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OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2022 – 4 U 262/22

Donnerstag, 22. Dezember 2022

Wettbewerbsverbot I UWG §§ 3, 3a, 8 Abs. 1; HWG § 9; ApoG § 11 Abs. 1

1. Ein elektronischer Marktplatzbetreiber für Apotheken, der nach § 5 TMG für die Homepage verantwortlich zeichnet, über die der Kunde zu den in der streitgegenständlichen Werbung beworbenen Dienstleistungen gelangt, kann Schuldner des Unterlassungsanspruchs nach §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. § 9 HWG sein, auch wenn er selbst keine Versandapotheke betreibt.

2. Zu den Voraussetzungen der Haftung eines elektronischen Marktplatzbetreibers für Apotheken nach §§ 3, 3a, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. § 9 HWG.

3. Der Erlaubnistatbestand des § 9 Satz 2 HWG ist ein Ausnahmetatbestand. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die beworbene Fernbehandlung den allgemeinen fachlichen Standards entspricht, liegt bei dem Werbenden.

4. Die pauschale Werbung für ärztliche Videosprechstunden ist gemäß § 9 HWG unzulässig, wenn der Eindruck erweckt wird, eine Videosprechstunde könne immer, also nicht nur bei bestimmten, eng begrenzten Indikationen in Anspruch genommen werden.

5. Der einschränkende Hinweis, dass die Videosprechstunde nur für Fernbehandlungen in Frage kommt, für die nach allgemeinen fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist, muss bereits in der Werbung selbst erfolgen, wenn der Verbraucher die beworbene Leistung nach Lesen der Werbung ohne weiteres durch Anklicken eines Links oder durch Scannen eines QR-Codes in Anspruch nehmen kann.

6. Ein elektronischer Marktplatzbetreiber für Apotheken, der selbst keine Apotheke betreibt, gehöht nicht zu dem in § 11 Satz 1 ApoG definierten Adressatenkreis. Er kann jedoch als Gehilfe haften, wenn er die gegen § 11 Satz 1 ApoG verstoßende Tätigkeit einer Versandapotheke unterstützt.

Schlagworte: Wettbewerbsverbot

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OLG Karlsruhe Urteil vom 21.12.2022 – 3 U 45/21

Mittwoch, 21. Dezember 2022

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 12.08.2021, Az. C 4 O 225/20, im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 268.309,58 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.08.2020 zu zahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus Insolvenzanfechtung geltend. Er wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz – Insolvenzgericht – vom 02.01.2017 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der X. mbH & Co. KG (Insolvenzschuldnerin) bestellt.

Die Insolvenzschuldnerin bot Kapitalanlegern die Möglichkeit, sich als stille Gesellschafter zu beteiligten. Die Beteiligungen der Kapitalanleger erfolgten schubweise in den Emissionen „SC“ ab dem 06.10.2009, „LP“ ab dem 19.03.2010, „LC“ ab dem 31.07.2010 und „LC 2“ ab dem 30.08.2011.

Der Beklagte ist Alleinerbe nach seiner verstorbenen Ehefrau Y. (im Folgenden: Erblasserin). Sowohl die Erblasserin, als auch der Beklagte selbst schlossen zwischen den Jahren 2010 und 2013 jeweils drei dieser stillen Beteiligungen bei der Insolvenzschuldnerin ab, wodurch insgesamt 1.605.000 EUR angelegt wurden.

Die erste Beteiligung der Erblasserin (Anlegernummer …) erfolgte gemäß Beitrittserklärung vom 16.04.2010 im Rahmen des Angebots „LP“. Die Beteiligungssumme betrug 500.000 EUR zuzüglich Agio bei einer Laufzeit bis 30.04.2013.

Die zweite Beteiligung der Erblasserin (Anlegernummer …) erfolgte gemäß Beitrittserklärung vom 18.05.2013 im Rahmen des Angebots „LC 2″. Die Beteiligungssumme betrug 700.000 EUR zuzüglich Agio bei einer Laufzeit bis 31.05.2016.

Die dritte Beteiligung der Erblasserin (Anlegernummer …) erfolgte gemäß Beitrittserklärung vom 26.06.2013 im Rahmen des Angebots „LC 2″. Die Beteiligungssumme betrug 300.000 EUR zuzüglich Agio bei einer Laufzeit bis 30.06.2016.

Die erste Beteiligung des Beklagten (Anlegernummer …) erfolgte gemäß Beitrittserklärung vom 16.04.2010 im Rahmen des Angebots „LP“. Die Beteiligungssumme betrug 25.000 EUR zuzüglich Agio bei einer Laufzeit bis 30.04.2013.

Die zweite Beteiligung des Beklagten (Anlegernummer …) erfolgte gemäß Beitrittserklärung vom 18.05.2013 im Rahmen des Angebots „LC 2″. Die Beteiligungssumme betrug 40.000 EUR zuzüglich Agio bei einer Laufzeit bis 31.05.2016.

Die dritte Beteiligung des Beklagten (Anlegernummer …) erfolgte gemäß Beitrittserklärung vom 26.06.2013 im Rahmen des Angebots „LC 2“. Die Beteiligungssumme betrug 40.000 EUR zuzüglich Agio bei einer Laufzeit bis 30.06.2016.

10 

Den sechs streitgegenständlichen Anlagen lagen die Prospekte LC 2 und LP sowie die darin enthaltenen Gesellschaftsverträge zur Errichtung der stillen Gesellschaft (Anlagen K 2a und K 2b) zugrunde.

11 

In den stillen Gesellschaftsverträgen (SGV) heißt es u.a. (vgl. Verkaufsprospekt LC 2, Anlage K 2a, S. 74 ff. mit Hinweis auf die Änderungen im Verkaufsprospekt LP, Anlage K 2b, S. 72 ff. in Kursivdruck):

12 

„Präambel:

Die Beteiligungsgesellschaft beabsichtigt, mit einer Vielzahl von stillen Gesellschaftern stille Gesellschaften einzugehen und die von diesen geleisteten Einlagen insbesondere dazu zu verwenden, an ihre Mehrheitsgesellschafterin, die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
(nachstehend ‚Z.‘ genannt), Darlehen zur Finanzierung deren Unternehmens nämlich des Betriebs des Gewerbes eines Pfandleihers sowie zum Ausbau und der Erweiterung anderer Geschäftszweige, zu gewähren. Das gesamte Projekt trägt den Namen ‚LC 2‘ [‚LP‘]. Bezüglich der Darlehensgewährung an Z. besteht zwischen der Beteiligungsgesellschaft und Z. ein Rahmenkreditvertrag 3 (nachstehend ‚Rahmenkreditvertrag 3‘ genannt) [ein Rahmenkreditvertrag (nachstehend ‚Rahmenkreditvertrag 2‘ genannt)], wonach die Beteiligungsgesellschaft in monatlichen Tranchen in jeweils gesondert zu vereinbarender Höhe Darlehen (nachstehend jeweils ‚Darlehenstranche‘ genannt) [nachstehend jeweils ‚Darlehenstranche 2‘ genannt] gewährt.

13 

Dies vorausgeschickt wird vereinbart:

14 

[…]

§ 3 Konten

15 

3.1 Für den stillen Gesellschafter werden bei der Beteiligungsgesellschaft ein Kapitalkonto und ein Verrechnungskonto geführt.

16 

3.2 Auf dem Kapitalkonto wird die Einlage des stillen Gesellschafters verbucht. Das Konto ist unverzinslich.

17 

3.3 Alle Buchungen, die nach den nachstehenden Vorschriften nicht die Einlage des stillen Gesellschafters betreffen, erfolgen über das Verrechnungskonto. Das Verrechnungskonto ist unverzinslich.

[…]

18 

§ 5 Geschäftsjahr, Jahresabschluss, Informations- und Kontrollrechte

[…]

19 

5.2 Die Beteiligungsgesellschaft stellt ihren Jahresabschluss innerhalb der gesetzlichen Fristen auf, lässt diesen durch einen Abschlussprüfer prüfen und leitet dem stillen Gesellschafter den Jahresabschluss unverzüglich nach dessen Vorliegen zu. Der festgestellte Jahresabschluss der Beteiligungsgesellschaft ist für den stillen Gesellschafter verbindlich.

[…]

20 

§ 6 Ergebnisbeteiligung

21 

6.1 Für die Ergebnisbeteiligung des stillen Gesellschafters ist von dem Ergebnis der Beteiligungsgesellschaft auszugehen, das sich aus dem Jahresabschluss der Beteiligungsgesellschaft gemäß § 5.2 vor Berücksichtigung des auf den stillen Gesellschafter und ggfs. weitere stille Gesellschafter entfallenden Ergebnisanteils ergibt.

22 

6.2 Der Jahresüberschuss gemäß § 6.1 steht dem stillen Gesellschafter vor den Gesellschaftern der Beteiligungsgesellschaft zu. An dem Jahresüberschuss gemäß § 6.1 nimmt der stille Gesellschafter mit dem Anteil teil, in dem der Nominalbetrag seiner Einlage (§ 2.1) zum Ende des Geschäftsjahres zu der Summe der Nominalbeträge der Einlagen aller weiteren stillen Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft steht, höchstens jedoch mit einem Betrag in Höhe von 7,15 % p.a. [8,75 % p.a.] (360 Zinstage) des Nominalbetrages seiner Einlage.

23 

6.3 An einem Jahresfehlbetrag gemäß § 6.1 nimmt der stille Gesellschafter mit dem Anteil teil, in dem der Nominalbetrag seiner Einlag (§ 2.1) zum Ende des Geschäftsjahres zu der Summe (i) der Hafteinlagen der Kommanditisten der Beteiligungsgesellschaft sowie (ii) der Nominalbeträge der Einlagen aller weiteren stillen Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft steht.

[…]

24 

6.5 Ein auf den stillen Gesellschafter gemäß § 6.3 entfallender Verlustanteil wird seinem Kapitalkonto belastet. Ein auf den stillen Gesellschafter gemäß § 6.2 entfallender Gewinnanteil wird seinem Kapitalkonto solange gutgeschrieben, bis der Nominalbetrag der Einlage (§ 2.1) (wieder) erreicht ist. Darüber hinausgehende Beträge werden dem Verrechnungskonto des stillen Gesellschafters gutgebracht.

[…]

25 

§ 7 Entnahmen und Auszahlungen

26 

7.1 Für die Dauer der stillen Gesellschaft kann der stille Gesellschafter keine Entnahmen zu Lasten seines Kapitalkontos tätigen oder Auszahlungen verlangen.

27 

7.2 Der stille Gesellschafter ist jederzeit berechtigt, die auf seinem Verrechnungskonto gutgeschriebenen Beträge ganz oder teilweise zu entnehmen. Die Beteiligungsgesellschaft ist jederzeit berechtigt, das Guthaben des stillen Gesellschafters auf dessen Verrechnungskonto ganz oder teilweise an ihn auszuzahlen.

28 

7.3 Die Beteiligungsgesellschaft wird in Anrechnung auf den endgültigen nach § 6.2 auf den stillen Gesellschafter entfallenden Gewinnanteil jeweils zum 31.03. und 30.09. [halbjährige] Auszahlungen an den stillen Gesellschafter leisten, soweit dies nach dem bisherigen und erwarteten Geschäftsverlauf möglich ist und kaufmännischer Sorgfalt entspricht und soweit nicht nach § 6.5 Satz 2 ein Ausgleich von Verlusten zu erfolgen hat.

[…]

29 

§ 10 Dauer der stillen Gesellschaft

30 

10.1. Die Dauer der stillen Gesellschaft beträgt 36 Monate ab dem Begründungsdatum. Mit Ablauf der vorgenannten 36 Monate endet die stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
stille Gesellschaft
, ohne dass es hierzu einer Kündigung bedarf.

[…]

31 

§ 11 Beendigung der stillen Gesellschaft

32 

11.1 Ende die stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
stille Gesellschaft
, so ist der stille Gesellschafter berechtigt, seine Guthaben auf dem Kapitalkonto und dem Verrechnungskonto zu entnehmen und die Beteiligungsgesellschaft ist verpflichtet, die auf diesen Konten befindlichen bzw. noch gutzuschreibenden Beträge an den stillen Gesellschafter auszuzahlen. Der stille Gesellschafter ist nicht verpflichtet, einen ggfs. durch Verluste verursachten Negativsaldo seines Kapitalkontos auszugleichen.“

33 

Konzeptgemäß bestand die Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin darin, von den Anlegern Gelder einzuwerben und diese auf der Grundlage eines Rahmenkreditvertrages in Tranchen an die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
auszuleihen. Die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
war Mehrheitsgesellschafterin, einziges Investitionsobjekt und zwischenzeitlich Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin. Sie sollte mit dem Anlegergeld ein Luxuspfandhaus betreiben und aus den Einnahmen die Rückzahlung der Darlehen sowie die vereinbarten Zinsen an die Insolvenzschuldnerin bewirken.

34 

Tatsächlich wurde auf der Ebene der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
ein modifiziertes Schneeballsystem betrieben. Die von der Insolvenzschuldnerin investierten Anlegergelder wurden zweckwidrig für Darlehen innerhalb der Gruppe verwendet. Das Pfandleihgeschäft der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
wurde im großen Stil vorgetäuscht. Die Inpfandnahmen betrafen zumeist absichtlich zu hoch bewertete, gefälschte oder wertlose Faustpfänder sowie Inhabergrundschuldbriefe oder Inhaberaktien nahestehender Personen bzw. Unternehmen. Um eine tatsächliche Rückzahlung eines Darlehens an die Insolvenzschuldnerin zu umgehen, verrechnete die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
aufgrund von Rahmenverrechnungsvereinbarungen mit der Insolvenzschuldnerin das fällige Darlehen mit einem neu ausgereichten Darlehen. Das neue Darlehen wurde für einen Pfandkredit verwendet, der teils mit demselben Objekt wie zuvor, nur mit neuer Pfandnummer und höherer Bewertung gesichert war. Infolge der Geschäftspraxis der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
waren die von der Insolvenzschuldnerin an sie ausgereichten Darlehen zum großen Teil nicht werthaltig.

35 

Die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
hatte als Mehrheitsgesellschafterin bei der Insolvenzschuldnerin im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen die Entscheidungshoheit. Die Familie A. schuf mit Hilfe einer notariellen Generalvollmacht von B. zu Gunsten ihres Sohnes C. eine Eigentümerstruktur, bei der der mehrfach vorbestrafte C. als Kopf, Organisator, maßgeblicher Lenker und Entscheider eine beherrschende Rolle einnahm.

36 

Der Beklagte und die Erblasserin erhielten von der Insolvenzschuldnerin in den Jahren 2013 bis 2015 Auszahlungen in Höhe von insgesamt 154.642,18 EUR; jeweils abzüglich Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % und Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 %, die sich wie folgt aufteilen:

37 

Erblasserin Anlegernummer … „LP“:

14.583,33 EUR

Erblasserin Anlegernummer … „LC 2″:

91.619,31 EUR

Erblasserin Anlegernummer … „LC 2″:

37.477,92 EUR

Beklagter Anlegernummer … „LP“:

729,17 EUR

Beklagte Anlegernummer … „LC 2″:

5.235,39 EUR

Beklagter Anlegernummer … „LC 2“:

4.997,06 EUR

38 

Bei der Beteiligung „LP“, Anlegernummer …, erhielt die Erblasserin am 30.04.2013 eine Rückzahlung ihrer Einlage in Höhe von 500.000 EUR, die der Kläger in Höhe von 108.254,67 EUR als Scheinguthaben für anfechtbar erachtet.

39 

Bei der Beteiligung „LP“, Anlegernummer …, erhielt der Beklagte am 30.04.2013 eine Rückzahlung seiner Einlage in Höhe von 25.000 EUR, die der Kläger in Höhe von 5.412,73 EUR als Scheinguthaben für anfechtbar erachtet.

40 

Die neu und zutreffend aufgestellten Jahresabschlüsse der Geschäftsjahre 2013 bis 2016 weisen sämtlich ein negatives Ergebnis auf; ein tatsächlicher Gewinn wurde in diesem Zeitraum nicht erwirtschaftet. Über das Vermögen der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
wurde am 05.02.2017 ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.

41 

Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung bzgl. bereicherungsrechtlicher Ansprüche erhoben.

42 

Der Kläger hat vorgetragen,

43 

die Auszahlungen sowie (bzgl. der Beteiligungen „LP“) Rückzahlungen in Höhe von insgesamt 268.309,58 EUR habe der Beklagte bzw. die Erblasserin als unentgeltliche Leistungen in anfechtbarer Weise nach § 134 InsO erlangt. Sie seien rechtsgrundlos in Kenntnis der Nichtschuld geleistet worden; der Beklagte bzw. die Erblasserin hätten keinen Anspruch auf die Auszahlungen gehabt. Der Beklagte bzw. die Erblasserin hätten auch keinen vertraglichen Anspruch auf Rückzahlung der Einlage gehabt, sondern nur auf Auszahlung eines etwaigen Guthabens bei Beendigung der Gesellschaft. Die Einlage auf dem Kapitalkonto sei infolge der durchgehenden Verlustteilnahme aufgebraucht, das Kapitalkonto tatsächlich im Minus gewesen. Nicht nur aus den jeweiligen stillen Gesellschaftsverträgen, den Verkaufsprospekten und den Verbraucherinformationen, sondern auch aus der objektiven Sicht eines durchschnittlichen Anlegers ergebe sich, dass der stille Gesellschafter am Ergebnis der Insolvenzschuldnerin beteiligt sei und sowohl an Jahresüberschüssen, als auch an Jahresfehlbeträgen teilnehme. Eine gewinnunabhängige Entnahme sei nicht vereinbart worden, Vorauszahlungen seien auf den endgültigen Gewinn anzurechnen.

44 

Die (formale) Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin – seit dem Jahr 2011 bis Juni 2014 D., danach die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, ab Februar 2015 B. – habe von der zweckwidrigen Verwendung der Gelder und den Auszahlungen an die Anleger auf Grundlage eines Schneeballsystems Kenntnis gehabt. faktisch sei aber C. Geschäftsführer gewesen.

45 

Der Beklagte bzw. die Erblasserin hätten auch keinen vertraglichen Anspruch auf Auszahlung seiner Investition bei Beendigung der Beteiligung. Die Einlage auf dem Kapitalkonto des Beklagten bzw. der Erblasserin sei infolge der durchgehenden Verlustteilnahme aufgebraucht gewesen; das Kapitalkonto tatsächlich im Minus. Der Beklagte bzw. die Erblasserin sei auch nicht in Höhe der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags entreichert. Ihnen sei durch die Abführung der Steuern seitens der Insolvenzschuldnerin ein Vermögensvorteil erwachsen, da sie in der abgeführten Höhe von der Steuerschuld frei geworden seien. Zudem verfüge der Beklagte bzw. die Erblasserin über einen Steuerfreibetrag von mindestens 801 EUR, was einen Steuererstattungsanspruch eröffne bzw. eröffnet habe.

46 

Der Kläger hat beantragt:

47 

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 268.309,58 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

48 

Der Beklagte hat beantragt,

49 

die Klage abzuweisen.

50 

Der Beklagte hat vorgetragen,

51 

die Auszahlungen seien nicht anfechtbar, weil ihnen jeweils eine regelmäßige, gewinnunabhängige Zinsvereinbarung zugrunde liege. Eine gewinnunabhängige Zinsvereinbarung habe dem eigenen Vertragsverständnis der Insolvenzschuldnerin entsprochen, die „Zinsbescheinigungen“ erstellt und übersandt habe. Jedenfalls aber seien die Regelungen im stillen Gesellschaftsvertrag zur Gewinnbeteiligung und zur Rückzahlung der Einlage als überraschende Klauseln unwirksam. Zudem habe ein Rückzahlungsanspruch auf 100 % der Einlage bestanden. Selbst wenn eine Auszahlung von Scheingewinnen bzw. Scheinguthaben erfolgt sein sollte, sei dies durch die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin nicht vorsätzlich erfolgt. Die tatsächlichen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin – bis 19.05.2014 D., vom 20.05.2014 bis 29.10.2014 die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und vom 29.10.2014 bis 01.01.2017 die X. Verwaltungsgesellschaft mbH – hätten keine Kenntnis von dem auf der Ebene der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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bestehenden Schneeballsystem gehabt. Sie hätten davon ausgehen können, dass die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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entsprechende Gewinne erwirtschaftet hatte und entsprechende Ansprüche der Insolvenzschuldnerin aus den Rahmendarlehensvereinbarungen bestanden.

52 

Eine Abführung der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags durch die Insolvenzschuldnerin an das Finanzamt sei nicht erfolgt, jedenfalls sei der Beklagte in dieser Höhe entreichert, auch weil er bzw. die Erblasserin den kompletten Rückfluss aus den Beteiligungen „LP“ in die Beteiligung „LC 2″ reinvestiert habe. Die zugrundeliegenden Steuerbescheide seien bereits formell und materiell bestandskräftig. Der Beklagte habe zudem einen Rückzahlungsanspruch gegen die Insolvenzschuldnerin hinsichtlich seiner geleisteten Einlage mit der Folge, dass der Vorrang der gesellschaftsinternen Verrechnung der Forderung des Klägers entgegenstehe. Zudem sei die Rückforderung von Ausschüttungen durch die Insolvenzschuldnerin treuwidrig. Etwaige bereicherungsrechtliche Ansprüche seien verjährt. Hilfsweise werde gegen etwaige bereicherungsrechtliche Ansprüche mit zur Insolvenztabelle angemeldeten Gegenforderungen in Höhe von 1.000.000 EUR aufgerechnet.

53 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stünden weder Ansprüche nach § 143 Abs. 1, Abs. 2, § 134 Abs. 1, § 129 Abs. 1 InsO, noch nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung gemäß §§ 812 ff. BGB gegen den Beklagten zu. Die Leistungen seien nicht unentgeltlich im Sinne des § 134 InsO erfolgt. Die Auszahlungen durch die Insolvenzschuldnerin an den Beklagten und die Erblasserin seien zwar ohne Rechtsgrund im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB geleistet worden. Aus den zwischen dem Beklagten und der Insolvenzschuldnerin bzw. der Erblasserin und der Insolvenzschuldnerin geschlossenen Gesellschaftsverträgen folge, dass die Insolvenzschuldnerin keine gewinnunabhängigen Leistungen geschuldet habe. Hinsichtlich der klägerischen Behauptung, die Leistungen der Insolvenzschuldnerin an den Beklagten und an die Erblasserin erfolgten in Kenntnis der Nichtschuld im Sinne des § 814 BGB, fehle es aber bereits an schlüssigem Vortrag des Klägers. Dem Kläger sei es nicht gelungen, substantiiert darzulegen, aufgrund welcher konkreten Umstände die für die Insolvenzschuldnerin handelnden natürlichen Personen als sog. Wissensvertreter und/oder deren gesetzliche Vertreter gerade positive Kenntnis von der Nichtschuld der Leistung, jedenfalls aber vom Betreiben eines Schneeballsystems gehabt hätten. Insbesondere sei vom Kläger nicht dargetan, welcher konkreter Entscheidungsträger auf Ebene der Insolvenzschuldnerin die streitgegenständlichen rechtsgrundlosen Zahlungen veranlasstBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Zahlungen
Zahlungen veranlasst
habe. Dem Kläger sei es weder gelungen, Tatsachen vorzutragen, die eine positive Kenntnis von D., noch eine solche des C., noch der übrigen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, namentlich E., F. und G. schlüssig darzulegen. Die klägerischen Behauptungen seien nicht mit den persönlichen Angaben des D. in dessen Auskunft gemäß § 97 InsO gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Insolvenzverwalter vereinbar. Aus dessen Angaben ergebe sich allenfalls eine fahrlässige Unkenntnis des D., da – trotz der im Laufe der Tätigkeit als Geschäftsführer aufgekommenen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Insolvenzschuldnerin – bis zu dessen Ausscheiden eine tatsächliche Kenntnis der zu Grunde liegenden wahren Umstände nicht festgestellt werden könne. Im Hinblick auf C. könne dahingestellt bleiben, ob dieser als zentrale Figur des von der Insolvenzschuldnerin betriebenen Geschäftsmodells als faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
faktischer Geschäftsführer
Geschäftsführer
anzusehen sei, indem er allein aufgrund seiner umfassenden Einbindung in das betriebene Geschäftsmodell jedenfalls im Einverständnis mit den Geschäftsführern die Geschäfte der Insolvenzschuldnerin geleitet habe und im Verhältnis zu den formalen Geschäftsführern wenigstens ein deutliches Übergewicht inne gehabt habe. Jedenfalls fehle es in Gänze an einer konkreten Darlegung des Klägers, inwieweit C. die streitgegenständlichen Leistungen in Form der Auszahlung der Scheingewinne tatsächlich selbst autorisiert haben solle. Der Ausschlussgrund des § 817 Satz 2 BGB greife nicht ein.

54 

Bereicherungsrechtliche Ansprüche des Klägers aus §§ 812 ff. BGB gegenüber dem Beklagten kämen ebenfalls nicht in Betracht. Ein dem Grunde nach zwar jedenfalls gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB bestehender Anspruch sei zwischenzeitlich gemäß § 199 BGB verjährt, mithin gemäß § 214 BGB nicht mehr durchsetzbar.

55 

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seinen erstinstanzlichen Zahlungsantrag vollumfänglich weiterverfolgt.

56 

Der Kläger trägt vor,

57 

das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Insolvenzschuldnerin und die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
KG
ein Schneeballsystem betrieben hätten und demzufolge die mit der Klage geltend gemachten Scheingewinne aus diesem Schneeballsystem resultierten. Nicht gefolgt werden könne jedoch der Würdigung des Landgerichts, dass der formale Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin D. keine positive Kenntnis von dem betriebenen Schneeballsystem gehabt habe, sondern lediglich eine fahrlässige Unkenntnis. Richtig sei vielmehr, dass D. gemäß seiner eigenen Einlassung positiv gewusst habe, dass „Ausschüttungen und Rückzahlungen mit dem neu eingeworbenen Geld verrechnet“ worden seien, was für ein Schneeballsystem charakteristisch sei. Wenn zwischen den Parteien unstreitig sei, dass die Insolvenzschuldnerin ein Schneeballsystem betrieben habe, müsse D. zwingend Kenntnis von diesem Schneeballsystem gehabt haben. Denn ein Schneeballsystem entstehe nicht von selbst und verwalte sich auch nicht von selbst. Das Landgericht gehe von unzutreffenden subjektiven Anforderungen an eine Anfechtung nach § 143 Abs. 1 und 2, § 134 Abs. 1, § 129 Abs. 1 InsO aus und wende insbesondere § 814 BGB rechtsfehlerhaft an. Der Anfechtungsanspruch setze weder Absicht noch Vorsatz hinsichtlich der unentgeltlichen Leistung voraus. Tatsächlich sei für eine Anfechtung nach § 134 InsO erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Leistende gewusst habe, dass er nicht zur Leistung verpflichtet sei, weil er aus bekannten Umständen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre im Ergebnis diese Schlussfolgerung gezogen habe. Zudem sei C. als faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und vor allem Wissensvertreter zu qualifizieren, so dass auch unmittelbar auf seine unstreitige Kenntnis von dem Schneeballsystem abzustellen sei. Für die Anfechtung einer Leistung durch eine Gesellschaft sei auch nicht erforderlich, dass die zahlungsausführende Person die Unentgeltlichkeit der Leistung kenne.

58 

Das Landgericht habe den unstreitigen Sachvortrag unberücksichtigt gelassen, dass C. den alten (nichtigen) Jahresabschluss 2013 selbst als Prokurist der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
aufgestellt habe. Es habe unberücksichtigt gelassen, dass D. (für die Insolvenzschuldnerin) und C. (für die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
) zweckwidrig Darlehen an Dritte ausgereicht hätten.

59 

Der Kläger beantragt:

60 

Das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 16.08.2021 [richtig: 12.08.2021] – Az: C 4 O 225/20 – wird abgeändert.

61 

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 268.309,58 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

62 

Der Beklagte beantragt,

63 

die Berufung zurückzuweisen.

64 

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags. Die Erblasserin, der Beklagte und D. seien bei Unterzeichnung der streitigen Beteiligungsvereinbarung davon ausgegangen, dass dem Beklagten ein Zinsanspruch bzw. ein Anspruch auf Rückzahlung von „100 % seiner Einlage“ zugestanden habe. Es zeige sich auch aus den Werbeschreiben und Kurzübersichten, dass die gesamte Außendarstellung der Insolvenzschuldnerin zu erkennen gegeben habe, dass hier ein gewinnunabhängiger Zinsanspruch bestanden habe. Zudem folge dies aus den von D. unterzeichneten Zinsbescheinigungen der Insolvenzschuldnerin.

65 

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

67 

Dem Kläger steht entgegen der Auffassung des Landgerichts gegen den Beklagten der geltend gemachte Anspruch in Höhe von 268.309,58 EUR aus § 143 Abs. 1, Abs. 2, § 134 Abs. 1, § 129 Abs. 1 InsO nebst Rechtshängigkeitszinsen zu. Der Beklagte bzw. die Erblasserin (nachfolgend nur: der Beklagte) hat anfechtbare, unentgeltliche Leistungen von der Insolvenzschuldnerin i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dieser Höhe erhalten.

68 

1. a) Unentgeltlich ist im hier gegebenen Zwei-Personen-Verhältnis eine Leistung, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 20.07.2017 – IX ZR 7/17, juris Rn. 8; OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Karlsruhe
, Beschluss vom 20.12.2021 – 3 U 18/20, juris Rn. 48; jeweils m.w.N.). Eine objektiv unentgeltliche Leistung liegt insbesondere auch bei Auszahlungen von in „Schneeballsystemen“ erzielten Scheingewinnen vor (BGH, Urteil vom 18.07.2013 – IX ZR 198/10, juris Rn. 9).

69 

Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte. Wenn der Anfechtungsgegner aufgrund des mit dem Insolvenzschuldner geschlossenen Vertrags Anspruch auf die erhaltenen Ausschüttungen gehabt hat, liegt danach eine unentgeltliche Leistung nicht vor, weil diese dann objektiv den Ausgleich für die Gewährung des Kapitals darstellte (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20, juris Rn. 11 m.w.N.).

70 

b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegen im Streitfall unentgeltliche Leistungen der Insolvenzschuldnerin an den Beklagten vor. Dem Beklagten stand aus den nur eine gewinnabhängige Ergebnisbeteiligung vorsehenden stillen Gesellschaftsverträgen kein Anspruch auf die Auszahlungen in Höhe von insgesamt 154.642,18 EUR gegen die Insolvenzschuldnerin zu, bei denen es sich lediglich um Scheingewinne gehandelt hat. Es bestand in Höhe von insgesamt 113.667,40 EUR auch kein Anspruch auf Rückzahlung der Einlage bzgl. der Beteiligungen „LP“. Der Insolvenzschuldnerin war auch i.S.d. § 814 BGB bekannt, dass sie zu den Leistungen nicht verpflichtet war.

71 

aa) Der Beklagte hat sich als stiller Gesellschafter zunächst wirksam an der Insolvenzschuldnerin beteiligt. Insbesondere waren die stillen Gesellschaftsverträge nicht nichtig im Sinne des § 138 BGB. Sittenwidrig war allenfalls das von der Insolvenzschuldnerin tatsächlich betriebene Schneeballsystem, nicht aber das mit dem gutgläubigen Beklagten vereinbarte System der Kapitalanlage (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2021 – IX ZR 111/20, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20, juris Rn. 14; jeweils m.w.N.).

72 

bb) Dem Landgericht kann noch darin gefolgt werden, dass zwischen der Insolvenzschuldnerin und dem Beklagten nur eine gewinnabhängige Ergebnisbeteiligung vereinbart war und nicht – wie der Beklagte meint – eine gewinnunabhängige „Zinsvereinbarung“ in Höhe von jährlich 7,15 % (LC 2) bzw. 8,75 % (LP).

73 

(1) Dies folgt zunächst aus dem jeweils eindeutigem Wortlaut des vorrangig maßgeblichen Vertrags über die Errichtung einer stillen Gesellschaft („SGV“, Verkaufsprospekt LC 2, Anlage K 2a, S. 74 ff.; Verkaufsprospekt LP, Anlage K 2b, S. 72 ff.). In § 6 SGV ist bereits in der Überschrift von „Ergebnisbeteiligung“ die Rede und detailliert sowie nachvollziehbar aufgeschlüsselt, wie sich die Beteiligung der stillen Gesellschafter am Ergebnis der Insolvenzschuldnerin errechnet. Es wird deutlich, dass der stille Gesellschafter an dem Jahresüberschuss teilnimmt, begrenzt auf einen Betrag in Höhe von 7,15 % p.a. (LC 2) bzw. 8,75 % p.a. (LP) des Nominalbetrags seiner Einlage (§ 6.1 SGV) und auch eine Beteiligung an einem etwaigen Jahresfehlbetrag erfolgt (§ 6.2 SGV), mit dem sein Kapitalkonto belastet wird (§ 6.5 SGV). Die halbjährlichen Auszahlungen an den stillen Gesellschafter betreffen unmissverständlich den nach § 6.2 SGV auf den Gesellschafter entfallenden „Gewinnanteil“, soweit dies „nach dem bisherigen und dem erwarteten Geschäftsverlauf möglich ist und kaufmännischer Sorgfalt entspricht“ (§ 7.3 SGV).

74 

(2) Hinsichtlich der Rückzahlung der Einlage enthält der jeweilige Vertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft ebenfalls eindeutige Regelungen. Danach wird die Einlage auf dem Kapitalkonto des stillen Gesellschafters verbucht (§ 3.2 SGV). Ein auf den stillen Gesellschafter entfallender Verlustanteil nach § 6.3 SGV wird seinem Kapitalkonto belastet (§ 6.5 SGV) und bei Beendigung der stillen Gesellschaft erfolgt eine Auszahlung des auf dem Kapitalkonto noch befindlichen Betrags (§ 11.1 SGV). Daraus wird deutlich, dass der stille Gesellschafter für den Fall, dass die Gesellschaft (wie erhofft) Gewinne erwirtschaftet, auch seine Einlage wieder vollständig zurückerhält. Bei Verlusten der Gesellschaft kann die auf dem Kapitalkonto verbuchte Einlage jedoch ganz oder teilweise aufgebraucht werden bzw. sogar ein Negativsaldo entstehen, was auch aus der Regelung in § 11.1 SGV folgt, wonach ein ggf. durch Verluste verursachtes Negativsaldo des Kapitalkontos durch den stillen Gesellschafter nicht auszugleichen ist.

75 

(3) Die Angaben im Verkaufsprospekt, in den sonstigen werblichen Unterlagen und die Umstände der durchgeführten Auszahlungen führen nicht zu einer anderen Beurteilung.

76 

(a) Im Verkaufsprospekt (Anlagen K 2a und K 2b) wird schon nicht der Eindruck einer gewinnunabhängigen „Verzinsung“ der Anlage oder einer garantierten Rückzahlung der Einlage erweckt; die Angaben sind insgesamt nicht missverständlich.

77 

Soweit überhaupt von einer „Verzinsung“ die Rede ist (u.a. im Vorwort S. 4 sowie auf S. 16, 29 und 47) wird bereits nicht deutlich, dass diese „Verzinsung“ gewinnunabhängig erfolgen soll. Bei der anfänglichen Darstellung des Investitionsangebots in den Eckdaten der Anlage wird vielmehr von „Ergebnisbeteiligung“ und „Gewinnbeteiligung“ von 7,15 % p.a. (LC 2) bzw. 8,75 % (LP) gesprochen (S. 8 des Verkaufsprospekts), was eine Ausschüttung unabhängig vom Erfolg der Gesellschaft zumindest nicht nahelegt. Hinsichtlich der Einlage wird zwar mehrfach von einer Rückzahlung von 100 % der Einlage gesprochen, damit wird jedoch nur der (erhoffte) Normalfall bei einem Erfolg des Gesellschaftsmodells dargestellt und nicht der unzutreffende Eindruck erweckt, die Rückzahlung wäre unabhängig vom Erfolg der Gesellschaft garantiert.

78 

Unter Ziff. 3 des Verkaufsprospekts LC 2 (S. 15 ff.) bzw. Ziff. 2 des Verkaufsprospekts LP (S. 9 ff.) werden die tatsächlichen und rechtlichen Risiken der Beteiligung ausführlich erläutert. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es zu einem „Totalverlust der Anlage“ kommen könne und die geplanten Auszahlungen und die Rückzahlung der Einlagen nicht oder nicht vollständig realisiert werden könnten. Zudem wird ausgeführt, dass „der Jahresüberschuss der Beteiligungsgesellschaft eventuell nicht ausreichen [wird], um die prognostizierten Auszahlungen an die stillen Gesellschafter zu leisten“ und „geringere als die prognostizierten Auszahlungen der hier angebotenen Vermögensanlage“ möglich sind. Unter der Überschrift „Zinsen“ wird dargelegt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, „dass Z. die Zinsen für diese Darlehenstranchen nicht verdient und daher diese nicht oder nur unvollständig leisten kann“. Dies könne „beim Anleger zu einer geringeren Wirtschaftlichkeit der Vermögensanlage führen“. Ein Fehlschlag des unternehmerischen Konzepts könne „zu einer geringeren Wirtschaftlichkeit oder auch zu einem vollständigen Verlust der Vermögensanlage führen“; bei einer ungünstigen Entwicklung könne „dies einen Totalverlust der Einlage und des Agio zur Folge haben“. Bei den Angaben über die Vermögensanlage unter Ziff. 5 des Verkaufsprospekts LC 2 bzw. Ziff. 4 des Verkaufsprospekts LP wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass die stillen Gesellschafter am Gewinn der Insolvenzschuldnerin beteiligt sind und diese „Gewinnbeteiligung“ von „bis zu 7,15 % pro Jahr“ (LC 2) bzw. „bis zu 8,75 % pro Jahr“ (LP) den Kommanditisten der Beteiligungsgesellschaft vorgeht. Unter Ziff. 6 des Verkaufsprospekts LC 2 bzw. Ziff. 5 des Verkaufsprospekts LP wird bereits in der Überschrift erläutert, dass es sich um eine unternehmerische Beteiligung handelt und die „geplante Verzinsung in Höhe von 7,15 % p.a. sowie die vollständige und pünktliche Rückführung der Investorengelder […] vom dauerhaften Erfolg des Geschäftsmodells von Z.“ abhängt (LC 2, Verkaufsprospekt S. 29) bzw. die Investoren für die Laufzeit von drei Jahren eine „Gewinnbeteiligung in Höhe von bis zu 8,75 % pro Jahr“ erhalten (LP, Verkaufsprospekt S. 25).

79 

Bei diesen Angaben im Verkaufsprospekt kann ein verständiger Leser, selbst wenn er sich nur flüchtig mit dem Prospekt befasst, nicht davon ausgehen, dass eine gewinnunabhängige Ausschüttung erfolgt oder die Rückzahlung der Einlage garantiert ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt im Hinblick auf die gewinnabhängige Ausschüttung damit auch kein Fall eines völlig anderen Vertragsverständnisses im Sinne der „falsa demonstratio non nocet“ vor, zumal es insoweit für das Verständnis der vertraglichen Regelungen auf Seiten der Insolvenzschuldnerin nicht nur auf den Geschäftsführer D. ankommt, sondern – bei unterstellter Ahnungslosigkeit des formalen Geschäftsführers – auf das Verständnis der „Hintermänner“ des Schneeballsystems.

80 

(b) Bei den weiteren vom Beklagten in der Berufungsinstanz vorgelegten werblichen Unterlagen (Anlagen BB 2 bis BB 6), die nur teilweise die streitgegenständlichen Beteiligungen „LC 2“ und „LP“ betreffen, handelt es sich insbesondere um Kurzbeschreibungen zu Werbe- und Vertriebszwecken, bei denen zwar von „Zinsen“ und der Bezeichnung als „Festgeldersatz“ von Analysten und Presse die Rede ist, aber auch nicht der unzutreffende Eindruck entsteht, die Auszahlung erfolge gewinnunabhängig oder die Rückzahlung der Einlage sei garantiert. Im Gegenteil wird etwa in der eine andere Anlage betreffenden Broschüre „S-L in 15 Minuten“ (Anlage BB 4) auf zwei Seiten unmissverständlich deutlich, dass es zu einer „Reduzierung der Auszahlungen an die Anleger“ kommen kann, wenn das Geschäftsmodell nicht wie geplant funktioniert.

81 

(c) Die vom Beklagten als „Zinsbescheinigungen“ bezeichneten Schreiben der Insolvenzschuldnerin zu den erfolgten Auszahlungen vom 28.03.2013 und 13.09.2013 (Anlage B 1; vgl. auch Anlage BB 7) sind für das Verständnis der vertraglichen Vereinbarung mit dem Beklagten nicht von maßgeblicher Bedeutung. Die Formulierungen in den Schreiben der Insolvenzschuldnerin, bei denen von „erwirtschafteten Zinsen“ und der Hoffnung auf einen weiterhin „ertragreichen Verlauf“ die Rede ist, deuten eher auf eine gewinnabhängige Ergebnisbeteiligung hin. Zudem konnte der Beklagte selbst bei der Annahme einer fehlerhaften bzw. zumindest missverständlichen Bezeichnung der Auszahlungen die Formulierungen angesichts der eindeutigen Regelungen im Vertrag über die Errichtung der stillen Gesellschaft nicht als Vereinbarung einer gewinnunabhängigen Ausschüttung verstehen.

82 

(4) Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Regelungen zur gewinnabhängigen Ergebnisbeteiligung und zur Rückzahlung der Einlage im stillen Gesellschaftsvertrag auch nicht als allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam bzw. führen nicht nach § 305c Abs. 2 BGB zur Annahme einer gewinnunabhängigen Ausschüttung bzw. einer garantierten Rückzahlungspflicht hinsichtlich der Einlage. Dabei kann dahinstehen, ob die Regelungen im stillen Gesellschaftsvertrag aufgrund der Bereichsausnahme für das Gesellschaftsrecht in § 310 Abs. 4 BGB überhaupt als allgemeine Geschäftsbedingungen qualifiziert werden können bzw. zumindest eine entsprechende Anwendung oder richtlinienkonforme Auslegung von § 310 Abs. 4 BGB bei Verbraucherverträgen in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 27.06.2016 – II ZR 63/15, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 27.11.2000 – II ZR 218/00, juris Rn. 6, 12; BGH, Urteil vom 10.10.1994 – II ZR 32/94, BGHZ 127, 176, juris Rn. 20 ff.; MünchKommBGB/Fornasier, 9. Aufl., § 310 Rn. 121, 129; BeckOGK/Richters/Friesen, BGB, § 310 Rn. 185 ff.).

83 

Unabhängig davon, dass Gesellschaftsverträge von Publikumsgesellschaften nach ihrem objektiven Erklärungsbefund nur anhand des schriftlichen Vertrags auszulegen sind (BGH, Beschluss vom 27.06.2016 – II ZR 63/15, juris Rn. 7), der – wie dargelegt – unmissverständliche Regelungen zur Erfolgsabhängigkeit der Ausschüttungen und zur Rückzahlung der Einlage enthält, sind auch die Angaben im Verkaufsprospekt eindeutig, so dass unterschiedliche Auslegungen für eine mögliche Anwendung der Unklarheitenregelung bereits nicht in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 01.10.2020 – IX ZR 247/19, juris Rn. 28).

84 

cc) Mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 SGV für eine Gewinnbeteiligung stand dem Beklagten kein Anspruch auf die erfolgten Auszahlungen zu. Aufgrund der Verlustzuweisungen bestand bzgl. der Beteiligungen „LP“ auch kein Anspruch auf die Rückzahlung der getätigten Einlage in der im Streitfall vom Kläger geltend gemachten Höhe bei den Beteiligungen „LP“.

85 

Nach § 6.1 SGV ist für die Ergebnisbeteiligung des stillen Gesellschafters von dem Ergebnis der Insolvenzschuldnerin auszugehen, das sich aus ihrem Jahresabschluss ergibt. Der festgestellte Jahresabschluss ist für den stillen Gesellschafter gemäß § 5.2 SGV verbindlich. „Festgestellter Jahresabschluss“ in diesem Sinne können nur die neu aufgestellten, korrigierten Jahresabschlüsse der Geschäftsjahre ab 2013 sein, die sämtlich ein negatives Ergebnis aufweisen (Anlagen K 5 bis K 8). Der Beklagte hat nicht bestritten, dass die neu aufgestellten Jahresabschlüsse zutreffend sind. Auf die ursprünglich aufgestellten, unzutreffenden Jahresabschlüsse kann es dabei nach dem Gesellschaftsvertrag unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts nicht ankommen, unabhängig davon, ob die ursprünglich aufgestellten Jahresabschlüsse – wofür einiges spricht – ohnehin nichtig waren. Würde § 5.2 SGV so verstanden, dass damit unabhängig von seiner Richtigkeit immer der erste aufgestellte Jahresabschluss gemeint sein sollte, würde dies auch die stillen Gesellschafter unangemessen benachteiligen, wenn sich später herausstellt, dass eine Korrektur des Jahresabschlusses erforderlich ist, der zu einer höheren Gewinnbeteiligung führen würde. Aus diesem Grund ist im umgekehrten Fall ebenfalls nur vom letzten, zutreffend festgestellten Jahresabschluss auszugehen, auch wenn dieser zu einer geringeren oder keiner Gewinnbeteiligung führt.

86 

Der Beklagte hatte bzgl. der Anlagen LP auch keinen Anspruch auf Rückzahlung der Einlage in Höhe von 108.254,67 EUR bzgl. der Beteiligung mit der Anlegernummer … und in Höhe von 5.412,73 EUR bzgl. der Beteiligung mit der Anlegernummer …, weil es sich insoweit nur um Scheinguthaben gehandelt hat. Der Beklagte hat nicht bestritten, dass bei den jeweiligen Kapitalkonten angesichts der neu aufgestellten und korrigierten Jahresabschlüsse der Geschäftsjahre ab 2013 eine Verlustzuweisung in dieser Höhe nach § 6.3 SGV zu berücksichtigen war, so dass die jeweilige Einlage in dieser Höhe aufgebraucht wurde und nur in einem geringeren Umfang nach § 11.1 SGV bei Beendigung der Gesellschaft hätte zurückgezahlt werden dürfen.

87 

Selbst wenn für die Gewinnbeteiligung und Verlustzuweisung nicht von den korrigierten und zutreffenden Jahresabschlüssen auszugehen wäre, sondern von der objektiven (wahren) Ertragslage (vgl. zur diesbezüglichen Auslegung von Genussrechtsverträgen BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26/20, juris Rn. 18 ff.; BGH, Urteil vom 01.10.2020 – IX ZR 247/19, juris Rn. 21 ff.), hätte kein Anspruch des Beklagten auf die Auszahlungen bestanden, da die Insolvenzschuldnerin im relevanten Zeitraum unstreitig keinen tatsächlichen Gewinn, sondern nur Verlust erwirtschaftet hat.

88 

dd) Die Insolvenzschuldnerin handelte entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht in Unkenntnis der Rechtsgrundlosigkeit ihrer Leistungen an den Beklagten, so dass § 814 BGB einer bereicherungsrechtlichen Rückforderung entgegensteht und die Leistungen i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO unentgeltlich erfolgt sind.

89 

(1) Die streitgegenständlichen Zahlungen wären nicht nach § 134 InsO anfechtbar, wenn die Insolvenzschuldnerin sie ohne Rechtsgrund vorgenommen und ihr deswegen ein Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten zugestanden hätte, wenn also der Beklagte aufgrund des stillen Gesellschaftsvertrags keinen Anspruch auf die Auszahlungen gegen die Insolvenzschuldnerin gehabt hätte und er einem Bereicherungsanspruch der Insolvenzschuldnerin nicht § 814 BGB hätte entgegenhalten können. Denn es handelt sich bei der Bezahlung einer tatsächlich nicht bestehenden Schuld im Zwei-Personen-Verhältnis nicht um eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, wenn dieser irrtümlich annimmt, zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet zu sein. In einem solchen Fall steht ihm hinsichtlich der Leistung ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu. Insoweit fehlt es bei einer solchen Leistung an einem endgültigen, vom Empfänger nicht auszugleichenden, freigiebigen Vermögensverlust des Schuldners (BGH, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 01.10.2020 – IX ZR 247/19, juris Rn. 10).

90 

Zur Kenntnis der Nichtschuld i.S.d. § 814 Fall 1 BGB genügt es nicht, dass dem Leistenden die Tatsachen bekannt sind, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt; der Leistende muss vielmehr aus diesen Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre auch eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben (BGH, Urteil vom 01.10.2020 – IX ZR 247/19, juris Rn. 30 m.w.N.). Wenn jedoch ein Schuldner, der seinen Vertragspartnern gewinnabhängige Ausschüttungen schuldet, weiß, dass er nur von den Anlegern Geld einsammelt und keine eigene Geschäftstätigkeit entfaltet, weiß er auch, dass er keine Gewinne erwirtschaftet und Jahresabschlüsse, welche für ihn dennoch Gewinne ausweisen, fehlerhaft sind, weil es sich um Totalfälschungen handelt. Ein Schuldner, der weiß, dass er zwar in einem geringen Umfang eine gewinnbringende Geschäftstätigkeit entfaltet, aber im Übrigen von den Neuanlegern Gelder einsammelt, um aus dem eingesammelten Geld an die Altanleger über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne hinausgehende Scheingewinne auszuzahlen, weiß, dass die über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne weitere Gewinne ausweisenden Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, weil sie – wenn es sich um keine Fälschungen handelt – unzulässige Bewertungen enthalten (BGH, Urteil vom 02.12.2021 – IX ZR 111/20, juris Rn. 28; BGH, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 26/20, Rn. 35).

91 

Nach diesen Maßstäben hat ein Schuldner Kenntnis vom fehlenden Rechtsgrund, wenn er weiß, dass er keine Gewinne, sondern im Gegenteil Verluste erwirtschaftet und ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt, er also weiß, dass er an die Anleger lediglich Scheingewinne aus den Einzahlungen von ihm getäuschter Geldgeber auszahlt. Denn dann weiß er, dass die vereinbarten Voraussetzungen für die Ausschüttung der Gewinnbeteiligung nicht vorliegen und die Anleger keine Ansprüche auf die Ausschüttungen gegen ihn haben. Dagegen spricht nicht, dass die (ursprünglich) festgestellten Jahresabschlüsse fälschlich Gewinne und keine Jahresfehlbeträge ausweisen und von einem Wirtschaftsprüfer bestätigt worden sind. Denn der Schuldner hat aufgrund seiner Kenntnis, dass er nur noch Verluste erwirtschaftet und das eingeworbene Kapital ganz oder aber zu einem großen Teil benutzen muss, um die alten Anleger zu bezahlen, auch Kenntnis davon, dass die streitgegenständlichen Jahresabschlüsse fehlerhaft sind und keine Grundlage für die vereinbarten Ausschüttungen darstellen können (vgl. BGH, Urteil vom 02.12.2021 – IX ZR 111/20, juris Rn. 29; BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26/20 –, Rn. 36; BGH, Urteil vom 01.10.2020 – IX ZR 247/19, juris Rn. 31).

92 

(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hatten die für die Insolvenzschuldnerin verantwortlich handelnden Personen Kenntnis davon, dass keine Verpflichtung zu den streitgegenständlichen Auszahlungen an den Beklagten bestand.

