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OLG München, Urteil vom 20.09.2023 – 7 U 321/22

Mittwoch, 20. September 2023

Handelsvertretervertrag

§ 177 Abs. 1 BGB; §§ 86, 87 Abs. 2 HGB; Art. 4 Abs. 1 lit. f) Rom I VO

Tenor

1. Das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 (Az.: 7 U 321/22) wird aufrechterhalten.

2. Von den weiteren Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte zu 1) 81% und die Beklagte zu 2) 19% zu tragen.

3. Dieses Urteil und das Teilurteil des Landgerichts München I vom 30.12.2021 (Az.: 14 HK O 15782/15), soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.

1

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Handelsvertreterverhältnis.

2

Die Klägerin ist eine GmbH deutschen Rechts, die Beklagten sind Gesellschaften türkischen Rechts. Die Parteien (die drei Beklagten dabei vertreten durch ihren damaligen Mitarbeiter K.) schlossen unter dem 15./18.8.2014 den als Anlage K 1 vorliegenden Handelsvertretervertrag, auf dessen Wortlaut Bezug genommen wird. Nach Ziffer 1 betraut die W. Firmengruppe, bestehend aus den drei Beklagten, die Klägerin mit ihrer Alleinvertretung als Bezirksvertreter für die Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Ziffer 5 enthält eine Auskunfts- und Vertragsstrafenregelung zugunsten der Klägerin. Nach Ziffer 7 beträgt die Provision 5% vom Rechnungsbetrag für alle direkten und indirekten Geschäfte mit Abnehmern des in Ziffer 1 angegebenen Bezirks. Nach Ziffer 11 sollte das Vertragsverhältnis vom 1.9.2014 bis 31.8.2019 dauern und sich mangels schriftlicher Kündigung sechs Monate vor Vertragsablauf um den selben Zeitraum verlängern. Nach Ziffer 12 wurde die Geltung des Rechts am Sitz des Handelsvertreters (also deutsches Recht) vereinbart.

3

Mit der Klageschrift hat die Klägerin Anträge auf Buchauszug, weitere Auskünfte, Provision (unbeziffert), Vertragsstrafe (unbeziffert) sowie vorgerichtliche Kosten angekündigt. Im Termin vom 14.11.2016 vor dem Landgericht hat die Klägerin davon die Anträge auf Buchauszug und Auskunft gestellt; hierüber erging Versäumnisurteil, das in der Folgezeit rechtskräftig wurde.

4

Die Klägerin beauftragte sodann die Wirtschaftsprüferkanzlei R. und PartnerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und Partner
mit der Erstellung eines Buchauszuges im Wege der Ersatzvornahme für die Zeit vom Vertragsbeginn bis zum 30.9.2019. Ein solcher Buchauszug liegt den Gerichten nicht vor.

5

Den schon in der Klage unbeziffert angekündigten Antrag auf Vertragsstrafe hat die Klägerin erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 1.9.2017 ausdrücklich aufrechterhalten und mit Schriftsatz vom 29.12.2020 auf die Zeiträume bis 30.9.2019 präzisiert. In mündlicher Verhandlung gestellt wurde der Antrag erstinstanzlich nicht. Mit Schriftsatz vom 29.12.2020 hat die Klägerin ferner Auskunftsansprüche für die Zeit ab Erlass des Teilversäumnisurteils bis 30.9.2019 angekündigt; auch diese wurden in der Folgezeit nicht in mündlicher Verhandlung gestellt. Nicht in mündlicher Verhandlung gestellt wurde erstinstanzlich auch der mit der Klageschrift angekündigte Antrag auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten.

6

Mit Schriftsatz vom 26.2.2021 hat die Klägerin ihre in der Klageschrift unbeziffert angekündigten Ansprüche auf Provisionszahlung gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) für die Zeit bis zum 30.9.2019 beziffert. Diese Anträge wurden im Termin vom 18.10.2021 vor dem Landgericht gestellt.

7

Die Klägerin hat beantragt,

a) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin EUR 781.197,65 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz EZB ab 01.10.2019 zu zahlen.

b) die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin EUR 163.563,77 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz EZB seit 01.10.2019 zu zahlen.

8

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Durch das angegriffene Teilurteil hat das Landgericht die Beklagte zu 1) zur Zahlung von 529.925,50 € und die Beklagte zu 2) zur Zahlung von 110.17,52 € (jeweils nebst anteiligen Zinsen) verurteilt; die weitergehenden bezifferten Zahlungsanträge hat es abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Teilurteils vom 30.12.2021 wird Bezug genommen.

10

Mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Zahlungsbegehren weiter, soweit ihm nicht entsprochen wurde. Mit ihren zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen begehren die Beklagten die Abweisung der bezifferten Zahlungsklage.

11

Während des laufenden Berufungsverfahrens hat die Klägerin die erstinstanzliche Klage mit Schriftsätzen vom 20.7.2022 und 20.4.2023 um Ansprüche auf Buchauszug, weitere Auskünfte und Provisionszahlung (unbeziffert) für die Zeit nach dem 30.9.2019 erweitert.

12

Im Termin vom 8.3.2023 erging Versäumnisurteil gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) gemäß den klägerischen Zahlungsbegehren. Das Versäumnisurteil wurde den Beklagten am Mittwoch, 22.3.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom Mittwoch, 5.4.2023, eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag haben die Beklagten zu 1 und zu 2 Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.

13

Die Beklagten zu 1) und zu 2) beantragen,

das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 sowie das Teilurteil des Landgerichts München I vom 30.12.2021 (Az.: 14 HK O 15782/15) aufzuheben und die bezifferte Zahlungsklage abzuweisen.

14

Die Klägerin beantragt,

das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 aufrechtzuerhalten.

15

Mit Schriftsätzen vom 29.8.2023 und 5.9.2023 hat die Klägerin die erstinstanzlichen Anträge auf Auskunft und Vertragsstrafe (jeweils bis 30.9.19) sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten zurückgenommen.

B.

16

Bei der anlässlich des Versäumnisurteils vorgenommenen Rubrumsberichtigung hatte es im Grundsatz zu verbleiben; es war lediglich klarzustellen, dass auch die Beklagte zu 1) nunmehr eine Anonim Sirketi (A.S.) ist.

17

Aus der von der Klagepartei vorgelegten Auskunft der türkischen Handelskammer ergibt sich, dass die Beklagte zu 1 mit der in der Klageschrift und im Rubrum des angegriffenen Urteils genannten Firma G. O. S. … unter der Nummer …64 ins türkische Handelsregister eingetragen war. Aus den in türkischer Sprache mit beglaubigter deutscher Übersetzung vorgelegten Veröffentlichungen im Handelsregisterblatt der Türkei vom 26.4.2019 und 5.4.2022 ergibt sich, dass unter der Nummer …64 sodann zwischenzeitlich eine Firma G. O. S. … Anonim Sirketi eingetragen war und nunmehr eine Firma W. O. S. … Anonim Sirketi eingetragen ist (die insoweit hinsichtlich der Firma in der vorgelegten Übersetzung enthaltene offenbare Unrichtigkeit kann auch ohne türkische Sprachkenntnisse durch schlichte Inaugenscheinnahme des Originals festgestellt werden). Aufgrund dieser Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte zu 1) nunmehr wie im aktuellen Rubrum genannt firmiert.

18

Aus den von der Klagepartei in türkischer Sprache mit beglaubigter deutscher Übersetzung vorgelegten Veröffentlichungen im Handelsregisterblatt der Türkei vom 26.4.2019 und 5.4.2022 ergibt sich ferner, dass die Beklagte zu 2) mit der in der Klageschrift und im Rubrum des angegriffenen Urteils genannten Firma T. M. A. … unter der Nr. …65 eingetragen war und dort unter dieser Nummer nunmehr die Firma W. M. A. S. … Anonim Sirketi eingetragen ist. Aufgrund dieser Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte zu 2) nunmehr wie im aktuellen Rubrum genannt firmiert.

C.

19

Auf zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 war über die wechselseitigen Berufungen der Parteien zu entscheiden (§ 342 ZPO). Die Berufung der Beklagten hat insoweit keinen Erfolg; als begründet erweist sich hingegen die Berufung der Klägerin. Damit erweist sich das Versäumnisurteil als zutreffend und war folglich aufrechtzuerhalten (§ 343 S. 1 ZPO).

I.

20

Das angegriffene Teilurteil hätte zwar nach der Sachlage bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht ergehen dürfen, weil hierdurch die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen begründet wurde. Eine Zurückverweisung an das Landgericht nach § 538 Abs. 1 Nr. 7 ZPO kam hierwegen unter den Umständen des Falles aber nicht in Betracht.

21

1. Nach § 301 ZPO ist ein Teilurteil nur zulässig, wenn es über einen aussonderbaren, einer selbständigen Entscheidung zugänglichen Teil des Verfahrensgegenstandes ergeht und der Ausspruch über diesen Teil unabhängig von demjenigen über den restlichen Verfahrensgegenstand getroffen werden kann, so dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist. Der Erlass eines Teilurteils setzt neben der Teilbarkeit des Streitgegenstandes oder einer Mehrheit von Streitgegenständen voraus, dass die Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil garantiert ist. Die Widerspruchsfreiheit ist in einem weiten Sinne zu verstehen und erfasst daher auch Fälle der Vorgreiflichkeit. Daher darf die Entscheidung über den weiter rechtshängigen Streit nicht eine Vorfrage umfassen, die bereits für die erledigte Teilentscheidung erheblich war. Da einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen eine Entscheidung aufbaut, grundsätzlich nicht von der Rechtskraft erfasst werden, besteht sonst die Gefahr einer unterschiedlichen Beantwortung der Vorfrage, wenn das Verfahren durch den Erlass eines Teilurteils aufgespaltet wird. Dabei ist der Erlass eines Teilurteils bereits dann unzulässig, wenn sich die Gefahr durch die abweichende Beurteilung eines Rechtsmittelgerichts im Instanzenzug ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 11.1.2012 – XII ZR 40/10, Rz. 19).

22

Vorliegend bestand nach diesen Grundsätzen die Gefahr eines Widerspruchs zwischen Teil- und Schlussurteil. Erstinstanzlich waren im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Urteilsverkündung noch unbezifferte Ansprüche auf Vertragsstrafe, diesbezügliche Auskunft sowie die Erstattung vorgerichtlicher Kosten anhängig. Vorfrage für eine eventuelle Vertragsstrafe (und die Erstattung vorgerichtlicher Kosten) ist ebenso wie für die gegenständlichen Zahlungsansprüche, ob der Handelsvertretervertrag zwischen den Parteien gemäß Anlage K 1 wirksam zustande gekommen und wirksam geblieben ist, insbesondere ob die Beklagten bei Vertragsschluss wirksam vertreten wurden und ob der Vertrag wegen wirksamer Anfechtung oder Sittenwidrigkeit nichtig ist (zu diesen Fragen vgl. unten II.1.). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass – etwa im Falle eines Richterwechsels bei der zuständigen Kammer des Landgerichts oder auch beim erkennenden Senat – diese Rechtsfragen im Stadium des Schlussurteils anders beantwortet werden als vorliegend, was dann zu einer Widersprüchlichkeit zwischen Teil- und Schlussurteil führen würde.

23

2. Die hiernach bestehende Unzulässigkeit des angegriffenen Teilurteils war vom Senat ohne Rüge der Berufungsführer von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 11.5.2011 – VIII ZR 42/10, Rz. 19 m.w.Nachw.). Damit wäre an sich die Möglichkeit der Zurückverweisung an das Landgericht ohne Antrag der Parteien eröffnet (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, S. 3 ZPO). Nach Auffassung des Senats verbietet sich aber unter den Umständen des Falles eine Zurückverweisung.

24

a) Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 29.8.2023 und 5.9.2023 die erstinstanzliche Klage hinsichtlich der Auskunfts- und Vertragsstrafenanträge für die Zeiträume bis 30.9.2019 sowie hinsichtlich der Erstattung vorgerichtlicher Kosten zurückgenommen. Die Klagerücknahme ist grundsätzlich in jedem Verfahrensstadium möglich; sie bedurfte vorliegend auch nicht der Zustimmung der Beklagten (§ 269 Abs. 1 ZPO), da ausweislich der vorliegenden Sitzungsprotokolle die zurückgenommenen Anträge nie in mündlicher Verhandlung gestellt wurden, also nicht über sie verhandelt wurde (§ 137 Abs. 1 ZPO).

25

Damit sind diese Anträge als nie anhängig geworden anzusehen (§ 269 Abs. 3 ZPO), so dass im Hinblick auf diese Anträge die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen rückwirkend entfallen ist und damit der im Erlass des Teilurteils liegende Verfahrensfehler geheilt wurde.

26

b) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass in erster Instanz nach wie vor Anträge auf Buchauszug, Auskunft, unbezifferte Provisionen und unbezifferte Vertragsstrafe für die Zeiträume ab 1.10.2019 anhängig sind. Denn diese Anträge wurden erst mit Schriftsätzen vom 20.7.2022 bzw. 20.4.2023 und damit nach Erlass des angegriffenen Teilurteils angekündigt. Sie vermögen daher die Unzulässigkeit des Teilurteils wegen der Gefahr widersprechender Entscheidungen nicht zu begründen; zwar besteht diese Gefahr insoweit, das Landgericht hat aber nicht verfahrensfehlerhaft gehandelt, weil es diese Anträge denknotwendig noch nicht berücksichtigen konnte.

II.

27

In der Sache erweist sich das Versäumnisurteil des Senats als zutreffend, so dass es aufrechtzuerhalten war. Die Beklagten schulden der Klägerin für die Zeiträume bis 30.9.2019 Provisionen in der verlangten Höhe, so dass die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen wurde und die Berufung der Klägerin Erfolg hatte.

28

1. Zwischen den Parteien bestand im streitgegenständlichen Zeitraum ein wirksames Handelsvertreterverhältnis.

29

a) Der Vertrag vom 15./18.8.2014 (Anlage K 1) scheitert nicht an mangelnder Vertretungsmacht des für die Beklagten bei Vertragsschluss handelnden Herrn K.

30

aa) Der Handelsvertretervertrag unterliegt kraft Rechtswahl (vgl. Anlage K 1, Ziff. 12) deutschem Recht (Art. 3 Abs. 1 Rom I VO). Die Wirksamkeit der Rechtswahl wird von den Parteien nicht bezweifelt. Ohne wirksame Rechtswahl ergäbe sich nach Art. 4 Abs. 1 lit. f) Rom I VO ebenfalls die Anwendbarkeit deutschen Rechts.

31

Das Vertragsstatut nach der Rom I VO gilt allerdings nicht für die Frage der ordnungsgemäßen Vertretung bei Vertragsschluss (Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I VO). Die Frage, ob Herr K. wirksam bevollmächtigt war, beurteilt sich vielmehr nach türkischem Recht (Art. 8 Abs. 3 EGBGB).

32

Nicht nach dem Vertretungsstatut, sondern nach dem Vertragsstatut, also vorliegend nach deutschem Recht beurteilt sich aber gegebenenfalls die Frage, ob das Geschäft eines vollmachtlosen Vertreters wirksam genehmigt wurde (BGH, Urteil vom 8.10.1991 – XI ZR 64/90, Rz. 15; Urteil vom 17.11.1994 – III ZR 70/93, Rz. 2; Grüneberg / Thorn, BGB, 82. Aufl., Art. 8 EGBGB Rz. 6).

33

bb) Hiernach wäre an sich zunächst nach türkischem Recht zu klären, ob Herr K. bei Vertragsschluss Vertretungsmacht für die Beklagten hatte. Dass er Organ der Beklagten ist, behauptet auch die Klägerin nicht. Damit käme nur eine rechtsgeschäftliche Vollmacht in Betracht. Eine ausdrückliche Bevollmächtigung vermag die Klägerin nicht vorzutragen. Damit käme nur in Betracht, dass sich eine Vollmacht des Herrn K. aus den Umständen, etwa entsprechend den deutschen Grundsätzen für eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht ergibt. Ob und unter welchen Voraussetzungen entsprechende Rechtsfiguren auch im türkischen Recht existieren, wäre ohne Einholung eines Rechtsgutachtens nicht zu klären. Daher kann nach derzeitigem Sachstand nicht davon ausgegangen werden, dass Herr K. Vertretungsmacht hatte.

34

cc) Die Frage kann jedoch offen bleiben. Folge fehlender Vertretungsmacht ist (nach deutschem Recht als Vertragsstatut) die zunächst schwebende Unwirksamkeit des Handelsvertretervertrages (§ 177 Abs. 1 BGB). Diese wäre jedoch geheilt durch Genehmigung seitens des Herrn T., der unstreitig vertretungsberechtigtes Organ der Beklagten ist.

35

Die Genehmigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das gegenüber dem Vertreter oder dem Vertragspartner erklärt werden kann (§§ 182, 184 BGB). Zwar ist eine ausdrückliche Genehmigung nicht vorgetragen; die Genehmigung eines schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts kann jedoch auch konkludent erklärt werden. Entscheidend ist daher, ob die Klägerin in Person des Zeugen H. L. das Verhalten des Herrn T. dem Zeugen gegenüber nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Genehmigung des Handelsvertretervertrages verstehen durfte (Lehre vom objektiven Empfängerhorizont).

36

Die Klagepartei hat diesbezüglich unbestritten vorgetragen, dass Herr T. bei einem persönlichen Treffen mit Herrn L. am 19.9.2014 (also rund eineinhalb Monate nach Vertragsschluss) am Messestand der W.-Gruppe auf der Automobilmesse in F. detaillierte Kenntnis vom Inhalt des Handelsvertretervertrages zeigte, die weitere Zusammenarbeit besprach und Herrn L. gegenüber Geschäftspartnern als Handelsvertreter für Deutschland vorstellte; ferner sei bei dieser Gelegenheit die Gestaltung einer Visitenkarte für Herrn L. besprochen worden; wenig später seien der Klägerin entsprechende Visitenkarten übersandt worden. – Auf dem als Anlage K 13 vorgelegten Exemplar einer solchen Visitenkarte sind die (damaligen) Firmen aller drei Beklagten sowie „H. L. Verkaufsniederlassung“ aufgedruckt.

37

Nach Auffassung des Senats musste sich dem Zeugen L. aus der Gesamtschau der vorstehenden unstreitigen Umstände der Eindruck aufdrängen, dass Herr T. mit dem Inhalt des Handelsvertretervertrages vertraut war und diesen namens der Beklagten billigte. Damit wurde der Handelsvertretervertrag, sollte er zunächst schwebend unwirksam gewesen sein, jedenfalls rückwirkend auf seinen Abschluss wirksam.

38

b) Der Vertrag von 15./18.8.2014 (Anlage K 1) ist nicht wirksam angefochten. Als Anfechtungsgrund wird erstinstanzlich nur die behauptete mangelnde Vertretungsmacht des Herrn K. angeführt. Dieser Gesichtspunkt lässt sich weder unter §§ 119, 120 BGB noch unter § 123 BGB subsumieren.

39

c) Der Vertrag vom 15./18.8.2014 (Anlage K 1) ist nicht nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und Pflichten der Vertragsparteien lässt sich nicht feststellen.

40

Eine Provisionshöhe von 5% der Vertragssumme ist nach der Kenntnis des regelmäßig mit Handelsvertretersachen befassten Senats nicht ungewöhnlich. Dass diese auch bei Geschäften anfallen kann, die die Klägerin nicht vermittelt hat, ist eine Folge der vereinbarten Bezirksvertretung (§ 87 Abs. 2 HGB). Diese Möglichkeit der Vertragsgestaltung ist vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen und vermag daher das Verdikt der Sittenwidrigkeit nicht zu begründen.

41

Nicht nachvollziehbar ist, warum das Fehlen von Kundenlisten zur Sittenwidrigkeit des Vertrages führen soll. Dass der Kreis von Kunden, für die Provision verlangt werden kann, nur territorial auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs begrenzt ist, ergibt sich aus der vertraglich vereinbarten Stellung der Klägerin als Bezirksvertreterin Dass der Vertrag einseitig formuliert ist und nur Pflichten der Beklagten enthält, mag sein. Das hat aber nicht zur Folge, dass die Klägerin keine Pflichten treffen; vielmehr folgen mangels vertraglicher Regelung die Pflichten der Klägerin aus dem Gesetz (insbesondere § 86 HGB). Soweit die Beklagten Schadensersatzregelungen zu ihren Gunsten vermissen, gelten für den Fall von Pflichtverletzungen auf Seiten der Klägerin die §§ 280 ff. BGB.

42

Die strenge Vertragsstrafenregelung vermag eine Sittenwidrigkeit des Gesamtvertrages ebenfalls nicht zu begründen. Denn selbst wenn Ziffer 5 des Vertrages unwirksam wäre, ließe dies nach § 14 des Vertrages die übrigen Vertragsklauseln unberührt.

43

d) Der Vertrag wurde im streitgegenständlichen Zeitraum bis 30.9.2019 nicht wirksam gekündigt. Behauptet wird nur eine Kündigungserklärung vom 1.11.2021. Diese hätte im Falle ihrer Wirksamkeit den Vertrag frühestens mit ihrem Zugang bei der Klägerin und damit keinesfalls vor dem 30.9.2019 beendet.

44

2. Die Ansprüche auf Zahlung von Provision bestehen in der von der Klägerin geltend gemachten Höhe und nicht nur in dem vom Landgericht zuerkannten Umfang.

45

a) Zu Recht hat das Landgericht den klägerischen Vortrag zu den provisionspflichtigen Geschäften als unstreitig behandelt. Die Klägerin hat die nach ihrer Ansicht provisionspflichtigen Vorgänge durch Vorlage der Rechnungslisten als Anlage zum Schriftsatz vom 23.8.2021 (Bl. 229 ff. der Akten) schlüssig dargelegt. Diese enthalten das Rechnungsdatum, die Rechnungsnummer, den Kunden sowie den (wohl verbuchten) Betrag in Lire sowie den Rechnungsbetrag in Euro. Nach dem Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hätten sich die Beklagten dem gegenüber nicht mit pauschalem Bestreiten begnügen dürfen, sondern hätten konkrete Einwendungen gegen die einzelnen von der Klägerin vorgebrachten provisionspflichtigen Vorgänge erheben müssen; hierzu wären sie auch in der Lage gewesen, da die Klägerin diese Angaben mit Hilfe der Wirtschaftsprüferkanzlei R. und PartnerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aus den Büchern der Beklagten gewonnen hat. Damit sind die schlüssigen und konkreten Ausführungen der Klägerin zu den provisionspflichtigen Vorgängen nicht hinreichend bestritten. Hiernach spielt es keine Rolle, dass der im Wege der Ersatzvornahme erstellte Buchauszug dem Senat nicht vorliegt.

46

b) Als Provision geschuldet werden 5% vom jeweiligen Rechnungsbetrag (vgl. Vertrag, Ziff. 7). Die Rechnungen der Klägerin an ihre deutschen und österreichischen Kunden lauteten auf Euro. Hiervon ist der Senat aufgrund der im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens vorgelegten Rechnungen überzeugt (vgl. Anlage K-ZV 4). Geschuldet ist also die Provision in Euro aus dem Rechnungsbetrag in Euro. Damit stellt sich das vom Landgericht gesehene Umrechnungsproblem nicht; vielmehr sind die vom Wirtschaftsprüfer ermittelten und in der Rechnungsliste angegebenen Euro-Beträge zugrunde zu legen.

D.

47

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus §§ 91, 92, 97, 100 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens war nach dem Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung dem landgerichtlichen Schlussurteil vorzubehalten, weil erstinstanzlich noch die nach Erlass des angegriffenen Urteils angekündigten Anträge für die Zeiträume ab 1.10.2019 anhängig sind.

48

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

49

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalles.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-Recht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

Schlagworte: Anscheinsvollmacht, Duldungsvollmacht, Handelsvertretervertrag

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OLG München, Hinweisbeschluss vom 21.08.2023 – 14 U 1250/21

Montag, 21. August 2023

Geschäftschancenlehre GbR

Tenor

A.- Hinweis:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.02.2021, Az. 23 O 868/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

B.- Hintergrund ist folgende Einschätzung des Senats:

I.-

Die Klägerin beantragt in der Berufung:

auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 05.02.2021, AZ 23 O 868/18, abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 56.198 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2018 zu bezahlen.

Das entspricht dem erstinstanzlichen Antrag (vergleiche EU Seite 2).

II.-

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

1.-

Als unstreitig behandelt hat das Landgericht folgenden Sachverhalt:

Der Beklagte ist Inhaber einer Einzelfirma mit dem Namen „Immobilien N…“.

Im März 2017 unterzeichneten die Parteien einen schriftlichen Vertrag (K1) der als „BGB-Gesellschaftsvertrag“ überschrieben war. Zweck der BGB-Gesellschaft sollte die Vermittlung von Immobilien sein.

Im Juni 2017 erteilte die Einzelfirma des Beklagten der Klägerin eine Reihe von Rechnungen, mit denen der Beklagte jeweils Werbekostenbeteiligungen abrechnete.

Im November 2017 stellte die Klägerin gegenüber der Einzelfirma des Beklagten „bzw“ direkt gegenüber diesem (EU S. 2 ohne Klarstellung, was „bzw“ hier heißen soll) jeweils 50 % derjenigen Maklerprovisionen in Rechnung, die der Beklagte vereinnahmt hatte (EU Seite 2, K2a bis K2 e).

Im Februar 2018 kündigte der Beklagte den Gesellschaftsvertrag (EU Seite 2, K2).

2.-

Als streitig referiert das Landgericht folgende Behauptungen der Klägerin:

Sie habe mit dem Beklagten vereinbart, dass beiden Parteien aus der gemeinsamen Tätigkeit jeweils 50 % der erzielten Provisionen zustünden und Aufwendungen hälftig geteilt würden.

Bei den jeweiligen Immobilienvermittlungen habe die Klägerin zum Teil wesentliche Arbeiten übernommen.

3.-

Als streitig referiert das Landgericht folgende Behauptungen des Beklagten:

Den BGB-Gesellschaftsvertrag hätten die Parteien lediglich abgeschlossen, um anschließend mit einem Dritten einen Lizenzvertrag abschließen zu können. Dazu sei es aber nie gekommen. Die GbR sei nie entstanden, oder sie habe jedenfalls keine geschäftliche Tätigkeit entfaltet.

Es habe auch sonst keine generelle Vereinbarung bezüglich einer Zusammenarbeit zwischen den Parteien gegeben. Zusammengearbeitet habe man lediglich bezogen auf einzelne Geschäfte. Auch Werbekosten seien lediglich fallbezogen geteilt worden, wobei jedoch niemand auf die GbR hingewiesen habe (EU Seite 3).

4.-

Das Landgericht hat die Klageabweisung im wesentlichen folgendermaßen begründet:

4.1

Die Klägerin habe aus dem BGB-Gesellschaftsvertrag (K1) keinen Anspruch auf Auskehrung von anteiligen Maklerprovisionen gegen den Beklagten.

4.1.1.

Es könne offenbleiben, ob die GbR entstanden sei. Denn jedenfalls habe sie keinerlei Tätigkeit mit Wirkung nach außen entfaltet, was sich aus der Aktenlage und den Angaben des vernommenen Zeugen ergebe (EU Seite 4). Sämtliche Geschäfte seien stets über die Einzelfirma des Beklagten abgewickelt worden. Selbst die von der Klägerin erstellten Rechnungen seien in deren eigenem Namen (noch dazu als Immobilienmaklerin freiberuflich) an die Einzelfirma des Beklagten adressiert gewesen; nicht etwa namens der GbR an den Beklagten in dessen Eigenschaft als deren Gesellschafter (EU Seite 4).

Der Zeuge habe zwar angegeben, aus seiner Sicht habe eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Form einer BGB-Gesellschaft bestanden. An anderer Stelle habe der Zeuge aber angegeben, mit der Umsetzung der BGB-Gesellschaft sei es ihm nicht schnell genug gegangen, und es seien Dinge wie der Außenauftritt nicht überarbeitet worden.

Der Zeuge habe zu der Frage, ob Provisionen zwischen den Parteien geteilt werden sollten, lediglich angegeben, dieses sei „selbstverständlich gewesen“, aber eine konkrete Absprache hierzu nicht benennen können. „Selbstverständlich“ könne eine Teilung schon deshalb nicht gewesen sein, weil der Zeuge es als besonders anerkennenswert hinstellte, dass der Beklagte die Klägerin an der Provision aus einem großen Objekt beteiligt habe, das nur der Beklagte allein vermittelt hatte: Wäre das der vereinbarte Usus der Parteien gewesen, so ließe sich nicht erklären, warum der Zeuge sie ihm „hoch anrechnete“ (EU S. 5).

4.1.2

Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht aus einem etwaigen Wettbewerbsverstoß zu begründen, da der BGB-Gesellschaftsvertrag (K1) kein Wettbewerbsverbot vorsehe.

