 AktG will die tatsächliche Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche sichern und soll so dem das pflichtgemäße Verhalten bewirkenden Haftungsdruck für die Organe Nachdruck verleihen. Zudem sollen die §§ 147 ff. AktG verhindern, dass Ersatzansprüche der Gesellschaft auf Grund einer Befangenheit der Mitglieder der Verwaltungsorgane nicht durchgesetzt werden (BGH Urt. v. 30.06.2020 – II ZR 8/19, NZG 2020, 1025, juris Rz. 39 mwN). Mit einem eigeninteressengeleiteten Stimmverhalten des betroffenen Aktionärs ist vor diesem Hintergrund auch bei der Abstimmung über die Abberufung des gerade zwecks Sicherung der tatsächlichen Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche und anstelle der Gesellschaftsorgane mit der Durchsetzung der Ansprüche beauftragten Besonderen Vertreters nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG zu rechnen. Anderes mag im Einzelfall gelten, sofern gleichzeitig mit dem Abberufungsbeschluss ein Beschluss gefasst wird, wonach die Ersatzansprüche stattdessen von den Organen der Gesellschaft durchzusetzen sind. Das ist hier aber nicht der Fall. Vielmehr lässt der Vortrag de r Beklagten erkennen, dass sie gerade nicht beabsichtigt, das Bestehen etwaiger Ersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. gegen die sie beherrschende D.-S.A. und/oder ihre eigenen Organe zu prüfen und diese ggf. geltend zu machen.Randnummer61

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte das Landgericht mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen lassen, ob es tatsächlich wichtige Gründe in der Person des Besonderen Vertreters für die Abberufung gibt.Randnummer62

aaa) Das angefochtene Urteil beruht insofern nicht auf einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör oder auf unrichtigen oder unvollständigen Tatsachenfeststellungen. Das Landgericht hat die Rechtsansicht der Beklagten zur Beachtlichkeit des wichtigen Grundes nicht geteilt sowie – ungeachtet der zitierten Fundstelle – sehr wohl zwischen der Aufhebung des Geltendmachungsbeschlusses und der Abberufung des Besonderen Vertreters differenziert, wie dessen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils unter II. 2. erkennen lassen. Danach hat sich das Landgericht nur mit dem Stimmverbot bei der Aufhebung des Bestellungsbeschlusses, also mit der Abberufung des Besonderen Vertreters befasst.Randnummer63

bbb) Im Ansatz zutreffend verweist die Beklagte zwar darauf, dass ein von der Hauptversammlung bestellter besonderer Vertreter, anders als ein vom Gericht gemäß § 147 Abs. 2 Satz 2 AktG bestellter besonderer Vertreter, auch vor Beendigung seiner Tätigkeit von der Hauptversammlung jederzeit abberufen werden könnte, ohne dass es eines besonderen oder wichtigen Grundes bedürfte (vgl. nur Spindler in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 147 AktG Rz. 39; OLG München, Urt. v. 03.03.2010 – 7 U 4744/09, NZG 2010, 503, juris Rz. 39 m.w.N.). Hier ist aber zu beachten, dass der Streithelfer zu 6) der Klägerin, wie soeben unter 2. a) bb) erläutert, von der Hauptversammlung der Beklagten unter Ausschluss des Stimmrechts der Mehrheitsaktionärin zum Besonderen Vertreter bestellt worden ist. Dies hat zur Folge, dass auch über den Widerruf seiner Bestellung unter Ausschluss des Stimmrechts der Aktionärin, gegen die Ansprüche geltend gemacht werden sollen, abzustimmen ist (so auch MüKoAktG/Arnold, 4. Aufl. 2018, AktG § 147 Rn. 49 und 100). Andernfalls gelangte man zu einem dem Gesetzeszweck zuwiderlaufenden Ergebnis und würden die aus § 147 AktG folgenden Minderheitenrechte leerlaufen, weil die von der Geltendmachung der Ersatzansprüche betroffene Mehrheitsaktionärin die Aktionärsminderheit ohne weiteres daran hindern könnte, die unter Stimmrechtsausschluss der betroffenen Aktionärin beschlossene Geltendmachung nach § 147 AktG auch durchzusetzen, indem sie den mit deren Stimmen bestellten Besonderen Vertreter durch mit ihren Stimmen gefasstem Beschluss wieder abberuft. § 147 AktG will aber gerade, wie weiter oben ebenfalls schon erwähnt, die tatsächliche Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche sichern und soll so dem das pflichtgemäße Verhalten bewirkenden Haftungsdruck für die Organe Nachdruck verleihen (BGH aaO, juris Rz. 39). Dass das OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(Urt. v. 03.03.2010 – 7 U 4744/09, AG 2010, 673) eine Konstellation wie die vorliegende anders beurteilen würde, ist nicht anzunehmen. Es ist zu einer Abberufungskompetenz jener Hauptversammlung nur deshalb gelangt, weil es nach einem Squeeze-Out keine weiteren Aktionäre mehr gab und das gesetzliche Stimmverbot aus § 136 Abs. 1 AktG in der Einmann-AG bzw. für den Alleinaktionär mangels Interessenskonflikts nicht gilt (OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aaO; nachgehend: BGH, Beschluss v. 12.07.2011 – II ZR 58/10).Randnummer64

dd) Das Stimmverbot ist auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen.Randnummer65

aaa) Die auf Art. 103 Abs. 1 GG, § 139 ZPO gestützte Verfahrensrüge der Beklagten erweist sich auch insofern als letztlich nicht durchgreifend. Die angefochtene Entscheidung beruht jedenfalls nicht auf einer Übergehung von Sachvortrag der Beklagten oder auf einer etwaigen Verletzung gerichtlicher Hinweispflichten, weil sich auch bei Berücksichtigung des ergänzenden Vortrages der Beklagten im Berufungsverfahren ein Rechtsmissbrauch nicht feststellen lässt. Zwar lässt das Urteil nicht erkennen, ob das Landgericht sich mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Beklagten befasst hat, da die Entscheidung hierzu weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen Ausführungen enthält. Unabhängig davon, dass grundsätzlich angenommen werden kann, dass das Gericht den Vortrag der Parteien auch dann zur Kenntnis genommen hat, wenn er in dem Urteil nicht ausdrücklich erwähnt oder behandelt wird, fehlt es zumindest an der Entscheidungserheblichkeit der aus dem genannten Grund nicht gänzlich auszuschließenden Gehörsverletzung. Daher kann auch offenbleiben, ob eine Verletzung von Hinweispflichten gemäß § 139 Abs. 2 ZPO gegeben ist. Allerdings wurde der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs von der Beklagten bereits in der Klageerwiderung angesprochen und behandelt, sodass das Landgericht nicht annehmen konnte, die Beklagte habe ihn übersehen und wolle sich gegen die Klage nicht auch unter diesem Aspekt verteidigen. Ob es die Beklagte dennoch darauf hätte hinweisen müssen, dass der Sachvortrag zu konkretisieren sei, kann indes dahinstehen, weil die angefochtene Entscheidung, wie erwähnt, auf einer etwaigen Verletzung gerichtlicher Hinweispflichten nicht beruht.Randnummer66