93 

(a) Dies folgt entgegen der Auffassung des Landgerichts bereits aus der Kenntnis von D. von der Rechtsgrundlosigkeit der Zahlungen, der seit Gründung der Insolvenzschuldnerin mit Gesellschaftsvertrag vom 26.07.2011 (vgl. Verkaufsprospekt Anlage K 2, S. 73) bis zumindest 19.05.2014 Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin war, als die ersten hier streitgegenständlichen Auszahlungen erfolgt sind.

94 

(aa) D. war nicht nur Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, sondern auch Kommanditist mit einem Anteil von 10 %; der restliche Anteil von 90 % wurde im Anfechtungszeitraum von der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gehalten (vgl. Gesellschaftsvertrag der Insolvenzschuldnerin, Verkaufsprospekt Anlage K 2, S. 67). Die Darlehensverträge zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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wurden von D. und C. persönlich unterzeichnet, ebenso die Rahmenverrechnungsvereinbarungen für die jeweiligen Emissionen, mit denen die vorgesehene Mittelverwendungskontrolle durch die I. GmbH faktisch außer Kraft gesetzt wurde. Bereits aus den Vertragskonstruktionen war für D. ersichtlich, dass die Insolvenzschuldnerin aufgrund des Gleichlaufs zwischen den von der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zu zahlenden Darlehenszinsen und den Gewinnbeteiligungen, welche den Anlegern angepriesen wurden, keine hinreichenden Gewinne erzielen konnte; dies erst recht unter der Prämisse, dass jeweils 8,75 % der Fondsmittel zur freien Verfügung für „Sonstiges“ aus dem Fondskapital entnommen werden konnten.

95 

(bb) Ergänzend lässt sich die Kenntnis über die fehlende Verpflichtung zur Auszahlung auch aus der Auskunft von D. vom 22.01.2015 gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Insolvenzverwalter (Anlage K 4) herleiten, deren inhaltliche Richtigkeit zumindest von Beklagtenseite nicht in Zweifel gezogen wird, sondern dessen Aussagen er sich ausdrücklich zu eigen macht. Nach dieser Auskunft hatte D. bereits Anfang 2012 Zweifel an der Redlichkeit der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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bzw. ihrer handelnden Personen (Anlage K 4, S. 21). Spätestens im Jahr 2013 wurde ihm klar, dass die Pfandkredite u.a. zum Kauf von Firmenanteilen durch C. und andere verwendet und diese Anteile dann teilweise später bei der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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verpfändet wurden, worin ein Verstoß gegen die Deutsche Pfandleiherverordnung gelegen hat (Anlage K 4, S. 14). D. gab an, dass er sich des Rechtsverstoßes bewusst gewesen sei, er diesen aber für „hinnehmbar“ erachtet habe, weil das Geld „auf kurzem Dienstweg“ bei der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gelandet sei. Im Frühjahr 2013 sei ihm dann im Hinblick auf ein Vorkommnis bei einer Kunstauktion in London bewusst geworden, dass C. ihn nicht nur bei dieser Versteigerung angelogen habe, sondern auch („ohne jeden Restzweifel“), dass er von C. im Hinblick auf die Darlehen bei den Bilanzbesprechungen und den Pfandlisten angelogen worden sei. In den Folgetagen habe er dann einige Darlehen geprüft und eindeutig festgestellt, dass die Erklärungen von C. nicht haltbar gewesen seien (Anlage K 4, S. 14 f.).

96 

(cc) Aus diesen Umständen folgt zur Überzeugung des Senats, dass D. jedenfalls positive Kenntnis davon hatte, dass die Insolvenzschuldnerin keine hinreichenden Gewinne mit ihrem Geschäftsmodell erzielen konnte, um die Auszahlungen in der tatsächlich erfolgten Höhe zu tätigen. Vielmehr war D. aufgrund seiner Einbindung in die gesamte Konstruktion der verschiedenen aufeinanderfolgenden Vermögensanlagen mit stillen Gesellschaftern bekannt, dass die Absicht bestand, von den Neuanlegern Gelder einzusammeln, um aus dem eingesammelten Geld an die Altanleger über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne hinausgehende Scheingewinne auszuzahlen. Damit wusste D. auch, dass die Gewinne ausweisenden ursprünglichen Jahresabschlüsse fehlerhaft waren, weil sie unzulässige Bewertungen enthielten.

97 

(dd) Unabhängig davon, dass der Kläger auch die Kenntnis von der Rechtsgrundlosigkeit der Auszahlungen seitens der weiteren Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin – bis Oktober 2014 die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vertreten durch den Geschäftsführer E. und bis 01.01.2017 die X. Verwaltungsgesellschaft mbH vertreten durch F. bzw. G. – nachgewiesen hat, kommt es hierauf nicht entscheidungserheblich an. Das Ausscheiden von D. im Mai 2014 ändert an der fortbestehenden Kenntnis der Insolvenzschuldnerin von der Rechtsgrundlosigkeit der später erfolgten Auszahlungen an den Beklagten nichts. Das Wissen ist auch nach Abberufung von D. als Geschäftsführer bei der Insolvenzschuldnerin verblieben (vgl. BGH, Urteil vom 02.02.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, juris Rn. 22; BGH, Urteil vom 08.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, juris Rn. 13; MünchKommGmbHG/Stephan/Tieves, 3. Auflage, § 35 Rn. 220); dies gilt auch für die späteren Geschäftsführer.

98 

(b) Selbst wenn zu Gunsten des Beklagten sein Vortrag als richtig unterstellt würde, dass D. keine hinreichende Kenntnis von der fehlenden Verpflichtung zu den Auszahlungen an den Beklagten gehabt hätte, liegen die Voraussetzungen des § 814 BGB vor, so dass der Kläger nicht auf einen – ggf. bereits verjährten – bereicherungsrechtlichen Anspruch zu verweisen ist.

99 

Unabhängig von den konkreten Kenntnissen von D. und den nachfolgenden Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin kann für die Zurechnung der Kenntnis über die fehlende Zahlungsverpflichtung auf C. abgestellt werden, der unstreitig Kopf, Organisator, maßgeblicher Lenker und Entscheider des mit Hilfe der Insolvenzschuldnerin, der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und weiterer Unternehmen betriebenen Schneeballsystems war.

100 

(aa) Eine Zurechnung der Kenntnis des C. erfolgt dabei über die Grundsätze der Wissenszurechnung in entsprechender Anwendung des § 166 BGB.

101 

„Wissensvertreter“ ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu nehmen und ggf. weiterzuleiten (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2021 – V ZR 158/19, juris Rn. 19; BGH, Urteil vom 19.03.2013 – XI ZR 46/11, juris Rn. 25). Er braucht weder zum rechtsgeschäftlichen Vertreter noch zum „Wissensvertreter“ ausdrücklich bestellt zu sein (BGH, Urteil vom 24.01.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104, juris Rn. 11; BeckOK BGB/Schäfer, Stand: 01.08.2022, § 166 Rn. 18). Auch bei einer Wissenszurechnung nach § 814 BGB kann bei Anweisungen eines „Hintermanns“ auf dessen Kenntnis und nicht die Kenntnis des die Leistungshandlung weisungsgemäß vornehmenden Vertreters abgestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.1998 – III ZR 208/97, juris Rn. 18).

102 

(bb) Diese Voraussetzungen für eine Wissenszurechnung liegen bei C. vor, der nicht nur Kenntnis vom Schneeballsystem hatte, sondern auch in alle maßgeblichen Rechtsgeschäfte involviert war und die erforderlichen Anweisungen erteilt hat, auch soweit es die Geschäfte der Insolvenzschuldnerin betraf.

103 

Der Beklagte räumt in der Klageerwiderung selbst ein, dass die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
als Mehrheitsgesellschafterin bei der Insolvenzschuldnerin im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen die Entscheidungshoheit hatte und die Familie A. mit Hilfe der Generalvollmacht vom 08.11.2011 eine Eigentümerstruktur geschaffen hatte, bei der C. eine beherrschende Rolle einnahm. Für die Auszahlung von Ergebnisbeteiligungen ergibt sich die Abhängigkeit zudem aus § 5.4 des Gesellschaftsvertrags, nach dem die geschäftsführenden Kommanditisten zu Geschäften, die nicht zum üblichen Betrieb der Gesellschaft gehörten, der Zustimmung der Gesellschafterversammlungen bedurften (Anlage K 2a, S. 69). Die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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nahm nach D. die Geschäftsführung bei der Schuldnerin wahr und stellte u.a. die Jahresabschlüsse der Insolvenzschuldnerin für die Jahre 2013 und 2014 auf und fest; den Jahresabschluss für das Jahr 2013 hat C. sogar persönlich auf- und festgestellt. Der Beklagte hat den Vortrag des Klägers nicht bestritten, wonach C. innerhalb der Z.-Gruppe – einschließlich der Insolvenzschuldnerin – als zentrale Figur alle wesentlichen Entscheidungen traf, nach außen hin als der Chef der Z.-Gruppe auftrat und durch die Generalvollmacht völlig frei schalten und walten konnte. Es ist auch unstreitig, dass C. wissentlich die zweckwidrigen Darlehensverträge unterschrieben hat und das (vermeintliche) Pfandgeschäft lenkte.

104 

Im Streit steht lediglich die rechtliche Schlussfolgerung aus dem hinsichtlich dem Schneeballsystem und seiner Organisation unstreitigen Sachverhalt, ob C. auch als faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der Insolvenzschuldnerin anzusehen ist. Dies kann jedoch dahinstehen. Anders als das Landgericht meint, ist es nicht entscheidungserheblich, ob C. die streitgegenständlichen Auszahlungen selbst veranlasst und autorisiert oder er über eine Kontovollmacht der Insolvenzschuldnerin verfügt hat. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang sich die Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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in das Tagesgeschäft der Insolvenzschuldnerin eingemischt hat. Es genügt für die Wissenszurechnung vielmehr, dass C. als Organisator und Kopf des Schneeballsystems allgemein die notwendigen Anweisungen erteilt und an den Geschäften der Insolvenzschuldnerin und der Z. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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als „Hintermann“ und maßgeblicher Entscheider beteiligt war.

105 

(cc) Der Beklagte beruft sich zu Unrecht im Wesentlichen darauf, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Kenntnis des Nichtbestehens eines Rechtsgrundes auf das Wissen des die Leistung bewirkenden Vertreters (BGH, Urteil vom 01.10.2020 – IX ZR 247/19, juris Rn. 30 m.w.N.) und damit nur auf den Geschäftsführer D. bzw. seine Nachfolger ankommen soll. Er argumentiert mit den Angaben von D. in seiner Erklärung vom 22.01.2015 gegenüber dem Insolvenzgericht und dem Insolvenzverwalter, es sei zunächst geplant gewesen, dass er als „Strohmann“ zum Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin bestellt werde; dieser Plan vor Dienstantritt aber geändert worden sei und man – verbunden mit einer deutlichen Erhöhung des Gehalts – einen „echten“ Geschäftsführer haben einsetzen wollen (Anlage K 4, S. 19).

106 

Mit dieser Argumentation verkennt sowohl der Beklagte als auch das OLG ZweibrückenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Zweibrücken
in seinem Hinweisbeschluss vom 06.12.2022 (Az.: 7 U 176/21, Anlage BB 8), dass die Zurechnung der Kenntnis des Vertreters eine alternative oder kumulative Kenntnis des Hintermannes – wie hier des Organisators des Schneeballsystems C. – nicht ausschließt. Entweder erfolgt eine Zurechnung – wovon auszugehen ist – bereits aufgrund der Kenntnis des Geschäftsführers D. von der Rechtsgrundlosigkeit der Zahlungen oder jedenfalls aufgrund der Kenntnis des Hintermannes C. Auch wenn unterstellt werden kann, dass D. nicht nur als „Strohmann“ agiert hat, sondern die Geschäfte der Insolvenzschuldnerin tatsächlich geführt hat, wäre er nach der Argumentation des Beklagten hinsichtlich des Schneeballsystems und der Rechtsgrundlosigkeit der Zahlungen durch C. im Unklaren gelassen bzw. – wie D. selbst angegeben hat – angelogen worden, so dass bzgl. dieser entscheidenden Umstände jedenfalls dann auf den die notwendigen Anweisungen erteilenden C. als „Hintermann“ abzustellen ist. Es wäre treuwidrig und würde auch dem Anlegerschutz widersprechen, wenn der Betreiber eines Schneeballsystems seine Kenntnis dadurch verschleiern könnte, dass er als Geschäftsführer zwar keinen reinen „Strohmann“ einsetzt, er diesen aber über die wesentlichen Umstände des Geschäfts im Unklaren lässt und dieser das Schneeballsystem gutgläubig betreiben soll. Der gewählte Aufbau der Gesellschaft und die Implementierung von hinsichtlich des Schneeballsystems gutgläubigen Personen als Geschäftsführer würde dann lediglich dem nicht schützenswerten Zweck dienen, spätere Haftungstatbestände mangels positiver Kenntnis der verantwortlichen Personen zu vermeiden.

107 

c) Die weiteren Voraussetzungen des § 134 Abs. 1 InsO sind ebenfalls gegeben. Insbesondere besteht kein Zweifel an einer jedenfalls mittelbaren objektiven Gläubigerbenachteiligung (vgl. BGH, Urteil vom 02.04.2009 – IX ZR 236/07, juris Rn. 26; BeckOK-InsR/Raupach, Stand: 15.04.2022, § 134 InsO Rn. 1) durch die streitgegenständlichen Auszahlungen. Auf subjektive Voraussetzungen bei Insolvenzschuldner oder Anfechtungsgegner kommt es bei der Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO nicht an (Uhlenbruck/Borries/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 134 Rn. 2).

108 

d) Die Geltendmachung des Rückgewähranspruchs aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Nur in Extremfällen hindert § 242 BGB die Durchsetzung dieses Anspruchs. Im Streitfall ist ein solcher Ausnahmefall nicht gegeben. Der Schutz des Beklagten als einer der getäuschten Anleger gebietet es nicht, den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger zurücktreten zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2013 – IX ZR 198/10, juris Rn. 31).

109 

2. Der Anspruch des Klägers besteht auch in der geltend gemachten Höhe.

110 

a) Entgegen der Auffassung des Beklagten unterliegen die vom Auszahlungsbetrag einbehaltene Kapitalertragsteuer (25 %) und der Solidaritätszuschlag (5,5 %) ebenfalls der Anfechtung. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Insolvenzschuldnerin die einbehaltenen Beträge an das Finanzamt abgeführt hat (wofür vieles spricht), kommt es nicht entscheidungserheblich an. Bereits mit dem tatsächlichen Einbehalt durch die Insolvenzschuldnerin liegt eine Leistung i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO vor, die zu einer Verminderung des Schuldnervermögens und dadurch zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt hat (vgl. zum weiten Verständnis des Leistungsbegriffs BGH, Urteil vom 19.04.2007 – IX ZR 79/05, juris Rn. 14; Uhlenbruck/Borries/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 134 Rn. 14).

111 

Der Beklagte wurde bereits von seiner Steuerverbindlichkeit befreit. Die Abgeltungswirkung trat mit dem Steuerabzug ein (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG), ohne dass es auf die Anmeldung und Abführung der Steuer durch die Insolvenzschuldnerin ankommt (vgl. Brandis/Heuermann/Jachmann-Michel, EStG, 162. EL Mai 2022, § 43 Rn. 193). Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Abgeltungswirkung gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 10 und 11, Abs. 5 EStG sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. In gleicher Weise wurde das Vermögen der Insolvenzschuldnerin vermindert; entweder unmittelbar durch die Abführung der Steuern an das Finanzamt oder jedenfalls durch Belastung ihres Vermögens mit einer entsprechenden Verbindlichkeit aufgrund ihrer Haftung für die einbehaltene Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag in dieser Höhe nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG.

112 

b) Die Voraussetzungen für eine Entreicherung des Beklagten im Hinblick auf die einbehaltene Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag nach § 143 Abs. 2 Satz 1 lnsO, § 818 Abs. 3 BGB sind nicht dargelegt.

113 

Zwar kann eine endgültige steuerliche Mehrbelastung aufgrund des Erwerbs des Anfechtungsgegenstands im Rahmen des § 818 Abs. 3 InsO berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 22.04.2010 – IX ZR 163/09, juris Rn. 14). Der Beklagte hat aber bereits nicht dargelegt, wann und in welcher Höhe er selbst die fraglichen Steuern abgeführt hat und welche tatsächlichen Gründe einer Rückerstattung bzw. Berücksichtigung in zukünftigen Steueranmeldungen nach § 44b Abs. 5 EStG entgegenstehen. Auf den vom Beklagten vorrangig geltend gemachten Einwand der formellen und materiellen Bestandskraft seiner Steuerbescheide kommt es für die Frage der Entreicherung nicht an, zumal auch der diesbezügliche Vortrag nur pauschal und unsubstantiiert erfolgt ist. Zudem hat der Beklagte auch nicht vorgetragen, ob und ggf. in welchem Umfang ihm Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag aufgrund des Steuerfreibetrags erstattet wurden.

114 

Schließlich fehlt hinreichend konkreter Vortrag des Beklagten zu einer Entreicherung aufgrund der behaupteten Investition der erfolgten Auszahlungen bei den Beteiligungen LP in weitere Beteiligungen LC 2. Der Beklagte hat es unterlassen, hinreichend zu seinen Vermögensverhältnissen vorzutragen, um eine Ursächlichkeit zwischen den Auszahlungen und den weiteren Investitionen bejahen zu können.

115 

3. Der vom Beklagten eingewandte Vorrang der gesellschaftsinternen Verrechnung im Hinblick auf die von ihm geleistete Einlage steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Es fehlt bereits an einem Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung seiner Einlage, da die Voraussetzungen hierfür nach dem Gesellschaftsvertrag nicht vorliegen. Ohnehin ist der aus der Anfechtung der Auszahlung von Scheingewinnen resultierende Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters nicht mit den als Einlage des Anlegers erbrachten Zahlungen zu saldieren. Vielmehr muss der Anleger seinen Anspruch auf Rückgewähr der Einlage, der Teil seines Schadensersatzanspruchs ist, zur Tabelle anmelden (BGH, Urteil vom 22.04.2010 – IX ZR 163/09, juris Rn. 9 m.w.N.).

116 

4. Über die vom Beklagten im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 23.03.2021 erklärte hilfsweise Aufrechnung mit zur Insolvenztabelle angemeldeten Gegenforderungen in Höhe von 1.000.000 EUR ist nicht zu entscheiden, da nur gegen etwaige bereicherungsrechtliche Ansprüche des Klägers aufgerechnet wird, auf die es im Streitfall nicht ankommt. Hinsichtlich des insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruchs ist eine Aufrechnung mit vor-insolvenzlichen Schadensersatzansprüchen ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 18.07.2013 – IX ZR 198/10, juris Rn. 30 m.w.N.).

117 

5. Dem Kläger stehen zudem die geltend gemachten Zinsen ab Rechtshängigkeit aus § 143 Abs. 1 Satz 3 InsO, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB zu.

III.

118 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

119 

Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu, weil die Rechtssache zwar mangels der Berührung von Allgemeininteressen von tatsächlichem oder wirtschaftlichem Gewicht in besonderen Maße keine grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. BGH, Beschluss vom 03.02.2015 – II ZR 52/14, juris Rn. 9), aber die Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung angesichts der zu erwartenden abweichenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (Hinweisbeschluss vom 06.12.2022 – 7 U 176/21, Anlage BB 8) geboten ist.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbHRecht I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Scheingewinn, Schneeballsystem, unentgeltliche Leistung, unentgeltliche Übertragung

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OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.04.2022 – 6a U 1/21

Mittwoch, 27. April 2022

§ 119 Abs 1 HGB, § 146 Abs 1 S 1 HGB, § 161 Abs 2 HGB

1. Eine Klausel des Gesellschaftsvertrags einer Kommanditgesellschaft, wonach „alle Beschlüsse mit Mehrheit der Stimmen aller Gesellschafter“ gefasst werden, kann dahin auszulegen sein und somit die formelle Legitimation dafür geben, dass sämtliche einer Beschlussfassung der Gesellschafter zugänglichen Gegenstände dem Mehrheitsprinzip unterworfen sind.

2. Die Auflösung der Kommanditgesellschaft greift nicht in (relativ) unentziehbare Rechte der Kommanditisten ein; die materielle Legitimation eines darauf gerichteten Mehrheitbeschlusses hängt daher nicht von einer Prüfung rechtfertigender Gründe, sondern lediglich davon ab, ob besondere Umstände dessen materielle Berechtigung (namentlich aufgrund Treuwidrigkeit) widerlegen.

3. Dasselbe gilt grundsätzlich für einen Beschluss der Mehrheit der Gesellschafter, wonach die Liquidation der unbaren Vermögenswerte der Kommanditgesellschaft im Wege der Versteigerung unter den Gesellschaftern erfolgen soll.

4. Die Bestellung eines Gesellschafters der Kommanditgesellschaft zum ausschließlichen Liquidator greift zumindest dann in die relativ unentziehbaren Rechte der Kommanditisten ein, wenn nicht bereits der Gesellschaftsvertrag diesem Gesellschafter die Geschäftsführung und Vertretung in der Liquidation zugewiesen hat (wie es im Fall einer Bestellung der Komplementärin einer „personenidentischen“ GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
zur Liquidatorin sein mag); die materielle Legitimation eines solchen Eingriffs durch Mehrheitsbeschluss setzt daher – vorbehaltlich einer Zustimmung der Kommanditisten – voraus, dass die Bestellung des Liquidators zumindest aus Sicht der Gesellschaft geboten, also nicht nur in deren Interesse, sondern für diese unerlässlich bzw. notwendig ist.

Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Mannheim – 1. Kammer für Handelssachen – Commercial Court – vom 18. März 2021, Az. 21 O 1/20, im Kostenpunkt aufgehoben und in der Sache unter Aufhebung im Ausspruch zu 2.b) (Verpflichtung der Kläger zur Mitwirkung an der Anmeldung betreffend die Liquidatorin) wie folgt geändert:

1. Es wird festgestellt, dass folgender Beschluss der Gesellschafterversammlung der [X] GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
vom 16. Oktober 2019 nichtig ist:

„(bb) Zum alleinigen und einzelvertretungsbefugten Liquidator wird die persönlich haftende Gesellschafterin bestellt. Diese erhält für ihre Tätigkeit eine Vergütung entsprechend der bisherigen Vergütung für die Geschäftsführertätigkeiten.“

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kläger werden jeweils verurteilt, an der Anmeldung der Eintragung der Auflösung der [X] GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
KG
im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter der Registernummer HRA […] mitzuwirken (Sachausspruch zu 2.a) des landgerichtlichen Urteils).

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger zu je zwei Neunteln und die Beklagten zu je einem Sechstel.

III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweiligen Vollstreckungsschuldner können die Vollstreckung hinsichtlich der Verurteilung in der Sache gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 230.000 € und im Übrigen in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Kostenbetrags abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung der Verurteilung in der Sache Sicherheit in Höhe von 1.000 € bzw. hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Kläger wenden sich mit der Klage gegen drei mit den Stimmen des Beklagten zu 2 im Jahr 2019 gefasste Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zur Auflösung und Liquidation der [X] GmbH und Co. KG (nachfolgend Gesellschaft), deren alleinige Gesellschafter die Parteien sind. Der Beklagte zu 2 verlangt widerklagend je nach Erfolg bzw. Misserfolg der Klage in bestimmten Punkten, die Gesellschaft für aufgelöst zu erklären und/oder die Kläger zur Anmeldung der Auflösung und gegebenenfalls zudem der Beklagten zu 1 als Liquidatorin zu verurteilen. Randnummer2

Die Kläger sind Kinder aus erster Ehe des Beklagten zu 2. Weiteres Kind des Beklagten zu 2 aus zweiter Ehe (mit […], nachfolgend [A]) ist die am 13. Oktober 2003 geborene […] (nachfolgend [B]). Randnummer3

Die Gesellschaft wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 30. September 1994 (Anlage B 1.1) als solche bürgerlichen Rechts unter Beteiligung der Kläger jeweils mit einer Einlage von 1.250 € und des Beklagten zu 2 mit einer Einlage von 6.250 € gegründet. Nach Umwandlung der Gesellschaft in eine Kommanditgesellschaft sind die genannten Parteien jeweils Kommanditisten mit unveränderten Einlagen. Die Beklagte zu 1 ist die Komplementärin der Gesellschaft. Gesellschafter der Beklagten zu 1, die über ein Stammkapital von 30.000 € verfügt, sind die Kläger mit einem Geschäftsanteil in Höhe von jeweils 3.750 € und [B] mit einem – ihr am 2. Februar 2016 durch den Beklagten zu 2 übertragenen – Geschäftsanteil in Höhe von 18.750 €. Einer der Geschäftsführer der Beklagten zu 1 war und ist der Beklagte zu 2. Randnummer4

Der Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft in der von allen Gesellschaftern unterzeichneten Fassung vom 24. September 1997 (Anlage K 8; nachfolgend: GV), auf dessen gesamten Inhalt Bezug genommen wird, enthält – wie bereits der ursprüngliche Gesellschaftsvertrag der Vorgängergesellschaft – unter § 7 (Gesellschafterbeschlüsse), dort unter 7.1., die nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Klausel: Randnummer5

Soweit dieser Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes bestimmt, werden alle Beschlüsse mit Mehrheit der Stimmen aller Gesellschafter gefaßt. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen. Je DM100,– des Festkapitals gewähren eine Stimme. Randnummer6

Wenn Herr […] [Beklagter zu 2] nicht mehr Gesellschafter ist, kann jede Gesellschaftergruppe unabhängig von ihrer Beteiligung am Festkapital das Stimmrecht für so viele Stimmen ausüben als dies der Beteiligung aller Gesellschaftergruppen am Festkapital geteilt durch die Zahl der Gesellschaftergruppen entspricht. Das heißt, alle Gesellschaftergruppen haben gleiches Stimmrecht. Randnummer7

Die Gesellschaft vermietete drei – zu 50 % durch ihre Vorgängerin ([W] GbR) von der [Y] GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
erworbene und zu 50 % durch den Beklagten zu 2 eingelegte (Anlage B 1.7) – Gewerbe- bzw. Industrieimmobilien an Gesellschaften des durch den Beklagten zu 2 aufgebauten Unternehmens der [Z] Group. An Gesellschaften des letztgenannten Unternehmens waren zwischenzeitlich neben dem Beklagten zu 2 die Kläger als Gesellschafter, der Kläger zu 2 zeitweise auch geschäftsführend, beteiligt. Sie wurden im Jahr 2014 an die [T]-Gruppe veräußert. Randnummer8

In einer Gesellschafterversammlung vom 19. Januar 2015 wurde mit der Stimme des Beklagten zu 2 und ohne Gegenstimme beschlossen, dass die Kommanditisten berechtigt sind, ihrem jeweiligen Kontokorrentkonto monatlich bestimmte Beträge oder – sofern es die Liquidität der Gesellschaft zulässt – das gesamte Guthaben auf ihrem jeweiligen Kontokorrentkonto zu entnehmen, und dass die Gesellschaft hierfür zu sämtlichen erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Veräußerung von Gesamthandsvermögen berechtigt ist. Vor der Abstimmung erklärten die Kläger, sie seien nicht damit einverstanden, dass seitens der Gesellschaft Grundstücke veräußert würden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage B 2.6 (dort S. 8 ff, unter 5.) verwiesen. Mit Verträgen vom 26. März und 13. April 2015 veräußerte der Beklagte zu 2 als Geschäftsführer der Komplementärin im Namen der Gesellschaft zwei deren Immobilien in […] und […] an die […] GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
(nachfolgend [S]), eine damals allein der Ehefrau des Beklagten zu 2 gehörende Gesellschaft. Im Vermögen der Gesellschaft blieb eine weitere Immobilie ([…]). In einer Gesellschafterversammlung vom 25. September 2015 stimmte der Beklagte zu 2 für die bereits erfolgten Grundstücksübertragungen. Der Beklagte zu 2 erwarb nach den Grundstücksübertragungen die Kommanditanteile an [S], welche die Immobilien weiter übertrug. Das Landgericht Mannheim stellte mit Urteil vom 1. September 2016 (23 O 86/15; Rubrum wie hier) die Nichtigkeit des Zustimmungsbeschlusses vom 25. September 2015 fest, wobei es annahm, der Beklagte zu 2 habe im Zusammenhang mit der Grundstücksveräußerung gegen seine Pflichten als Geschäftsführer der Komplementärin verstoßen. Die gegen diesen Ausspruch gerichtete Anschlussberufung wurde mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. Oktober 2017 (7 U 171/16, Anlage K 5) zurückgewiesen. Auf eine Klage der Gesellschaft (vertreten durch die hiesige Beklagte zu 1, diese vertreten durch den seinerzeit weiteren Geschäftsführer [J]) verurteilte das Landgericht Heidelberg mit Urteil vom 22. Mai 2019 (12 O 22/18 KfH, Anlage K 7) den Beklagten zu 2 zur Rückübertragung der Grundstücke an die Gesellschaft Zug um Zug gegen Zahlung von 10,25 Mio € an die dortige Klägerin sowie zu Schadensersatz in Höhe von 2,9 Mio. € für entgangene Mieten und stellte die Ersatzpflicht für weitere Schäden im Zusammenhang mit den Grundstücksübertragungen fest. Die dagegen gerichtete Berufung des hiesigen Beklagten zu 2 ist beim Oberlandesgericht Karlsruhe (11 U 7 /19) anhängig (wie auch eine gegen Teilabweisung der Klage gerichtete Berufung der Gesellschaft). Randnummer9

Mit Einladungsschreiben vom 10. Oktober 2019 (Anlage K 10) berief der Geschäftsführer der Beklagten zu 1 eine ordentliche Gesellschafterversammlung der Gesellschaft zum 16. Oktober 2019 ein. Dort wurden sodann jeweils mit den Stimmen des Beklagten zu 2, der durch Rechtsanwalt […] vertreten wurde, gegen die Stimmen der Kläger sukzessive folgende, mit der Klage angegriffene Beschlüsse gefasst: Randnummer10

(aa) Die Gesellschaft wird aufgelöst und liquidiert. Randnummer11

(bb) Zum alleinigen und einzelvertretungsbefugten Liquidator wird die persönlich haftende Gesellschafterin bestellt. Diese erhält für ihre Tätigkeit eine Vergütung entsprechend der bisherigen Vergütung für die Geschäftsführertätigkeiten. Randnummer12

(cc) Die Liquidation der unbaren Vermögenswerte der Gesellschaft (insbesondere der verbleibenden Immobilien sowie der jeweiligen Forderungen aus den Gerichtsverfahren) soll im Wege der Versteigerung unter den Gesellschaftern erfolgen. Hierzu soll der Liquidator einen Termin bei einem Notar vereinbaren, an dem alle Gesellschafter zu den einzelnen Vermögenswerten der Gesellschaft jeweils ein Gebot abgeben können. Die jeweiligen Vermögenswerte sollen dann an den jeweils Meistbietenden veräußert werden. Randnummer13

Das Protokoll der Gesellschafterversammlung (Anlage K 11) wurde dem Klägervertreter am 25. Oktober 2019 per E-Mail übersandt. Am 20. Dezember 2019 reichten die Kläger die vorliegende Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der oben aufgeführten Beschlüsse ein und entrichteten den Gerichtskostenvorschuss. Die Klage wurde beiden Beklagten am 16. Januar 2020 zugestellt. Randnummer14

Die Geschäftsführer der Beklagten zu 1 waren bis zum 16. Oktober 2019 der Beklagte zu 2 und [J]. In einer an diesem Tag abgehaltenen Gesellschafterversammlung der Beklagten zu 1 wurden – nach der Niederlegung des Geschäftsführeramts durch [J] – als deren zusätzliche Geschäftsführer (neben weiterhin dem Beklagten zu 2) [A] und [E] bestellt. Dies geschah mit den Stimmen von [B] und gegen die Stimmen der Kläger (Anlagen K 13, K 14). Im Nachgang verständigten sich die Parteien zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits darauf, [J] zum besonderen Vertreter der Gesellschaft bezüglich der Geltendmachung und Durchsetzung der Ansprüche gegen den Beklagten zu 2 zu bestellen (Anlage K 15). Bei einer Gesellschafterversammlung der Beklagten zu 1 vom August 2021 wurde der (ursprünglich wie Anlage B 1.6 gestaltete) Geschäftsverteilungsplan für deren Geschäftsführung dahin angepasst, dass für die Veräußerung von Vermögenswerten, einzeln oder zwecks Liquidation der Kommanditgesellschaft (hier als Gesellschaft bezeichnet) [E] allein zuständig ist, dass die Geschäftsführer für die Komplementärin (Beklagte zu 1) in einem Liquidationsverfahren kein Angebot zum Erwerb der Vermögenswerte der Kommanditgesellschaft abgeben dürfen und dass diese Geschäftsverteilung ihre Gültigkeit nur durch einstimmigen Beschluss der Gesellschafter der Komplementärin oder unter bestimmten Bedingungen verlieren kann (wie im Einzelnen aus Anlage B 1.9 ersichtlich). Randnummer15

Die Kläger haben geltend gemacht, die Beschlüsse unter (aa) bis (cc) seien schon formell rechtswidrig. Die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
, die Abweichung von der gesetzlich vorgesehenen Liquidation durch sämtliche Gesellschafter als Liquidatoren sowie die Art und Weise der Liquidation im Wege der Versteigerung dürften nur einstimmig beschlossen werden, weil sie nicht von der vertraglichen Mehrheitsklausel gedeckt seien. Die Gesellschafter hätten bei dessen Abschluss das Immobilienvermögen dauerhaft in der Gesellschaft und damit in der Familie halten wollen. Sie hätten auch danach nicht den Willen nach einer umfassenden Geltung der allgemeinen Mehrheitsklausel zum Ausdruck gebracht. Die Beschlüsse hielten auch einer materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung nicht stand. Der Auflösungsbeschluss höhle die Rechte der Kläger als Minderheitengesellschafter aus, indem diese ihre Gesellschafterstellung verlören; zudem sei die Beschlussfassung treuwidrig, weil der Beklagte zu 2 damit ausschließlich die eigenen interessen verfolge, sich mit der Zerschlagung der – nach wie vor sehr rentablen und erfolgreichen – Gesellschaft deren rechtshängigen Schadensersatzforderung zu entziehen und auch noch die letzte Immobilie gegen den Willen der Minderheitengesellschafter aus dem Gesellschaftsvermögen sich selbst bzw. seiner zweiten Ehefrau einzuverleiben. Die Bestellung der Beklagten zu 1 zur alleinigen Liquidatorin sei treuwidrig, weil diese vom Beklagten zu 2, dessen Ehefrau [A] und einem in deren Lager stehenden Dritten gesteuert werde und daher zu erwarten sei, dass die Beklagte zu 1 als Liquidatorin maßgeblich allein im Interesse des (einem Schadensersatzanspruch der Gesellschaft ausgesetzten) Beklagten zu 2 handeln werde. Schließlich sei die Festlegung des Liquidationsverfahrens in treuwidriger Weise und unter Benachteiligung der Kläger als Minderheitengesellschafter erfolgt, weil die wahl des Verfahrens gegen die Pflicht der Liquidatoren verstoße, das Gesellschaftsvermögen bestmöglich zu verwerten, das so im Extremfall zu einem Betrag von nur 1 € erworben werden könnte; die Möglichkeit der Abgabe nur eines Gebots pro Gesellschafter und die Beteiligung auch der Beklagten zu 1 an der Versteigerung seien eklatante Rechtsverletzungen. Randnummer16

Die Kläger haben in erster Instanz sinngemäß beantragt, Randnummer17

festzustellen, dass die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der [X] GmbH und Co. KG [Gesellschaft] vom 16. Oktober 2019 mit dem oben wiedergegebenen Inhalt nichtig sind; Randnummer18

hilfsweise – für den Fall, dass das Gericht eine vom Hauptantrag abweichende Formulierung des Klageantrags für erforderlich halten sollte – die genannten Beschlüsse mit dem oben wiedergegebenen Inhalt für nichtig zu erklären. Randnummer19

Der Beklagten haben jeweils beantragt, Randnummer20

die Klage abzuweisen. Randnummer21

Der Beklagten haben vorgebracht, die angefochtenen Beschlüsse seien nach § 7.1 GV als Mehrheitsbeschlüsse zulässig gewesen. Bei der Auslegung sei zu beachten, dass der Beklagte zu 2 als „Schenker“ des nicht unbeträchtlichen Immobilienvermögens das Heft bis zu seinem Tod habe in der Hand halten wollen. Eine treuwidrige Ausnutzung der Mehrheitsmacht liege nicht vor. Dass bei der Versteigerung der letzten im Gesellschaftsvermögen verbliebenen Immobilie möglicherweise ein Preis erzielt werde, der unterhalb des Marktwertes liege, sei bei den überaus solventen Bietern nicht zu erwarten; so dass die befürchtete Verschleuderung des Vermögens nicht eintreten werde. Der Beklagte zu 2 werde sich aus der Liquidation heraushalten. Randnummer22

Der Beklagte zu 2 trägt zur Begründung der Widerklage vor, falls der Auflösungsbeschluss unwirksam sei, sei die Gesellschaft durch Gerichtsurteil gemäß § 133 Abs. 1 HGB aufzulösen. Sei die beschlossene Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
dagegen wirksam, hätten die Kläger an der Anmeldung zu deren Eintragung im Handelsregister mitzuwirken. Letzteres gelte entsprechend hinsichtlich der Bestellung der Beklagten zu 1 zur alleinigen Liquidatorin, sofern diese wirksam sei. Randnummer23

Der Beklagte zu 2 hat im Weg der Widerklage sinngemäß – wegen des genauen Wortlauts wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen – beantragt, Randnummer24

1. für den Fall, dass die Kammer hinsichtlich des Beschlusses unter (aa) den Hauptantrag bzw. den korrespondierenden Hilfsantrag der Klage als zulässig und begründet ansehen sollte, Randnummer25

die [X] GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
[Gesellschaft] für aufgelöst zu erklären; Randnummer26

2. für den Fall, dass die Kammer hinsichtlich des Beschlusses unter (aa) den Hauptantrag bzw. den korrespondierenden Hilfsantrag der Klage als unzulässig und/oder unbegründet ansehen sollte oder für den Fall, dass die Kammer dem vorstehenden (ersten) Hilfswiderklage folgen sollte, Randnummer27

die Kläger jeweils dazu zu verpflichten, an der Anmeldung der Eintragung der Auflösung der [X] GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
[Gesellschaft] im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter der Registernummer HRA […] mitzuwirken; Randnummer28

3. für den weiteren Fall, dass die Kammer auch hinsichtlich des Beschlusses unter (bb) den Hauptantrag bzw. den korrespondierenden Hilfsantrag der Klage als unzulässig und/oder unbegründet ansehen sollte, Randnummer29

die Kläger jeweils dazu zu verpflichten, an der Anmeldung der Eintragung der […] GmbH [Beklagten zu 1] als alleinige und einzelvertretungsbefugte Liquidatorin der [X] GmbH & Co KG [Gesellschaft] im Handelsregister des Amtsgerichts […] unter der Registernummer HRA […] mitzuwirken. Randnummer30

Zur Erläuterung des Worts „oder“ im Widerklageantrag zu 2. hat der Beklagte zu 2 ausgeführt, die Verpflichtung werde für beide Alternativen begehrt, das heiße für diejenige Alternative der beiden (sich gegenseitig ausschließenden) Bedingungsfälle, welche (tatsächlich) eintreten werde. Randnummer31

Die Kläger haben jeweils beantragt, Randnummer32

die Widerklage abzuweisen. Randnummer33

Die Kläger haben den Widerklagen entgegengehalten, diese seien schon mangels Bestimmtheit sämtlich unzulässig. Die unechten Hilfswiderklagen verstießen zudem wegen der damit beabsichtigten Abwälzung des Prozesskostenrisikos gegen den prozessrechtlichen Grundsatz der Waffengleichheit. Unter der zweiten der alternativen Bedingungen des Widerklageantrags zu 2. fehle es auch am Rechtsschutzbedürfnis, weil im Fall einer rechtskräftigen Feststellung, dass die Gesellschaft aufgelöst sei, eine Mitwirkung der Kläger an der Anmeldung zum Handelsregister wegen § 16 HGB nicht erforderlich sei. Der Widerklageantrag zu 1. sei unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 133 HGB nicht vorlägen. Randnummer34

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil (LG Mannheim, Urteil vom 18. März 2021 – 21 O 1/20, juris), auf dessen tatsächliche Feststellungen (auch hinsichtlich des genauen Wortlauts der Sachanträge der Parteien) und Entscheidungsgründe ergänzend verwiesen wird, die Klage als unbegründet abgewiesen und die Kläger gemäß den Widerklageanträgen zu 2. und zu 3. verurteilt (unter 2.a) und b)). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Randnummer35

Die Beklagten seien mangels abweichender Bestimmung im Gesellschaftsvertrag die richtigen Anspruchsgegner der zulässigen Klage. Die Kläger könnten aber weder die Feststellung verlangen, dass die angefochtenen Beschlüsse nichtig seien, noch, dass diese für nichtig erklärt würden. Diese Beschlüsse seien formell ordnungsgemäß. Die Befugnis zu einer Mehrheitsentscheidung könne sich aus jeder Vereinbarung der Gesellschafter ergeben, die einer dahingehenden Auslegung zugänglich sei. Dies gelte für alle Beschlussgegenstände, da das gesetzliche Einstimmigkeitsprinzip auch für Vertragsänderungen und ähnliche die Grundlagen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Grundlagen
Grundlagen der Gesellschaft
berührende·oder in Rechtspositionen der Gesellschafter eingreifende Maßnahmen grundsätzlich dispositiv sei. Danach seien sämtliche gefassten Beschlüsse von der Mehrheitsklausel aus § 7.1 des Gesellschaftsvertrags gedeckt. Dies entspreche dem eindeutigen Wortlaut der Klausel („alle“). Aus einer historischen und einer systematischen Auslegung unter Berücksichtigung dessen, dass die jüngere Rechtsprechung zur Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes für grundlegende Mehrheitsentscheidungen im Personengesellschaftsrecht erst nach Abschluss des Gesellschaftsvertrags ergangen sei, folge nichts Anderes. Dass die im Jahr 1997 noch geschäftlich weitgehend unerfahrenen Kläger im Vertrauen auf die Weitergeltung des Bestimmtheitsgrundsatzes gehandelt hätten, widerspreche jedweder Lebenserfahrung. Sei schon die Auflösung selbst von der allgemeinen Mehrheitsklausel erfasst, gelte das erst Recht für die weiteren Beschlüsse, weil die konkrete Ausgestaltung der Liquidation ein Minus zur Auflösung sei. Die angefochtenen Beschlüsse seien auch materiell ordnungsgemäß. Bei der Auflösung einer Gesellschaft, selbst wenn zugleich eine bestimmte Art der Auseinandersetzung beschlossen werde, handele es sich nicht um einen Eingriff in ein grundsätzlich unentziehbares Sonderrecht im Sinne des § 35 BGB oder ein relativ unentziehbares Recht, dessen Entziehung einer besonderen Rechtfertigung bedürfte. Daher komme es nicht darauf an, ob der Eingriff im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
im Interesse der Gesellschaft
geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei; vielmehr trage der formell wirksame gefasste Gesellschafterbeschluss seine materielle Rechtfertigung in sich. Die Minderheit habe den ihr daher obliegenden Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung hinsichtlich keines der angefochtenen Beschlüsse geführt. Selbst eine Gesamtabwägung aller von den Klägern für die treuwidrige Ausnutzung der Mehrheitsmacht zulasten der – auch bei Annahme einer zugrundeliegenden Schenkung vollwertigen – Minderheitsgesellschafter angeführten Umstände führe nicht zur Unwirksamkeit der getroffenen Beschlüsse. Randnummer36

Die Hilfswiderklagen, deren Bedingungen eingetreten seien, seien eine rechtlich unbedenkliche Möglichkeit, die Kosten der gerichtlichen Überprüfung eines Anspruchs gering zu halten. Eine Hilfswiderklage setze nicht nach § 33 ZPO voraus, dass deren Anspruch nur begründet sein könne, sofern auch das Klagebegehren begründet sei. Es genüge, dass die mit der Eventualwiderklage verfolgten Ansprüche mit dem Klageanspruch oder den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln rechtlich zusammenhingen. Die Bedingungen und das Ziel der Hilfswiderklageanträge zu 2 und zu 3 genügten dem Bestimmtheitserfordernis nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Beklagte zu 2 habe als Gesellschafter gemäß §§ 16, 108, 131 Abs. 1 Nr. 2, § 143 Abs. 1 Satz 1, § 148 Abs. 1 Satz 1 und § 161 Abs. 2 HGB einen Anspruch darauf, dass die Kläger als Mitgesellschafter an der Anmeldung der Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und der Bestellung der Beklagten zu 1 als Liquidatorin mitwirken. Randnummer37

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgen und weiterhin die Abweisung der Widerklage erstreben. Randnummer38

Die Kläger machen geltend, sämtlichen angefochtenen Beschlüssen fehle es selbst unter Befolgung der Rechtsmeinung des Landgerichts bei Korrektur mehrerer unzutreffender Tatsachenfeststellungen an der formellen, zumindest aber an der materiellen Legitimation. Dasselbe ergebe sich bei richtiger Rechtsanwendung schon ausgehend von den Tatsachenfeststellungen des Landgerichts. Das Landgericht verkenne, dass sowohl für eine Gesellschaftsvertragsänderung im Allgemeinen als auch für einen Liquidationsbeschluss im Besonderen eine ausdrückliche Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag erforderlich sei; darüber hinaus sei der Auflösungsbeschluss materiell unwirksam. Für die Bestellung der Beklagten zu 1 zur alleinigen Liquidatorin fehle es auch deshalb an einer formellen Legitimation im Gesellschaftsvertrag, weil diese in die relativ unentziehbaren Rechte der übrigen Gesellschafter ohne deren erforderliche Zustimmung eingreife; auch dieser Beschluss sei zudem materiell unwirksam. Schließlich habe das Landgericht verkannt, dass die Festlegung des Verwertungsverfahrens der Einstimmigkeit bedurft hätte und zudem treuwidrig sei. Da die Beschlüsse allesamt nichtig seien, bestehe auch nicht der auf die Widerklage zugesprochene Anspruch des Beklagten zu 2, gegen die Berufungskläger, an einer Handelsregisteranmeldung mitzuwirken. Auch die Voraussetzungen für eine im Rahmen der Widerklage (für den Fall des Erfolgs der gegen den Auflösungsbeschluss gerichteten Klage) begehrte gerichtliche Auflösung nach § 133 HGB lägen nicht vor. Randnummer39

Die Kläger b e a n t r a g e n, Randnummer40

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mannheim vom 18. März 2021 (Az. 21 O 1/20) zu erkennen wie in erster Instanz mit der Klage beantragt und die Hilfswiderklage abzuweisen; Randnummer41

hilfsweise das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 18. März 2021 (Az. 21 O 1/20) aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Mannheim zurückzuverweisen. Randnummer42

Die Beklagten b e a n t r a g e n, Randnummer43

die Berufung zurückzuweisen. Randnummer44

Die Beklagten verteidigen das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Randnummer45

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B.

Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg. Randnummer47

Hinsichtlich der Klage bleibt es überwiegend bei der vom Landgericht ausgesprochenen Abweisung. Die Berufung führt nur hinsichtlich des Beschlusses (bb) über die Bestellung der Liquidatorin zu einer klagegemäßen Verurteilung. Denn die zulässige Klage ist allein in diesem Punkt begründet (dazu nachfolgend I.). Über den – im Übrigen und im selben Maß aus identischen Gründen unbegründeten) Hilfsantrag der Klage war nicht zu entscheiden, weil dieser – wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt haben – lediglich für den Fall einer auf Unzulässigkeit gestützten Abweisung des auf Feststellung gerichteten Hauptantrags gestellt ist, der nicht eingetreten ist. Ob eine mit dem Hilfsantrag begehrte Gestaltungserklärung des Gerichts zur Nichtigkeit der Beschlüsse statthaft wäre, kann daher dahinstehen. Randnummer48

Die Entscheidung über die Widerklage ist lediglich aufgrund der Bedingungen zu ändern, unter die die einzelnen Widerklageanträge gestellt sind. Entgegen der allein in erster Instanz geäußerten Ansicht der Kläger, der das Landgericht zutreffend und unbeanstandet durch die Berufung entgegengetreten ist, sind diese Bedingungen klar formuliert. Das Landgericht hat danach mit Recht allein über die Widerklageanträge zu 2. und zu 3. entschieden, deren Bedingungen mit der landgerichtlichen Entscheidung über die Klage in erster Instanz eingetreten waren. Auch nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens bleibt es dabei, dass die Bedingung des Widerklageantrags zu 1. nicht eingetreten ist, weil die Klage hinsichtlich des Beschlusses (aa) erfolglos bleibt. Damit bleibt es zugleich dabei, dass die Bedingung des Widerklageantrags zu 2. eingetreten und dieser zur Entscheidung des Berufungsgerichts gestellt ist. Hingegen ist die in erster Instanz lediglich aufgrund der Abweisung der Klage hinsichtlich des Beschlusses (bb) über die Bestellung der Liquidatorin erfolgte Verurteilung der Kläger gemäß dem so bedingten Eventualwiderklageantrag zu 3. ohne Prüfung ihrer Richtigkeit aufzuheben (zumindest zur Klarstellung). Denn ihre Rechtshängigkeit, die durch das Ausbleiben der genannten Bedingung auflösend bedingt ist, fällt mit der vorliegenden Entscheidung des Berufungsgerichts über die Klage rückwirkend weg. Hierdurch wird der darauf beruhenden Verurteilung die Grundlage entzogen (siehe BGH, Urteil vom 30. Mai 1956 – IV ZR 30/56, BGHZ 21, 13 [juris Rn. 71]; Urteil vom 6. März 1996 – VIII ZR 212/94, NJW 1996, 2165 f mwN; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. § 528 Rn. 48; ferner BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 – I ZR 29/98, GRUR 2000, 907, 909 mwN – Filialleiterfehler). Soweit die Widerklage danach zur Entscheidung gestellt ist, nämlich im Widerklageantrag zu 2., hält die angefochtene Entscheidung der Berufung Stand, weil dieser Antrag zulässig und begründet ist (dazu nachfolgend II.). Randnummer49

I. Die bereits im Hauptantrag zulässige Klage ist teilweise begründet. Randnummer50

1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage im Hauptantrag bestehen nicht. Die Nichtigkeit von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer Kommanditgesellschaft ist im Weg der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend zu machen (vgl. nur BGH, Urteil vom 1. März 2011 – II ZR 83/09, NZG 2011, 544 Rn. 19 mwN). Randnummer51

Das Landgericht hat unter diesem Gesichtspunkt zudem ausgeführt, dass die Beklagten die richtigen Klagegegner sind. Letzteres und die dafür gegebene Begründung treffen zu. Einwendungen dagegen erheben die Parteien auch nicht. Allerdings dürfte es sich erst um eine Voraussetzung der Begründetheit der Klage handeln (siehe BGH, Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 167/07, NZG 2009, 707 Rn. 24 f). Davon hängt die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung aber nicht ab. Randnummer52

2. Die Klage ist nur hinsichtlich des Beschlusses (bb) betreffend die Bestellung der Liquidatorin entgegen der Beurteilung des Landgerichts begründet. Im Übrigen ist sie – wie vom Landgericht insoweit zutreffend erkannt – unbegründet. Randnummer53

a) Die angegriffenen Beschlüsse sind nicht durch Heilung etwaiger Mängel dem Nichtigkeitseinwand entzogen. Die in § 7.4 GV bestimmte Frist zur Klageerhebung von zwei Monaten nach Zugang der Niederschrift über die Gesellschafterversammlung ist gewahrt, indem die Kläger die Klage vor deren Ablauf unter Vorschusszahlung eingereicht haben und diese daraufhin ohne weiteres Zutun der Kläger den Beklagten zugestellt werden konnte und auch innerhalb von weniger als vier Wochen zugestellt wurde (siehe BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – IV ZR 23/05, BGHZ 168, 306 Rn. 20 ff). Insoweit gelten bei interessengerechter Auslegung des Gesellschaftsvertrags (§§ 133, 157 BGB) die auch § 167 ZPO zugrundeliegende Wertungen. Der Fristwahrung widersprechen auch die Beklagten nicht. Randnummer54

b) Abgesehen davon, dass die Beschlüsse über die Bestellung der Liquidatorin (bb) und die Ausgestaltung der Auseinandersetzung (cc) ohne die zu (aa) beschlossene Auflösung ins Leere gehen würden, hängt die Wirksamkeit jedes einzelnen Beschlusses nicht von derjenigen der jeweils anderen Beschlüsse ab. Randnummer55

Da der Beklagte zu 2 bei Beschlussfassung jedenfalls – unabhängig davon, ob die Liquidatorin und die Ausgestaltung der Liquidation wie beschlossen vom Gesetz abweichend zu wählen waren – zur Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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entschlossen war, hängt die Wirksamkeit des Beschlusses (aa) nicht etwa entsprechend § 139 BGB (siehe dazu BGH, Urteil vom 5. April 1973 – II ZR 45/71, WM 1973, 637; MHdB GesR/Schmitz-Herscheidt, Bd. VII, § 52 Rn. 26 mwN) davon ab, ob insbesondere die Entscheidung, den Schadensersatzanspruch und das verbliebene Grundstück jeweils zu versteigern, Bestand hat. Entsprechendes gilt für die Bedeutung des Umstands, dass die Versteigerung jeweils allein unter den Gesellschafter erfolgt. Die Auflösungsentscheidung ist auch unabhängig davon, ob die Bestellung der Beklagten zu 1 zur Liquidatorin sich als nichtig erweist. Insbesondere den vom Landgericht als unstreitig festgestellten ernsthaften Willen des Beklagten zu 2 zur Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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stellt auch die Berufung nicht in Abrede. Danach besteht kein Zweifel, dass die zu (aa) getroffene Auflösungsentscheidung der Mehrheit unabhängig davon gewollt war, ob die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang gefassten weiteren Beschlüsse (bb) und (cc) nichtig sind. Randnummer56

Dasselbe gilt für den Beschluss (cc) über die Ausgestaltung der Liquidation. Der darin zum Ausdruck gekommene Mehrheitswillen ist ersichtlich unabhängig davon, ob die Beklagte zu 1 wirksam zur Liquidatorin bestellt ist (Beschluss (bb)). Randnummer57

Von alledem unberührt bleibt, dass bei der Prüfung, ob inhaltliche Bedenken gegen einzelne der Beschlüsse bestehen, auch der durch die übrigen Beschlüsse mit geprägte Kontext nicht außer Acht zu lassen ist, was das Landgericht im Wege einer ergänzenden „Gesamtabwägung“ beachtet hat. Randnummer58

Die Kläger weisen nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hin, dass die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 dort ausgeführt hätten, dass eine Liquidation der Gesellschaft, die von den unter (bb) und (cc) beschlossenen Modalitäten abweichen würde, unter keinen Umständen in Betracht käme. Eine solche Erklärung ist nach Überzeugung des Senats in der Sitzung nicht gefallen. Die Vertreter des Beklagten zu 2 haben zwar in der mündlichen Verhandlung über die Berufung vor dem Senat deutlich ihrer Auffassung Ausdruck verliehen, dass sie eine Liquidation der Gesellschaft als unerlässlich angesehen und eine Beteiligung der Klägerseite daran als Liquidatoren ihnen ausgeschlossen erscheine. Dies wertet der Senat jedoch nicht im Sinne eines Junktims. Eine dahingehende Äußerung durch die Bevollmächtigten, zudem Jahre nach den in Rede stehenden Beschlüssen und in Abwesenheit des Beklagten zu 2, würde auch nichts an der Überzeugung des Senats ändern, dass die übrigen Beschlüsse, insbesondere die Auflösung unabhängig vom Bestand des Beschlusses (bb) gewollt war. Randnummer59

c) Bei keinem der hier in Rede stehenden Beschlussgegenstände ist eine Mehrheitsentscheidung generell durch zwingendes Recht ausgeschlossen. Randnummer60

aa) Für die von den Gesellschaftern zu fassenden Beschlüsse bedarf es zwar nach § 119 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB grundsätzlich der Zustimmung aller zur Mitwirkung bei der Beschlussfassung berufenen Gesellschafter. Der Gesellschaftsvertrag kann aber davon abweichend vorsehen, dass die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden hat (vgl. § 119 Abs. 2 HGB). Den Gesellschaftern steht es im Rahmen der Privatautonomie frei, sich dahin zu einigen, ob und in welchem Umfang das starre, praktischen Erfordernissen oftmals nicht gerecht werdende Einstimmigkeitsprinzip durch das Mehrheitsprinzip ersetzt wird (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 6 – OTTO; Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 16). Randnummer61

bb) Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2011 – II ZR 242/09, NZG 2011, 1432) insbesondere sowohl der Beschluss über die Auflösung als auch der Beschluss über die Feststellung der Liquidationseröffnungsbilanz durch Abbedingung des Einstimmigkeitsprinzips einer Mehrheitsentscheidung zugänglich gemacht werden können. Ferner ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 17. September 2013 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302 Rn. 34 ff) geklärt, dass das Einstimmigkeitserfordernis beispielsweise hinsichtlich der Bestellung eines Liquidators vertraglich zu Gunsten des Mehrheitsprinzips abbedungen werden kann. Randnummer62

d) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Wirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen, die sich auf eine vereinbarte Abweichung vom Einstimmigkeitsprinzip stützen, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in zwei Stufen zu prüfen (siehe Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 40. Aufl., § 119 Rn. 37; BeckOK-HGB/Klimke, Stand Jan. 2022, § 119 Rn. 34 f). Randnummer63

Auf der ersten Stufe ist nach einer – als „Eingangsvoraussetzung für die Gültigkeit der Mehrheitsentscheidung“ – vom gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzip abweichenden Verankerung der Mehrheitsmacht im Gesellschaftsvertrag zu fragen, also danach, ob nach dem Gesellschaftsvertrag der betreffende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen ist („formelle Legitimation“; vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 – OTTO; Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 11; Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 Rn. 30 mwN). Ist die Entscheidung der Mehrheit der Gesellschafter von einer Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag gedeckt, muss auf einer zweiten Stufe im Rahmen einer inhaltlichen Wirksamkeitsprüfung untersucht werden, ob sich der Beschluss als treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit darstellt, oder ob sonstige zur materiellen Unwirksamkeit gegenüber allen oder einzelnen Gesellschaftern führende Gründe vorliegen (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 – OTTO; Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343, NZG 2020, 1343 Rn. 32 mwN). Randnummer64

Dieses Prüfungsprogramm gilt insoweit allgemein für sämtliche Beschlussgegenstände (siehe BGH, Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 Rn. 30 mwN), also auch bei sogenannten „Grundlagengeschäften“ oder Maßnahmen, die in den „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte bzw. in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingreifen (BGH, Urteil vom 24. November 2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 16 f – Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 12). Randnummer65

e) Die auf der ersten Stufe zu prüfende formelle Legitimation hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend für sämtliche angefochtenen Beschlüsse bejaht. Randnummer66

aa) Das Landgericht seiner Entscheidung insoweit einen zutreffenden Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt. Randnummer67

(1) Die formelle Legitimation einer auf eine Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft gestützten Mehrheitsentscheidung ist bereits dann gegeben, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ergibt, dass dieser Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 6, 9 – OTTO; Urteil vom 24. November 2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 14 f – Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16; Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 13 ff; Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 Rn. 30). Das gilt auch bei einem ein außergewöhnliches oder ein „Grundlagengeschäft“ betreffenden Beschluss. Die (formelle) Reichweite allgemeiner Mehrheitsklauseln ist weder durch den sogenannten Bestimmtheitsgrundsatz noch aus anderen Gründen auf gewöhnliche Geschäfte beschränkt (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 13). Dem früher vertretenen Bestimmtheitsgrundsatz kommt für die formelle Legitimation einer Mehrheitsentscheidung keine Bedeutung (mehr) zu (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 14 f; Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 11). Insoweit gilt auch für Vertragsänderungen oder mit ihnen vergleichbare „Grundlagengeschäfte“, dass die formelle Legitimation einer Entscheidung der Mehrheit der Gesellschafter (nur) die Feststellung erfordert, ob sich aus der Auslegung des Gesellschaftsvertrags ergibt, dass der Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 18). Randnummer68

Die somit maßgebliche Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen hat nach §§ 133, 157 BGB vom Wortlaut und dem erkennbaren Sinn und Zweck auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 15, 25; Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 Rn. 30). Dabei ist der frühere Bestimmtheitsgrundsatz auch nicht in Gestalt einer Auslegungsregel des Inhalts zu berücksichtigen, dass allgemeine Mehrheitsklauseln restriktiv auszulegen sind oder Beschlussgegenstände, die die Grundlagen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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betreffen oder ungewöhnliche Geschäfte beinhalten, jedenfalls von allgemeinen Mehrheitsklauseln, die außerhalb eines konkreten Anlasses vereinbart wurden, regelmäßig nicht erfasst werden. Eine solche Auslegungsregel findet im Gesetz keine Stütze (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 14). Daher kann sich die Mehrheitsbefugnis aus jeder Vereinbarung der Gesellschafter ergeben, die einer dahingehenden Auslegung zugänglich ist, also von der ausdrücklichen Anführung des betreffenden Beschlussgegenstands in einem Katalog von Beschlussgegenständen über eine umfassende oder auslegungsfähige Mehrheitsklausel im (schriftlichen) Gesellschaftsvertrag bis hin zu einer konkludenten Vereinbarung der Mehrheitszuständigkeit (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 14). Wie auch sonst bedarf es keiner ausdrücklichen Spezifizierung im Gesellschaftsvertrag oder Eindeutigkeit einer Vertragsklausel. Vielmehr genügt es, wenn die hier subjektive – bei einer (hier nicht gegebenen) Publikumspersonengesellschaft dagegen objektive – Auslegung des Gesellschaftsvertrags, bei der nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB auf der Grundlage des von den Parteien vorgetragenen und vom Gericht gegebenenfalls nach Beweisaufnahme festgestellten maßgeblichen tatsächlichen Auslegungsstoffs der objektive Sinn der jeweiligen Vertragsbestimmung bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Vertragsinhalts zu ermitteln ist, zu dem Ergebnis führt, dass der betreffende Beschlussgegenstand von der Mehrheitsklausel erfasst sein soll (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 15). Nach der bei der vorliegenden Personenhandelsgesellschaft gebotenen subjektiven Auslegung des Gesellschaftsvertrags ist dabei nicht allein auf den Wortlaut des (schriftlichen) Gesellschaftsvertrags abzustellen, sondern können auch außerhalb des Vertragstexts liegende Umstände für die Auslegung von Bedeutung sein wie insbesondere die Entstehungsgeschichte der in Rede stehenden Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder ein übereinstimmender Wille der Vertragsparteien (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 24 mwN). Randnummer69

Auch diese Grundsätze gelten für alle Beschlussgegenstände, da das gesetzliche Einstimmigkeitsprinzip – auch für Vertragsänderungen und ähnliche die Grundlagen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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berührende oder in Rechtspositionen der Gesellschafter eingreifende Maßnahmen – grundsätzlich dispositiv ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 16, 18 mwN). Ein etwaiges Zustimmungserfordernis eines einzelnen Gesellschafters betrifft auch dann die erst auf der zweiten Stufe vorzunehmende Prüfung der materiellen Wirksamkeit des Beschlusses einzelnen Gesellschaftern gegenüber (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 19 mwN). Randnummer70

(2) Die Einwände der Berufung gegen den vom Landgericht gewählten Maßstab bei der Prüfung der formellen Legitimation greifen daher nicht durch. Randnummer71

(a) Die Berufung meint zu Unrecht, das Landgericht habe verkannt, dass der Bundesgerichtshof sich noch nicht mit der Frage habe befassen müssen, ob eine lediglich ganz pauschal und allgemein formulierte Mehrheitsklausel ohne ausdrückliche Einbeziehung von Vertragsänderungen auch Mehrheitsbeschlüsse über Vertragsänderungen umfasst. Vielmehr hat das Landgericht auf diesen vorliegenden Fall mit Recht die vorstehenden Maßstäbe und Auslegungsgrundsätze angewandt, nach denen sich – je nach den Umständen des Falls – aus einer Mehrheitsklausel auch die formelle Legitimation zu Beschlüssen über Auflösung und Liquidation der Gesellschaft unabhängig davon ergeben kann, ob Vertragsänderungen im Allgemeinen oder die Auflösung im Besonderen als möglicher Gegenstand von Mehrheitsentscheidungen im Gesellschaftsvertrag benannt sind. Dass der Bundesgerichtshof noch keinen Fall entschieden haben mag, in dem gerade eine Grundlagenentscheidung dieses Inhalts darauf zu prüfen war, ob sie – wie nach den höchstrichterlich anerkannten Maßstäben bei jeder Grundlagenentscheidung möglich – formell von einer allgemein gefassten Mehrheitsklausel gedeckt war, ist für die Begründetheit der Klage unerheblich. Es ist auch nicht entscheidend, ob – was das angefochtene Urteil ohnehin nicht angenommen hat – der Wortlaut der Klausel, die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Oktober 2020 (II ZR 359/18, NZG 2020, 1384, siehe dort Rn. 1, 11) zugrunde lag, lediglich (wie hier) „Beschlüsse […] in allen Angelegenheiten“ nannte oder einen sprachlichen Zusatz umfasste, wonach die Klausel (zumindest sinngemäß) „– auch in solchen von besonderer Bedeutung –“ gelten sollte. Ein derartiger Zusatz ist freilich bei der Auslegung einer Mehrheitsklausel zu beachten. Er ist indes keine notwendige Voraussetzung dafür, einer Mehrheitsklausel oder sonst dem Gesellschaftsvertrag den erklärten Willen der Gesellschafter zu entnehmen, wonach alle Beschlüsse ohne Ausnahme grundlegender Angelegenheiten der Mehrheit überantwortet werden. Randnummer72

(b) Der Senat vermag insbesondere – den Beschlussgegenstand (aa) betreffend – nicht der Auffassung der Berufung zu folgen, wonach auch nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Auflösung einer Gesellschaft nur dann aufgrund einer Mehrheitsklausel möglich sei, wenn diese ausdrücklich die Auflösung als möglichen Beschlussgegenstand nennt. Randnummer73

Entgegen der Ansicht der Berufung ist die dahingehende Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (Urteil vom 26. Oktober 1988 – 8 U 21/88, DB 1989, 815) durch die Entwicklung überholt, welche die höchstrichterliche Rechtsprechung insbesondere ab dem Jahr 2007 genommen hat (s.o.). Zwar mag in der Literatur vereinzelt die Auffassung vertreten werden, es bedürfe einer Bezugnahme der Mehrheitsklausel auf die Auflösung (Staub/Schäfer, HGB, 5. Aufl., § 131, Rn. 22). Den von der Berufung angegebenen Literaturstellen, die auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm hinweisen (Oetker/Kamanabrou, HGB, 7. Aufl., § 131 Rn. 8; MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., § 131, Rn. 15), ist eine solche Ansicht allerdings nicht zu entnehmen. Sie stünde zumindest nicht in Einklang mit den oben dargestellten allgemeinen Grundsätzen der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt. Danach ist nämlich auf der Stufe der formellen Legitimation hinsichtlich aller in Betracht kommenden Beschlussgegenstände allein die Vertragsauslegung nach allgemeinen Regeln maßgeblich, ohne dass sich – auch nur im Sinn einer Auslegungsregel – etwas daraus herleiten ließe, dass ein bestimmter Regelungsgegenstand nicht spezifisch (ausdrücklich) benannt ist. Dies gilt sowohl für die Frage, ob überhaupt (auch) vertragsändernde oder grundlegende Beschlusse der Mehrheit überlassen sind, als auch für die Ermittlung, in welchem Umfang dies der Fall ist. Randnummer74

Die Ansicht, dass eine Regelung, nach der Vertragsänderungen mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden können, nicht ohne weiteres eine Mehrheitsauflösung gestattet (MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., § 131 Rn. 15), steht damit nicht in Widerspruch. Eine solche Regel oder gar ein Automatismus lässt sich freilich – wie auch sonst – nicht an einen Wortlaut wie „Vertragsänderungen“ knüpfen. Denn maßgeblich ist das Ergebnis der Auslegung des Gesellschaftsvertrags. Umgekehrt rechtfertigt damit auch das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung der Auflösung nicht den Schluss, diese sei im Zweifel nicht von einem im Vertragswortlaut für alle „Vertragsänderungen“ oder schlicht für „alle Beschlüsse“ angeordneten Mehrheitsprinzip erfasst. Deshalb kann eine allgemeine Mehrheitsklausel in Ermangelung abweichender Regelungen auch vertragsändernde Beschlüsse einschließlich der Auflösung erfassen (Oetker/Lieder, HGB, 7. Aufl., § 119 Rn. 49 mwN). Auch insoweit verbietet sich lediglich ein allein am unbeschränkten Wortlaut einer allgemeinen Mehrheitsklausel haftender Automatismus, weil letztlich die Auslegung des Gesellschaftsvertrags entscheidet (BeckOK-HGB/Klimke, Stand Jan. 2022, § 119 Rn. 41). Randnummer75

Schließlich lassen sich auch nicht unter entsprechender Anwendung von §§ 33, 40 BGB strengere Auslegungsmaßstäbe bei der Frage rechtfertigen, ob die Einstimmigkeit auch hinsichtlich der Auflösungsentscheidung abbedungen ist. Der Berufung mag noch darin zuzustimmen sein, dass die Auflösung den werbenden Zweck der Gesellschaft durch die Begründung des Liquidationszwecks tangiert (aufhebt oder überlagert) und insoweit Züge einer Zweckänderung im Sinn von § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB aufweisen mag. Allerdings ist schon nicht davon auszugehen, dass die bloße Änderung vom werbenden zum auf Liquidation gerichteten Zweck, deren Möglichkeit jeder endlichen Gesellschaft immanent ist, für die einzelnen Gesellschafter dieselbe Bedeutung hat, die bei einer Änderung des Zwecks eines fortbestehenden Vereins dem Erfordernis der Zustimmung der Mitglieder nach § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB zugrunde liegt. Schon deshalb kann dahinstehen, ob die letztgenannte Regelung neben §§ 128 ff, 161 ff HGB entsprechend auf Personenhandelsgesellschaften angewendet werden kann. Es erschließt sich abgesehen davon auch nicht, aus welchem anderen Grund als den für den früheren Bestimmtheitsgrundsatz maßgebenden und insbesondere für die Kommanditgesellschaft mittlerweile höchstrichterlich überzeugend aufgegebenen Erwägungen herzuleiten sein sollte, dass die Abbedingung der Einstimmigkeit voraussetzen soll, dass der Gesellschaftsvertrag die gleichsam zweckändernde Auflösung eindeutig als möglichen Gegenstand eines Mehrheitsbeschlusses nennt. Solche Erwägungen wären aber auch im Rahmen der Vorschriften in §§ 33, 40 BGB nicht tragfähig. Nicht anders als nach § 119 HGB ist das Einstimmigkeitserfordernis auch dort schon nach dem Gesetzeswortlaut dispositiv. Auch dort stellt das Gesetz keine qualifizierten formalen Anforderungen an die vertragliche Abbedingung der Einstimmigkeit oder deren Auslegung. Randnummer76

(c) Für die – den Beschlussgegenstand (bb) betreffende – Frage, ob eine Mehrheitsklausel die formelle Legitimation zu einem Beschluss umfasst, mit dem einzelnen Gesellschaftern allein die Liquidation übertragen wird, gilt Entsprechendes. Randnummer77

Die Ermächtigung der Mehrheit zu solchen Beschlüssen, mit denen von der gesetzlichen Regel der Liquidation durch sämtliche Gesellschafter als Liquidatoren nach § 146 Abs. 1 Satz 1, § 161 Abs. 2 HGB abgewichen werden kann, unterliegt keinen anderen Auslegungsgrundsätzen, als sie hinsichtlich der Bestimmung der Reichweite der Mehrheitsermächtigung hinsichtlich sonstiger Grundlagenentscheidungen wie Vertragsänderungen gelten. Daher ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass zur formellen Legitimation eine Klausel genügen kann, nach der alle Beschlüsse mit Stimmenmehrheit gefasst werden können (zustimmend BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, Stand Jan. 2022, § 146 Rn. 12). Soweit im Schrifttum unter Hinweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz eine abweichende Ansicht vertreten wird (Anissimov in Heidel/Schall, HGB, 3. Aufl., § 146 Rn. 6 mwN; unklar Oetker/Kamanabrou, HGB, 7. Aufl., § 146 Rn. 3 mwN), ist dies nicht vereinbar mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der gerade keine spezifische vertragliche Benennung des Liquidatorenamts als Gegenstand von Mehrheitsbeschlüssen fordert. So hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 17. September 2013 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302 Rn. 34 ff) eine formelle Befugnis zur Mehrheitsentscheidung über die Bestellung eines Liquidators beispielsweise im Rahmen der Auslegung des Vertrags einer Publikumsgesellschaft bejaht, der eine (bloß allgemein) auf Vertragsänderungen bezogene Mehrheitsklausel enthielt. Zur Begründung hat er nicht nur angeführt, dass der Bestimmtheitsgrundsatz, der eine engere Sichtweise rechtfertigen konnte, schon nach der früheren Rechtsprechung nicht für Publikumsgesellschaften galt, sondern vorrangig, dass dieser nach der neueren Rechtsprechung für die formelle Legitimation einer Mehrheitsentscheidung keine Bedeutung mehr hat. Randnummer78

Dass § 146 HGB schon nicht einschlägig sei, hat das Landgericht entgegen der Darstellung der Berufung nicht zum Ausdruck gebracht. Es hat lediglich zutreffend angenommen, dass eine von dieser dispositiven Regelung, wonach die Liquidation durch sämtliche Gesellschafter als Liquidatoren erfolgt, abweichende Bestimmung durch Beschluss der Gesellschafter getroffen werden kann und zu einem solchen Beschluss – in Abweichung von der wiederum dispositiven Regelung in § 119 Abs. 1 HGB – nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit ermächtigt werden kann. Randnummer79

Davon zu trennen ist die – von der Berufung zu Unrecht bereits auf der Ebene der formellen Legitimation aufgeworfene – Frage, inwieweit die Bedeutung der Liquidatorenstellung und ihrer Abbedingung (also ihres schon anfänglichen Entzugs) die materielle Legitimation beeinflusst. Lediglich auf dieser Ebene hat der Bundesgerichtshof etwa bei einer Entziehung der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis danach gefragt, ob eine (antizipierte) Zustimmung, welche die materielle Rechtmäßigkeit begründen kann, ausdrücklich oder hinreichend bestimmt ist (dazu unten; siehe BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 22 mwN). Für die formelle Legitimation kommt es nicht darauf an, ob die Geschäftsführungsbefugnis oder insgesamt die Stellung als Liquidator relativ unentziehbare Rechte sind. Randnummer80

(d) Schließlich verfangen auch die Einwände der Berufung gegen den Auslegungsmaßstab nicht, soweit es (mit Blick auf den Beschluss (cc)) um die Frage geht, ob Regelungen über die Art und Weise der Liquidation vom Mehrheitsprinzip erfasst sind. Randnummer81

Auch insoweit besteht kein Grund, von den allgemeinen Maßstäben zur Prüfung der formellen Legitimation abzuweichen. Insbesondere stellt § 145 HGB keine qualifizierten formalen Anforderungen an Vereinbarungen, die (sogar) auf eine andere Art der Auseinandersetzung als die Liquidation zielen. Es besteht auch kein Anlass zu solchen besonderen Anforderungen an eine Vereinbarung der Gesellschafter, die es ermöglicht, dass ein Mehrheitsbeschluss (lediglich) die Liquidation auf eine besondere Verfahrensweise beschränkt, was die Umsetzung des übrigen Vermögens in Geld („Versilberung“, § 149 Satz 1 Halbsatz 1 HGB) angeht. Soweit die Berufung meint, ein von der gesetzlichen Regelung abweichender Gesellschafterbeschluss könne auch nach Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes nur dann durch die Mehrheit gefasst werden, wenn dieser explizit auch Vertragsänderungen übertragen seien, ist dies den dafür zitierten Literaturstellen (MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., HGB § 145 Rn. 46; Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 40. Aufl., § 145 Rn. 8) nicht zu entnehmen und wäre auch wiederum mit der überzeugenden jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unvereinbar. Allenfalls wird in der Literatur eine Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags verlangt, wonach auch Änderungen des Gesellschaftsvertrags mit Mehrheit beschlossen werden können (MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., HGB § 145 Rn. 46; EBJS/Hillmann, 4. Aufl. 2020, § 145 Rn. 16), ohne dass indes eine dahingehende ausdrückliche oder bestimmte Klausel verlangt wird (unklar auch hier Oetker/Kamanabrou, HGB, 7. Aufl., § 146 Rn. 20 mwN). Auch insoweit kann daher aufgrund der allgemeinen Auslegungsgrundsätze beispielsweise eine allgemeine Mehrheitsklausel genügen. Randnummer82

bb) In Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze hat das Landgericht mit weitgehend zutreffender Begründung und im Ergebnis ohne Verletzung des Rechts erkannt, dass sämtliche hier betroffenen Beschlussgegenstände formell von der Mehrheitsklausel gedeckt sind. Randnummer83

(1) Das gilt zunächst für den Beschluss (aa) zur Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
. Randnummer84

(a) Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Landgericht seiner Beurteilung keine unzutreffenden Tatsachen betreffend den Inhalt des Gesellschaftsvertrags zugrunde gelegt. Bei dessen Bewertung, alle Gesellschafter seien im Gesellschaftsvertrag übereingekommen, die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft
per Mehrheitsbeschluss zu gestatten, handelt es sich – für jeden, der auch bei der Erfassung des Inhalts richterlicher Entscheidungen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haftet, sondern nach dem wirklich Gewollten forscht (vgl. § 133 BGB), unmissverständlich ersichtlich – nicht etwa um eine Wiedergabe des Wortlauts der Vertragsurkunde (den das Landgericht durch auszugsweises Zitat und ergänzend durch Bezugnahme auf die Anlage K 8 zutreffend festgestellt hat), sondern um das vom Landgericht gefundene Auslegungsergebnis. Dabei – anders bei der Feststellung der für die Auslegung wesentlichen Tatsachen – handelt es sich nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine nach bestimmten Regeln vorzunehmende richterliche Würdigung, die weitgehend in der Verantwortung des Tatrichters liegt (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 15 mwN). Randnummer85

(b) Es kann dahinstehen, ob die vom Landgericht gefundene Vertragsauslegung eine Stütze in § 7.1 Abs. 2 GV finden kann. Das scheint allerdings nicht zwingend. Wie die Berufung insoweit mit Recht ausführt, betrifft diese Regelung das Stimmgewicht. Sie ist also nicht im eigentlichen Sinn einer der in § 7.1 Abs. 1 angesprochenen Fälle, in denen der Gesellschaftsvertrag etwas anderes als den Mehrheitsentscheid vorsieht. Indem die Bestimmung in § 7.1 Abs. 2 GV das Ausscheiden des Beklagten zu 2 als Gesellschafter zur auflösenden Bedingung der in § 7.1 Abs. 1 Satz 1 GV vorgesehenen Stimmzählung nach Kapitalanteil macht, ist ihr noch zu entnehmen, dass bis dahin die Mehrheitsklausel (§ 7.1 Abs. 1 Satz 1 GV) den Zweck haben sollte, dem Beklagten zu 2 bestimmenden Einfluss zu sichern. Daneben lässt die Fortgeltung des Mehrheitsprinzips nach dem Ausscheiden des Beklagten zu 2 erkennen, dass – auch schon zuvor – Mehrheitsentscheidungen zur Vermeidung des starren Einstimmigkeitsprinzips ermöglicht werden sollten, weil die Gesellschafter ersichtlich in Betracht gezogen haben, dass eine einstimmige Meinungsbildung zwischen den an der Gesellschaft beteiligten Generationen bzw. Stämmen zumindest impraktikabel sein könnte. Weder die in der Mehrheitsklausel denknotwendig liegende Betonung des Einflusses des Mehrheitsgesellschafters noch die (uneingeschränkte) Dauer der Geltung des Mehrheitsprinzips geben aber wesentlichen Aufschluss darüber, welchen sachlichen Gegenstand diese Ermächtigung zum Mehrheitsbeschluss haben sollte. Allein der Umstand, dass die Parteien sich in den erstgenannten Punkten Gedanken über die Formulierung der Klausel gemacht haben, erlaubt noch keinen zwingenden Schluss darauf, ob das Wort „alle“ gezielt zur Erfassung auch grundlegender Entscheidungen gewählt worden ist. Randnummer86

(c) Unabhängig davon hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass schon der Wortlaut in § 7.1 Abs. 1 Satz 1 GV zunächst eindeutig ist und für das im angefochtenen Urteil gefundene Auslegungsergebnis spricht, das sodann durch weitere Umstände bestätigt und keinesfalls widerlegt wird. Randnummer87

(aa) Der Wortlaut sieht nicht nur vor, dass – ohne weitergehende Einschränkung, als für die Fälle, in denen der Gesellschaftsvertrag etwas Anderes bestimmt – „Beschlüsse mit der Mehrheit der Stimmen“ gefasst werden. Er erstreckt diese Regelung darüber hinaus ausdrücklich auf „alle“ Beschlüsse. Schon dies legt den Schluss nahe, dass die Parteien – mit Ausnahme der im Gesellschaftsvertrag abweichend geregelten Tatbestände – sämtliche einer Beschlussfassung der Gesellschafter zugänglichen Gegenstände dem Mehrheitsprinzip unterwerfen wollten. Ein solches Verständnis hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 11. September 2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rn. 19) entsprechend für naheliegend erachtet bei einer – nur unter dem Vorbehalt abweichender gesetzlicher Bestimmungen stehenden – allgemeinen Mehrheitsklausel einer Publikumsgesellschaft (bei der dort gebotenen objektiven Auslegung), die „alle Angelegenheiten der Gesellschaft“ betraf (wobei im dortigen Fall freilich weitere Argumente wie die ausdrückliche Regelungen zur erforderlichen Mehrheit für Vertragsänderungen oder die Auflösung die Auslegung bestätigten). Zu den somit zumindest bei objektiver Betrachtung von § 7.1 Abs. 1 GV umfassend einbezogenen Beschlussgegenständen gehört namentlich die Entscheidung über die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft
, die nach § 131 Abs. 2 Nr. 2 HGB durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen kann. Dies spricht dafür, dass auch der erklärte Wille der Parteien als Gesellschafter dahin zu verstehen ist. Randnummer88

(bb) Auch mit Rücksicht auf die weitreichenden Wirkungen der Auflösung, namentlich den Übergang von einer werbenden zur zu liquidierenden Gesellschaft, ist kein nach außen getretenes Interesse der Vertragsparteien erkennbar, dass insoweit eine beschränkende Auslegung rechtfertigen könnte. Randnummer89

Wie ausgeführt kann der Umstand, dass dieser Gegenstand nicht ausdrücklich genannt oder Anlass der Einführung des vorliegenden Mehrheitsprinzips war, mangels Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes, der auch nicht als Auslegungsregel zu beachten ist, nicht rechtfertigen, ihn aus dem Kreis der in § 7.1 Abs. 1 GV genannten, also „alle[r]“ Beschlüsse auszuschließen. Auch sonst ist nicht zu erkennen, dass die Parteien mit der vorliegenden Regelung beabsichtigt hätten, weitreichende Entscheidungen, insbesondere die Auflösung, von der Ermächtigung der Mehrheit auszuschließen und insoweit am gesetzlichen Regelfall der Einstimmigkeit festzuhalten. Die materielle Bedeutung des Beschlussgegenstands ist nach den oben beschriebenen Auslegungsgrundsätzen kein entscheidendes Argument für deren Ausschluss vom (formellen) Anwendungsbereich der Mehrheitsklausel (siehe für eine Publikumsgesellschaft BGH, Urteil vom 11. September 2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rn. 18, 23). Randnummer90

Vielmehr spricht die aus den Umständen für alle Gesellschaftsvertragsparteien erkennbare Interessenlage der Beteiligten dafür, dass die Mehrheitsklausel auch Grundlagengeschäfte und damit insbesondere die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft
decken sollte. Denn nach den Beteiligungsverhältnissen war der Mehrheitswille zwingend gleichbedeutend mit dem Willen des Beklagten zu 2, der allein die Mehrheit der Anteile hielt, die nach § 6 Abs. 7 GV auch für die Beschlussfähigkeit erforderlich und ausreichend ist. Dabei ist zu beachten, dass das wesentliche Vermögen der Gesellschaft in Form von Immobilien (mit jährlichen Pachteinnahmen von seinerzeit 2,1 Mio DM) der Rechtsvorgängerin (ABRO Immo GbR) der Gesellschaft im Umfang einer ideellen Hälfte durch den Beklagten zu 2 mit Einbringungsvertrag vom 30. September 1994 (Anlage B 1.7) übertragen wurde. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsvorgängerin der Gesellschaft das in Rede stehende Grundeigentum zugleich zur übrigen ideellen Hälfte von der [Y] GmbH & Co KG, also einer Gesellschaft des vom Beklagten zu 2 aufgebauten Unternehmens erwerben konnte. Dies war im Übrigen Teil einer darüber hinausgehenden Beteiligung der Kläger an dem durch ihren Vater, den Beklagten zu 2 aufgebauten Unternehmens. Wie das Landgericht in anderem Zusammenhang (LGU 19 f) mit Recht angemerkt hat, war zumindest die Möglichkeit des Eintritts der Kläger in eine oder mehrere werthaltige Gesellschaften und die Immobilienverwertung mit all ihren (hier durch den Verkauf an die [T]-Gruppe auch durch Verkaufserlöse und auch danach weiter erwirtschaftete Mieteinnahmen realisierten) Gewinnmöglichkeiten einzig und allein, zumindest aber wesentlich auf den Beklagten zu 2 zurückzuführen. Dies hat das Landgericht mit Recht unabhängig davon hervorgehoben, ob die betreffenden Vermögenswerte den Klägern vom Beklagten zu 2 unentgeltlich zugewandt wurden oder hingegen unter entsprechendem Einsatz eigenen Vermögens zuflossen. Ungeachtet des Streits der Parteien, ob darin schenkungsweise Zuwendungen des Beklagten zu 2 an die Kläger lagen, sprechen diese – den Klägern bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags offenkundigen – Umstände dafür, dass mit der Mehrheitsklausel ein möglichst umfassender bestimmender Einfluss des Beklagten zu 2 als „Familienoberhaupt“ und Kopf des Unternehmens, aus dem die Gesellschaft und deren Gewinnchancen hervorgegangen sind, gesichert werden sollte, während die Beteiligung der Kläger vornehmlich eine wirtschaftliche Teilhabe am vorhandenen und künftig etwa erwirtschafteten Vermögen und Erfolg der Gesellschaft bezweckte. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Mehrheitsklausel mindestens auch solche Beschlüsse erfassen sollte, die zwar die Grundlagen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Grundlagen
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betreffen, die wirtschaftliche Beteiligung an bereits vorhandenem oder gewonnenem Vermögen aber nicht grundlegend in Frage stellen. Dazu gehört namentlich die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft
, die zur Auseinandersetzung (typischerweise durch Versilberung und Verteilung des Gesellschaftsvermögens) führt. Randnummer91

Zwar kann bei einer Familiengesellschaft wie der vorliegenden unter Umständen bei der Auslegung ein besonderes Interesse erkennbar und zu berücksichtigen sein, ein von der Gesellschaft geführtes „Familienunternehmen“ als solches (und nicht nur in Gestalt seines Wertes in Geld) zu erhalten. Dies kann für eine die Liquidation erschwerende Auslegung von gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen sprechen, die die Beschlussfassung betreffen (siehe beispielsweise BGH, Urteil vom 12. November 1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35 [juris Rn. 15]). Hier hätten die Parteien einer Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
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Gesellschaft
vorbeugen können, indem sie jedem Gesellschafter durch das Einstimmigkeitsprinzip die Möglichkeit einräumen, sich dagegen zu sperren. Eine dahin gehende Interessenlage ist im Streitfall aber gerade nicht zu erkennen. Dagegen spricht schon, dass hier nicht drohte, dass sich interessen mehrerer Gesellschafter an einer Liquidation gegen grundsätzlich gleichgewichtige interessen anderer Gesellschafter an der Fortsetzung der Gesellschaft durchsetzen könnten. Denn allein dem Beklagten zu 2, der ersichtlich seinen allein bestimmenden Einfluss auf die Gesellschaft behalten sollte, war konsequenterweise auch die Entscheidung über deren Fortführung oder etwaige Auflösung überlassen. Im Übrigen erzielt die Gesellschaft ihre Erlöse nicht durch einen typischen Betrieb eines Gewerbes, dessen einzelne Bestandteile bei Zerschlagung des Gesellschaftsvermögens in besonderem Maß für nachfolgende Familiengenerationen entwertet würden, sondern im Wesentlichen aus der Verzinsung von immobilen Vermögenswerten durch Vermietung und Verpachtung. Insoweit lässt sich der Wert der Beteiligung auch bei Liquidation für jeden Gesellschafter gemäß dessen Anteil erhalten, sei es als Kapital aus dem Liquidationserlös oder durch eigenen Erwerb einzelner Vermögensgegenstände aus der Liquidationsmasse. Randnummer92

(cc) Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass der Bundesgerichtshof zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags im Jahr 1997 seine Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz noch nicht oder nicht eindeutig aufgegeben haben mag. Randnummer93

(aaa) Die Berufung geht fehlt, soweit sie gestützt auf das von ihr vorgelegte Privatgutachten ([…], Anlage K 21) fordert, gleichsam von Rechts wegen den Bestimmtheitsgrundsatz als eine auf Richterrecht beruhende, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Beweisregel anzuwenden. Entgegen der Ansicht der Berufung war die Klausel in § 7.1 Abs. 1 GV zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 1997 nicht schlicht ungeeignet, dem Beklagten zu 2 möglichst unbegrenzten Einfluss zu geben. Randnummer94

Schon im Ansatz verfehlt ist die Kritik an der angefochtenen Entscheidung, diese habe die Änderung der Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes behandelt. Damit missversteht der Gutachter die klar formulierten Erwägungen des Landgerichts (LGU 17). Dieses hat sich lediglich zur Erforschung des seinerzeitigen Willens der Vertragsparteien die Frage gestellt, ob sich deren Wortwahl („alle“) damit erklären lässt, dass diese auf die Weitergeltung des Bestimmtheitsgrundsatzes vertraut haben. Wäre eine solche subjektive und zugleich für die übrigen Vertragsparteien erkennbare Haltung der Kläger feststellbar, so würde sich darauf möglicherweise eine Auslegung stützen lassen, wonach die Parteien gerade eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Mehrheitsklausel gewollt und diese Rechtsfolge – privatautonom – mit der Regelung in § 7.1 Abs. 1 GV festgehalten haben. Das Landgericht hat indes – bei der auch vom Gutachter geforderten Vertragsauslegung – festgestellt, dass eine solche Vorstellung der Kläger („Vertrauen“) gerade nicht vorlag (dazu sogleich unter (bbb)). Diese Überlegungen des Landgerichts haben mit einem (enttäuschten) Vertrauen auf die Kontinuität der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes und dessen Schutz nichts zu tun. Randnummer95

Entgegen der Ansicht der Berufung richtet sich die Auslegung des Gesellschaftsvertrags nicht nach den bis zum Zeitpunkt seines Abschlusses in ständiger Rechtsprechung judizierten Auslegungsregeln. Maßgeblich sind vielmehr die gesetzlichen Bestimmungen in §§ 133, 157 BGB. Lediglich in deren Auslegung ist der Bundesgerichtshof früher vom Bestimmtheitsgrundsatz ausgegangen. Insoweit ist dessen Aufgabe keine Rechtsänderung, welche die Frage nach der Rückwirkung auf zuvor – in Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes vermeintlich mit beschränktem Inhalt – vereinbarte Mehrheitsklauseln aufwerfen würde, sondern eine neue Erkenntnis betreffend die (schon immer) richtige Auslegung solcher Klauseln, die nicht etwa auf einer zeitlichen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Rahmenbedingungen beruht. Insoweit könnte lediglich der Gesichtspunkt des durch das Rechtsstaatsprinzip vorgegebenen Vertrauensschutzes es unter Umständen rechtfertigen, eine – an sich nicht überzeugende – Auslegungsregel, welche die Rechtsprechung entwickelt und jahrelang immer wieder bekräftigt hat, auf bis zur Ankündigung ihrer Änderung geschlossene Verträge weiterhin anzuwenden (siehe BAG, Urteil vom 14. Dezember 2005 – 4 AZR 536/04, BAGE 116, 326 Rn. 24 ff). Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Daher kann ein Gericht grundsätzlich ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG von einer früheren Rechtsprechung abweichen, selbst wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauung nicht eingetreten ist. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes liegt in einer solchen Rechtsprechungsänderung jedenfalls dann nicht, wenn diese sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (vgl. BVerfGE 84, 212, 227 f; BVerfG, NVwZ 2008, 1111; BVerfGE 122, 248, [juris Rn. 85]). Zu den insoweit maßgeblichen Umständen des Einzelfalls gehören etwa das Alter der vertrauensbegründenden Rechtsprechung, deren Wiederholung insbesondere als ständige Rechtsprechung sowie die in der Rechtswissenschaft gefundene Zustimmung oder Ablehnung (siehe Höpfner, NZA 2008, 91, 92). Auch danach ist aber nicht geboten, den Bestimmtheitsgrundsatz im Sinn der früheren Rechtsprechung auf Altverträge anzuwenden. Randnummer96

Die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung war davon ausgegangen, dass die gesellschaftsvertragliche Ermächtigung der Mehrheit zur Abänderungen eines Gesellschaftsvertrags auch zum Ausdruck bringen müsse, dass sie gerade auch für die konkret in Rede stehende Maßnahme gelten solle; die in einem Gesellschaftsvertrag allgemein zugelassene Änderung des Vertrages durch Mehrheitsbeschluss beziehe sich nicht ohne weiteres auf solche Vertragsänderungen, deren Vornahme durch Mehrheitsbeschluss ganz ungewöhnlich sei, oder für die eine besondere gesetzliche Vorschrift ausdrücklich Einstimmigkeit verlange. Es müsse sich also stets aus dem Gesellschaftsvertrag zweifelsfrei ergeben, dass die Zulässigkeit des Mehrheitsbeschlusses auch gerade für die im jeweiligen Einzelfall in Betracht kommende Maßnahme gelten solle. Immer sei es aber für die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses zumindest nötig, dass ein dahingehender Vertragswille für jeden einzelnen jeweils in Betracht kommenden Beschlussgegenstand nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages unter Berücksichtigung aller Umstände, die insoweit für die Auslegung heranzuziehen seien, als erklärt feststellbar sei (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. November 1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35 [juris Rn. 13, 15] mwN). Nach diesen Grundsätzen nahm der Bundesgerichtshof an, dass eine bloße Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, wonach das Mehrheitsprinzip gelten solle, sich in der Regel nur auf die Geschäftsführung, nicht jedoch auf die Änderung des Gesellschaftsvertrages beziehe (BGH, Urteil vom 14. November 1960 – II ZR 55/59, WM 1961, 303 [juris Rn. 16]; siehe MünchKommHGB/Enzinger, 4. Aufl., § 119 Rn. 78 mwN zur Kasuistik). Randnummer97

Zumindest seit Mitte der 1970er und insbesondere in den 1980er Jahren wurden die unter dem Begriff des Bestimmtheitsgrundsatzes zusammengefassten Auslegungsgrundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Schrifttum nicht nur verteidigt, sondern auch verbreitet kritisiert (siehe MünchKommHGB/Enzinger, 4. Aufl., § 119 Rn. 79 mit umfangreichen Nachweisen). Schon früh hat zudem der Bundesgerichtshof erwogen, ob der Bestimmtheitsgrundsatz immer in seiner Absolutheit gelten oder unter stärkerer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Treuepflicht aufgelockert werden sollte (siehe BGH, Urteil vom 13. März 1978 – II ZR 63/77, BGHZ 71, 53; 57 zu vertragsändernden Mehrheitsbeschlüssen in einer Publikumspersonengesellschaft; Urteil vom 15. November 1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 356 zur Regelung der Grundlagen des Gesellschaftsverhältnisses durch Mehrheitsbeschlüsse einer körperschaftlich verfassten Kommanditgesellschaft mit großer Mitgliederzahl). Ferner hat der Bundesgerichtshof bereits mit Urteil vom 10. Oktober 1994 (II ZR 18/94, NJW 1995, 194) mit Blick auf die „inzwischen aus weiten Teilen des Schrifttums geäußerte Kritik“ ausdrücklich auf eine Auseinandersetzung damit verzichtet, ob der Bestimmtheitsgrundsatz in Zukunft weiter einzuschränken oder sogar ganz aufzugeben sei. Randnummer98

Vor diesem Hintergrund besteht kein hinreichender Anlass, bei der Auslegung des 1997 unterzeichneten Gesellschaftsvertrags eine durch Vertrauensschutz begründete Bindung an die Maximen anzunehmen, die vom Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen grundsätzlich angewendet und endgültig erst später (siehe die oben zitierte Rechtsprechung) ausdrücklich aufgegeben wurden. Dagegen spricht schon, dass – wie der Bundesgerichtshof (Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 14) mittlerweile erkannt hat – eine Auslegungsregel in Gestalt des früheren Bestimmtheitsgrundsatz, wonach allgemeine Mehrheitsklauseln restriktiv auszulegen wären oder Beschlussgegenstände, die die Grundlagen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Grundlagen der Gesellschaft
betreffen oder ungewöhnliche Geschäfte beinhalten, jedenfalls von allgemeinen Mehrheitsklauseln, die außerhalb eines konkreten Anlasses vereinbart wurden, regelmäßig nicht erfasst würden, schon im Gesetz keine Stütze findet. Spätestens für Verträge, die – wie hier – geschlossen wurden, nachdem der Bundesgerichtshof die weitere Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes im Licht der umfangreichen Kritik ausdrücklich offengelassen hat, kann eine solche Auslegungsregel keine Geltung kraft Vertrauensschutzes beanspruchen. Randnummer99

Dies ist auch im Ergebnis bereits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Altverträge geklärt. Mit Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass der Bundesgerichtshof selbst die in seiner jüngeren Rechtsprechung unter Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes entwickelten Maßstäbe (naturgemäß) gerade auf zuvor geschlossene Verträge anwendet. Das gilt etwa für das Urteil vom 21. Oktober 2014 (II ZR 84/13, BGHZ 203, 77), das sich mit einem Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 2001 befasst (siehe erstinstanzlicher Tatbestand bei LG Essen, Urteil vom 4. Januar 2012 – 44 O 88/11, juris Rn. 3), und das Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 (siehe dort Rn. 1), das einen Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 1976 betrifft. Randnummer100

(bbb) Unabhängig von alledem könnte zwar der seinerzeitige Stand der Rechtsprechung dann, wenn die Parteien ihn im Blick gehabt hätten, einen Hinweis darauf geben, welche Rechtsfolge mit der Bestimmung in § 7.1 Abs. 1 GV nach dem erkennbaren Willen der Parteien beabsichtigt war. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann der von der Berufung geforderten Auslegung aber nicht gefolgt werden. Randnummer101

Das Landgericht hat die Bedeutung solcher tatsächlicher historischer Begleitumstände für die Vertragsauslegung berücksichtigt. Es hat sinngemäß festgestellt, dass die Kläger nicht darauf vertraut haben (also nicht den Willen hatten), dass – abweichend vom eindeutigen Vertragswortlaut – jedenfalls grundlegende Mehrheitsentscheidungen in Ermangelung einer diesbezüglichen „bestimmten“ Ermächtigung ausgeschlossen würden. Dafür hat es darauf hingewiesen, dass die Annahme eines solchen Vertrauens jedweder Lebenserfahrung widerspreche, da die Kläger damals noch geschäftlich weitgehend unerfahren und ohne eine auf vertiefte juristische Kenntnisse hinweisende Berufsausbildung waren. Dieser überzeugenden Beurteilung tritt der Senat bei. Randnummer102

Soweit die Berufung – im Ansatz zutreffend – darauf hinweist, dass auf den historischen Willen aller am Vertragsabschluss beteiligten Parteien abgestellt werden muss, rechtfertigt dies kein anderes Auslegungsergebnis. Ist schon ein vom eindeutigen Vertragswortlaut abweichender Wille der Kläger nicht festzustellen, mindestens aber für die weiteren Vertragsparteien seinerzeit nicht erkennbar gewesen, vermag eine etwaige – ebenfalls nicht für die übrigen Vertragsparteien erkennbare – Absicht des Beklagten zu 2, stillschweigend und vom Wortlaut abweichend den Bestimmtheitsgrundsatz zum Vertragsinhalt zu erheben, nichts zur Vertragsauslegung beizutragen. Randnummer103

Die Berufung beanstandet ferner, das Landgericht habe sich nicht mit dem historischen Willen der Kläger inhaltlich auseinandergesetzt und führt aus, die Kläger hätten im Rahmen der mündlichen Verhandlung ihren historischen Willen ausführlich und persönlich dargelegt. Feststellungen zu solchen mündlichen Erläuterungen hat das Landgericht aber nicht getroffen; es hat auch bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses nur die persönlichen Angaben der Kläger zu ihrem damaligen beruflichen Stand protokolliert (Klägerin zu 1: als Apothekerin beschäftigt; Kläger zu 2: Geschäftsführer der industriellen Seite der […] Gruppe; Kläger zu 3: Diplom-Sportwissenschaftler in Zusatzausbildung zum PR-Manager). Die Berufung zeigt auch nicht auf, inwiefern die Feststellungen des Landgerichts insoweit unvollständig sein sollten und welche ergänzenden Feststellungen zu (persönlichem) mündlichem Vorbringen der Kläger vor dem Landgericht oder zur deren wirklicher Motivation betreffend § 7.1 bei Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags zu treffen wären (§ 529 Abs. 1 ZPO). Welchen konkreten Inhalt der von der Berufung abstrakt angeführte Wille der Kläger hatte, bleibt danach offen. Erst Recht ist nicht ersichtlich, dass die Vertragsparteien einen etwa vom (objektiv) erklärten Willen abweichenden übereinstimmenden Willen, bestimmte Beschlussgegengenstände vom Mehrheitsprinzip auszunehmen, einander zu erkennen gegeben haben. Randnummer104