4.1.3

Auch nach der Geschäftschancen-Lehre ergebe sich ein Anspruch der Klägerin selbst dann nicht, wenn man vom Bestand der GbR ausgehe: Auch dann habe die GbR keinen Anspruch gegenüber dem Beklagten. Denn irgendeine Geschäftschance könne nicht bestanden haben, da die Gesellschaft nie nach außen aufgetreten sei, so dass irgendeine konkrete Geschäftschancen an diese nicht habe herangetragen werden können.

4.2

Der Anspruch ergebe sich auch nicht aus einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung.

Die Klägerin habe nicht zur Überzeugung des Landgerichts nachweisen können, dass die Parteien eine Generalvereinbarung getroffen hätten, sämtliche Provisionen hälftig untereinander zu teilen.

Vielmehr ergebe sich das Bild, dass es einzelne Projekte gab, bei denen die erzielte Provision zwischen den Parteien geteilt wurde. Nicht feststellen lasse sich aber eine generelle Absprache dahingehend, dass sämtliche Provisionen, die eine Partei vereinnahmt, zwischen beiden Parteien hälftig geteilt werden solle.

Namentlich die Aussage des Zeugen bestätige, dass eine generelle Zusammenarbeit der Parteien mit einer 50-prozentigen Beteiligung an sämtlichen Einnahmen zu dem streitgegenständlichen Zeitpunkt noch reine „Zukunftsmusik“ gewesen sei. Auch hierhin gehöre die Aussage des Zeugen, wonach der Beklagte einmal die Vermittlung eines 2,2 Millionen Objekts intendiert und sich mit Blick hierauf bereit erklärt habe, die Klägerin im Erfolgsfalle an einer etwaigen Provision zu beteiligen, was der Zeuge ihm hoch anrechne. Ein derartiger Ausspruch betreffend ein Einzelprojekt spiegele deutlich wider, dass die Parteien keine generelle Teilungsabsprache getroffen haben (EU Seite 5).

Nicht zu übersehen sei zwar, dass Hilfstätigkeiten der Klägerin hinter der überwiegenden Mehrzahl der von ihr geltend gemachten Provisionsforderungen stünden, die Klägerin also jedenfalls involviert gewesen sei. Daraus ergibt sich aber kein zwingendes Indiz dafür, was die Parteien im Innenverhältnis vereinbart gehabt hätten mit Blick auf eine dem Beklagten zufließende Provision.

Darum sei auch kein Erkenntnisgewinn daraus zu erwarten, wenn das Landgericht jene Zeugen vernehmen würde, die die Klägerin zu den einzelnen Vermittlungsvorgängen angeboten hatte (EU Seite 5). Es könne unterstellt werden, dass die Klägerin bei den einzelnen Vermittlungsvorgängen beteiligt war, etwa indem sie einen Maklervertrag handschriftlich ausfüllte oder von einem Käufer kontaktiert wurde; aus alledem ergebe sich kein Rückschluss darauf, ob die Parteien im Innenverhältnis eine wie auch immer geartete Vereinbarung getroffen haben.

Für sich genommen naheliegend sei zwar, dass die Klägerin ihre Hilfe nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe. Denn immerhin sei die Klägerin selbst als freiberufliche Immobilienmaklerin tätig gewesen (EU Seite 6). Das deute aber nicht darauf hin, dass die Parteien vereinbart haben müssten, die Klägerin werde dadurch vergütet, dass Provisionen generell zwischen den Parteien geteilt wurden. Zudem stehe nicht fest, dass die Klägerin sämtliche Hilfeleistungen für den Beklagten nur entgeltlich habe erbringen wollen. Letzteres sei deshalb zu bezweifeln, weil ohnehin eine enge freundschaftliche Beziehung der Parteien bestand, was sich aus den Angaben der Klägerin selbst und denen des Zeugen ergebe. Hierhin gehöre auch, dass die Familie der Klägerin den Beklagten in einer für diesen schwierigen Zeit unterstützt habe und dass unstreitig „die Beklagte“ (EU Seite 6, meint: die Klägerin) eine von ihr allein verdiente Provision mit dem Beklagten aus freien Stücken geteilt hat. Es sei also nicht völlig lebensfremd, dass die Klägerin den Beklagten eine Zeit lang bei dessen Projekten aus reiner Nächstenliebe unterstützt habe, um diesen wieder auf die Beine zu helfen.

IV.-

Die Berufungsbegründung bringt vor:

1.-

Die GbR der Parteien sei entstanden durch Abschluss des Gesellschaftsvertrags.

Die Erwartung einer Lizenzerteilung durch den Dritten sei keine Bedingung des Vertrags gewesen. Eine Bedingung sei auch schon deshalb nicht wirksam vereinbart, weil der Gesellschaftsvertrag eine Schriftformklausel für Nebenabreden enthalte (BerBegr Seite 3; K 1 § 15).

Dass die Gesellschaft wirksam begründet worden sei, zeige auch die Kündigung durch den Beklagten (K 2), die bei Annahme einer inexistenten GbR jeden Sinnes entkleidet gewesen wäre (BerBegr Seite 3).

Auf den Außenauftritt der GbR komme es für das Entstehen der Rechte und Pflichten der Parteien als Gesellschafter der GbR nicht an (BerBegr Seite 4). Vielmehr habe kraft Gründung der GbR eine Innengesellschaft zwischen den Parteien bestanden. Die Gesellschafter (= die Parteien) seien nach außen hin halt einstweilen im eigenen Namen aufgetreten und hätten derweil den Außenauftritt der Gesellschaft vorbereitet (BerBegr Seite 4). Das habe die Klägerin erstinstanzlich unbestritten vorgetragen; das Landgericht übergehe es.

Das Landgericht erwähne zwar die Hilfstätigkeiten der Klägerin, übergehe damit aber deren erstinstanzlichen Vortrag, dass „diverse der streitgegenständlichen provisionspflichtigen Geschäfte ausschließlich durch sie abgewickelt“ worden seien, wobei jeweils keine bloßen Hilfstätigkeiten ausgeübt wurde (BerBegr Seite 4/5).

Dass die Parteien als GbR-Gesellschafter gemeinsam tätig werden wollten und die Provisionen generell teilen wollten, ergebe sich auch daraus, wie die Parteien über die zu gestaltende Zusammenarbeit korrespondierten. Dazu habe die Klägerin dem Landgericht „umfangreiche Korrespondenz zwischen den Parteien“ vorgelegt (BerBegr Seite 5, Schriftsatz 13.1.2021 Seite 3 = Blatt 140/157 mit dort abgelichteten WhatsApp-Verläufen). Dabei sei es um die „generelle operative Geschäftstätigkeit der Parteien“ gegangen, Akquise und Abwicklung von Verkaufsaufträgen, ferner um die strategische Ausrichtung der Gesellschaft und die organisatorische Ausgestaltung. Diese Korrespondenz belege eindeutig, dass hinter der GbR-Gründung die tatsächliche Abrede der Parteien stand, gemeinsam im Rahmen der gegründeten Gesellschaft auch tätig zu werden.

Daraus folge „jedoch auch zwangsläufig“, dass die Klägerin hälftig an den Provisionserlösen zu beteiligen war (BerBegr Seite 5).

Die Aktivitäten seien auch deckungsgleich mit dem in K1 vereinbarten Unternehmensgegenstand (BerBegr Seite 5) und der prozentualen Beteiligung beider Gesellschafter (ausdrücklich 50 %) sowie der hieran anknüpfenden Zuweisung von Gewinn und Verlust sowie Auseinandersetzungsguthaben (BerBegr Seite 6, K1 § 4 Abs. 2).

Das Landgericht verkenne, dass der Gesellschaftsvertrag als Urkunde die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich habe.

Soweit das Landgericht aus sonstigen Umständen „nicht feststellen“ zu können meine, dass es eine generelle Absprache zur hälftigen Provisionsteilung gab, habe es einer solchen nicht separat bedurft, da sie bereits in dem Vertrag K1 getroffen und für die Parteien als Innengesellschaft bindend geworden sei.

1.2

Zu Unrecht verwerfe das Landgericht auch die auf die „Geschäftschancenlehre“ gestützte Argumentation der Klägerin:

Auch ohne ausdrückliche Regelung eines Wettbewerbsverbots bestehe eine Treuepflicht der Gesellschafter, Geschäftschancen der GbR nicht dadurch zu vereiteln, dass sie solche gar nicht erst zur Entstehung gelangen ließen (BerBegr Seite 7/8). Der Beklagte habe als geschäftsführender Gesellschafter der GbR (K1 § 5) die Pflicht zur uneigennützigen Geschäftsführung gehabt und daher der GbR nicht durch eigene Geschäfte Konkurrenz machen dürfen.

2.-

Aber selbst bei Ausblendung des Gesellschaftsvertrags und der innergesellschaftlichen Pflichten habe das Landgericht annehmen müssen, dass die Parteien eine Abrede zur hälftigen Teilung der Provisionen getroffen haben.

Das habe der Zeuge nämlich bekundet, und den Gegenbeweis habe der Beklagte nicht erbracht (BerBegr Seite 9).

IV.-

Die Berufungserwiderung hält dagegen:

Das angegriffene Urteil sei zutreffend.

1.-

Der GbR-Vertragstext (K 1) sei ein Scheingeschäft gewesen (BerErw S. 5), was der Beklagte schon erstinstanzlich vorgetragen habe.

Der Dritte habe einen Lizenzvertrag mit der Klägerin alleine wegen deren ungeordneter Vermögensverhältnisse (Stichwort: „SCHUFA-Auskunft“) nicht schließen wollen, was die Parteien bewogen habe, dem Dritten eine GbR als Partnerin des Lizenzvertrages anzudienen.

Zwischen den Parteien sei klar gewesen, dass der Vertrag K1 hinfällig sei, wenn eine Lizenzpartnerschaft mit dem Dritten nicht zustande komme.

Was die Klägerin als Anlage K1 vorliege, sei auch nicht authentisch. Das Original habe die Klägerin entgegen § 420 ZPO nicht vorgelegt und sei daher beweisfällig.

Unbestritten geblieben sei in erster Instanz auch der Vortrag des Beklagten, wonach die Klägerin ihm auf Frage nach dem Verbleib des Vertrags-Schriftstückes geantwortet hätte, dieses habe sie vernichtet (BerErw S. 5 -> Schriftsatz 7.4.2020, Seite 5).

Die „Kündigung“ des Beklagten (K2) verstehe sich ausdrücklich als „höchst vorsorglich“ und erlaube daher nicht den Schluss, dass der Beklagte bei der Kündigung von einer bestehenden GbR ausgegangen sei (BerErw Seite 6).

Bereits im Kündigungsschreiben habe der Beklagte mitgeteilt, dass er nicht vom Bestehen der GbR ausgehe, sondern es bereits am gemeinsamen Willen gefehlt habe, eine GbR ins rechtsgeschäftlichen Leben zu bringen, wenn die Lizenzvereinbarung mit dem Dritten nicht zustande käme (BerErw S. 6).

Auch eine Innengesellschaft sei nicht entstanden. In Wahrheit seien die Parteien nicht durch die Absicht verbunden gewesen, mit einem gemeinsamen Zweck auf eine gewisse Dauer zusammenzuarbeiten. Eine Innengesellschaft entstehe auch nicht etwa dadurch, dass die Klägerin durch Hilfeleistungen sich an der Einzelfirma des Beklagten beteiligt habe.

2.-

Unbehelflich argumentiere die Klägerin mit einem Wettbewerbsverbot.

Das im Vertrag K1 unstreitig nicht vereinbarte Wettbewerbsverbot könne nicht auf dem Umweg über eine allgemeine Treuepflicht herbeiargumentiert werden.

Davon unabhängig führe ein (probehalber unterstelltes) Wettbewerbsverbot nicht dazu, dass sämtliche Geschäfte, die ein Gesellschafter – diesem zuwiderhandelnd – abschlösse, automatisch als Geschäfte der GbR anzusehen wären.

Ein Wettbewerbsverbot gebe es nur bei Personenhandelsgesellschaften (BerErw S. 3, § 112 Abs. 1 HGB), während die hier diskutierte GbR kein Handelsgewerbe betreibe. Im Recht der GbR gebe es kein gesetzliches spezifisch gesellschaftsrechtliches Wettbewerbsverbot.

Auch eine gesellschaftliche Treuepflicht habe den Parteien, die beide als selbstständige Immobilien Makler tätig waren und sind, nicht verboten, abseits der GbR eigene Projekte zu verfolgen. Die Klägerin behaupte ja auch nicht, dass die Parteien beabsichtigt hätten, ihre jeweiligen Immobilienmaklerbüros zusammenzuführen und als BGB-Gesellschaft weiterzuführen. Der Gesellschaftsvertrag (K 1) sei auch sonst nie in Vollzug gesetzt worden.

3.-

Die Argumentation auf der Basis der Geschäftschancen-Lehre scheitere daran, dass §§ 112, 113 HGB zwar für die OHG, nicht aber für die GbR heranzuziehen seien. Im Übrigen stehe § 112 Abs. 2 und § 113 Abs. 3 HGB entgegen: Der Klägerin sei die Wettbewerbssituation unstreitig bekannt gewesen, ferner dass der Beklagte seine Tätigkeit in eigener Firma als selbstständige Immobilienmakler führt. Zudem seien die Ansprüche, wenn man sie als bestehend unterstelle, nach § 113 Abs. 3 HGB schon verjährt (BerErw S. 4,) worauf sich die Beklagte bereits erstinstanzlich berufen habe.

Vor allem aber sehe das Landgericht richtig, dass die Geschäftschancen-Lehre an Chancen anknüpft, die der Gesellschaft zunächst konkret entstanden sein müssen, bevor der Gesellschafter sie vereitelt, indem er sie zu seinem eigenen Einzelvorteil abschöpft (BerErw S. 8). Hingegen sei der Gesellschafter (wenn ihn – wie hier – kein Wettbewerbsverbot trifft) frei darin, eigene Chancen zu suchen und zu schaffen, und nicht gehalten, dies nur für die Gesellschaft zu tun.

4.-

Nach alledem sei der Eindruck des Landgerichts richtig, dass die Parteien als Betreiber zweier Immobilienbüros nur fallweise zusammengearbeitet haben, jedoch keine Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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betrieben hätten und ihre getrennten Tätigkeiten nie zu einer gemeinsamen Tätigkeit zusammengelegt hätten.

Dies – und nicht die Annahmen der Klägerin – werde auch gestützt durch die Aussage des Zeugen (BerErw S. 9), die das Landgericht richtig eingeordnet habe. Der Zeuge (= Ehemann der Klägerin) habe auf suggestive Frage des Klägervertreters nach einer „Absprache zur hälftigen Teilung von Provisionen“ geantwortet, das sei „von Anfang an so praktiziert worden“. Das passe zu einem mitgebrachten Text, von dem der Zeuge zu Beginn seiner Vernehmung abgelesen habe.

Die spontanen Antworten des Zeugen hätte jedoch gezeigt, dass eine hälftige Generalteilung ersichtlich nicht gelebt wurde: Erstens sei es dem Zeugen „mit der Umsetzung der BGB-Gesellschaft nicht schnell genug“ gegangen – was zeige, dass es die GbR noch nicht gegeben habe. Zweitens habe der Zeuge keine konkrete Absprache der Parteien zur Provisionsteilung schildern können. Drittens habe er – mit dem Ton der Anerkennung gegenüber dem Beklagten – hervorgehoben, wie „generös“ es vom Beklagten sei, dass er die Klägerin an Provisionserlösen beteiligt hat, die er durch Vermittlung des allein vom Beklagten eingefädelten 2,2-Mio-Objekts erzielte; denn dieser Vorgang wäre nicht als Besonderheit hervorzuheben, wenn die Parteien sich ohnehin verpflichtet hätten, wechselseitig ihre Provisionserlöse miteinander zu teilen. Das sehe das Ersturteil völlig richtig.

IV.-

Die Berufung ist ohne Erfolgsaussicht.

Das strukturiert begründete Urteil des Landgerichts Kempten leidet nicht an Rechtsfehlem (§ 546 ZPO). Die zugrunde zu legenden Tatsachen (§ 529 ZPO) gebieten keine andere Entscheidung.

1.-

Es kann offenbleiben, ob der GbR-Vertrag (K 1) der Parteien nur pro forma vorgetäuscht und deswegen ein Scheingeschäft (§ 117 BGB) war. Dass die Anlage K 1 kein Original ist und deshalb die Beweiswirkung des § 416 ZPO nicht eintritt, spielt für sich genommen ebenfalls keine Rolle. Auch ist nicht Einzelheiten nachzugehen betreffend die Frage, wie weit die Parteien darin gediehen sind, ihre „generelle operative Geschäftstätigkeit“ zu entwerfen, „Akquise und Abwicklung von Verkaufsaufträgen“ zu regeln sowie die GbR strategisch auszurichten und organisatorisch auszugestalten.

Es kann unterstellt werden, dass hinter der GbR-Gründung die tatsächliche Abrede der Parteien stand, gemeinsam im Rahmen der gegründeten Gesellschaft irgendwann einmal tatsächlich tätig zu werden. Daraus folgt jedoch weder „zwangsläufig“, noch in sonstiger Weise, dass die Klägerin hälftig an den Provisionserlösen des Beklagten zu beteiligen wäre. Es hilft der Klägerin nicht, dass die Aktivitäten der Parteien in ihren Einzel-Unternehmen deckungsgleich mit dem in K1 vereinbarten Unternehmensgegenstand waren und dass beide GbR-Gesellschafter nach K 1 § 4 Abs. 2 entsprechend ihrer hälftigen Beteiligung an Gewinn und Verlust der GbR partizipieren sollten.

Denn mit alldem besagt der GbR-Vertrag lediglich, dass die Parteien, soweit die GbR ein Vermittlungsgeschäft abschließt und darauf von Dritten Provision kassiert, solche Provisionen teilen – was nach der Kündigung nur im Wege einer Auseinandersetzungsbilanz möglich erschiene, die die Klägerin ohnehin nicht aufgestellt hat.

Soweit die Parteien hingegen weiter auf eigene Rechnung Immobilien vermittelten und daraus Provisionen einnahmen, blieben diese ihnen jeweils allein zugewiesen. Das folgt daraus, dass den Parteien diese Tätigkeit auf eigene Rechnung nicht verboten war.

1.1

Es war in K 1 unstreitig kein Konkurrenzverbot vereinbart.

1.2

Ein Konkurrenzverbot ergab sich auch nicht im Wege der Treuepflicht daraus, dass der Beklagte geschäftsführender Gesellschafter der GbR war:

Zwar gilt allgemein, dass die geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH verpflichtet sind, der Gesellschaft bestimmte Geschäftschancen zu belassen und sie nicht im eigenen Interesse wahrzunehmen (BeckOK HGB/Klimke HGB § 112 Rn. 31-34 m.w.N.). Das soll auch für den geschäftsführenden Gesellschafter einer GbR gelten (MüKo-Schäfer Rn 242 zu § 705): Auch ohne ausdrückliche Vereinbarung gehe dessen Treuepflicht dahin, „im Bereich der uneigennützigen Mitgliedschaftsrechte die eigenen Interessen hinter diejenigen der Gesellschaft zurückzustellen“ und deshalb insbesondere „Geschäftschancen der Gesellschaft nicht für eigene Zwecke wahrzunehmen“, sondern „der Gesellschaft zugeordnete Geschäftschancen für diese zu nutzen“.

1.3

Das Landgericht hat vorliegend aber richtig gesehen, dass die Parteien die intendierte GbR nicht in Vollzug gesetzt haben,

– weder als Außengesellschaft (hier ist der fehlende Außenauftritt augenfällig, über dessen Vorbereitung die Parteien über Textnachrichten wenig strukturiert korrespondiert haben),

– noch auch nur als einstweilige Innengesellschaft.

Vielmehr haben die Parteien, wie das Landgericht überzeugend feststellt, ihre jeweilige angestammte Tätigkeit weitergeführt und dabei lediglich im Einzelfall zusammengearbeitet.

So hat das Landgericht – von der Berufung unangegriffen – festgestellt, dass sämtliche streitgegenständlichen Geschäfte über die Einzelfirma des Beklagten abgewickelt wurden und die Klägerin ihre Rechnungen an diese adressiert hat – ohne jeden Bezug zu einer zwischen den Parteien vorgestellten GbR (EU S. 4).

Auch ist die Rechnung des Beklagten vom 26.6.2017 über eine „Werbekostenbeteiligung 1.3.2017 – 31.7.2017“ (Anlage „ASt 10“) an die Klägerin gerichtet und in keiner Weise auf eine (auch nur im Innenverhältnis wirkende) GbR bezogen. Dasselbe gilt für eine Beteiligung der Klägerin an Werbekosten und „sonstigen Ausgaben“ aufgrund Rechnung des Beklagten vom selben Tage (Anlage „ASt 11“).

Die Schilderung des Geschäftsfreundes J… (Anlage ASt13) stützt diesen Befund, soweit darin berichtet wird, die Parteien hätten eine „gemeinsame Zusammenarbeit für den Vertrieb von Immobilien im Westallgäu“ erörtert: Eine solche Erörterung wäre überflüssig gewesen, wenn die Parteien den Vertrag K 1 einstweilen als Innengesellschaft hätten vollziehen wollen; dann nämlich wäre die „Zusammenarbeit“ für den Vertrieb von Immobilien bereits eine blanke Selbstverständlichkeit gewesen, und zwar nicht nur im „Westallgäu“, sondern überall.

Führte der Beklagte als Inhaber seiner Firma „N… Immobilen“ in einer E-mail-Nachricht (ASt 17) als weitere Geschäftsführerin (neben ihm selbst) die Klägerin auf, so indiziert das nicht den Vollzug der in K 1 beschriebenene „BGB-Gesellschaft unter der Firma N… & K… Immobilien GbR“. Es passt auch nicht restlos zur These der Klägerin, wonach die Gesellschafter (= die Parteien) nach außen hin einstweilen im eigenen Namen aufgetreten seien und derweil lediglich im Innenverhältnis als GbR gearbeitet haben: Bei einer so verstandenen Aufteilung ergäbe es keinen Sinn, die Klägerin nach außen als Mitgeschäftsführerin der Einzelfirma des Beklagten auszugeben.

Dass die Gesellschaft nicht in Vollzug gesetzt wurde, wird nicht zuletzt daran erkennbar, wie die Klägerin den hiesigen Prozess führt. Die Klägerin greift mit der Klage eine Reihe von Geschäften mit Dritten heraus und verlangt daraus einen Anteil. Das wäre per se nicht gangbar, solange man zwischen den Parteien eine bestehende und in Vollzug gesetzte GbR nach der Beschreibung K 1 annähme; denn deren Überschüsse wären unter Einbeziehung aller Geschäfte beider Parteien gemäß § 7 (K 1 Seite 4) festzustellen. Sie wären nur im Rahmen von § 9 Abs. 1 (K 1 S. 5) entnehmbar („nach Abzug aller Vorabentnahmen und der Betriebskostenrückstellung“). Und erst ein nach diesem Schema errechneter Betrag wäre dann zu verteilen (§ 9 Abs. 2). Hätte es zwischen den Parteien – vor der vorsorglichen Kündigung des Beklagten – eine in Vollzug gesetzte GbR gegeben, dann wäre diese mit einer Auseinandersetzungsbilanz aufzulösen. Die Klage unternimmt solche Berechnungen nicht, sondern zieht allein einzelne vom Beklagten betriebene Geschäfte heran und betreibt nicht die in K 1 vorgesehene gesellschaftsrechtliche Teilung.

Zusammenfassend sieht das Landgericht zutreffend: Haben die Parteien bei einzelnen Projekten gemeinsam gearbeitet und fallweise Erlöse geteilt, so ist das nicht der Vollzug einer umfassenden Zusammenarbeit als BGB-Gesellschafter, die K 1 beschreibt.

2.-

Die Berufung kann auch nicht etwa deshalb Erfolg haben, weil die Parteien – soweit K 1 als wirksam gesehen wird – immerhin als verpflichtet gesehen werden könnten, die GbR-Tätigkeit aufzunehmen und dabei nicht vorab den Außenauftritt zu bewerkstelligen, sondern vorab als einstweilige Innen GbR alle Geschäfte der beiden Einzelfirmen gedanklich in einer Art „Pool“ der GbR aufzunehmen.

Für eine so verstandene Verpflichtung bestimmt der Vertrag K 1 gleichwohl keine Frist, bis zu deren Ablauf die GbR in Vollzug zu setzen sei. Der Vertrag kann andererseits auch nicht dahin verstanden werden, es solle die GbR „sofort“ wirksam werden.

Das folgt schon daraus, dass die Parteien selbst auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt die GbR überhaupt gegründ et sein soll, keine Sorgfalt verwendet haben. Es steht kein bestimmtes Datum fest, zu dem der GbR-Vertrag geschlossen sein soll: Das Original hat die Klägerin unstreitig vernichtet und im Prozess nicht vorgelegt. Die beiden Versionen, die nebeneinander jeweils als Gerichtsanlage (hier „Anlage 3 zur Klage“, da „K 1“) vorgelegt sind, zeigen voneinander abweichende Daten. Dahingestellt bleiben kann, dass auch der Ort („Friedrichshafen“) nach dem Vorbringen der Klägerin falsch ist, da der Vertrag K 1 in Hamburg anlässlich eines Treffens mit dem Lizenzgeber in spe unterschrieben wurde, dessen Lizenz (unstreitig zumindest) den Anstoß zu der Idee der in K 1 beschriebenen GbR geliefert hatte.

Dem Vertrag in Verbindung mit den unstreitigen Einzelumständen lässt sich auch sonst kein Zeitpunkt entnehmen, zu dem die Parteien die GbR in Vollzug zu setzen gedachten, weder bezüglich des Außenauftritts noch bezüglich der Innen-Komponente.

3.-

Da die GbR (K 1) hiernach weder zu arbeiten begonnen hat noch die Parteien sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verpflichtet hatten, sie auch nur im Innenverhältnis in Vollzug zu setzen, konnten der GbR – wie das Landgericht zutreffend feststellt – auch keine Geschäftschancen zuwachsen, die „ihr zugeordnet“ gewesen wären. Nicht vorgetragen ist andererseits, dass jemand der GbR (als solcher) gezielt ein Angebot für ein Geschäft gemacht hätte, das erst der Beklagte vereitelt hätte. Vielmehr meint die Berufung, darauf komme es nicht an. Dem ist nicht zu folgen, da der nicht in Vollzug gesetzten GbR irgendwelche abstrakten Chancen ebensowenig winkten wie konkrete Angebote.

4.-

87

Das Landgericht hat – somit folgerichtig – geprüft, ob die Parteien außerhalb des intendierten GbR-Betriebs und der dafür getroffenen Vereinbarungen aus dem GbR-Vertrag (K 1) eine Generalabsprache hatten, alle Provisionen hälftig zu teilen, die jede/r einzelne von ihnen aus seinen auf eigene Rechnung durchgeführten Immobilienvermittlungen hatte.

88

Diese Frage hat das Landgericht überzeugend verneint.

89

Beweisbelastet war insoweit allein die Klägerin.

90

Das Landgericht musste sich insbesondere durch die Aussage des Zeugen nicht von der „Generalteilungs-These“ der Klägerin überzeugen lassen.

91

Die Angabe, die Generalteilung sei „von Anfang an praktiziert“ worden, konnte schon deshalb nicht stimmen, weil die Klägerin mit der Klage gerade geltend macht, dass die Teilung betreffend etlicher Vermittlungsprojekte des Beklagten noch nicht vollzogen ist.

92

Die Bedenken des Landgerichts sind ferner nachvollziehbar mit Blick auf die spontanen Äußerungen des Zeugen: War es großzügig vom Beklagten, die Klägerin an der Provision aus einem allein von ihm vermittelten großen Objekt zu beteiligen, so spricht das ganz entscheidend gegen die These, eine solche Beteiligung sei ohnehin generell vereinbart gewesen: Denn diesfalls wäre die Beteiligung nicht „generös“, sondern schlicht „selbstverständlich“ erschienen. Zugleich spricht dies gegen die Annahme, als ob die Parteien ab einem bestimmten Zeitpunkt die Gesellschaft in Vollzug gesetzt oder sich hierzu auf einen bestimmten Zeitpunkt verpflichtet hätten.

C.- Frist:

93

Hierzu kann sich die berufungsführende Seite, soweit noch beabsichtigt, äußern bis zum 25.9.2023

94

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbHRecht I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

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OLG München, Urteil vom 19.07.2023, Az. 7 U 5309/22

Mittwoch, 19. Juli 2023

Handelsvertreter

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12.08.2022, Az. 3 HK O 18849/19, berichtigt durch Beschluss vom 22.09.2022, abgeändert.

Ziff. 2. Buchst. c) Doppelbuchst. dd) wird – teilweise zur Klarstellung – wie folgt neu gefasst:

„d) im Falle von Verträgen, die aufgrund eines Widerrufs des Kunden nicht durchgeführt wurden, den Zeitpunkt des Eingangs des Widerrufs.“

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und wird bzw. bleibt die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 40% und die Beklagte 60%.