bbb) Der Senat übersieht ausdrücklich nicht, dass es sich, da Ersatzansprüche gegen die Mehrheitsaktionärin der Beklagten behauptet werden, sodass vom Versammlungsleiter zu prüfen war, ob diese nach § 136 AktG einem Stimmverbot unterliegt, um einen Sachverhalt handelt, aus dem sich Missbrauchsrisiken ergeben (vgl. nur Hüffer/Koch, § 147 Rn. 4 m.N.). Unter dem Aspekt des „Erschleichens“ des Stimmverbots des Mehrheitsaktionärs gemäß § 136 AktG kann jedoch schon ein zu unbestimmter Beschlussantrag von Minderheitsaktionären nach § 147 AktG für sich genommen den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs noch nicht begründen. Entscheidend sind vielmehr stets die Umstände des Einzelfalls. Diese rechtfertigen, wie der Senat in dem Urteil vom 20.12.2018 [I-6 U 215/16, dort unter 3. d)] bereits ausgeführt hat und woran er auch nach nochmaliger Prüfung unter Berücksichtigung des weiteren Sachvortrages der Beklagten festhält, nicht die Annahme, die Klägerin behaupte Ansprüche gegen die Mehrheitsaktionärin der Beklagten nur deshalb, um diese von der Abstimmung auszuschließen. Vielmehr scheint sie von der Existenz der Ansprüche auszugehen und zielt ihr Vorgehen soweit ersichtlich auf die Durchsetzung dieser Ansprüche im Interesse der Beklagten ab. Immerhin hat die Beklagte die Anteile an der C.-S.A. von der D.-Gruppe, welcher auch die D.-S.A. angehört, erworben, sodass das Geschäft den §§ 311 ff. AktG unterfällt. Diese Vorschriften dienen dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger und der Minderheitsaktionäre vor Benachteiligungen der abhängigen Gesellschaft durch kompensationslose Benachteiligungen seitens des herrschenden Unternehmens. Wie mittlerweile höchstrichterlich geklärt ist (BGH, Urt. v. 30.06.2020 – II ZR 8/19), unterfallen auch Ersatzansprüche gegen das herrschende Unternehmen § 147 AktG [so schon Senat aaO unter 3. c) aa)].Randnummer67

Dass die Anspruchsverfolgung offensichtlich aussichtslos ist, mit der Antragstellung allein eigennützige Zwecke verfolgt werden oder ein vergleichbar schwerwiegendes sachfremdes Motiv vorliegt, vermag der Senat nach wie vor nicht festzustellen. Wie schon erwähnt, würde auch das Fehlen einer schlüssigen Darlegung von Ersatzansprüchen und das bloße Behaupten des Bestehens derartiger Ansprüche hierfür nicht ausreichen. Soweit die Beklagte den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs in der Berufung auf den Aspekt eines neuen, der rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklage vergleichbaren Geschäftsmodells stützen will, rechtfertigt ihr Vortrag keine abweichende Sichtweise. Ihr ist zwar zuzugeben, dass der Veröffentlichung der Ergebnisse der empirischen Auswertung von Bayer/Hoffmann (AG 2018, 337 ff., Anlage B 11, Bl. 440 ff. GA) zu entnehmen ist, dass die Fälle, in denen ein besonderer Vertreter installiert wurde oder werden sollte, etliche Gemeinsamkeiten aufweisen, insbesondere in Bezug auf das Vorgehen der Minderheitsgesellschafter, die Umsetzung des dem jeweiligen Besonderen Vertreter erteilten Mandats und Ergebnisse der Anspruchsdurchsetzung. Richtig ist auch, dass die Bestellung von Besonderen Vertretern von einem relativ überschaubaren Personenkreis betrieben wird, zu dem sowohl der Prozessbevollmächtigte der Klägerin als auch deren Streithelfer zu 6) gehören. Der Senat übersieht auch nicht, dass für die Tätigkeit des Besonderen Vertreters ausweislich von dessen Honorarrechnungen (Anlagenkonvolut B 7) bei der Beklagten bereits beträchtliche Kosten angefallen sind. Unabhängig davon, dass es vergleichbare Gemeinsamkeiten im Vorgehen und im Vortrag in Kombination mit einer Konzentration auf einige Anwaltskanzleien durchaus auch in anderen Rechtsgebieten gibt, wie zum Beispiel bei den „Darlehens-Widerrufsfällen“, tragen die Ergebnisse der Untersuchung die Feststellung, dass der Versuch der Durchsetzung angeblicher Ersatzansprüche mithilfe eines Besonderen Vertreters grundsätzlich und auch hier auf der Basis eines allein oder doch ganz überwiegend den eigenen interessen dienenden Geschäftsmodells und damit rechtsmissbräuchlich erfolgt, nicht. Dass Rechtsanwälte stets darum bemüht sind, sich bestimmte, auch neue, Betätigungsfelder zu erschließen, liegt in der Natur der Sache. Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs lässt sich auch nicht ohne weiteres auf den Umstand stützen, dass sie für ihre Tätigkeiten Honorare beanspruchen. Dies beruht auf den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften sowie teilweise auch auf vertraglichen Vereinbarungen. Nicht zuletzt ist der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Herr Dr. V., bekanntlich einer der Pioniere auf dem Gebiet des § 147 AktG und hat als solcher bereits zahlreiche gerichtliche Entscheidungen erstritten, sodass diesbezüglich nicht nur etliche Rechtsfragen als (höchstrichterlich) geklärt anzusehen sind, sondern auch nicht weiter verwunderlich ist, dass sich Minderheitsaktionäre in der entsprechenden Situation häufig an ihn wenden und er nicht alle Mandate in Person übernehmen oder auf kanzleiangehörige Kollegen übertragen kann, sondern deshalb auch Rechtsanwälte aus anderen Kanzleien einbeziehen muss. Randnummer68