Ohne Erfolg macht die Berufung unter Hinweis auf das Privatgutachten geltend, den Notaren/Rechtsanwälten, die den Vertrag entworfen haben, könne nicht unbekannt gewesen sein, dass die Klausel in §7.1 Abs. 1 GV zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schlicht ungeeignet gewesen sei, dem Beklagten zu 2 möglichst unbegrenzten Einfluss zu sichern. Auf die Vorstellungen des Urhebers des Vertragstexts, der nicht Vertragspartei geworden ist, kommt es nicht an. Dass eine entsprechende kautelarjuristische Beratung etwa gegenüber dem Beklagten zu 2 erfolgt und deren Inhalt auch den Klägern erkennbar geworden wäre, ist nicht dargelegt. Im Übrigen konnte im Jahr des Gesellschaftsvertrags (1997) aus Sicht der Rechtskundigen nicht mehr als gesichert gelten, dass eine allgemein gefasste Klausel zur formellen Legitimation von Grundlagenentscheidungen nicht genügen würde. Insoweit kann gerade bei dem Ziel, eine möglichst breite Anwendung des Mehrheitsprinzips zu garantieren, für die wahl einer allgemein gehaltenen Fassung von § 7.1 GV auch gesprochen haben, dass jede Spezifizierung von Regelbeispielen die Gefahr begründet hätte, dass eine gerichtliche Auslegung andere als die genannten Gegenstände vom Mehrheitsprinzip ausschließen würde. Randnummer105

(dd) Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht für sein Auslegungsergebnis den Vertragstext in § 11.2 GV herangezogen, wonach Verfügungen über Gesellschaftsanteile, sofern sie an Dritte erfolgen, mit qualifizierter Mehrheit von drei Vierteln beschlossen werden müssen. Es ist mit Recht dem klägerseits geforderten Erstrechtschluss entgegengetreten, wonach jeder außergewöhnliche Beschlussgegenstand und damit auch die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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einer solchen qualifizierten Mehrheit bedürfte. Dabei hat das Landgericht mit Recht berücksichtigt, dass die Gesellschaft – gerade auch ausweislich dieser Regelung – als Familiengesellschaft konzipiert war. Insoweit kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass eine Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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in demselben Maß für (qualifiziert) zustimmungsbedürftig erachtet worden ist, wie eine Aufnahme (ggf. familienfremder) Dritter in die Gesellschaft. Vielmehr soll diese Regelung ersichtlich eine der in § 7.1 Abs. 1 Satz 1 GV angesprochenen Ausnahmen von der Legitimation durch (bloße einfache) Mehrheit sein und bestätigt daher umgekehrt, dass die Parteien im Grundsatz auch grundlegende Entscheidungen der Erleichterung des Mehrheitsprinzips unterwerfen wollten, das sie lediglich für den besonderen Fall der Anteilsübertragung an Dritte verschärft haben. Randnummer106

(ee) Dass jedem Gesellschafter nach § 19 GV auch das Recht eingeräumt war, durch Kündigung (frühestens zum 31. Dezember 2010) aus der Gesellschaft auszuscheiden, rechtfertig ebenfalls nicht die Annahme, dass die Parteien die Auflösung von der – nur dem Beklagten zu 2 als Mehrheitsgesellschafter garantierten – Kompetenz eines Mehrheitsbeschlusses ausnehmen wollten (insbesondere für den Zeitraum nach dem genannten Tag). Die Kündigungsregelung eröffnet lediglich eine andere Gestaltungsmöglichkeit mit anderen Rechtsfolgen, die nach dem Vertrag – anders als die Beschlusskompetenz nach § 7.1 GV – jedem der Gesellschafter unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen autonom zusteht. Randnummer107

(d) Eine Beschränkung der auf alle Beschlüsse bezogenen Mehrheitsklausel ist auch nicht nach dem Grundsatz falsa demonstration non nocet festzustellen. Randnummer108

(aa) Zwar geht auch bei der Auslegung des Gesellschaftsvertrags einer Personengesellschaft ein übereinstimmender Wille der an dem Abschluss eines Vertrags beteiligten Parteien dem Vertragswortlaut oder einer anderweitigen Auslegung vor (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 1996 – II ZR 263/94, NJW 1996, 1678, 1679, insoweit nicht abgedruckt bei BGHZ 132, 263; OLG Köln, Urteil vom 14. März 2007 – 6 U 7/06, juris Rn. 46; Oetker/Lieder, 7. Aufl., HGB § 105 Rn. 97). Nach allgemeinen Grundsätzen genügt es dafür, wenn die eine Vertragspartei ihrer Erklärung einen von dem objektiven Erklärungsinhalt abweichenden Inhalt beimisst und die andere dies erkennt und hinnimmt (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. November 2017 – III ZR 407/16, BKR 2018, 117 Rn. 25 mwN; Jauernig/Mansel, BGB 18. Aufl. § 133 Rn. 9). Es kann dahinstehen, ob der Auslegung des (objektiv) erklärten Willens der Vertragsparteien ein abweichender übereinstimmender Wille der am Abschluss des Gesellschaftsvertrags beteiligten Parteien lediglich dann vorgeht, wenn sie ihren übereinstimmenden Willen einander „zu erkennen gegeben“ haben. Von dieser Voraussetzung ist der Bundesgerichtshof offenbar (nicht tragend) im Urteil vom 21. Oktober 2014 (II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 15; vom Landgericht mit zutreffendem Zitat übernommen) ausgegangen, hat zum Beleg dafür aber lediglich auf sein Urteil vom 29. März 1996 (II ZR 263/94, aaO) verwiesen. Dort ist indes lediglich ausgeführt, dass über den (übereinstimmenden) Willen der Parteien als innere Tatsache nur dann Beweis zu erheben ist, wenn auch schlüssig behauptet worden ist, dass die Parteien ihren übereinstimmenden Willen einander zu erkennen gegeben haben. Letztere Aussage betrifft mithin nicht die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der falsa demonstratio, sondern das Beweisrecht. Wie der Bundesgerichtshof (Urteil vom 29. März 1996 – II ZR 263/94, aaO) dementsprechend weiter ausführt, ist nämlich ein Zeuge zum Beweis einer nicht in seiner Person eingetretenen inneren Tatsache nur dann zu vernehmen, wenn die Umstände schlüssig dargelegt sind, aufgrund deren er Kenntnis von der inneren Tatsache erlangt hat. Randnummer109

(bb) Hier ist aber schon eine übereinstimmende Vorstellung aller Parteien (gleich ob zum Ausdruck gebracht oder nicht) dahin, dass die Mehrheitsklausel entgegen ihrem Wortlaut und dem nach dem obigen Auslegungsergebnis objektiv erklärten Willen nicht alle während des Bestehens der Gesellschaft zur Abstimmung stehenden Beschlüsse erfassen sollte, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dasselbe gilt für die mindestens notwendige Erkenntnis des wirklichen Willens durch die jeweils anderen Vertragsparteien. Randnummer110

(2) Auch die mit Beschluss (bb) erfolgte Bestellung der Liquidatorin war bei der gebotenen Auslegung von § 7.1 GV der Mehrheitsentscheidung zugänglich. Randnummer111

(a) Es kann dahinstehen, ob mit dem Landgericht daraus, dass die Auflösung dem Mehrheitsprinzip unterworfen ist, darauf zu schließen ist, dass dies auch die Entscheidung über die Auswahl des Liquidators als vermeintliches „Minus“ zur Auflösung gilt. Sind die Gesellschafter bereit, den Fortbestand der Gesellschaft vom Willen der Mehrheit abhängig zu machen, so lässt dies möglicherweise nicht notwendig auf deren Willen schließen, der Mehrheit auch die Ausübung der Entscheidung zu überlassen, ob allen Gesellschaftern die nach dispositivem Recht vorgesehene Stellung als Liquidatoren verbleibt. Das Interesse am Einfluss auf die Durchführung der Liquidation kann anders ausgeprägt sein, als das Interesse an der Mitbestimmung über die Frage des Fortbestands der Gesellschaft, zumal es bei der Liquidation darum geht, den – vor wie nach der Auflösung – dem Gesellschafter zustehenden wirtschaftlichen Anteil am Gesellschaftsvermögen zu gewährleisten. Randnummer112

(b) Es kann auch offenbleiben, ob die formelle Legitimation auf die (Hilfs-)Erwägung des Landgerichts gestützt werden könnte, dass nach mitunter vertretener Auffassung (MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl. Rn. 14; offen BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, Stand Jan. 2022, § 146 Rn. 8, 13, jeweils mwN zum Meinungsstand) bei einer („personenidentischen“) Kommanditgesellschaft, deren Kommanditisten mit den Gesellschaftern der als Komplementärin beteiligten Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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identisch sind, auch ohne ausdrückliche Vertragsregelung von der Kontinuität auszugehen sein soll, dass die Geschäftsleitung auch in der Liquidation der Komplementärin obliegt. Eine solche Sichtweise dürfte allerdings auf einer Auslegung des Gesellschaftsvertrags beruhen, wonach dieser die Komplementärin zur Liquidatorin bestellt. Da es eines dahingehenden Beschlusses dann nicht mehr bedürfte, ist zweifelhaft, ob sich mit gerade derartigen Erwägungen begründen ließe, dass die Mehrheitsklausel zu einer – dann überflüssigen, allenfalls deklaratorischen – Bestellung der Komplementärin zur Liquidatorin ermächtigen sollte. Die Bedeutung der – auch vom Landgericht zutreffend festgestellten – Abweichung zwischen dem Gesellschafterkreis der Komplementärin und dem Kreis der Kommanditisten bedarf hier keiner Erörterung mehr. Randnummer113

(c) Die vom Landgericht gefundene Auslegung trifft im Ergebnis unabhängig von den vorstehend angesprochenen Gesichtspunkten zu. Dass § 7.1 Abs. 1 GV zur Mehrheitsentscheidung über die Bestellung eines einzelnen Gesellschafters, insbesondere der Komplementärin, zur Liquidatorin ermächtigt, ergibt sich nämlich entsprechend den bereits hinsichtlich der Auflösungskompetenz der Mehrheit dargestellten Gründen. Auch bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine solche, die u.a. durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen kann, mit dem die Liquidation einzelnen Gesellschaftern oder anderen Personen übertragen werden kann (§ 146 Abs. 1 Satz 1 HGB). Insoweit greift das Mehrheitsprinzip nach der vertraglichen Vereinbarung, die sich wie bereits ausgeführt auf alle Beschlüsse einschließlich grundlegender Entscheidungen erstreckt. Besondere Gesichtspunkte, aufgrund derer speziell für die wahl des Liquidators etwas Anderes gelten sollte, sind nicht ersichtlich. Randnummer114

(3) Schließlich erfasst die Mehrheitsklausel auch den Gegenstand des Beschlusses (cc) über die Art und Weise der Auseinandersetzung, der hier die Ausgestaltung der vom Gesetz zur Regel der Auseinandersetzung erhobenen Liquidation modifiziert. Randnummer115

(a) Selbst eine Auseinandersetzung ohne Liquidation, also ohne die in § 149 Satz 1 HGB vorgesehene Versilberung des Gesellschaftsvermögens, kann durch die Gesellschafter beschlossen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2009 – II ZR 210/08, NZG 2009, 778 Rn. 3). Der Gesellschaftsvertrag kann dazu die Mehrheit legitimieren, ohne dass es dafür auf die Wahrung des (aufgegebenen) Bestimmtheitsgrundsatzes ankommt (vgl. MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., HGB § 145 Rn. 46). Dies gilt erst Recht für die formelle Legitimation eines (bloßen) Beschlusses über die Art der Verwertung des Gesellschaftsvermögens (vgl. BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, Stand Jan. 2022, § 145 Rn. 11 mwN), namentlich, wenn mit dem Beschluss – wie hier – lediglich besondere (beschränkende) Regeln für die Versilberung des Vermögens aufgestellt werden. Die Auslegung der umfassenden Klausel in § 7.1 Abs. 1 GV ergibt entsprechend den obigen Erwägungen, dass solche Beschlüsse mit dem Mehrheitsprinzip für „alle Beschlüsse“ eingeschlossen werden sollten. Randnummer116

(b) Nicht entscheidend für die formelle – und auch die materielle – Legitimation ist, welche genaue Wirkung dem Beschluss (cc) für die Durchführung der Liquidation zukommt. Insbesondere kann dahinstehen, ob es sich um eine bereits zwischen den Gesellschaftern wirkende Ausgestaltung (Beschränkung) des Liquidationsverfahrens handelt, die den Rahmen des dispositiven Rechts in § 149 HGB abstrakt modifiziert oder konkretisiert, oder um eine an die Liquidatoren gerichtete Anordnung in betreff der Geschäftsführung im Sinn von § 152 HGB. Randnummer117

Letzterer haben die Liquidatoren nach der Regel in der genannten Vorschrift allerdings nur bei einstimmigem Beschluss der Beteiligten Folge zu leisten. Diese Vorschrift ist nicht zwingendes Recht, so dass der Gesellschaftsvertrag etwas Anderes bestimmen kann (BGH, Urteil vom 13. Juli 1967, II ZR 72/67, BGHZ 48, 251 [juris Rn. 26]). Es kann offen bleiben, ob § 7.1 Abs. 1 GV auch zu entnehmen ist, dass zur Begründung einer Verbindlichkeit von Weisungen an die Liquidatoren das Einstimmigkeitserfordernis abbedungen ist. Denn es steht den Gesellschaftern unabhängig davon frei, ihren Willen betreffend Entscheidungen über Geschäftsführungsmaßnahmen der Liquidatoren durch Beschluss zu äußern. Wird dieser nicht einstimmig, aber mit klarer Mehrheit gefasst, und liegt keine von § 152 HGB abweichende Vereinbarung vor, so fehlt zwar die strikte Bindung, aber die Liquidatoren dürfen bei ihren Entscheidungen das in der Beschlussfassung zum Ausdruck gekommene Meinungsbild berücksichtigen (MünchKommHGB/Schmidt, 4. Aufl., § 152 Rn. 3 mwN). Auch eine mangels Einstimmigkeit nicht verbindliche Weisung kann dem Liquidator zumindest Anlass zu sorgfältiger Erwägung in diesem Punkt geben (siehe zum Verschulden bei Abweichung von einer unverbindlichen Weisung: BGH, Urteil vom 26. Januar 1959 – II ZR 174/57, LM Nr. 2 zu § 149 HGB). Dabei dürfte es naheliegen, dass je weitreichender und je ungewöhnlicher eine ins Auge gefasste Maßnahme ist, umso mehr die Liquidatoren gehalten sind, von sich aus ein Meinungsbild oder sogar einen Konsens der Gesellschafter einzuholen, insbesondere, wenn Eigeninteressen einzelner Gesellschafter den Beschluss tragen (MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., § 152 Rn. 3). All dies ist aber bei der Prüfung der formellen Wirksamkeit der hier angefochtenen Beschlussfassung zu (cc) nicht zu prüfen. Auf der Ebene der materiellen Legitimation könnte es allenfalls für die Wirksamkeit des Beschlusses (cc) sprechen, wenn dessen vermeintlich negative Auswirkungen auf die Minderheit dadurch begrenzt sein sollten, dass diese Vorgabe für die Liquidatoren nicht bindend, sondern allenfalls ermessensleitend wäre. Welche Verbindlichkeit diese Beschlussfassung für die Liquidatorin hat, ist weder Streitgegenstand noch eine entscheidungserhebliche Vorfrage desselben. Randnummer118

(c) Auch hier kommt es unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Anwendbarkeit der Mehrheitsklausel nicht entscheidend darauf an, ob sich aus § 7.1 GV ergibt, dass über Regelungen wie die im Beschluss (cc) auch noch in der Phase nach Auflösung durch die Mehrheit zu entscheiden ist. Denn der Beschluss wurde bereits in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auflösungsentscheidung getroffen (siehe oben). Im Übrigen ergibt aus den bereits ausgeführten Gründen die Auslegung des Gesellschaftsvertrags, dass das Mehrheitsprinzip zeitlich auch für die Meinungsbildung in der Liquidationsgesellschaft gilt. Randnummer119

f) Nur die Beschlüsse (aa) betreffend die Auflösung und (cc) betreffend die Ausgestaltung der Liquidation sind wie vom Landgericht angenommen materiell legitimiert. Die materielle Legitimation des Beschlusses (bb) über die Bestellung der Liquidatorin negiert die Klage hingegen im Ergebnis mit Recht. Insoweit wendet sich die Berufung mit Erfolg gegen die abweichende landgerichtliche Beurteilung. Randnummer120

aa) Auch die Maßstäbe zur Prüfung der materiellen Legitimation hat das Landgericht zutreffend in Einklang mit der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung (dazu Psaroudakis in Heidel/Schall, HGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 11, Goette/Goette, DStR 2016, 74, 77 ff), welcher der Senat folgt, dargestellt. Randnummer121

(1) Bei der inhaltlichen Wirksamkeitsprüfung auf der zweiten Stufe ist zu berücksichtigen, ob trotz Zulassung der betreffenden Mehrheitsentscheidung im Gesellschaftsvertrag ein unzulässiger Eingriff in schlechthin unverzichtbare oder in „relativ unentziehbare“, d.h. in nur mit (gegebenenfalls antizipierter) Zustimmung des einzelnen Gesellschafters oder aus wichtigem Grund entziehbare Mitgliedschaftsrechte vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 – OTTO). Die Entziehung eines relativ unentziehbaren Rechts bedarf einer besonderen Rechtfertigung (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 17). Bei der Prüfung der materiellen Rechtswidrigkeit kommt es abgesehen von unverzichtbaren und schon deshalb unentziehbaren Rechten – unabhängig davon, ob und in welchem Umfang man solche überhaupt anerkennen will – bei solchen Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters, d.h. in seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft, letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar ist, oder ob er dem Eingriff (ggf. antizipiert) zugestimmt hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 17, 19; BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 21 mwN). Fehlt eine – sonst schon für sich genommen zur Rechtfertigung geeignete – (antizipierte) Zustimmung, sind Gebotenheit und Zumutbarkeit im vorstehenden Sinn zur materiellen Rechtfertigung erforderlich, aber auch ausreichend (siehe BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195; Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 22 f; Goette/Goette, DStR 2016, 74, 80; Lieder, WuB 2021, 14, 17 f). Randnummer122

Eine antizipierte Zustimmung des Gesellschafters kann in einer im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Regelung nur erkannt werden, wenn diese hinreichend das Ausmaß und den Umfang einer möglichen zusätzlichen Belastung für den Gesellschafter deutlich werden lässt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 17; Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 22 mwN). An einer solchen ausdrücklichen oder hinreichend bestimmten Erklärung fehlt es in einem Gesellschaftsvertrag, der nur allgemein sämtliche Beschlüsse unter das allgemeine Mehrheitserfordernis stellt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 22). Randnummer123

Fehlt es an einer (antizipierten) Zustimmung des Gesellschafters, muss die Entziehung eines relativ unentziehbaren Rechts aus der Sicht der Gesellschaft geboten sein. Allein dass die Entziehung im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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im Interesse der Gesellschaft
liegt, erfüllt diese Voraussetzung nicht, weil dies nicht bedeutet, dass sie für die Gesellschaft unerlässlich bzw. notwendig und damit geboten ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 24). Randnummer124

(2) Unabhängig davon kommt es insbesondere bei einem Eingriff in ein relativ unentziehbares Recht darauf an, ob die Gesellschaftermehrheit die inhaltlichen Grenzen der ihr erteilten Ermächtigung eingehalten und sich nicht etwa treupflichtwidrig über beachtenswerte Belange der Minderheit hinweggesetzt hat (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 – OTTO). Auch sonst (also jenseits des Bereichs relativ unentziehbarer Rechte) ist allgemein zu beachten, dass eine Stimmrechtsausübung unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung ausschließlich eigennütziger Zwecke wegen des Einsatzes von Mehrheitsmacht zur Erlangung ungerechtfertigter Sondervorteile treuwidrig sein kann, mit der Folge, dass sie inhaltlich unwirksam ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 – OTTO; Urteil vom 15. November 2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 23; Urteil vom 12. April 2016 – II ZR 275/14, NZG 2016, 781 Rn. 23; Urteil vom 11. September 2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rn. 37; Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 Rn. 51). Randnummer125

(3) Bei Maßnahmen, die in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingreifen, ist – bei der Prüfung auf der zweiten Stufe –regelmäßig (lediglich) eine treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht anzunehmen, während in den sonstigen Fällen die Minderheit den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung zu führen hat (BGH, Urteil vom 24. November 2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 17 – Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 12). Abgesehen von den genannten Ausnahmefällen hat mithin derjenige, der behauptet, ein Beschluss stelle sich als treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit dar, die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 – OTTO; Urteil vom 22. September 2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 Rn. 47). Randnummer126

bb) Nach diesen Grundsätzen ergibt sich: Randnummer127

(1) Der Beschluss (aa) zur Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
ist materiell legitimiert. Randnummer128

(a) Ein schlechthin unverzichtbares, also der Disposition der Parteien entzogenes (vgl. MünchKommHGB/Enzinger, 4. Aufl., § 119 Rn. 68 f) Recht des Gesellschafters ist der vom Auflösungsbeschluss betroffene Fortbestand der Gesellschaft und insofern die Stellung als Gesellschafter nicht. Unter die grundsätzlich unentziehbaren Sonderrechte im Sinn von § 35 BGB fallen nur Rechtspositionen, die individuell einem Gesellschafter oder einer Gesellschaftergruppe durch die Satzung eingeräumt und zudem als unentziehbare Rechte ausgestaltet sind, nicht jedoch eine Rechtsstellung, die allgemein mit der Mitgliedschaft verbunden ist (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 12). Dass der Auflösungsbeschluss nicht in solche schlechthin unentziehbaren Rechte eingreift, sondern einem unter Umständen auch materiell wirksamen Mehrheitsbeschluss zugänglich ist, ist anerkannt (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. November 1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35 mwN zur Rspr. des Reichsgerichts; Urteil vom 6. Februar 2018 – II ZR 1/16, NZG 2018, 577 Rn. 20 ff). Randnummer129

(b) Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, ist von der Auflösung auch kein relativ unentziehbares Recht betroffen. Randnummer130

(aa) Auch bei der nach Bejahung der formellen Legitimation des Mehrheitsbeschlusses vorzunehmenden Prüfung der materiellen Wirksamkeit auf der zweiten Stufe stellt der Bundesgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung nicht (mehr) darauf ab, ob ein Eingriff in einen sogenannten „Kernbereich“ gegeben ist. Der Kreis der auch bei Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht ohne weiteres durch Mehrheitsbeschluss entziehbaren Rechte lässt sich nicht abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Struktur der jeweiligen Personengesellschaft und einer etwaigen besonderen Stellung des betroffenen Gesellschafters umschreiben (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 19 mwN). Abgesehen von den wenigen, überhaupt unverzichtbaren und schon deshalb unentziehbaren Rechten (sofern man solche überhaupt anerkennen will; siehe BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rn. 19) müssen dazu grundsätzlich die individuellen, dem Gesellschafter nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag zustehenden wesentlichen Gesellschafterrechte gezählt werden, die seine Stellung in der Gesellschaft maßgeblich prägen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195 mwN). Dies betrifft namentlich Eingriffe in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters, d.h. seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft. Dazu gehören etwa das Stimm-, das Gewinn-, und das Geschäftsführungsrecht, das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195 mwN) sowie das Informationsrecht des Gesellschafters (BGH, aaO). Insbesondere die Einordnung einer im Gesellschaftsvertrag allein der Komplementärin einer Kommanditgesellschaft eingeräumte Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis als relativ unentziehbares Recht hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 16) jüngst bestätigt. Randnummer131

(bb) Die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Auflösung der Gesellschaft
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greift nicht in unentziehbare Rechte der Kläger als Gesellschafter (Kommanditisten) ein. Randnummer132

Dies ist im Grundsatz bei einer Auflösung nicht der Fall. Das mag höchstrichterlich bisher nicht ausdrücklich ausgeführt worden sein. Es kann dahinstehen, ob dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. November 1952 (II ZR 260/51, BGHZ 8, 35 [juris Rn. 11]), wie das Landgericht meint, zu entnehmen ist, dass etwa die (zum vorliegenden Fall umgekehrte) Rückumwandlung einer Abwicklungsgesellschaft in eine werbende Gesellschaft kein relativ unentziehbares Recht betrifft. Die Einordnung der vorliegenden Auflösungsentscheidung ergibt sich zumindest zweifelsfrei aus den der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu entnehmenden Maßstäben. Denn die Auflösung nimmt dem Gesellschafter keine ihm individuell nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag zustehenden wesentlichen Gesellschafterrechte, die seine Stellung in der Gesellschaft maßgeblich prägen. Sie wirkt sich insbesondere nicht auf seine rechtliche und vermögensmäßige Position in der Gesellschaft aus. Vielmehr sind die Auswirkungen einer vom Gesetz vorgesehenen Auflösung solche, die der Stellung des Gesellschafters immanent sind, also gleichsam eine aufschiebend bedingte Ausgestaltung derselben betreffen, und insoweit für alle Gesellschafter gleichermaßen eintreten. Randnummer133

Das Landgericht hat auch (bei der Missbrauchsprüfung) zutreffend ausgeführt, dass es insbesondere nicht gerechtfertigt ist, qualifizierte, § 133 Abs. 1 und Abs. 2 HGB (wichtiger Grund) entsprechende Anforderungen an die materielle Legitimation einer Auflösung deshalb zu knüpfen, weil die Kläger meinen, durch die Auflösung würden sie unter Umgehung dieser nach § 140 HGB für eine Ausschließung erforderlichen Voraussetzung aus der Gesellschaft gedrängt. Die Auflösung ist insofern nicht mit einer Ausschließung einzelner Gesellschafter zu vergleichen (siehe BGH, Urteil vom 28. Januar 1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 [juris Rn. 6]; Urteil vom 1. Februar 1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 [juris Rn. 14]). Randnummer134

(c) Nach alledem bedurfte es zur materiellen Legitimation der mehrheitlich beschlossenen Auflösung trotz fehlender Zustimmung der Kläger keiner besonderen Darlegung der rechtfertigenden Umstände. Wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, trägt vielmehr ein mit hinreichender Mehrheit gefasster Auflösungsbeschluss grundsätzlich seine Rechtfertigung in sich (MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., HGB § 131 Rn. 20; Staub/Schäfer, HGB, 5. Aufl., § 131, Rn. 23; siehe zu Kapitalgesellschaften: BGH, Urteil vom 28. Januar 1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 352 [juris Rn. 6]; Urteil vom 1. Februar 1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 191 f [juris Rn. 13]; Urteil vom 20. März 1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 [juris Rn. 30]). Er ist daher im Allgemeinen als geboten und zumutbar anzusehen, sofern er nicht durch sachwidrige Gründe motiviert ist und insbesondere vorbehaltlich einer missbräuchlichen Stimmrechtsausübung (siehe BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, Stand Jan. 2022, § 131 Rn. 12). Dementsprechend wird der Auflösungsbeschluss auch bei Personengesellschaften regelmäßig keiner Prüfung rechtfertigender Gründe unterzogen, sondern lediglich darauf geprüft, ob besondere Umstände seine materielle Berechtigung (namentlich aufgrund Treuwidrigkeit) widerlegen (siehe beispielsweise BGH, Urteil vom 6. Februar 2018 – II ZR 1/16, NZG 2018, 577 Rn. 20 ff). Solche Umstände sind im Streitfall nicht gegeben. Randnummer135

(aa) Das Landgericht hat zunächst den Umstand berücksichtigt, dass das Verhältnis zwischen den familiär verbundenen Gesellschaftern zerrüttet sei, was – unabhängig von der Schuldfrage – seiner Ansicht nach für eine hohe Schwelle für die Annahme einer treuwidrigen Ausnutzung der Mehrheitsmacht zur Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft
spreche. Es hat sodann ausgeführt, der mit einer Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zwangsläufig einhergehende Verlust der Stellung als Gesellschafter reiche als bloße reflexhafte Folge der Auflösung einer Gesellschaft alleine nicht aus, einen Missbrauch der Mehrheitsmacht zu begründen. Soweit der Beklagte zu 2 den gegen ihn gerichteten rechtshängigen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft durch dessen Erwerb zum Wegfall bringen könnte, habe dies mit dem Auflösungsbeschluss nur mittelbar zu tun und könne durch die anderen Gesellschafter, die selbst mitbieten könnten, verhindert werden; die aufgelöste Gesellschaft bleibe dagegen aktiv und passiv parteifähig, sodass Prozesse bis zur Beendigung der aufgelösten Gesellschaft weiterliefen; eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Minderheitsgesellschafter sei damit nicht verbunden. Auch soweit es ein Motiv unter vielen des Beklagten zu 2 sein möge, die verbliebene ertragreichste Gewerbeimmobilie zu erwerben, habe dies mit dem Auflösungsbeschluss nur mittelbar zu tun; die Verwertung des Gesellschaftsvermögens und damit auch der letzten Immobilie sei gesetzliche Folge einer Auflösung und begründe deshalb mangels weiterer Anhaltspunkte keinen Treuepflichtverstoß der Mehrheit. In eine Gesamtabwägung aller durch die Kläger angeführten Umstände hat das Landgericht ferner (sämtliche hier angegriffenen Beschlüsse betreffend) eingestellt, dass zwar ein möglicher Unrechtsgehalt der Vorbereitungshandlungen dann auch dem Auflösungsbeschluss selbst anhafte, wenn die Stimmrechtsausübung, mit der der Mehrheitsgesellschafter diesen Beschluss durchgesetzt hat, eine unzulässige Verfolgung von Sondervorteilen zum Schaden der Gesellschaft und der Minderheitsgesellschafter darstelle. Im Streitfall gebe das Liquidationsverfahren indes allen Gesellschaftern gleichberechtigt die Möglichkeit, das Gesellschaftsvermögen gerecht untereinander zu verteilen oder jedenfalls am daraus erzielten Erlös später entsprechend ihrer Anteile zu partizipieren. Eine einseitige Verschiebung des Vermögens zugunsten des Mehrheitsgesellschafters zum Schaden der Gesellschaft und der Minderheitsgesellschafter sei nicht ersichtlich. Dass auch die Vorstellung leitend gewesen sein könne, sich weiterer Rechtsstreitigkeiten mit den Minderheitsgesellschaftern zu entledigen oder gewisse Vermögensgegenstände im Liquidationsverfahren zu erwerben, genüge nicht für die Annahme eines treuwidrigen Missbrauchs der Mehrheitsmacht, wenn von einer ernsthaften, dem nunmehr geänderten Gesellschaftszweck entsprechenden Liquidationsabsicht auszugehen sei. Am ernsthaften Willen des Beklagten zu 2 zur Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zweifelten die Kläger jedoch nicht. Randnummer136

(bb) Diesen zutreffenden Erwägungen, auf deren ausführliche Darstellung im angefochtenen Urteil (LGU 20 ff) verwiesen wird, schließt sich der Senat an. Randnummer137

Gegen die zutreffende rechtliche Erwägung des Landgerichts, den durch Streit erschwerten Umgang zwischen den Gesellschaftern bei der der Gesamtwürdigung der für die Frage der Treuwidrigkeit maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen, wendet die Berufung nichts ein. Zu Unrecht tritt die Berufung der tatsächlichen Wertung des Landgerichts entgegen, wonach das Verhältnis zwischen der Minderheitsseite (den Klägern) und dem Beklagten zu 2 als Mehrheitsgesellschafter zerrüttet sei. Diese – im Übrigen durch die Kläger selbst in erster Instanz (Klageschrift, S. 34) und in einem anderen Rechtsstreit (wie aus Anlage B 2.14 bzw. AS I 153 ersichtlich) getroffene – Bewertung hat das Landgericht überzeugend insbesondere auf die mit erheblichem Aufwand geführten Rechtsstreitigkeiten gestützt. Darauf, ob dem Beklagten zu 2 eine Aufrechterhaltung der Gesellschaft schlechterdings unzumutbar ist, kommt es für die Verneinung der Treuwidrigkeit des Auflösungswunschs nicht an. Daher ist es auch nicht von Belang, ob andere Gesellschaften zwischen den Parteien (im Übrigen bei anderen, dem Beklagten zu 2 keine Mehrheitsauflösung ermöglichenden Beteiligungsverhältnissen) fortbestehen und in der Lage sind, ungeachtet des persönlichen Verhältnisses der Parteien ihre Geschäfte funktional zu führen. Soweit die Berufung Neid und Missgunst der Kläger gegenüber dem Beklagten zu 2 in Abrede stellt, kommt es auf diese inneren Gefühle nicht an. Maßgebend ist allein, dass bereits die Tatsache mehrerer umfangreicher und grundlegender rechtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Kindern aus erster Ehe und dem Vater nach der sicheren Überzeugung des Senats eine gedeihliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit als Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft objektiv erheblich erschwert. Randnummer138

Die – bereits in erster Instanz vorgebrachte – Argumentation der Berufung, der Beklagte zu 2 versuche eigennützig, sowohl die verbliebene Immobilie zu einem Wert unterhalb des Verkehrswerts zu erwerben als auch sich des Schadensersatzanspruchs der Gesellschaft zu entziehen, greift aus den vom Landgericht angegebenen Gründen nicht durch. Insoweit gilt in Einklang mit der zutreffenden landgerichtlichen Beurteilung das Folgende: Randnummer139

Ohnehin führt die bloße Auflösung noch nicht dazu, dass der behauptete Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Beklagten zu 2 gerade durch dessen Verkauf (insbesondere Versteigerung) liquidiert werden müsste. Vielmehr haben die Liquidatoren grundsätzlich nach § 149 Satz 1 HGB die Forderungen einzuziehen. Soweit der Schadensersatzanspruch noch ungewiss sein mag, kann dies schon deshalb keine unbilligen Folgen für die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Gesellschafter im Liquidationsfall haben, die es der Mehrheit aufgrund ihrer Treuepflichten gebieten würden, von der Auflösung abzusehen. Dass mit der Auflösung zugleich im Beschluss (cc) ein abweichendes Liquidationsverfahren beschlossen wurde, ändert an dieser Beurteilung nichts. Denn der letztgenannte Beschluss ist unabhängig davon materiell zu prüfen. Wie bereits ausgeführt war der Beklagte zu 2 jedenfalls unabhängig von der weiteren Ausgestaltung der Liquidation entschlossen, die Gesellschaft mit seiner Stimmenmehrheit aufzulösen. Unter diesen Umständen genügt es für die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens auch nicht, wenn bei der Stimmrechtsausübung der Mehrheit unter anderem die Vorstellung leitend gewesen ist, die Auflösung bringe – neben der ernsthaft beabsichtigten Auseinandersetzung der Gesellschaft – auch noch weitere, nur mittelbar daran geknüpfte rechtlichen Vorteile (siehe auch BGH, Urteil vom 6. Februar 2018 – II ZR 1/16, NZG 2018, 577 Rn. 21 f). Randnummer140

Die Stimmrechtsausübung zur Auflösung einer Gesellschaft ist im Allgemeinen auch nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn sie von der Absicht getragen ist, wesentliche Teile des Unternehmens der Gesellschaft zu erwerben. Dieselbe rechtliche Möglichkeit eröffnet die Auflösung auch den Minderheitsgesellschaftern. Wie das Landgericht in anderem Zusammenhang (bei der Prüfung des Beschlusses (cc)) ausgeführt hat, vermag selbst der Umstand, dass ein die Auflösung betreibender Gesellschafter eher als der andere wirtschaftlich in der Lage ist, das Betriebsvermögen aus der Liquidationsmasse anzukaufen und zu verwerten, seine Stimmrechtsausübung im Allgemeinen noch nicht zu einer sittenwidrigen oder treuwidrigen Ausnutzung der Mehrheitsmacht zu stempeln (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 [juris Rn. 7 ff]; Urteil vom 1. Februar 1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 [juris Rn. 14]; BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, Stand Jan. 2022, § 131 Rn. 12). Im Übrigen spricht hier nichts gegen die wirtschaftliche Fähigkeit der Kläger, allein oder zumindest gemeinsam Gebote auf die Vermögensgegenstände abzugeben und ggf. deren Finanzierung darzustellen, die ihnen einen wertensprechenden Erwerb ermöglichen (oder einen entsprechenden Liquidationserlös im Fall eines besseren Gebots des Beklagten zu 2 sichern). Vielmehr ist die dafür notwendige Solvenz der Kläger unstreitig gegeben. Randnummer141

Das Landgericht hat berücksichtigt, dass die Stimmrechtsausübung eines Gesellschafters zur Auflösung treuwidrig sein kann, wenn dieser den Auflösungsbeschluss mit einem Verhalten vorbereitet hat, mit dem er entgegen seiner Treuepflicht bereits einer Liquidation unerlaubt in einer Weise vorgegriffen hat, die ihm einen Erwerb ermöglicht, etwa indem er das Gesellschaftsunternehmen so ausgehöhlt hat, dass dafür kein angemessener Liquidationserlös (insbesondere hinsichtlich des Unternehmenswerts im Ganzen) an die Gesellschafter fließt (siehe BGH, Urteil vom 28. Januar 1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 [juris Rn. 11 ff]); entsprechendes gilt, wenn der Mehrheitsgesellschafter vorab tatsächliche Grundlagen zur Absicherung des Erwerbs von noch vorhandenen und nach Auflösung zu liquidierenden Vermögensgegenständen geschaffen hat, welche die Chance weiterer Gesellschafter zu deren Erwerb beeinträchtigt (siehe BGH, Urteil vom 1. Februar 1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 [juris Rn. 17]; BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, Stand Jan. 2022, § 131 Rn. 12). Ein solcher Fall liegt aber aus den vom Landgericht angegebenen Gründen nicht vor. Das gilt unabhängig davon, ob der Beklagte zu 2 mit den vorangegangenen Grundstücksveräußerungen gegen seine Pflichten als Geschäftsführer der Komplementärin verstoßen hatte. Unabhängig von der Auflösung stehen der Gesellschaft, auch noch in Liquidation, gegebenenfalls Ansprüche zur Kompensation dafür zu. Ihre Lage wäre insoweit auch ohne die Auflösung nicht günstiger. Dass der Liquidationswert ohne vorangegangene Veräußerungen einzelner Grundstücke höher wäre als der Wert, der sich aus einem (angemessenen) Erlös dieser Veräußerungen und der anschließenden Veräußerung des letzten Grundstücks ergeben wird, ist im Übrigen nicht zu erkennen. Insbesondere, dass der Zusammenhalt der drei Grundstücke einen zusätzlichen Unternehmenswert begründet und die Auflösung dem Beklagten zu 2 den Sondervorteil bringen würde, sich diesen ohne Gegenleistung einzuverleiben, kann nicht angenommen werden. Zudem ist nicht zu erkennen, dass bereits die vorangegangenen Grundstückskäufe zur Vorbereitung der nunmehr – mehr als vier Jahre später – beschlossenen Auflösung dienten. Vielmehr stellt sich letztere als autonome und nicht treuwidrige Entscheidung des Beklagten zu 2 dar, die Gesellschaft nunmehr zu beenden. Dabei hat die Mehrheit auch die Chance der Minderheitsgesellschafter, im Auflösungszeitpunkt vorhandene Vermögensgegenstände zu erwerben, nicht beeinträchtigt. Insbesondere die Beschlüsse (bb) und (cc) hindern die Kläger nicht an der Abgabe dazu genügender Gebote. Randnummer142

Die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ist nicht deshalb treuwidrig, weil dem Beklagten zu 2 für eine Lösung der gesellschaftlichen Verbindung zu den Klägern auch die Möglichkeit zustand, durch eine Kündigung der Gesellschaft (allein) aus dieser auszuscheiden (§ 19 GV). Denn hierdurch wäre ein Abfindungsanspruch entstanden, dessen Bemessung weiteren Streit befürchten ließ und der zudem in fünf Jahresraten fällig geworden wäre. Es ist daher keine missbräuchliche Benachteiligung der Minderheitsgesellschafter, wenn der Beklagte zu 2 sich mit seiner Stimmenmehrheit für eine Liquidation der Gesellschaft entscheidet, die eine kurzfristige und anteilsgemäße Verteilung des liquidierten Werts des Gesellschaftsvermögens erwarten lässt. Dass die Auflösung zur Liquidation und damit einer Aufdeckung etwaiger stiller Reserven und entsprechenden Steuerlasten führt, genügt ebenfalls nicht, um den Mehrheitsgesellschafter aus Gründen der Treuepflicht dazu zu verpflichten, sich der Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zu enthalten und mit einer Kündigung zu begnügen. Randnummer143

(2) Der Beschluss (bb) zur Bestellung der Liquidatorin ist hingegen – anders als vom Landgericht angenommen – nicht materiell legitimiert. Randnummer144

(a) Dieser Beschluss ist nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil er nur eine schon nach dem Gesellschaftsvertrag angeordnete Rollenverteilung in der Liquidation (deklaratorisch) bestätigen würde. Randnummer145

(aa) Allerdings mag die materielle Legitimation eines Mehrheitsbeschlusses insbesondere dann ohne weiteres anzunehmen sein, wenn dieser eine bereits zuvor verbindliche Regelung lediglich bestätigt, was insbesondere eine Treupflichtwidrigkeit ausschließt (siehe BGH, Urteil vom 11. September 2018 – II ZR 307/16, NZG 2018, 1226 Rn. 37). Randnummer146

(bb) Ein solche bloße Bestätigung liegt in dem Beschluss (bb) indes nicht. Randnummer147

Die nach Auflösung der Kommanditgesellschaft gesetzlich berufenen Liquidatoren sind nach § 146 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB sämtliche Gesellschafter, also auch die Kommanditisten, sofern nicht durch Beschluss der Gesellschafter oder durch den Gesellschaftsvertrag die Liquidation nur einzelnen Gesellschaftern oder einem Dritten übertragen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1982 – V ZR 188/79, ZIP 1982, 1318, 1319 mwN). Das gilt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut grundsätzlich auch, wenn die alleinige Komplementärin eine Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ist (MünchKommHGB/Schmidt, 4. Aufl., § 146 Rn. 14 mwN), zumindest sofern die Kommanditgesellschaft keine kapitalistisch strukturierte Publikumsgesellschaft ist (siehe BGH, Urteil vom 2. Juni 2003 – II ZR 102/02, BGHZ 155, 121 [juris Rn. 6]). Randnummer148

Eine im Gesellschaftsvertrag nicht gerade (auch) für die Liquidation getroffene Regelung über die Geschäftsführung und Vertretung hat im Zweifel keine Wirkung für die Phase der Liquidation (vgl. Staub/Habersack, HGB, 5. Aufl., § 146, Rn. 8; Klöhn in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., HGB § 146 Rn. 2; Hillmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl., HGB § 146 Rn. 2; siehe auch BGH, Urteil vom 27. Oktober 2008 – II ZR 255/07, NZG 2009, 72 Rn. 8 ff). Davon ist auch bei der vorliegenden Regelung in § 5.1 GV mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auszugehen. Randnummer149

Zwar wird verbreitet die Ansicht vertreten, eine („personenidentische“) Kommanditgesellschaft, deren Kommanditisten also auch die Gesellschafter der als Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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verfassten Komplementärgesellschaft sind („typische GmbH & Co KG“), werde zur Kontinuität der Geschäftsleitung nach dem Vorbild in § 66 GmbHG auch in der Liquidation selbst ohne ausdrückliche Vertragsregelung durch ihre organschaftlich vertretene Komplementärgesellschaft vertreten (MünchKommHGB/Schmidt, 4. Aufl., § 146 Rn. 14; Staub/Habersack, HGB, 5. Aufl., § 146, Rn. 13; BeckOK-HGB/Lehmann-Richter, Stand Jan. 2022, § 146 Rn. 8, jeweils mwN auch zur Gegenansicht; aA etwa OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1988, 807; OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, NJW-RR 1997, 32; siehe auch OLG Düsseldorf, NZG 2016, 584, 585). Dieser Ansicht hat sich auch das Landgericht offenbar zumindest abstrakt – allerdings letztlich nicht tragend – angeschlossen. Ob diese Auffassung zutrifft, die in der Sache einer Auslegungsregel betreffend eine stillschweigende Bestellung der Liquidatorin im Gesellschaftsvertrag entspricht, kann dahinstehen. Für eine im Zweifel dahingehende Einigung der Gesellschafter mag deren Erwartung sprechen, dass schon aufgrund der Beteiligung an der Komplementärin als Liquidatorin der Einfluss jedes Gesellschafters gewahrt ist. Randnummer150

Es ist aber – mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch hier – nicht anzunehmen, dass die Kommanditisten der Gesellschaft sich bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags einer Liquidation durch die – wenngleich seinerzeit noch „personenidentisch“ besetzte – Komplementärin auch für den Fall unterwerfen wollten, dass der Kreis der Gesellschafter der Komplementärin bei Auflösung nicht mehr mit dem der Kommanditisten übereinstimmt. Eine solche Personenidentität bestand hier bei Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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nicht (mehr). Gegenteiliges hat entgegen der Rüge der Berufung auch das Landgericht in seiner knappen und letztlich abstrakt bleibenden Hilfserwägung nicht angenommen. Es hat vielmehr schon im Tatbestand festgestellt, dass der Beklagte zu 2 seine Anteile an der Beklagten 1 auf seine Tochter [B] übertragen hatte. Die dementsprechend abweichenden Beteiligungsverhältnisse hat das Landgericht (LGU 2 f) so festgestellt, wie sie auch die Berufung anführt. Mithin ist lediglich zu erwägen, ob die Verhältnisse der einer personenidentischen Gesellschaft noch angenähert waren, indem sie von besonderer Nähe oder Abhängigkeit der an der Komplementärin beteiligten [B] gegenüber dem Beklagten zu 2 geprägt gewesen wären. Soweit das Landgericht möglicherweise aus solchen Überlegungen die Abweichung im Gesellschafterbestand für rechtlich nicht relevant gehalten haben sollte, könnte dem indes im Ergebnis nicht gefolgt werden. Eine hinreichende Annäherung an eine personenidentische Gesellschafterstruktur ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass [B] die (bei Auflösung minderjährige) Tochter des Beklagten zu 2 ist. Ein gewisser, aber weder rechtlich noch tatsächlich verbindlicher Einfluss des Beklagten zu 2 auf die Nachfolgerin seiner Beteiligung an der Komplementärin genügt nicht für die Annahme, die Gesellschafter dürften faktisch weiter den Beklagten zu 2 als Gesellschafter der Komplementärin ansehen. Dem steht insbesondere entgegen, dass der Einfluss des Beklagten zu 2 dadurch beschränkt ist, dass er die Vertretung seines Kindes bis zur Volljährigkeit gemeinschaftlich mit der Mutter ausgeübt hat (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB), und dass er dabei nicht seine eigenen, sondern die interessen des Kindes wahrzunehmen hatte. Der im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck gekommene Wille der Gesellschafter gibt keinen Anlass zu der Annahme, diese hätten sich der alleinigen Liquidation durch die Komplementärin auch für den Fall unterwerfen wollen, dass deren Mitgliederbestand sich abweichend zusammensetzt, insbesondere eine weitere Person (hier [B]) umfasst. Schon während der werbenden Tätigkeit wollten die Gesellschafter zudem insbesondere für Geschäfte außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs die Geschäftsführungsbefugnisse nicht etwa im Interesse effizienter Ausführung uneingeschränkt der Komplementärin überlassen, wie sich in § 5 GV zeigt, wonach derartige Geschäftsführungshandlungen der Zustimmung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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bedürfen. Erst recht fehlt es danach hier an hinreichenden Anhaltspunkten, um anzunehmen, die Gesellschafter würden die Liquidation, bei der typischerweise grundlegende Verfügungen zu treffen sind, ohne dass es dabei in derselben Weise wie während der werbenden Tätigkeit auf eine effiziente und flexible Geschäftsführung ankäme, allein einer nicht personenidentisch besetzten Komplementärin überlassen haben. Randnummer151

(b) Ein schlechthin unverzichtbares Recht des Gesellschafters ist auch vom Beschluss (bb) über die Bestellung der Liquidatorin nicht betroffen. Wie die Geschäftsführungs- und Vertretungsberechtigung kein grundsätzlich unentziehbares Sonderrecht im Sinn des § 35 BGB ist (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 12), so ist auch die mit der Vertretungsbefugnis (§ 149 Satz 2 HGB) verbundene Stellung eines jeden Gesellschafters als Liquidator, die abdingbar ist (§ 146 Abs. 1 Satz 1 HGB) nicht unverzichtbar (siehe BGH, Urteil vom 17. September 2013 – II ZR 68/11, NZG 2014, 302 Rn. 39). Randnummer152

(c) Die Bestellung der Beklagten zu 1 als alleinigen Liquidatorin ist aber wegen eines Eingriffs in die relativ unentziehbaren Rechte der Kläger, die dem nicht zugestimmt haben, materiell unwirksam, weil sie zumindest nicht geboten war. Randnummer153

(aa) Da eine antizipierte Zustimmung der Kläger dazu, im Fall der Auflösung ihrer im Gesetz vorgesehenen Stellung als Liquidatoren enthoben zu sein, nicht vorliegt, hängt die materiellen Rechtfertigung der zu (bb) beschlossenen Bestellung der Beklagten zu 1 zur alleinigen Liquidatorin davon ab, ob sie im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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geboten und den Kommanditisten, insbesondere den Klägern, zumutbar war, weil sie ein relativ unentziehbares Recht der übrigen Gesellschafter betrifft. Randnummer154

(aaa) Das Landgericht hat sich mit der Frage, ob ein solches Recht betroffen ist, nur übergreifend für sämtliche hier angefochtenen Beschlüsse befasst. Dabei hat es dies konkret nur für den Fortbestand der vom Auflösungsbeschluss (aa) betroffenen Mitgliedschaft (in der werbenden Gesellschaft) und wohl auch für die damit verbundene Entscheidung über die Art der Auseinandersetzung verneint. Diese Beurteilung macht es allerdings nicht entbehrlich, zur Bestimmung des materiellen Prüfungsmaßstabs zum Beschluss (bb) auch die davon betroffene (potentielle) Stellung jedes Kommanditisten als Liquidator auf ihre relative Unentziehbarkeit zu untersuchen. Ein Erstrechtschluss dahin, dass (wie schon die Auflösungsentscheidung) auch Letzterer kein relativ unentziehbares Recht betrifft, wäre nicht berechtigt. Die Entscheidung über die Auswahl des Liquidators ist insoweit entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht etwa als Ausgestaltung der Liquidation ein „Minus“ zur Auflösungsentscheidung. Dass es einen der Stellung als Gesellschafter von vorneherein immanenten Vorbehalt gibt, dass diese mit der Auflösung endet, ohne dass dies die individuelle Teilhabe des Gesellschafters betrifft, besagt noch nichts darüber, ob die wiederum als Folge der Auflösung entstehenden Rechte des Gesellschafters während der Liquidation relativ unentziehbar und insoweit durch den hier zu prüfenden Beschluss (bb) beschränkt sind. Randnummer155