4. Dieses Urteil und das in Ziff. 1 genannte Urteil – letzteres im Umfang seiner Bestätigung – sind vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien – die Klägerin ist ehemalige Handelsvertreterin der Beklagten – streiten in der Berufungsinstanz allein um den Umfang der Buchauszugspflicht im Falle des Widerrufs von vermittelten Verträgen.

Das Landgericht hat der Stufenklage durch Teilurteil in der ersten Stufe teilweise stattgegeben. Auf Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils – auch hinsichtlich der dort gestellten Anträge – wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, hat die Klägerin erstinstanzlich beantragt,

„Die Beklagte wird verurteilt,

1. der Klägerin einen Buchauszug über sämtliche provisionsrelevanten Verträge zu erteilen, die in der Zeit vom 01.10.2015 bis zum 31.12.2019 durch die Beklagte vermittelt wurden. Der Buchauszug hat für jeden Vertrag folgende Angaben zu enthalten:

[…]

i) im Stornofall

aa) Datum der Stornierung

bb) Stornogrund (Gründe der Nichtdurchführung mit Angabe der konkreten Vorgänge

einschließlich aller Daten, die zur Nichtdurchführung des Vertrags führten)

cc) von der Beklagten getätigte

Nachbearbeitungsmaßnahmen

j) der Klägerin für Verträge, die aufgrund eines Widerrufs des Kunden nicht durchgeführt wurden, den Zeitpunkt des Eingangs des Widerrufs und in Fällen des Widerrufs in Textform den Zeitpunkt der Absendung des Widerrufs nebst Datum des Widerrufs mitzuteilen

[…] “.

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich dieser Anträge unter Zusammenfassung beider Buchstaben unter Buchst. c) wie folgt stattgegeben:

„c) Im Stornofall

aa) Datum der Stornierung

bb) Stornogrund (Gründe der Nichtdurchführung mit Angabe der konkreten Vorgänge einschließlich aller Daten, die zur Nichtdurchführung des Vertrags führten)

cc) von der Beklagten getätigte Nachbearbeitungsmaßnahmen dd) Im Falle von Verträgen, die aufgrund eines Widerrufs des Kunden nicht durchgeführt wurden, den Zeitpunkt des Eingangs des Widerrufs und in Fällen des Widerrufs das Datum des Widerrufs.“

Zu näheren Einzelheiten wird auf den Tenor des landgerichtlichen Urteils in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses Bezug genommen. In den Entscheidungsgründen hat das Landgericht auf Seite 13 des Urteils unter Buchst. i) begründet, warum die Klage hinsichtlich der geforderten Angaben im Stornofall in vollem Umfang begründet sei. Unter dem Gliederungsbuchstaben j) (ebenfalls LGU 13) hat es ausgeführt, dass die Klägerin ihren Provisionsanspruch gemäß den vertraglichen Bestimmungen verliere, wenn der Vertrag gemäß den Vorgaben des Fernabsatzes gemäß §§ 355, 356 BGB widerrufen werde. Zur Berechnung der Einhaltung der Widerrufsfrist sei der Zeitpunkt des Eingangs des Empfangsbedüftigen Widerrufs erforderlich. Die Beklagte habe zu Recht darauf hingewiesen, dass ihr das Datum der Absendung des Widerrufs nicht bekannt sei. Etwas anderes gelte bezüglich des Datums des Widerrufs, weil dieser Rückschlüsse auf die Absendung des Widerrufs ermöglichen könne. Ob ein Datum im Einzelfall, wie die Beklagte meine, manipuliert sei, müsse einer Prüfung nach Vorliegen der entsprechenden Angaben überlassen bleiben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, das Landgericht habe durch die geänderte Gliederung, durch die Widerrufsfälle als Unterfälle der Stornofälle behandelt würden, der Klägerin anderes bzw. mehr zugesprochen, als diese beantragt habe. So schulde die Beklagte durch die Fassung des Urteils auch in Widerrufsfällen Angaben zu Nachbearbeitungsmaßnahmen. Hilfsweise wehrt sie sich gegen die Angabe des Datums des Widerrufs. Die Angabe des Datums lasse gerade keinen Rückschluss auf das Datum der Versendung zu. Im Ergebnis werde sie zur Durchsicht von Zigtausenden von Widerrufen gezwungen, um zu prüfen, ob und ggf. welches Datum dort angegeben sei, ohne dass dem ein Mehrwert der Klägerin gegenüberstehe.

Sie beantragt,

unter Abänderung des Teilurteilurteils [sic] des Landgerichts München I vom 12.08.2022 – Az.: 3 HK O 18849/19 – die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin ein Buchauszug über sämtliche provisionsrelevanten Verträge zu erteilen, die in der Zeit vom 01.10.2015 bis zum 31.05.2019 durch die Beklagte vermittelt wurden, soweit der Buchauszug für jeden Vertrag folgende Angaben zu enthalten hat:

c) im Stornofall

[…]

dd) Im Falle von Verträgen, die aufgrund eines Widerrufs des Kunden nicht durchgeführt wurden, den Zeitpunkt des Eingangs des Widerrufs und in Fällen des Widerrufs in Textform das Datum des Widerrufs.

Hilfsweise:

unter Abänderung des Teilurteilurteils [sic] des Landgerichts München I vom 12.08.2022 – Az.: 3 HK O 18849/19 – die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin ein Buchauszug über sämtliche provisionsrelevanten Verträge zu erteilen, die in der Zeit vom 01.10.2015 bis zum 31.05.2019 durch die Beklagte vermittelt wurden, soweit der Buchauszug für jeden Vertrag folgende Angaben zu enthalten hat:

c) im Stornofall

[…]

dd) Im Falle von Verträgen, die aufgrund eines Widerrufs des Kunden nicht durchgeführt wurden, […] und in Fällen des Widerrufs in Textform das Datum des Widerrufs.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Landgericht habe nicht mehr zuerkannt, als die Klägerin beantragt habe. Die Angaben zum Widerruf stünden trotz der geänderten Gliederung inhaltlich losgelöst von den Anforderungen in Stornofällen. Dies zeige sich etwa daran, dass in Widerrufsfällen die Angabe eines Grundes gerade nicht erforderlich sei. In der Sache ist sich die Klägerin mit der Beklagten einig, dass in Widerrufsfällen keine Nachbearbeitung geschuldet und folglich auch keine Auskunft hierzu zu erteilen ist. Zutreffend habe das Landgericht zur Aufnahme des Datums des Widerrufs in den Buchauszug verurteilt.

Der Senat hat am 03.05.2023 (Bl. 213f. d.A.) einen Hinweis erteilt. Die Klägerin hat daraufhin – allein aus prozessökonomischen Gründen und unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsposition – die Klage zurückgenommen (Schriftsatz vom 23.05.2023, S. 2f., Bl. 218f. d.A.), soweit sie beantragt hatte, ihr das Datum des Widerrufs mitzuteilen. Die Beklagte hat der Klagerücknahme mit Schriftsatz vom 02.06.2023, bei Gericht am selben Tag eingegangen, wegen einer befürchteten ungünstigeren Kostenquote widersprochen (Bl. 222 d.A.). Der Senat hat im Einverständnis mit den Parteien vom 23.05.2023 bzw. vom 24.05.2023 (Bl. 215 und Bl. 219 d.A.) durch Beschluss vom 12.06.2023 (Bl. 224f. d.A.) eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet. Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Angabe des auf dem Widerrufsschreiben angegebenen Datums wehrt. Im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg. Die Angabe des Datums des Zugangs des Widerrufs bei ihr schuldet sie. Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Beklagten, die – sprachlich missverständliche – von den klägerischen Anträgen abweichende Gliederung der im Buchauszug anzugebenden Daten im Tenor des landgerichtlichen Urteils führe zu einer ultra-petita-Verurteilung. Zur Klarstellung nimmt der Senat allerdings eine Neugliederung vor, mit der die Angaben zum Widerruf auf die Gliederungsebene der Buchstaben a) bis d) gehoben wird, so dass in Übereinstimmung mit den klägerischen Anträgen erster Instanz auch sprachlich eine Trennung von Storno- und Widerrufsfällen vorgenommen wird.

1. Die Klägerin hat – unstreitig – erstinstanzlich beantragt, die Beklagte in Widerrufsfällen zu verurteilen, das Datum des Eingangs des Widerrufs mitzuteilen. Streit besteht nur, soweit das Landgericht die Verurteilung hierzu als Unterpunkt zu Stornofällen behandelt hat. Dies ändert aber nichts daran, dass die Angabe des Datums des Eingangs des Widerrufs verlangt wurde und dementsprechend auch zuerkannt werden konnte (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Der Zuspruch ist der Sache nach nicht zu beanstanden. Hiergegen richtet sich auch kein inhaltlicher Angriff der Beklagten. Für die Rechtzeitigkeit des Widerrufs – und damit für den Verfall einer Provision der Klägerin – ausreichend ist die rechtzeitige Absendung des Widerrufs (§ 355 Abs. 1 S. 5 BGB). Dieses Datum ist der Beklagten nicht bekannt. Bekannt ist ihr das Datum des Zugangs bei ihr. Wenn jedoch der Zugang innerhalb der Widerrufsfrist erfolgte, erfolgte die Absendung erst recht fristgerecht. Deshalb ist das Datum des Zugangs des Widerrufsschreibens in den Buchauszug aufzunehmen.

2. Über die Frage, ob ein auf dem Widerrufsschreiben angegebenes Datum in den Buchauszug aufzunehmen ist, hat der Senat streitig zu entscheiden. Die – aus prozessökonomischen Gründen klägerseits erklärte – Teil-Klagerücknahme bedurfte nach Beginn der mündlichen Verhandlung erster Instanz der Zustimmung der Beklagten (§ 269 Abs. 1, § 525 S. 1 ZPO); die Beklagte hat diese Zustimmung jedoch innerhalb der zweiwöchigen Notfrist nach Zustellung der Teilklagerücknahme verweigert (§ 269 Abs. 2 S. 4 und 5, § 525 S. 1 ZPO). Die Teilklagerücknahme ist daher unwirksam.

3. Das im Widerrufsschreiben angegebene Datum ist nicht in den Buchauszug aufzunehmen.

Klägerin und Landgericht meinen, der Datumsangabe komme zumindest ein Indizwert für die rechtzeitige Absendung zu. Dem vermag der Senat nicht beizutreten:

Ist der Widerruf innerhalb der Widerrufsfrist eingegangen, ist die zusätzliche Angabe des Datums des Widerrufsschreibens nicht erforderlich. Behandelt die Beklagte den Widerruf ihrerseits als verfristet, schuldet sie zugleich der Klägerin Provision.

Kritisch sind allein die Fälle, in denen die Beklagte – man muss sich vor Augen führen: gegen ihr eigenes wirtschaftliches Interesse – den Widerruf des Kunden trotz Eingangs nach Ablauf der Widerrufsfrist als wirksam behandelt, weil sie die Rechtzeitigkeit der Absendung bejaht, die Klägerin diese aber bezweifelt.

Auch in diesen Fällen bleibt die Datumsangabe von vornherein ohne eigenständigen Aussagewert, wenn aus technischen Gründen Absendung und Zugang (weitestgehend) zusammenfallen, weil keine nennenswerte Zeitspanne für die Übermittlung der Nachricht anfällt. Dies ist etwa bei einem Widerruf per Telefax oder – heute mutmaßlich häufiger – bei einem Widerruf per E-Mail der Fall. In diesen Fällen muss die Absendung unmittelbar vor dem Eingang bei der Beklagten erfolgt sein, ohne dass es auf das auf dem Widerrufsschreiben angegebene Datum ankommen könnte.

Selbst bei den verbleibenden Fällen einer Übersendung des Widerrufs per Post kommt der Datumsangabe auf dem Widerrufsschreiben – falls überhaupt, jedenfalls – kein hinreichend belastbarer Aussagewert zu. Es besteht nämlich kein Erfahrungssatz, wonach das Datum eines Schreibens mit dem der Versendung identisch ist, also ein Schreiben noch am selben Tag zur Post gegeben wird. Oftmals dürfte zwischen Datum des Schreibens und Versendung bei einer Postsendung mindestens ein Werktag liegen. Hinzu kommt – gerade bei Verbrauchern – die Möglichkeit von Datierungsfehlern, die sich in beide Richtungen (also sowohl als versehentliche Vor- als auch als Nachdatierung) auswirken können.

Daraus folgt: Ist ein postalischer Widerruf verfristet eingegangen, kann aus dem angegebenen Datum nicht auf eine rechtzeitige Absendung geschlossen werden, weil das Datum, wie ausgeführt, nichts über die tatsächliche Absendung besagt. Es bleibt der – seltene – Fall, dass der Eingang verfristet ist, die üblichen Postlaufzeiten eine rechtzeitige Absendung möglich erscheinen lassen, jedoch das auf dem Widerrufsschreiben angegebene Datum auf Verfristung schließen lässt (die Beklagte jedoch gleichwohl von Rechtzeitigkeit des Widerrufs ausgeht, diesen also akzeptiert). Praktisch relevant ist dies nur, wenn der Brief am zweiten Tag nach Ablauf der Widerrufsfrist eingeht und das Schreiben des Widerrufs das Datum des ersten Tages nach Fristablauf trägt. Selbst in diesen Fällen ist aber mit Datierungsfehlern zu rechnen, so dass die Datumsangabe keinen hinreichend valider Schluss auf die Rechtzeitigkeit des Widerrufs ermöglicht, somit ohnehin eine Überprüfung des Einzelfalls notwendig ist. Der Datumsangabe kommt daher auch in diesen Fällen kein hinreichend belastbarer Beweiswert zu. Die Angabe aufwändig zu ermittelnder Daten – die Beklagte müsste jedes Schreiben auf mögliche Datumsangaben kontrollieren –, denen nur in seltenen Einzelfällen überhaupt und selbst dann kein hinreichend aussagekräftiger Beweiswert zukommt, ist im Rahmen eines Buchauszugs nicht geschuldet.

Der Senat stellt die Klägerin damit nicht rechtlos. Sie hätte Anspruch darauf (hat dies aber nicht beantragt), dass ihr (neben dem Datum des Zugangs des Widerrufsschreibens) mitgeteilt wird, in welcher Form (also per Post, per Fax oder per Mail) der Widerruf eingegangen ist. Für Faxe und Mails kann sie aus diesen Angaben auf den Absendezeitpunkt schließen. Bei Posteingängen kann sie übliche Postlaufzeiten berücksichtigen. In den wenigen kritischen Fällen – vgl. die Ausführungen oben – kann sie bei dem von ihr geworbenen und ihr damit bekannten Kunden Rücksprache halten. Dies ist für eine belastbare Klärung vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zum Beweiswert des Datums ohnehin erforderlich. Unbenommen sind der Klägerin überdies Auskunftsansprüche gegen die Beklagte gemäß § 87c Abs. 3 HGB.

4. Nicht begründet ist die Berufung der Beklagten, soweit sie moniert, durch die geänderte Gliederung des Landgerichts habe das Landgericht – über den Antrag der Klageseite hinaus – die Beklagte zu zusätzlichen Auskünften in Widerrufsfällen verurteilt, namentlich zu Auskünften über Nachbearbeitungen.

In der Sache sind sich die Parteien insoweit einig: in Widerrufsfällen ist eine Nachbearbeitung seitens der Beklagten nicht geschuldet, folglich auch keine Auskünfte hierzu. Dies steht in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 08.07.2021 – I ZR 248/19, juris-Rn. 34ff.). Gleichwohl beharrt die Beklagte auf ihrer Berufung.

Ihr ist zuzugeben, dass die Änderung der Gliederung gegenüber den klägerischen Anträgen zu einer Verunklarung in Widerrufsfällen führt. Der Senat fasst daher zur Klarstellung den Urteilstenor des Landgerichts insoweit neu und hebt die Widerrufsfälle in redaktioneller Hinsicht von der Ebene der Doppelbuchstaben (bislang: dd) auf die Ebene der Einzelbuchstaben (jetzt: d). In der Sache ergibt sich hieraus jedoch, anders als die Beklagte meint, keine Abänderung des landgerichtlichen Urteils. Vielmehr führt eine Auslegung schon der bisherigen Urteilsfassung zu dem Ergebnis, dass in Widerrufsfällen allein die (bisher) unter Doppelbuchst. dd) genannten Angaben geschuldet sind:

Dem Wortlaut nach können die in der letzten Teilziffer genannten Widerrufsfälle als eigenständiger Sonderfall betrachtet werden. Die Systematik der jeweils in den Buchauszug aufzunehmenden Auskünfte bestätigt und untermauert die Eigenständigkeit der Widerrufsfälle: An die Stelle des Datums der Stornierung tritt in Widerrufsfällen das Datum des Eingangs des Widerrufs. Grund der Stornierung ist in diesen Fällen der Widerruf. In Widerrufsfällen ist nicht etwa eine – sinnfreie – Doppelung dieser Daten geschuldet. Für die – ohnehin nicht geschuldete – Nachbearbeitung gilt dann nichts anders.

Zieht man Tatbestand und Entscheidungsgründe zur Auslegung hinzu – dagegen bestehen in Fällen, in denen das Gericht die Vollstreckung im Ergebnis in der Hand behält (vgl. § 887 ZPO), keine Bedenken –, folgt das gefundene Auslegungsergebnis zugleich aus einem Vergleich mit den klägerseits gestellten Anträgen. Diese behandeln die Widerrufsfälle als eigenständige Teilziffer. Dasselbe gilt für die gerichtlichen Entscheidungsgründe. Insoweit fehlt jedweder Anhaltspunkt dafür, dass das Gericht gegenüber den Anträgen ein Mehr zuerkennen wollte.

III.

1. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Berufungsinstanz beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wobei der Senat das Unterliegen der Beklagten mit 60% gewichtet. Sie hat im Hauptantrag den Wegfall der Verurteilung sowohl hinsichtlich des Datums des Eingangs des Widerrufs als auch des Datums des Widerrufsschreibens beantragt. Hier unterliegt die Beklagte mit einem der beiden Petita, also zur Hälfte. Des Weiteren unterliegt die Beklagte, soweit sie zu Unrecht befürchtete, sie müsse in Widerrufsfällen zusätzlich die für den Stornofall geschuldeten Angaben tätigen. Dieses Unterliegen gewichtet der Senat mit weiteren 10%. Eine höhere Unterliegensquote scheint ihm nicht veranlasst, da nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte in Widerrufsfällen Nachbearbeitungsmaßnahmen getätigt haben könnte, zu denen sie von Rechts wegen auch nicht verpflichtet war. Vom Aufwand der Beklagten her betrachtet, handelt es sich im Rahmen des Buchauszugs um eine zusätzliche „Fehlanzeige“, bei der sich der Arbeitsaufwand in Grenzen hält. Hinsichtlich der Kosten erster Instanz ist keine Entscheidung veranlasst, da das Landgericht lediglich ein Teilurteil erlassen hat und folgerichtig die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten hat.

2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO. Eine – von keiner Seite beantragte – Zulassung der Revision war mangels Vorliegens von Zulassungsgründen nicht veranlasst.

3. Den Streitwert des Berufungsverfahrens – das allein den Umfang der in den Buchauszug aufzunehmenden Angaben bei Widerruf betrifft – schätzt der Senat entsprechend der von der Beklagten nicht beanstandeten vorläufigen Festsetzung zwecks Einforderung der Gebühren (Bl. 203 d.A.) auf 2.500 €, § 3 ZPO.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-Recht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

Handelsvertreter

Schlagworte: Buchauszug, Handelsvertreter, Handelsvertretervertrag

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OLG München, Urteil vom 03.05.2023 – 7 U 2865/21

Mittwoch, 3. Mai 2023

Geschäftsführerabberufung

§ 121 BGB, § 174 BGB, § 252 BGB, § 307 Abs 1 BGB, § 307 Abs 2 BGB, § 38 Abs 1 GmbHG, § 46 Nr 5 GmbHG     

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 28.4.2021 (Az.: 8 HK O 6291/20) wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das genannte Urteil wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zinsentscheidung lautet: „in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 22.656,14 € seit dem 1.4.2020, aus weiteren 22.656,14 € seit dem 1.5.2020 und aus weiteren 108.260,58 € seit dem 8.5.2020“. Das genannte Urteil wird aufgehoben, soweit es weitergehende Zinsen zuerkannt hat, und die Klage insoweit abgewiesen.

3. Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 72 % und die Beklagte zu 1 28 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren hat die Beklagte zu 1 28 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 im Berufungsverfahren hat die Klägerin 46 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 im Berufungsverfahren hat die Klägerin zu tragen. Im übrigen haben alle Parteien ihre außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren selbst zu tragen.

4. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil, soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 18.1.2023 auf 545.461,90 € und für die Zeit danach auf 282.084,28 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit der Beendigung der Tätigkeit der Klägerin als Geschäftsführerin der Beklagten.Randnummer2

Die Klägerin war zur Geschäftsführerin beider Beklagter bestellt. Alleingesellschafterin beider Beklagter ist die U. Holding GmbH. Konzernobergesellschaft ist die (niederländische) R. G. S. BV.Randnummer3

Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 bestand der als Anlage K 1 vorgelegte Geschäftsführer-Dienstvertrag, der auszugsweise den folgenden Inhalt hat:Randnummer4

3. Vergütung. 3.1 Der Geschäftsführer hält [sic!] ein Jahresgrundgehalt von EUR 190.000,- € brutto, welches in zwölf gleichen Raten zum Ende eines jeden Monats ausgezahlt wird.Randnummer5

3.2 Darüber hinaus erhält der Geschäftsführer während der Dauer seiner Bestellung ein variables Jahresgehalt. Die Höhe des variablen Jahresgehalts ist abhängig von der Erreichung von Zielen, die von der Gesellschaft vor Beginn des Jahres, auf das sich das variable Jahresgehalt bezieht, in Abstimmung mit dem Geschäftsführer festgelegt werden. Eine Änderung der zuvor bestimmten Ziele, die einen wesentlichen Einfluss auf die Höhe der variablen Vergütung haben kann, ist während des Jahres, auf das sich das variable Gehalt bezieht, nur mit Zustimmung des Geschäftsführers möglich. …Randnummer6

4. Sonstige Leistungen. 4.1 Die Gesellschaft stellt dem Geschäftsführer einen angemessenen Dienstwagen zur Verfügung (z.B. Audi A6 durchschnittlicher Ausstattung), der auch für private Zwecke genutzt werden kann. Steuern, die aufgrund der Privatnutzung anfallen, trägt der Geschäftsführer. Bei einer Freistellung des Geschäftsführers oder seiner Abberufung ist der Dienstwagen am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
herauszugeben, ohne dass insoweit ein Anspruch auf finanziellen Ausgleich des in der Privatnutzung liegenden geldwerten Vorteils besteht. …
Randnummer7

Hinsichtlich der weiteren Regelungen des Dienstvertrages wird auf Anlage K 1 Bezug genommen. – Das monatliche Grundgehalt der Klägerin betrug zuletzt 22.270,- € zuzüglich eines Arbeitgeberanteils an vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 20,- €, eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 338,- € und eines Zuschusses zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 28,14 €, mithin zusammen 22.656,14 €. Der geldwerte Vorteil der Privatnutzung des Dienstwagens betrug monatlich 829,- €.Randnummer8

Ursprünglich bestand auch ein Dienstvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2 (Anlage K 13). Dieser wurde nach der Rechtsauffassung der Beklagten durch eine dreiseitige Vereinbarung zwischen den Parteien vom 19.8.2013 aufgehoben und durch den Dienstvertrag mit der Beklagten zu 1 gemäß Anlage K 1 ersetzt. Die Klägerin hält diese Vereinbarung mangels wirksamer Vertretung der Beklagten für unwirksam.Randnummer9

Am 23.7.2019 übermittelte die G. R. S. BV der Klägerin das als Anlage K 16 vorgelegte Schreiben. Diesem war als Annex 1 die sogenannte „Scorecard 2019“ beigefügt, mit der die von der Klägerin im Geschäftsjahr 2019 zu erreichenden Ziele und das für den Fall der Zielerreichung der Klägerin zustehende variable Jahresgehalt 2019 festgelegt werden sollten. Als Jahresziele sind dabei ein EBITDA von „€ 12.074 million“ und eine Conversion ratio von 26 % genannt. Dabei war als Untergrenze bei einer Zielerreichung von 95 % EBITDA und -2 % Conversion ratio (gemeint wohl also 24 %) ein Mindestbonus von 60.560,- €, bei einer Zielerreichung von 100 % EBITDA und 100 % Conversation ratio ein Bonus von 106.870,- € und bei mindestens 105 % EBITDA und +2 % Conversion ratio (also wohl 28 %) ein Höchstbonus von 235.114 € vorgesehen. Hinsichtlich der Einzelheiten des genannten Schreibens nebst Annexen wird auf Anlage K 16 Bezug genommen.Randnummer10

Die U. Holding GmbH kann nach ihrer Satzung vertreten werden durch einen Geschäftsführer und einen Prokuristen. Am 6.8.2019 waren jedenfalls Herr R. Z. als Geschäftsführer und der Zeuge Ni. als Prokurist der U. Holding GmbH bestellt und auch als solche ins Handelsregister eingetragen (vgl. Auszug aus dem Handelsregister, Anlage B 4).Randnummer11

Im Rahmen einer Besprechung am 6.8.2019 überreichten die Zeugin No. und der Zeuge M.der Klägerin das Schreiben gemäß Anlage K 3, in welchem der Geschäftsführerdienstvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 gemäß Anlage K 1 ordentlich zum Ablauf des Februars 2020 gekündigt wurde. Das Schreiben schließt mit dem Vermerk „für die Gesellschafterin U. Holding GmbH“ und trägt die Unterschriften des Geschäftsführers Z. (unter dem Datum 1.8.2019) und des Zeugen M. („ppa“ unter dem Datum 6.8.2019). Hinsichtlich des genauen Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Anlage K 3 Bezug genommen.Randnummer12

Zusammen mit dem Schreiben gemäß Anlage K 3 wurde der Klägerin jedenfalls die erste Seite des Schreibens gemäß Anlage B 2 übergeben. Zwischen den Parteien ist streitig, ob auch die zweite Seite des Schreibens, wie es sich aus Anlage B 2 ergibt, übergeben wurde; die Klägerin bestreitet dies.Randnummer13

Anlage B 2 ist ein unter dem Briefkopf „U. “ und dem Datum 6.8.2019 ausgefertigtes, an den Zeugen Maude gerichtetes und mit „Prokuraerteilung“ überschriebenes Schriftstück, in dem es auszugsweise heißt:Randnummer14

… wir erteilen ihnen hiermit Gesamtprokura. Sie sind befugt, die U. Holding GmbH zusammen mit einem Geschäftsführer oder einem anderen Prokuristen zu vertreten. …Randnummer15

Die vorerwähnte Seite 2 des Schreibens (deren Übergabe an die Klägerin streitig ist) trägt die Unterschrift des Geschäftsführers Z. sowie „ppa“ einer weiteren Person, bei der es sich nach dem bestrittenen Beklagtenvortrag um den Zeugen Ni. handeln soll. – Hinsichtlich des genauen Inhalts des Schreibens wird auf die Anlage B 2 Bezug genommen. – Der Zeuge M. wurde am 11.10.2019 als Prokurist der U. Holding GmbH ins Handelsregister eingetragen (vgl. Anlage B 4).Randnummer16

Mit Schreiben vom 12.8.2019 (Anlage K 9), vorab übermittelt per Fax und Email, wies die nunmehrige Klägervertreterin namens der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1 die Kündigung mangels ausreichender Vollmachtsvorlage zurück und bot die Arbeitskraft der Klägerin an.Randnummer17

Mit Anwaltsschreiben vom 16.8.2019 (Anlage K 10) übermittelten die nunmehrigen Beklagtenvertreter an die Klägervertreterin ein von den Herren Z. und M. unterschriebenes Schreiben der Erstbeklagten, das mit dem 14.8.2019 datiert ist und namens der Gesellschafterversammlung der Erstbeklagten die Abberufung der Klägerin als Geschäftsführerin und ihre sofortige Freistellung von der Pflicht zur Dienstleistung enthielt. Letztgenanntes Schreiben wurde nach dem Vortrag der Beklagten ferner bereits am 15.8.2019 in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen.Randnummer18

Mit Schreiben vom 22.8.2019 (Anlage K 17), vorab übermittelt per Fax und Email, wies die Klägervertreterin auch die Abberufung und Freistellung der Klägerin mangels ausreichender Vollmachtsvorlage zurück und bot erneut die Arbeitskraft der Klägerin an.Randnummer19

Am 10.3.2020 gab die Klägerin den ihr überlassenen Dienstwagen zurück.Randnummer20

Die Klägerin hält die Kündigung zum 29.2.2020 für unwirksam, so dass ihr jedenfalls das monatliche Grundgehalt in Höhe von je 22.656,14 € für die Monate März und April 2020 zustehe. Ferner habe sie Anspruch für den unberechtigten Entzug der Privatnutzung des Dienstwagens ab 10.3.2020. Schließlich stehe ihr ein Betrag in Höhe von 235.114,- € als variable Vergütung für das Kalenderjahr 2019 zu.Randnummer21