b) Ein Hauptversammlungsbeschluss, bei dem vom Stimmrecht ausgeschlossene Stimmen mitgezählt worden sind und der auf der Berücksichtigung dieser Stimmen beruht, ist anfechtbar (BGH, Beschluss v. 29.04.2014 – II ZR 262/13, ZIP 2014, 1677, juris Tz. 8; Urt. v. 24.04.2006 – II ZR 30/05, ZIP 2006, 1134, juris Tz. 26; statt Anderer: KK-AktG/Noack/Zetsche, 3. Auflage 2017, § 243 Rn. 76; Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 241 Rn 3 m.w.N.). Das ist der Fall. Der Beschluss zu Tagesordnungspunkt 7 beruht auf der Berücksichtigung der vom Stimmrecht ausgeschlossenen Stimmen, da der Beschlussantrag bei 18.237.946 abgegebenen Stimmen und 7.974.241 Nein-Stimmen bei Nichtzählung der auf die Mehrheitsaktionärin entfallenden 10.252.193 von insgesamt 10.263.705 Ja-Stimmen (Abstimmungsergebnis-Übersicht, Anlage MP 4) Stimmen abgelehnt worden wäre.Randnummer69

C. Berufung der Klägerin

Das Rechtsmittel der Klägerin hat Erfolg. In Bezug auf den Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.07.2016 zu Tagesordnungspunkt 10 bezüglich der Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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nach § 147 Abs. 1 AktG gegen Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates der Beklagten sind sowohl die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (dazu unter 1. und 2.) als auch die mit ihr verbundene positive Beschlussfeststellungsklage (dazu unter 3.) begründet.Randnummer71

1. Eine Nichtigkeit dieses Beschlusses hat die Klägerin nicht geltend gemacht; Nichtigkeitsgründe des Beschlusses sind auch hier nicht ersichtlich.Randnummer72

2. Der (ablehnende) Beschluss zu Tagesordnungspunkt 10 ist aber wegen eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG rechtswidrig. Die Feststellung des Versammlungsleiters, wonach der Beschlussantrag der Klägerin abgelehnt wurde, beruht auf der Berücksichtigung der auf die Mehrheitsaktionärin der Beklagten entfallenden Stimmen. Der Beschlussantrag ist bei 18.237.748 abgegebenen gültigen Stimmen und 7.984.825 Ja-Stimmen mit den auf die Mehrheitsaktionärin entfallenden 10.252.193 Stimmen von insgesamt 10.252.923 Nein-Stimmen (Abstimmungsergebnis-Übersicht, Anlage MP 4) abgelehnt worden. Der Beschluss ist daher gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, weil die D.-S.A. auch bei dieser Abstimmung einem Stimmverbot unterlag, sodass die für sie abgegebenen Stimmen bei der Beschlussfeststellung vom Versammlungsleiter nicht, wie geschehen, hätten mitgezählt werden dürfen (Hauptversammlungsprotokoll Anlage B 5, Seite 56).Randnummer73

a) Der Beschluss zu Tagesordnungspunkt 10 hat zwar nicht die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Mehrheitsaktionärin der Beklagten zum Gegenstand, sodass deren Teilnahme an der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 10 keinen direkten Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 AktG darstellt. Gegenstand dieses Beschlussantrags der Klägerin ist vielmehr, nach dem von der Hauptversammlung 2015 gefassten Beschluss betreffend die Ersatzansprüche gegen die D.-S.A. u.a. auch eine (positive) Beschlussfassung bezüglich der Geltendmachung von Ansprüchen gegen die im Antrag der Klägerin benannten Vorstände bzw. Aufsichtsratsmitglieder der Beklagten zu erreichen.Randnummer74

b) Ein Stimmverbot der D.-S.A. lässt sich aber darauf stützen, dass sie von dem Beschluss zu Tagesordnungspunkt 10 mittelbar betroffen ist, weil der Beschluss die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aus dem gleichen Lebenssachverhalt, d.h. dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. durch die Beklagte, gegen deren (zum Teil ehemalige) Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder als Gesamtschuldner mit der D.-S.A. und der E.-S.A.U. sowie deren jeweilige Obergesellschaften zum Gegenstand hat. Diese mittelbare Betroffenheit reicht vorliegend aus.Randnummer75

aa) Ein generell in Fällen eines potentiellen „Richtens in eigener Sache“ bestehendes Stimmverbot ist § 136 Abs.1 Alt. 3 AktG nicht zu entnehmen. Ausgehend von Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte (vgl. zu letzterer nur KK-AktG/Tröger, 3. Auflage 2017, § 136 Rz. 6 mwN) sowie Sinn und Zweck der kasuistisch abgefassten Vorschrift wäre ein Verständnis der Norm im Sinne eines über die geregelten Konstellationen hinausgehenden allgemeinen Stimmverbots bei Interessenkollisionen nicht möglich. Es ist daher anerkannt, dass die Tatbestände des § 136 Abs. 1 AktG nur bedingt erweiterungs- bzw. analogiefähig sind. Dass dieser Vorschrift, ebenso wie beispielsweise § 47 Abs. 4 GmbHG, § 34 BGB, § 113 Abs. 2 HGB oder § 127 HGB, ein Stimmrechtsausschluss wegen unterstellter Interessenkollision zugrunde liegt, spricht nicht für, sondern gegen ihre Gesamtanalogiefähigkeit. Der Gesetzgeber hat sich auf der Grundlage dieses allgemeinen Prinzips bewusst für einen kasuistischen Regelungsansatz und die Konzeption von § 136 Abs. 1 AktG als Ausnahmevorschrift entschieden (so auch OLG Köln, Urt. v. 09.03.2017 – 18 U 19/16, NZG 2017, 1344, juris Rz. 382; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14.03.2018 – 11 U 35/17, NZG 2018, 508, juris Rz. 81 ff.; KK-AktG/Tröger, 3. Auflage 2017, § 136 Rz. 50 mwN; MüKoAktG/Arnold, AktG § 136 Rz. 21; Holzborn in: Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 136 Rn. 10; Spindler/Stilz/Rieckers, 4. Aufl. 2019, AktG § 136 Rn. 15).Randnummer76

bb) Ein Stimmverbot kommt allerdings dann in Betracht, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der einem der Fälle des § 136 Abs. 1 AktG quantitativ und qualitativ vergleichbar ist (so auch u.a. KK-AktG/Tröger, 3. Auflage 2017, § 136 Rz. 50 mwN; MüKoAktG/Arnold, AktG § 136 Rz. 21; Holzborn in: Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl. 2017, § 136 Rn. 10).Randnummer77