(bbb) Letzteres ist der Fall. Randnummer156

Die Bestellung eines Gesellschafters zum ausschließlichen Liquidator lässt nicht etwa deshalb relativ unentziehbare Rechtspositionen der übrigen Gesellschafter unberührt, weil der damit einhergehende Ausschluss der sonst vom Gesetz vorgesehenen Liquidatorenstellung lediglich ein Reflex wäre. Allerdings legen die Ausführungen in dem von der Berufungserwiderung angeführten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. September 2013 (II ZR 68/11, NZG 2014, 302 Rn. 39) auf den ersten Blick nahe, dass die mangels abweichender Regelung der Gesellschafter eintretende Liquidatorenstellung eines jeden Gesellschafters kein relativ unentziehbares Recht sei. Denn dort wird bei der materiellen Prüfung einer durch Mehrheitsentscheid beschlossenen, von § 730 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB abweichenden Liquidatorenbestellung lediglich eine treuwidrige Ausübung einer Mehrheitsmacht geprüft und ausgeführt, diese alle Gesellschafter gleichermaßen betreffende Maßnahme habe dem Umstand Rechnung getragen, dass in einer Publikumsgesellschaft die Liquidation bei gemeinschaftlicher Geschäftsführung aller Gesellschafter nicht sachgerecht betrieben werden könne. Eine ausdrückliche Prüfung der Gebotenheit aus Sicht der Gesellschaft, wie sie bei einem Eingriff in ein relativ unentziehbares Recht ohne (antizipierte) Zustimmung des Gesellschafters erforderlich wäre, ist darin nicht zu erkennen, zumal dafür ein berechtigtes Interesse der Gesellschaft nicht genügt, sondern Voraussetzung wäre, dass die Entziehung unerlässlich bzw. notwendig ist (siehe dazu BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 24). Letztlich ist der Entscheidung aber kein Präjudiz dafür zu entnehmen, weil sie sich nicht dazu äußert, ob ein (ggf. gerechtfertigter) Eingriff in ein relativ unentziehbares Recht vorliegt. Sie mag auch auf der Einschätzung beruhen, dass in dem – hier nicht vorliegenden – besonderen Fall einer Publikumsgesellschaft die (potentielle) Liquidatorenstellung jedes Gesellschafters nicht diese Qualität besitzt oder ihr Ausschluss regelmäßig für die (sachgerechte) Liquidation unerlässlich ist. Randnummer157

Zu beachten sind vielmehr die Erwägungen, die der Bundesgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung (Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384) betreffend die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters angestellt hat. Grundsätzlich kann durch den Gesellschaftsvertrag der Entzug der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis auch ohne wichtigen Grund vorgesehen werden (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2020 – II ZR 359/18, NZG 2020, 1384 Rn. 19 mwN). Insbesondere bei der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines nach dem Gesellschaftsvertrag zur alleinigen Geschäftsführung und Vertretung berechtigten persönlich haftenden Gesellschafters handelt es sich allerdings um ein relativ unentziehbares Recht (vgl. BGH, aaO Rn. 1, 16, 25). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dann, wenn in einem solchen Fall der Gesellschaftsvertrag nur vorsieht, dass alle Beschlüsse der Gesellschafterversammlung in allen Angelegenheiten mit einfacher Mehrheit gefasst werden, während er eine (besondere) Regelung des Entzugs der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis ohne wichtigen Grund nicht enthält, eine (grundsätzlich zulässige) nachträgliche Einführung einer solchen Regelung sich daran messen lassen muss, dass mit ihr in ein relativ unentziehbares Recht eingegriffen wird (vgl. BGH, aaO Rn. 1, 19, 25). Fehlt es an einer (in einer allgemeinen Mehrheitsklausel nicht zu erkennenden) hinreichend deutlichen Regelung im Gesellschaftsvertrag, die für eine antizipierte Zustimmung erforderlich wäre, hängt die Wirksamkeit eines solchen Eingriffs daher insbesondere davon ab, ob er aus Sicht der Gesellschaft geboten ist (vgl. BGH, aaO Rn. 22, 24). Randnummer158

Diese – in der im Nachgang zur Berufungsverhandlung eingereichten Stellungnahme der Beklagten zu 1 nicht berücksichtigten – Erwägungen lassen sich auf die Entziehung der einem Gesellschafter zugewiesenen Stellung als Liquidator übertragen und gelten insoweit sogar erst recht. Dabei ist zu beachten, dass gerade im Stadium der Abwicklung einer Gesellschaft Entscheidungen von erheblicher Tragweite zu treffen sein werden. Die Mitwirkung hieran ist von elementarer Bedeutung für den einzelnen Gesellschafter (OLG Naumburg, NZG 2012, 1259, 1260). Zudem ändert sich durch die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der Gesellschaftszweck dahin, dass für die Gesellschafter nicht mehr – wie bei der werbenden Gesellschaft – die jederzeitige Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Vordergrund stehen muss und insbesondere dem Schutz der Gesellschafter höhere Bedeutung zukommen kann (siehe zu § 68 Abs. 1 Satz 2 GmbHG: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2008 – II ZR 255/07, NZG 2009, 72 Rn. 12). Hierbei können – in besonderem Maß – Interessenkollisionen auftreten (vgl. BeckOK-BGB/Schöne, Stand Feb. 2022, BGB § 730 Rn. 23 mwN). Gerade aus solchen Gründen legt das Gesetz die Liquidation nicht in die Hände eines einzelnen Gesellschafters, dessen Interesse bei der Auseinandersetzung nicht mehr – wie noch während Bestehens der Gesellschaft typischerweise – gemäß dem Gesellschaftszweck den interessen der übrigen Gesellschafter parallel läuft, sondern es überlässt die Durchführung der Liquidation grundsätzlich auch dann sämtlichen Gesellschaftern gemeinsam, wenn bis zum Beginn der Liquidation nach dem Gesellschaftsvertrag einem einzelnen Gesellschafter die Befugnis zur Geschäftsführung zustand (siehe zu § 730 Abs. 2 Satz 2 BGB: RG, Urteil vom 23. Oktober 1920, RGZ 100, 165, 166; BGH, Urteil vom 27. Oktober 2008 – II ZR 255/07, NZG 2009, 72 Rn. 8 ff). Die besondere Bedeutung dieser Rechtsposition zeigt sich insbesondere in den gesetzlichen Bestimmungen zur Kommanditgesellschaft, wonach den Kommanditisten erstmals mit der Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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überhaupt Befugnisse eingeräumt werden, die ihnen in der werbenden Gesellschaft sowohl für die Geschäftsführung (§ 164 Satz 1 HGB) als auch für die Vertretung (§ 170 HGB) verwehrt sind. Randnummer159

Der Annahme eines relativ unentziehbaren Rechts zur Mitwirkung an der Liquidation steht insoweit auch nicht entgegen, dass hier – anders als betreffend die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis im vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 13. Oktober 2020 (II ZR 359/18, NZG 2020, 1384) entschiedenen Fall – keine Stellung widerrufen wird, die einem bestimmten Gesellschafter (namentlich den Klägern) zuvor gesellschaftsvertraglich zugewiesen worden wäre. Die zuvor geschilderte Bedeutung der – mangels abweichender Bestimmung – durch Gesetz im Zweifel allen Gesellschaftern zugewiesenen Beteiligung an der Geschäftsführung zur Liquidation hängt nicht davon ab, dass sie zuvor vertraglich zugesichert worden ist. Dass die Parteien von einer dahingehenden Regelung – zumal wegen des dispositiven Rechts in § 146 HGB entbehrlich – abgesehen haben, mindert das Schutzbedürfnis nicht. Hier liegt auch keine Publikumsgesellschaft vor, so dass nicht der Frage nachgegangen werden muss, ob dann hinsichtlich der Unentziehbarkeit etwas Anderes gelten würde oder von der Gebotenheit ohne Weiteres auszugehen wäre. Randnummer160

Die Beklagte zu 1 meint im Nachgang zur mündlichen Verhandlung über die Berufung, eine Gebotenheit der Bestellung eines der Gesellschafter zum alleinigen Liquidator könne in Anbetracht dessen nicht verlangt werden, dass § 146 Abs. 1 HGB diese Möglichkeit ausdrücklich eröffnet. Dies besagt aber nichts für die hier maßgebliche Frage, unter welchen (materiellen) Voraussetzungen von dieser Möglichkeit gerade durch bloßen Mehrheitsbeschluss wirksam Gebrauch gemacht werden kann. Randnummer161

(bb) Von den nach alledem zur materiellen Legitimation positiv festzustellenden Voraussetzungen fehlt es zumindest an der Gebotenheit im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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. Der Ausschluss der Kläger von der Liquidatorenstellung zu Gunsten der alleinigen Bestellung der Beklagten zu 1 war nicht für die Gesellschaft unerlässlich bzw. notwendig. Ob er unter Berücksichtigung schutzwürdiger Belange der Kläger zumutbar ist, kann daher dahinstehen. Randnummer162

Soweit die Beklagte zu 1 darauf verweist, dass die Gesellschafter unversöhnlich verstritten seien, genügt dies nicht, um die Bestellung gerade der Beklagten zu 1 zur alleinigen Liquidatorin mit der Begründung für geboten (und zumutbar) zu erachten, dass damit vermieden werde, dass sämtliche Gesellschafter für die Liquidation verantwortlich würden. Die vom Landgericht lediglich zur Verneinung eines Missbrauchs – insoweit zutreffend – angestellte Erwägung, dass die Übertragung der alleinigen Liquidatorenstellung auf die bisher geschäftsführende Gesellschafterin aus Sicht der Gesellschaft und der bestmöglichen Verwertung deren Vermögens Sinn habe, genügt dafür ebenfalls nicht. Soweit das Landgericht – ebenfalls lediglich zur Verneinung der Treuwidrigkeit – darauf abgestellt hat, dass durch das Pflichten- und Haftungsregime und die interne Geschäftsverteilung unter den Geschäftsführern der gewählten Liquidatorin die interessen der Minderheitsgesellschafter hinreichend gewahrt seien, könnte dies allenfalls die Zumutbarkeit der Entziehung der Liquidatorenstellung begründen, nicht aber die Notwendigkeit dieser Maßnahme. Randnummer163

Der Beklagte zu 2 hat im Übrigen in erster Instanz (Klageerwiderung, S. 90 = AS II 190) selbst aufgezeigt, dass die Bestellung der Beklagten zu 1 zur alleinigen Liquidatorin nicht im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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unerlässlich oder notwendig war. Er hat dort selbst darauf hingewiesen, dass sinnvolle und sachgerechte Alternativen in Betracht gekommen wären wie z.B. die Bestellung eines Dritten. Soweit er einen dahingehenden Gegenvorschlag der Kläger vermisst, wäre es dem Beklagten zu 2 selbst möglich gewesen, derartige Vorschläge zu unterbreiten und mit seiner Stimmenmehrheit durchzusetzen, die eine gleichzeitig effektive (weil in einer Hand liegende), in höherem Maß eine ausschließlich von sachlichen Überlegungen ausgehende Zuständigkeit für die Liquidation begründet und der Gefahr vorgebeugt hätte, dass die Tochter aus zweiter Ehe veranlasst wird, in den Streitverhältnissen zwischen Vater und Halbgeschwistern im Rahmen der Liquidation Stellung beziehen zu müssen. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht des Beklagten zu 2 stehen der Bestellung eines „neutralen“ Liquidators auch nicht die komplizierten, durch zahlreiche Streitigkeiten geprägten Verhältnisse der Kommanditisten untereinander entgegen. Für eine wirtschaftliche Versilberung der Vermögensgegenstände und Einziehung der Forderungen bedarf es keiner vertieften Kenntnisse dieser Hintergründe der Verhältnisse der Gesellschafter. Die zur Fortsetzung des Schadensersatzprozesses gegen den Beklagten zu 2 gerichteten Informationen könnte ein bisher unbeteiligter Dritter sich bei den Klägern und den Beklagten beschaffen. Es ist jedenfalls nicht im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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unerlässlich, von der Einschaltung eines Außenstehen als Liquidator abzusehen. Randnummer164

(d) Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, ob die Maßnahme der Liquidatorenbestellung (auch) unter dem Gesichtspunkt eines treuwidrigen Missbrauchs der Mehrheitsmacht einer materiellen Legitimation entbehrt. Eine solche Treuwidrigkeit hat das Landgericht allerdings mit Recht verneint. Auf dessen diesbezügliche Ausführungen wird verwiesen. Randnummer165

(3) Der Beschluss (cc) über die Modalitäten der zur Liquidation erforderlichen Verwertung der Vermögensgegenstände ist materiell von der Entscheidungsbefugnis der Mehrheit gedeckt. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingereichte Stellungnahme der Kläger gibt dabei Anlass zu dem Hinweis, dass der Senat in der Sitzung keine gegenteilige vorläufige Rechtsauffassung geäußert, sondern die Frage als offen dargestellt und lediglich mögliche Bedenken gegen die materielle Legitimation mit den Parteien erörtert hat. Randnummer166

(a) Auch dieser Beschluss beeinträchtigt kein schlechthin unverzichtbares Gesellschafterrecht des Gesellschafters. Ein unentziehbares Recht auf eine bestimmte Art der Auseinandersetzung besteht nicht, zumal selbst die Liquidation als der gesetzliche Regelfall zur Disposition der Gesellschafter steht (§ 145 HGB), mithin erst Recht die Art der Verwertung im Rahmen der Liquidation. Randnummer167

(b) Die (stillschweigende) Annahme des Landgerichts, dass – ebenso wie die Auflösung (Beschluss (aa)) – auch keiner der weiteren angefochtenen Beschlüsse ein relativ unentziehbares Recht betrifft und daher die Stimmrechtsausübung materiell nur auf ihre Treuwidrigkeit zu prüfen ist, trifft hinsichtlich des Beschlusses (cc) zu. Gegenteiliges macht auch die Berufung nicht geltend. Wie das Landgericht zutreffend angeführt hat, wird zwar u.a. das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös der individuellen rechtlichen und vermögensmäßigen Rechtsstellung des Gesellschafters zugerechnet, in die ohne dessen (antizipierte) Zustimmung nur mit besonderer Rechtfertigung eingegriffen werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195). Entscheidungen darüber, auf welche Weise das Vermögen versilbert wird, können aber allenfalls die Höhe des Liquidationserlöses beeinträchtigen, so wie schon vor der Auflösung jede Maßnahme der Geschäftsführung sich auf den wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft auswirken kann. Das Recht des Gesellschafters an der Beteiligung am Liquidationserlös bleibt davon unberührt. Randnummer168

(c) Die mithin maßgebliche Frage, ob es aufgrund treuwidriger Ausübung der Mehrheitsmacht an der materiellen Legitimation fehlt, hat das Landgericht zutreffend verneint. Randnummer169

(aa) Das Landgericht hat ausgeführt, dafür genügten nicht die gesetzlich vorgesehenen Liquidationswirkungen, zu denen im Grundsatz auch die – hier im Weg der Versteigerung angedachte – Veräußerung des Unternehmens an einzelne Gesellschafter gehöre. Die Bedenken der Kläger gegen die Unwägbarkeiten des Versteigerungsverfahrens griffen nicht durch. Sei es nach dem Klagevorbringen Ziel der Gesellschaft gewesen, das insbesondere in den drei Grundstücken verkörperte Vermögen im Familienbesitz zu behalten, so könne es nicht treuwidrig sein, ein Zerfallen des Familienbesitzes durch die die Versteigerung allein unter den Familienangehörigen zu verhindern zu suchen. Dass die mehr als werthaltigen Grundstücke zu Schleuderpreisen veräußert würden, sei mit Blick auf die sehr gute Solvenz sämtlicher Bieter und deren gemeinsame, auch von Neid und Missgunst geprägte Geschichte nicht zu erwarten, spiele aber auch wegen der Verpflichtung der – für Pflichtverletzungen haftenden – Liquidatoren zur Bewerkstelligung möglichst hoher Erlöse keine Rolle. Der Umstand, dass ein die Auflösung betreibender Gesellschafter eher als der andere wirtschaftlich in der Lage sei, die allen Gesellschaftern eröffnete Chance zu nutzen, das Betriebsvermögen aus der Liquidationsmasse anzukaufen und zu verwerten, mache seine Stimmrechtsausübung im allgemeinen noch nicht sitten- oder treuwidrig. Warum nicht auch die Beklagte zu 1 als Gesellschafterin berechtigt sein solle, im Versteigerungsverfahren mitzubieten, erhelle nicht. Randnummer170

(bb) Diese im Wesentlichen zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat nach Maßgabe der folgendem Ausführungen anschließt, greift die Berufung ohne Erfolg an. Randnummer171

(aaa) Was namentlich das Immobilienvermögen der Gesellschaft angeht, ist die Versteigerung des Unternehmens oder – wie hier – seiner wesentlichen Grundlagen unter den Gesellschaftern zwar nur eine von mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen, um die in Ermangelung anderer Auseinandersetzungsvereinbarungen gesetzlich vorgesehene Umsetzung des Vermögens in Geld (§ 149 Satz 1 HGB) zu erreichen. Dies macht sie noch nicht zu einer im Fall der Liquidation stets hinzunehmenden Folge, die Teil der „gesetzlich vorgesehene Liquidationswirkungen“ wäre. Für die Beurteilung des Missbrauchsvorwurfs kommt es vielmehr darauf an, ob es treuwidrig ist, gerade diese – nicht zwingende – Art der Liquidation unter den vielen dazu in Betracht kommenden Möglichkeiten zu wählen. Insofern spricht aber gegen die Treuwidrigkeit bereits, dass eine Einzelversteigerung der Vermögensgegenstände (dazu etwa Staub/Habersack, HGB, 5. Aufl., § 149 Rn. 34; EBJS/Hillmann, HGB, 4. Aufl., § 149 Rn. 18; Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 40. Aufl. § 149 Rn. 4) und eine Veräußerung innerhalb des Kreises der Gesellschafter (dazu etwa Staub/Habersack, HGB, 5. Aufl., § 149 Rn. 36) jeweils zu den üblichen in Betracht kommenden Modalitäten zur Ausgestaltung der Liquidation gehören. Auch der Senat vermag keine Treuwidrigkeit dergestalt zu erkennen, dass eine solche Grundstücksveräußerung beachtenswerte Belange der Minderheit zu Gunsten ungerechtfertigter Sondervorteile des Mehrheitsgesellschafters beeinträchtigen würde. Randnummer172

Die Beschränkung des Bieterkreises begünstigt den Beklagten zu 2 nicht zu Lasten der Kläger. Diese weisen lediglich darauf hin, dass es dem Beklagten zu 2 möglich wäre, das im Vermögen der Gesellschaft verbliebene Grundstück zu einem (symbolischen) Preis von einem Euro zu erwerben, sollte kein anderer Gesellschafter daran Interesse haben. Sie behaupten aber nicht, dass sie solches Kaufinteresse nicht besäßen. Sie legen auch keine Umstände dar, wonach das Interesse der Kläger am Erwerb bei objektiver Würdigung geringer ausgeprägt sein könnte als das – vom Marktwert mit Rücksicht auf den Ertragswert des Grundstücks geprägte – Interesse außenstehender Dritter. Vielmehr liegt ein zumindest ebenso ausgeprägtes Kaufinteresse der Kläger nahe, ohne dass es darauf entscheidend ankäme. Nach der nicht beanstandeten und in Einklang mit dem unstreitigen Parteivortrag stehenden Würdigung des Landgerichts verfügen die Kläger auch über sehr gute Solvenz; sie legen nicht dar, dass ihnen – gegebenenfalls gemeinsam, zumal sie an einer Fortsetzung des gemeinsamen Zwecks der Immobilienverwaltung interessiert sind – ein dem objektiven Wert des Grundstücks entsprechendes Gebot wirtschaftlich nicht möglich sei. Selbst wenn von einem Außenstehenden aufgrund eines bei den Gesellschaftern nicht vorhandenen Sonderinteresses oder der Wirkung konkurrierender Nachfrage eine größere Investitionsbereitschaft zu erwarten wäre, stünde es den Klägern frei, sich zunächst um den Erwerb des Grundstücks zu bemühen, um dieses dann gewinnbringend freihändig weiter zu veräußern. Eine strukturell die Minderheit benachteiligende Gefahr, dass das Grundstück ohne angemessene Kompensation aus dem Gesellschaftsvermögen auf den Mehrheitsgesellschafter übergehen könnte, ist daher nicht im Ansatz erkennbar. Dabei kommt es letztlich nicht darauf an, ob eine Bereitschaft der Parteien zu hohen Geboten auch daraus geschlossen werden kann, dass sie aufgrund einer vermeintlich durch Neid und Missgunst geprägten Haltung, wie sie das Landgericht angenommen hat, der jeweils anderen Seite den Erwerb missgönnen würden. Randnummer173

Insoweit hat das Landgericht im Übrigen mit Recht berücksichtigt, dass es dem ursprünglichen Zweck der Gesellschaft, die Grundstücke im Familienvermögen zu erhalten, indem sie von der Gesellschaft als Familiengesellschaft (bei Erschwerung von Anteilsübertragungen an fremde Gesellschafter, siehe §§ 11, 12 GV) gehalten und verwaltet werden, am ehesten entspricht, im Fall der Liquidation die Immobilien durch eine Veräußerung allein innerhalb der Familie, insbesondere im Kreis der Gesellschafter, in Geld umzusetzen. Eine dahingehende Stimmrechtsausübung des Mehrheitsgesellschafters ist jedenfalls nicht treuwidrig. Randnummer174

Dahinstehen kann, ob der Beschluss (cc) dahin zu verstehen ist, dass auch die Beklagte zu 1 als Komplementärin der Gesellschaft zu den berechtigten Bietern gehört und ob – was fernliegt und im Übrigen dem durch die Kläger behaupteten Interesse des (die Geschäftsführung der Beklagten zu 1 angeblich beherrschenden) Beklagten zu 2 an einer Einverleibung des Grundstücks eher widerspräche – ein Gebot von deren Seite überhaupt zu erwarten wäre. Es ist nicht zu erkennen, welchen Nachteil die Kläger dadurch erleiden sollten, wenn das Grundstück – zu welchem Preis auch immer – von der Beklagten zu 1 erworben werden sollte, an der die Kläger jeweils mit derselben Quote wie an der Beklagten zu 2 beteiligt sind. Randnummer175

Der Beschluss sieht auch kein zu beanstandendes Verfahren bei der Versteigerung vor. Das gilt selbst dann, wenn danach jeder Gesellschafter nur ein einziges, verdecktes Gebot abgeben könnte. Mit Blick auf die Solvenz aller Parteien und dem von den Parteien übereinstimmend angenommenen Ertragswert des Grundstücks ist es den Klägern ohne weiteres möglich, auch ohne Kenntnis eines etwaigen Gebots des Beklagten zu 2 durch eigene Gebote zu verhindern, dass das Grundstück unter Wert aus der Liquidationsmasse umgesetzt wird. Sollten die Kläger durch ein selbst angesichts ihrer Einschätzung des Grundstückswerts noch unerwartet hohes Gebot des Beklagten zu 2 überboten werden, käme ihnen dies durch ihre Beteiligung am entsprechend hohen Liquidationserlös zugute. Ein schützenswertes Interesse, sich selbst – unabhängig vom Preis – im Ergebnis den Zugriff auf das Grundstück zu sichern, haben die Kläger nicht. Dem widerspräche auch ihre Kritik an der Begrenzung des Bieterkreises, ohne die umso weniger gesichert wäre, dass die Kläger das Grundstück selbst erwerben werden. Abgesehen davon lässt der Beschluss (cc) die genaue Verfahrensweise offen und legt sie nicht im Sinn des Verständnisses der Kläger fest, das offenbar auch das Landgericht zumindest unterstellt hat. Ob Gebote verdeckt abgegeben werden, gibt der Beschluss nicht an, ebenso wenig eine Reihenfolge der Gebotsabgabe, die durch alle Gesellschafter an „einem Termin bei einem Notar“ erfolgen soll. Der Wortlaut legt zwar nahe, dass jeder Gesellschafter nur ein einziges („jeweils ein“) Gebot abgeben kann, ist insoweit aber nicht eindeutig. Der Beklagte zu 2, auf dessen Vorlage der Beschluss ergangen ist, hat in erster Instanz erklärt, er habe diese Formulierung nicht in dieser Weise gemeint; vielmehr solle der Notar wie ein Auktionator solange Gebote zulassen, bis ein Höchstbietender feststehe (Klageerwiderung, S. 93 = AS I 192). Im Übrigen hat er (aaO S. 94 = AS I 193) insoweit Bereitschaft zu Anpassungen der Versteigerungsregelung erklärt. Danach ist schon keine Festlegung auf ein einziges Gebot zu erkennen, erst Recht nicht, dass eine solche in der Absicht der Übervorteilung der Minderheit erfolgt wäre. Nicht mehr entscheidend ist nach alledem, dass es im Übrigen der Gefahr einer Verschleuderung der Vermögensgegenstände auch entgegenstehen mag, dass der oder die – bei Pflichtverletzungen gegenüber der Gesellschaft haftenden – Liquidatoren gehalten sein könnten, eine – nach dem Beschluss nicht ausgeschlossene – Vorgabe eines Mindestgebots zu machen. Randnummer176

Mit Recht hat das Landgericht im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Kläger ihrerseits in einem anderen Fall ein Versteigerungsverfahren wie das hier beschlossene vorgeschlagen haben (Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 12. Mai 2017, Anlage B 2.41 und AS I 194). Auch dies ist ein Indiz dafür, dass ein solches Verfahren die Belange der Kläger nicht in treuwidriger Weise missachtet. Randnummer177

Die Kläger äußern nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Befürchtung, der Beklagte zu 2 nötige ihnen gleichsam das „unmittelbare unternehmerische Risiko“ auf, sollten sie von der Möglichkeit Gebrauch machen wollen, die Vermögensgegenstände, namentlich die vermietete Immobilie, zu übernehmen. Insoweit ist indes keine unzumutbare Belastung erkennbar. Erhebliche Haftungsrisiken, die mit dem persönlichen Eintritt des oder der Erwerber in die Vermieterstellung nach § 566 Abs. 1 BGB verbunden sein könnten, sind hier nicht konkret ersichtlich. Im Übrigen ließen sie sich vermeiden, indem die Kläger nach Erhalt des „Zuschlags“ den gegen die Gesellschaft begründeten Anspruch auf Übereignung an eine durch sie zu gründende Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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oder Kommanditgesellschaft abtreten und somit das Grundstück nicht selbst (dinglich) erwerben müssten. Randnummer178

(bbb) Auch die beschlossene Versteigerung von Forderungen aus Gerichtsverfahren unter den Gesellschaftern begegnet unter dem Gesichtspunkt der Treuepflicht keinen Bedenken. Randnummer179

Soweit § 149 HGB vorsieht, dass die Liquidatoren die Forderungen der Gesellschaft einzuziehen haben, kann auch eine andere Verwertung der Forderungen gewählt werden (vgl. Roth in Baumbach/Hopt, 40. Aufl. 2021, § 149 Rn. 3 HGB), mithin insbesondere deren Verkauf. Dies ist auch dann nicht schlechthin treuwidrig, wenn der beschließende Mehrheitsgesellschafter selbst der Schuldner der Forderung ist. Soweit eine solche Forderung – wie hier der Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 2 wegen Veräußerung zweier Grundstücke – bestritten ist, laufen die interessen des in Anspruch genommenen Gesellschafters ohnehin denen der übrigen Gesellschafter zuwider. Steht letzteren der Erwerb der Forderung offen, so können sie davon Gebrauch machen und das Interesse an der Durchsetzung der Forderung fortan ungehindert vom innergesellschaftlichen Konflikt weiterverfolgen, wobei sie im Regelfall und jedenfalls hier über die dazu erforderlichen Tatsachenkenntnisse ebenso verfügen wie die Liquidatoren, wenn diese die Forderung einziehen müssten. Dasselbe wirtschaftliche Interesse ist befriedigt, wenn der schuldende Gesellschafter den Anspruch dadurch (im Weg der Konfusion) zum Erlöschen bringt, dass er ihn zu einem höheren Preis erwirbt, als die übrigen Gesellschafter aufgrund ihrer Einschätzung der Erfolgsaussichten des Anspruchs zu zahlen bereit sind. Randnummer180

Auch mit der beschlossenen Art der Verwertung der hier in Rede stehenden Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Beklagten zu 2 (wegen der Veräußerung zweier Grundstücke) benachteiligt der Beklagte zu 2 die Kläger nicht in treuwidriger Weise: Randnummer181

Damit wird durch Bieterwettstreit darüber entschieden, ob einem oder mehreren der Kläger entweder (auch) dieser Vermögensgegenstand, also die behauptete Forderung, in natura gegen Zahlung eines (allen Gesellschaftern als Erlös zugute kommenden) Kaufpreises zufließen wird, oder (nur) deren Anteil an dem Erlös, der sich daraus ergäbe, sollte insbesondere der Beklagte zu 2 dazu bereit sein, die gegen ihn gerichtete Forderung zu einem höheren Kaufpreis abzukaufen. Das gewählte Vorgehen läuft gleichsam darauf hinaus, dass die eigentlichen Streitparteien der Schadensersatzforderung zur Prüfung angehalten werden, gegen welchen Abgeltungsbetrag sie zur Beilegung des Rechtsstreits um den Schadensersatz bereit sind. Mit ihren Geboten können sie ihre Einschätzung dessen umsetzen, welche Erfolgsaussicht sie der Forderung beimessen. Das gilt auch für die Höhe des Wertersatzanspruchs, der gegebenenfalls an die Stelle der auf Naturalrestitution gerichteten Klageforderung treten könnte, sollte der Beklagte zu 2 sich als unvermögend zur Rückübertragung der Grundstücke erweisen. Randnummer182

Dass die solventen und mit der Sache vertrauten Kläger tatsächlich nicht in der Lage oder nicht bereit sind, einen angemessenen Preis für den Erwerb des Schadensersatzanspruchs zu bieten, so dass ein unangemessen günstiger Erwerb durch den Beklagten zu 2 drohen würde, machen sie nicht geltend. Auch insoweit weisen sie nur auf die abstrakte Möglichkeit hin, dass es an diesem Erwerbsinteresse anderer Gesellschafter als des Beklagten zu 2 fehlen könnte. Sie geben auch nicht an, welche Umstände es für sie unattraktiv machen sollten, ein Gebot für die ihrer Ansicht nach werthaltige Schadensersatzforderung zu unterbreiten, dessen Höhe ausschließt, dass es zu einer Veräußerung unter Wert an den Beklagten zu 2 kommt. Randnummer183

Demgegenüber besteht das legitime interessen nicht nur des Beklagten zu 2, sondern aller Gesellschafter, die Beendigung eines Rechtsstreits zu ermöglichen, indem dem in Anspruch genommenen Beklagten zu 2 Gelegenheit gegeben wird, hierfür einen Abgeltungsbetrag zu zahlen, der das wirtschaftliche Interesse an der Fortsetzung des Rechtsstreits übersteigt. Sofern die Kläger den Beklagten zu 2 überbieten, erspart das hier gewählte Vorgehen zumindest, dass die Beendigung der Liquidationsgesellschaft allein aufgrund eines Rechtsstreits der Gesellschaft mit einem Gesellschafter hinausgezögert werden muss; dieser Streit kann fortan – sofern der Beklagte zu 2 im Sinn der von ihm erstrebten Beendigung der Gesellschaft zustimmt (§ 265 Abs. 1 Satz 2 ZPO) – unter klarer wirtschaftlicher Trennung zwischen Gläubiger- und Schuldnerseite durch den bzw. die Erwerber fortgeführt werden oder – sonst – nach § 265 Abs. 1 ZPO durch die Gesellschaft als bloße Prozessstandschafterin im alleinigen Interesse der Erwerber fortgesetzt werden. Randnummer184

Im Übrigen gelten hinsichtlich des gewählten Liquidationsverfahrens die obigen Ausführungen zur Grundstücksversteigerung entsprechend. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung über die Berufung insbesondere beanstandet, die Erlösaussichten würden durch die Beschränkung des Bieterkreises, die eine in Betracht kommende Forderungsveräußerung an ein Factoring-Unternehmen oder Ähnliches ausschließen würde, geschmälert. Damit haben sie aus den bereits betreffend die Grundstücksversteigerung ausgeführten Gründen keinen Erfolg. Gerade bei den hier in Rede stehenden rechtshängigen Forderungen, deren Erfolgsaussichten durch die Beteiligten deutlich besser als durch außenstehende Dritte einzuschätzen sind, ist völlig fernliegend, dass ein Dritter ein höheres Gebot abzugeben bereit wäre als die nach dem Beschluss (cc) dazu berechtigten Gesellschafter. Randnummer185

(ddd) Wie bereits zur formellen Legitimation ausgeführt ist für die Wirksamkeit nicht entscheidend, inwieweit der Beschluss mit Rücksicht auf § 152 HGB geeignet ist, die Liquidatoren an die beschlossene Ausgestaltung der Liquidation zu binden oder von dieser bloß bei der Ausübung ihres Ermessens hinsichtlich der Liquidationsmaßnahmen (siehe dazu EBJS/Hillmann, HGB, 4. Aufl., § 149 Rn. 18; MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl., § 149 Rn. 35 mwN) als Meinungsäußerung der anteilsmäßigen Gesellschaftermehrheit zu berücksichtigen ist. Randnummer186

II. Die Widerklage ist in dem Widerklageantrag zu 2., der nach dem Ausgang der Klage allein zur Entscheidung gestellt ist (siehe oben die Einleitung zu B.), zulässig und begründet. Randnummer187

1. Der Widerklageantrag zu 2 ist zulässig. Randnummer188

Die dagegen in erster Instanz unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit des Klageantrags (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und des Rechts auf ein faires Verfahren geäußerten Bedenken der Klägerin hat das Landgericht mit zutreffenden Ausführungen, auf die verwiesen wird, zurückgewiesen. Insbesondere ist zulässig, den Eventualwiderklageanspruch für den Fall zu erheben, dass der Widerkläger mit seiner Verteidigung gegen die Klage Erfolg hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 1996 – II ZR 275/94, BGHZ 132, 390 [juris Rn. 23 ff]). An einem etwaigen Erfordernis der Konnexität im Sinn von § 33 Abs. 1 ZPO scheitert die Zulässigkeit der Widerklage schon deshalb nicht, weil der Gegenanspruch mit der Klageforderung betreffend den Beschluss (aa) in einem solchen – vom Landgericht zutreffend erkannten – Zusammenhang steht. Randnummer189

Ob es für die Zulässigkeit oder die Begründetheit des auf Verurteilung zur Mitwirkung an der Anmeldung der Eintragung der Auflösung im Handelsregister gerichteten Widerklageantrags darauf ankommt, dass die Kläger mitwirkungsunwillig sind, kann dahinstehen. Bei Leistungsklagen ergibt sich allerdings ein Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig schon aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs, dessen Vorliegen für die Prüfung des Interesses an seiner gerichtlichen Durchsetzung zu unterstellen ist. Nur ausnahmsweise können besondere Umstände das Verlangen des Klägers, in die materiell-rechtliche Prüfung seines Anspruchs einzutreten, als nicht schutzwürdig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2005 – I ZR 101/02, BGHZ 162, 246 [juris Rn. 16] mwN – Vitamin-Zell-Komplex). Jedenfalls hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Kläger gezeigt haben, dass sie nicht zu der begehrten Mitwirkung gewillt sind. Ob dies dem Antrag auf Abweisung der Widerklage zu entnehmen ist, kann offenbleiben. Die Unwilligkeit zeigt sich jedenfalls darin, dass sie in der Sache die Wirksamkeit des Auflösungsbeschlusses verneinen und dagegen mit der Klage vorgehen. Randnummer190

2. Der Widerklageantrag zu 2. ist auch begründet. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, wonach der Beklagte zu 2 einen Anspruch darauf hat, dass die Kläger als Mitgesellschafter an der Anmeldung der Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
zum Handelsregister mitwirken, wird Bezug genommen. Die Berufung wendet sich insoweit allein gegen die zugrundeliegende Beurteilung, dass die Auflösung wirksam beschlossen sei. Diese trifft nach den obigen Ausführungen (zur Unbegründetheit der Klage) zu. Randnummer191

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Dabei geht der Senat davon aus, dass das wechselseitige Interesse der Parteien hinsichtlich der Negierung der Wirksamkeit der Gesellschafterbeschlüsse spiegelbildlich gleich zu bewerten ist. Die zur Abwendung der Vollstreckung der widerklagegemäßen Verurteilung erforderliche Sicherheitsleistung bemisst der Senat hieran anknüpfend als Bruchteil von einem Zehntel des Werts, den die Wirksamkeit des Auflösungsbeschlusses aus Sicht des Beklagten zu 2 hat (siehe Schneider/Volpert/Fölsch, Kostenrecht, 3. Aufl., ZPO § 3 Rn. 26 mwN). Das Sicherungsbedürfnis der Kläger erschöpft sich hingegen im Wesentlichen in der Höhe des Aufwands für die Mitwirkung an der Anmeldung der Auflösung zur Eintragung im Handelsregister. Insbesondere sind keine erheblichen Folgeschäden etwa dann zu erwarten, wenn die Eintragung einer in Wirklichkeit nicht wirksamen Auflösung mit der Rechtsfolge nach § 15 Abs. 3 HGB unrichtig bekanntgemacht würde (siehe MünchKommHGB/K. Schmidt, 4. Aufl. § 143 Rn. 23). Randnummer192

IV. Gründe, gemäß der Anregung der Kläger die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen, liegen nicht vor. Der Beurteilung der formellen Legitimation (insbesondere des Auflösungsbeschlusses) kommt entgegen der Ansicht der Kläger keine grundsätzliche Bedeutung zu. Dass diese sich ohne Rücksicht auf den aufgegebenen Bestimmtheitsgrundsatz nach der Auslegung des Gesellschaftsvertrags richtet, ist ebenso hinreichend in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt wie die insoweit maßgeblichen Auslegungsgrundsätze. Diese wendet der Senat auf den vorliegenden Gesellschaftsvertrag an, ohne dass damit ein für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen mit ebenso formulierter Mehrheitsklausel („alle Beschlüsse“) verallgemeinerbarer Rechtssatz verbunden wäre. Die Berücksichtigung des historischen Willens der Parteien hat schon das Landgericht nicht verweigert. Insoweit gelten die oben angewandten allgemeinen Auslegungsgrundsätze. Auf der Ebene der materiellen Legitimation stellen sich keine grundsätzlichen Rechtsfragen, was auch die Parteien insoweit nicht geltend machen. Die Kriterien zur Beantwortung der weichenstellenden Frage, ob ein Beschluss relativ unentziehbare Rechte betrifft, sind hinreichend geklärt und lassen diese Frage für die drei hier vorliegenden Beschlussgegenstände ohne weiteres beantworten. Die anschließende Anwendung des jeweils geltenden materiellen Prüfungsmaßstabs ist wiederum Frage des Einzelfalls. Insoweit ist auch kein relevanter Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum ersichtlich. Es besteht auch keine Notwendigkeit zur Fortbildung des Rechts. Dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, machen die Parteien nicht geltend und ist auch nicht zu erkennen. Randnummer193

V. Von einer Wiedereröffnung der Verhandlung sieht der Senat ab. Zwingende Gründe dafür (§ 156 Abs, 2 ZPO) werden nicht geltend gemacht und liegen auch nicht vor. Der Senat hält eine Wiedereröffnung der Verhandlung in Ausübung des ihm nach § 156 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens nicht für sachgerecht. Randnummer194

Die Beklagte zu 1 teilt nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit, dass mit Schreiben vom 8. April 2022 eine Gesellschafterversammlung der Gesellschaft auf den 13. Mai 2022 anberaumt sei. Sie erwartet, dass dort die hier angefochtenen Beschlüsse (bb) zur Bestellung der Beklagten zu 1 als Liquidatorin und (cc) über die Art und Weise der Liquidation aufgehoben und Liquidatoren bestellt werden, die nicht Gesellschafter sind. Es ist schon zweifelhaft, ob diese Entwicklungen, würden sie einer hypothetischen späteren Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde gelegt, dazu führen würden, dass die Klage hinsichtlich der die genannten Beschlüsse betreffenden Anträge aufgrund deren Aufhebung unzulässig oder unbegründet würde. Denn der Streit um die Wirksamkeit der Beschlüsse hätte mindestens für die Klärung der Rechtslage im Zeitraum bis zur Aufhebung weiter Bedeutung, etwa was bis dahin vorgenommene Handlungen der Beklagten zu 1 als vermeintliche Liquidatorin anbelangt. Es kann offenbleiben, ob zu erwarten wäre, dass die Kläger nach einer Aufhebung der Beschlüsse mit Blick auf einen etwaigen Wegfall der Erfolgsaussichten oder schlicht aus Opportunitätsgründen die Klage insoweit für erledigt erklären und die Beklagten sich dem anschließen würden. Allerdings ist letzteres ausweislich der Ausführungen der Kläger im ebenfalls nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz vom 14. April 2022 gerade nicht zu erwarten. Randnummer195

Selbst im Fall einer übereinstimmenden Erledigungserklärung wäre zu erwarten, dass zumindest über die Kosten weiter gestritten würde. Abgesehen davon steht es den Beteiligten frei, auch nach der vorliegenden Entscheidung die hier gegenständlichen Beschlüsse aus der Welt zu schaffen und (etwa zur Vermeidung einer von den Beklagten befürchteten faktischen Blockade der Liquidation) den Versuch zu unternehmen, einen in die Streitigkeiten der Familiengesellschafter nicht verfangenen Dritten zum Liquidator zu bestellen. Dass eine Entscheidung (auch des Berufungsgerichts) über die Wirksamkeit der Beschlüsse (bb) und (cc) ergangen ist, bringt insoweit keine Nachteile, die unter Abwägung aller Umstände geboten erscheinen ließen, dies durch eine Wiedereröffnung der Verhandlung zu vermeiden. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die vorliegende Entscheidung ohnehin nicht rechtskräftig werden wird, bevor die erwarteten Aufhebungsbeschlüsse auf einer Gesellschafterversammlung am 13. Mai 2022 ergehen könnten. Die Parteien könnten dann noch immer insoweit übereinstimmende Teilerledigungserklärungen abgeben, ohne dass Kosten (des Berufungsverfahrens) entstehen müssten, die auch im Fall des Zuwartens mit dem Abschluss des Berufungsverfahrens nicht zu vermeiden sind, und ohne dass bereits Kosten für ein weiteres Rechtsmittel zur Vermeidung der Rechtskraft zwingend notwendig würden. Demgegenüber ist insbesondere zu berücksichtigen, dass eine Wiedereröffnung der Verhandlung über die Berufung die Entscheidung des Streits um den grundlegenden Beschluss (aa) über die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
, dessen Erledigung nicht in Sicht ist, verzögern würde, was insbesondere den interessen der Kläger in unzumutbarer Weise zuwiderliefe. Es scheint schließlich auch nicht im Sinn der Kläger geboten (und diese haben daran offenkundig kein Interesse), die Entscheidung über die Berufung hinauszuzögern, um den Klägern zu ermöglichen, gegen etwa künftig ergehende Gesellschafterbeschlüsse, die im Übrigen noch nicht gewiss sind, noch in demselben prozess im Weg der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz vorzugehen. Die Kläger könnten insoweit gegebenenfalls eine gesonderte Klage einreichen. Randnummer196

Auch ansonsten besteht kein Anlass zur Wiedereröffnung der Verhandlung. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze der Parteien enthalten kein entscheidungserhebliches neues tatsächliches Vorbringen.

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OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.04.2022 – 1 W 71/21 (Wx)

Freitag, 22. April 2022

Bestellung Notgeschäftsführer

§ 29 BGB, § 16 Abs 1 S 1 GmbHG, § 16 Abs 1 S 2 GmbHG, § 35 Abs 1 GmbHG, § 40 Abs 1 GmbHG, § 50 Abs 3 GmbHG, § 51 Abs 1 GmbHG

1. Ist oder wird eine GmbH aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen geschäftsführerlos, also führungslos (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG) und ist die Gesellschafterversammlung nicht in der Lage, einen Geschäftsführer zu bestellen, so kann auf Antrag durch das Registergericht am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
in dringenden Fällen ein Notgeschäftsführer bestellt werden.

2. Ein dringender Fall für die Bestellung eines Notgeschäftsführers liegt nur dann vor, wenn die Gesellschaftsorgane selbst nicht in der Lage sind, innerhalb einer angemessenen Frist den Mangel zu beseitigen und der Gesellschaft oder einem Beteiligten ohne Notgeschäftsführerbestellung Schaden drohen würde oder eine alsbald erforderliche Handlung nicht vorgenommen werden würde (Anschluss OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. September 2011 – 3 W 119/11).

3. Die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers ist dabei immer „ultima ratio“ und kommt nur in Betracht, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu beseitigen.

Tenor

1. Auf Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mannheim – Registergericht – vom 27.09.2021, Az. HRB , wird dieser wie folgt abgeändert:

Der Antragsteller G. D. wird zum Geschäftsführer der Gesellschaft mit den Aufgabenkreisen

– Änderung der Gesellschafterliste

– Beantragung einer Nachlasspflegschaft

Einberufung einer Gesellschafterversammlung zur Bestellung eines Geschäftsführers bestellt.

2. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Geschäftswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 60.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller (nachfolgend: Beteiligter zu 1)) wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts (Registergericht), mit welchem sein Antrag vom 16.08.2021 auf Bestellung eines Notgeschäftsführers für die P., H. – und Vertriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung (nachfolgend: die Gesellschaft) zurückgewiesen wurde. Gesellschafter waren je zu gleichen Teilen die Beteiligten zu 1) bis 3) sowie Herr J. D., welcher am XX.XX.2020 verstarb. Die Beteiligten zu 1) und 3) sind Geschwister, die Beteiligte zu 3) und Herr J. D. sind deren Eltern. Bis zu seinem Tod war Herr J. D. zuletzt Alleingeschäftsführer. Ein neuer Geschäftsführer ist bislang nicht bestellt.Randnummer2

Der Beteiligte zu 1) beantragte am 16.08.2021 sich selbst oder hilfsweise die Beteiligte zu 3) als weitere Gesellschafterin zum Notgeschäftsführer zu bestellen. Die Gesellschaft sei führungslos, da der bisherige Alleingeschäftsführer verstorben sei. Alleinerbin sei aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments (Berliner-Testament) die weitere Gesellschafterin und Ehefrau des Herrn J. D., die Beteiligte zu 2). Die Beteiligte zu 3) erkenne die Erbenstellung jedoch nicht an. Zudem sei die Beteiligte zu 2) an Demenz erkrankt und aufgrund dessen geschäftsunfähig. Der Beteiligte zu 1) und die Beteiligte zu 3) könnten sich nicht auf einen Geschäftsführer einigen.Randnummer3

Die Bestellung eines Notgeschäftsführers sei erforderlich, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Antragsschrift vom 16.08.2021 (II 38 ff.) Bezug genommen.Randnummer4

Das Amtsgericht Mannheim hat den Antrag mit Beschluss vom 16.08.2021 – zugestellt am 30.09.2021 – (I As. 40 f.) zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, ein dringender Fall im Sinne des § 29 BGB analog sei nicht dargelegt, da die Bestellung eines Betreuers für die vermeintlich geschäftsunfähige Beteiligte zu 2) ein adäquates Verfahren darstelle, durch welches die Stimmrechtsausübung und damit die Bestellung eines Geschäftsführers ermöglicht werden könnte. Zudem könne bis zur Bestellung eines Betreuers für die Beteiligte zu 2) dieser auch kein rechtliches Gehör gewährt werden.Randnummer5

Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 13.10.2021 Beschwerde einlegen lassen (II As. 4 ff.). Er verfolgt damit sein ursprüngliches Begehren weiter.Randnummer6

Mit Beschluss vom 19.10.2021 (I As. 43) hat das Amtsgericht (Registergericht) der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem erkennenden Gericht zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.Randnummer7

Mit Beschluss des Amtsgerichts Sinsheim vom 11.02.2022 (Az.: 33 XVII 121/21) wurde Frau M. G. als Betreuerin für die Beteiligte zu 2) bestellt. Der Aufgabenkreis umfasst die Vermögenssorge einschließlich gesellschaftsrechtlicher Angelegenheiten (vgl. As. II 203). Die Betreuerin hält ebenfalls die Bestellung eines Notgeschäftsführers für erforderlich, da die Beteiligte zu 3) anzweifle, dass die Beteiligte zu 2) Erbin des verstorbenen J. D. geworden sei und daher keine ordnungsgemäße Ladung zur Gesellschafterversammlung zur Bestellung eines neuen Geschäftsführers erfolgen könne.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.Randnummer9

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts über die Bestellung des Notvorstands bzw. Notgeschäftsführers oder die Ablehnung des Antrags findet die Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG statt (BeckOGK/Segna, 1.1.2022, BGB § 29 Rn. 27). Der Antragsteller ist auch gemäß § 59 Abs. 1 und 2 FamFG beschwerdebefugt, da er durch die Zurückweisung seines Antrags in seinen Rechten beeinträchtigt ist (BGH, Beschluss vom 23. September 2014 – II ZB 4/14 –, Rn. 9, juris). Die Beschwerde wurde gemäß §§ 63 ff. FamFG form- und fristgerecht beim Amtsgericht eingelegt und auch begründet.Randnummer10

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.Randnummer11

a) Das Beschwerdegericht tritt gemäß § 68 Abs. 3 FamFG in vollem Umfang an die Stelle des Erstgerichts und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die Sache neu (BeckOK FamFG/Obermann, 41. Ed. 1.1.2022, FamFG § 69 Rn. 2; BGH, Beschluss vom 14. August 2013 – XII ZB 614/11 –, Rn. 43, juris). Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 29 BGB analog liegen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vor.Randnummer12

b) Ist oder wird eine GmbH aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen geschäftsführerlos, also führungslos (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG) und ist die Gesellschafterversammlung nicht in der Lage, einen Geschäftsführer zu bestellen, so kann auf Antrag durch das Registergericht am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
in dringenden Fällen ein Notgeschäftsführer bestellt werden. Ein dringender Fall für die Bestellung eines Notgeschäftsführers liegt nur dann vor, wenn die Gesellschaftsorgane selbst nicht in der Lage sind, innerhalb einer angemessenen Frist den Mangel zu beseitigen und der Gesellschaft oder einem Beteiligten ohne Notgeschäftsführerbestellung Schaden drohen würde oder eine alsbald erforderliche Handlung nicht vorgenommen werden würde (Lutz, Voigt in: Steuerberater Rechtshandbuch, 165. Lieferung 2022, I. Der GmbH-Geschäftsführer im Gesellschaftsrecht, Rn. 33; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. September 2011 – 3 W 119/11 –, Rn. 9, juris). Die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers ist dabei immer „ultima ratio“ und kommt nur in Betracht, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu beseitigen (Oppenländer/Trölitzsch GmbH- GF-HdB, § 11 Die Bestellung des Geschäftsführers Rn. 25, beck-online).Randnummer13

aa) Die Gesellschaft ist derzeit führungslos, da der vorherige Geschäftsführer verstorben ist und ein neuer Geschäftsführer bislang nicht bestellt ist.Randnummer14

bb) Die Gesellschafterversammlung kann zwar gemäß § 50 Abs. 3 GmbHG durch die verbleibenden Gesellschafter, d.h. die Beteiligten zu 1), 2) und 3), einberufen werden.Randnummer15

cc) Indes kann die Ladung zur Gesellschafterversammlung derzeit nicht ordnungsgemäß erfolgen. Gemäß § 51 Abs. 1 GmbHG erfolgt die Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
durch Einladung aller Gesellschafter mittels eingeschriebenem Brief. Die Ladung ist an die gemäß §§ 40 Abs. 1, 16 Abs. 1 GmbHG in die Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter zu richten.Randnummer16

Die Ladung der Beteiligten zu 2) kann nunmehr, nachdem für sie eine Betreuerin bestellt wurde, erfolgen. Die Betreuerin kann diese auch in der Gesellschafterversammlung vertreten.Randnummer17

In der Gesellschafterliste ist jedoch weiterhin auch Herr J. D. als Gesellschafter eingetragen. Dieser kann nicht geladen werden, da er verstoben ist.Randnummer18

Sind die Erben nicht bekannt, kann eine ordnungsgemäße Ladung nicht erfolgen, da der nichtexistierende Gesellschafter nicht geladen werden kann (Lange NJW 2016, 1852, 1853). Ohne Erbschein ist die Erbfolge (und damit auch die Identität der Gesellschafter) immer unbekannt (Lange NJW 2016, 1852, 1853). Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass der Verstorbene tatsächlich die Einsetzung seiner Ehefrau in dem gemeinschaftlichen Testament später widerrufen und anderweitig testiert hat, auch wenn der Widerruf gemäß §§ 2271 Abs. 1 Satz 1, 2296 BGB persönlich zu notarieller Urkunde hätte erfolgen und der Ehefrau hätte zugehen müssen (S. Kappler/T. Kappler in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 2271 BGB, Rn. 5).Randnummer19

Sind die Erben unbekannt, muss eine Nachlasspflegschaft gemäß § 1960 BGB eingeleitet werden, um die unbekannten Erben laden zu können (BeckOK GmbHG, GmbHG § 51 Rn. 13; MHLS/Römermann, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 51 Rn. 31; Seibt in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018 ff., § 51 GmbHG, Rn. 9; Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 20. Aufl. 2020, § 51 GmbHG, Rn. 10). Nicht entschieden werden braucht an dieser Stelle, ob der Nachlasspfleger nach seiner Bestellung selbst nach § 40 Abs. 1 Satz 1 GmbHG in die Gesellschafterliste aufgenommen wird (so Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 20. Aufl. 2020, § 51 GmbHG, Rn. 10) oder die „unbekannten Erben in Erbengemeinschaft“ (so Lange NJW 2016, 1852, 1853), da in beiden Fällen der Nachlasspfleger die Rechte der unbekannten Erben als Vertreter wahrnimmt.Randnummer20

So lange die unbekannten Erben oder der Nachlasspfleger nicht in die Gesellschafterliste eingetragen sind und eine Nachlasspflegschaft eingerichtet wurde, kann eine ordnungsgemäße Ladung zur Gesellschafterversammlung nicht erfolgen.Randnummer21

Zwar kommt grundsätzlich auch die Ladung eines über den Tod hinaus bestimmten Vertreters des Verstorbenen in Betracht (BeckOK GmbHG/Schindler, 50. Ed. 1.5.2021, GmbHG § 51 Rn. 12; OLG Naumburg, Urteil vom 1. September 2016 – 2 U 95/15, BeckRS 2016, 108120 Rn. 39; Wolff, BB 2010, 454, 456), jedoch ist die der Beteiligten zu 2) erteilte Generalvollmacht (As. II 147 ff.) durch die dauerhafte Geschäftsunfähigkeit der Beteiligten zu 2) erloschen (Weinland in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK- BGB, 9. Aufl., § 168 BGB (Stand: 04.02.2022), Rn. 7), so dass auch insoweit eine ordnungsgemäße Ladung nicht erfolgen kann.Randnummer22

Die verbleibenden Gesellschafter sind nicht in der Lage die Gesellschafterliste gemäß §§ 16 Abs. 1, 40 Abs. 1 GmbHG zu berichtigten. Hierfür ist nach § 40 Abs. 1 GmbHG allein der Geschäftsführer zuständig. Vor Änderung der Gesellschafterliste und Bestellung eines Nachlasspflegers ist, da die Erben nicht durch Erbschein festgestellt sind, eine ordnungsgemäße Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
nicht möglich, so dass die Gesellschafter derzeit auch keinen neuen Geschäftsführer bestimmen können. Dennoch gefasste Beschlüsse wären gemäß §§ 241 Nr. 1 i.V.m. 121 Abs. 4 AktG analog nichtig (MHLS/Römermann, 3. Aufl. 2017, GmbHG § 51 Rn. 101; Seibt in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018 ff., § 51 GmbHG, Rn. 26; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1961 – II ZR 97/59 – , BGHZ 36, 207-211, Rn. 9; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15. März 2005 – 6 U 90/04 –, Rn. 54, juris).Randnummer23

cc) Das Erbscheinsverfahren ist auch nicht vorrangig durchzuführen.Randnummer24

Auch wenn die Erbfolge durch Erteilung eines Erbscheins nachgewiesen wäre, wäre richtigerweise ebenfalls keine ordnungsgemäße Ladung zu Gesellschafterversammlung und wirksame Beschlussfassung vor Änderung der Gesellschafterliste, welche nur durch den Geschäftsführer erfolgen kann, möglich. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG gelten die Erben erst nach Eintragung in die GesellschafterlisteBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Eintragung
Eintragung in die Gesellschafterliste
Gesellschafterliste
im Verhältnis zur Gesellschaft als teilnahmeberechtigte Gesellschafter (Lange NJW 2016, 1852, 1853; Wolff, BB 2010, 454, 455; Seibt in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018 ff., § 51 GmbHG, Rn. 9 m.w.N.), sodass auch in diesem Fall die Gesellschafterversammlung mangels teilnahme des in der Liste ausgewiesenen verstorbenen Gesellschafters keine wirksamen Beschlüsse fassen kann (Lange NJW 2016, 1852, 1853; Wolff, BB 2010, 454, 455). Die gegenteilige Ansicht, wonach sich die Erben als tatsächliche Gesellschafter jederzeit, etwa durch einen Erbschein, gegenüber der Gesellschaft auf ihre materielle Mitgliedschaft berufen können und nach § 1922 BGB in die formelle Mitgliedschaft des Erblassers eintreten (Foerster EWiR 2020, 327, 328), ist abzulehnen. Nach der gesetzlichen Wertung ist die Legitimation der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft in § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG ausdrücklich allein an die Aufnahme in die Gesellschafterliste geknüpft (Heidinger GmbHR 2020, 274, 275).Randnummer25

Offen kann bleiben, ob die durch Erbschein ausgewiesenen Erben gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 GmbHG an einer Beschlussfassung mitwirken könnten. Ein solcher Beschluss wäre jedenfalls schwebend unwirksam und würde nur wirksam werden, wenn die Liste unverzüglich in das Handelsregister aufgenommen wird, wobei fraglich ist, ob der Geschäftsführer, der seinerseits noch nicht in das Handelsregister eingetragen ist, die geänderte Gesellschafterliste beim Handelsregister einreichen kann (Heidinger GmbHR 2020, 274, 276). Dieser Weg ist – jedenfalls bei wie hier bestehenden Differenzen zwischen den Gesellschaftern – mit erheblichen Risiken behaftet, so dass die Gesellschaft und die Gesellschafter hierauf nicht verwiesen werden können (OLG Köln, Beschluss vom 27. Juni 2019 – I-18 Wx 11/19 –, Rn. 9, juris).Randnummer26

Zudem kann das Ende des Erbscheinverfahrens – welches erfahrungsgemäß mehrere Monate dauert – nicht abgewartet werde, da die Gesellschaft bereits seit 2020 führungslos ist und die Gesellschaft ihren gesetzlichen Verpflichtungen (z.B. hinsichtlich der Veröffentlichung von Jahresabschlüssen) ohne Geschäftsführer nicht nachkommen kann, weshalb ihr erheblicher Schaden droht. Sollte der Erbschein zeitnah erteilt werden, so könnte der Notgeschäftsführer die Gesellschafterliste entsprechend ändern und sodann zur Gesellschafterversammlung laden. In diesem Fall würde lediglich die Notwendigkeit der Bestellung eines Nachlasspflegers entfallen.Randnummer27

Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Notgeschäftsführers liegen daher vor.Randnummer28

c) Der Aufgabenkreis des Notgeschäftsführers ist jedoch darauf zu beschränken, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Gesellschafter einen neuen Geschäftsführer bestellen können, nämlich die Änderung der Gesellschafterliste entsprechend der (unbekannten) Erbfolge sowie die Einberufung einer Gesellschafterversammlung zur Bestellung eines neuen Geschäftsführers (für den Fall des Tods des Alleingeschäftsführers und aller Gesellschafter: OLG Köln, Beschluss vom 27. Juni 2019 – I-18 Wx 11/19 –, Rn. 10, juris,).Randnummer29

d) Nachdem der Aufgabenkreis auf die Änderung der Gesellschafterliste und die Einberufung einer Gesellschafterversammlung zu beschränken war, bestehen keine Bedenken, den Beteiligten zu 1), der bereits in der Vergangenheit Geschäftsführer der Gesellschaft war und zur Übernahme des Amtes bereit ist, zum Notgeschäftsführer zu bestellen. Dem stehen die zwischen ihm und der Beteiligten zu 3) bestehenden Differenzen nicht entgegen.Randnummer30

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 84, 81 FamFG. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor. Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 79, 61 Abs. 1 Satz 1, 67 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG. Die Wertvorschrift § 67 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG ist vorliegend jedenfalls entsprechend anzuwenden, auch wenn es sich nicht um ein unternehmensrechtliches Verfahren nach § 375 FamFG handelt (für direkte Anwendung OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08. Juni 2016 – I-3 Wx 302/15 –, Rn. 37, juris). Anlass für eine abweichende Festsetzung wegen besonderer Umstände des Einzelfalls nach § 67 Abs. 3 GNotKG besteht nicht.

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OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.03.2022 – 1 W 85/21 Wx

Dienstag, 1. März 2022

§ 103 Abs 3 AktG, EGV 2157/2001 Art 9 Abs 1c, EGV 2157/2001 Art 9 Abs 1ii

1. Ein die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds tragender wichtiger Grund in dessen Person ist im Allgemeinen gegeben, wenn ein Verbleiben des Mitgliedes im Aufsichtsrat bis zum Ablauf seiner Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist, weil einem Verbleib das Interesse der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Aufsichtsrat entgegensteht.

2. Ein verhaltensbedingter wichtiger Grund für eine Abberufung muss sich nicht zwingend aus dem Verhalten als Aufsichtsratsmitglied ergeben. Es genügt, dass ein Zusammenhang des Verhaltens mit der Aufsichtsratstätigkeit erkennbar ist und dass sich der verhaltensbedingte Grund auf diese Tätigkeit und damit auf die Gesellschaft auswirkt. Für letzteres genügen bereits Reputationsschäden der Gesellschaft, die – auch – auf einem ethischen Fehlverhalten des Aufsichtsratsmitglieds außerhalb seines Aufsichtsratsmandats beruhen können.

3. Der Umstand, dass das abzuberufende Aufsichtsratsmitglied weitere Pflichten – wie hier als Betriebsrat – zu beachten hat, hindert die Annahme eines wichtigen Grundes für die Abberufung jedenfalls dann nicht, wenn tatsächlich beide Bereiche betroffen sind, da eine mögliche Interessenkollision die Pflichtwidrigkeit gegenüber der Gesellschaft nicht entfallen lässt.

4. Da sich der wichtige Grund für die Abberufung aus der Zerstörung des Vertrauens der Ge-sellschaft in die persönliche Integrität und Zuverlässigkeit und der daraus ergebenden mangelnde Eignung als Aufsichtsratsmitglied ergibt, kommt es nicht darauf an, ob die Gefahr einer Wiederholung des konkreten Fehlverhaltens besteht.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners vom 24.11.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Registergericht – Mannheim vom 20.10.2021, Aktenzeichen: HRB , wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 60.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Der Aufsichtsrat der SE (fortan: Gesellschaft) begehrt die Abberufung des Antragsgegners als Mitglied des Aufsichtsrates der Gesellschaft aus wichtigem Grund.Randnummer2

Der bei der Gesellschaft beschäftigte Antragsgegner ist seit 2019 als Gewerkschaftsvertreter Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft; seine reguläre Amtszeit endet 2024. Der Antragsgegner war zudem als Arbeitnehmervertreter Mitglied des Betriebsrates der Gesellschaft, dessen Vorsitz er – nach den hier streitgegenständlichen Geschehnissen – am 25.06.2021 niederlegte.Randnummer3

Nachdem die Gesellschaft aufgrund von whistleblower-Meldungen mit dem Verdacht konfrontiert worden war, das sein – damaliges – Mitglied des Aufsichts- und Betriebsrats, B., über viele Jahre hinweg tatsächlich mehrfach im Urlaub gewesen sei, ohne solchen bei der Gesellschaft beantragt zu haben, sprach die Gesellschaft diesen am 27.05.2021 hierauf an, bat um die Bestätigung der Korrektheit seiner Urlaubsliste, führte gegen Mittag ein diesbezügliches Gespräch mit dem Antragsgegner als Betriebsratsvorsitzenden und einer seiner Stellvertreterinnen und wandte sich schließlich am späten Nachmittag (16:53 Uhr) unter Bezugnahme auf das zuvor geführte Gespräch („wie heute Mittag besprochen“) per E-Mail an den Betriebsrat mit der Bitte, sie über die Abwesenheitszeiten des B. im Betriebsrat zu informieren (Anlage ASt2 [AS34]).Randnummer4

Bereits um 13:19 Uhr des 27.05.2021 manipulierte der Antragsgegner die Absage-E-Mail des B. zur 90. Sitzung des Betriebsrats, indem er den Absagegrund „Urlaub“ entfernte (Anlage ASt 13,Seiten 3f. [AS61f.]). Am 28.05.2021 löschte der Antragsgegner die Absage-E-Mails des B. zur 80., 82. und 87. Betriebsratssitzung (Anlage ASt13, Seiten 1 bis 3 [AS 59 ff.]). Am 29.05.2021 beantragte der Antragsgegner Urlaub vom 31.05. bis zum 02.06.2021.Randnummer5

Nachdem am 31.05.2021 B. gegenüber der Gesellschaft bestätigt hatte, dass die vorgelegte Urlaubsliste vollständig und korrekt sei, führte die Gesellschaft ein weiteres Gespräch mit dem Antragsgegner als Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreterinnen mit Blick auf die Erforderlichkeit des Abgleichs mit den Organisationsdaten des Betriebsrats und forderte erneut zur Herausgabe der dem Betriebsrat vorliegenden Informationen zur Abwesenheit des B. auf, konkret an welchen Betriebsratssitzungen dieser laut der Dokumentation des Betriebsrats aus welchem Abwesenheitsgrund nicht teilgenommen hatte.Randnummer6

Am 01.06.2021 erhielt die Gesellschaft einen ersten anonymen Hinweis darauf, dass relevante Daten, insbesondere „Urlaubsabsagen“ des B. bezüglich der 80. Sitzung des Betriebsrats am 15.10.2020, dessen 82. Sitzung am 22.10.2020 und dessen 87. Sitzung am 26.11.2020, aus der sog. (E-Mail-)Inbox des Vorsitzes des Betriebsrats gelöscht worden seien. Ebenfalls am 01.06.2021 beantragte die Gesellschaft beim Betriebsrat eine – bis spätestens 04.06.2021 durchzuführende – Sondersitzung, um über die Herausgabe konkreter Ab- und Anwesenheitszeiten des B. zu entscheiden (Anlage ASt 3, Seiten 2 f. [AS 36 f.]). Eine Stellvertreterin des Antragsgegners lud zu einer Sondersitzung auf den 02.06.2021, der Antragsgegner nahm aus seinem Urlaub eine Verlegung und Neuladung auf den 04.06.2021 vor. Auf Bitte der Gesellschaft vom 02.06.2021 (Anlage ASt 3, Seiten 1 f. [AS 35 f.]) wurde die Sondersitzung auf den 07.06.2021 verlegt. Mit E-Mail vom 04.06.2021 (Anlage ASt 3, Seite 1 [AS 35]) konkretisierte die Gesellschaft ihr Auskunftsbegehren gegenüber dem Betriebsrat.Randnummer7

Am 08.06.2021 beschloss der Betriebsrat der Gesellschaft auf seiner – vom 07.06.2021 fortgesetzten – Sitzung, letzterer für die damalige Amtszeit des B. seit Mai 2018 eine Excel-Tabelle mit dessen – unter Schwärzung im Übrigen – abgelehnten Meeting-Requests (E-Mail) mit der Absage und dem Absagegrund sowie der Zeile in der vom Vorzimmer geführten Anwesenheitsliste der Sitzung, in der für diesen nachgeladen wurde, zu überlassen, und wies darauf hin, dass die Daten ausschließlich zur Sitzungsorganisation und konkretem Nachladen erfasst worden seien und allenfalls zur Anwendung des § 23 BetrVG verwendet werden dürften. Auf Nachfrage der Gesellschaft vom 08.06.2021 (Anlage ASt 4, Seite 1 [AS 38]) übermittelte der Betriebsrat am gleichen Tag die Excel-Tabelle gemäß dem gefassten Beschluss (Anlage ASt 5, Seiten 1 f. [AS 39 f.]). Zuvor hatte der Betriebsrat am 08.06.2020 ein „Kollegenteam“ gebildet, das anhand der von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Daten abglich, wann B. anwesend war und wann nicht, sowie, soweit festgestellt wurde, dass dieser bei einer Betriebsratssitzung nicht anwesend war, den jeweiligen Nachladegrund recherchierte. Bei der Durchsicht war dem Rechercheteam aufgefallen, dass einzelne – jeweils in einem separaten E-Mail-Ordner zu den Betriebsratssitzungen abzulegende – Absage-E-Mails fehlten; diese waren auch nicht im deleted folder des E-Mail-Postfachs des Betriebsratsvorsitzes. Auf diese von ihm festgestellten Ungereimtheiten bei den An-/Abwesenheitszeiten des B. hatte das Kollegenteam den Betriebsrat bei Überlassung der Rechercheergebnisse hingewiesen.Randnummer8

Mit E-Mail vom 09.06.2021 forderte die Gesellschaft beim Betriebsrat für 13 Abwesenheitstage die Übermittlung der Originaldokumentation ein, u.a. für die 80. Betriebsratssitzung am 15.10.2020, die 82. am 22.10.2020, die 87. am 26.11.2020 und die 90. am 10.12.2020 (Anlage ASt 5, Seite 1 [AS39]). Nachdem der Betriebsrat mit E-Mail vom 10.06.2021 (Anlage ASt 6, Seite 1 [AS 41]) der Gesellschaft Originaldokumente überlassen hatte, rügte diese mit E-Mail vom 11.06.2021 (Anlage ASt 7, Seiten 1 f. [AS 43 f.]), dass diese nicht vollständig sind, u.a. fehlten die Dokumentation der 80., 82. und 87. Sitzung des Betriebsrates, insbesondere die Absage-E-Mails mit Absagegrund.Randnummer9

Nachdem sich die Gesellschaft im Anschluss dazu entschlossen hatte, Betriebsratsmitglieder zu den Urlaubs- und Abwesenheitszeiten des B. zu befragen, leitete der Antragsgegner am 14.06.2021 eine E-Mail des den Betriebsrat beratenden Rechtsanwalts an diese weiter, wonach es pflichtwidrig sei, wenn einzelne Betriebsratsmitglieder ohne Beschluss des Betriebsrates dortige Internas preisgeben (Anlage ASt 8 [AS 47]). Ebenfalls am 14.06.2021 rügte die Gesellschaft gegenüber dem Betriebsrat nochmals, dass die mit E-Mail vom 11.06.2021 erbetenen fehlenden Informationen noch nicht vorliegen (Anlage ASt 9, Seite 1 [AS 48]), und es erreichte sie eine weitere whistleblower-Meldung, wonach aus der Inbox des Betriebsratsvorsitzes E-Mails gelöscht worden seien, welche für die Klärung der Verdachtsmomente gegen B. erheblich seien, und dessen Absage-E-Mail vom 04.12.2020 betreffend die 90. Betriebsratssitzung am 10.12.2020 inhaltlich verändert worden sei. Noch am gleichen Tag wandte sich die Gesellschaft daher erneut an den Betriebsrat und forderte zum Zweck der Aufklärung zur gemeinsamen Einsichtnahme in die Logfiles der Inbox des Betriebsratsvorsitzes auf (Anlage ASt10 [AS52]).Randnummer10

Am 15.06.2021 übersandte der Antragsgegner die drei fehlenden Absage-E-Mails des B. für die 80., 82. und 87. Betriebsratssitzung (Anlage ASt 11, Seite 1 [AS 53]: „Wir haben noch einmal recherchiert und weitere Dokumente gefunden“), nachdem er diese zuvor mittels des Vorgangs recover deleted items wiederhergestellt hatte; mit dieser E-Mail des Antragsgegners wurde zudem – u.a. – eine Absage-E-Mail des B. bezüglich der 90. Betriebsratssitzung übermittelt, die der Gesellschaft bereits am 10.06.2021 mit anderem Inhalt übersandt worden war: Während in der ersten überlassenen E-Mail als Absagegrund nur „bitte nachladen“ angegeben gewesen war, hieß es nunmehr „Urlaub, bitte nachladen“.Randnummer11

Am 17.06.2021 stimmte der Betriebsrat der von der Gesellschaft begehrten Einsichtnahme in die Logfiles der Inbox des Betriebsratsvorsitzes zu.Randnummer12

Am 23.06.2021 wurde der Antragsgegner von der Gesellschaft zu einer Verdachtsanhörung auf den 24.06.2021 geladen, die auf dessen Wunsch auf den 25.06.2021 verlegt wurde. Im Rahmen der Anhörung bestätigte der Antragsgegner das Löschen der drei Absage-E-Mails des B. für die 80., 82. und 87. Betriebsratssitzung aus der Inbox des Betriebsratsvorsitzes und deren Verschiebung sowie die Manipulation der Absage-E-Mail des B. vom 04.12.2020 hinsichtlich der 90. Sitzung des Betriebsrats. Schließlich gab der Antragsgegner zu, den Scan des Protokolls der Betriebsratssitzung vom 26.07.2018 insofern manipuliert zu haben, als er die letzten drei Seiten mit der Unterschriften-, der Nachladeliste und einem Abwesenheits-Excel-Ausdruck entfernt hatte. Der Antragsgegner erklärte sein Verhalten im Wesentlichen damit, dass er B. habe helfen wollen und mehr oder weniger im Sinne eines Augenblicksversagens spontan gehandelt habe. Im Nachgang teilte der Antragsgegner mit E-Mail vom gleichen Tag mit, dass er das von ihm manipulierte Betriebsratsprotokoll dadurch wieder hergestellt habe, dass er die Originale neu eingescannt und diesen Scan nunmehr dem Postfach-Ordner wieder zugeführt habe. Im Anschluss an die Anhörung nahm die Gesellschaft Einblick in die Logfiles der Inbox des Betriebsratsvorsitzes; zu dessen Ergebnis wird auf das als Anlage vorgelegte Protokoll vom 25.06.2021 (Anlage ASt 13 [AS 59]) verwiesen.Randnummer13

Das Arbeitsverhältnis des Antragsgegners mit der Gesellschaft hat diese mit Schreiben vom 05.07.2021 außerordentlich gekündigt; mit Urteil vom 01.12.2021 hat das Arbeitsgericht die Kündigung für wirksam erklärt.Randnummer14

Auf seiner Sitzung am 29.07.2021 fasste der Antragsteller – ohne die Stimme des von der Stimmabgabe ausgeschlossenen Antragsgegners – einstimmig den Beschluss, dessen gerichtliche Abberufung aus einem in seiner Person liegenden wichtigen Grund zu beantragen (Anlage ASt 1 [AS29]).Randnummer15

Mit Beschluss vom 20.10.2021 – dem Antragsgegner zugestellt am 28.10.2021 (AS 172) – hat das Registergericht dem Begehren des Antragstellers stattgegeben: Das Löschen und Manipulieren von E-Mails sei ein die Abberufung tragender wichtiger Grund. Es sei sowohl eine grobe PflichtverletzungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
grobe Pflichtverletzung
Pflichtverletzung
als auch eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Antragstellers als gegeben anzunehmen. Dieser könne überzeugend darlegen und habe glaubhaft gemacht, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich und daher seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigt sei. Der Antragsteller habe die Geschäftsführung der Gesellschaft zu überwachen und gewähre zudem Betriebsratsmitgliedern im Aufsichtsrat Einblick und Mitspracherechte in strategische Fragen der Unternehmensentwicklung. Daran anknüpfend sei die Grundlage der Zusammenarbeit der Mitglieder des Antragstellers sowie das jeweilige Vertrauen ineinander als auch das Pflichtbewusstsein und die Integrität der Mitglieder als einheitliches Gesellschaftsorgan durch das Verhalten des Antragsgegners nicht mehr gewährleistet. Durch sein Handeln – welches er erst zu jenem Zeitpunkt zugegeben habe, in dem die Aufklärung der Vorgänge aufgrund von technischen Daten und Mitteln unmittelbar bevorgestanden habe – habe der Antragsgegner das Vertrauen in seine Person und dadurch in seine Loyalität und sein Pflichtbewusstsein verloren. Denn der Antragsgegner habe aus dem Inneren der Gesellschaft damit gegen den Vorstand, der ein Ermittlungsverfahren zur Aufarbeitung des Sachverhalts rund um B. eingeleitet gehabt habe, und damit letztlich gegen die gesamte Gesellschaft und den Antragsteller gearbeitet. Dem Antragsgegner sei dabei jenes Ermittlungsverfahren als Aufsichtsrat und Betriebsratsvorsitzenden auch von Beginn an bekannt gewesen. Er habe somit, trotz des Wissens, dass möglicherweise vertragswidrige Abläufe stattgefunden hätten, sein persönliches Interesse und die Beziehung zu B. über das Interesse der Gesellschaft gestellt, indem er – wie von ihm (erst) am 25.06.2021 zugegeben und vom Antragsteller durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen von K. und der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden B. im Übrigen auch glaubhaft gemacht – E-Mails gelöscht, verschoben und E-Mails und auch den Scan des Protokolls einer Betriebsratssitzung inhaltlich manipuliert habe. Auch wenn der Antragsgegner hierbei im Wesentlichen im Rahmen seiner Stellung als Betriebsratsvorsitzender gehandelt habe, so werde daraus doch deutlich, dass eine vertrauensvolle Arbeit zwischen dem Antragsgegner als Person und den übrigen Mitgliedern des Antragstellers aufgrund dieses Verhaltens nicht mehr möglich sei, weil zukünftige Entscheidungen oder Abstimmungen des Antragsgegners hinterfragt werden könnten und aus Sicht des als Kontrollorgan fungierenden Antragstellers sogar hinterfragt werden müssten, so dass von einer erheblichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Antragstellers auszugehen sei. Ein solches Bild würde letztlich nicht nur an der Integrität des einzelnen Mitgliedes, sondern auch an der des gesamten Antragstellers zweifeln lassen. Das Verbleiben des Antragsgegners im Antragsteller bis zum Ablauf seiner Amtszeit sei daher für die Gesellschaft und den Antragsteller unzumutbar. Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten vor dem Registergericht wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.Randnummer16

Hiergegen wendet sich die am 24.11.2021 (AS 173) eingelegte und begründete Beschwerde des Antragsgegners, der mit seinem Rechtsmittel sein Begehren auf Zurückweisung des Antrags des Antragstellers weiterverfolgt: Die von der Gesellschaft am 01.06.2021 bis spätestens zum 04.06.2021 beantragte Betriebsratssitzung sei auf den 04.06.2021 terminiert, dann allerdings auf Wunsch der Gesellschaft mit Mail vom 02.06.2021 verlegt worden und habe am 07./08.06.2021 stattgefunden. Noch am 08.06.2021 habe der Betriebsrat – gemäß seinem am gleichen Tag gefassten Beschluss – eine inhaltlich korrekte und vollständige Excel-Liste, an deren Erstellung er – der Antragsgegner – nicht beteiligt gewesen sei, mit den Angaben des B. zu Absagen und Absagegrund für Betriebsratssitzungen übersandt. Somit habe es auch keinerlei Auswirkungen durch seinen – des Antragsgegners – Datenzugriff gegeben. Nachdem er – der Antragsgegner – in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender der Gesellschaft die von dieser mit Mail vom 11.06.2021 angeforderten Originaldokumente am 15.06.2021, die er zuvor so, wie sie ursprünglich gewesen seien, wiederhergestellt gehabt habe, per Mail übersandt gehabt habe, hätten der Gesellschaft am 15.06.2021 alle angeforderten Daten, die sie in dem gegenüber B. geführten Verfahren beansprucht habe, vorgelegen. Unklar sei, weshalb vom Antragsteller ausgeführt werde, dass das Rechercheteam bei der Recherche nichts habe finden können; es habe vielmehr ein Dokument, die Meeting-Request-Absage der 83ten BR-Sitzung vom 22.10.2020 gefunden und zur Weiterleitung zur Verfügung gestellt. Er – der Antragsgegner – habe weitere ursprünglich gelöschte und die inhaltlich wieder richtig gestellte Meeting-Request-Absage hinzugefügt. Er habe sein Verhalten nicht erstmals in der Anhörung vom 25.06.2021 geändert, vielmehr habe er bereits im Vorfeld vollständig dafür gesorgt, dass sein Zugriff auf die Daten rückgängig gemacht worden sei und die Gesellschaft die Daten erhalte; in der Anhörung habe er sodann sein Verhalten unumwunden eingeräumt, sich einsichtig gezeigt und entschuldigt. Es sei somit auch unrichtig, dass sein umfassendes Geständnis nur deshalb erfolgt sei, weil eine Einsichtnahme in die Logfiles bevorgestanden habe. Er – der Antragsgegner – habe keinen Einfluss auf die Terminierung des Anhörungsgespräches und Einsichtnahme in die Logfiles gehabt; mit anderen Worten hätte die Einsicht in die Logfiles in jedem Fall stattgefunden und habe von vornherein nicht im Zusammenhang mit seinen zu erwartenden Angaben im Anhörungsgespräch gestanden. Sein umfassendes Geständnis zeige sich zudem darin, dass er in dem Gespräch am 25.06.2021 eingeräumt habe, Seiten aus dem Scan des Protokolls der 8ten Sitzung des Betriebsrats entfernt zu haben, was durch den geplanten Zugriff auf die Logfiles bezüglich der E-Mail-Requests nicht herauszufinden gewesen wäre. Unberücksichtigt sei geblieben, dass sich die Pflichtverletzung in Gestalt des Zugriffes auf die Daten des Betriebsrates allenfalls auf das Amt des Betriebsratsvorsitzenden beziehen könne, nicht aber auf das Amt als Aufsichtsrat. Die Gesellschaft habe weder ein Einsichtsrecht noch ein Recht auf Überlassung der Daten des Betriebsrats. Fehlerhaft sei eine negative Prognose gestellt worden: Zum einen sei nicht davon auszugehen, dass er – der Antragsgegner – abermals in vergleichbarer Weise agieren werde, was sich bereits an seinem Verhalten während der Datenabfrage der Gesellschaft zeige, in dem er die Zugriffe auf die Daten rückgängig gemacht habe, zum anderen sei es faktisch ausgeschlossen, da er sein Amt als Betriebsratsvorsitzender niedergelegt habe und damit faktisch keinen Zugriff auf das Mailpostfach des Betriebsratsvorsitzes mehr nehmen könne. Soweit das Registergericht annehme, dass sein – des Antragsgegners – Verbleib im Antragsteller zu dessen Funktionsunfähigkeit führen würde, unterstelle es wohl einen „Einfluss“ des Aufsichtsrates durch ihn (sic), was allerdings nicht der Fall sei. Bei Kollektivorganen wie dem Antragsteller könne es immer zu Uneinigkeit kommen, was allerdings die Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtige. Weshalb – unterstellt die Mitglieder des Antragstellers würden eine Abstimmung seinerseits in frage stellen – dadurch die Handlungsfähigkeit des Antragstellers beeinträchtigt sein könne oder an dessen Integrität zweifeln lassen würde, sei nicht ersichtlich. Ferner habe in die Abwägung einfließen müssen, dass die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Gesellschaft rechtlich durchaus zu hinterfragen sei. Die Gesellschaft habe vom Betriebsrat Daten angefordert, in welche allein dessen Mitglieder ein Einsichtsrecht hätten (§ 34 Abs. 3 BetrVG), und diese dazu verwenden wollen, um gegenüber B. den Verdacht – für den offensichtlich weder greifbare Anhaltspunkte noch andere Beweise existiert hätten, der Vorgesetzte von B. habe diesen nicht vermisst – zu bestätigen, dieser habe eigenmächtig mehrwöchigen Urlaub genommen. Die Angabe eines Absagegrundes einerseits und die Frage, ob tatsächlich Urlaub gemacht worden sei, seien zwei nicht korrelierende Dinge. Allenfalls könne angenommen werden, dass B. dem Betriebsrat einen unrichtigen Absagegrund mitgeteilt habe, was allenfalls eine Amtspflichtverletzung gegenüber dem Betriebsratsgremium darstellen würde. Ein angeblicher Lohnbetrug des B. habe über die streitgegenständlichen Meeting-Request-Absagen nicht bewiesen werden können. Letztlich habe die Gesellschaft durch die Anfrage gegenüber dem Betriebsrat nicht mehr herausfinden können, ob B. an einer Betriebsratssitzung teilgenommen habe oder nicht. Der Betriebsrat habe die Verwendung der Daten allein für die Anwendung des § 23 BetrVG freigegeben, einer Norm, die ausschließlich Konsequenzen für das Amt als Betriebsratsmitglied zur Folge haben könne; die Gesellschaft sei offensichtlich der Ansicht, sie habe die Daten zu anderen Zwecken verwenden können, als der Betriebsrat diese freigegeben habe. Er – der Antragsgegner – habe mithin keine Daten der Gesellschaft gelöscht und geändert. Dass der Antragsteller damit, sich auf diese Daten bzw. den Streit darum, ob er – der Antragsgegner – diese löschen oder ändern durfte, als Grund für seine Abberufung zu berufen, ausgeschlossen sei, folge unmittelbar auch aus dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), wonach technische Daten, die zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle geeignet seien, nur nach entsprechender – hier fehlender – Mitbestimmung durch den Betriebsrat verwendet werden dürften; zur individualrechtlichen Sanktion gegenüber B. habe die Gesellschaft die Daten nach dem Beschluss des Betriebsrates aber gerade nicht verwenden dürfen. All das sei aber nur Gegenstand der rechtlichen Betrachtung, er – der Antragsgegner – sei keineswegs uneinsichtig und könne die Interessenlage der Gesellschaft an der Durchführung der Aufklärung verstehen und nachvollziehen. Er sei sich bewusst, dass zwischen der rechtlichen Beurteilung einerseits und im täglichen Umgang miteinander andererseits nicht immer die gleichen Grenzen verliefen.Randnummer17

Der Antragsgegner beantragt daher,Randnummer18

den Beschluss des Amtsgerichts – Registergericht – Mannheim vom 20.10.2021, Aktenzeichen: HRB 719915, dahin abzuändern, dass der Antrag zurückgewiesen wird.Randnummer19

Der Antragsteller verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,Randnummer20

die Beschwerde zurückzuweisen.Randnummer21

Das Registergericht hat der Beschwerde des Antragsgegners mit Beschluss vom 21.12.2021 (AS 227 f.) nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten in der Beschwerde wird auf die hier gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Registergerichts (Art.9Abs.1lit.c) ii) SE-VO, §103Abs.3Satz4AktG,§§402Abs.1, 375 Nr. 3, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 3 Satz 1 FamFG) hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist das Registergericht in dem angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass in der Person des Antragsgegners ein wichtiger Grund vorliegt, der dessen Abberufung als Aufsichtsratsmitglied auf Antrag des Antragstellers veranlasst (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG).Randnummer23

1. Da der Antragsgegner als Gewerkschaftsvertreter – und nicht als Arbeitnehmer der Gesellschaft – zum Mitglied des Aufsichtsrats bestellt wurde (§§ 36 Abs. 3 Satz 2, 6 Abs. 2 Satz 1 SEBG), seine Bestellung somit unabhängig vom Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit der Gesellschaft ist, ist der in Bezug auf letzteres geführte Kündigungsschutzprozess und dessen Ausgang für das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ohne Belang (vgl. dazu auch MünchKomm/AktGHabersack, 5. Aufl. 2019, § 103 Rn. 41).Randnummer24

2. Der erforderliche Antrag des Antragstellers auf Abberufung des Antragsgegners als Aufsichtsratsmitglied aus einem in seiner Person liegenden wichtigen Grund (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, § 103 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG) liegt mit dem Beschluss vom 29.07.2021 (Anlage ASt 1 [AS 19 f.]) vor (vgl. dazu auch Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 103 Rn. 12).Randnummer25

3. Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerde des Antragsgegners dagegen, dass das Registergericht einen in seiner Person liegenden, seine Abberufung als Aufsichtsratsmitglied tragenden wichtigen Grund (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG; vgl. dazu auch Habersack/Drinhausen-Seibt, SE-Recht, 3. Aufl. 2022, Art. 40 SE-VO Rn. 62) angenommen hat.Randnummer26

3.1 Das einen unbestimmten Rechtsbegriff beinhaltende Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grundes (in der Person des abzuberufenden Aufsichtsratsmitglieds) ist aufgrund einer wertenden Beurteilung der – vom Gericht festzustellenden – Umstände des Einzelfalles auszufüllen (vgl. OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG München
, Beschl.v.28.08.2018 – 31Wx61/17 [jurisRn.2]; OLG Frankfurt, Beschl.v.01.10.2007 – 20 W 141/07 [juris Rn. 10]; MünchKomm/AktGHabersack, 5. Aufl. 2019, § 103 Rn. 39). Ein die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds tragender wichtiger Grund in dessen Person ist im Allgemeinen gegeben, wenn ein Verbleiben des Mitgliedes im Aufsichtsrat bis zum Ablauf seiner Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist (arg.§626Abs.1BGB und § 84 Abs. 3 AktG; vgl.auchSchmidt/Lutter-Drygala, AktG, 4. Aufl. 2020, § 103 Rn. 14; Grigoleit – Grigoleit/Tomasic, AktG, 2. Aufl. 2020, § 103 Rn. 17; Frodermann/Janott – Henning, Hdb AktienR, 9. Aufl. 2017, § 8 Rn. 60 Fn.116;KK/AktG-Mertens/Cahn,AktG,3.Aufl.2013,§103Rn.33), insbesondere weil der weitere Verbleib im Amt die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats nicht unerheblich beeinträchtigt oder eine sonstige Schädigung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Schädigung der Gesellschaft
erwarten lässt (vgl. OLG München, Beschl. v. 28.08.2018 – 31 Wx 61/17 [juris Rn. 3]; Beschl. v. 28.08.2018 – 31 Wx 135/18 [BeckRS 2018, 20539 Rn. 5]; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
, Beschl.v.01.10.2007-20W141/07[juris Rn. 10]; Bürgers/Körber/Lieder – Bürgers/Fischer,AktG,5.Aufl. 2021, § 103 Rn. 11). Zu fragen ist vor allem, welche Bedeutung der für die Abberufung herangezogene Grund im konkreten Einzelfall für das Interesse der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Aufsichtsrat hat (vgl. Hölters/Weber-Simons, AktG, 4. Aufl. 2022, § 103 Rn. 34). Das Interesse des Aufsichtsratsmitglieds, sein Amt beizubehalten, wiegt angesichts der Tatsache, dass es sich – nur – um ein Nebenamt handelt, nicht derart schwer wie das eines Vorstandsmitglieds (vgl. BeckOGK- Spindler, 01.09.2021, § 103 AktG Rn. 34). Da das Aufsichtsratsmandat im Unternehmensinteresse ausgeübt wird, haben vielmehr die Interessen des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber demjenigen der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Aufsichtsrat grundsätzlich zurückzustehen (vgl.Hirte/Mülbert/Roth-Hopt/Roth, AktG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 64).Randnummer27

3.2 Zu Unrecht nimmt der Antragsgegner insoweit zunächst an, ausschließlich die Verletzung seiner Organpflichten anlässlich seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied könne einen seine Abberufung als solches tragenden wichtigen Grund in seiner Person bilden, nicht aber ein außerhalb seiner Organtätigkeit als Aufsichtsratsmitglied erfolgtes Fehlverhalten.Randnummer28

3.2.1 Denn es ist – auch soweit der in der Person des Aufsichtsratsmitgliedes liegende wichtige Grund (wie hier) verhaltensbedingt ist (vgl. dazu Hirte/Mülbert/Roth – Hopt/Roth, AktG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 63) – (lediglich) maßgeblich, ob das Verhalten des Mitglieds des Aufsichtsrats – sei es als solches oder außerhalb seines Aufsichtsratsmandats – konkrete nachteilige Folgen für den Geschäftsgang oder das Ansehen der Gesellschaft hat oder die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat gefährdet; dies gilt selbst bei – rein – privaten Verfehlungen eines Aufsichtsratsmitglieds (vgl. Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 103 Rn. 11; Schmidt/Lutter – Drygala, AktG, 4. Aufl. 2020, § 103 Rn. 18; Hirte/Mülbert/Roth – Hopt/Roth, AktG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 63; KK/AktGMertens/Cahn, AktG, 3. Aufl. 2013, § 103 Rn. 37 sowie – zum Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied [§ 84 Abs. 3 AktG], wo der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes grundsätzlich in gleicher Weise auszulegen ist [vgl. BeckOGK – Spindler, 01.09.2021, § 103 AktG Rn. 34; Hölters/Weber – Simons, AktG, 4. Aufl. 2022, § 103 Rn. 34] – Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl. 2021, § 84 Rn. 28; MünchKomm/AktGSpindler, 5. Aufl. 2019, § 84 Rn. 132). Demnach ist für einen verhaltensbedingten wichtigen Grund – nur – erforderlich, dass ein Zusammenhang des Verhaltens mit der Aufsichtsratstätigkeit erkennbar ist (vgl. BeckOGK – Spindler, 01.09.2021, § 103 AktG Rn. 34), wofür ausreicht, dass es sich auf diese Tätigkeit und damit die Gesellschaft auswirkt (vgl. Hirte/Mülbert/Roth – Hopt/Roth, AktG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 63 und 79); für letzteres genügen bereits Reputationsschäden der Gesellschaft, die – auch – auf einem ethischen Fehlverhalten des Aufsichtsratsmitglieds außerhalb seines Aufsichtsratsmandats beruhen können (vgl. Hirte/Mülbert/Roth – Hopt/Roth, AktG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 79; KK/AktGMertens/Cahn, AktG, 3. Aufl. 2013, § 103 Rn. 37).Randnummer29

3.2.2 Unabhängig davon, dass die Aufsichtsratsmitglieder (auch) außerhalb der Wahrnehmung ihrer Organfunktion zumindest eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht gegenüber den Interessen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Interessen der Gesellschaft
trifft (§242BGB; vgl.dazuauchOLGStuttgart,Urt.v.29.02.2012-20U3/11[jurisRn.194];KK/AktG-Mertens/Cahn,AktG,3.Aufl.2013,§116Rn.26), kann ein wichtiger Grund nach alledem insbesondere dann vorliegen, wenn Verfehlungen – auch außerhalb der Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats – einen Rückschluss auf die mangelnde Eignung als Aufsichtsratsmitglied, beispielsweise eine mangelnde Zuverlässigkeit, zulassen und/oder zumindest ein – tatsächlicher – Bezug zwischen ihnen und der Tätigkeit als Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht (vgl. auch BeckOGK – Spindler, 01.09.2021, § 103 AktG Rn. 34; Hirte/Mülbert/Roth – Hopt/Roth, AktG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 63 sowie – wiederum zum Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied [§ 84 Abs. 3 AktG] – BeckOGK – Fleischer, 01.09.2021, § 84 AktG Rn. 137; MünchKomm/AktGSpindler,5.Aufl.2019,§ 84 Rn. 134; Hirte/Mülbert/Roth – Kort, AktG, 5. Aufl. 2015, § 84 Rn. 156). Denn bei der Beurteilung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, kommt es unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance (sieheauchdortigeGrundsätze10[Satz4] und19 [Satz1] DCGK) wesentlich auf das Unternehmensinteresse an einer funktionsfähigen Überwachung durch den Aufsichtsrat (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschl. v. 01.10.2007 – 20 W 141/07 [juris Rn. 11]; Hirte/Mülbert/Roth – Hopt/Roth, AktG, 5. Aufl. 2018, § 103 Rn. 67) und damit – auch – auf die eine solche gewährleistende persönliche Integrität von dessen Mitgliedern und die Vereinbarkeit einer weiteren Aufsichtsratstätigkeit mit der Verpflichtung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder auf das Unternehmensinteresse an (vgl. auch MünchKomm/AktG-Habersack, 5. Aufl. 2019, § 103 Rn. 40).Randnummer30

3.3 Gemessen an diesem Maßstab erfüllt bereits das unstreitige Verhalten des Antragsgegners im Zusammenhang mit der Manipulation und Löschung von die Abwesenheit des B. anlässlich Betriebsratssitzungen der Gesellschaft betreffenden Daten die Voraussetzungen eines seine Abberufung als Aufsichtsratsmitglied tragenden wichtigen Grundes in seiner Person.Randnummer31

3.3.1 Dass der Antragsgegner unmittelbar, nachdem er am 27.05.2021 gegen Mittag durch die Gesellschaft über deren Auskunftsbegehren in Bezug auf die Abwesenheit seines Betriebsratskollegen B. bei den Sitzungen des Betriebsrates informiert worden war, um 13:19 Uhr dessen Absage-E-Mail zur 90. Sitzung des Betriebsrates vom 10.12.2020 dergestalt manipulierte, dass er den darin genannten Grund für die Absage „Urlaub“ entfernte, stellt dieser ebenso wenig in Abrede wie, dass er am darauffolgenden Tag, dem 28.05.2021, die Absage-E-Mails des B. zur 80. Betriebsratssitzung am 15.10.2020, 82. Betriebsratssitzung am 22.10.2020 und 87. Betriebsratssitzung am 26.11.2020 aus der Inbox des Betriebsratsvorsitzes löschte und – zu einem nicht näher benannten Zeitpunkt – die letzten drei Seiten der Niederschrift über die 8. Sitzung des Betriebsrates vom 26.07.2018 mit der Unterschriften- und Nachladeliste sowie dem „Abwesenheits-Excel-Ausdruck“ entfernte.Randnummer32

3.3.2 Umstände, die – auch nur ansatzweise – ein anderes Motiv des Antragsgegners, als die manipulierten und entfernten Informationen zu Gunsten seines Betriebsratskollegen B. und zu Lasten der Gesellschaft im Rahmen der von dieser betriebenen Aufklärung des gegen letzteren aufgrund der whistleblower-Meldungen bestehenden Verdachts ungenehmigten Urlaubs zu unterdrücken, oder gar ein sein Verhalten rechtfertigendes Interesse tragen, hat der Antragsgegner weder gegenüber der Gesellschaft noch im vorliegenden gerichtlichen Verfahren dargetan noch ist dies sonst ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsgegner – nach dem von ihm nicht bestrittenen Vorbringen des Antragstellers – anlässlich seiner Verdachtsanhörung am 25.06.2021 eingeräumt, dass er B. mit seinem Verhalten habe helfen wollen. Dass der Antragsgegner zugleich Vorsitzender des Betriebsrates der Gesellschaft war und insofern gegebenenfalls gegenläufige Interessen zu denen in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied zu vertreten hatte, beseitigt weder seine vorbeschriebenen Verfehlungen als solche noch lässt es diese weniger schwerwiegend und damit nicht mehr als wichtigen Grund erscheinen. Denn zum einen ist die Spaltung einer Person mit kollidierenden Pflichten in solche Verhaltensweisen, die nur dem einen, nicht aber zugleich dem anderen Verantwortungsbereich zugeordnet werden könnten, wenn tatsächlich beide Bereiche betroffen sind, nicht möglich und eine solche Interessenkollision lässt die Pflichtwidrigkeit gegenüber der Gesellschaft nicht entfallen (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1979 – II ZR 244/78 [juris Rn. 13]). Zum anderen rechtfertigten es die vom Antragsgegner als Vorsitzenden des Betriebsrates der Gesellschaft wahrzunehmenden Interessen und von ihm im vorliegenden Verfahren (insbesondere mit Blick auf §§ 34 Abs. 3, 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) formulierten rechtlichen Bedenken gegen eine Herausgabe der von der Gesellschaft begehrten Informationen allenfalls, in diesem Gremium auf eine Versagung der Zustimmung zur Einsicht und Herausgabe der von der Gesellschaft begehrten Daten hinzuwirken, nicht aber die angeforderten Daten – (auch) am Betriebsrat vorbei (vor dessen Entscheidung über das Auskunftsbegehren) – eigenmächtig zu manipulieren und/oder zu löschen. Dies lag – schon bei Anwendung auch nur durchschnittlicher verkehrsüblicher Sorgfalt – auf der Hand und musste sich folglich auch dem Antragsgegner ohne weiteres sofort erschließen, weshalb dessen pauschales vorgerichtliches Berufen auf ein „Augenblicksversagen“ ihn im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht nennenswert zu entlasten vermag, zumal angesichts der sich über (mindestens) zwei Tage erstreckenden verschiedenen Manipulationen ohnehin nicht von „einem“ (!) „Augenblicksversagen“ gesprochen werden kann.Randnummer33