Hilfsweise stünden ihr entsprechende Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 zu, weil ihr Dienstverhältnis zur Beklagten zu 2 nie wirksam aufgehoben worden sei.Randnummer22

Die Klägerin hat beantragt:Randnummer23

1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin Euro 282.084,28 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von Euro 258.599,14 seit dem 01.04.2020 und aus weiteren Euro 23.485,14 seit dem 01.05.2020 zu zahlen.Randnummer24

2. Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht feststellen sollte, dass das Anstellungsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten zu 1) wirksam zum 28.02.2020 beendet wurde: Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin Euro 263.377,62 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von Euro 249.45,81 seit dem 01.04.2020 und aus weiteren Euro 14.131,81 seit dem 01.05.2020 zu zahlen.Randnummer25

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.Randnummer26

Das Landgericht hat der Klägerin auf den Klagantrag 1 hin einen Betrag von 153.572,86 € nebst gestaffelten Zinsen zuerkannt und die weitergehende Klage gegen die Beklagte zu 1 abgewiesen. Über Klagantrag 2 hat das Landgericht keine Entscheidung getroffen, weil es der Auffassung war, die Bedingung, unter der der Antrag gestellt war, sei nicht eingetreten. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen.Randnummer27

Die Klägerin hat zunächst form- und fristgerecht Berufung in Richtung gegen beide Beklagte eingereicht und ihre erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt, soweit ihnen nicht entsprochen wurde. Im Termin vor dem Senat vom 18.1.2023 hat sie sodann die Berufung in Richtung gegen die Beklagte zu 2 zurückgenommen. Die Beklagte zu 1 (im Folgenden: Beklagte) erstrebt mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung die Abweisung der Klage insgesamt.Randnummer28

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu 1) unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 28.04.2021, Az. 8 HK O 6291/20 zu verurteilen, an die Klägerin weitere 128.244,01 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 128.244,01 Euro seit dem 01.04.2020 zu zahlen.Randnummer29

Die Beklagte zu 1 beantragt, das Urteil des Landgerichts München I vom 28. April 2021, Az. 8 HK O 6291/20 abzuändern und die Klage abzuweisen.Randnummer30

Die Klägerin und die Beklagte zu 1) beantragen jeweils, das gegnerische Rechtsmittel zurückzuweisen.Randnummer31

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen E. No., F. Ni. und G. M. im Termin vom 18.1.2023. Hinsichtlich der Angaben der Zeugen wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 290 ff. der Akten) Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Klägerin erweist sich, soweit über sie noch zu entscheiden war, als unbegründet. Die Berufung der Beklagten hat nur hinsichtlich der zuerkannten Zinsen in geringem Umfang Erfolg.Randnummer33

I. Zu Recht hat das Landgericht der Klägerin Dienst- bzw. Annahmeverzugsvergütung für die Monate März und April 2020 in Höhe von je 22.656,14 € (also zusammen 45.092,28 €) nebst Zinsen ab 1.4. bzw. 1.5.2020 zuerkannt. Klarzustellen ist, dass es sich – entsprechend dem Antrag der Klägerin, § 308 ZPO – um Bruttobeträge handelt.Randnummer34

1. Die Kündigung des Geschäftsführerdienstverhältnisses zwischen den Parteien vom 1./6.8.2019 seitens der Erstbeklagten (Anlage K 3) erweist sich als unwirksam, so dass dieses Dienstverhältnis im streitgegenständlichen Zeitraum (März / April 2020) fortbestand.Randnummer35

a) Zwar erfolgte die Kündigung formal ordnungsgemäß durch die U. Holding GmbH, die dabei auch grundsätzlich wirksam vertreten wurde.Randnummer36

Die Kündigung eines Geschäftsführer-Dienstverhältnisses obliegt bei der GmbH der Gesellschafterversammlung. Dies folgt nach allgemeiner Ansicht als Annexkompetenz aus der Kompetenz der Gesellschafterversammlung für die Bestellung und Abberufung von GeschäftsführernBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern
(§ 46 Nr. 5 GmbHG; vgl. auch § 7 Abs. 3 der Satzung der Beklagten zu 1) [Anl. K 4]). Damit oblag die Kündigung der U. Holding GmbH als Alleingesellschafterin der Beklagten zu 1).Randnummer37

Besteht die Gesellschafterversammlung nur aus einer Person (hier: U. Holding GmbH), bedarf es für die Kündigung keines förmlichen Gesellschafterbeschlusses oder gar dessen Beifügung zum Kündigungsschreiben; vielmehr kann der Alleingesellschafter durch seine Vertretungsberechtigten jederzeit formlos Beschluss fassen und diesen durch das Kündigungsschreiben dokumentieren (BGH, Urteil vom 28.10.2002 – II ZR 353/00, Rz. 6; Urteil vom 20.10.2008 – II ZR 107/07, Rz. 13). Voraussetzung für die Wirksamkeit der gegenständlichen Kündigung ist daher, dass die U. Holding GmbH bei dem am 6.8.2019 an die Klägerin übergebenen Kündigungsschreiben vom 1./6.8.2019 wirksam vertreten wurde.Randnummer38

Die U. Holding GmbH kann nach ihrer Satzung unstreitig vertreten werden durch einen Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen. Unterschrieben haben das Schreiben Herr R. Z. sowie der Zeuge M. Unstreitig war Herr Z. im fraglichen Zeitraum Geschäftsführer der U. Holding GmbH. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Zeuge M. im Zeitpunkt seiner Unterschrift am 6.8.2019 auch wirksam zum Prokuristen der U. Holding GmbH bestellt.Randnummer39

Die Prokura ist eine vertypte Form der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht (Vollmacht) und wird erteilt nach allgemeinen Regeln; genügend ist hiernach jedenfalls eine entsprechende (ausdrückliche, aber im übrigen formlose) Willenserklärung des Inhabers des Handelsgeschäfts gegenüber dem Prokuristen (§§ 167 BGB, 48 HGB); die Eintragung der Prokura ins Handelsregister ist insoweit nicht konstitutiv. Herr M. hatte also Prokura für die U. Holding GmbH, wenn eine solche Willenserklärung ihm gegenüber namens der Holding von für die Holding vertretungsberechtigten Personen abgegeben war. Dies ist mit dem Schreiben vom 6.8.2019 (Anlage B 2) erfolgt.Randnummer40

Das Schreiben trägt die Unterschriften des Geschäftsführers Z. und des Zeugen Ni. Von letzterem ist der Senat aufgrund der glaubhaften Angaben des Zeugen Ni., der seine Unterschrift auf der ihm vorgehaltenen Anlage B 2 wiedererkannte und an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, überzeugt. Damit ist das Schreiben, das dem Zeugen M.zugegangen sein muss, weil er es (oder zumindest dessen erste Seite) sonst nicht der Klägerin hätte übergeben können, von einem Geschäftsführer (Z.) und einem Prokuristen (Ni., der unstreitig zum Prokuristen bestellt und auch ins Handelsregister eingetragen war) unterzeichnet, so dass die U. Holding GmbH bei diesem Schreiben wirksam vertreten war.Randnummer41

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist dieses Schreiben auch als Prokuraerteilung namens der U. Holding GmbH an den Zeugen M. auszulegen. Maßgeblich ist nach allgemeinen Grundsätzen, wie der Zeuge M. als Erklärungsempfänger das Schreiben nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte. Insoweit greift das Landgericht zu kurz, wenn es darauf abstellt, dass das Schreiben im Briefkopf nur das Logo U. trage, was mehrdeutig sei, da es mehrere Gesellschaften mit diesem Namensbestandteil gebe. Schon die Lektüre des ersten Absatzes des Schreibens („wir erteilen Ihnen … Gesamtprokura. Sie sind befugt, die U. Holding GmbH [Hervorhebung durch den Senat] zusammen mit einem Geschäftsführer oder einem anderen Prokuristen zu vertreten“) ergibt ohne jeden Zweifel, dass die Prokuraerteilung namens der Holding und für diese erfolgte; eine andere Auslegung verbot sich für die maßgebliche Person, den Erklärungsempfänger Maude.Randnummer42

Damit waren nach den obigen Ausführungen der Geschäftsführer Z. und der nunmehrige Prokurist M. am 6.8.2019 zusammen befugt, namens der U. Holding GmbH (als Gesellschafterversammlung der Beklagten zu 1) die Kündigung des Dienstverhältnisses der Klägerin auszusprechen. Irrelevant ist, dass der Zeuge M. am 1.8.2019, als der Geschäftsführer Z. das Kündigungsschreiben unterschrieb, noch keine Vertretungsmacht hatte. Entscheidend ist vielmehr, dass er bei seiner Unterschrift am 6.8.2019 bereits zum Prokuristen bestellt war, was wie gezeigt zutrifft. Jedenfalls bei der nachfolgenden Übergabe der Kündigung (womit diese erst wirksam wurde) war die Holding wirksam vertreten.Randnummer43

Nichts anderes kann die Klägerin aus dem Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses herleiten. Die Gesellschafter-„Versammlung“ der Beklagten zu 1 besteht aus einer (juristischen) Person, die ihrerseits durch mehrere Personen vertreten wird. Letztere Vertreter können durch sukzessive Abgabe von Willenserklärungen einen (formlosen) „Beschluss“ der Alleingesellschafterin zustande bringen, wobei allein entscheidend ist, dass sie im Zeitpunkt ihrer jeweils eigenen Willenserklärung jeweils Vertretungsmacht hatten.Randnummer44

b) Die Kündigung ist aber dennoch unwirksam, weil die Klägerin dieses einseitige Rechtsgeschäft nach § 174 BGB unverzüglich zurückgewiesen hat.Randnummer45

aa) Die Vorschrift ist auf die gegenständliche Kündigung anwendbar. Zwar gilt die Vorschrift in der Regel nicht bei der Vertretung durch ein bestelltes Vertretungsorgan (Geschäftsführer) und / oder durch einen Prokuristen. Grund dieser Einschränkung ist jedoch, dass in diesen Fällen die Vertretungsmacht durch Eintragung ins Handelsregister öffentlich kundgetan ist (vgl. Grüneberg / Ellenberger, BGB, 82. Aufl., § 174 Rz. 4 m.w.Nachw.). Damit ist die Vorschrift hinsichtlich des ins Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers Z. nicht anwendbar, wohl aber hinsichtlich des am 6.8.2019 noch nicht in das Handelsregister eingetragenen Prokuristen M.Randnummer46

bb) Die Klägerin war nach der genannten Vorschrift zur Zurückweisung der Kündigung berechtigt. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kündigungsschreiben die Prokuraerteilung für den Zeugen M. in vollständiger Form (im Original) beigefügt war.Randnummer47

(1) § 174 BGB bezweckt die Schaffung klarer Verhältnisse im Hinblick auf die Unwirksamkeit einseitiger Rechtsgeschäfte des vollmachtlosen Vertreters nach § 180 BGB (Grüneberg / Ellenberger, a.a.O. Rz. 1 m.w.Nachw.). Der Erklärungsempfänger soll also die Unwirksamkeit des Geschäfts ohne Rücksicht auf das tatsächliche Bestehen oder Nichtbestehen der Vertretungsmacht des Erklärenden durch Zurückweisung der Erklärung herbeiführen können, es sei denn, die Vertretungsmacht wird ihm durch die beigefügte Vollmacht im Original eindeutig nachgewiesen. Deshalb muss die Vollmacht die Befugnis des Erklärenden zur Vornahme des Rechtsgeschäfts eindeutig ergeben (Grüneberg / Ellenberger, a.a.O. Rz. 5 m.w.Nachw.). Das bedeutet für den Fall der noch nicht ins Handelsregister eingetragenen Prokura, dass der Empfänger der Erklärung des Prokuristen aufgrund der Vollmachtsurkunde beurteilen können muss, ob die Prokura wirksam erteilt wurde. Daran fehlt es, wenn sich aus der vorgelegten Vollmachtsurkunde nicht ergibt, wer namens des Inhabers des Handelsgeschäfts die Prokura erteilt hat, weil in diesem Fall die Vertretungsberechtigung für die Prokuraerteilung vom Erklärungsempfänger nicht beurteilt werden kann. Daraus folgt, dass eine ordnungsgemäße Vollmachtsvorlage nur angenommen werden kann, wenn das vorgelegte Exemplar der Vollmacht erkennen lässt, wer sie erteilt hat. Daran fehlt es, wenn die Urkunde so unvollständig vorgelegt wird, dass die Aussteller der Vollmacht nicht erkennbar sind, wenn also hier konkret – wie von der Klägerin behauptet – die Prokuraerteilung ohne die Seite 2 mit den Unterschriften der Herren Z. und Ni. der Kündigung beigefügt war.Randnummer48

Die Darlegungs- und Beweislast für eine ordnungsgemäße Vollmachtsvorlage trägt der Vollmachtgeber (hier also die Beklagte), während Darlegung und ggf. Beweis der unverzüglichen Zurückweisung dem Erklärungsempfänger (hier also der Klägerin) obliegen (vgl. z.B. MünchKomm / Schubert, BGB, 9. Aufl., § 174 Rz. 40; BeckOK / Schäfer, BGB, § 274 Rz. 16; Heidel / Ackermann, BGB, 4. Aufl., § 174 Rz. 11). Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass jeder Partei die Darlegungs- und Beweislast für die ihr günstigen Umstände obliegt. Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des BGH vom 27.10.2000 (V ZR 172/99, Rz. 10). Dort ist zwar ausgeführt, dass die Darlegung der Berechtigung zur Zurückweisung einer Erklärung nach § 174 BGB demjenigen obliegt, der sich auf die Rechtzeitigkeit der Zurückweisung beruft. Die Entscheidung befasst sich a.a.O. im Tatsächlichen aber nur mit der Rechtzeitigkeit der Zurückweisung und enthält damit keine Anhaltspunkte dafür, dass der BGH (zumal ohne nähere Begründung) von den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast abweichen wollte.Randnummer49

(2) Hiernach hätte es der Beklagten oblegen, eine ordnungsgemäße Vollmachtsvorlage zu beweisen, was bedeutet hätte, die Behauptung der Klägerin zu widerlegen, dass der gegenständlichen Kündigung nur die erste Seite der Prokuraerteilung gemäß Anlage B 2 (ohne die Unterschriften auf der zweiten Seite) beilag. Dies ist der Beklagten nicht zur Überzeugung des Senats gelungen.Randnummer50

Insoweit ist zunächst klarzustellen, dass der Senat keine Zweifel an der persönlichen Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen hegt. Diese bemühten sich ersichtlich und geduldig, die während der länger dauernden Beweisaufnahme an sie herangetragenen Fragestellungen nach bestem Wissen zu erläutern. Allerdings verbleiben nach dem Inhalt ihrer Angaben erhebliche Zweifel daran, dass auch die zweite Seite der Prokuraerteilung an die Klägerin übergeben wurde.Randnummer51

Die Zeugin No. hatte nach dem Eindruck des Senats keine genaue Erinnerung mehr, welche Dokumente am 6.8.2019 an die Klägerin übergeben wurden, sondern bezog sich insoweit zunächst auf die Vorbereitung der Kündigung durch die Rechtsanwaltskanzlei L.; alle von dieser Kanzlei für erforderlich gehaltenen Dokumente seien übergeben worden; dies betreffe auch die Vollmacht, falls diese erforderlich gewesen sei. Die ungenaue Erinnerung der Zeugin wird auch dadurch dokumentiert, dass sie sich zunächst zu erinnern meinte (und dies erst auf Vorhalt berichtigte), Herr Z. habe die fraglichen Dokumente am 6.8.2019 in ihrem Beisein unterschrieben, obwohl Herr Z. die Unterschriften unstreitig am 1.8.2019 leistete und bei den Vorgängen am 6.8.2019 körperlich nicht anwesend war.Randnummer52

Der Zeuge Maude war sich weder sicher, ob die übergebene Vollmacht zwei Unterschriften trug, noch ob sie eine zweite Seite hatte. Er habe sich die Vollmacht zwar durchaus angeschaut, aber nicht genauer.Randnummer53

Damit hat keiner der von den Beklagten benannten Zeugen die Übergabe beider Seiten der Vollmacht gemäß Anlage B 2 aus eigener Erinnerung bestätigen können. Hinzu kommt, dass die Vollmacht im Original nach Angaben der Zeugin No. zusammengeheftet gewesen sein soll, während das in den Besitz der Klägerin gelangte Exemplar bei dessen Inaugenscheinnahme durch den Senat keine Klammerspuren aufwies. Ferner hat der Zeuge M. angegeben, das Original der Vollmacht für seine Unterlagen kopiert zu haben. Aus Sicht des Senats besteht daher die reale, nicht nur theoretische Möglichkeit, dass die zweite Seite der Vollmacht (wenn diese nicht geklammert war, was jedenfalls nicht feststeht) im Zuge des Kopiervorgangs (oder anderweitig) von der ersten Seite räumlich getrennt wurde und deshalb nicht mit an die Klägerin übergeben wurde. Damit hat die Beklagte den Beweis einer ordnungsgemäßen Vollmachtsvorlage nicht geführt.Randnummer54

cc) Die Zurückweisung erfolgte auch „unverzüglich“ im Sinne der genannten Vorschrift durch Anwaltsschreiben vom 12.8.2019 (Anlage K 9), zugegangen jedenfalls per Fax und Mail noch am selben Tag.Randnummer55

Das Merkmal der Unverzüglichkeit ist wie in § 121 BGB als „ohne schuldhaftes Zögern“ zu verstehen. Erforderlich ist also nicht eine sofortige Zurückweisung, dem Erklärungsempfänger ist eine gewisse Zeit zur Überlegung und zur Einholung von Rechtsrat einzuholen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles (BAG, Urteil vom 8.12.2011 – 6 AZR 354/10, Rz. 32). Hiernach wird eine Zurückweisung im Regelfall binnen einer Woche erfolgen müssen, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, etwa Nachforschungen zu den wirklichen Vertretungsverhältnissen erforderlich erscheinen (BAG, a.a.O. Rz. 33). Nach den Umständen des Einzelfalles kann aber auch eine Zurückweisung nach sechs Tagen nicht mehr unverzüglich sein (BGH, Urteil vom 10.10.2016 – XI ZR 457/16, Rz. 26).Randnummer56

Hier erfolgte die Zurückweisung der am 6.8.2019 übergebenen Kündigungserklärung am 12.8.2019, also nach sechs Tagen. Damit bewegt sich die Zurückweisung im Grenzbereich dessen, was noch als unverzüglich angesehen werden kann. Nach Auffassung des Senats kann unter den Umständen des Falles (überraschende Kündigung; unklare Vertretungsverhältnisse aufgrund der Konzernstruktur auf Beklagtenseite und der nicht eingetragenen Prokura; Beklagte [bzw. deren Alleingesellschafterin] hätte es in der Hand gehabt, die Problematik zu vermeiden, wenn sie durch den Geschäftsführer Z. und den eingetragenen Prokuristen Ni. gekündigt hätte, statt den Umweg über eine Prokuraerteilung an den Zeugen M. zu wählen, und hat so die unklare Vertretungslage selbst herbeigeführt) von einer verspäteten Zurückweisung noch nicht ausgegangen werden.Randnummer57

2. Damit steht der Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum die vereinbarte monatliche Vergütung als Annahmeverzugsvergütung (§ 615 BGB) zu. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgebracht, der Erstbeklagten ihre Dienste angeboten zu haben (vgl. auch Anlagen K 9, K 17). Auf einen anderweitigen Erwerb der Klägerin bzw. die Möglichkeit hierzu beruft sich die Beklagte nicht. Gegen die Berechnung des Landgerichts zur Höhe des monatlich geschuldeten Betrages bringt die Berufung der Beklagten nichts vor; Rechtsfehler sind insoweit auch nicht zu erkennen.Randnummer58

3. Die diesbezügliche Zinsentscheidung folgt aus §§ 286, 288 BGB. Nach Ziff. 3.1 des Dienstvertrages war die monatliche Vergütung am Monatsende auszuzahlen. Dies muss sinngemäß auch für die Annahmeverzugsvergütung gelten. Damit trat Verzug jeweils am Ersten des Folgemonats ein (§ 286 Abs, 2 Nr. 1 BGB).

II.

Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Landgericht der Klägerin in der Hauptsache 1.390,58 € als Schadensersatz für die entgangene Nutzung des Dienstwagens zuerkannt hat. Klarzustellen ist, dass es sich entsprechend dem klägerischen Antrag (§ 308 ZPO) um einen Bruttobetrag handelt. Allerdings bedarf die diesbezügliche Zinsentscheidung der geringfügigen Korrektur.Randnummer60

1. Gemäß Ziff. 4.1 des Dienstvertrages zwischen den Parteien hatte die Klägerin Anspruch auf einen angemessenen Dienstwagen, den sich auch privat nutzen durfte. Dieser Anspruch bestand auch für die Monate März und April 2020, da das Dienstverhältnis zwischen den Parteien in diesen Monaten ungekündigt fortbestand (vgl. oben I.).Randnummer61

2. Nichts anderes folgt aus der Bestimmung in Ziff. 4.1 des Dienstvertrages, wonach der Dienstwagen bei Freistellung oder Abberufung der Klägerin ohne Anspruch auf finanziellen Ausgleich für die Privatnutzung herauszugeben war. Dahin stehen kann, ob diese Klausel einer Inhaltskontrolle standhalten würde, denn jedenfalls liegen ihre Voraussetzungen nicht vor. Die mit Anwaltsschreiben vom 16.8.2019 (Anlage K 10) übermittelte Abberufung / Freistellung der Klägerin erweist sich nämlich ebenfalls an unwirksam.Randnummer62

Die als Anlage zu dem genannten Anwaltsschreiben übermittelte Erklärung (der Alleingesellschafterin der Klägerin, die hierfür berufen war, § 46 Abs. 5 GmbHG) ist wiederum vom Geschäftsführer Z. und vom Prokuristen M. der U. Holding GmbH unterschrieben. Diese hatten wie dargestellt zusammen Vertretungsmacht für die Holding. Allerdings hat die Klägerin diese Erklärung ebenfalls nach § 174 BGB zurückgewiesen und damit deren Unwirksamkeit herbeigeführt.Randnummer63

Die Vorschrift war weiterhin anwendbar, da der Zeuge M. nach wie vor nicht als Prokurist ins Handelsregister eingetragen war (vgl. oben); seine Eintragung erfolgte erst am 11.10.2019. Eine Vollmachtsurkunde für Herrn Maude war der Erklärung nicht beigefügt. Dies war auch nicht entbehrlich nach § 174 S. 2 BGB. Die Prokura für den Zeugen war nämlich nicht, jedenfalls nicht ordnungsgemäß gegenüber der Klägerin vorab kundgetan, weil nicht feststeht, dass am 6.8.2019 auch die zweite Seite des Schreibens gemäß Anlage B 4 an die Klägerin übergeben wurde (vgl. oben).Randnummer64

Die Zurückweisung der am 16.8.2019 mit Anwaltsschreiben K 10 übermittelten Erklärung durch Schreiben vom 22.8.2019 (Anlage K 17) erachtet der Senat selbst dann als unverzüglich, wenn man mit der Beklagten davon ausgeht, dass die Erklärung bereits am Tag zuvor (15.8.2019) der Klägerin vorab in den Briefkasten geworfen wurde und damit bereits am 15.8.2019 zuging. Dann liegen zwischen Zugang der Erklärung und deren Zurückweisung sieben Tage. Diese Frist erachtet der Senat unter den oben dargestellten Umständen des Einzelfalles noch für unverzüglich.Randnummer65

3. Damit hatte die Klägerin für die Monate März und April 2020 Anspruch auf private Nutzung des ihr überlassenen Dienstwagens. Weil sie den Wagen auf Veranlassung der Beklagten am 10.3.2020 zurückgab, ist ihr diese Privatnutzung durch ein der Beklagten zurechenbares Verhalten entgangen, die Beklagte hat mit anderen Worten der Klägerin eine Naturalleistung als Lohnbestandteil vorbehalten. Da die Privatnutzung für den fraglichen Zeitraum durch Zeitablauf unmöglich wurde, schuldet die Beklagte Schadensersatz für die entgangene Privatnutzung nach §§ 280, 283 BGB (also anteilig für März und voll für April 2020).Randnummer66

Gegen die Berechnung der Höhe des hiernach geschuldeten Betrages auf der Basis des steuerlichen Wertes der entgangenen Privatnutzung (§ 286 ZPO) erhebt die Berufung der Beklagten keine Einwendungen. Insoweit sind Rechtsfehler auch nicht erkennbar.Randnummer67

4. Die diesbezügliche Zinsentscheidung folgt aus §§ 286, 288 BGB. Eine kalendermäßige Bestimmtheit des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ist nicht ersichtlich; insbesondere folgt sie nicht aus der kalendermäßigen Bestimmtheit der monetären Vergütung in Ziff. 3.1 des Dienstvertrages. Damit kam die Beklagte erst am 8.5.2020 aufgrund Mahnung gemäß Anlage K 18 zum 7.5.2020 in Verzug (§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).Randnummer68

III. Erfolglos bleiben die Berufungen beider Parteien, soweit das Landgericht der Klägerin in der Hauptsache einen Betrag von 106.870,- € als Schadensersatz für die entgangene variable Vergütung betreffend das Kalenderjahr 2019 zuerkannt hat. Klarzustellen ist, dass es sich entsprechend dem klägerischen Antrag (§ 308 ZPO) um einen Bruttobetrag handelt. Lediglich die Zinsentscheidung bedurfte auf die Berufung der Beklagten einer geringfügigen Korrektur.Randnummer69

1. Der Senat teilt im Ergebnis die Einschätzung des Landgerichts, dass die Erstbeklagte der Klägerin dem Grunde nach Schadensersatz nach §§ 280, 283 BGB wegen Unmöglichwerdens einer Zielvereinbarung für das Kalenderjahr 2019 schuldet.Randnummer70

a) Der Berufung der Erstbeklagten ist zuzugeben, dass die Klägerin im Laufe des Jahres 2018 für das Jahr 2019 (entgegen der Auffassung des Landgerichts) keine Zielvereinbarung, sondern nur eine einseitig von der Beklagten zu machende Zielvorgabe verlangen konnte. Die Abgrenzung hat durch Auslegung des Dienstvertrages zu erfolgen. Nach dessen Ziff.3.2 S 2 waren die Ziele von der Gesellschaft in Abstimmung mit dem Geschäftsführer festzulegen.Randnummer71

Diese Regelung ist für sich gesehen zunächst nicht eindeutig. Die vorgesehene Festlegung der Ziele durch die Beklagte spricht für einen einseitigen Akt, also eine Zielvorgabe, während das Erfordernis der Abstimmung mit der Klägerin eher einen zweiseitigen Akt, also eine Vereinbarung nahe legen würde.Randnummer72

Dass insoweit allerdings eine einseitige Vorgabe gemeint war, ergibt sich eindeutig aus S. 3 der Klausel, wonach eine Änderung der bestimmten Ziele während des laufenden Bonuszeitraums nur mit Zustimmung des Geschäftsführers möglich ist. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn schon die ursprüngliche Zielbestimmung nach S. 2 nur durch Vereinbarung möglich wäre; denn es verstünde sich auch ohne S. 3 von selbst, dass eine einmal getroffene Vereinbarung nur durch erneute Vereinbarung geändert werden könnte. Dem S. 3 kommt ein eigenständiger Bedeutungsgehalt daher nur zu, wenn man S. 2 als Möglichkeit der Beklagten zur einseitigen Zielvorgabe (allerdings nach Abstimmung mit der Klägerin) interpretiert.Randnummer73

Da somit die Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis führt, kommt es auf die Zweifelsregelung des § 305c Abs. 2 BGB nicht an.Randnummer74

b) Eine den Anforderungen des Dienstvertrages entsprechende Zielvorgabe für das Jahr 2019 hat die Beklagte der Klägerin aber im Jahr 2018 nicht gemacht.Randnummer75

Die Zielvorgabe für 2019 gemäß Anlage K 16 erfolgte unstreitig erst im Laufe des Jahres 2019, also nicht wie vertraglich gefordert im Jahr 2018. Dass der Klägerin die schließlich in der Scorecard genannten Unternehmensziele (EBITDA, Conversion ratio) bereits im Jahr 2018 als Unternehmensziele von der Gesellschafterin oder einer anderen Konzerngesellschaft bekannt gemacht worden seien und sie Gelegenheit zur Diskussion dieser Unternehmensziele gehabt haben soll, rechtfertigt nicht die Annahme einer hinreichenden Zielvorgabe.Randnummer76