So liegen die Dinge hier, da ein vergleichbarer Sachverhalt gegeben ist. Anerkannt ist beispielsweise, dass auch bei zulässiger gesonderter Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ansprüchen gegen mehrere Aktionäre ein Stimmverbot für den nur mittelbar betroffenen Aktionär dann gilt, wenn zwischen den Ansprüchen gegen die einzelnen Aktionäre ein enger Zusammenhang vorliegt, etwa weil eine Gesamtschuld besteht oder sie auf demselben Lebenssachverhalt beruhen (vgl. nur Spindler/Stilz/Rieckers, 4. Aufl. 2019, AktG § 136 Rn. 14 mwN). Ähnliche Grundsätze gelten für die Entlastung, § 136 Abs. 1 Var. 1 AktG. Während bei der Gesamtentlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat kein dem betreffenden Organ angehörendes Mitglied mitstimmen darf, besteht ein Stimmverbot bei der Einzelentlastung grundsätzlich nur für das Organmitglied, über dessen Entlastung abgestimmt wird. Ausnahmsweise besteht ein Stimmverbot aber dann auch für weitere Organmitglieder, wenn die konkrete Möglichkeit gegeben ist, dass sie an einer vermeintlichen Pflichtverletzung des zu entlastenden Organmitglieds mitgewirkt haben (vgl. nur MüKoAktG/Arnold, AktG § 136 Rz. 8 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 21.09.2009 – II ZR 174/08, NZG 2009, 1270). Anerkannt ist ein über den Wortlaut der jeweiligen Vorschrift hinausgehendes Stimmverbot auch für Fälle einer gemeinsam begangenen Pflichtverletzung mehrerer Gesellschafter, da, wenn es um den Vorwurf gemeinsamer Verfehlungen geht, die gegen einen Mittäter erhobene Beschuldigung auch „eigene Sache“ der übrigen Beteiligten ist, diese also dann, wenn sie das Verhalten des Mittäters zu beurteilen haben, zugleich ihr eigenes Fehlverhalten zu billigen oder zu missbilligen hätten. Dieses Richten in eigener Sache ist ihnen indes versagt, so dass alle Gesellschafter, gegen die wegen einer gemeinsam begangenen Pflichtverletzung Ersatzansprüche geltend gema cht und gerichtlich durchgesetzt werden sollen, von der Abstimmung darüber ausgeschlossen sind (BGH, Urt. v. 20.01.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, juris Rn. 11).Randnummer78

Es kann offenbleiben, ob ein solches Verständnis noch klassische Gesetzesauslegung, also Erforschung des Sinngehalts der Vorschrift, oder schon die Übertragung der für einzelne Tatbestände vorgesehenen Regel auf einen anderen, aber rechtsähnlichen Tatbestand wäre und daher das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke voraussetzen würde. Auch der Bundesgerichtshof entscheidet diese Frage nicht einheitlich. Während er in der von der Klägerin zur Stützung ihrer Rechtsauffassung in Bezug genommenen Entscheidung (Urt. v. 21.01.1986, II ZR 73/85, BGHZ 97, 28) § 47 Abs. 4 GmbHG das Stimmverbot des Gesellschafters durch analoge Anwendung entnimmt und ausführt: „Das schließt aber nicht aus, § 47 Abs. 4 GmbHG in vergleichbaren Fällen sinngemäß anzuwenden, wenn nämlich das Interesse und somit auch das Ausmaß des Interessenkonflikts für mehrere Gesellschafter identisch ist. In diesem Zusammenhang kommt der weitere im § 47 Abs. 4 GmbHG ebenfalls zum Ausdruck gekommene Grundgedanke des Stimmverbots zum Tragen, dass nämlich ein Gesellschafter nicht Richter in eigener Sache sein darf“ (juris Rz. 11), ist in dem u.a. auf jene Entscheidung verweisenden Urteil vom 07.04.2003 (II ZR 193/02, juris Rz. 10) von einem Stimmverbot in „erweiterter Auslegung des § 47 Abs. 4 GmbHG“ die Rede. Würde die Übertragung der Regelung in § 136 Abs. 1 AktG eine planwidrige Regelungslücke erfordern, so läge diese hier mit Blick auf die quantitative und qualitative Vergleichbarkeit des Falles vor.Randnummer79

aaa) Die für die Annahme eines Stimmverbots erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte in quantitativer und qualitativer Hinsicht mit den in § 136 Abs. 1 AktG geregelten Tatbeständen ist in Fällen wie dem vorliegenden, d.h. beim Zusammenspiel von § 147 AktG und §§ 309 ff., 317 und 318 AktG, besonders naheliegend, sodass ein Stimmverbot bei Konzernsachverhalten in Betracht zu ziehen ist. Wie mittlerweile höchstrichterlich geklärt ist, sind Ansprüche aus §§ 309, 317 AktG vom Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG umfasst (BGH, Urt. v. 30.06.2020 – II ZR 8/19, NZG 2020, 1025, juris Rn. 35 ff.), was für die konzernrechtlichen Haftungstatbestände der §§ 310, 318 AktG, welche sich auf Pflichtverletzungen der „eigenen“ Verwaltungsmitglieder der abhängigen Gesellschaft beziehen, bereits überwiegend angenommen worden war (BGH aaO, juris Rn 38 mN). Gemessen an den soeben unter 2. b) bb) dargestellten Grundsätzen erscheint dem Senat bei Konzernsachverhalten die Prüfung eines Stimmverbotes für den mittelbar betroffenen Aktionär bei Abstimmungen im Sinne von § 147 AktG vor allem deshalb geboten, weil diese Vorschrift, wie gerade erwähnt, für Ersatzansprüche aus durch die Abhängigkeit bedingten Geschäftsführungsverstößen gegen das herrschende Unternehmen und seine gesetzlichen Vertreter ebenso gilt wie für diejenigen gegen Verwaltungsmitglieder des abhängigen Unternehmens und außerdem in § 318 AktG ein Gesamtschuldverhältnis der Ersatzpflichtigen gesetzlich angeordnet ist. Für eine entsprechend erweiterte Auslegung oder die analoge Anwendung von § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG auf Abstimmungen über die gesamtschuldnerische Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gegen das herrschende Unternehmen und die Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft sprechen aber auch vor allem Sinn und Zweck des § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG. Die Vorschrift will die tatsächliche Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche sichern, soll so dem das pflichtgemäße Verhalten bewirkenden Haftungsdruck für die Organe Nachdruck verleihen und verhindern, dass Ersatzansprüche der Gesellschaft auf Grund einer Befangenheit der Mitglieder der Verwaltungsorgane nicht durchgesetzt werden. Die Durchsetzung etwaiger Ansprüche ist aber typischerweise dann nicht unbedingt zu erwarten, wenn diejenigen Personen Ansprüche verfolgen sollen, die dem Ersatzpflichtigen kollegial oder geschäftlich verbunden oder ihm für seine eigene Bestellung zu Dank verpflichtet sind oder Gefahr laufen, dass im Verfahren eigene Versäumnisse aufgedeckt werden. Diese Interessenkollision besteht bei den Organmitgliedern einer abhängigen Gesellschaft zum herrschenden Unternehmen in gleichem Maße. Zudem ist die Gefahr, dass der Vorstand unter dem Einfluss des herrschenden Unternehmens Ansprüche gegen dieses nicht geltend macht, besonders groß (BGH aaO, juris Rn. 39). Wenn und weil das so ist, erfordert ein an Sinn und Zweck von § 147 AktG orientiertes Verständnis des Stimmverbots nach § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG zumindest im Einzelfall und unter bestimmten Umständen die Nichtzulassung der Stimmabgabe auch des nur mittelbar betroffenen herrschenden Aktionärs, weil nur hierdurch sichergestellt werden kann, dass im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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sowie ihrer Gläubiger und Minderheitsaktionäre auch Ersatzansprüche nach §§ 318, 93, 116 AktG durchgesetzt werden können.Randnummer80