3.3.3 Durch sein eigenmächtiges, durch keinerlei rechtlich berechtigtes Interesse gedecktes Manipulieren und Löschen von der Gesellschaft zuvor vom Betriebsrat angeforderter Informationen, um diese im Interesse eines Betriebsratskollegen im Rahmen der von der Gesellschaft eingeleiteten Untersuchung zu unterdrücken, hat der Antragsgegner das – für seine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied (wie bereits ausgeführt) unerlässliche – Vertrauen der Gesellschaft in seine persönliche Integrität und Zuverlässigkeit zerstört und sich als ungeeignet für die Wahrnehmung des Unternehmensinteresses an einer funktionsfähigen Überwachung des Vorstands als Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft erwiesen. Mit einem Aufsichtsratsmitglied, das sich bei seinem wie hier – zumindest auch – die Gesellschaft betreffenden Verhalten, mag es auch außerhalb seiner eigentlichen Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied liegen, ohne anerkennenswerten Grund zu solchen Manipulationen hinreißen lässt, ist – wie schon das Registergericht letztlich zutreffend angenommen hat – eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat nicht mehr möglich; die Kooperationsbasis ist dadurch vielmehr so schwer und nachhaltig gestört, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr erwartet werden kann. Darauf, ob – wie der Antragsgegner im gerichtlichen Verfahren argumentiert – die von ihm (zunächst) unterdrückten Informationen (allein) überhaupt geeignet waren, einen „Lohnbetrug“ des B. zu beweisen, kommt es nichtan.DennauchwennmandiesmitdemAntragsgegnerverneint,rechtfertigtediesnichtdievon ihm vorgenommene Unterdrückung der Informationen durch die Manipulation und Löschung der Daten; lediglich ergänzend ist daraufhinzuweisen, dass der Umstand, dass der Antragsgegner die Manipulation und Löschung der Daten – um B. zu helfen – vorgenommen hat, zudem dafür spricht, dass er zumindest zum damaligen Zeitpunkt selbst noch anderer Auffassung war. Auch dass die – deutlich nach dem (Fehl-)Verhalten des Antragsgegners – am 08.06.2020 vom Betriebsrat ohne Zutun des Antragsgegners erstellte Excel-Liste (siehe auch Anlage ASt 5, Seiten 1 f. [AS 39 f.]) die Abwesenheiten des B. und deren Grund korrekt auswies, die vorherigen Manipulationen und Löschungen durch den Antragsgegner insoweit also ohne Auswirkung blieben, vermag diesen bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt seines Fehlverhaltens in Gestalt der Manipulation und Löschungen am 27. und 28.05.2021 – offensichtlich – nicht zu entlasten. Darauf, ob die Gefahr besteht, dass der Antragsgegner sich erneut in gleicher oder ähnlicher Weise (fehl-)verhält, kommt es nach alledem – entgegen dessen Auffassung – nicht an (vgl. dazu auch Hölters/Weber – Simons, AktG, 4. Aufl. 2022, § 103 Rn. 34); dies gilt ganz abgesehen davon, dass durch das Fehlverhalten des Antragsgegners das Vertrauen der Gesellschaft in dessen persönliche Integrität insgesamt zerstört wurde und es daher ohne Belang ist, ob sich gerade das konkrete Fehlverhalten durch die Manipulation und Löschung von Daten des Betriebsrates wiederholen kann; denn darauf beschränkt sich der Vertrauensverlust nicht.Randnummer34

3.3.4 Dieser die Abberufung des Antragsgegners als Mitglied des Aufsichtrates der Gesellschaft rechtfertigende wichtige Grund in seiner Person entfällt schließlich auch nicht deswegen, weil der Antragsgegner die von ihm manipulierten und gelöschten Daten zuletzt wiederhergestellt und der Gesellschaft überlassen hat. Denn zum einen vermag dies die aufgrund seiner vorherigen – heimlichen – Manipulation und Löschung der betroffenen Daten trotz des ihm bekannten Auskunftsbegehrens der Gesellschaft an seiner Integrität und Vertrauenswürdigkeit – zu Recht – begründeten Zweifel ohnehin nicht zu beseitigen. Und zum anderen hat der Antragsgegner – worauf der Antragsteller zutreffend hinweisen lässt – dies nicht offen, verbunden mit einem Eingeständnis seines vorherigen Fehlverhaltens oder zumindest dessen Offenlegung, sondern erneut heimlich durch eine erneute eigenmächtige Manipulation der Daten getan. Dadurch, dass er die Informationen der Gesellschaft am 15.06.2021 mit dem Bemerken „Wir haben noch einmal recherchiert und weitere Dokumente gefunden“ übersandt hat (Anlage ASt 11 [AS 53]), hat der Antragsgegner angesichts dessen, dass er zuvor – heimlich – selbst die von ihm zunächst gelöschten und manipulierten Daten wieder mit dem ursprünglichen Inhalt hergestellt hatte, wiederum versucht, die wahren Geschehnisse – nun zu seiner eigenen Entlastung – zu vertuschen; weshalb es sich in diesem Zusammenhang zu Gunsten des Antragsgegners auswirken soll, dass die recherchierenden Kollegen des Betriebsrats – ohne sein Zutun – in der Lage gewesen waren, die von seinen Manipulationen und Löschungen nicht betroffene Meeting-Request-Absage des B. zur 83. Sitzung des Betriebsrates am 22.10.2020 („Abwesend wegen Aufsichtsratssitzung“) aufzufinden, erschließt sich nicht. Auch dass damit die von der Gesellschaft angeforderten Daten dieser somit am 15.06.2021 zur Verfügung standen und sich folglich der Versuch von deren – endgültiger – Unterdrückung durch die zunächst vom Antragsgegner vorgenommenen Manipulationen und Löschungen letztlich als gescheitert erwies, lässt die durch das vorangegangene Verhalten des Antragsgegners begründeten Zweifel an seiner Integrität und damit Zuverlässigkeit und Eignung als Aufsichtsratsmitglied nicht entfallen. Letzteres gilt in gleicher Weise dafür, dass der Antragsgegner – schließlich – in seiner Verdachtsanhörung vom 25.06.2021 sein Fehlverhalten, auch soweit es – in einem Fall (Manipulation der Niederschrift der 8. Betriebsratssitzung vom 26.07.2018) – durch die Einsicht in die Logfiles der Inbox des Betriebsratsvorsitzes nicht aufgedeckt worden wäre (im Übrigen aber – ohne dass dies hier entscheidungserheblich wird – durch einen Vergleich mit den in Papierform vorhandenen Unterlagen, die der Antragsgegner zum Wiederherstellen des Protokolls genutzt hatte), eingeräumt hat. Dies gilt umso mehr, als der Betriebsrat bereits zuvor am 17.06.2021 der Einsichtnahme in die Logfiles der Inbox des Betriebsratsvorsitzes zugestimmt hatte und angesichts dessen die unwiderlegliche Enthüllung des Fehlverhaltens des Antragsgegners in Gestalt von dessen Manipulationen und Löschungen betreffend die 80., 82., 87. und 90. Betriebsratssitzung – wie auch der Antragsgegner als Mitglied des Betriebsrates wusste – jederzeit drohte; dass der Antragsgegner – wie er zuletzt vorbringen lässt – auf die Terminierung der Verdachtsanhörung und der Einsichtnahme in die Logfiles keinen Einfluss gehabt hat und letztere ohnehin in jedem Fall stattgefunden hätte, entlastet ihn nicht und rechtfertigt auch keine abweichende Beurteilung des bereits eingetretenen Vertrauensverlustes. Selbst wenn sich der Antragsgegner schließlich – wie von ihm für sich in Anspruch genommen – seit der Verdachtsanhörung einsichtig und reumütig gezeigt haben sollte, ist der Gesellschaft sein Verbleib im Aufsichtsrat bis zum Auslaufen seiner Bestellung im Jahr 2024 aufgrund seines gravierenden Fehlverhaltens durch die eigenmächtige Manipulation und Löschung von Daten und des dadurch zerstörten Vertrauens in seine Integrität und Zuverlässigkeit nicht – mehr – zumutbar. Wer – wie der Antragsgegner – derart bewusst gegen die Interessen und zum Nachteil der Gesellschaft, deren Aufsichtsrat er ist, handelt, verfügt nicht über die Zuverlässigkeit und persönliche Integrität, die für eine derartige Vertrauensstellung unabdingbar ist mit der Folge, dass für die Gesellschaft seine weitere Aufsichtsratstätigkeit unzumutbar ist.Randnummer35

3.3.5 Lediglich ergänzend – ohne dass dies hier entscheidungserheblich wird – ist daher darauf hinzuweisen, dass auch viel dafür spricht, dass aufgrund des Fehlverhaltens des Antragsgegners dessen Verbleib im Aufsichtsrat zu einem für die Gesellschaft nicht hinzunehmenden Reputationsverlust führen würde, weil damit eine Person, die sich durch ihr zumindest in engem Zusammenhang mit der Gesellschaft stehendes (Fehl-)Verhalten als nicht hinreichend integer und zuverlässig für die Wahrnehmung der (Überwachungs-)Aufgaben als Mitglied des Aufsichtsrats erwiesen hat, dennoch weiterhin diese Aufgaben bei der Gesellschaft wahrnehmen würde.Randnummer36

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG (vgl. Keidel – Heinemann, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 402 Rn. 16), der Geschäftswert folgt aus §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 67 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG.

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OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Oktober 2021 – 11 U 10/19

Mittwoch, 20. Oktober 2021

§ 147 Abs 2 S 1 AktGbesonderer Vertreter

Die einem besonderen Vertreter in § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG zugewiesene Aufgabe, Ersatzansprüche geltend zu machen, umfasst nicht die Befugnis zur Prozessvertretung der Gesellschaft in einem Honorarklageverfahren, das zwischen der Gesellschaft und den in ihrem Namen von dem besonderen Vertreter zum Zweck der Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ersatzansprüchen
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
hinzugezogenen Rechtsanwälten geführt wird (Abgrenzung BGH, Urteil vom 20. März 2018 – II ZR 359/16, BGHZ 218, 122).

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 09.08.2019, Az. 4 O 366/18, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 308.969,75 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die klagende Partnerschaft von Rechtsanwälten verlangt von der beklagten Aktiengesellschaft die Zahlung von Anwaltshonorar. Die Parteien streiten unter anderem um die Befugnis eines nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG für die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ersatzansprüchen
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
der Gesellschaft bestellten besonderen Vertreters, die Aktiengesellschaft auch in dem Honorarklageverfahren zu vertreten.Randnummer2

Mit Beschlüssen der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.06.2014 und 30.04.2015 wurde Prof. Dr. S. als besonderer Vertreter nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG bestellt, um Ersatzansprüche der Gesellschaft unter anderem gegen Aktionäre sowie Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder geltend zu machen. In dem auf Ersatzansprüche gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder beschränkten Bestellungsbeschluss vom 30.06.2014 ist u.a. Folgendes bestimmt:Randnummer3

Der besondere Vertreter darf sich ihm geeignet erscheinender Hilfspersonen, insbesondere solcher, die zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichtet sind, bedienen und sich insbesondere in rechtlicher und technischer Hinsicht (z.B. durch einen Fachmann auf dem Gebiet der Gelatine, Gelatineproduktion bzw.-verarbeitung) beraten und unterstützen lassen.
Dem besonderen Vertreter ist unmittelbarer unbehinderter Zugang zu Personal und – insbesondere seinen Auftrag betreffenden – Unterlagen der Gesellschaft zu gewähren.“Randnummer4

Mit dem Bestellungsbeschluss vom 30.04.2015 wurde der Auftrag zur Geltendmachung unter Wiedergabe des Beschlusswortlauts vom 30.06.2014 auf weitere Anspruchsgegner erstreckt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschlussfassung wird auf die Versammlungsniederschriften vom 30.06.2014 und 30.04.2015 (Anl. K1 und K2) verwiesen.Randnummer5

Aus Anlass des Bestellungsbeschlusses vom 30.06.2014 schlossen der besondere Vertreter und die Beklagte unter dem 01./21.07.2014 eine Mandatsvereinbarung (Anl. GL16), in der sie u.a. die Befugnis, Hilfspersonen hinzuzuziehen, gleichlautend regelten (§ 1 Abs. 2 Mandatsvereinbarung). In einer ebenfalls unter dem 01./21.07.2014 geschlossenen Vergütungsvereinbarung (Anl. GL15) vereinbarten die Beklagte und der besondere Vertreter unter anderem, dass Tätigkeiten von hinzugezogenen Hilfspersonen nach dem tatsächlichen Zeitaufwand zu deren üblichen Stundensätzen pro Arbeitsstunde als Auslagen in Rechnung gestellt werden (§ 2 Abs. 2 Vergütungsvereinbarung).Der besondere Vertreter sollte zudem berechtigt sein, für seine und die von Hilfspersonen zu erbringenden Beratungsleistungen einen angemessenen Vorschuss in Rechnung zu stellen (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Vergütungsvereinbarung).Randnummer6

Auf der Grundlage der nicht angefochtenen Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse machte der besondere Vertreter in zwei erstinstanzlichen Verfahren Ersatzansprüche geltend. Das Landgericht Heidelberg wies die Klagen mit Urteilen vom 26.08.2016 und vom 28.06.2017 ab. Die Urteile sind Gegenstand der von dem besonderen Vertreter für die Aktiengesellschaft beim Oberlandesgericht Karlsruhe unter Az. 19 U 106/16 und Az. 11 U 58/17 geführten Berufungsverfahren.Randnummer7

Nach Erlass des ersten klageabweisenden Urteils vom 26.08.2016 schloss der besondere Vertreter unter dem 20.09.2016 im Namen der Beklagten mit der Klägerin eine „Mandats- und Vergütungsvereinbarung“ (Anl. K12), deren Gegenstand die zivilrechtliche Beratung und Prozessvertretung der Beklagten im Zusammenhang mit dem am 26.08.2016 entschiedenen Rechtsstreit sein sollte. Die Bedingungen dieser Vereinbarung sollten auch für andere Mandate gelten, soweit sich die Parteien hierauf einigen. Vereinbart wurde ein Stundensatz in Höhe von 350 EUR netto und eine Abrechnung in Zeiteinheiten von 6 Minuten. Der Klägerin wurde gestattet, in angemessenen Zeitabständen Zwischenrechnungen zu stellen (Ziff. 1a und b, Ziff. 2 a und c Mandats- und Vergütungsvereinbarung).Randnummer8

Durch schriftliche „Erweiterung der Mandats- und Vergütungsvereinbarung“ vom 06.07.2017 (Anl. K13) vereinbarten die Klägerin und der besondere Vertreter die Geltung der Mandats- und Vergütungsvereinbarung für die zivilrechtliche Beratung und Prozessvertretung der Beklagten im Zusammenhang mit dem durch das zweite Urteil vom 28.06.2017 entschiedenen Rechtsstreit. Die Bedingungen der Mandats- und Vergütungsvereinbarung sollten für das weitere Mandat und „die in diesem Zusammenhang bereits erfolgte Beratung“ gelten.Randnummer9

Die Klägerin stellte der Beklagten, vertreten durch den besonderen Vertreter, mehrere Zwischenrechnungen. Der besondere Vertreter billigte die Rechnungen und leitete sie jeweils dem Vorstand der Beklagten mit der Bitte um Ausgleich zu. Die ersten Honorarrechnungen vom 13.01.2017 (342.154,35 EUR) und vom 07.08.2017 (93.134,81 EUR) ließ der Vorstand bezahlen, behielt sich zuletzt jedoch Schadensersatzansprüche gegen den besonderen Vertreter wegen der Höhe des für nicht mehr vertretbar gehaltenen Aufwands vor (Anl. GL4 bis GL9 und Anlagenkonvolut KS&P1).Randnummer10

Gegen die Honorarrechnung Nr. 171103 vom 06.11.2017 über weitere 380.347,80 EUR (913,2 Stunden zu je 350 EUR) für die Tätigkeit im Berufungsverfahren Az. 11 U 58/17 wandte der Vorstand ein, dass ein unsachgemäß hoher Aufwand abgerechnet werde und die mit der Klägerin geschlossene Vergütungsvereinbarung formnichtig sei. Die Beklagte sei deswegen für dieses Berufungsverfahren einschließlich der Teilnahme an einer noch stattfindenden mündlichen Verhandlung nur zur Zahlung der gesetzlichen Vergütung i.H.v. 305.587,72 EUR (brutto) verpflichtet (Schreiben vom 19.02.2018; Anl. GL11). Diesen Betrag zahlte die Beklagte an die Klägerin. Die Zahlung des Restbetrags und weiterer vom besonderen Vertreter gebilligter Honorarrechnungen der Klägerin lehnte der Vorstand ab. Im Einzelnen wurden folgende Rechnungsbeträge nicht beglichen:Randnummer11

– Rechnung Nr. 171103 vom 06.11.2017 zu Az. 11 U 58/17 (913,2 Stunden, Anl. K3):Rest: 74.760,08 EUR
                
– Rechnung Nr. 180602 vom 20.06.2018 zu Az. 19 U 106/16 (323,8 Stunden, Anl. K4):135.320,92 EUR
                
– Rechnung Nr. 180603 vom 20.06.2018 zu Az. 11 U 58/17 (236,2 Stunden, Anl. K5)98.888,76 EUR
                
Summe:308.969,76 EUR.

Mit Schreiben an den Besonderen Vertreter forderte die Klägerin die Beklagte unter Androhung gerichtlicher Durchsetzung erfolglos zur Zahlung von 308.969,75 EUR auf (Schriftsatz vom 16.08.2018, Anl. K7). Die vom Vorstand der Beklagten beauftragte Rechtsanwaltskanzlei GL wies den besonderen Vertreter auf dessen fehlende Vertretungsmacht betreffend Honorarfragen hin, forderte ihn ungeachtet dessen auf, die gegen die Honorarrechnungen erhobenen Einwände im Namen der Beklagten geltend zu machen und lehnte eine Genehmigung etwaiger Prozesshandlungen des besonderen Vertreters durch den Vorstand ab (Schriftsatz vom 30.08.2018, Anl. GL 12).Randnummer13

Die Klägerin reichte daraufhin beim Landgericht die vorliegende, gegen die Beklagte, „vertreten durch Prof. Dr. S. als besonderen Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 AktG aufgrund der Hauptversammlungsbeschlüsse vom 30. Juni 2014 und vom 30. April 2015 (…)“ gerichtete Klage auf Zahlung von Honorar nebst Zinsen ein, welche antragsgemäß an den besonderen Vertreter an dessen Kanzleisitz zugestellt wurde (Seite 1 und Seite 15, Rn. 44 der Klageschrift vom 05.09.2018, AS I/1, I/29; Empfangsbekenntnis AS I/39).Randnummer14

Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen, die Beklagte werde ausschließlich von dem besonderen Vertreter vertreten. Die organschaftliche Vertretungsbefugnis des besonderen Vertreters umfasse auch die Beauftragung von Hilfspersonen, insbesondere die Mandatierung einer Anwaltskanzlei im Namen der Aktiengesellschaft und den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung. Zudem sei der besondere Vertreter von der Hauptversammlung ausdrücklich ermächtigt worden, Hilfspersonen hinzuzuziehen. Seine Vertretungsbefugnis erfasse auch die prozessuale Vertretung der Aktiengesellschaft hinsichtlich der Honorarklage. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.03.2018, Az. II ZR 395/16, zur Honorarklage einer von einem Aufsichtsrat mit einer Sonderuntersuchung beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die von dem Vorstand veranlasste Zahlungsverweigerung diene dazu, eine effektive Tätigkeit des besonderen Vertreters zu behindern. Die Honorarforderungen seien auch berechtigt. Die abgerechneten Leistungen seien eng mit dem besonderen Vertreter abgestimmt und vereinbarungsgemäß erbracht worden. Der Vorstand sei nicht berechtigt, Honorarrechnungen einer eigenen Beurteilung zu unterziehen und auf dieser Grundlage weitere Zahlungen zu verweigern. Die Beklagte befinde sich jeweils 14 Tage nach Rechnungszugang in Verzug und schulde daher Verzugszinsen, die sich im Zeitraum 23.11.2017 bis 21.02.2018 auf 7.699,91 EUR belaufen würden. Mit der Klage nicht geltend gemachte vertragliche oder gesetzliche Ansprüche blieben vorbehalten.Randnummer15

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt (AS I/3):Randnummer16

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 308.969,75 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. neun ProzentpunktenRandnummer17

a. aus einem Betrag i.H.v. 74.760,08 EUR seit dem 22.02.2018 (einschließlich) undRandnummer18

b. aus einem weiteren Betrag i.H.v. 234.209,67 EUR seit dem 06.07.2018 (einschließlich)Randnummer19

zu zahlen.Randnummer20

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen weiteren Betrag i.H.v. 7.699,91 EUR zu zahlen.Randnummer21

Für die Beklagte, vertreten durch den besonderen Vertreter, hat der besondere Vertreter mit Schriftsatz vom 18.09.2018 folgende Erklärung abgegeben (AS I/45 f.):Randnummer22

„(…) erkennen wir namens und im Auftrag der Beklagten, vertreten durch den besonderen Vertreter, die mit Klageschrift vom 5. September 2018 geltend gemachten Ansprüche der Klägerin – unter dem Vorbehalt des Vorliegens der Prozesshandlungsvoraussetzungen, d.h. der gesetzlichen Vertretung durch den besonderen Vertreter – an.“Randnummer23

Der besondere Vertreter führte hierzu aus, dass er die Beklagte auch im Honorarprozess mit den von ihm mandatierten Anwälten vertrete und gegen die geltend gemachten Honorarforderungen keine Einwendungen habe. Als Prozessbevollmächtigte der Beklagten gab er die „als Rechtsanwälte zugelassen Partner der Sozietät GK“ an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 18.09.2018 verwiesen.Randnummer24

Für die Beklagte, vertreten durch die Vorstandsmitglieder, haben die vom Vorstand bestellten Prozessbevollmächtigten (Rechtsanwälte GL)Randnummer25

KlageabweisungRandnummer26

beantragt (AS I/49).Randnummer27

Zur Begründung haben sie die fehlende Befugnis des besonderen Vertreters zur Vertretung der Gesellschaft in dem Honorarprozess, die unwirksame Zustellung der Klage an den besonderen Vertreter, die unwirksame Prozessvollmacht der „als Rechtsanwälte zugelassen Partner der Sozietät GK“ sowie die Unwirksamkeit von Prozesshandlungen, insbesondere des Anerkenntnisses vom 18.09.2018, gerügt und dem Anerkenntnis widersprochen.Randnummer28

Nachfolgend haben die Rechtsanwälte GL die Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen beantragt. Die Kammer für Handelssachen hat die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt (Beschluss vom 10.12.2018, AS I/257 ff.), da es an einem wirksamen Verweisungsantrag fehle. Dies gelte auch, wenn Honorarstreitigkeiten mit Anwälten, die vom besonderen Vertreter beauftragt seien, nicht in dessen Vertretungsmacht fielen. Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats aus § 112 AktG für Klagen gegen Vorstände erstrecke sich auch auf Honorarklagen aus Aufträgen an Hilfspersonen (zu § 111 AktG BGH, Urt. v. 20.03.2018, Az. II ZR 359/16). Ein Verweisungsantrag eines vom Aufsichtsrat bevollmächtigten Prozessvertreters oder eine Genehmigung des Verweisungsantrags des Vorstands liege aber nicht vor.Randnummer29

Die Beklagte (Rechtsanwälte GL) hat daraufhin eine den Rechtsanwälten GL für die Honorarklage erteilte, von zwei Vorstandsmitgliedern und dem Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnete Vollmacht vom 04.03./05.03.2019 (Anl. GL13) sowie einen Protokollauszug der Aufsichtsratssitzung vom 17.12.2018 (Anl. GL14) vorgelegt, in dem es unter „TOP 10 Verschiedenes“ heißt:Randnummer30

Beschluss Honorarklage EHW (von GL)
(…)Randnummer31

Vor diesem Hintergrund fasst der Aufsichtsrat einstimmig folgenden Beschluss:Randnummer32

Der Aufsichtsrat schließt sich dem Vorstand an und beauftragt vorsorglich auch selbst im Namen der Gesellschaft GL damit, die Gesellschaft in dem Rechtsstreit mit EHW umfassend zu beraten und gerichtlich zu vertreten.Randnummer33

Der Aufsichtsrat genehmigt sämtliche bisher in diesem Rechtsstreit durch GL vorgenommenen Prozesshandlungen.“Randnummer34

In dem sich anschließenden Gerichtsstandsbestimmungsverfahren hat das Oberlandesgericht Karlsruhe (15. Zivilsenat) mit Beschluss vom 10.07.2019 entschieden, dass mangels wirksamen Verweisungsantrags die Zivilkammer zuständig sei (Az. 15 AR 8/19, AS I/389 ff., veröffentlich bei juris). Jedenfalls für das Bestimmungsverfahren sei zugrunde zu legen, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten den Rechtsanwälten GL keine wirksame Prozessvollmacht hätten erteilen können, weil nicht sie, sondern der besondere Vertreter die Beklagte in der vorliegenden Streitsache vertrete. Ob die Kompetenz des besonderen Vertreters soweit reiche, dass er namens der Beklagten die Honorarforderung anerkennen dürfe, sei keine im Rahmen des Bestimmungsverfahrens zu klärende Frage.Randnummer35

Mit dem angegriffenen Anerkenntnisurteil vom 09.08.2019 (AS I/437 ff.; veröffentlicht bei juris) hat das Landgericht Heidelberg die Beklagte aufgrund Anerkenntnisses vom 18.09.2018 antragsgemäß verurteilt. Der besondere Vertreter habe für die Beklagte eindeutig ein Anerkenntnis erklärt. Ferner sei mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 10.07.2019 zu Az. 15 AR 8/19 davon auszugehen, dass die Beklagte in dem Rechtsstreit nicht durch Vorstand oder Aufsichtsrat, sondern durch den besonderen Vertreter vertreten werde. Insbesondere sei die Interessenlage dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall der gerichtlichen Vertretung einer Gesellschaft im Streit um einen vom Aufsichtsrat erteilten Sachverständigenauftrag (BGH, Urt. v. 20.03.2018, Az. II ZR 359/16) vergleichbar. Den Bestellungsbeschlüssen sei keine Einschränkung dahingehend zu entnehmen, dass der besondere Vertreter Rechtsanwälte nur in eigenem Namen mandatieren dürfe. Die Vertretungsmacht umfasse auch die Abgabe eines Anerkenntnisses. Davon unberührt bleibe die Frage, inwieweit der besondere Vertreter sich durch diese Vorgehensweise gegenüber der Aktiengesellschaft schadensersatzpflichtig mache. Ein Missbrauch der VertretungsmachtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Missbrauch der Vertretungsmacht
Vertretungsmacht
, der zur Nichtigkeit der Erklärung des Anerkenntnisses führe, liege aber nicht vor. Insbesondere sei die Mandats- und Vergütungsvereinbarung weder offensichtlich formunwirksam noch sei dargetan, welche Beratungsleistungen der Klägerin einen unangemessen hohen Aufwand darstellen würden. Im Übrigen stehe es der Hauptversammlung frei, den besonderen Vertreter ohne Angaben von Gründen abzuberufen.Randnummer36

Das Anerkenntnisurteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, ist beiden für die Beklagte auftretenden Prozessbevollmächtigten am 19.08.2019 zugestellt worden (AS I/463 f.). Es wird von der Beklagten, vertreten durch Vorstand und Aufsichtsrat, mit der am 18.09.2019 beim Oberlandesgericht eingegangenen Berufung angegriffen (AS II/1).Randnummer37

Zur Begründung des Rechtsmittels trägt die Beklagte nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 19.11.2019 (AS II/16) mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz der Rechtsanwälte GL vor, die Klage sei unzulässig und unbegründet (AS II/18 ff.). Die Beklagte sei mangels Vertretungsbefugnis des besonderen Vertreters bereits nicht prozessfähig gewesen. Zur Begründung einer von § 78 Abs. 1 AktG abweichenden Vertretungsbefugnis sei eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich, an der es hier fehle. § 147 Abs. 2 S. 1 AktG sei keine Befugnisnorm zu Gunsten des besonderen Vertreters, sondern eine Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung. Die Befugnisse des besonderen Vertreters würden durch den im Rahmen des § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG gefassten Bestellungsbeschluss konkretisiert. Seine Rolle sei nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG auf Ersatzansprüche der Gesellschaft betreffende Aktivprozesse beschränkt. Der besondere Vertreter sei nur insoweit gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft, als seine Befugnis reiche, Ersatzansprüche gegen Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats im Namen der Gesellschaft zu verfolgen. Diese Befugnis sei ein abgespaltener Teil der umfassenden gesetzlichen Vertretungsmacht des Vorstands. Die vorliegende Honorarstreitigkeit liege außerhalb des vom Gesetzgeber und in den Bestellungsbeschlüssen definierten Aufgabenbereichs. Nach dem Wortlaut des § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG sei die Hauptversammlung nicht befugt, den besonderen Vertreter zu einer Vertretung in einem Rechtsstreit wie dem vorliegenden zu ermächtigen, und es bestehe auch keine Annexkompetenz. Bereits in den Bestellungsbeschlüssen sei ausdrücklich bestimmt, dass der besondere Vertreter nicht befugt sein sollte, im Namen der Beklagten Hilfspersonen zu mandatieren, sondern Hilfspersonen im eigenen Namen hinzuzuziehen. Auch der besondere Vertreter sei unmittelbar nach seiner Bestellung davon ausgegangen, nicht zur Beauftragung von Hilfspersonen im Namen der Beklagten befugt zu sein. Dies ergebe sich aus der von ihm selbst entworfenen Vergütungsvereinbarung vom 01./21.07.2014 (Anl. GL 15), nach deren § 2 Abs. 2 „Tätigkeiten von hinzugezogenen Hilfspersonen nach dem tatsächlichen Zeitaufwand zu deren üblichen Stundensätzen pro Arbeitsstunde als Auslagen in Rechnung gestellt“ würden. Die Gefahr einer Vorfinanzierungspflicht des besonderen Vertreters bestehe hier nicht, da dieser nach § 2 Abs. 6 Satz 1 der Vergütungsvereinbarung mit der Beklagten berechtigt sei, einen angemessenen Vorschuss in Rechnung zu stellen. Im Übrigen gelte für den besonderen Vertreter ein Optimierungsgebot im Hinblick auf die von ihm betriebene Sachverhaltsaufklärung und Rechtsdurchsetzung. Für die Finanzierung der Durchsetzung des Anspruchs müsse nicht der denkbar einfachste Weg zur Verfügung stehen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats, welche sich aus der in § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG geregelten Kompetenz zur Beauftragung von Sachverständigen ableite, sei mangels vergleichbarem Anknüpfungspunkt nicht auf den besonderen Vertreter zu übertragen. Die Interessenlage sei auch nicht vergleichbar. Der Vorstand erlange durch eine Vertretung der Beklagten keine neuen Informationen zur Prozessstrategie. Es bestehe auch kein konkreter Interessenkonflikt insofern, als die Schadensersatzansprüche lediglich den Vorstandsvorsitzenden, nicht jedoch weitere amtierende Vorstandsmitglieder beträfen. Die nur abstrakte Gefahr eines Interessenkonflikts genüge nicht, um eine Vertretungsbefugnis des besonderen Vertreters zu begründen. Insbesondere könnten auch amtierende Vorstandsmitglieder zu besonderen Vertretern bestellt werden, um Ersatzansprüche gegen andere Vorstandsmitglieder geltend zu machen. Das Argument einer Kontinuität der Aufgabenwahrnehmung könne nicht herangezogen werden, da der besondere Vertreter im Gegensatz zum Aufsichtsrat kein ständiges Gesellschaftsorgan sei. Der Vertretungsmangel sei nicht geheilt worden, da der gesetzliche Vertreter weder in den prozess eingetreten sei noch die bisherige Prozessführung des vollmachtlosen Vertreters genehmigt habe. Jedenfalls aber sei die Klage unbegründet. Die Beklagte sei nicht Schuldnerin der Honorarforderung. Die Vergütungsvereinbarungen der Klägerin seien formunwirksam. Zudem bestehe die Honorarforderung nicht in der geltend gemachten Höhe. Schließlich habe der besondere Vertreter sowohl bei Abschluss der Vergütungsvereinbarungen als auch bei der Prozessvertretung seine Vertretungsmacht missbraucht.Randnummer38

Die Beklagte, vertreten durch Vorstand und Aufsichtsrat, beantragt (AS II/49, II/117):Randnummer39

Die Klage wird unter Aufhebung des Anerkenntnisurteils des Landgerichts Heidelberg vom 09.08.2019 (Az. 4 O 366/18) abgewiesen.Randnummer40

Die Klägerin beantragt (AS II/89, II/117),Randnummer41

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.Randnummer42

Die Klägerin verteidigt das Anerkenntnisurteil als zutreffend. Sie ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.03.2018 (Az. II ZR 359/16) ohne Einschränkungen auf den besonderen Vertreter zu übertragen sei mit der Folge, dass die Vertretungskompetenz des besonderen Vertreters diejenige von Vorstand und Aufsichtsrat auch in dem vorliegenden Verfahren verdränge. Es könne nicht Sache von Vorstand und/oder Aufsichtsrat sein, über die Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses mit der vom besonderen Vertreter für die Anspruchsdurchsetzung mandatierten Kanzlei zu entscheiden und in die Art und Weise der Mandatsführung einzugreifen, die sich gegen amtierende oder ehemalige Mitglieder dieser Gremien richte. Eine solche unzulässige Einflussnahme wäre auch dann zu besorgen, wenn Vorstand und/oder Aufsichtsrat anstelle des besonderen Vertreters darüber zu befinden hätten, ob die Mandatsführung „richtig“ oder „angemessen“ gewesen sei und ob und in welchem Umfang die vom besonderen Vertreter mit beauftragten Rechtsanwälten vereinbarte Vergütung tatsächlich gezahlt oder die Zahlung verweigert werden solle. Der Vorstand habe keine wie auch immer geartete Befugnis, darüber zu entscheiden oder zu beeinflussen, wer mit der Anspruchsdurchsetzung beauftragt werde und welche Mittel hierfür aufgewendet würden. Zudem weigere sich der Vorstand, dem besonderen Vertreter die für seine Amtsführung für erforderlich gehaltenen Mittel zur Verfügung zu stellen. Damit solle der besondere Vertreter offenbar – wie auch durch das Vorenthalten von Informationen und die Androhung haftungsrechtlicher Konsequenzen – bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben obstruiert werden. Sie – die Klägerin – habe auch bereits seit Februar 2018 keine Zahlungen mehr auf Honorarforderungen erhalten und weitere Zahlungen seien bereits abgelehnt worden. Die Berufung solle dazu dienen, sie über ihre Vergütung für bisherige und künftige Prozesstätigkeit im Unklaren zu lassen, um sie zu einer Prozessführung „auf Sparflamme“ oder gar zur Mandatsniederlegung zu bewegen. Im Übrigen werde bestritten, dass ein wirksamer Aufsichtsratsbeschluss über die Mandatierung der Rechtsanwälte GL für das erstinstanzliche und das Berufungsverfahren gefasst worden sei und der Aufsichtsrat diese namens der Gesellschaft wirksam mandatiert habe. Die Anlagen GL 13 und GL 14 würden diese Behauptung nicht tragen. Die Beauftragung von Hilfspersonen im Namen der Beklagten sei dem besonderen Vertreter auch nicht in den Hauptversammlungsbeschlüssen vom 30.06.2014 und vom 30.04.2015 untersagt worden. Die Klageforderung sei wirksam durch den besonderen Vertreter anerkannt worden und im Übrigen auch begründet.Randnummer43

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet und führt unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung zur Abweisung der Klage als unzulässig.Randnummer45

1. Die Beklagte wird durch den besonderen Vertreter nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten (§ 547 Nr. 4 ZPO).Randnummer46

a) Die Vertretung der Aktiengesellschaft in dem vorliegenden Zivilprozess richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§ 51 Abs. 1 ZPO). In einem Passivprozess wird die Aktiengesellschaft gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich durch ihren Vorstand als dem zu ihrer Außenvertretung berufenen Organ vertreten. Dies gilt jedoch nicht, wenn und soweit das Aktiengesetz die Vertretung der Gesellschaft einem anderen Organ zuweist (vgl. BGHZ 218, 122, zitiert nach juris Rn. 10 f.).Randnummer47

Der Bestellungsbeschluss, welcher den Auftrag des besonderen Vertreters definiert, ist daher keine geeignete Grundlage, um den hier aufgetretenen Kompetenzkonflikt zu lösen. Eine organschaftliche Vertretungsmacht des besonderen Vertreters kann sich nur aus einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung oder einer aus dieser abgeleiteten Annexkompetenz ergeben (vgl. Schmolke, Großkommentar AktG Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 383 m.w.N.).Randnummer48

b) Eine explizite Vertretungsermächtigung für den besonderen Vertreter betreffend die gerichtliche Vertretung der Gesellschaft in dem vorliegenden Rechtsstreit sieht das Aktiengesetz nicht vor.Randnummer49

aa) Dem von der Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreter ist in § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG die Vertretung der Gesellschaft zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs zugewiesen, dessen Geltendmachung die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen hat (§ 147 Abs. 1 Satz 1 AktG).Randnummer50

Der nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG bestellte Sondervertreter ist hiernach im Rahmen seines Aufgabenkreises Organ der Gesellschaft (vgl. BGH, B. v. 27.09.2011 – II ZR 225/08 -, juris) und befugt, die Gesellschaft zur prozessualen oder außerprozessualen Durchsetzung der Ersatzansprüche zu vertreten (vgl. BGH, NJW 1981, S. 1097 <1098>; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG München
, Urt. v. 28.11.2007 – 7 U 4498/07 –, juris Rn. 71). Er ist jedoch nur insoweit gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft, als seine Befugnis reicht, Ersatzansprüche im Namen der Gesellschaft zu verfolgen, die ein abgespaltener Teil der umfassenden gesetzlichen Vertretungsmacht des Vorstands ist (vgl. BGH, NZG 2015, S. 835, Rn. 15 m.w.N. sowie Senat, Urt. v. 14.03.2018 – 11 U 35/17 -, juris Rn. 36).Randnummer51

bb) Die dem besonderen Vertreter in § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG explizit zugewiesene und beschränkte Aufgabe, Ersatzansprüche geltend zu machen, umfasst dem Wortlaut nach aber nicht die Prozessvertretung in einem Passivprozess, der Ansprüche aus einem von dem besonderen Vertreter im Namen der Gesellschaft begründeten Auftragsverhältnis zum Gegenstand hat.Randnummer52

c) Eine entsprechende Befugnis ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer – vom Landgericht der Sache nach bejahten – Annexkompetenz zu § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG.Randnummer53

aa) Im Kapitalgesellschaftsrecht kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Kompetenzlücke in der Organisationsverfassung unter Rückgriff auf die Rechtsfigur der Annexkompetenz geschlossen werden. Die Annexkompetenz bildet dabei keine eigenständige Kompetenzgrundlage zur Lösung von Kompetenzkonflikten. Sie ist vielmehr im Wege der Gesetzesauslegung oder der Analogiebildung konkret für jede Fallgestaltung und gebunden an eine ausdrücklich normierte Zuständigkeitsnorm zu begründen. In der Sache ist zu gewährleisten, dass mit der Anerkennung einer Annexkompetenz nicht gegen die in der Organisationsverfassung vorgegebenen Struktur- und Wertungsprinzipien verstoßen wird. Erweiterungen von enumerativen Zuständigkeiten müssen sich in die Kompetenzordnung ohne strukturelle Brüche einfügen lassen (vgl. Lieder, NZG 2015, S. 569 f.; Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, S. 449 <454 ff.>). Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine Annexkompetenz zu § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG im Einklang mit dem organisatorischen Gesamtgefüge der Aktiengesellschaft stehen muss (vgl. zu § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG/Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats: BGHZ 218, 122, zitiert nach juris Rn. 17).Randnummer54

In der Rechtsprechung wurden Annexkompetenzen insbesondere als Hilfszuständigkeit innerhalb einer zugewiesenen Aufgabe (vgl. zu § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG/Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats: BGHZ 218, 122, zitiert nach juris Rn. 17, 19) und als Kompetenzerweiterung aus Gründen des inneren Sachzusammenhangs (vgl. zum Gleichlauf von Bestellungs- und Anstellungszuständigkeit beim eingetragenen Verein: BGHZ 113, 237, zitiert nach juris Rn. 5) bejaht. Als weitere Gesichtspunkte zur Begründung einer Annexkompetenz werden das Ziel, Interessenkonflikte zu vermeiden und die kompetenzmäßige Irrelevanz diskutiert (zum Ganzen: Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, S. 449 <454 ff.> m.w.N.).Randnummer55

Der Umfang einer Vertretungszuständigkeit für im Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung anfallende Hilfsgeschäfte bestimmt sich dabei aus dem Inhalt der jeweiligen Aufgabenzuweisung. Entscheidend ist, dass die Anerkennung der Kompetenz für Hilfsgeschäfte nicht zu einer Erweiterung des sachlichen Aufgabenbereichs führt, sondern sich innerhalb der zugewiesenen Aufgabe auf die Stadien der Vorbereitung und Durchführung der Aufgabenwahrnehmung bezieht. Die Anbindung an den sachlichen Aufgabenbereich setzt der Kompetenzzuweisung für Hilfsgeschäfte einen engen Rahmen (vgl. BGHZ 218, 122, zitiert nach juris Rn. 19 m.w.N.; Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, S. 449 <455>).Randnummer56

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen kann dem besonderen Vertreter die Befugnis zur Vertretung der Aktiengesellschaft in einem Rechtsstreit mit zum Zweck der Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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mandatierten Rechtsanwälten weder als Hilfszuständigkeit innerhalb der ihm zugewiesenen Aufgabe, Ersatzansprüche im Namen der Gesellschaft zu verfolgen, noch kraft Sachzusammenhangs zuerkannt werden.Randnummer57

(1) Eine der außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat im Zusammenhang mit der Beauftragung von Sachverständigen (Annexkompetenz zu § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG) vergleichbare Fallgestaltung liegt nicht vor.Randnummer58

(a) § 147 AktG enthält weder nach seinem Wortlaut noch nach seiner systematischen Stellung im Gesamtgefüge aktienrechtlicher Kompetenznormen eine § 111 Abs. 2 AktG vergleichbare Regelung von Einzelbefugnissen, an die eine Annexkompetenz angeknüpft werden kann.Randnummer59

(aa) § 111 Abs. 2 AktG weist dem Aufsichtsrat bei der Ausübung seiner Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse einen eigenen Aufgabenbereich zu, in dessen Rahmen die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands nicht tangiert wird. Dies rechtfertigt es, die Befugnis des Aufsichtsrats zur außergerichtlichen Vertretung der Aktiengesellschaft beim Vertragsschluss mit einem nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG beauftragten Sachverständigen anzuerkennen (vgl. BGHZ 218, 122, zitiert nach juris Rn. 16 f.). Ergänzend ist aufgrund der Sachnähe der gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft in einem aus dem Auftragsverhältnis geführten Rechtsstreit sowie nach dem § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG innewohnenden Zweck der Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsrats auch die Prozessvertretung der Gesellschaft von der gesetzlichen Aufgabenzuweisung gedeckt (vgl. BGHZ 218, 122, zitiert nach juris Rn. 23 ff.).Randnummer60

(bb) In dem vorliegend betroffenen Bereich der mittelbar auf die Anspruchsverfolgung gerichteten Rechtshandlungen des besonderen Vertreters hat der Gesetzgeber hingegen davon abgesehen, diesem ausdrücklich einen eigenen, von der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands abgegrenzten Aufgabenbereich zuzuweisen.Randnummer61

Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Zusammenspiel des § 147 AktG mit anderen Kompetenznormen des Aktiengesetzes. § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG verdrängt in seinem Anwendungsbereich die Regelungen in §§ 78, 112 AktG über die Vertretungsmacht von Vorstand und Aufsichtsrat mit der Folge, dass bei Bestellung eines besonderen Vertreters für die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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dieser die Gesellschaft ausschließlich vertritt (vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 147 Rn. 13; Drygala, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 112 Rn. 1, 4). § 112 AktG setzt jedoch – ebenso wie § 39 GenG – voraus, dass sich als Parteien des Prozesses die Gesellschaft und das Vorstandsmitglied gegenüberstehen (vgl. zur Vertretung der Genossenschaft: BGH, AG 1997, S. 123 f.). Dem Zusammenspiel der Kompetenzzuweisungen in § 147 Abs. 2, § 112 und § 78 AktG kann daher entnommen werden, dass der besondere Vertreter die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich in Prozessen vertritt, in denen sich als Parteien die Gesellschaft und Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglieder sowie weitere vom Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 AktG erfasste Anspruchsgegner gegenüberstehen. Ein Rückschluss auf den Umfang der Vertretungszuständigkeit für im Zusammenhang mit der Geltendmachung anfallende Hilfsgeschäfte ist hingegen nicht möglich.Randnummer62

(b) Ein besonderer Vertreter, dem – wie in dem vorliegenden Fall – die Hinzuziehung von Hilfspersonen im Bestellungsbeschluss gestattet worden ist, hat ferner das Recht, im Namen der Gesellschaft Rechtsanwälte beizuziehen (vgl. KG Berlin, B. v. 16.12.2011 – 25 W 92/11 –, juris Rn. 20). Dies schließt die Vereinbarung einer Vergütung ein (vgl. Schmolke, in: Großkommentar AktG, Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 386, 388 m.w.N.; Rieckers/Vetter, in: Kölner Kommentar AktG, Bd. 3/2, 3. Aufl. 2015, § 147 Rn. 509; Uwe H. Schneider, ZIP 2013, S. 1985 <1988>). Ob diese Kompetenz auch ohne ausdrückliche Gestattung im Bestellungsbeschluss besteht (vgl. Arnold, in: Münchener Kommentar AktG Bd. 3, 4. Aufl. 2018, § 147 Rn. 71), kann dahingestellt bleiben. Ein Recht zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft in einem mit den beauftragten Rechtsanwälten geführten Honorarklageverfahren kann aus ihr jedenfalls nicht abgeleitet werden.Randnummer63

(aa) Das Recht, die Gesellschaft beim Vertragsschluss mit den zum Zweck der Geltendmachung beauftragten Rechtsanwälten zu vertreten und unmittelbar zu verpflichten, folgt aus der ungeschriebenen Annexkompetenz zu § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG für solche Hilfsgeschäfte, die der Anspruchsverfolgung nur mittelbar dienen, für diese aber erforderlich sind (vgl. Schmolke, in: Großkommentar AktG, Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 386, 388 m.w.N.; Rieckers/Vetter, in: Kölner Kommentar AktG, Bd. 3/2, 3. Aufl. 2015, § 147 Rn. 509; jeweils m.w.N.).Randnummer64

(bb) Diese Annexkompetenz gewährt aber, wie oben ausgeführt, keine eigenständige Kompetenzgrundlage zur Lösung des vorliegenden Kompetenzkonflikts (vgl. Lieder, NZG 2015, S. 569 f.). Die Frage einer weitergehenden Annexkompetenz zur gerichtlichen Vertretung der Aktiengesellschaft durch den besonderen Vertreter in einem Rechtsstreit mit von ihm mandatierten Rechtsanwälten kann daher nicht mit der Sachnähe zu seiner Befugnis, das Mandat zu erteilen, sondern ausschließlich nach Maßgabe der ausdrücklich normierten Aufgabenzuweisung, bestimmte Ersatzansprüche geltend zu machen, beantwortet werden.Randnummer65

(2) Mit der Anerkennung einer Befugnis des besonderen Vertreters, die Aktiengesellschaft in einem mit von ihm mandatierten Rechtsanwälten geführten Rechtsstreit gerichtlich zu vertreten, würde die in § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG normierte Befugnis, Ersatzansprüche geltend zu machen, nicht lediglich im Sinne einer Hilfszuständigkeit zu Ende gedacht, sondern substanziell erweitert.Randnummer66

(a) Der besondere Vertreter tritt zwar für seinen Aufgabenbereich an die Stelle des Vorstands. Dieser Aufgabenbereich besteht aber nur für die Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(vgl. BGH, NZG 2015, S. 835, Rn. 15 f.). Der Aufgabenzuweisung in § 147 AktG ist kein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, der es dem besonderen Vertreter gestattet, die Aktiengesellschaft zum Zweck der Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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in jeder Hinsicht und insbesondere auch in Verfahren zu vertreten, die mit der Aufgabenerfüllung nur mittelbar in Zusammenhang stehen. So umfasst die Vertretungsmacht des besonderen Vertreters zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs nicht mehr ein Rechtsgeschäft, das für die Gesellschaft wirtschaftlich einem Teilverzicht gleichkommt (vgl. BGH, NJW 1981, S. 1097 <1098>). Auch soweit teilweise vertreten wurde, dass der besondere Vertreter wegen der Besorgnis einer nachlässigen Rechtsverteidigung durch Vorstand und Aufsichtsrat im Anfechtungsprozess um seine Bestellung die Gesellschaft vertrete oder jedenfalls die Hauptversammlung eine solche Vertretung bestimmen könne, hat sich diese Ansicht nicht durchgesetzt. Im Anfechtungsstreit um die Bestellung des besonderen Vertreters wird die Gesellschaft gemäß § 246 Abs. 2 AktG durch Vorstand und Aufsichtsrat auch dann vertreten, wenn deren Mitglieder von der Geltendmachung selbst betroffen sind (vgl. BGH, NZG 2015, S. 835, Rn. 16). Dem aus der Gestaltungswirkung der Nichtigerklärung folgenden rechtlichen Interesse des besonderen Vertreters an einem Obsiegen der Gesellschaft im Anfechtungsstreit um seine Bestellung wird lediglich durch die Möglichkeit Rechnung getragen, als Einzelperson der Klage auf Seiten der Gesellschaft als Nebenintervenient beizutreten (vgl. BGH, NZG 2015, S. 835, Rn. 19).Randnummer67

(b) Die Befugnis zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft im Rechtsstreit mit den von ihm beauftragten Rechtsanwälten würde eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellen, dass der besondere Vertreter keinen Zugriff auf Finanzmittel der Aktiengesellschaft hat und für die Zahlung der von ihm eingegangenen Verbindlichkeiten wie auch seiner eigenen Vergütung auf die Mitwirkung der Verwaltung angewiesen ist.Randnummer68

(aa) Der besondere Vertreter hat keine Vertretungsmacht in Bezug auf die Bankverbindungen und Konten der Gesellschaft. Selbst wenn die Zahlungen unmittelbar die Durchführung seines Auftrags betreffen sollten, ist er auf die Mitwirkung des Vorstands angewiesen (vgl. Nietsch, NZG 2021, S. 271 <275>; Schmolke, in: Großkommentar AktG Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 391; Rieckers/Vetter, in: Kölner Kommentar AktG, Bd. 3/2, 3. Aufl. 2015, § 147 Rn. 510). Dies hat auch zur Folge, dass der besondere Vertreter Prozessbevollmächtigte zum Zweck der Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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im Namen der Gesellschaft beauftragen, deren Bezahlung aber nicht selbst veranlassen kann (vgl. Nietsch, NZG 2021, S. 271 <275>). Im Übrigen kann der besondere Vertreter – anders als der Aufsichtsrat, der die Möglichkeit der Selbstverpflichtung nicht hat (vgl. BGHZ 218, 122, zitiert nach juris Rn. 15) – auch von einer Verpflichtung der Gesellschaft absehen, die Hilfspersonen in eigenem Namen beauftragen und die hierfür erforderlichen Auslagen als Aufwendungsersatz einschließlich der Zahlung eines Kostenvorschusses verlangen (vgl. Schmolke, in: Großkommentar AktG Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 636, 638 m.w.N.). Ebenso wie seinen eigenen Vergütungsanspruch muss er jedoch auch den Anspruch auf Aufwendungsersatz im Streitfall gegen die Aktiengesellschaft klageweise durchsetzen (vgl. KG, B. v. 16.12.2011 – 25 W 92/11 –, juris Rn. 19; Mock, in: BeckOGK, Stand 01.06.2021, § 147 AktG Rn. 186; Schmolke, in: Großkommentar AktG Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 630; jeweils m.w.N.; a.A. für eine gerichtliche Festsetzung: Schneider, ZIP 2013, S. 1985 <1990>). In der Praxis muss der besondere Vertreter damit rechnen, dass Vergütung und Auslagen nicht gezahlt werden (vgl. Schneider, ZIP 2013, S. 1985 <1990>). Im Ergebnis gehört es zum Risiko des ihm übertragenen Amtes, dass sein Anspruch auf Vergütung und Auslagenersatz möglicherweise bestritten wird.Randnummer69