Nach Ziff. 3.2 S. 2 des Dienstvertrages waren die Ziele in Abstimmung mit der Klägerin vorzugeben. Hierfür genügt die Vorstellung allgemeiner Unternehmensziele nicht; vielmehr müssen diese konkret als persönliche Ziele für den Dienstverpflichteten benannt werden. Dies erhellt schon daraus, dass der Dienstvertrag zur Höhe des variablen Gehalts keine Aussage trifft. Zur „Abstimmung“ der Ziele im Sinne der genannten Regelung gehört daher jedenfalls, dass die Unternehmensziele für das Bonusjahr nicht nur abstrakt diskutiert, sondern konkret je nach Zielerreichungsgrad in Bezug zu den daraus folgenden Verdienstmöglichkeiten der Klägerin gesetzt werden (wie dies schließlich auch – verspätet – mit K 16 geschehen ist). Die allgemeine Diskussion der Unternehmensziele ohne Bezug zu der zu erwartenden variablen Vergütung genügt daher zur „Abstimmung“ im Sinne der Vorschrift nicht.Randnummer77

c) Nach Ablauf des Jahres 2018 war eine einseitige Zielvorgabe für das Jahr 2019 nach den Regelungen des Dienstvertrages nicht mehr genügend; vielmehr hätten die Bonusziele für die Klägerin für das laufende Jahr 2019 nur noch im Wege einer Zielvereinbarung mit der Klägerin festgelegt werden können.Randnummer78

Die Beklagte schuldete die Vorgabe der Ziele für 2019 nach dem eindeutigen Wortlaut von Ziffer 3.2 S. 2 des Dienstvertrages „vor Beginn des Jahres, auf das sich das variable Jahresgehalt bezieht“, mithin im Jahr 2018. Mit dieser Verpflichtung kam die Beklagte somit nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit Ablauf des Jahres 2018 in Verzug (vgl. BAG, Urteil vom 12.7.2007 – 10 AZR 97/07, Rz. 17). Die Klägerin ist daher im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als hätte die Beklagte im Jahr 2018 eine Zielvorgabe (gleich welchen Inhalts) gemacht.Randnummer79

Das bedeutet, dass ab Beginn des Jahres 2019 für das laufende Jahr Ziffer 3.2 S. 3 des Dienstvertrages eingreift. Die nunmehrige Vorgabe von Zielen stellt sich als Änderung der (aufgrund des Verzuges der Beklagten zu unterstellenden, fiktiven) Vorgabe von Zielen im Jahr 2018 dar. Damit war nach Beginn des Jahres 2019 das Setzen von für die variable Jahresvergütung zu erreichenden Zielen nur mehr im Wege der zweiseitigen Zielvereinbarung möglich, die die Beklagte der Klägerin nunmehr aufgrund Ziffer 3.2 des Dienstvertrages auch schuldete.Randnummer80

d) Eine zweiseitige Zielvereinbarung kam im Laufe des Jahres 2019 zwischen den Parteien nicht zustande. Die „ScForecard“ vom 23.7.2019 (Anl. K 16) stellt eine einseitige Erklärung der Beklagten (bzw. der Konzernobergesellschaft; deren Erklärung muss sich die Beklagte aber zurechnen lassen) dar und könnte allenfalls als Angebot auf Abschluss einer Zielvereinbarung gedeutet werden; dass die Klägerin dieses Angebot angenommen hätte, ist nicht ersichtlich.Randnummer81

Mit Ablauf des Bonuszeitraums, also des Jahres 2019 wurden die Vereinbarung von Zielen und damit auch deren Erreichung unmöglich, so dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen der entgangenen Vergütung aus §§ 280, 283 BGB entstand (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, Rz. 44 ff.; Urteil vom 17.12.2020 – 8 AZR 149/20, Rz. 46).Randnummer82

2. Die Bemessung der Höhe dieses Anspruchs auf 106.870,- € durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden.Randnummer83

Die Bemessung des der Klägerin hiernach entgangenen Verdienstes erfolgt nach § 252 BGB. Abzustellen ist also auf dasjenige, was der Klägerin bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge zugeflossen wäre. Die von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 12.12.2007 und 17.12.2020), wonach auf die Höhe des zugesagten Bonus abzustellen sei, besagen zu dieser Frage für den vorliegenden Fall unmittelbar nichts, weil in den a.a.O. zugrunde liegenden Sachverhalten die Höhe der variablen Vergütung dienstvertraglich geregelt war, wohingegen vorliegend Ziff. 3.2 des Dienstvertrages keine Aussage zur Höhe trifft und eine wirksame Vereinbarung von Voraussetzungen und Höhe der Vergütung gerade nicht zustande kam.Randnummer84

Der Senat geht daher zunächst davon aus, dass bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge sich die Beklagte vertragsgemäß verhalten und rechtzeitig, also im Jahr 2018, der Klägerin erreichbare Ziele gesetzt hätte, die die Klägerin dann voll erreicht, also weder unter- noch übererfüllt hätte.Randnummer85

Unbehelflich ist hiernach der Einwand der Beklagten, es sei lebensfremd anzunehmen, dass die Beklagte bei früherer Vorgabe niedrigere Ziele als in der Scorecard vom Juli 2019 gesetzt hätte. Die in der Scorecard gesetzten Ziele wurden vertragswidrig einseitig verspätet gesetzt und sind daher nicht maßgeblich. Bei der fiktiven Betrachtung nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ist vielmehr davon auszugehen, dass erreichbare Ziele gesetzt worden wären. Die tatsächliche Nichterreichung der vertragswidrig gesetzten tatsächlichen Ziele ist hiernach nicht maßgeblich. Damit erledigt sich auch der Einwand der Beklagten gegen die Kausalität ihrer Unterlassung für den geltend gemachten Schaden. Umgekehrt kommt es auch nicht auf die Behauptung der Klägerin an, dass diese tatsächlich gesetzten Ziele nicht erreichbar waren.Randnummer86

Die Höhe der entgangenen Vergütung entnimmt der Senat der Scorecard gemäß Anlage K 16. Diese wurde zwar weder wirksam von der Beklagten einseitig festgesetzt noch wirksam zwischen den Parteien vereinbart. Auch kommt nicht unmittelbar § 315 BGB zur Anwendung, weil es nicht um die Festsetzung einer vertraglichen Leistung, sondern um Schadensersatz statt der Leistung geht. Maßstab hierfür ist der gewöhnliche Verlauf der Dinge (§ 252 BGB). Der Senat geht davon aus, dass hiernach bei rechtzeitiger Zielvorgabe oder wirksamer Zielvereinbarung jedenfalls keine niedrigeren Beträge als diejenigen festgelegt worden wären, die die Beklagte (bzw. die Konzernobergesellschaft) – wenn auch verspätet – von sich aus zugesagt hat.Randnummer87

Soweit die Beklagte in ihrer Zusage zwischen den Zielerreichungsstufen 95 %, 100 % und 105 % differenziert, geht der Senat davon aus, dass gewöhnlich der Mittelwert dieser Zielerreichungsgrade, also eine Zielerreichung zu 100 % zu erwarten war. Für die Darlegung eines höheren („außergewöhnlichen“) Zielerreichungsgrades von über 100 % genügt nach Auffassung des Senats die Behauptung der Klägerin nicht, sie habe in der Vergangenheit stets den Höchstbonus erreicht, zumal – wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist – die Jahre 2018 und 2019 sich aufgrund Gesetzesänderungen in Branche der Klägerin als überdurchschnittlich schwierig darstellten. Umgekehrt lassen sich aber auch keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die Klägerin pflichtgemäß erreichbar gesetzte Ziele nur unterdurchschnittlich erreicht hätte.Randnummer88

Damit teilt der Senat im Ergebnis die Einschätzung des Landgerichts, dass der Klägerin als Schadensersatz der in der Scorecard gemäß Anlage K 16 für eine hundertprozentige Zielerreichung zugesagte Betrag von 106.870,- € zusteht.Randnummer89

3. Dieser Anspruch ist nicht wegen eines Mitverschuldens der Klägerin am Unmöglichwerden nach § 254 BGB zu kürzen.Randnummer90

Ein diesbezüglicher Mitverschuldenseinwand käme dann in Betracht, wenn auch die Klägerin zurechenbar einen Ursachenbeitrag für die unterbliebene Zielvereinbarung gesetzt hätte. Das wäre dann der Fall, wenn nicht nur der Beklagten, sondern auch der Klägerin die Initiativlast für das Zustandekommen einer Zielvereinbarung oblegen hätte (BAG v. 17.12.2020, a.a.O. Rz. 60 ff.). Hiervon ist jedoch vorliegend nicht auszugehen. Nach den obigen Ausführungen war eine Zielvereinbarung nur deshalb geschuldet, weil die Beklagte es pflichtwidrig unterlassen hatte, rechtzeitig eine einseitige Zielvorgabe zu machen. Es oblag daher nunmehr allein der Beklagten, die Folgen ihres diesbezüglichen Verzugs (vgl. oben) zu beseitigen; es war daher zumindest unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB allein die Sache der Beklagten, auf die Klägerin zum Zwecke der Vereinbarung von Zielen für das laufende Jahr 2019 zuzugehen. Dass die Klägerin diesbezüglich nicht ihrerseits aktiv wurde, kann ihr hiernach nicht zum Mitverschulden gereichen.Randnummer91

4. Der Anspruch besteht für das gesamte Kalenderjahr; eine anteilige Kürzung im Hinblick auf die Abberufung der Klägerin am 16.8.2019 kam nicht in Betracht. Der Dienstvertrag zwischen den Parteien bestand während des gesamten Jahres 2019. Zwar regelt Ziff. 3.2 des Dienstvertrages zwischen den Parteien, dass der Klägerin variable Vergütung nur „während der Dauer der Bestellung“ als Geschäftsführerin zusteht. Diese Einschränkung erachtet der Senat jedoch für unwirksam nach § 307 Abs. 1, 2 BGB.Randnummer92

Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass es sich bei der Regelung der Ziff. 3.2 des Dienstvertrages um eine von der Beklagten zu 1 gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung handelt. Dies könnte auch nicht ernsthaft bezweifelt werden, weil die identische Klausel auch im Dienstvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2 (Anlage K 13) verwendet wird, die Absicht der mehrfachen Verwendung im Konzern der Beklagten also offenkundig ist.Randnummer93

Die Beschränkung der zugesagten variablen Vergütung auf die Dauer der Bestellung zum GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Bestellung zum Geschäftsführer
Geschäftsführer
verstößt gegen den in § 38 Abs. 1 GmbH verkörperten Grundgedanken des GmbH-Rechts, wonach ein Geschäftsführer zwar jederzeit abberufen werden kann, die Abberufung als solche aber keinen Einfluss auf seinen Vergütungsanspruch hat. Die der Klägerin zugesagte variable Vergütung ist zweifellos Vergütungsbestandteil in diesem Sinne.Randnummer94

Dem kann die Beklagte nicht entgegenhalten, dass mit der Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung des Geschäftsführers
regelmäßig – wie auch im vorliegenden Fall – seine Freistellung verbunden werden wird. Denn dies kommt in der gegenständlichen Klausel nicht zum Ausdruck. Auf der Basis der Vertragsklausel wäre es möglich, den Geschäftsführer zwar als Organ abzuberufen, ihn aber nicht von seinen dienstvertraglichen Pflichten freizustellen, ihn also unter Verzicht auf die zugesagte variable Vergütung weiterarbeiten zu lassen. Diese Möglichkeit begründet eine unangemessene Benachteiligung des Geschäftsführers.Randnummer95

Dass die genannte Konstellation im vorliegenden Fall nicht eintreten konnte, weil die Beklagte die Klägerin (jedenfalls faktisch, wenn auch im Ergebnis unwirksam, vgl. oben) von der Dienstpflicht freigestellt hat, schließt die Benachteiligungswirkung der Klausel nicht aus. Eine geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nicht möglich (§ 306 Abs. 1, 2 BGB). Es kann daher offen bleiben, ob der formularmäßige Ausschluss des Anspruchs auf variable Vergütung für den Fall der Abberufung und gleichzeitigen Freistellung des Geschäftsführers möglich wäre.Randnummer96

5. Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 286, 288 BGB. Eine kalendermäßige Bestimmtheit des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ist nicht ersichtlich. Damit trat Verzug der Beklagten mit diesem Teil der Klageforderung erst am 8.5.2020 aufgrund Mahnung gemäß Anlage K 18 zum 7.5.2020 ein (§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).

C.

Für den Streitwert des Berufungsverfahrens waren die Werte der Berufungen gegen die Beklagte zu 1 und gegen die Beklagte zu 2 für die Zeit bis zur teilweisen Berufungsrücknahme zusammenzurechnen (§ 45 Abs. 1 S. 2 BGB). Denn ohne die Rücknahme der Berufung gegen die Beklagte zu 2 wäre über diese (durch Verwerfung als unzulässig; insofern war die Klägerin nicht beschwert, weil das Landgericht über die Forderung gegen die Beklagte zu 2 nicht entschieden hat, statt sie als unzulässig wegen bedingter Klageerhebung abzuweisen; es lag ein Fall der eventualen Klagehäufung vor, vgl. BGH, Urteil vom 5.8.1972 – II ZR 28/69, Rz. 28; BAG, Urteil vom 31.3.1997 – 8 AZR 729/96, Rz. 36) zu entscheiden gewesen. Der Streitwert war folglich gestaffelt festzusetzen. – Bei der Streitwertfestsetzung erster Instanz hatte es zu verbleiben, weil dort jedenfalls keine Entscheidung über den Hilfsantrag erging.Randnummer98

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97, 516 Abs. 3 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 1 am Verfahren nur mit einem Wert von 282.084,28 € und die Beklagte zu 2 nur mit einem Wert von 263.377,62 € beteiligt war.Randnummer99

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.Randnummer100

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalles.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I Abberufung Geschäftsführer I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Abberufung, Abberufung Aufsichtsrat, Abberufung aus wichtigem Grund Abberufung außerhalb des gesetzlichen Sofortvollzugs, Abberufung des Alleingeschäftsführers, Abberufung des Fremdgeschäftsführers Abberufung des Geschäftsführers, Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund, Abberufung des Geschäftsführers zu gesellschaftsvertragswidrigem Zweck; Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, Abberufung des Versammlungsleiters Abberufung des Vorstandsmitglieds, Abberufung durch Aufsichtsrat, Abberufung durch Gesellschafterversammlung, Abberufung durch Minderheitsgesellschafter, Abberufung eines Geschäftsführers in der Zwei-Personen-GmbH, Abberufung Fremdgeschäftsführer, Abberufung Geschäftsführer GmbH, Abberufung in den Fällen des gesetzlichen Sofortvollzugs, Abberufung ohne Grund, Abberufung von der Geschäftsführung Abberufung von Fremdgeschäftsführern, Abberufung von Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer, Abberufung von Organmitgliedern, Abberufung Vorstand Abberufungsbeschluss, Abberufungsgrund, Abberufungsorgan, Außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages, Ausweitung der Abberufungsmöglichkeiten, Beendigung des Anstellungsvertrages, Beendigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund, Durchführung der Abberufung, gravierende Mängel des Abberufungsbeschlusses, Keine Übereinstimmung von wichtiger Grund für Abberufung und für Beendigung des Anstellungsvertrags, Klageverfahren bei Abberufung, meist wechselseitige Anträge auf Abberufung, Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses, ordentliche Abberufung, rechtliche Auswirkungen des Abberufungsbeschlusses, Wirkungen der Abberufung, zunächst keine Wirkung des Abberufungsbeschlusses

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OLG München, Urteil vom 03.05.2023 – 7 U 4308/22

Mittwoch, 3. Mai 2023

§ 256 Abs. 1 ZPO; §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das Schlussurteil des Landgerichts München I vom 03.06.2022, Az. 40 O 4308/22 in Ziffer 1 seines Tenors wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 26.015,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus einem Betrag von 24.883,12 € seit 30.10.2018 sowie aus einem weiteren Betrag von 1.131,94 € seit 26.10.2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten an und aus der Beteiligung der Klägerin an der Beklagten zu 2) (Beteiligungsnummer SI-KG-…21) an die Beklagte zu 1).

2. Auf die Berufung der Beklagten zu 1) wird das in Ziffer 1 bezeichnete Schlussurteil des Landgerichts München I in Ziffern 2 und 3 seines Tenors aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen.

3. Das in Ziffer 1 bezeichnete Schlussurteil des Landgerichts wird in Ziffer 4 seines Tenors klarstellend wie folgt gefasst:

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Annahme der Gegenleistung gemäß Ziffer 1. in Annahmeverzug befindet.

4. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zu 1) zurückgewiesen.

5. Die Beklagte zu 1) trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

6. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 bezeichnete Schlussurteil des Landgerichts München I, soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte zu 1) kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

7. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe

A.

Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit der Beendigung einer Gesellschaftsbeteiligung.

2

Die Klägerin beteiligte sich durch Beitrittserklärung vom 17.03.2009 laut Anl. K 1 über einen Treuhänder an der Beklagten zu 2), deren Gründungsgesellschafterin und Komplementärin die Beklagte zu 1) (damals noch in der Form einer AG) war, mit einer Einlage von nominal 80.000,- € zuzüglich 6% Agio. Die Beteiligung hatte Herr T. vermittelt.

3

Die Klägerin zahlte auf ihre Beteiligung 56.150,00 € an die Beklagte zu 2).

4

Zum Zeitpunkt des Beitritts der Klägerin zur Beklagten zu 2) war Herr T. E. sowohl Alleinvorstand der Beklagten zu 1) als auch Geschäftsführer der M. E. GmbH (im Folgenden als M. bezeichnet) und an beiden Gesellschaften kapitalmäßig beteiligt. Er war darüber hinaus auch Geschäftsführer der O. Management GmbH, die von der Beklagten zu 1) mit dem Untervertrieb der Beteiligungen an der Beklagten zu 2) beauftragt war. Die Eigenschaft der Beklagten zu 1) sowohl als Komplementärin der Beklagten zu 2) als auch als Kapitalvermittlerin und die Rolle des Herrn E. in diesen Gesellschaften sind in dem Emissionsprospekt vom 10.07.2007 laut Anl. K 2 (dort S. 42 unter Nr. 12.1 Abs. 5), der am 09.08.2007 veröffentlicht wurde, angegeben; nicht erwähnt sind hingegen die M. und die O. Management GmbH sowie die Bezüge des Herrn E. zu diesen beiden Gesellschaften.

5

Mit Schreiben der Klägervertreter vom 05.06.2018 (Anl. K 3), das per Fax am selben Tag bei der Beklagten zu 1) einging, kündigte die Klägerin ihre Beteiligung an der Beklagten zu 2) außerordentlich fristlos.

6

Die Beklagte zu 2) erstellte unter dem 09.01.2021 zum Stichtag 06.06.2018 eine Auseinandersetzungsbilanz (Bl. zu 250 d.A.) und ermittelte ein Auseinandersetzungsguthaben der Klägerin in Höhe von 31.266,88 €, das sie in der Folge an die Klägerin auszahlte.

7

Mit Einkommensteuerbescheid vom 21.06.2021 für den Veranlagungszeitraum 2010 (Anl. K 1a, geheftet als Bl. zu 295/299 d.A.) setzte das Finanzamt Fürstenfeldbruck in Abänderung des Einkommensteuerbescheids vom 12.09.2011 gegen die Klägerin ausschließlich aufgrund ihrer Beteiligung an der Beklagten zu 2) eine Einkommensteuernachzahlung in Höhe von 1.131,94 € fest. Diese beglich die Klägerin am 21.07.2021 (Anl. K 1b, geheftet als Bl. zu 295/299 d.A.).

8

Die Klägerin behauptete, die Beteiligung sei von der M. aufgrund eines Untervertriebsvertrages mit der Beklagten zu 1) vermittelt worden. Der Vermittler T. habe für die Medius gehandelt, jedenfalls habe die Klägerin diesen Eindruck gewinnen müssen.

9

Vor der Zeichnung sei die Klägerin nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Den Emissionsprospekt laut Anl. K 2 habe sie erst nach der Zeichnung ausgehändigt bekommen und im Vertrauen auf die durchgeführte Beratung abgeheftet, ohne ihn zu lesen (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 16.01.2019, S. 3 letzter Absatz, Bl. 42 d.A.). Im Rahmen des am 17.03.2009 erfolgten Beratungsgesprächs habe Herr T. sie nicht über die Risiken der Anlage, insbesondere auch nicht über das Totalverlustrisiko, aufgeklärt, obwohl sie Herrn T. gegenüber angegeben habe, dass die Anlage dem Aufbau einer sicheren Alterszusatzversorgung dienen solle. Vielmehr sei sie nur auf die positiven Aspekte des Beteiligungserwerbs hingewiesen worden. Die Anlage sei für die von der Klägerin gewünschte sichere Altersvorsorge nicht geeignet gewesen. Auch sei die Bezeichnung der Anlage mit „S.v.“ irreführend.

10

Schließlich sei die Klägerin im Rahmen der Vermittlung der Beteiligung auch nicht über die Verflechtungen des Herrn E. mit der M. und der O. Management GmbH aufgeklärt worden. Auch der Prospekt laut Anl. K 2 enthalte hierzu keine hinreichenden Angaben.

11

In Kenntnis der mit der Anlage verbundenen Risiken und der Verflechtungen des Herrn E. hätte sie die Anlage nicht gezeichnet.

12

Aufgrund der mangelhaften Aufklärung der Klägerin sei die Beklagte zu 1) als Gründungsgesellschafterin verpflichtet, der Klägerin die bisher von ihr an die Beklagte zu 2) erbrachten Zahlungen in Höhe von 56.150,00 € abzüglich des von der Beklagten zu 2) an sie ausbezahlten Abfindungsguthabens von 31.266,88 € sowie die von der Klägerin bezahlten Steuern in Höhe von 1.131,94 € als Schadensersatz zu erstatten und sie im Übrigen von etwaigen zukünftigen Ansprüchen der Beklagten zu 2) aus dem Beteiligungsverhältnis freizustellen.

13

Die Klägerin beantragte daher zuletzt:

I. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 26.015,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 24.883,12 seit Rechtshängigkeit und aus einem weiteren Betrag von 1.131,94 € seit 22.07.2021 zu bezahlen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, die Klägerin von etwaigen Ansprüchen in Zusammenhang mit der Beteiligung der Klagepartei an der O.Vermögensverwaltung AG [sic] & Co. S.v. KG (Beteiligungsnummer SI-KG-…21) freizustellen.

III. Die Verurteilung gemäß Ziffern I. und II. erfolgt Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten an und aus der Beteiligung der Klagepartei an der O.Vermögensverwaltung AG [sic] & Co S.v. KG (Beteiligungsnummer SI-KG-…21).

IV. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Annahme der Gegenleistung gemäß Ziffer III. in Annahmeverzug befindet

V. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit im Übrigen erledigt hat.

14

Die Beklagte zu 1) beantragte

Klageabweisung.

15

Sie erwiderte, dass die Medius nicht in den Vertrieb der Beteiligung einbezogen gewesen sei. Der Vermittler T. sei nicht für die Medius, sondern ausschließlich auf Grund eines Vertriebsvertrages zwischen der Beklagten zu 1) und ihm tätig geworden (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 10.12.2018, S. 12 unten und 14 Mitte, Bl. 31 und 33 d.A.).

16

Die Aufklärung durch Herrn T. sei anhand des Emissionsprospekts laut Anl. K 2 erfolgt, der der Klägerin auch rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben worden sei, was die Klägerin durch ihre Unterschrift unter das Beratungsprotokoll vom 17.03.2019 laut Anl. K 1 bestätigt habe. In dem Prospekt seien sowohl die Risiken der Anlage, inklusive des Totalverlustrisikos, dargestellt als auch die Verflechtungen des Herrn E. offengelegt.

17

Etwaige Ansprüche der Klägerin seien im Übrigen verjährt. Die Haftung der Beklagten zu 1) bemesse sich ausschließlich nach § 13 VerkProspG i.V.m. 44 ff. BörsG a.F. Diese spezialgesetzliche Prospekthaftung würde etwaige Ansprüche aus der Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich verdrängen. Ansprüche nach § 13 VerkProspG i.V.m. §§ 44 ff. BörsG a.F. seien drei Jahre nach Veröffentlichung des Prospekts am 09.08.2007 und damit mit Ablauf des 09.08.2010 verjährt.

18

Soweit die Klägerin neben der Fehlerhaftigkeit des Prospekts geltend mache, dass die der Anlagenzeichnung vorausgehende Beratung gar nicht anhand des Prospekts erfolgt sei und ihr auch kein Prospekt übergeben worden sei, seien Ansprüche aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. ausgeschlossen, da es an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem fehlerhaften Prospekt und dem Erwerb der Wertpapiere mangele.

19

Nur wenn bei der Vermittlung über den Prospekt hinaus unrichtige mündliche Angaben gemacht worden seien, komme ausnahmsweise noch eine Haftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Daran fehle es vorliegend aber, da die Klägerin eine über den Prospekt hinausgehende unrichtige mündliche Zusicherung des Vermittlers, des Zeugen T., nicht habe beweisen können (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 09.05.2022, S. 4, Bl. 316 d.A.).

20

Die Klage wurde der Beklagten zu 1) am 29.10.2018 zugestellt (Bl. zu 14 d.A.).

21

Mit Endurteil vom 18.03.2019, Az. 40 O 13628/18, (Bl. 77/90 d.A.), auf das Bezug genommen wird, verurteilte das Landgericht München I die Beklagte zu 1) in der Hauptsache zur Zahlung von 56.150,00 € an die Klägerin und stellte fest, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet sei, die Klägerin von etwaigen Ansprüchen in Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Beteiligung freizustellen. Sowohl die Verurteilung zur Zahlung als auch die Feststellung der Verpflichtung zur Freistellung der Klägerin erfolgten Zug um Zug gegen die Übertragung der Rechte und Pflichten aus der streitgegenständlichen Beteiligung. Darüber hinaus stellte das Landgericht den Annahmeverzug der Beklagten zu 1) mit der Rückübertragung der Rechte und Pflichten aus der Beteiligung und die Beendigung der Beteiligung durch die Kündigung vom 05.06.2018 fest. Schließlich verurteilte das Landgericht die Beklagte zu 2) zur Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens der Klägerin zum 06.06.2018 und zur Zahlung dieses noch zu ermittelnden Guthabens an die Klägerin.

22

Mit Endurteil vom 27.11.2019, Az. 7 U 2018/19 (Bl. 146/156 d.A.), in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18.02.2020, auf das Bezug genommen wird, hob der Senat auf die Berufungen beider Beklagten das Endurteil des Landgerichts München I vom 18.03.2019 auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.

23

Mit Teilurteil vom 25.06.2020, Az. 40 O 13628/18, Bl. 202/214 d.A. in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 06.08.2020 (Bl. 218/220 d.A.), auf das Bezug genommen wird, stellte das Landgericht München I nach Vernehmung des Zeugen T. und der Klägerin als Partei (vgl. S. 2 bis 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 195/197 d.A.) fest, dass die Klägerin durch die Beklagte zu 1) anlässlich der Zeichnung der Beteiligung an der O. Vermögensverwaltung GmbH & Co. S.v.t KG vom 17.03.2009 fehlerhaft aufgeklärt worden und diese Aufklärungspflichtverletzung kausal für die Zeichnung gewesen sei (Ziffer 1 des Tenors). Darüber hinaus stellte das Landgericht fest, dass die streitgegenständliche Beteiligung der Klägerin an der Beklagten zu 2) durch die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 05.06.2018 zum 06.06.2018 beendet worden sei (Ziffer 2 des Tenors), und verurteilte die Beklagte zu 2), das auf die Beteiligung der Klägerin an der Beklagten zu 2) entfallende Auseinandersetzungsguthaben auf den 06.06.2018 zu ermitteln (Ziffer 3 des Tenors).

24

Die Beklagte zu 1) legte gegen das Teilurteil vom 25.06.2020 mit Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 03.08.2020 (Bl. 222/223 d.A.) Berufung ein, soweit sie darin verurteilt wurde (Ziffer 1 des Tenors). Zur Begründung der von ihr beantragten Aufhebung des Teilurteils führte die Beklagte zu 1) u.a. aus, dass Tatsachen und abstrakte Rechtsfragen wie die fehlerhafte Aufklärung der Klägerin und die Kausalität dieser fehlerhaften Aufklärung für die Zeichnungsentscheidung der Klägerin kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis sein könnten (vgl. Berufungsbegründungsschriftsatz vom 28.08.2020, S. 1 und 2, Bl. 227 und 228 d.A.).

25

Die Beklagte zu 2) nahm die Verurteilung in dem Teilurteil vom 25.06.2020 hin.

26

Mit Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 21.09.2021 (Bl. 283/284 d.A.) nahm die Beklagte zu 1) ihre Berufung gegen das Teilurteil vom 25.06.2020 zurück.

27

Mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 13.10.2021, S. 2, Bl. 296 d.A. erklärte die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich der Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens durch die Beklagte zu 2) an die Klägerin für erledigt. Eine Zustimmung zur Erledigterklärung durch die Beklagte zu 2) erfolgte nicht.