bbb) Dass ein Minderheitenschutz über das Recht zur gerichtlichen Bestellung eines Sonderprüfers gewährleistet ist und das Konzernrecht mit den §§ 312 ff. AktG Regelungen enthält, die dem Zweck dienen, Sonderinteressen des beherrschenden Aktionärs zu neutralisieren (so OLG Köln, Urt. v. 09.03.2017 – 18 U 19/16, NZG 2017, 1344, juris Rz. 383 ff. unter Hinweis auf Tielmann/Gahr, AG 2016, 199, 204), steht dem nicht entgegen. Das (Minderheiten-)Recht aus § 142 AktG steht neben den Rechten aus § 147 AktG und dem Umstand, dass den Aktionären grundsätzlich die konzernrechtliche Einzelklage zusteht, hat der Bundesgerichtshof (aaO juris Rn 40) gerade keine verdrängende Wirkung im Verhältnis zu den §§ 147, 148 AktG zuerkannt und ausgeführt, dass § 147 AktG den Aktionären im Unterschied zu §§ 309, 317 AktG kein Individualklagerecht einräumt, sondern lediglich das Recht der Hauptversammlung, die Gesellschaft zur Klageerhebung zu zwingen, begründet. Die konzernrechtliche Individualklage ist daher nicht spezieller, sondern ein aliud. Überzeugend hat der Bundesgerichtshof seine Auffassung mit dem auch hier tragenden Argument begründet, dass es im Hinblick auf das Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft wenig überzeugend erscheine, wenn einzelne Aktionäre Ansprüche der Gesellschaft im Wege der Prozessstandschaft nach § 309 Abs. 4, § 317 Abs. 4 AktG geltend machen könnten, die Hauptversammlung jedoch gehindert wäre, die Geltendmachung dieser Ansprüche nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG zu erzwingen (BGH aaO, juris Rn 40 mN), und darauf aufmerksam gemacht, dass das Klagerecht jedes einzelnen Aktionärs nur auf den ersten Blick gleich oder sogar höherwertig sei, weil es mit einem Prozesskostenrisiko belastet sei und daher keine große praktische Bedeutung habe.Randnummer81

ccc) Auch die Auffassung, dass der Schutzzweck der Vorschrift des § 136 Abs. 1 AktG, der darin besteht, dass kein Aktionär „Richter in eigener Sache“ sein soll, wenn das Gesellschaftsvermögen zugunsten der Gesamtheit der Gesellschafter typischerweise des Schutzes gegenüber einzelnen Gesellschaftern bedarf, dann nicht berührt wird und eine erweiterte Auslegung oder Einzelanalogie von vorneherein ausscheidet, wenn nicht die Gefahr im Raume steht, dass die Geltendmachung der Ansprüche insgesamt vereitelt wird (OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aaO), teilt der Senat nicht. Mit diesem Argument bedürfte es auch keiner erweiterten Auslegung des § 136 Abs. 1 AktG oder des § 47 Abs. 4 GmbHG in den oben genannten Fällen, da auch dort die Geltendmachung gegen zumindest einen potentiell Haftenden sichergestellt ist. Entscheidend ist nicht, ob mit einer Geltendmachung von Ansprüchen aus dem in Rede stehenden Sachverhalt gegen einen von mehreren Schuldnern zu rechnen ist, zumal dies mehr oder minder von Zufall abhängen würde, sondern ob ein mit Fällen von § 136 Abs. 1 AktG vergleichbarer Interessenkonflikt im konkreten Fall vorliegt.Randnummer82

ddd) Richtig mag sein, dass die Regelung des § 136 AktG nicht dazu dient, Interessenkonflikte zwischen Mehrheits- und Minderheitsaktionärin zu regeln, sondern eine Einflussnahme von verbandsfremden interessen vermeiden soll, jedoch kein allgemeines Stimmverbot für jeglichen Fall der Gefahr des Einflusses von verbandsfremden Sonderinteressen normiert, sondern nur bestimmte typisierte Interessenkonflikte erfasst (OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aaO, juris Rn. 385 mN). Nach dem Dafürhalten des Senats steht ein den Fällen des § 136 Abs. 1 AktG vergleichbarer typisierter Interessenkonflikt hier aus den nachbenannten Gründen jedoch gerade im Raum [vgl. im Folgenden unter cc)].Randnummer83

eee) Gegen eine erweiterte Auslegung oder eine Einzelanalogie spricht schließlich nicht, dass dies auf Kosten der Rechtssicherheit ginge und das sachgerechte Zusammenwirken der Gesellschafter in Frage stellen könnte und die Interessen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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dadurch gewahrt seien, dass das Abstimmungsverhalten am Maßstab der mitgliedschaftlichen Treuepflicht gemessen werden könne (OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aaO m.N.). Die zur Stützung seiner Rechtsauffassung vom OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zitierte Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.01.1986 (II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, juris Rn. 11) enthält keine gegen die Annahme einer Einzelanalogie gerichtete Aussage, sondern bezieht sich auf eine Gesamtanalogie. Die zitierte Passage lautet:Randnummer84