(bb) Mit dieser Struktur lässt es sich schwerlich vereinbaren, dem besonderen Vertreter in einem mit beauftragten Rechtsanwälten geführten Honorarklageverfahren durch die Einräumung einer Befugnis zur Prozessvertretung die Möglichkeit zu verschaffen, auch gegen den Widerstand der Verwaltung einen die Aktiengesellschaft bindenden, vollstreckungsfähigen Zahlungstitel über die Kosten dieser von ihm beauftragten Hilfspersonen zu erwirken.Randnummer70

(c) Eine Kompetenzerweiterung in diesem Umfang hätte auch erhebliches Gewicht, da sie mit der zumindest abstrakten Gefahr einherginge, der besondere Vertreter könnte den prozess nicht mit der gebotenen Sorgfalt und allein ausgerichtet am wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft führen. Besonders greifbar wird dies, wenn der besondere Vertreter seine eigene Kanzlei mandatiert hat und in dem Vergütungsstreit neben deren Honorarabrechnung auch eine formularmäßige, gegebenenfalls von dem besonderen Vertreter als Rechtsanwalt selbst verwendete Honorarvereinbarung zur Überprüfung steht. Die Gefahr kann sich aber auch in anderen Fallgestaltungen aus seinem Interesse ergeben, die zeitnahe Bezahlung der von ihm beauftragten Rechtsanwälte ohne angemessene Prüfung von Einwänden des Vorstands durchzusetzen.Randnummer71

Zwar kann die konkrete Prozessführung gegebenenfalls Schadensersatzpflichten des besonderen Vertreters gegenüber der Aktiengesellschaft auslösen, sodass etwaige Einwände gegen eine Honorarforderung der von dem besonderen Vertreter im Namen der Aktiengesellschaft beauftragten Rechtsanwälte nochmals in einem Haftungsprozess angebracht werden können. Ein derartiger Verweis auf eine zeitlich nachgelagerte Korrekturmöglichkeit stünde aber mit den Grundsätzen, die für die Vergütung des besonderen Vertreters selbst gelten, nicht in Einklang. Denn Einwände gegen dessen eigene Vergütung und seine Auslagen wären in einem Honorarklageverfahren zu klären, in dem die Gesellschaft, der gesetzlichen Grundregel folgend, durch den Vorstand vertreten würde. Eine Befugnis des besonderen Vertreters zur Prozessvertretung im Honorarklageverfahren mit beauftragten Rechtsanwälten würde daher im Ergebnis zur einer sachlich nicht begründeten Verbesserung seiner Rechtsstellung für den Fall führen, dass er Rechtsanwälte im Namen der Gesellschaft beauftragt und nicht, was auch möglich wäre, als Hilfspersonen im eigenen Namen hinzuzieht.Randnummer72

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Bestellung eines besonderen Vertreters (§ 147 Abs. 2 Satz 2 AktG) die (Un-)Angemessenheit der mit beigezogenen Rechtsanwälten vereinbarten Vertragskonditionen nicht zu prüfen, sondern von der Gesellschaft in einem Honorarklageverfahren mit den beauftragten Anwälten zu klären ist (vgl. KG Berlin, B. v. 16.12.2011 – 25 W 92/11 –, juris Rn. 20). Diese Prüfung liefe aber ins Leere, wenn die Aktiengesellschaft in dem Honorarklageverfahren wiederum durch den besonderen Vertreter vertreten würde. Eine effektive Kontrolle kann nur erfolgen, wenn die Gesellschaft in diesem Rechtsstreit nicht durch den besonderen Vertreter, sondern durch das zuständige ständige Organ vertreten wird.Randnummer73

(3) Die Erweiterung der Befugnisse des besonderen Vertreters um die Zuständigkeit für die gerichtliche Vertretung der Aktiengesellschaft in einem Rechtsstreit mit von ihm mandatierten Rechtsanwälten ist auch nicht aus Gründen des Sachzusammenhangs zu der ihm zugewiesenen Aufgabe der Geltendmachung und deren effektiver Erledigung geboten.Randnummer74

(a) § 147 AktG will die tatsächliche Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche sichern und soll so dem das pflichtgemäße Verhalten bewirkenden Haftungsdruck für die Organe Nachdruck verleihen. Zudem sollen die §§ 147 ff. AktG verhindern, dass Ersatzansprüche der Gesellschaft auf Grund einer Befangenheit der Mitglieder der Verwaltungsorgane nicht durchgesetzt werden. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum UMAG könne typischerweise nicht erwartet werden, dass derjenige Ansprüche verfolge, der dem Ersatzpflichtigen kollegial oder geschäftlich verbunden bzw. ihm für seine eigene Bestellung zu Dank verpflichtet sei, oder der Gefahr laufe, dass im Verfahren seine eigenen Versäumnisse aufgedeckt würden (RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 20; zum Ganzen: BGHZ 226, 182, zitiert nach juris Rn. 39).Randnummer75

(b) Insofern weist die Klägerin zwar im Ausgangspunkt zu Recht auf die zumindest abstrakt bestehende Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung der Tätigkeit des besonderen Vertreters hin, wenn die Prozessvertretung der Gesellschaft in einem das Mandatsverhältnis der von dem besonderen Vertreter beauftragten Rechtsanwälte betreffenden Erkenntnisverfahren einem Vertretungsorgan obliegt, gegen dessen Mitglieder Ersatzansprüche geltend gemacht werden.Randnummer76

(c) Indes ist die Interessenlage keine andere als in einem Rechtsstreit zwischen Gesellschaft und besonderem Vertreter über die Vergütung seiner eigenen Tätigkeit und den Ersatz von Aufwendungen, namentlich für die im eigenen Namen beauftragten Hilfspersonen. Die abstrakte Gefahr einer unzulässigen Einflussnahme auf die Geltendmachung durch den für die Prozessvertretung zuständigen und ggf. von der Geltendmachung selbst betroffenen Vorstand besteht in diesen Fallgestaltungen gleichermaßen.Randnummer77

Entsprechendes gilt für die Durchsetzung sonstiger zur Geltendmachung erforderlicher Hilfsbefugnisse. Auch Informationsrechte, die ihm als Annexkompetenz zum Verfolgungsrecht zustehen – etwa auf Auskunft, Einsichtnahme und Vorlage von Schriftstücken und anderen Datenträgern -, muss der besondere Vertreter im eigenen Namen gegen die Aktiengesellschaft, vertreten durch den Vorstand, gegebenenfalls klageweise geltend machen (vgl. OLG München, Urt. v. 28.11.2007 – 7 U 4498/07 –, juris Rn. 72 m.w.N.; OLG Köln, Urt. v. 04.12.2015 – I-18 U 149/15 –, juris Rn. 35; Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 147 Rn. 15 f. m.w.N.). Insofern ist von dem Recht, die Gesellschaft bei der prozessualen und außerprozessualen Durchsetzung der Ersatzansprüche zu vertreten, die Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis der Gesellschaft zu unterscheiden. Dem besonderen Vertreter auch innerhalb der Gesellschaft eine dem Vorstand ähnliche Organstellung zuzubilligen, würde zu schwerwiegenden Eingriffen in die Struktur und Organisation der Gesellschaft mit der Gefahr erheblicher praktischer Schwierigkeiten führen (vgl. OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
, a.a.O., juris Rn. 73).Randnummer78

(d) Für einen stärker ausgeprägten Schutz des besonderen Vertreters im Zusammenhang mit der Mandatierung von Prozessbevollmächtigten im Namen der Gesellschaft besteht kein hinreichendes Bedürfnis. Der besondere Vertreter hat zwar ein berechtigtes Interesse daran, nicht durch eine Zahlungsverweigerung bezogen auf die von ihm eingegangene Verbindlichkeit an der Erledigung seiner Aufgabe, Ersatzansprüche geltend zu machen, gehindert zu werden bzw. nicht auf eigene Rechnung für einen zahlungsunwilligen Auftraggeber tätig werden zu müssen. In diesem Interesse wird er jedoch in Bezug auf die Finanzierung seiner eigenen Tätigkeit hinreichend dadurch geschützt, dass er sowohl die Übernahme des Auftrags von einer seine Risiken angemessen abdeckenden Vorschusszahlung abhängig machen als auch grundsätzlich die weitere Tätigkeit bis zum Eingang des Vorschusses einstellen kann (vgl. zu § 9 RVG: Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 9 Rn. 3, 19; zum Recht auf Vorschusszahlung: Schmolke, in: Großkommentar AktG Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 631 m.w.N.). Entsprechendes gilt für die Tätigkeit der von ihm mandatierten Rechtsanwälte, deren Konditionen der besondere Vertreter bei der Erteilung des Mandats mit Wirkung für die Gesellschaft verhandeln kann.Randnummer79

Eine Vorschusszahlung entbindet den besonderen Vertreter auch von der Notwendigkeit, Arbeitsschritte zur Unzeit gegenüber dem Vorstand in einer Vergütungsabrechnung offenlegen zu müssen. Denn die Vorlage konkreter Abrechnungen birgt zumindest potentiell Risiken für eine effektive Umsetzung des Geltendmachungsbeschlusses, soweit der Vorstand daraus Rückschlüsse auf rechtliche oder taktische Überlegungen des besonderen Vertreters ziehen könnte. Unabhängig von der Möglichkeit, den Zeitpunkt der Vorlage solcher Rechnungen durch Vorschussanforderungen zu steuern, ist bei der Bewertung des Gefährdungspotentials allerdings zu berücksichtigen, dass eine Schutzbedürftigkeit des besonderen Vertreters nur in eingeschränktem Maße besteht, da der Vorstand durch den Geltendmachungsbeschluss – an dessen Bestimmtheit gesteigerte Anforderungen gestellt werden (vgl. BGHZ 226, 182, zitiert nach juris Rn. 24, 29; Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl. 2021, § 147 Rn. 5; jeweils m.w.N.) – über den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt und die betroffenen Antragsgegner ohnehin informiert ist.Randnummer80

(4) Diesem Ergebnis kann schließlich nicht das von der Klägerin herausgestellte Bedürfnis des Rechtsverkehrs nach Rechtsklarheit und Kontinuität in Bezug auf die Aufgabenwahrnehmung in der Aktiengesellschaft entgegengehalten werden.Randnummer81

(a) Aufgrund der Stellung des besonderen Vertreters als anlassbezogen und zeitlich begrenzt tätigem „Ad-hoc-Organ“ der Gesellschaft (vgl. Schmolke, Großkommentar AktG, Bd. 7/3, 5. Aufl. 2021, § 147 Rn. 219) kann der Rechtsverkehr von vornherein keine Kontinuität in der Aufgabenwahrnehmung erwarten.Randnummer82

(b) Dem Kapitalgesellschaftsrecht kann auch kein Grundsatz des Inhalts entnommen werden, dass stets ein Gleichlauf der Kompetenz zum Abschluss eines Vertrages und der Befugnis zur Prozessvertretung in einem diesen Vertrag betreffenden Rechtsstreit zu gewährleisten ist. Vielmehr obliegt in einer GmbH die Bestellung und die Abberufung der Geschäftsführer nach § 46 Nr. 5 GmbHG der Gesellschafterversammlung, die im Rahmen einer Annexkompetenz zu dieser Norm auch für Abschluss, Änderung und Kündigung des Anstellungsvertrages eines Geschäftsführers zuständig und vertretungsbefugt ist (vgl. BGH, NZG 2008, S. 104 f.; BGH, NJW 1991, 1680 <1681>; Schindler, in: BeckOGK GmbHG, Stand 01.05.2021, § 46 GmbHG Rn. 59 m.w.N.). Die Personalkompetenz der Gesellschafterversammlung hat jedoch nicht zur Folge, dass Mitglieder der Geschäftsführung stets ihre organschaftliche Vertretungsmacht für einen prozess mit Geschäftsführern verlieren. Gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG unterliegt der Bestimmung der Gesellschafter zwar auch die Bestimmung über die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat und über den Wortlaut hinaus auch über die Vertretung in allen weiteren in Frage kommenden gerichtlichen Verfahren zwischen der Gesellschaft einerseits und dem Geschäftsführer andererseits (vgl. Schindler, a.a.O., § 46 GmbHG Rn. 103 f.). Macht die Gesellschafterversammlung von dieser Befugnis jedoch keinen Gebrauch, wird die Gesellschaft – vorbehaltlich einer die Vertretungsbefugnis anders regelnden Satzungsbestimmung – im prozess mit gegenwärtigen oder ausgeschiedenen Geschäftsführern nicht durch einen von der Gesellschafterversammlung bestimmten Vertreter, sondern durch bereits zuvor oder neu bestellte (weitere) Geschäftsführer vertreten (vgl. BGH, B. v. 22.03.2016 – II ZR 253/15 -, juris Rn. 10; BGH, NJW 2012, S. 1656, Rn. 12; Schindler, a.a.O., § 46 GmbHG Rn. 103; jeweils m.w.N.).Randnummer83

2. Der Vertretungsmangel ist nicht geheilt worden (§ 547 Nr. 4 ZPO; vgl. hierzu: BGH, Urt. v. 28.02.2005 – II ZR 220/03 –, juris Rn. 8). Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vorstand allein (§ 78 Abs. 1 AktG) oder zusammen mit dem Aufsichtsrat (§ 112 AktG, Doppelvertretung) zur gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft in dem vorliegenden Honorarklageverfahren berufen ist. Denn jedenfalls haben beide Organe die Genehmigung der bisherigen Prozessführung seitens des besonderen Vertreters durch Erklärung der von ihnen bevollmächtigten Rechtsanwälte GL ausdrücklich verweigert (Schriftsatz v. 19.09.2018, AS I/49 f., Berufungsbegründung v. 19.11.2019, AS II/73 f.). Die Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Genehmigung sämtlicher zurückliegender Prozesshandlungen der Rechtsanwälte GL in diesem Verfahren ist ebenso wie die gemeinsame Erteilung einer Prozessvollmacht durch Vorstand und Aufsichtsrat für das weitere Verfahren zur Überzeugung des Senats hinreichend durch den Auszug aus der Niederschrift der Aufsichtsratssitzung vom 17.12.2018 (Anl. GL14, AH Bekl. I) und die von zwei Vorstandsmitgliedern und dem Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnete Vollmacht vom 04./05.03.2019 (Anl. GL13, AH Bekl. I) belegt.Randnummer84

Das Vorgehen von Vorstand und Aufsichtsrat war schließlich auch nicht rechtsmissbräuchlich.Randnummer85

3. Das Anerkenntnisurteil ist daher aufzuheben und die Klage wegen des Vertretungsmangels als unzulässig abzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 28.02.2005 – II ZR 220/03 –, juris Rn. 11; BGHZ 40, 197, zitiert nach juris Rn. 19).Randnummer86

4. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Ausspruch zur Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen (§§ 542 Abs. 1, 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I besonderer Vertreter I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Aktiengesellschaft, besonderer Vertreter, Sonderprüfung, Vertretungsmacht

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OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.10.2021 – 6 U 130/19

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Bosch Rexroth muss Unternehmenskaufvertrag offenlegen

In einem Streit um die Angemessenheit einer Vergütung nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz muss die Bosch Rexroth AG einem zwischenzeitlich ausgeschiedenen Arbeitnehmer umfassende Auskünfte erteilen, einschließlich Offenlegung eines Unternehmenskaufvertrages, mit dem Bosch Rexroth 2015 die gesamte Industrie- und Windgetriebesparte an ZF Friedrichshafen veräußerte. Dies hat das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt, wie Klägervertreter Mirko Möller von der Dortmunder Kanzlei Schlüter Graf mitteilte. 

Patent für Planetengetriebe für Windgeneratoren im Zentrum des Streits Hintergrund ist laut Rechtsanwalt Möller, dass der Verkauf auch Patente umfasste, die die Erfindung eines Planetengetriebes für Windgeneratoren unter Schutz gestellt hatten und die der Kläger zusammen mit einem weiteren Mitarbeiter entwickelt habe. Entsprechende Getriebe würden in unzähligen Windrädern verbaut, was dem Hersteller Millionenumsätze beschere. Möller zufolge hatte das Landgericht Mannheim (BeckRS 2019, 29036) dem Auskunftsbegehren des Klägers entsprochen. Dagegen habe Bosch Rexroth Berufung eingelegt.

Bosch Rexroth hatte sich auf Geschäftsgeheimnisgesetz und Geheimhaltungsverpflichtung berufen 

Die Bevollmächtigten von Bosch Rexroth hätten sich zuletzt auf datenschutzrechtliche Gesichtspunkte, das im Jahr 2019 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und eine in dem Unternehmenskaufvertrag enthaltene vertragliche Geheimhaltungsverpflichtung berufen. Das OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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sei dieser Argumentation nicht gefolgt und habe die Berufung von Bosch Rexroth zurückgewiesen, so Möller.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I Unternehmenskaufvertrag I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Bosch Rex, Haftung bei unterbliebener Offenlegung, Unternehmenskaufvertrag

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Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 25.02.2021 – 7 U 109/20

Donnerstag, 25. Februar 2021

Ein Einzelhändler, dessen Ladenlokal im „Corona-Lockdown“ für den Publikumsverkehr geschlossen werden musste, kann seine Mietzahlung nicht ohne Weiteres aussetzen oder reduzieren. Mit diesem Urteil vom 24. Februar 2021 hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe unter dem Vorsitz von Dr. Klaus Gehrig eine entsprechende Entscheidung des Landgerichts Heidelberg bestätigt. Die Berufung einer Einzelhandelskette, deren Filiale aufgrund einer behördlichen Anordnung im „ersten Corona-Lockdown“ vom 18. März bis zum 19. April 2020 geschlossen bleiben musste und die daher die vereinbarte Miete für ihr Ladenlokal im April 2020 nicht an ihre Vermieter bezahlte, hatte keinen Erfolg.


Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass eine allgemeine coronabedingte Schließungsanordnung keinen Sachmangel des Mietobjekts begründet, der einen Mieter zur Minderung der Miete berechtigt. Der Zustand der Mieträume als solcher erlaubte die vertraglich vorgesehene Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts weiterhin, so dass auch unter diesem Aspekt die Mietzahlungspflicht nicht in Wegfall geriet.

Der Senat hat allerdings darauf hingewiesen, dass eine Unzumutbarkeit der vollständigen Mietzahlung in solchen Fällen unter dem Gesichtspunkt eines „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ grundsätzlich in Betracht kommen kann.

Unzumutbarkeit setzt jedoch voraus, dass die Inanspruchnahme des Mieters zu einer Vernichtung seiner Existenz führen oder sein wirtschaftliches Fortkommen zumindest schwerwiegend beeinträchtigen würde und auch die Interessenlage des Vermieters eine Vertragsanpassung erlaubt. Hierfür ist eine Prüfung der Umstände des Einzelfalls erforderlich, bei der unter anderem der Rückgang der Umsätze, mögliche Kompensationen durch Onlinehandel oder durch öffentliche Leistungen, ersparte Aufwendungen zum Beispiel durch Kurzarbeit sowie fortbestehende Vermögenswerte durch weiterhin verkaufbare Ware zu berücksichtigen sind. Solche besonderen Umstände, die zu einer Unzumutbarkeit der Mietzahlung führen könnten, hatte die berufungsführende Einzelhandelskette im jetzt entschiedenen Einzelfall nicht in ausreichender Weise geltend gemacht.

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I Corona I Mietreduzierung I Unzumutbarkeit Mietzinszahlung I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Corona, COVID-19-Pandemie, Covid19, Gewerbemietvertrag, SARS-CoV-2

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OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.11.2020 – 2 Rv 21 Ss 483/20

Mittwoch, 18. November 2020

Zum Nachweis der Vertretungsvollmacht durch ein elektronisches Dokument muss dieses qualifiziert signiert oder auf einem der in § 32a Abs. 4 StPO genannten sicheren Übermittlungswege übermittelt worden sein.

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 15.4.2020 wird als unzulässig verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

Mit dem angefochtenen Urteil vom 15.4.2020 hat das Landgericht Freiburg die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Lörrach vom 16.6.2017 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Ein vom Angeklagter gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung blieb erfolglos. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte, dass die Voraussetzungen für eine Verwerfung seiner Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO nicht vorgelegen hätten, und das Landgericht dabei seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Revision des Angeklagten ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen, weil eine den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechende Verfahrensrüge, welche die den Mangel begründenden Tatsachen vollständig mitteilt, nicht formgerecht erhoben wurde und es auch an der allgemeinen Sachrüge fehlt.

1. Macht der Revisionsführer geltend, dass das Tatgericht die in § 329 Abs. 1 StPO umschriebenen Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung nicht beachtet habe, wird eine Verletzung des formellen Rechts geltend gemacht, die den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen genügen muss (OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
, Beschluss vom 26.2.2019 – III-5 RVs 11/19, juris; OLG SaarbrückenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Saarbrücken
, Beschluss vom 16.9.2019 – Ss 44/2109 (26/19), juris; BayObLG, Beschluss vom 9.10.2020 – 202 StRR 94/20; KK-Paul, StPO, 8. Aufl., § 329 Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 329 Rn. 48 jew. m.w.N.). Dazu sind die Verfahrenstatsachen so vollständig, genau und aus sich heraus verständlich darzulegen, dass das Revisionsgericht allein auf dieser Grundlage ohne Rückgriff auf die Akten oder andere Schriftstücke prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr., BGH NStZ-RR 2006, 48; 2013, 222). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag in der Revisionsbegründung nicht.

a) Soweit zunächst geltend gemacht wird, das Landgericht habe bereits verkannt, dass der Angeklagte dem Hauptverhandlungstermin nicht unentschuldigt ferngeblieben sei, ist der diesbezügliche Vortrag nicht vollständig. Nach dem Vortrag in der Revisionsbegründung will der Angeklagte im Hinblick auf eine Mitteilung des Gerichts, dass es sich bei dem Termin am 15.4.2020 um einen sog. Springertermin ohne wesentliche Verhandlung zur Sache handele, und die Vertretung durch seinen (bestellten) Verteidiger darauf vertraut haben, nicht selbst zum Termin erscheinen zu müssen. Die Revision versäumt es jedoch, den für die Beurteilung bedeutsamen, sich aus dem Protokoll ergebenden Umstand mitzuteilen, dass am Schluss des dem 15.4.2020 vorausgehenden Sitzungstags am 25.3.2020, an dem der Angeklagte teilnahm, die Beteiligten nicht nur auf die Fortsetzung der Verhandlung am 15.4.2020 hingewiesen wurden, sondern der Angeklagte ausdrücklich über die Folgen eines Ausbleibens belehrt wurde.

b) Soweit die Rüge in erster Linie darauf gestützt ist, dass der Verwerfung die Anwesenheit eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht entgegengestanden habe, ist der Vortrag ebenfalls nicht so vollständig, dass dem Senat eine rechtliche Prüfung möglich ist.

Im Hinblick darauf, dass die Strafkammer nach dem Vorbringen in der Revisionsbegründung eine vom Verteidiger vorgezeigte Vollmacht als inhaltlich nicht ausreichend beanstandet hatte, hätte es des Vortrags in der Begründungsschrift selbst bedurft, welchen Inhalt diese und eine weitere Vollmacht hatte, über die der Verteidiger nach dem Vortrag in der Revisionsbegründung verfügte. Die bloße Bezugnahme in der Begründungschrift ist insoweit nicht ausreichend.

Zudem ergibt sich aus dem Vortrag in der Begründungschrift, dass der Verteidiger nicht über eine schriftliche Vollmacht verfügte, sondern diese ihm als eingescannte elektronische Dokumente auf sein Laptop übermittelt worden waren. Soweit der Nachweis nach früherer Rechtslage allein schriftlich möglich war, ist dies zwar durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 (BGBl. I 2017, 2208) zugunsten einer medienneutralen Formulierung aufgegeben worden, ohne indes das Erfordernis eines sicheren Nachweises über die Bevollmächtigung aufzugeben (amtl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/9416 S. 70). Nach der in § 32a StPO getroffenen Regelung zur Ersetzung der Schriftform bei elektronischen Dokumenten bedarf es danach entweder einer qualifizierten elektronischen Signierung des Dokuments oder der Übermittlung des (einfach) signierten Dokuments auf einem der in § 32a Abs. 4 StPO bezeichneten sicheren Übermittlungswege. Ob diese Erfordernisse vorliegend eingehalten waren, ergibt sich jedoch aus dem Vortrag in der Revisionsbegründung nicht.

c) Soweit die Rüge – wie auch die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör – auch darauf gestützt ist, dass dem Verteidiger nicht ausreichend Zeit gegeben wurde, um den Nachweis für seine Vertretungsvollmacht zu erbringen, kann letztlich dahinstehen, ob im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, der auf den Beginn eines Hauptverhandlungstermins als den für die Voraussetzungen einer Verwerfungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt abstellt, das Gericht – entsprechend der Pflicht zum Zuwarten beim Ausbleiben des Angeklagten – dem Verteidiger angemessene Zeit einräumen muss, die für den Nachweis erforderlichen Unterlagen erst herbeizuschaffen. Denn jedenfalls hätte es – wie die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Antragsschrift zutreffend ausführt – einer genauen und vollständigen Wiedergabe der zeitlichen Abläufe in der Hauptverhandlung am 15.4.2020 bedurft, ohne die dem Senat eine Beurteilung nicht möglich ist, ob das Landgericht vor seiner Verwerfungsentscheidung angemessen zugewartet hat.

2. Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist auch im Übrigen nicht in einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt.

Dazu wird in der Revisionsbegründung vorgetragen, dem Verteidiger sei bei seinen Ausführungen zum Vorliegen ausreichender Bevollmächtigung mitten im Satz das Wort entzogen worden, so dass er nicht mehr habe mitteilen können, dass ihm nach Zurückweisung der zunächst in elektronischer Form vorgezeigten Bevollmächtigung eine weitere Vollmacht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei. Auch der Zulässigkeit dieser Rüge steht jedoch entgegen, dass weder der Inhalt dieses zweiten elektronischen Dokuments noch mitgeteilt wird, ob dieses den in § 32a StPO aufgestellten Anforderungen an ein schriftformersetzendes elektronisches Dokument genügte. Ohne diesen Vortrag kann der Senat aber nicht beurteilen, ob das zweite dem Verteidiger übermittelte elektronische Dokument zum sicheren Nachweis einer Vertretungsvollmacht geeignet war. Nur dann aber wäre das rechtliche Gehör – wie dies Art. 103 Abs. 1 GG voraussetzt – in entscheidungserheblicher Weise beeinträchtigt worden.

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OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2020 – 10 U 3/20

Freitag, 16. Oktober 2020

HGB § 56

Ein Verkaufsmitarbeiter in einem Autohaus gilt nach § 56 HGB grundsätzlich als bevollmächtigt zur Entgegennahme von Barzahlungen und zur Gewährung von Preisnachlässen.

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 20.12.2019 – 4 O 132/19 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an den Beklagten die Zulassungsbescheinigung Teil II für das Fahrzeug … herauszugeben. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung hinsichtlich der Herausgabe (oben I.2.) durch Hinterlegung der Zulassungsbescheinigung Teil II und hinsichtlich der Kosten (oben II.) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung hinsichtlich der Herausgabe (oben I.2.) Sicherheit in Höhe von 100.000 € bzw. hinsichtlich der Kosten (oben II.) Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten nach einem Autokauf im Kern um die Frage, ob der Beklagte den Kaufpreis gezahlt hat oder nicht.

Die Klägerin betreibt mehrere Autohäuser. Am 21.02.2018 bestellte der Beklagte bei der Klägerin einen Pkw … mit Sonderausstattung zum Preis von zunächst 90.000 €. Mit Schreiben vom 01.03.2018 bestätigte die Klägerin den Auftrag. Im Folgenden wurde die gewünschte Sonderausstattung mehrfach ergänzt und der Kaufpreis jeweils erhöht, im August 2018 auf 96.900 €. Am 18.10.2018 übergab die Klägerin das Fahrzeug an den Beklagten.

Ende Oktober 2018 tauchte der Zeuge A., der bis dahin als Angestellter der Klägerin die Verkaufsverhandlungen für diese geführt hatte, unter. Er ist wegen Vermögensstraftaten vorbestraft und ist zwischenzeitlich wegen Unterschlagung und Betrugs in diesem und einem weiteren ähnlichen Fall vor dem Schöffengericht angeklagt worden.

Nach dem Untertauchen des Zeugen A. erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag wegen Nichtzahlung des Kaufpreises. Der Beklagte trat dem entgegen und berief sich auf Barzahlungen an den Zeugen A.

Die Klägerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, sie sei wegen Nichtzahlung des Kaufpreises zum Rücktritt berechtigt. Sie hat bestritten, dass an den Zeugen A. Barzahlungen geleistet worden seien; zudem hat sie die Auffassung vertreten, dass sie sich solche Barzahlungen nicht entgegenhalten lassen müsse, weil der Zeuge A. nicht zum Empfang berechtigt gewesen sei. Die Fahrzeugübergabe sei – unabhängig von der Kaufpreisschuld – aufgrund eines gesonderten Benutzungsvertrags erfolgt. Ihre Klage hat die Klägerin zum einen auf die Rückgabe des Fahrzeugs, hilfsweise auf die Zahlung des Kaufpreises von 96.900 €, weiter hilfsweise auf die Zahlung eines restlichen Kaufpreises von 6.900 €, gerichtet, zum anderen auf die Zahlung eines Nutzungsentgelts für gefahrene Kilometer in Höhe von 11.507,84 € sowie auf weiteren Schadensersatz wegen von dem Beklagten verursachter Wertminderung in Höhe von 50.000 €.

Der Beklagte hat behauptet, er habe Barzahlungen in Höhe von insgesamt 90.000 € an den Zeugen A. geleistet, die dieser auch jeweils quittiert habe. Im Einzelnen habe er am 28.03.2018 eine Anzahlung über 20.000 €, am 18.10.2018 einen weiteren Betrag von 46.000 € sowie am 22.10.2018 restliche 24.000 € geleistet. Er habe sich im Oktober 2018 mit dem Zeugen A. darauf geeinigt, den Kaufpreis wieder auf 90.000 € zu reduzieren. Widerklagend hat der Beklagte die Herausgabe des Fahrzeugbriefs sowie die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten begehrt.

Das Landgericht hat den Beklagten nach Beweisaufnahme zur Rückgabe des Fahrzeugs sowie zur Zahlung des Nutzungsentgelts verurteilt. Die weitergehende Klage auf Schadensersatz sowie die Widerklage hat es abgewiesen. Der Zeuge A. sei jedenfalls nicht zur Entgegennahme des Kaufpreises berechtigt gewesen. Dies sei für den Beklagten auch erkennbar gewesen, da das Autohaus der Klägerin über einen gesonderten Kassenbereich verfüge. Auch aus den vom Beklagten vorgelegten Quittungen ergebe sich kein Rechtsschein einer Empfangsvollmacht. Ein solcher Rechtsschein sei schon aufgrund der äußeren Umstände – Standardquittungen für hohe Barzahlungen beim Kauf eines Luxusfahrzeugs ohne Zusammenhang zu einer Rechnung – zweifelhaft. Jedenfalls aber fehle es an der weiteren Voraussetzung, dass die quittierten Zahlungen gerade auf die Kaufpreisschuld erfolgt sein müsse. Der Beklagte habe nicht glaubhaft dargestellt, weshalb er die Barzahlungen zu den genannten Zeitpunkten auf die Kaufpreisschuld habe leisten wollen, obwohl diese laut Kaufvertrag erst bei Fahrzeugübergabe fällig sein sollte. Im Übrigen habe der Beklagte nicht davon ausgehen dürfen, mit der Zahlung von insgesamt 90.000 € seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag zu erfüllen. Eine Herabsetzung des Kaufpreises von 96.900 € sei nämlich nicht bewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts vom 20.12.2019 Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Heidelberg vom 20.12.2019 – 4 O 132/19 –

die Klage zu abzuweisen und

– widerklagend – die Klägerin zu verurteilen,

an den Beklagten die Zulassungsbescheinigung Teil II für das Fahrzeug … herauszugeben sowie

den Beklagten von den Rechtsanwaltsgebühren für die außergerichtliche Tätigkeit der Rechtsanwältin … i.H.v. 2.217,45 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit frei zu halten.

Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat den Beklagten persönlich angehört und die Zeugen A., B. und C. vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.09.2020 verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig und im Wesentlichen begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten weder die Herausgabe des Fahrzeugs … noch Nutzungsersatz verlangen; stattdessen ist sie ihm zur Herausgabe des Fahrzeugbriefs verpflichtet. Denn der Kaufpreis ist bezahlt. Im Einzelnen:

1.

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rückabwicklung aus § 346 BGB zu. Sie konnte nicht wirksam von dem mit dem Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurücktreten. Es liegt kein Rücktrittsgrund nach § 323 Abs. 1 BGB vor. Denn der Beklagte hat durch Barzahlungen in Höhe von insgesamt 90.000 € den Kaufpreis wirksam und vollständig an die Beklagte geleistet.

a) Aufgrund der Beweisaufnahme steht fest, dass der Beklagte dem Zeugen A. insgesamt 90.000 € in bar übergeben hat.

Die Beweislast für die Barzahlungen liegt beim Beklagten. Zwar hat grundsätzlich der nach § 323 BGB zurücktretende Gläubiger – hier die Klägerin – die Voraussetzungen des Rücktritts zu beweisen (Staudinger/Schwarze, BGB, 2020, § 323 Rn. F1). Das ändert aber nichts an der Beweislast des Schuldners – hier des Beklagten – für die von ihm behauptete Erfüllung (a.a.O. Rn. F4 m.w.N.; Palandt/Grüneberg, 79. Aufl., § 363 Rn. 1).

Diesen Beweis hat der Beklagte erbracht. Der Zeuge A. hat ausdrücklich bestätigt, dass er die Barzahlungen des Beklagten entgegengenommen hat und dass die Unterschriften auf den entsprechenden Quittungen von ihm stammen. Diese Unterschriften stimmen auch nach dem Schriftbild sowohl mit der vom Zeugen A. im Termin geleisteten Vergleichsunterschrift als auch mit der Unterschrift des Zeugen unter der von der Klägerin vorgelegten internen Verfahrensanweisung (…; lag im Termin im Original vor) überein. Hinsichtlich der Entgegennahme des Bargelds und der Echtheit der Quittungen ist der Senat von der Richtigkeit der Angaben des Zeugen A. überzeugt. Der Senat verkennt dabei nicht, dass im Übrigen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen A. bestehen und er die an ihn gestellten Fragen unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO auch nur in ausgewähltem Umfang beantwortet hat. Bei der Entgegennahme der Barzahlungen und der Ausstellung der Quittungen handelt es sich jedoch ersichtlich um Umstände, die für den Zeugen in dem gegen ihn anhängigen Strafverfahren gegebenenfalls belastend sein können. Es ist damit kein Grund ersichtlich, weshalb er in diesem Punkt die Unwahrheit sagen und sich damit unnötig belasten sollte. Nachdem der Zeuge A. die Echtheit der von ihm ausgestellten Quittungen, die im Übrigen jeweils auch einen Firmenstempel der Klägerin tragen, überzeugend bestätigt hat, war die Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens entbehrlich.

Zusätzlich bestätigt werden die Barzahlungen auch durch die damit im Kern übereinstimmenden Aussagen der Zeugin B. und des Zeugen C. sowie durch die Angaben des Beklagten in dessen persönlicher Anhörung durch den Senat, ferner insbesondere durch das vom Zeugen C. gefertigte Kurzvideo über den ersten Zahlungstermin, das im Berufungstermin gemeinsam in Augenschein genommen wurde und das zwar nicht den Moment der Geldübergabe selbst zeigt, auf dem aber ein größeres Bündel Geldscheine auf dem Schreibtisch des Zeugen A. zu erkennen ist, während dieser im Hintergrund in seinem Büroschrank räumt.

Letztlich geht auch die Klägerin selbst davon aus, dass der Zeuge A. (wie bereits in der Vergangenheit) in diesem und in Parallelfällen „massiv Gelder veruntreut und unterschlagen hat“. Das aber setzt voraus, dass er diese Gelder – wie vom Beklagten vorgetragen – erhalten hat.

b) Dass die Barzahlungen dem Zweck dienen sollten, die Kaufpreisforderung zu tilgen, kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen. Eine andere Zweckbestimmung ist nicht erkennbar. Dem steht auch nicht entgegen, dass die schriftlichen Vertragsunterlagen eine Zahlung in Raten und vor Fahrzeugübergabe nicht ausdrücklich vorsahen. Abgesehen davon, dass eine Ratenzahlung vor Übergabe damit zumindest auch nicht ausgeschlossen war, lautet die – offenbar formularmäßige – Eintragung in der Auftragsbestätigung vom 03.08.2018 vollständig: „Zahlung nach Vereinbarung, andernfalls effektiv bei Übernahme“. Hier hat der Beklagte plausibel vorgetragen, dass wegen der speziell gewünschten Sonderanfertigung eine Anzahlung verlangt wurde, was eine entsprechende mündliche Zahlungsvereinbarung darstellt. Das Anzahlungsverlangen haben auch die Zeugen A. und C. übereinstimmend – insoweit überzeugend und glaubhaft – bestätigt. Die weiteren Raten wurden bei und nach der Fahrzeugübernahme gezahlt.

c) Die Zahlungen hatten auch Erfüllungswirkung gegenüber der Klägerin, § 362 BGB. Denn sie muss sich die Annahme der Gelder durch ihren Mitarbeiter, den Zeugen A., zurechnen lassen.

Dessen Empfangsvollmacht folgt allerdings nicht aus § 370 BGB. Diese Vorschrift betrifft lediglich den Überbringer einer Quittung. Der Zeuge A. hat die Quittungen hier jedoch selbst – als Vertreter der Klägerin – ausgestellt, sie also nicht lediglich überbracht.

Die Empfangsvollmacht des Zeugen A. für die Klägerin ergibt sich jedoch aus § 56 HGB. Danach gilt, wer in einem Laden angestellt ist, als ermächtigt zu Verkäufen und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden gewöhnlich geschehen. Der Zeuge A. war im Autohaus der Klägerin als Verkäufer angestellt. Im Autohandel sind Barzahlungen auch über höhere Summen generell nicht ungewöhnlich (OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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NJW-RR 2009, 2043). Das gilt auch für den Kauf in einem Autohaus. Denn auch dort wird der Käufer das mit einer Voraus-Überweisung verbundene Insolvenzrisiko scheuen. Dass er zumindest gelegentlich Barzahlungen angenommen hat, hat auch der Zeuge A. ausdrücklich und insoweit für den Senat überzeugend bestätigt; auch hier gilt, dass dieser Punkt für ihn eher ungünstig ist, so dass kein Grund zu lügen erkennbar ist.

Dass die Klägerin ihren Mitarbeitern durch interne Anweisungen Bargeldannahmen verboten hat, betraf lediglich das Innenverhältnis des Zeugen A. zur Klägerin, ist hingegen für die Empfangsvollmacht im Außenverhältnis zum Beklagten unerheblich. Dass dem Beklagten die internen Vorgaben der Klägerin bekannt gewesen wären, trägt die Klägerin nicht vor.

Die Empfangsvollmacht aus § 56 HGB ist auch nicht in sonstiger Weise eingeschränkt worden. Zum Teil wird erwogen, dass der Ladeninhaber die Empfangsvollmacht für Zahlungen dadurch konkludent einschränken kann, dass er deutlich sichtbare Kassenbereiche einrichtet und damit zum Ausdruck bringt, dass außerhalb dieser Kassen keine Zahlungen erfolgen sollen (vgl. MünchKomm-HGB/Krebs, 4. Aufl., § 56 Rn. 33 m.w.N.). Diese Diskussion bezieht sich aber auf Selbstbedienungsläden, insbesondere Supermärkte (dort im Einzelfall eine Einschränkung verneinend OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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MDR 1980, 849; auf den Einzelfall abstellend auch Staub/Joost, HGB, 5. Aufl., § 56 Rn. 45). Das ist mit der hiesigen Fallgestaltung eines Autohauses nicht vergleichbar. Regelmäßig und so auch hier erfolgt im Autohaus der gesamte Kaufprozess von der Anbahnung über die Vertragsverhandlung und den -abschluss bis hin zur Abwicklung im Austausch zwischen Verkaufsmitarbeiter und Kunden. Für den Kunden bleibt in der Regel der handelnde Verkaufsmitarbeiter über den ganzen Vertragsprozess hinweg der einzige Ansprechpartner. Der Kunde darf daher grundsätzlich auch dann, wenn es im Autohaus einen gesonderten Kassenbereich gibt, davon ausgehen, dass er Zahlungen unmittelbar an „seinen“ Verkaufsmitarbeiter leisten kann. Das gilt umso mehr, wenn – wie hier – der Kassenbereich ohnehin nur für den Erwerb von Merchandising-Artikeln zu kleineren Bargeldbeträgen eingerichtet ist.

d) Nur dieses Ergebnis entspricht auch einer sachgerechten Risikoverteilung: Das Risiko, dass einer ihrer Angestellten Gelder unterschlägt, trägt in erster Linie die Klägerin, die diesen Angestellten bewusst ausgewählt hat und die ihn für ihre Zwecke einsetzt, nicht hingegen der Kunde.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagtenseite mit dem Zeugen A. zu Lasten der Klägerin kollusiv zusammengewirkt hätte. Konkrete Anhaltspunkte hierfür hat die Klägerin nicht darlegen können und sind auch sonst nicht ersichtlich. Es handelt sich um einen durchaus schwerwiegenden Vorwurf, so dass es überrascht, mit welcher Leichtfertigkeit die Klägerin ihn gegenüber dem Beklagten und anderen ihrer Kunden erhebt, ohne ihn näher konkretisieren zu können.

Plausible Szenarien für ein – wie auch immer geartetes – kollusives Zusammenwirken zeigt die Klägerin nicht auf. Der Beklagte verfügt aus seinen Einnahmen als … offenbar über ausreichende Geldmittel und hatte zuvor bereits mehrfach Luxusfahrzeuge gekauft. Demnach bestand für ihn soweit ersichtlich kein Anlass, zu betrügerischen Mitteln zu greifen. Das gilt umso mehr, als er offen als Käufer in Erscheinung trat und damit für ihn das Risiko, bei einem etwaigen Betrug alsbald überführt zu werden, auf der Hand liegen musste. Weshalb der Beklagte, der in interessierten Kreisen offenbar durchaus über eine erhebliche Popularität verfügt, ohne Not seinen Ruf hätte aufs Spiel setzen sollen, erschließt sich nicht.

Auf Seiten des Zeugen A. hingegen erscheint ein kriminelles Vorgehen – von dem nach insoweit übereinstimmendem Vortrag beider Parteien auszugehen ist – nur dann sinnvoll, wenn er tatsächlich Gelder vom Beklagten und den weiteren Kunden vereinnahmt hat. Dabei ist ein Handeln ohne Mitwisserschaft der jeweiligen Kunden durchaus plausibel, weil der Zeuge auf diese Weise die Zahlungen in voller Höhe unterschlagen konnte. Hingegen hätte er bei einem kollusiven Zusammenwirken mit dem Kunden den kriminellen Gewinn mit ihm teilen müssen. Dann aber ist nicht ohne Weiteres plausibel, weshalb der Zeuge A. bereit gewesen sein sollte, die zwingend zu erwartende Strafverfolgung allein auf sich zu nehmen.

e) Durch die Zahlung von 90.000 € hat der Beklagte die Kaufpreisschuld vollständig erfüllt.

aa) Der Beklagte hat beweisen können, dass der Kaufpreis im Oktober 2018 von zwischenzeitlich 96.900 € wieder auf den ursprünglichen Betrag von 90.000 € reduziert wurde.

Die Zeugen C. und A. haben diese Reduzierung übereinstimmend bestätigt. Auch in diesem Punkt bestand für den Zeugen A. kein Grund zu lügen. Er hat die Reduzierung plausibel und überzeugend damit begründet, dass die Lieferung erst acht Monate nach der Bestellung erfolgte und sich damit zwar formal innerhalb des in der Auftragsbestätigung genannten unverbindlichen Liefertermins hielt, dass er dem Beklagten aber mündlich eine wesentlich frühere Lieferung zugesagt habe. Denn er könne „ja dem Kunden schlecht erklären, dass eine Auslieferung erst 1 Jahr später … erfolgt“ (wie es sich aus der nicht vom Zeugen A. vorgenommenen Eintragung in der formalen Auftragsbestätigung ergeben hätte).

Vor allem aber wird die behauptete Reduzierung durch schriftliche Kaufvertragsunterlagen bestätigt: Auf zwei späteren Abrechnungsbögen, die aus dem Computersystem der Klägerin erstellt wurden und ihren Firmenstempel samt Unterschrift des Zeugen A. tragen, ist der Kaufpreis mit 90.000 € angegeben.

bb) Diese Reduzierung muss die Klägerin auch gegen sich gelten lassen.

Dass der Zeuge A. zu einer eigenmächtigen Reduzierung im Innenverhältnis zur Klägerin nicht befugt war, ist für das Außenverhältnis zum Beklagten unerheblich. Insoweit gelten die obigen Ausführungen zur Vertretungsvollmacht nach § 56 HGB entsprechend. Dem steht auch nicht entgegen, dass die ursprüngliche Bestellung und die spätere Auftragserweiterung auf Klägerseite jeweils nicht vom Zeugen A., sondern durch gesondertes Schreiben von dessen Vorgesetzten bestätigt worden waren. Dies musste dem Beklagten als juristisch nicht versiertem Kunden schon nicht auffallen; jedenfalls musste er daraus nicht ohne Weiteres den Schluss ziehen, dass der Zeuge A., der die gesamten Verkaufsverhandlungen mit dem Beklagten eigenständig für die Klägerin geführt hatte, nicht zur Gewährung von Preisnachlässen bevollmächtigt sei. Das gilt jedenfalls für einen – wie hier – nicht auffällig hohen Rabatt (unter 10%), der zudem im Ergebnis wieder dem ursprünglich vereinbarten Kaufpreis entsprach (wenn auch nun bei zusätzlichen Sonderausstattungen).

Auch etwa abweichende Verkaufsbedingungen der Klägerin stehen nicht entgegen. Denn die Vollmachtsfiktion des Ladenangestellten aus § 56 HGB lässt sich jedenfalls nicht durch „einfache“, d.h. nicht deutlich hervorgehobene AGB beseitigen (vgl. MünchKomm-HGB/Krebs, 4. Aufl., § 56 Rn. 35; MünchKommm-BGB/Basedow, 8. Aufl., § 305b Rn. 17; BeckOGK/Quantz, Stand 1.5.2020, BGB § 307 Vollmachtsklausel Rn. 32).

Darüber hinaus hat der Zeuge A. gegenüber der Beklagten zumindest den Eindruck erweckt, er habe die Reduzierung auch mit seinem Vorgesetzten abgesprochen. Das ergibt sich aus den Angaben des Zeugen C. und wird bestätigt durch die allgemeine Aussage des Zeugen A., dass er derartige Vertragsänderungen mit seinem Vorgesetzten grundsätzlich abgesprochen habe. Das lässt es plausibel erscheinen, dass der Zeuge A. eine solche Absprache hier zumindest vorgab, gegebenenfalls um die – sei es auch reduzierte – Kaufpreiszahlung alsbald im Wege der Unterschlagung für sich selbst vereinnahmen zu können und einen Konflikt mit dem Beklagten zu vermeiden, der für den Zeugen A. das Risiko einer sofortigen Aufdeckung hinsichtlich der bereits unterschlagenen Anzahlung in sich barg. Ob der Zeuge A. die Reduzierung tatsächlich abgesprochen hatte, musste der Beklagte nicht überprüfen. Vielmehr durfte er insoweit auf dessen Angaben vertrauen.

2.

Mangels wirksamen Rücktritts steht der Klägerin auch kein Nutzungsersatz aus § 346 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu. Der Beklagte war vielmehr aufgrund des Kaufvertrags zur fortgesetzten Nutzung des Fahrzeugs berechtigt.

3.

Die Widerklage ist hinsichtlich der Herausgabe des Fahrzeugbriefs begründet, § 433 Abs. 1 oder § 985 BGB i.V.m. § 952 BGB (analog). Dabei geht der Senat davon aus, dass die Parteien sich bereits bei Übergabe des Fahrzeugs stillschweigend auf eine bedingte Übereignung geeinigt haben, aufgrund derer das Eigentum an dem Fahrzeug nach vollständiger Kaufpreiszahlung und nach Ablauf des gesondert vereinbarten Nutzungszeitraums von vier Monaten mit einer Laufleistung von zumindest 8.000 km auf den Beklagten übergegangen ist, ohne dass es dazu in diesem Zeitpunkt noch einer weiteren dinglichen Einigung bedurfte. Letztlich kann das aber auch dahinstehen: Denn andernfalls wäre die Klägerin aus dem Kaufvertrag zur Übereignung des Fahrzeugs verpflichtet und damit auch zur Herausgabe des zugehörigen Fahrzeugscheins.

4.

Keinen Anspruch hat der Beklagte aber auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten, §§ 280, 286 BGB. Im Wesentlichen sind diese für die Rechtsverteidigung gegen das Rückgabeverlangen der Klägerin angefallen. Im Wege des Schadensersatzes könnte der Beklagte die Erstattung der Anwaltskosten daher nur dann nach § 280 BGB verlangen, wenn die unberechtigte Geltendmachung des Rücktritts sich als schuldhafte Verletzung vertraglicher Nebenpflichten durch die Klägerin darstellen würde. Das ist bei der unberechtigten Geltendmachung von Ansprüchen nicht ohne Weiteres der Fall, solange sie sich auf eine vertretbare rechtliche Begründung stützen kann (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 280 Rn. 27). So liegt es hier: Dass die Geltendmachung des Rücktritts rechtlich vertretbar war, zeigt sich schon daran, dass sie erstinstanzlich Erfolg hatte. Soweit sich die vorgerichtliche Tätigkeit der Rechtsanwältin des Beklagten darüber hinaus auch auf die aktive Geltendmachung von Gegenansprüchen (Herausgabe des Fahrzeugbriefs) erstreckte, hat sich dadurch der Gegenstandswert nicht erhöht, so dass hierfür keine zusätzlichen Anwaltskosten entstanden sind.

5.

Der Schriftsatz des Beklagten vom 13.10.2020 gibt keine Veranlassung, die Berufungsverhandlung wieder zu eröffnen. Insbesondere bedarf es im Berufungsverfahren keiner Wiederholung der erstinstanzlichen Vernehmung des weiteren vom Beklagten benannten Zeugen D. (der im Berufungstermin nicht erschienen ist, offenbar weil ihn die Ladung nicht erreicht hatte) mehr, weil sich der Senat bereits aufgrund anderer Beweismittel von der in das Wissen des Zeugen gestellten Zahlung überzeugt hat.

6.

Die Nebenentscheidungen folgen §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Anlass für eine Zulassung der Revision besteht nicht, § 543 Abs. 2 ZPO.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I § 56 HGB Entgegennahme von Barzahlungen als Verkaufmitarbeiter I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: HGB § 56, Vertretungsvollmacht, Vertretungsvollmacht Angestellter

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