28

Mit gleichem Schriftsatz des Klägervertreters (dort S. 4, Bl. 298 d.A.) erklärte die Klägerin des Weiteren den Rechtsstreit hinsichtlich des Klageantrags zu I. gegen die Beklagte zu 1) in Höhe von 30.134,94 € teilweise für erledigt. Eine Zustimmung zur Teilerledigterklärung erklärte die Beklagte zu 1) nicht.

29

Mit Schlussurteil vom 03.06.2022, Az. 40 O 13628/18, verurteilte das Landgericht München I die Beklagte zu 1) zur Zahlung von 26.015,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 24.883,12 € seit 30.10.2018 und aus einem weiteren Betrag in Höhe von 1.131,94 € seit 22.07.2021 an die Klägerin. Es stellte fest, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet sei, die Klägerin von etwaigen Ansprüchen in Zusammenhang mit der Beteiligung der Klagepartei an der O. Vermögensverwaltung GmbH & Co. S.v. KG freizustellen. Die Verurteilung der Beklagten zu 1) zur Zahlung sowie die Feststellung der Verpflichtung zur Freistellung erfolgte jeweils Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten an und aus der Beteiligung der Klägerin an der O. Vermögensverwaltung GmbH & Co S.v. KG.

30

Darüber hinaus stellte das Landgericht fest, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung (gemeint der Rückübertragung der Rechte aus der Beteiligung) in Annahmeverzug befinde und dass sich der Rechtsstreit im Übrigen erledigt habe.

31

Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landgericht u.a. aus, dass es gemäß § 318 ZPO an die in seinem rechtskräftig Teilurteil vom 25.06.2020 auf die diesbezügliche Zwischenfeststellungsklage der Klägerin getroffenen Feststellungen einer fehlerhaften Aufklärung der Klägerin und der Kausalität dieser Aufklärungspflichtverletzung für die Zeichnung der Klagepartei gebunden sei (LGU S. 6 oben). Auch im Übrigen bezog sich das Landgericht auf die bereits im Teilurteil vom 25.06.2020 enthaltenen Feststellungen, die ein Grundurteil iSd. § 304 Abs. 1 ZPO darstellten. Insoweit stehe zwischen den Parteien auch bereits rechtskräftig fest, dass die Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) nicht verjährt seien (LGU S. 7 unten, 8 oben).

32

Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Schlussurteils Bezug genommen.

33

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte zu 1) unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags ihr Klageabweisungsziel weiter. Die Feststellung der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits durch das Landgericht (Ziffer 5 des Tenors des Schlussurteils) nimmt sie jedoch hin.

34

Die Beklagte zu 1) beantragt daher, unter Abänderung des am 03.06.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts München I mit Ausnahme der Feststellung, dass sich der Rechtsstreit im Übrigen erledigt hat, Ziff. 5 der Urteilsformel, die Klage abzuweisen.

35

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

36

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und führt aus, dass das Landgericht bereits in seinem Teilurteil vom 25.06.2020 entschieden habe, dass die streitgegenständlichen Ansprüche nicht verjährt seien. Dieses Teilurteil sei zugleich ein Grundurteil iSd. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. § 304 Abs. 1 ZPO, sodass das Landgericht bei Erlass des Schlussurteils vom 03.06.2022 daran gemäß § 318 ZPO gebunden gewesen sei. Selbst wenn also die streitgegenständliche Ansprüche tatsächlich – wie nicht – verjährt sein sollten, so sei aufgrund der Bindungswirkung des § 318 ZPO vom Gegenteil auszugehen (Berufungserwiderung S. 3, Bl. 360 d.A.). Da die Beklagte zu 1) ihre zunächst eingelegte Berufung gegen das Teilurteil vom 25.06.2020 zurückgenommen habe, sei dieses auch rechtskräftig.

37

Im Übrigen seien die streitgegenständlichen Ansprüche der Klägerin auch nicht verjährt. Jedenfalls im streitgegenständlichen Fall werde die Haftung der Beklagten zu 1) nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB auch nicht durch die spezialgesetzliche Prospekthaftung verdrängt. Denn der vorliegende Sachverhalt sei von der Regelung der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. gar nicht erfasst, da danach vorausgesetzt werde, dass die Beteiligung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach Veröffentlichung des ersten Angebots erworben wurde. Dies sei aber nicht der Fall, da das erste öffentliche Angebot der streitgegenständlichen Fondsanteile im Inland unstreitig vom 09.08.2007 datiere und die Klägerin die Beteiligung (ebenfalls unstreitig) erst am 17.03.2009 erworben habe. Auch stütze sich im streitgegenständlichen Fall der Anspruch gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines unrichtigen Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung, sondern auf eine fehlerhafte mündliche Beratung.

38

Der Senat hat am 29.03.2023 mündlich verhandelt. Er hat mit Verfügung vom 15.03.2023 einen Hinweis erteilt (Bl. 372 d.A.). Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2023, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

B.

39

Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) ist insoweit begründet, als der von der Beklagten zu 1) (auch) geschuldete Betrag von 1.131,94 € erst ab 26.10.2021 und nicht schon ab 22.07.2021 zu verzinsen ist (I.), und insoweit als der Feststellungsantrag unzulässig ist (II.). Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten zu 1) unbegründet.

I.

40

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) Anspruch gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 26.015,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus einem Betrag von 24.883,12 € seit 30.10.2018 sowie aus einem weiteren Betrag von 1.131,94 € seit 26.10.2021.

41

1. Aufgrund des nach der Berufungsrücknahme durch die Beklagte zu 1) rechtskräftigen Teilurteils des Landgerichts vom 25.06.2020 (Bl. 202/214 d.A.) steht noch nicht bindend fest, dass die Klägerin gegen die Beklagte zu 1) dem Grunde nach einen unverjährten Schadensersatzanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB hat. Denn bei dem Teilurteil vom 25.06.2020 handelt es sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gleichzeitig auch um Grundurteil iSd. §§ 301 Abs. 1 S. 2, 304 ZPO, da sich aus dessen Tenor und Entscheidungsgründen nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen lässt, ob der Wille des Landgerichts dahin ging, den Streit vorab zu entscheiden (zur Notwendigkeit der Erkennbarkeit des Willens des Gerichts vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2003 – VI ZR 349/02, Rdnr. 9).

42

Aus Ziffer 1 des Tenors ergibt sich zunächst nur die Feststellung, dass die Beklagte zu 1) die Klägerin vor der Zeichnung der Anlage nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat und dass diese fehlerhafte Aufklärung kausal für die Zeichnung wurde. Zum Grund des streitgegenständlichen Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) gehören aber nicht nur die Aufklärungspflichtverletzung und deren Kausalität für die Zeichnung, sondern alles, was den Anspruch insgesamt entfallen lassen kann (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage, Köln 2022, Rdnr. 10 zu § 304 ZPO), wie bspw. das Nichtbestehen eines Schadens und/oder die Verjährung. Dazu verhält sich der Tenor des Teilurteils aber nicht.

43

Ziffern 2 und 3 des Tenors des Teilurteils vom 25.06.2020 betreffen nicht den Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1, sondern die Beendigung der Beteiligung der Klägerin an der Beklagten zu 2), sodass sich daraus für eine Entscheidung des Landgerichts über einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) nichts entnehmen lässt.

44

Auch aus der Zusammenschau des Tenors mit den Entscheidungsgründen wird nicht hinreichend klar, ob das Teilurteil zugleich ein Grundurteil hinsichtlich des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) sein soll. Zwar führt das Landgericht unter Punkt A II einleitend aus, dass die Klägerin gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne habe (LGU S. 10 zweiter Absatz), was auf ein Grundurteil hindeuten könnte. Jedoch folgen sodann zunächst nur Ausführungen bezüglich der schuldhaften Aufklärungspflichtverletzung (LGU S. 10 vorletzter und letzter Absatz sowie S. 11 erster und zweiter Absatz) und der Kausalität (LGU S. 11 dritter Absatz), bevor dann ausgeführt wird, dass, nachdem der Schaden der Klägerin von der vorherigen Ermittlung des von der Beklagten zu 2) an die Klägerin auszuzahlenden Auseinandersetzungsguthabens abhänge, die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch derzeit nicht verfolgen könne und deshalb aber die von der Klägerin erhobene Zwischenfeststellungsklage iSd. § 256 Abs. 2 ZPO zulässig sein müsse (LGU S. 11 vierter Absatz). Aus den Erwägungen ausschließlich zur Zulässigkeit der Zwischenfeststellungsklage, in denen auf die Frage eines Grundurteils nicht abgestellt wird, ist zu entnehmen, dass sich der Wille des Landgerichts bei Erlass des Teilurteils vom 25.06.2020 auch auf die Entscheidung der Zwischenfeststellungsklage beschränkte. Dies folgt auch aus der Tatsache, dass ein Grundurteil vorausgesetzt hätte, dass das Landgericht ausgeführt hätte, dass unabhängig von der Höhe des Schadens der Klägerin jedenfalls ein Schaden entstanden ist. Denn ohne Schaden besteht schon dem Grunde nach kein Schadensersatzanspruch. Dass ein Schaden der Klägerin aber nicht ohne weiteres anzunehmen ist, sondern davon abhängt, ob und inwieweit das der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2) zustehende Abfindungsguthaben ihre Einzahlungen unterschreitet, war – wie sich aus dem Einleitungssatz zu Punkt A II 5 (LGU S. 11 vierter Absatz) ergibt – auch dem Landgericht bewusst. Dennoch hat es keine Ausführungen zur Frage eines Mindestschadens der Klägerin gemacht, was gegen einen auf ein Grundurteil gerichteten Willen spricht. Daran ändert dann auch nichts mehr, dass das Landgericht abschließend ohne Begründung noch ausführt, dass die klägerischen Ansprüche nicht verjährt seien.

45

Nach alledem war trotz des landgerichtlichen Teilurteils vom 25.06.2020 zum Bestehen eines unverjährten Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) sowohl dem Grund als auch der Höhe nach zu entscheiden.

46

2. Nach der Rechtsprechung des BGH hat ein Gründungsgesellschafter die Pflicht, einem Beitrittsinteressenten für seine Beitrittsentscheidung ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt zu vermitteln und ihn über alle Umstände, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insbesondere über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken zutreffend, verständlich und vollständig aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2012 – II ZR 69/12, Rdnr 10 und Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnr. 16).

47

Ein Gründungsgesellschafter, der sich zu den vertraglichen Verhandlungen über einen Beitritt eines Vertriebs bedient und diesem oder von diesem eingeschaltete Untervermittlern die geschuldete Aufklärung der Beitrittsinteressenten überlässt, haftet über § 278 BGB für deren unrichtige oder unzureichende Angaben. Er muss sich das Fehlverhalten von Personen, die er mit den Verhandlungen zum Abschluss des Beitrittsvertrages ermächtigt hat, zurechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2012 – II ZR 69/12, Rdnr 11 und Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnr. 34 aE).

48

3. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte zu 1) die ihr als Gründungsgesellschafterin der Beklagten zu 2) obliegende Pflicht zur Aufklärung der Klägerin als Beitrittsinteressentin aufgrund einer fehlerhaften Aufklärung der Klägerin durch den Vermittler T. verletzt.

49

a. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der informatorischen Anhörung der Klägerin durch das Landgericht lag der Aufklärung der Klägerin durch den Vermittler T. der Emissionsprospekt laut Anl. K 2 zu Grunde, auch wenn zwischen den Parteien streitig und für den Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht aufklärbar ist, ob – so die Klägerin – ihr der Prospekt erst nach der Unterzeichnung (vgl. S. 2 letzter Absatz und S. 3 erster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 14.02.2019, Bl. 63 und 64 d.A. in der Form des Berichtigungsbeschlusses vom 18.03.2019, Bl. 72/74 d.A.), am Ende des einzigen Beratungsgesprächs (vgl. S. 4 drittletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 197 d.A.) oder aber bereits bei einem früheren Beratungsgespräch (vgl. insoweit die Aussage des Zeugen T. S. 3 erster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 196 d.A.) übergeben wurde. Denn nach der Aussage des Zeugen T. sei die Beratung anhand des Emissionsprospekts erfolgt (vgl. S. 3 erster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 196 d.A.). Dies deckt sich jedenfalls insoweit mit den Angaben der Klägerin wonach Unterlagen, von denen sie angenommen habe, dass es sich dabei um den Emissionsprospekt gehandelt habe, zur Beratung verwendet worden seien. Diese seien auf dem Tisch gelegen und Grundlage der Beratung gewesen (vgl. S. 2 letzter Absatz und S. 3 erster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 63 und 64 d.A.).

50

b. Der somit nach der Überzeugung des Senats der Aufklärung der Klägerin durch den Vermittler T. zu Grunde liegende Prospekt war fehlerhaft.

51

aa. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Prospekt einem Anleger für seine Beitrittsentscheidung ein richtiges Bild des Beitrittsobjekts vermitteln, d.h. er muss den Anleger über alle Umstände, die für die Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, zutreffend und vollständig aufklären (BGH, Urteil vom 23.04.2012 – II ZR 211/09, Rdnr. 13; Urteil vom 09.07.2013 – II ZR 9/12, Rdnr. 33). Dabei müssen die Darstellungen auch hinreichend eindeutig sein (BGH, Urteil vom 14.06.2007 – III ZR 300/15, Rdnr. 19). Da der Prospekt Erklärungen an einen unbestimmten Personenkreis enthält, ist er objektiv auszulegen. Maßgeblich ist mithin die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Anlegers (BGH, Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, Rdnr. 22). Für die Beurteilung, ob ein Prospekt unrichtig oder unvollständig ist, ist nicht isoliert auf eine bestimmte Formulierung, sondern auf das Gesamtbild abzustellen, das er dem Anleger unter Berücksichtigung der von ihm zu fordernden sorgfältigen und eingehenden Lektüre vermittelt (BGH, Urteil vom 03.11.2015 – II ZR 270/14, Rdnr. 14).

52

bb. Diesen Prüfungskriterien hält der streitgegenständliche Prospekt (Anlage K 2) zwar im Hinblick auf die Risikoaufklärung stand. Dort werden nämlich unter 3. auf S. 14 ff. ausführlich die mit der Anlage verbundenen Risiken dargestellt. Insbesondere wird unter 3.2 auf S. 14 unter der Überschrift „Totalverlust als Maximalrisiko“ ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Anleger im schlechtesten Fall einen Totalverlust seiner Beteiligung erleiden könne. Aus der Bezugnahme auf die „Beteiligung“ als solche ergibt sich auch, dass sich das Totalverlustrisiko nicht nur auf die bereits vom Anleger eingezahlten Beträge erstreckt, sondern auch die noch offenen Beträge weiter zu zahlen sind, die sodann ebenfalls verloren sein können. In der Zusammenschau der ausführlichen Risikohinweise und der Darstellung der mit der Anlage laut Prospekt verbundenen wirtschaftlichen Chancen des Investments sowie der rechtlichen Ausgestaltung der Beteiligung wurde dem durchschnittlichen Anleger ein zutreffendes Bild von der Risikobehaftetheit der Anlage vermittelt.

53

cc. Unzutreffend bzw. unvollständig und damit fehlerhaft ist jedoch die Darstellung der Verflechtungen in dem gegenständlichen Prospekt.

54

(1) Zu den Umständen, die für die Beteiligungsentscheidung von wesentlicher Bedeutung sein können, gehört auch die Darstellung der wesentlichen kapitalmäßigen und personellen Verflechtung zwischen einerseits der Komplementärin der Fondsgesellschaft, ihren Geschäftsführern und beherrschenden Gesellschaftern und andererseits der Unternehmen sowie deren Geschäftsführern und beherrschenden Gesellschaftern, in deren Hand die Beteiligungsgesellschaft die nach dem Emissionsprospekt durchzuführenden Vorhaben wesentlich gelegt hat (BGH, Urteil vom 15.10.2010 – III ZR 321/08, Rdnr. 25 m.w.N.). Denn solche Verflechtungen begründen die Gefahr von Interessenkonflikten, die dem Anleger bekannt sein müssen, damit er die Risiken der Anlage zutreffend beurteilen kann (so schon BGH, Urteil vom 06.10.1980 – II ZR 60/80, Rdnr. 26).

55

Diese allgemeinen Grundsätze folgen schon aus §§ 241 Abs. 2, 242, 311 BGB und werden durch §§ 8g VerkProspG, 12 Abs. 1, 2 Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung (in der zur Zeit des gegenständlichen Gesellschaftsbeitritts am 17.03.2009 geltenden Fassung) lediglich konkretisiert. Hiernach müssen in dem Prospekt die Mitglieder der Geschäftsführung der Fondsgesellschaft angegeben werden; soweit diese Personen auch für Unternehmen tätig sind, die mit dem Vertrieb der angebotenen Vermögensanlage betraut sind, ist dies ebenfalls anzugeben.

56

(2) Diesen Grundsätzen wird der streitgegenständliche Prospekt weder im Hinblick auf die M. (a) noch bezüglich der O. Management GmbH (b) gerecht.

57

(a) In dem Prospekt ist zwar dargelegt, dass die Beklagte zu 1) sowohl geschäftsführende Komplementärin der Beklagten zu 2) als auch mit dem Vertrieb der Kommanditbeteiligungen betraut ist und dass Herr E. Vorstand der Beklagten zu 1) ist. Der Untervertrieb durch die Medius sowie die Tätigkeit des Herrn E. als deren Geschäftsführer bleiben aber unerwähnt.

58

Schon nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1, 2 Nr. 1 Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung wäre letzteres in dem Prospekt anzugeben gewesen. Dass zwischen der Beklagten zu 1) und der Medius ein Untervertriebsvertrag bestand, steht aufgrund der Beweisaufnahme durch das Landgericht zur Überzeugung des Senats fest. Denn der Zeuge T. hat in seiner Vernehmung als Zeuge glaubhaft bekundet, dass er bei der Vermittlung der streitgegenständlichen Anlage als freier Handelsvertreter für die M. tätig gewesen sei und insoweit auch eine entsprechende Vertriebs- und Provisionsvereinbarung mit der M. gehabt habe. Die M. habe ihm auch die monatlichen Provisionsabrechnungen erteilt und die sich daraus ergebenden Provisionszahlungen an ihn geleistet. Bei der sich aus dem „Vertriebsvertrag“ laut Anl. B 2 ergebenden Vereinbarung mit der O. Management GmbH habe es sich um eine zusätzliche Vereinbarung gehandelt (vgl. S. 3 vorletzter und letzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 196 d.A.). Für die von der Klägerseite behauptete Vermittlungstätigkeit der Medius sprechen auch die Angaben der Klägerin in ihrer informatorischen Anhörung durch das Landgericht, wonach sie bekundete, dass sich Herr T. als Mitarbeiter der Medius vorgestellt habe, das Gespräch in den Geschäftsräumen der M. stattgefunden habe und die ihr übergebenen Unterlagen in einem M.-Ordner abgelegt gewesen sein (vgl. S. 2 drittletzter und vorletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 63 d.A.). Nach alledem hat der Senat keine Zweifel, dass hinsichtlich der Beteiligungen an der Beklagten zu 2) ein Vertriebsvertrag zwischen der Beklagten zu 1) und der M. bestand.

59

Die Medius war daher mit dem Vertrieb der Kommanditbeteiligungen betraut, und zwar durch die Komplementärin der Beklagten zu 2), also rechtlich gesehen durch die Beklagte zu 2) selbst. Herr E. war sowohl Vorstand der Beklagten zu 1) als Komplementärin der Beklagten zu 2), also Mitglied von deren Geschäftsführung, als auch Geschäftsführer der mit dem Vertrieb betrauten Medius.

60

Auch nach Sinn und Zweck der Pflicht zur Offenlegung von Verflechtungen wären die genannten Angaben erforderlich gewesen. Der Senat folgt insoweit nicht der Argumentation der Beklagten zu 1), dass der Interessenkonflikt, der sich aus der Tätigkeit der Beklagten zu 1) als Komplementärin der Fondsgesellschaft einerseits und als Vertriebsgesellschaft andererseits ergibt, aus dem Prospekt ersichtlich ist (was zweifellos zutrifft) und durch die Einschaltung der M. bzw. durch die Tätigkeit der Herrn E. für die M. ein darüber hinausgehender Interessenkonflikt nicht zu besorgen gewesen sei. Der Senat ist dem gegenüber vielmehr der Auffassung, dass durch die Einschaltung der Medius und die Tätigkeit des Herrn E. auch für diese die Möglichkeit von Interessenkonflikten vertieft wurde. Dies wird deutlich, wenn man die Lage aus der Sicht des Herrn E. betrachtet. Der primäre Interessenkonflikt besteht darin, dass er als Vorstand der Komplementärgesellschaft möglichst viel Anlegerkapital für eigentliche Fondszwecke zurückhalten müsste, während er als Vorstand der (personenidentischen) Vertriebsgesellschaft möglichst hohe Vertriebsprovisionen aus den Anlegerzahlungen anstreben müsste. Tritt eine Untervertriebsorganisation wie die M. hinzu, die ebenfalls von Herrn E. geführt wird, tritt ein weiteres Interesse hinzu, nämlich auch die Medius aus dem Kuchen der Anlegergelder zu versorgen.

61

Dahin stehen kann insoweit, ob Herr E. sich diesbezüglich korrekt verhalten hat, insbesondere nur die für den Vertrieb prospektierten Margen zwischen Beklagter zu 1) und Medius verteilt hat. Jedenfalls bestand in seiner Person die dargestellte Möglichkeit von Interessenkonflikten, auf die die Anleger hinzuweisen gewesen wären.

62

Irrelevant ist in diesem Zusammenhang, dass in dem Prospekt auf die Möglichkeit der Einschaltung von Untervermittlern hingewiesen wurde. Denn hieraus konnte ein Anleger nicht die dargestellten Verflechtungen und Interessenkollisionen entnehmen, wie sich schon daraus erhellt, dass die Beklagte zu 1) auch Untervermittler hätte einschalten können, zu denen keine Verflechtungen bestanden.

63

(b) Gleichfalls in dem Prospekt unerwähnt bleiben auch die Verflechtungen des Herrn T. E. mit der O. Management GmbH, obwohl diese nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 14.05.2020, dort S. 4 – 6., Bl. 181-183 d.A.) ebenfalls durch die Beklagte zu 1) mit dem Untervertrieb der Beteiligungen an der Beklagten zu 2) beauftragt war und Herr T. E. auch Geschäftsführer der O. Management GmbH war. Da es sich dabei um den gleichen offenlegungspflichtigen Interessenkonflikt handelt wie im Fall der M. (dazu vgl. oben unter (a)) ist der Prospekt auch insoweit fehlerhaft.

64

c. Die zutreffende, verständliche und vollständige Aufklärung des Anlegers muss nicht notwendigerweise durch einen Prospekt, sondern kann grundsätzlich auch in anderer Weise erfolgen (BGH, Urteil vom 02.03.2005 – II ZR 140/03, Rdnr. 30). Erfolgt sie nicht durch den Prospekt, etwa weil das aufklärungspflichtige Risiko (hier der mögliche Interessenkonflikt durch die Verflechtungen betreffend die Medius und/oder die O. Management GmbH) darin nicht erwähnt wird, ist der Anleger in anderer Weise hierüber aufzuklären. In Betracht kommt insoweit eine ergänzende mündliche Aufklärung durch den Anlagevermittler. Eine solche ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, jedoch nicht erfolgt. Der Zeuge T. bekundete hierzu in seiner Vernehmung durch das Landgericht, dass „(ü)ber personelle Verflechtungen in keiner Hinsicht im Rahmen der Beratung aufgeklärt“ worden sei. Insoweit habe er auch in den Schulungen keine Informationen erhalten (vgl. S. 4 zweiter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 197 d.A.).

65

Nach alledem ist der Klägerin eine aufklärungspflichtige Tatsache vorenthalten wurde und hat die Beklagte zu 1) damit ihre Aufklärungspflicht als Gründungsgesellschafterin der Beklagten zu 2) verletzt.

66

d. Es kann deshalb dahinstehen, ob – wie von der Klägerin behauptet – von der Fehlerhaftigkeit der Aufklärung der Klägerin allein schon wegen der diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts in Ziffer 1 des Tenors seines Teilurteil vom 25.06.2020, das nach der Rücknahme der dagegen von der Beklagten zu 1) eingelegten Berufung rechtskräftig wurde, auszugehen ist, obwohl es sich bei der Fehlerhaftigkeit der Aufklärung der Klägerin durch die Beklagte zu 1) ebenso wie bei der Kausalität der mangelhaften Aufklärung für die Zeichnungsentscheidung der Klägerin, die den Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Zwischenfeststellungsklage bildeten, nicht um Rechte und Pflichten, sondern um reine Tatsachen handelte, die nach der Definition des Begriffes des Rechtsverhältnisses durch den BGH (vgl. Urteil vom 20.04.2018 – V ZR 106/17, Rdnrn 13 und 14) nicht Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage sein können, und die diesbezügliche Zwischenfeststellungsklage der Klägerin deshalb unzulässig war.

67

4. Durch die fehlerhafte Aufklärung der Klägerin entstand dieser auch ein Schaden.

68

a. Der Schaden der Klägerin besteht in der Zeichnung der Anlage als solcher. Die oben unter 3 b cc dargestellte unzureichende Aufklärung der Klägerin über die Verflechtungen des Herrn E. war dabei auch kausal für die Anlageentscheidung der Klägerin. Die Kausalität eines Beratungsdefizits für die Anlageentscheidung wird vermutet (BGH, Urteil vom 09.11.2009 – III ZR 169/08, Rdnr. 26). Die Beklagte zu 1) hat diese Kausalitätsvermutung durch die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme nicht widerlegen können. Die Klägerin hat nämlich in ihrer Parteivernehmung durch das Landgericht entsprechend der Vermutung für aufklärungsrichtiges Verhalten glaubhaft bekundet, dass sie die Anlage nicht gezeichnet hätte, wenn sie gewusst hätte, dass personelle Verflechtungen bestehen (vgl. S. 4 viertletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2020, Bl. 197 d.A.).

69

Aufgrund der deshalb anzunehmenden Kausalität des Aufklärungsmangels für die Schadensentstehung kommt es deshalb – wie zuvor auch schon bei der Frage der Fehlerhaftigkeit der Aufklärung – nicht auf die diesbezüglichen Feststellungen in Ziffer 1 des Teilurteils des Landgerichts vom 25.06.2020 an.

70

b. Die Höhe des der Klägerin durch die Zeichnung entstandenen Schadens beläuft sich auf insgesamt 26.015,06 €.

71

aa. Dem Grunde nach besteht der Schaden der Klägerin in allen Zahlungen, die sie auf die Anlage erbracht hat. Nach dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Geschädigte durch den Schadensfall nicht verdienen soll, müsste sie sich allerdings den Wert der Beteiligung gegenrechnen lassen. Dieser Wert wäre nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln zum Tag der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung zu ermitteln. Da ein solches Vorgehen schon aus praktischen Gründen untunlich wäre, kann dem Anliegen, dass eine Geschädigte durch den Schadensfall nichts verdienen soll, aber auch dadurch Rechnung getragen werden, dass ihr die Rückzahlung ihrer Einzahlungen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus der Beteiligung zuerkannt wird.

72

Anders liegt es nach Auffassung des Senats aber dann, wenn – wie vorliegend – die Anlegerin ihre Beteiligung wirksam gekündigt hat. Denn dann ist die Schadensentwicklung abgeschlossen. Der gegenzurechnende Wert des Anteils entspricht dem Abfindungsguthaben und ist damit nicht zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung, sondern zum gesellschaftsvertraglich oder gesetzlich vorgeschriebenen Stichtag für die Ermittlung des Abfindungsguthabens zu ermitteln. Damit steht der Schaden fest (Einzahlungen minus Abfindungsguthaben).

73

Da die Klägerin unstreitig 56.150,00 € für den Erwerb von Anteilen an der Beklagten zu 2) bezahlt und ein Abfindungsguthaben in Höhe von 31.266,88 € ausbezahlt erhalten hat, ist ihr durch die fehlerhafte Aufklärung ein Schaden in Höhe der Differenz und damit von 24.883,12 € entstanden.

74

bb. Dazu zu addieren war noch die von der Klägerin an das Finanzamt Fürstenfeldbruck geleistete Steuernachzahlung in Höhe von 1.131,94 €, da diese nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin nur infolge der Zeichnung der streitgegenständlichen Beteiligung festgesetzt wurde.

75

Insgesamt beläuft sich damit der Schaden der Klägerin auf 26.015,06 € (24.883,12 € + 1.131,94 €).

76

5. Der demnach gegen die Beklagte zu 1) bestehende Schadensersatzanspruch der Klägerin nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB ist auch nicht verjährt.