„Der Revision ist allerdings zuzugeben, dass das Stimmrecht nicht schon dann nach § 47 Abs. 4 GmbHG ausgeschlossen ist, wenn sich der Gesellschafter in einem irgendwie gearteten Konflikt zwischen seinen außergesellschaftlichen interessen und denen der Gesellschaft befindet; eine solche Lösung ginge auf Kosten der Rechtssicherheit und könnte ein sachgerechtes Zusammenwirken der Gesellschafter entsprechend dem Gewicht ihrer Beteiligungen in Frage stellen (BGHZ 68, 107, 109; 80, 69, 71). Ausdrücklich nimmt das Gesetz nur dem Gesellschafter das Stimmrecht, gegen den die gerichtliche Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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beschlossen werden soll. Das schließt aber nicht aus, § 47 Abs. 4 GmbHG in vergleichbaren Fällen sinngemäß anzuwenden, wenn nämlich das Interesse und somit auch das Ausmaß des Interessenkonflikts für mehrere Gesellschafter identisch ist.“Randnummer85

Zudem wäre eine gleichermaßen im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und ihrer Aktionäre sowie nicht zuletzt des Versammlungsleiters liegende möglichst zügige und rechtssichere Beurteilung des Vorliegens eines Stimmverbotstatbestandes bei Anerkennung einer weiteren Fallgruppe leichter möglich als bei einer ausschließlich treuepflichtorientierten Betrachtung. Denn letztere erfordert stets eine genaue Untersuchung der besonderen Umstände des Einzelfalles und schließt außerdem, anders als ein Stimmverbot, die Wahrnehmung des Stimmrechts durch den Aktionär nicht schlechthin, sondern nur in gesellschaftsschädlicher Richtung aus. Ob die Voraussetzungen eines Stimmverbotes im Einzelfall vorliegen oder nicht, ließe sich daher erst nach einer Befassung mit dessen Gesamtumständen beurteilen.Randnummer86

cc) Die Annahme eines Stimmverbots in erweiterter Auslegung oder analoger Anwendung von § 136 Abs. 1 Alt. 3 AktG setzt, wie unter 2. b) bb) erwähnt, voraus, dass ein quantitativ und qualitativ vergleichbarer Sachverhalt auch tatsächlich vorliegt. Aus Gründen der Rechtssicherheit, aber auch mit Blick auf im Rahmen der §§ 147, 136 AktG durchaus bestehende Missbrauchsrisiken, kann es für das Bestehen eines Stimmverbots des mittelbar betroffenen Mehrheitsaktionärs nicht schon ausreichen, das Bestehen einer gesamtschuldnerischen Haftung oder von Ersatzansprüchen aus demselben Lebenssachverhalt nur „ins Blaue hinein“ zu behaupten. Vielmehr müssen Ansprüche gegen Mitglieder von Vorstand und/oder Aufsichtsrat des abhängigen Unternehmens nach dem Inhalt des Beschlussantrags zumindest in Betracht kommen.Randnummer87

Das ist der Fall. Insofern hält der Senat an seiner im Hinweisbeschluss geäußerten vorläufigen Würdigung des beiderseitigen Vorbringens nach Überprüfung nicht fest.Randnummer88

aaa) Das Stimmverbot erfasst über den Gesetzeswortlaut hinaus beim Vorwurf gemeinsam begangener Pflichtverletzungen die Abstimmung über das Verhalten aller daran Beteiligten, weil dieses in einem solchen Fall nur einheitlich beurteilt werden kann (BGH, Urteil vom 12.06.1989 – II ZR 246/88-, juris Rz. 17 = BGHZ 108, 21 unter Hinweis auf BGHZ 97, 28, 33f.). Dass der Bundesgerichthof diese Grundsätze in seinem Urteil vom 07.04.2003 (II ZR 193/02, juris Rz. 10) eingeschränkt hat, wie die Beklagte vorbringt, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Bundesgerichtshof hat (aaO) ausgeführt, das Stimmverbot erfasse lediglich diejenigen Gesellschafter, welche eine Pflichtverletzung gemeinsam mit anderen begangen haben, weil und soweit das gemeinschaftliche Fehlverhalten in solchem Fall nur einheitlich beurteilt werden kann und verweist auf seine Entscheidung vom 12.06.1989 (BGHZ 108, 21). Darin führt er aus, dass, wenn die Tätigkeit der Geschäftsführung, des Aufsichtsrats oder eines Beirats insgesamt gebilligt oder mißbilligt werden soll, falls es nicht um eine bestimmte Einzelmaßnahme eines Organmitglieds geht, alle Gesellschafter betroffen sind, die dem Organ angehören (BGH aaO juris Rz. 17). In der Entscheidung, auf welche sich die Beklagte bezieht, klammert der Bundesgerichtshof den Fall aus, in welchem einer vorsätzlichen Verfehlung eines Gesellschafters allenfalls ein Aufsichtsversäumnis des Geschäftsführers, mithin eine ganz andersartige Pflichtverletzung gegenübersteht (BGH, Urteil vom 07.04.2003 – II ZR 193/02-, juris Rz. 10).Randnummer89

bbb) Gemessen an diesem Maßstab erfasst das Stimmverbot die Mehrheitsaktionärin der Beklagten, da der Vorwurf einer gemeinsam begangenen Pflichtverletzung hinreichend konkret im Raum steht und das Verhalten aller an dem beschlussgegenständlichen Geschäft Beteiligten nur einheitlich beurteilt werden kann. Hier geht es weder um eine Einzelmaßnahme eines bestimmten Organmitglieds der Beklagten noch um eine andersartige Pflichtverletzung iSd dieser Rechtsprechung. Der Antrag der Klägerin betreffend die ergänzenden Beschlussfassungen lässt die Gründe möglicher Schadensersatzansprüche der Beklagten im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anteile an der C.-S.A. von der D.-Gruppe gegen die darin genannten Mitglieder ihres Vorstands und Aufsichtsrats auch ausreichend erkennen und das Bestehen dieser Ansprüche sowie ein gemeinschaftliches Fehlverhalten kommen nach seinem Inhalt zumindest in Betracht.Randnummer90

(1) Der Beschlussantrag der Klägerin entspricht weitgehend dem als wirksam zu behandelnden Geltendmachungsbeschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 16./17.07.2015, welcher den für etwaige Ersatzansprüche gegen die genannten D.-Gesellschaften maßgeblichen Lebenssachverhalt hinreichend konkret beschreibt (vgl. BGH, Urteil vom 30.06.2020 – II ZR 8/19-, juris Rz. 25 ff.). Für die ergänzende Beschlussfassung, welche auf diesem Geltendmachungsbeschluss aufbaut, kann im Rahmen der §§ 136, 147 AktG nichts grundlegend anderes gelten.Randnummer91