77

a. Der Anspruch ist entgegen der Ansicht der Beklagten zu 1) nicht nach §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 2. Var. BGB verjährt, weil die Klägerin sich aufgrund der von ihr selbst unterzeichneten Dokumente nicht selbst gefragt habe, ob die Erklärungen des Vermittlers T. (oder die Angaben im Prospekt) falsch seien, und sie deshalb grob fahrlässig gehandelt habe (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 10.12.2018, S. 17, Bl. 36 d.A.). Denn nach der Rechtsprechung des BGH liegt in Prospekthaftungs- und Anlageberatungsfällen eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 2. Var. BGB im Allgemeinen nicht schon dann vor, wenn sich die für die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände einer Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung notwendigen Informationen aus dem Anlageprospekt ergeben, der Anleger es aber unterlassen hat, durch die Lektüre des Prospekts die Ratschläge und Auskünfte des Anlageberaters oder -vermittlers auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2012 – II ZR 69/12, Rdnr. 19). Im Übrigen liegt das Aufklärungsdefizit im streitgegenständlichen Fall in dem fehlenden Hinweis auf die Verflechtung des Herrn E. mit der M. und mit der O. Management GmbH im Prospekt. Damit hätte die Klägerin aus den ihr von Herrn T. ausgehändigten Unterlagen auch bei deren sorgfältiger Lektüre nichts zu dem das Aufklärungsdefizit begründenden tatsächlichen Umstand entnehmen können.

78

Da die Klägerin – wie sie in ihrer informatorischen Anhörung durch das Landgericht glaubhaft bekundete (vgl. S. 2 unten des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 14.02.2019, Bl. 63 d.A.) und was von der Beklagten zu 1) auch nach dem späteren diesbezüglichen schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin (vgl. Schriftsatz des Klägervertrerters vom 20.02.2019, S. 2 Mitte, Bl. 66 d.A.) nicht bestritten wurde – erst durch einen Anwaltsbesuch im Jahr 2018 von den Verflechtungen des Herrn E. und damit dem Aufklärungsmangel erfuhr, begann die Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erst mit Ablauf des 31.12.2018, sodass die Klagezustellung am 29.10.2018 in unverjährter Zeit erfolgte.

79

b. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB ist auch nicht nach § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB kenntnisunabhängig verjährt. Denn der Beitritt der Klägerin zur Beklagten zu 2) erfolgte erst mit Annahme ihres Beitrittsangebots vom 17.03.2009 durch die damalige Treuhandkommanditistin am 20.03.2009 mit Wirkung zum 01.04.2009, sodass die zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährungsfrist des § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB zum Zeitpunkt der Klagezustellung am 29.10.2018 noch nicht abgelaufen war.

80

6. Der demnach gegebene Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) aus der sogenannten Prospekthaftung im weiteren Sinne nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB wird auch nicht durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG i.Vm. §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung verdrängt, nach denen Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) verjährt wären, da die Klage der Beklagten zu 1) erst am 29.10.2018 und damit weit nach Ablauf der dreijährigen Maximalverjährungsfrist des § 46 BörsG aF. zugestellt wurde.

81

a. Der sachliche Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ist eröffnet, da die Beklagte zu 1) Gründungsgesellschafterin der Beklagten 2) und damit ohne weiteres Prospektveranlasserin iSd. § 44 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BörsG a.F. ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13.12.2022 – XI ZB 10/21, Rdnr. 14). Entgegen der Ansicht der Klägerin ändert an der Anwendbarkeit der spezialgesetzlichen Prospekthaftung auch die Tatsache nichts, dass die Zeichnung der streitgegenständlichen Beteiligung erst am 17.03.2019 und damit weit nach Ablauf der in § 44 Abs. 1 S. 1 BörsG a.F. stipulierten Sechsmonatsfrist erfolgte. Denn nach der Rechtsprechung des BGH gilt der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung in ihrem Anwendungsbereich umfassend (vgl. Beschluss vom 13.12.2022 – XI ZB 10/21, Rdnrn 18 – 20; auch in dem der Entscheidung des BGH vom 25.10.2022 – II ZR 22/22 zugrundeliegenden Fall erfolgte die Zeichnung der Beteiligung fast zwei Jahre nach der Prospektveröffentlichung und damit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 44 Abs. 1 S. 1 BörsG a.F.). Schließlich steht im streitgegenständlichen Fall auch weder die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens durch die Beklagte zu 1) noch eine unrichtige mündliche Zusicherung des Vermittlers im Raum, die die Haftung der Beklagten zu 1) nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB unberührt lassen würden (vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.2018 – XI ZR 3/16, Rdnr. 57 aE und Beschluss vom 13.12.2022 – XI ZB 10/21, Rdnr. 17). Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass Herr T. zu den Verflechtungen des Herrn E. im Beratungsgespräch mit der Klägerin gar nichts sagte. Die Aufklärung der Klägerin erfolgte vielmehr sowohl nach der Sachverhaltsversion der Klägerin als auch nach der der Beklagten zu 1) unter Verwendung des Prospekts laut Anl. K 2. b. Zwischen dem XI. und II. Zivilsenat des BGH ist streitig, ob in einem Fall, in dem – wie vorliegend – der sachliche Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach §§ 13 ff. VerkProspG i.V.m. § 44 BörsG a.F. eröffnet ist, die Prospekthaftung im weiteren Sinne verdrängt wird.

82

aa. Der XI. Zivilsenat des BGH sieht § 13 VerkProspG i.Vm. §§ 44 ff. BörsG a.F. als lex specials zur Prospekthaftung im weiteren Sinne, da die Veranlasserhaftung nach § 13 VerkProspG, 44 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BörsG a.F. den Gründungsgesellschafter als Veranlasser und als künftigen Vertragspartner des Gesellschaftsvertrags der Anlegergesellschaft erfasse und in der Person des Gründungsgesellschafters stets auch die Voraussetzungen des Verschuldens bei Vertragsschluss mittels Verwendens eines fehlerhaften Verkaufsprospekts verwirkliche. Wollte man diese allgemeinen Haftungsgrundsätze neben § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. ohne jede Einschränkung zur Anwendung bringen, liefe die gesetzgeberische Entscheidung, dem Gründungsgesellschafter als Veranlasser im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F. die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit dem Nachweis einfach fahrlässiger Unkenntnis der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Verkaufsprospekts zu entlasten (§ 45 Abs. 1 BörsG aF), und eine Sonderverjährungsfrist (§ 46 BörsG a.F.) anzuordnen, vollständig leer (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, Rdnr. 26; vgl. auch Beschluss vom 13.12.2022 – XI ZB 10/21, Rdnrn 13 ff. in Erwiderung auf BGH, Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnrn 35 ff.).

83

bb. Der II. Zivilsenat des BGH verneint dagegen eine Verdrängung der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB durch § 13 VerkProspG iVm. §§ 44 ff. BörsG a.F.. In § 47 Abs. 2 BörsG a.F. sei ausdrücklich statuiert, dass weitergehende Ansprüche, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen erhoben werden können, unberührt blieben (BGH, Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnrn 36 ff.). Darüber hinaus sei Kernpunkt der Haftung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB auch nicht wie bei der spezialgesetzlichen Prospekthaftung der fehlerhafte Prospekt, sondern die unzutreffende Aufklärung des Beitretenden über die wesentlichen Verhältnisse der Gesellschaft (BGH, Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnrn 41 ff.). Eine Verdrängung der Prospekthaftung im weiteren Sinne würde aufgrund der relativ kurzen Ausschlussfrist von nur sechs Monaten nach dem ersten öffentlichen Angebot der Wertpapiere im Inland und aufgrund der kurzen Verjährungsfrist Anleger auch in vielen Fällen rechtlos stellen (BGH, Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnrn 45 ff.). Von der spezialgesetzlichen Prospekthaftung erfasste Gründungsgesellschafter würden ohne erkennbaren Grund gegenüber sonstigen Altgesellschaftern begünstigt (BGH, Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnrn 48 ff.). Schließlich würden auch die systematische und die historische Auslegung gegen eine Verdrängung der Prospekthaftung im weiteren Sinne durch die spezialgesetzliche Prospekthaftung sprechen (BGH, Beschluss vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, Rdnrn 60 ff. und 63 ff.).

84

cc. Der Senat folgt aus den dort angegebenen Gründen dem Beschluss des II. Zivilsenats des BGH vom 25.10.2022 – II ZR 22/22, sodass die Eröffnung des Anwendungsbereichs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG iVm. §§ 44 ff. BörsG a.F. dem Schadensersatzanspruch der Klägerin nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB nicht entgegensteht.

85

7. a. Der Anspruch auf Rückzahlung der bezahlten Beiträge in Höhe von 24.883,12 € war gemäß § 291 S. 1 ZPO ab 30.10.2018 zu verzinsen, da die Klage der Beklagten zu 1) am 29.10.2018 zugestellt wurde.

86

b. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der Schadensbetrag von 1.131,94 € jedoch nicht schon ab 22.07.2021, d.h. ab dem Tag nach der Zahlung dieses Betrages durch die Klägerin an das Finanzamt, zu verzinsen, sondern gemäß § 291 S. 1 BGB erst ab Rechtshängigkeit und damit ab 26.10.2021, da der Klageerweiterungsschriftsatz des Klägervertreters vom 13.10.2021 (Bl. 295/299 d.A.), mit dem der Betrag von 1.131,94 € erstmals geltend gemacht wurde, dem Beklagtenvertreter erst am 25.10.2021 zugestellt wurde. Eine frühere Inverzugsetzung der Beklagten zu 1) hinsichtlich dieses Betrages ist nicht ersichtlich.

87

c. Die Höhe der zu zahlenden Zinsen folgt aus §§ 291 S. 2, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

II.

Der Feststellungsantrag der Klägerin ist entgegen der Ansicht des Landgerichts mangels eines Feststellungsinteresses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO unzulässig und die Klage damit abzuweisen.

89

Da der streitgegenständliche Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht aus der Verletzung eines absoluten Rechtsgutes, sondern des Vermögens resultiert, reicht es für die Annahme eines Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO nicht aus, dass künftige Schadensfolgen (gegebenenfalls auch nur entfernt) möglich sind, ihre Art und ihr Umfang oder sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind. Vielmehr ist in diesem Fall bereits für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags erforderlich, dass die Klägerin die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens substanziiert dartut (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage, Köln 2022, Rdnr. 9 zu § 256 ZPO).

90

Im streitgegenständlichen Fall ist – nachdem die steuerliche Behandlung nach dem Einkommensteuerbescheid vom 21.06.2021 laut Anl. K 1a) abgeschlossen ist – für die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Schadenseintritts jedoch auch nach dem diesbezüglichen Hinweis des Senats vom 15.03.2023 (Bl. 372 d.A.) von Klägerseite nichts vorgetragen.

91

Es fehlt daher an dem erforderlichen Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO, sodass der Feststellungsantrag unzulässig ist.

III.

92

1. Zutreffend hat das Landgericht ausgesprochen, dass die Verurteilung der Beklagten zu 1) zur Zahlung des Schadensersatzbetrages von 26.015,06 € nebst Zinsen entsprechen dem Antrag der Klägerin nur Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten aus der streitgegenständlichen Beteiligung an der Beklagten zu 2) an die Beklagte zu 1) erfolgt.

93

2. Da – wie oben unter Ziffer II. ausgeführt – der Feststellungsantrag unzulässig ist, war auch keine dahingehende Feststellung zu treffen, dass eine Freistellung nur Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten aus der streitgegenständlichen Beteiligung an der Beklagten zu 2) erfolgt.

IV.

94

Die Beklagte zu 1) befindet sich im Verzug mit der Annahme der von der Klägerin an sie zu übertragenden Rechte und Pflichten aus der streitgegenständlichen Beteiligung der Klägerin an der Beklagten zu 2). Dies war klarstellend im Tenor in Ziffer 3 festzustellen.

C.

I.

95

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da das Unterliegen der Klägerin nur die Dauer der Verzinsung eines kleinen Teils des Schadensersatzanspruchs und den Feststellungsantrag betraf und damit nicht wesentlich ins Gewicht fiel.

II.

96

Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

97

Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da der Senat – wie oben unter B I 5 b ausgeführt – bezüglich der Verdrängung der Haftung eines Gründungsgesellschafters nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB durch die spezialgesetzliche Prospekthaftung von der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH (Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18 und Beschluss vom 13.12.2022 – XI ZB 10/21) abweicht.

Schlagworte: Feststellungsinteresse

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OLG München, Urteil vom 05.04.2023 – 7 U 6538/20

Mittwoch, 5. April 2023

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 06.11.2020, Az. 3 HK O 122/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 bezeichnete Endurteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses über die Veräußerung des Büro- und Einkaufszentrums „Bahnhofspassagen P.“.

Die Beklagte ist ein geschlossener ImmobilienfondsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
geschlossener Immobilienfonds
Immobilienfonds
in der Rechtsform einer P. KG mit mehr als 12.000 Anlegern. Sie war ursprünglich Eigentümerin des Büro- und Verwaltungsgebäudes „Behördenzentrum“, G.traße 112-138, … Fr./… und hielt Beteiligungen von jeweils 94% an den Objektgesellschaften H.F.S. Immobilienfonds „Das Schloss“ B. S. GmbH & Co KG sowie H.F.S. Immobilienfonds Bahnhofspassagen P. GmbH & Co KG, die ihrerseits jeweils Eigentümerinnen des Einkaufszentrums mit Wohngebäuden „Das Schloss“, S. 33-36 / G.straße 1-3, … B. und des Büro- und Einkaufszentrums „Bahnhofspassagen P.“, F.-E.-Straße 99-104 / B. Straße 2-22 in … P. waren (vgl. S. 7 des Prospekts laut Anl. A 22 und § 2 Abs. 3 GV). Die Immobilien in B. und Fr. sind mittlerweile veräußert.

Komplementärin der Beklagten ist die H.F.S. Immobilienfonds Deutschland 10 Komplementär GmbH, Treuhandkommanditistin die W.C. I. GmbH und geschäftsführende Kommanditistin die W.C. R. E. M. GmbH. (Mit-)Geschäftsführer der Komplementärin und der geschäftsführenden Kommanditistin war Herr M. S.

Die Klägerin ist Treugeberin der Beklagten.

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten laut Anl. A 2 (im Folgenden mit GV abgekürzt) lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 5 Rechtsstellung der Treugeber/der Kommanditisten (…)

(2) (…) Im Innenverhältnis gelten die Treugeber als Kommanditisten. Dies gilt insbesondere (…) für die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte, insbesondere Stimm(…)rechte. Die Gesellschafter sind ausdrücklich damit einverstanden, dass die Treugeber an den Gesellschafterversammlungen teilnehmen und Kraft der ihnen erteilten Vollmacht das auf ihre Beteiligung entfallende Stimmrecht (…) unmittelbar selbst oder durch Bevollmächtigte ausüben können.

§ 10 Geschäftsführung und Vertretung

(1) Der Komplementär und der geschäftsführende Kommanditist (im Vertrag „die geschäftsführenden Gesellschafter“ genannt) sind zur Geschäftsführung der Gesellschaft einzeln verpflichtet.

(2) (…) Ihre Geschäftsführung erstreckt sich auf die Vornahme aller Rechtsgeschäfte, die zum üblichen Betrieb der Gesellschaft gehören. Sie umfasst insbesondere:

(…)

h) die Vorbereitung und Durchführung der Gesellschafterversammmlung

(3) Die geschäftsführenden Gesellschafter können sich auf eigene Kosten zur Erfüllung der von ihnen übernommenen Aufgaben Dritter bedienen (…).

§ 13 Zustimmungsbedürftige Rechtsgeschäfte.

Zu den folgenden Geschäften bedürfen die geschäftsführenden Gesellschafter der Zustimmung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafterversammlung
Zustimmung
Zustimmung der Gesellschafterversammlung
:

(…)

c) Erwerb und Veräußerung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten sowie Verfügungen über Rechte am Grundbesitz der Gesellschaft, insbesondere Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten sowie der Erwerb, die Übertragung, die Kündigung und die Veräußerung von Beteiligungen an anderen Unternehmen, soweit dies nicht zur Durchführung des Investitionsplans, dem Cash-Management, der Absicherung des Finanzierungskonzepts oder der Arrondierung der in § 2 genannten Objekte erfolgt.

§ 16 Gegenstand der Gesellschafterversammlung.

Die Gesellschafterversammlung ist insbesondere für folgende Beschlussfassungen zuständig:

a) zustimmungsbedürftige Rechtsgeschäfte gemäß § 13 (…)

j) Änderung des Gesellschaftsvertrages

m) Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
(…)

n) Beschlussfassung über die Ausübung der Stimmrechte in einer anderen Gesellschaft, sofern in dieser eine Abstimmung über gemäß § 16 a) bis m) abstimmungs- bzw. zustimmungspflichtige Rechtsgeschäfte erfolgt;

§ 17 Beschlussfassung

(1) (…) Die Beschlüsse können in Gesellschafterversammlungen oder im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasst werden.

(…)

(3) Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, soweit nicht in diesem Vertrag oder durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen (…)

4) Beschlüsse zu § 16 h), j) bis m) und o) sowie nach § 16 a) in Verbindung mit § 13 b) und c) bedürfen einer Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen sowie der Zustimmung eines der geschäftsführenden Gesellschafter, die nur aus wichtigem Grund verweigert werden kann. Gleiches gilt für Beschlüsse nach § 16 n), soweit auf Ebene einer Objektgesellschaft eine Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen erforderlich ist (…).

(…)

(8) (…) Die Stimmabgabe muss innerhalb der festgelegten Abstimmungsfrist von mindestens vier Wochen nach Absendung der Abstimmungsaufforderung bei der Gesellschaft eingehen (…) Die Auszählung erfolgt durch die Gesellschaft (…). Sofern nichts anderes bestimmt ist, wird ein im schriftlichen Verfahren gefasster Beschluss am Beginn des ersten Tages wirksam, der auf den Ablauf der Abstimmungsfrist folgt.“

Im übrigen wird hinsichtlich des Inhalts des Gesellschaftsvertrages auf Anlage A 2 Bezug genommen.

§ 2 des Gesellschaftsvertrages der Objektgesellschaft H.F.S. Immobilienfonds Bahnhofspassagen P. GmbH & Co KG lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 2 Gesellschaftszweck (…)

(2) Die Gesellschaft verfügt über Grundbesitz zu Eigentum bzw. im Wege des Erbbaurechtes in 14473 P., F.-E.-Straße 99-104, B. Straße 2-22.

(…)“

Im übrigen wird hinsichtlich des Inhalts des Gesellschaftsvertrages der Objektgesellschaft auf Anlage A 5 Bezug genommen.

Mit Schreiben der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH vom 14.11.2019 laut Anl. A 7 wurde den Anlegern mitgeteilt, dass nach Veräußerung der Fondsimmobilien in B. und Fr. nunmehr vorbehaltlich der Anlegerzustimmung ein Kaufvertrag auch über die letzte Fondsimmobilie in P. habe abgeschlossen werden können und entsprechend zur Abstimmung im schriftlichen Umlaufverfahren eingeladen werde. TOP 9 der beiliegenden Tagesordnung lautete:

Zustimmung zum Verkauf der von der Objektgesellschaft H.F.S. Immobilienfonds Bahnhofspassagen P. GmbH & Co KG gehaltenen Immobilie „Bahnhofspassagen P.“

Nach § 16 n) i.V.m. § 16 a) und § 13 c) des Gesellschaftsvertrages ist die Gesellschafterversammlung für den Beschluss zum Verkauf des Büro- und Einkaufszentrum [sic] „Bahnhofspassagen P.“ im Rahmen der Ausübung der Stimmrechte an der Objektgesellschaft zuständig.

Die Fondsgeschäftsführung schlägt den Verkauf der Fondsimmobilie in der B. Straße 16 in … P. an die BPP P. I GmbH & Co KG, BBP P. II GmbH & Co KG, BBP P. III GmbH & Co KG und BBP Potsdam IIII GmbH & Co KG zu einem Gesamtpreis in Höhe von 168.700.000 EUR vor. Der Kaufvertrag wurde am 31. Oktober 2019 unter Vorbehalt der Anlegerzustimmung beurkundet.

Bitte beachten Sie, dass dieser Tagesordnungspunkt gemäß § 17 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages einer Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen sowie der Zustimmung eines der geschäftsführenden Gesellschafter bedarf.“

Dem Schreiben vom 14.11.2019 lag des Weiteren ein Stimmzettel laut Anl. A 6 bei, der bis 12.12.2019 an die W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH zurückgeschickt werden müsse.

In der Zeit vom 14.11.2019 bis 12.12.2019 fand die Abstimmung der Gesellschafter im schriftlichen Umlaufverfahren statt. Versammlungsleiter war Herr M. S.

Während des Laufes der schriftlichen Abstimmung wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2019 laut Anl. A 8 an die Anleger der Beklagten und unterbreitete ihnen ein Angebot, das u.a. vorsah, die Anteile der Anleger zum Preis von 34% der Nominalbeteiligung (verglichen mit einer von der Beklagten in Aussicht gestellten Ausschüttung in Höhe von 32,74%) anzukaufen und die Anleger von einer Nachhaftung freizustellen. Dieses Angebot der Klägerin war befristet und stand unter der Bedingung, dass die Anleger die Veräußerung der Immobilie in Potsdam ablehnen, also zu TOP 9 mit Nein stimmten.

Die Treugeberin W., die über 25 Stimmen verfügte, stimmte hinsichtlich des TOP 9 unter dem 15.11.2019 zunächst mit Ja (Eingang des Stimmzettels bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH am 15.11.2019), übersandte aber am 20.11.2019 einen auf Nein korrigierten Stimmzettel laut Anl. A 14, der am 20.11.2019 bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH einging.

Der Treugeber K. widerrief mit Fax vom 26.11.2019 laut Anl. A 15 seine zunächst unter dem 15.11.2019 mit Telefax vom gleichen Tag erteilte Zustimmung zum Verkauf und stimmte nunmehr mit Nein.

Der Treugeber N. korrigierte mit Schreiben vom 09.12.2019 laut Anl. A 16 seine zunächst erteilte Zustimmung zum Verkauf und stimmte nunmehr mit Nein.

Die Treugeber G. und L., die zusammen eine Beteiligung halten, widerriefen mit Fax vom 09.12.2019 laut Anl. A 17 ihre zunächst erteilte Zustimmung und stimmten nunmehr mit Nein.

Insgesamt wurden 191.956 Stimmen abgegeben.

Im „Protokoll der Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren für das Geschäftsjahr 2018“ laut Anl. A 13 vom 19.12.2019 wurde festgestellt, dass zu TOP 9 75,01% der abgegebenen Stimmen (= 143.978 Stimmen) mit Ja, 24,99% der abgegebenen Stimmen (= 47.978 Stimmen) mit Nein gestimmt und sich 3.923 Stimmen enthalten hätten.

Die Klägerin behauptete, der Beschluss zu TOP 9 sei nichtig, da die Gesellschafterversammlung der Beklagten nicht über die Veräußerung der nicht im Eigentum der Beklagten, sondern der Objektgesellschaft stehenden Immobilie habe entscheiden dürfen. Vielmehr hätte die Gesellschafterversammlung der Beklagten nur darüber entscheiden dürfen, wie das der Beklagten in der Gesellschafterversammlung der Objektgesellschaft zustehende Stimmrecht auszuüben sei.

Darüber hinaus sei der Beschluss zu TOP 9 auch deshalb nichtig, weil bei der Abstimmung weder eine 75-prozentige noch eine einfache Mehrheit erreicht worden sei. Denn zum einen hätte die Komplementärin aufgrund ihrer Treuepflicht sich entgegen § 5 Abs. 3 S. 3 GV nicht der Stimme enthalten dürfen, da das Alternativkonzept der Klägerin für die Treugeber und Kommanditisten im Vergleich zu einem Verkauf der Fondsimmobilie wirtschaftlich deutlich vorteilhafter gewesen sei. Zum anderen sei das Abstimmungsergebnis auch falsch ermittelt worden, da die abgegebenen Ja-Stimmen aufgrund der durch die Zustimmung zum Beschlussvorschlag zu TOP 9 von den Gesellschaftern verletzten Treuepflicht als Nein-Stimmen hätten gewertet werden müssen.

Schließlich sei die gemäß § 13 lit c, 16, 17 GV erforderliche Dreiviertelmehrheit auch deswegen nicht erreicht worden, weil vier Anleger vor Ablauf der Abstimmungsfrist am 12.12.2019 ihre ursprüngliche Stimmabgabe korrigiert hätten und nunmehr mit Nein gestimmt hätten. In einem schriftlichen Abstimmungsverfahren könnten die Gesellschafter ihre Stimmabgabe bis zum Ende der Abstimmungsfrist nämlich frei widerrufen.

Die Klägerin beantragte daher:

Es wird festgestellt, dass der im schriftlichen Umlaufverfahren für das Geschäftsjahr 2018 vom 14.11.2019 bis 12.12.2019 zu TOP 9 mit folgendem Wortlaut:

„Dem Verkauf der von der Objektgesellschaft H.F.S. Immobilienfonds Bahnhofspassagen P. GmbH & Co KG gehaltenen Immobilie „Bahnhofspassagen P.“ zum Verkaufspreis von EUR 168,7 Mio. wird zugestimmt“

gefasste Beschluss nichtig ist.

Die Beklagte beantragte,

Die Klage wird abgewiesen.

Sie erwiderte, dass die Gesellschafter, die hinsichtlich TOP 9 mit Ja gestimmt hätten, ihre Treuepflicht nicht verletzt hätten. Denn das Alternativkonzept der Klägerin sei wirtschaftlich allenfalls minimal vorteilhafter, allerdings für die Gesellschafter risikobehafteter, da die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass sie den Kauf der Gesellschafteranteile überhaupt finanzieren könne. Im Übrigen sei die Treuepflicht durch eine Abstimmung auch nur dann verletzt, wenn die Abstimmung in einem bestimmten Sinne aufgrund des Gesellschaftszwecks und des Interesses der Gesellschaft zwingend geboten sei. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall.

Im Übrigen sei ein Stimmwiderruf nicht zulässig. Selbst wenn man – wie nicht – einen Widerruf aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Widerruf
Widerruf aus wichtigem Grund
zulassen sollte, läge ein solcher nicht vor, da das Alternativkonzept der Klägerin ausschließlich die private Vermögensdisposition der Gesellschafter betreffe und ein solcher Umstand aus der Privatsphäre des Gesellschafters schon aus Gründen der fehlenden Überprüfbarkeit einen Widerruf nicht rechtfertigen könne.

Schließlich sei § 13 lit c GV, der eine Dreiviertelmehrheit erfordere, entsprechend § 305c Abs. 2 BGB wegen Mehrdeutigkeit unwirksam und reiche deshalb für die Beschlussfassung zu TOP 9 die einfache Mehrheit aus, die ohne weiteres erreicht sei.

Mit Endurteil vom 06.11.2020, Az. 3 HK O 122/20, wies das Landgericht München I die Klage ab.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landgericht aus, dass der streitgegenständliche Gesellschafterbeschluss nicht schon deshalb fehlerhaft sei, weil die Gesellschafter unmittelbar über den Verkauf der Immobilie entschieden und nicht die Geschäftsführung der Beklagten zur Ausübung der Stimmrechte in der Objektgesellschaft der Objektgesellschaft angewiesen hätten. Denn für einen verständigen Gesellschafter sei aufgrund der Ausführungen zu TOP 9 in der Tagesordnung offensichtlich, dass die Beschlussfassung die Ausübung der Stimmrechte in der Objektgesellschaft mit dem Ziel der Veräußerung der Immobilie zu den genannten Bedingungen betreffe und damit die Weisung an die Geschäftsführung der Beklagten verbunden sei, in der Objektgesellschaft die Stimmrechte gemäß dem Ergebnis der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung auszuüben (LGU S. 6 und 7).

Entgegen der Ansicht der Klägerin sei der streitgegenständliche Beschluss auch mit einer Mehrheit von 75% gefasst worden. Die Stimmen von vier Treugebern, die zunächst für den Beschlussvorschlag gestimmt hätten, zu einem späteren Zeitpunkt ihr Stimmverhalten jedoch geändert hätten, seien zu Recht als Ja-Stimmen gewertet worden. Denn eine Änderung der Stimmabgabe nach Zugang der Stimmerklärung sei analog § 130 Abs. 1 S. 2 BGB nicht möglich. Eine freie Widerruflichkeit nach Zugang der Stimmerklärung bestehe nicht. Selbst bei Vorliegen eines wichtigen Grundes könne die Stimmerklärung nicht widerrufen werden. Jedenfalls lägen solche wichtigen Gründe auch nicht vor (LGU S. 7 und 8).

Die abgegebene Ja-Stimmen hätten auch nicht im Hinblick auf die gesellschafterliche Treuepflicht als Nein-Stimmen gewertet werden müssen. Denn die Treuepflicht könne die Stimmrechtsausübungsfreiheit eines Gesellschafters nur ausnahmsweise dahingehend beschränken, dass er einer Maßnahme zustimmen muss, wenn sie zur Erhaltung wesentlicher Werte der Gesellschaft oder zur Vermeidung erheblicher Verluste objektiv unabweisbar erforderlich sei und den Gesellschaftern zumutbar sei, wenn also das Gesellschaftsinteresse gerade diese Maßnahme zwingend gebiete und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigere. Dies sei vorliegend offensichtlich nicht gegeben. Das Alternativkonzept enthalte nämlich im Hinblick auf die Finanzierung ungeklärte Unwägbarkeiten (LGU S. 8 – 10).