(2) Die Annahme, dass aufgrund dieses Sachverhalts auch Ansprüche gegen (ehemalige) Organmitglieder der Beklagten nach §§ 93, 116, 318 AktG bestehen könnten, liegt zumindest nicht fern. Der Ersatz eines aus dem nach Darstellung der Klägerin überteuerten Erwerb der Anteile an der C.-S.A. entstandenen Schadens würde voraussetzen, dass einerseits „D.“ die Beklagte als herrschendes Unternehmen zu einer für diese nachteiligen Maßnahme, also einer solchen, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft unterlassen hätte, veranlasst und den Nachteil der Beklagten nicht ausgeglichen hat, sowie andererseits Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Anteilserwerbs ihre jeweiligen Pflichten verletzt haben. Anerkannt ist, dass §§ 93, 116 AktG von § 318 AktG nicht verdrängt werden und sich die jeweiligen Pflichtenkreise zum Teil überlagern (vgl. zum Verhältnis der Vorschriften zueinander nur J. Vetter in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 318 Rz. 14-17 mwN).Randnummer92

Dass ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis besteht, steht außer Streit. Dass ein Nachteilsausgleich iSd § 311 Abs. 2 AktG erfolgt oder beabsichtigt sei, macht die Beklagte nicht geltend. Der Abschluss des in Rede stehenden Anteilserwerbsgeschäfts ist ohne ein Zusammenwirken der Organe des herrschenden wie des abhängigen Unternehmens des Weiteren undenkbar. Dass die Klägerin nicht darzulegen vermag, ob der Erwerb der Anteile an der C.-S.A. eine i.S.d. §§ 311, 317 AktG durch die Mehrheitsaktionärin der Beklagten veranlasste Maßnahme darstellt, ist unschädlich, da sie zu einer solchen Darlegung mangels Einblicks in die diesbezüglichen unternehmensinternen Abläufe außerstande ist. Insoweit ist zu beachten, dass der Begriff weit zu verstehen ist. Maßnahme ist jedes willensgeleitete Verhalten, das sich auf die Vermögens- oder Ertragslage unmittelbar oder mittelbar auswirken kann. Es genügt also jede Geschäftsführungshandlung, die Auswirkungen auf die Ertrags- oder Vermögenslage der Gesellschaft haben kann (vgl. nur Hüffer/Koch, AktG § 311 Rn. 24). Veranlassung umfasst jedes dem herrschenden Unternehmen zuzurechnende Verhalten, das für die Maßnahme zumindest mitursächlich ist. Dabei ist gleichgültig, wie das herrschende Unternehmen seinen Wunsch, eine bestimmte Maßnahme zu treffen, zum Ausdruck bringt. Ausreichend sind schon eine Anregung, ein Vorschlag oder die Äußerung einer Erwartung (vgl. nur Hüffer/Koch, AktG § 311 Rn. 16 m.w.N.). Rechtsgeschäftliches Verhalten, etwa ein Handeln für die abhängige Gesellschaft aufgrund einer Vollmacht, ist nicht erforderlich. Die Veranlassungswirkung muss dem herrschenden Unternehmen aber bewusst oder zumindest zurechenbar sein. Der bloße Anschein einer Veranlassung genügt aber nicht (J. Vetter in Schmidt, K./Lutter, AktG, 3. Auflage 2015, § 311 Rn.27 m.N.). Eine solche Veranlassung, welche demnach nicht mehr als die bewusste Benutzung seines Einflusses durch das herrschende auf das abhängige Unternehmen voraussetzen würde, ist hier nicht ausgeschlossen, mag sogar naheliegen. Ob die Beklagte von der D.-S.A. zu einer nachteiligen Maßnahme veranlasst wurde, weil der Erwerb der Anteile zu einem überhöhten Kaufpreis erfolgt ist, steht im Streit und ist Gegenstand der Beweisaufnahme beim Landgericht Düsseldorf (40 O 75/15). Hierfür könnte sprechen, dass das schriftliche Gutachten zum Unternehmenswert der C.-S.A. des gerichtlichen Sachverständigen („XY“) vom 31.03.2021 (Anlage MHP 15) eine Abweichung in Höhe von immerhin rund 50% zwischen dem Wert der Anteile und dem von der Beklagten gezahlten Kaufpreis ausweist. Der Senat verkennt nicht, dass die Beklagte diese sachverständige Bewertung angreift und das Gutachten für grob fehlerhaft hält. Die insoweit strittigen Fragen sind hier indes nicht zu klären. Im vorliegenden Kontext kommt es vielmehr maßgeblich auf den Begriff der Nachteiligkeit an, da dieser für die Beurteilung des für das Eingreifen eines Stimmverbots erforderlichen Vorwurfs einer gemeinschaftlichen Pflichtverletzung der Organe beider beteiligter Gesellschaften prägend ist. Nachteilig i.S.d. §§ 311, 317 AktG ist jede Geschäftsführungshandlung, welche die Ertrags- oder Vermögenslage der Gesellschaft beeinträchtigt. Erfasst wird jede Minderung oder konkrete Gefährdung der Ertrags- oder Vermögenslage der abhängigen Gesellschaft, soweit sie als Abhängigkeitsfolge eintritt (Hüffer/Koch § 311 Rn. 24 m.w.N.), sodass bereits die Zahlung eines überhöhten Kaufpreises, soweit von der Beklagten zu leisten, ein Nachteil gewesen sein könnte. Auch dass der hier in Rede stehende Ersatzanspruch des Weiteren voraussetzt, dass ein pflichtgemäß handelnder Geschäftsleiter einer nicht i.S.d. § 317 AktG abhängigen Gesellschaft die konkrete Maßnahme unter sonst gleichen Bedingungen nicht veranlasst hätte, und bei der auf den Zeitpunkt von deren Vornahme bezogenen Beurteilung der Frage der Einhaltung der Sorgfaltspflicht gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, der auch im faktischen Konzern Geltung beansprucht (BGH, Urt. v. 03.03.2008 – II ZR 124/06, BGHZ 175, 365 = NJW 2008, 1583, juris Tz. 11), dem Leitungsorgan im Rahmen der Führung der Geschäfte grundsätzlich ein weiter Handlungsspielraum zuzubilligen ist, der erst dann verlassen wird, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten worden sind (BGH, Urt. v. 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926), steht der Annahme eines Stimmverbots nichts entgegen. Ob die Ansprüche tatsächlich bestehen und durchgesetzt werden können, ist im Rahmen des § 136 AktG nach allgemeiner Ansicht unbeachtlich (vgl. etwa Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 136 Rn. 23; Spindler in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 136 Rn. 28; MüKoAktG/Arnold, 4. Aufl. 2018, § 136 Rn. 13 und § 147 Rn. 46).Randnummer93

(3) Zwar mag es auf den ersten Blick an der Verletzung gleichartiger Pflichten fehlen, da Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten und den Organmitgliedern des herrschenden Unternehmens unterschiedliche Pflichtverletzungen und Versäumnisse vorgeworfen werden. Dies liegt nach dem Konzept der §§ 311 ff. AktG jedoch in der Natur der Sache und kann schon deshalb, will man die Ersatzansprüche in den Anwendungsbereich des § 147 AktG einbeziehen, dem für die konsequente und in sich stimmige Durchsetzung der erfassten Ansprüche aus den genannten Gründen grundsätzlich daneben erforderlichen Stimmverbot nicht entgegengehalten werden. Ausreichend ist, dass – was bei Konzernsachverhalten gemäß §§ 311 ff. AktG regelmäßig und auch hier der Fall ist – die angeblichen Ersatzansprüche aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt hergeleitet werden. Dieser Sachverhalt gibt das „weil und soweit“ iSd der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor, und insoweit unterscheidet sich die gegebene Konstellation von den der zitierten BGH-Rechtsprechung zu entnehmenden Einschränkungen. Dort war es so, dass es um eine bestimmte Maßnahme einer Einzelperson oder um ein vorsätzliches Fehlverhalten des einen Geschäftsführers und ein etwaiges Aufsichtsversäumnis des anderen ging, während das angebliche Fehlverhalten der Organmitglieder der Beklagten das des herrschenden Unternehmens tatbestandsmäßig voraussetzt. Nur wenn der Erwerb unter § 311 Abs. 1 AktG fällt, kommen Ansprüche gegen die Organmitglieder der Beklagten überhaupt in Betracht. Nach alldem ist der Klägerin nicht anzulasten, nicht konkret dargelegt zu haben, inwiefern bestimmte Organmitglieder der Beklagten und deren Mehrheitsaktionärin eine Pflicht gemeinsam verletzt, insbesondere kollusiv zusammengewirkt haben sollen oder ihr Verhalten aufeinander abgestimmt haben. Dass sich etwaige Pflichtverletzungen wertungsmäßig entsprechen, folgt aus dem Haftungskonzept der §§ 311 ff. AktG und der in § 318 AktG angeordneten gesamtschuldnerischen Haftung. Dem Beschlussantrag zu Tagesordnungspunkt 10 ist zu entnehmen, dass es eine Veranlassung des Erwerbs der (überteuerten) Anteile an der C.-S.A. durch die herrschende Mehrheitsaktionärin gegeben hat. Dort heißt es außerdem, die Organmitglieder seien „an der Vorbereitung und Umsetzung des Geschäfts als handelnde Vorstandsmitglieder bzw. bei deren unzureichender Überwachung als Aufsichtsratsmitglieder“ beteiligt gewesen und es seien von ihnen für die Bewertung des Kaufobjektes zentrale Aspekte ausgespart worden. In welcher Art und Weise bestimmte Organmitglieder an der Vorbereitung und Umsetzung des Geschäfts beteiligt gewesen sein oder ihre Pflichten verletzt haben sollen, ist dem Beschlussantrag zwar nicht zu entnehmen. Gleiches gilt für das von der Klägerin in Bezug genommene Teilurteil des Landgerichts Duisburg vom 09.06.2016 (Anlage MP 5) und den Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung vom 03.05.2016 des Streithelfers zu 6) der Klägerin (ebenfalls als Anlage MP 4 bezeichnet). Dies im Einzelnen zu klären wird jedoch die Aufgabe des Besonderen Vertreters sein. Dass der Vorstand der Beklagten an der Vorbereitung und Umsetzung des Erwerbsgeschäfts beteiligt war, ist anzunehmen, da er das Unternehmen leitet und sie vertritt, §§ 76, 78 AktG. Die Pflichten des Aufsichtsrats ergeben sich ebenfalls aus dem Gesetz, u.a. aus § 111 AktG. Dies reicht bis zur Klärung des Sachverhalts und etwaiger konkreter Vorwürfe im Rahmen von §§ 136, 147 AktG aus. Eine Prüfung des Bestehens der angeblichen Ansprüche in diesem Verfahren zu verlangen, würde Sinn und Zweck der dem Minderheitenschutz dienenden Vorschriften nicht gerecht. Der Klägerin ist daher zuzustimmen soweit sie argumentiert, es reiche aus, dass sie die Tatbeiträge der einzelnen Teilnehmer und deren Pflichtverletzungen umrissen habe, die Beschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen seien, wie sich nun auch aus dem Gutachten ergebe, und ein beabsichtigter Schadensersatzprozess nicht von vorneherein aussichtslos erscheine. Wie im Rahmen des § 147 AktG müssen auch für das Stimmverbot die Ersatzansprüche nur nachvollziehbar behauptet und erst im Haftungsprozess bewiesen werden.Randnummer94

3. Da die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage begründet ist, gilt dies auch für die mit ihr zulässigerweise (vgl. nur Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 246 Rn 42 mwN) verbundene positive Beschlussfeststellungsklage. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin mit Recht nicht lediglich gegen die unrichtige Feststellung des in Wirklichkeit nicht zustande gekommenen Beschlusses zu Tagesordnungspunkt 10, sondern begehrt auch die verbindliche Klärung, was in Wahrheit beschlossen worden ist. Neben der Beseitigung des „Scheinbeschlusses“ besteht bei der Feststellung eines unter Berücksichtigung des die Mehrheitsaktionärin der Beklagten treffenden Stimmverbotes richtigerweise nicht gefassten Hauptversammlungsbeschlusses das Bedürfnis, mittels einer Feststellungsklage das wahre Beschlussergebnis verbindlich festzulegen (vgl. nur BGH, Urteil vom 13.03.1980 – II ZR 54/78-, BGHZ 76, 191). Bei Nichtberücksichtigung der 10.252.193 Nein-Stimmen der D.-S.A. von insgesamt 10.252.923 Nein-Stimmen ist der Beschlussantrag der Klägerin mit 7.984.825 Ja-Stimmen angenommen worden, was antragsgemäß festzustellen ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 101, 100 ZPO.Randnummer96

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.Randnummer97

Gründe, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO, liegen nicht vor; zulassungsrelevante Rechtsfragen werden nicht aufgeworfen. Die Entscheidung beruht auf der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung, von der nicht abgewichen wird.Randnummer98

Streitwert des Berufungsverfahrens: 200.000,00 EUR

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