Es könne daher offenbleiben, ob auch eine einfache Mehrheit für die Zustimmung zur Veräußerung der Immobilie genügt hätte.

Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr erstinstanzliches Klageziel weiter.

Sie rügt, dass das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Stimmabgabe im schriftlichen Abstimmungsverfahren nur bis zum Zugang der Abstimmungserklärung hätte widerrufen werden können. Richtigerweise sei aber ein Gesellschafter im Rahmen einer Beschlussfassung im schriftlichen, zeitlich gestreckten Abstimmungsverfahren jederzeit berechtigt, seine Stimmabgabe bis zum Ablauf der Abstimmungsfrist zu korrigieren. Vor Ablauf der Abstimmungsfrist entstehe keine Bindung an die einmal abgegeben Stimme (Schriftsatz des Klägervertreters vom 05.02.2021, S. 13 f., Bl. 167 f. d.A.). Insoweit bestehe kein Unterschied zur Erteilung einer Einwilligung, die nach § 183 BGB bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts widerruflich sei.

Ferner spreche die Rechtsnatur des Gesellschafterbeschlusses als mehrseitiger Willensakt dafür, die Korrektur einer einmal abgegebenen Stimme bis zum Ende der Abstimmungsfrist zuzulassen, da der Gesellschafterbeschluss erst mit der Stimmauszählung und Verkündung des BeschlussergebnissesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Verkündung
Verkündung des Beschlussergebnisses
zur Entstehung gelange. Bis dahin befände sich der Beschluss noch in der Phase seiner rechtsgeschäftlichen Entstehung, sodass schutzwürdige Interessen anderer Gesellschafter oder der Gesellschaft einer Stimmänderung nicht entgegenstünden.

Um eine Gleichwertigkeit einer Abstimmung im Umlaufverfahren mit einer Abstimmung im Rahmen einer Präsenzveranstaltung zu gewährleisten, müssten die Gesellschafter schließlich in die Lage versetzt werden, auf nach Abstimmungsbeginn auftretende neue Umstände reagieren zu können und ihre Stimmabgabe zu korrigieren (Schriftsatz des Klägervertreters vom 05.02.2021, S. 14 ff., Bl. 167 ff. d.A.). Durch eine frühzeitige Abgabe seiner Stimmerklärung würde ein Gesellschafter auch nicht auf die ihm zustehende Möglichkeit der Korrektur seiner Stimmabgabe verzichten (Schriftsatz des Klägervertreters vom 05.02.2021, S. 18, Bl. 172 d.A.)

Im Übrigen seien die ursprünglichen Stimmerklärungen der vier Treugeber vor ihrer Änderung dem Erklärungsempfänger noch gar nicht zugegangen gewesen, sodass sie nach § 130 Abs. 1 BGB noch gar nicht wirksam geworden seien. Die Stimmerklärungen der vier Treugeber seien nämlich nicht an die Gesellschaft, d.h. die Beklagte, gerichtet gewesen, sondern an die Treuhandkommanditistin. Die Stimmerklärungen der Treugeber seien der Beklagten daher erst in dem Moment zugegangen, als die Beklagte die Stimmzettel erhalten und mit der Auszählung der Stimmzettel begonnen habe. Zu diesem Zeitpunkt hätten die vier Treugeber jedoch bereits seit langem ihre geänderte Stimmerklärung an die Treuhandkommanditistin gerichtet gehabt (Schriftsatz des Klägervertreters vom 05.02.2021, S. 10, Bl. 164 d.A.).

Nachdem demnach weniger als 75% der abgegebenen Stimmen mit Ja gestimmt hätten, sei die nach der Satzung erforderliche 3/4-Mehrheit verfehlt worden. Zwar sei damit immer noch eine einfache Mehrheit erreicht worden, diese reiche jedoch für die Beschlussfassung nicht aus. Die Regelung des § 13 lit c GV sei nicht mehrdeutig und könne daher schon deshalb Geltung beanspruchen. Selbst wenn sie aber mehrdeutig sein sollte, so wäre für eine entsprechende Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB dennoch kein Raum, da die Parteien die Klausel übereinstimmend dahingehend verstanden hätten, dass für die streitgegenständliche Beschlussfassung eine 3/4-Mehrheit erforderlich sei. Selbst bei einer Unwirksamkeit von § 13 lit. c GV würden die gesetzlichen Regeln gelten, sodass entsprechend § 179a AktG eine 75-prozentige Mehrheit erforderlich wäre (Schriftsatz des Klägervertreters vom 05.02.2021, S. 4 und 5, Bl. 158 und 159 d.A.).

Die Klägerin beantragt daher:

Unter Abänderung des am 06.11.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az. 3 HK O 122/20, ist festzustellen, dass der im schriftlichen Umlaufverfahren für das Geschäftsjahr 2018 vom 14.11.2019 bis 12.12.2019 zu TOP 9 mit folgendem Wortlaut:

„Dem Verkauf der von der Objektgesellschaft H.F.S. Immobilienfonds Bahnhofspassagen P. GmbH & Co KG gehaltenen Immobilie „Bahnhofspassagen P.“ zum Verkaufspreis von EUR 168,7 Mio. wird zugestimmt“

gefasste Beschluss nichtig ist.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und führt unter teilweiser Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags aus, dass es auf die Frage der Stimmänderungen der vier Treugeber entscheidungserheblich nicht ankomme, da aufgrund der Mehrdeutigkeit des § 13 lit c GV iSd. § 305c Abs. 2 BGB bereits die einfache Mehrheit für die Beschlussfassung ausgereicht habe. Die Regelung des § 13 lit c GV komme auch entgegen der Behauptung der Klägerin nicht unbeschadet ihrer Mehrdeutigkeit aufgrund eines von der Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz behaupteten übereinstimmenden Verständnisses der Parteien zum Tragen. Denn die Klägerin könne nur zu ihrem eigenen Vertragsverständnis vortragen. Sie habe jedoch keine Kenntnis vom Vertragsverständnis der übrigen 12.000 Anleger. Ein derartiges übereinstimmendes Vertragsverhältnis bestreite die Beklagte, sodass der diesbezügliche Vortrag der Klägerin nach § 531 ZPO zurückzuweisen sei. Eine analoge Anwendung von § 179a AktG auf eine P. KG sei nicht möglich (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 05.05.2021, S. 5, Bl. 189 d.A.).

Auch wenn – wie nicht – die Notwendigkeit einer 3/4-Mehrheit zur Beschlussfassung bejaht werden sollte, so sei diese erreicht worden, da die Stimmänderungen der vier Treugeber nicht zu berücksichtigen gewesen seien. Eine Stimmabgabe sei nicht frei widerruflich. Folge man der teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht, eine Widerrufsmöglichkeit bestehe bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, so läge ein solcher jedenfalls nicht vor.

Zum Ablauf der Abstimmung trug die Beklagte im Berufungsverfahren auf den Hinweis des Senats vom 06.10.2021 erstmals vor, die bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH eingehenden Briefe mit den Stimmzetteln seien unmittelbar nach deren Eingang – also täglich – geöffnet worden. Die W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft, die von den geschäftsführenden Gesellschaftern mit der Durchführung der Abstimmung beauftragt worden sei, habe die Stimmzettel sodann ausgewertet und die Stimmabgabe der einzelnen Anleger an Bankarbeitstagen in M. taggenau in einer elektronisch geführten Abstimmungsliste (teilweise mehrfach täglich) erfasst. Die Abstimmungsliste sei in einer Datenbank, der sogenannten Sharepoint-Datenbank hinterlegt gewesen (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.11.2021, S. 5 Mitte, Bl. 221 d.A.), für die u.a. der Zeuge S. eine Leseberechtigung gehabt habe (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.11.2021, S. 6 letzter Absatz, Bl. 222 d.A.). Darüber hinaus seien die Stimmzettel papierhaft im Fachbereich Investorenservices verwahrt, wobei der Zeuge S. jederzeit die Möglichkeit hatte, die physisch eingegangenen Stimmzettel einzusehen (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.11.2021, S. 6 Mitte, Bl. 222 d.A.). Schließlich hätten die geschäftsführenden Gesellschafter sich ständig über den aktuellen Stand der Auszählung auf dem Laufenden halten lassen, da die zu veräußernde Immobilie „Bahnhofspassagen P.“ einen Wert im dreistelligen Millionenbereich habe und im Übrigen die Klägerin gegen die Veräußerungsempfehlung der Beklagten Stimmung gemacht habe. Das Abstimmungsverfahren sei deshalb sehr eng und täglich überwacht worden (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.11.2021, S. 7, Bl. 223 d.A.). Der Zeuge L. habe deshalb regelmäßig Emails, in denen der aktuelle Stand der Auszählung mitgeteilt worden sei, u.a. an den Zeugen S. versandt. Insgesamt seien zwischen dem 15.11.2019 und dem 12.12.2019 insgesamt fünf solche Emails verschickt worden (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.11.2021, S. 8 zweiter Absatz, Bl. 224 d.A.). Darüber hinaus sei der Zeuge L. u.a. mit dem Zeugen S. während des Abstimmungszeitraums regelmäßig in Kontakt gestanden und habe sich mit diesem über den Verlauf der Abstimmung und den aktuellen Abstimmungsstand ausgetauscht, sodass der Zeuge S. jederzeit über die eingegangenen Stimmen unterrichtet gewesen sei (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.11.2021, S. 8, Bl. 224 d.A.).

Die Klägerin hielt dem entgegen, dass dem Versammlungsleiter S. die Stimmerklärungen der vier widerrufenden Treugeber erst zugegangen seien, als dieser die Stimmen zur Ermittlung des Abstimmungsergebnisses zur Kenntnis genommen habe. Dies sei erst am 16.12.2019 um 09:45 Uhr und damit nach Ende der Abstimmungsfrist der Fall gewesen (Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.01.2022, S. 5, Bl. 237 d.A.).

Der Senat hat am 06.10.2021 sowie am 26.10.2022 mündlich verhandelt. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 06.10.2021 sowie mit Verfügung vom 21.11.2022 (Bl. 300/301 d.A.) einen Hinweis erteilt. Er hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen S., K., L. und O. Auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 06.10.2021 (Bl. 204/207 d.A.) und 26.10.2022 (Bl. 272/282 d.A.), die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

Beide Parteien haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt (Beklagte mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 22.12.2022, Bl. 309/310 d.A., Klägerin mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 09.01.2023, Bl. 311/312 d.A.).

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, da das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Denn der Beschluss zu TOP 9 ist wirksam.

51

Er wurde mit der notwendigen Dreiviertelmehrheit (I.) der abgegebenen Stimmen gefasst, weil die Treugeberin W., die zunächst mit JA gestimmt hatte, ihre Stimmabgabe nicht mehr nachträglich ändern konnte (II. 1.), die Komplementärin sich hinsichtlich der Stimmen derjenigen Treugeber, die ihr Stimmrecht weder selbst noch durch einen Bevollmächtigten ausübten und auch der Treuhandkommanditistin keine Weisung über dessen Ausübung erteilten, enthalten durfte und die abgegebenen JA-Stimmen auch nicht wegen einer Verletzung der TreuepflichtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Verletzung der Treuepflicht
als Nein-Stimmen hätten gewertet werden müssen (II. 2.). Schließlich ist der Beschluss auch nicht deshalb nichtig, weil die Gesellschafterversammlung der Beklagten gar nicht über eine Veräußerung der Immobilie hätte entscheiden dürfen (III.).

I.

52

Für die Beschlussfassung zu TOP 9 der streitgegenständlichen Tagesordnung war gemäß § 17 Abs. 4 S. 2, 16 lit n GV eine Dreiviertelmehrheit erforderlich. Denn der Beschluss zu TOP 9, mit dem der Verkauf der die „Bahnhofspassagen P.“ bildenden Grundstücke (im Folgenden als „Immobilie“ bezeichnet) erreicht werden soll, betrifft die Ausübung des Stimmrechts in der Objektgesellschaft H.F.S. Immobilienfonds Bahnhofspassagen P. GmbH & Co KG (im Folgenden als Objektgesellschaft bezeichnet) und damit in einer anderen Gesellschaft iSd. § 16 lit n GV. Die Beklagte ist nämlich nicht unmittelbar Eigentümerin der zu verkaufenden Immobilie. Grundstückseigentümerin ist vielmehr (allein) die Objektgesellschaft, an der die Beklagte die Mehrheitsanteile hält. Die Abstimmung in der Objektgesellschaft hat auch – wie von § 16 lit n GV gefordert – ein gemäß § 16 lit a – m GV abstimmungs- bzwzustimmungspflichtiges Rechtsgeschäft zum Gegenstand, da damit über den Verkauf der einzigen Immobilie der Objektgesellschaft beschlossen werden soll. Der Senat hat nämlich bereits in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 18.07.2018 – 7 U 4225/17, Rdnrn 46 ff.) unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH vom 09.01.1995 – II ZR 24/94 (dort Rdnr. 7) ausgeführt, dass, wenn ein Unternehmen sein gesamtes Vermögen veräußert, dies die Einstellung des Geschäftsbetriebes bedeuten und die Gesellschaft damit ihre Eigenschaft als werbendes Unternehmen verlieren kann. So liegt der Fall vorliegend hinsichtlich der Objektgesellschaft. Denn deren Zweck liegt in der Verwaltung des in § 2 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages der Objektgesellschaft laut Anl. A 5 bezeichneten Grundbesitzes und damit der Immobilie. Wird diese veräußert, hat die Objektgesellschaft kein operatives Geschäft mehr, was wiederum zum Wechsel von einer werbenden Tätigkeit zur Abwicklung und damit zu einer faktischen Satzungsänderung dahingehend führt, dass nunmehr Zweck der Objektgesellschaft allein ihre Liquidation ist. Dies bedeutet – wie sich aus §§ 145, 161 Abs. 2 HGB ergibt – aber auch gleichzeitig die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
. Damit ergibt sich auf der Ebene der Objektgesellschaft eine Abstimmungs- und Zustimmungspflicht sowohl aus § 16 lit j GV (Änderung des Gesellschaftsvertrages) als auch aus § 16 lit m GV (Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
).

53

Auf die von den Parteien unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats im Verfahren der einstweiligen Verfügung betreffend einen anderen Fonds (7 W 467/19, Anl. B 7), der darüber hinaus abweichend vom vorliegenden Fall unmittelbarer Eigentümer der Fondsimmobilie war, ventilierte Frage, ob § 13 lit c des dortigen Gesellschaftsvertrages, der im wesentlichen wortgleich mit § 13 lit c des hier streitgegenständlichen Gesellschaftsvertrages war, mehrdeutig iSd. § 305 c Abs. 2 BGB und deshalb unwirksam sei, sodass daraus die Notwendigkeit einer Dreiviertelmehrheit für die Veräußerung der Immobilie nicht hergeleitet werden könne, kommt es daher nicht an. Denn die Notwendigkeit einer 75prozentigen Mehrheit ergibt sich nach den obigen Ausführungen bereits aus § 17 Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 16 lit. j und m GV.

II.

54

Der Beschlussvorschlag zu TOP 9 wurde auch mit mehr als Dreivierteln der abgegebenen Stimmen angenommen. Denn von den abgegeben 191.956 Stimmen entfielen zumindest 143.975 und damit 75,004% auf Ja und höchstens 47.981 Stimmen und damit 24,996% auf Nein. Die 3.923 Stimmenthaltungen waren nicht zu berücksichtigen, da sie gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 GV als nicht abgegeben gelten.

55

1. Die 25 Stimmen der Treugeberin W. waren als JA-Stimmen zu werten. Denn der Widerruf der ursprünglich abgegebenen JA-Stimmen und die spätere Abstimmung mit Nein durch diese Treugeberin ist unbeachtlich. Auf die insgesamt drei Stimmen der Treugeber K. (eine Stimme), N. (eine Stimme) sowie G. und L. (zusammen eine Stimme) kommt es damit entscheidungserheblich nicht mehr an, da bereits mit den 25 JA-Stimmen der Treugeberin W. die erforderliche 75 prozentige Mehrheit erreicht ist (143.975 JA-Stimmen, 47.981 NEIN-Stimmen bei insgesamt abgegebenen 191.956 Stimmen).

56

a. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Stimmabgabe in einer Abstimmung eine Willenserklärung iSd. § 130 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 29.05.1967 – II ZR 105/66, Rdnr. 34 und Beschluss vom 18.09.1975 – II ZB 6/74, Rdnr. 11). Zwar ist streitig, ob bei einer – wie hier – Beschlussfassung im Umlaufverfahren für das Wirksamwerden der Abstimmungserklärung grundsätzlich der Zugang bei allen anderen Adressaten (so bspw. Klimke in BeckOK HGB, 33. Edition, Stand: 15.04.2021, Rdnr. 61 zu § 119 HGB), bei allen Mitstimmenden (so bspw. Roth in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 40. Auflage, München 2021, Rdnr. 26 zu § 119 HGB) oder bei allen berechtigt an der Abstimmung Teilnehmenden (so bspw. Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 4. Auflage, München 2020, Rdnr. 49 zu § 119 HGB) erforderlich ist oder ob bereits der Zugang der Abstimmungserklärung bei einem Mitabstimmenden ausreicht (so bspw. Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage, München 2020, Rdnr. 74 zu § 709 BGB, ders in Staub, HGB, 5. Auflage, Köln 2009, Rdnr. 24 zu § 119 HGB). Jedoch kann dies im streitgegenständlichen Fall offenbleiben, da in § 17 Abs. 8 S. 4 GV stipuliert ist, dass „die Stimmabgabe (…) bei der Gesellschaft eingehen muss“ und diese grundsätzlich auch die Auszählung vornimmt (§ 17 Abs. 8 S. 5 GV), sodass die Abstimmungserklärung gemäß § 130 Abs. 1 BGB mit Zugang bei der Gesellschaft wirksam wird und daher ein Zugang der Abstimmungserklärung bei anderen Gesellschaftern nicht erforderlich ist.

57

b. Da nach § 17 Abs. 8 S. 6 GV ein im schriftlichen Verfahren von den Gesellschaftern gefasster Beschluss am Beginn des ersten Tages wirksam wird, der auf den Ablauf der Abstimmungsfrist folgt, die „Widerrufserklärung“ der Treugeberin W. (und der anderen Widerrufenden) jedoch vor Ablauf der Abstimmungsfrist und damit vor Wirksamwerden des Beschlusses eingingen, kommt es darauf an, ob einmal abgegebene und dem Erklärungsempfänger (hier also nach § 17 Abs. 8 S. 5 GV der Beklagten) zugegangene Stimmen abgeändert werden konnten. Diese Frage ist streitig.

58

aa. Nach einer Ansicht, die sich insoweit auf eine Entscheidung des Reichsgerichts stützt (RG, Urteil vom 04.03.1930 – II 207, 29, RGZ 128, 172 (177) und Urteil vom 13.04.1940 – II 143/39, RGZ 163, 385, 392 f.), sollen Gesellschafterbeschlüsse, die nicht in einem einzigen Akt gefasst werden, nur unter der Voraussetzung wirksam werden, dass bei Zustimmung des letzten Gesellschafters die anderen noch an der Stimmabgabe festhalten. Begründet wird dies u.a. damit, dass die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB nicht für die Teilnahme an einer kollektiven Willensbildung konzipiert sei, die Teilnehmer an einer Abstimmung im Umlaufverfahren nicht schlechter gestellt werden sollten als die Teilnehmer einer Präsenzveranstaltung, wo der Wiedereinsteig in die Debatte auch nach Beginn des Abstimmungsvorgangs häufig vorkomme, und die Mitgesellschafter auch nicht schutzbedürftig seien (vgl. Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 4. Auflage, München 2020, Rdnr. 53 zu § 119 HGB und Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 39. Auflage, München 2020, Rdnr. 26 zu § 119 HGB). Teilweise wird auch angenommen, dass bei einer Beschlussfassung die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB zwar zur Wirksamkeit der Willenserklärung mit Zugang führe, dies jedoch noch nicht notwendigerweise eine Bindung des Abstimmenden bereits zu diesem Zeitpunkt bedeute, wie sich aus der Regelung des § 873 Abs. 2 BGB ergebe (vgl. OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Beschluss vom 08.06.2006 – 4 W 82/06, Rdnr. 10 f. zu einer Beschlussfassung nach § 23 WEG).

59

bb. Die wohl überwiegende Ansicht lehnt dagegen unter Berufung auf die Rechtsnatur der Stimmabgabe als Willenserklärung iSd. § 130 Abs. 1 BGB eine freie Widerrufbarkeit einer einmal abgegebenen Stimme ab, wobei unter den Vertretern dieser Meinung streitig ist, ob eine Widerrufbarkeit in jedem Fall ausgeschlossen sein oder aber eine Änderung des Stimmverhaltens bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Hinblick auf die Treuepflichten sowohl des änderungswilligen Gesellschafters als auch der übrigen Gesellschafter zulässig sein soll (für einen Ausschluss des Widerrufs nach Zugang bei einer GmbH bspw. Liebscher in Münchener Kommentar GmbHG, 3. Auflage, München 2019, Rdnr. 168 zu § 48 GmbHG, Ganzer in Rowedder/Pentz, GmbH-Gesetz, 7. Auflage, München 2022, Rdnr. 23 zu § 48 GmbHG und Drescher in Münchener Kommentar GmbHG, 3. Auflage, München 2019, Rdnr. 36 zu § 47 GmbHG; für eine Widerrufbarkeit bei Vorliegen eines wichtigen Grundes bspw. Lieder in Oetker, Handelsgesetzbuch, 7. Auflage, München 2021, Rdnr. 14 zu § 119 HGB, Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, HGB, 9. Auflage, München 2019, Rdnr. 13 zu § 119 HGB, Schäfer in: Staub, HGB, 5. Auflage, Köln 2009, Rdnr. 27 zu § 119 HGB, Enzinger in Münchener Kommentar zum HGB, 5. Auflage, München 2022, Rdnr. 15 zu § 119 HGB; wohl ebenso für eine Abstimmung bei einer GmbH OLG Jena, Beschluss vom 09.01.2006 – 6 U 569/05, Rdnr. 7).

60

cc. Der BGH hat in seinem Urteil vom 19.02.1990 (II ZR 42/89) ausdrücklich offengelassen, ob er der Ansicht des Reichsgerichts zur freien Widerrufbarkeit einer Stimmerklärung folgt, da es in dem von ihm entschiedenen Fall darauf nicht ankam. Denn der BGH bejahte dort aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles einen Bindungswillen der Gesellschafter an die einmal abgegebene Stimme (BGH, Urteil vom 19.02.1990 – II ZR 42/89, Rdnr. 20).

61

In einer späteren Entscheidung zu einer Präsenzabstimmung in einer Wohnungseigentümerversammlung hat der BGH dagegen entschieden, dass eine Stimmabgabe nach ihrem Zugang beim Versammlungsleiter nicht mehr widerrufen werden könne. Hierfür spreche die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB, die auf die Stimmabgabe als unter Anwesenden abgegebene empfangsbedürftige Willenserklärung sinngemäß Anwendung finde. Demnach werde eine Willenserklärung mit ihrem Zugang wirksam und binde den Erklärenden, weshalb ein Widerruf der Erklärung nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB ab diesem Zeitpunkt ausscheide (BGH, Urteil vom 13.07.2012 – V ZR 254/11, Rdnr. 8).

62

dd. Der Senat folgt diesen Ausführungen des BGH in dessen Urteil vom 13.07.2012 und verneint deshalb eine freie Widerrufbarkeit einer einmal abgegebenen und dem Erklärungsempfänger zugegangenen Stimme, unabhängig davon ob ein wichtiger Grund für die Änderung des Abstimmungsverhaltens vorliegt, da es sich bei der Stimmabgabe um eine Willenserklärung iSd. § 130 Abs. 1 BGB handelt und deren Widerruf nach Zugang beim Erklärungsempfänger gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB grundsätzlich nicht möglich ist. Dass die Abstimmung im Fall des BGH V ZR 254/11 in Präsenz der Wohnungseigentümer erfolgte und nicht – wie streitgegenständlich – im Umlaufverfahren, macht nur insoweit einen Unterschied, als die Regelung des § 130 Abs. 1 BGB nun nicht mehr – wie im Fall des BGH – nur entsprechend, sondern, da die Willenserklärung gegenüber Abwesenden abgegeben wurde, unmittelbar Anwendung findet. Auch dass der BGH nicht zur Abstimmung in einer Gesellschafterversammlung, sondern in einer Wohnungseigentümerversammlung i.S.d. § 23 WEG entschied, ändert an der Anwendbarkeit seiner Entscheidungsgrundsätze auf den streitgegenständlichen Gesellschafterbeschluss nichts. Denn die inmitten stehende Frage der Anwendbarkeit des § 130 Abs. 1 BGB auf eine Stimmabgabe ist, da es diesbezüglich keine Spezialregelungen im WEG und/oder im Gesellschaftsrecht gibt, unabhängig davon, ob die Stimme in einer Wohnungseigentümerversammlung oder in einer Gesellschafterversammlung abgegeben wird.

63

Demnach ist auch die von der Klägerin in Bezug genommene abweichende Entscheidung des OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Celle
vom 08.06.2006 – 4 W 82/06 durch die BGH-Rechtsprechung überholt.

64

Der Senat sieht auch keine Notwendigkeit für eine Widerrufbarkeit der Stimmabgabe nach Zugang bei Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Stimmänderung. Den Interessen der einzelnen Gesellschafter ist durch die Möglichkeit der Anfechtbarkeit ihrer Stimme unter den Voraussetzungen der §§ 116 ff. BGB hinreichend Genüge getan. Sollte sich die Tatsachengrundlage nach Abgabe der Stimme geändert haben, bleibt es den Gesellschaftern unbenommen, den gefassten Beschluss abzuändern (vgl. insoweit Drescher in Münchener Kommentar GmbHG, 3. Auflage, München 2019, Rdnr. 36 zu § 47 GmbHG)

65

Entgegen der Ansicht der Klägerin kann auch aus dem Urteil des BGH vom 06.07.2018 – V ZR 221/17 nicht abgeleitet werden, dass der BGH für eine Abstimmung im Umlaufverfahren nicht mehr an den von ihm im Urteil vom 13.07.2012 entwickelten Grundsätzen zur Anwendbarkeit des § 130 Abs. 1 BGB auf Stimmerklärungen festhalten wolle. Denn in dem Urteil wird ausdrücklich ausgeführt, dass die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Stimmverhalten eines Abstimmenden geändert werden könne, keiner Entscheidung bedürfe (BGH, Urteil vom 06.07.2018 – V ZR 221/17, Rdnr. 15).

66

Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt auch nicht aus den Vorschriften der §§ 873 Abs. 2, 929 BGB, dass im streitgegenständlichen Fall die sich aus § 130 Abs. 1 BGB ergebende Bindungswirkung einmal abgegebener Stimmen nach deren Zugang beim Empfänger ausnahmsweise nicht gelten solle. Zwar war Gegenstand der Beschlussfassung und damit der abgegebenen Willenserklärungen der Gesellschafter die Zustimmung zum Verkauf der von der Objektgesellschaft gehaltenen Immobilie „Bahnhofspassagen P.“ und damit zumindest wirtschaftlich betrachtet ein Grundstücksgeschäft. Die Willenserklärungen beinhalteten aber nicht – wie von § 873 Abs. 2 BGB vorausgesetzt – die gegenüber einem Erwerber zu erklärende dingliche Einigung zur Übertragung des Eigentums an dem Grundstück, auf dem sich die „Bahnhofspassagen P.“ befinden, auf den Erwerber. Vielmehr war durch den Gesellschafterbeschluss nur darüber zu entscheiden, wie die Beklagte ihre Stimmrechte in der Objektgesellschaft hinsichtlich der dort zu treffenden Entscheidung über die Veräußerung der „Bahnhofspassagen P.“ auszuüben hat. Da es sich bei §§ 873 Abs. 2, 929 BGB um eine Ausnahmeregelung zu § 130 Abs. 1 BGB handelt, ist diese eng auszulegen und ist ihr Anwendungsbereich nicht auf andere Rechtsgeschäfte auszudehnen. Sie gilt auch nur für das dingliche Vollzugsgeschäft, nicht aber für die zu Grunde liegende schuldrechtliche Verpflichtung (vgl. Herrler in Grüneberg, BGB, 82. Auflage, München 2023, Rdnr. 15 zu § 873 BGB und BGH, Urteil vom 12.10.1979 – V ZR 6 /78, Rdnr. 12 zu § 875 Abs. 2 BGB), wobei es streitgegenständlich auch noch nicht einmal unmittelbar um den Abschluss des Kaufvertrags und damit des Verpflichtungsgeschäfts ging.

67

Entscheidend ist daher nach alledem, ob die ursprünglich abgegebenen Ja-Stimmen der Beklagten als Erklärungsempfängerin bereits zugegangen waren, als die in Nein geänderten Stimmen der Beklagten zugingen.

68

c. Der Zugang einer Abstimmungserklärung bei der Beklagten iSd. § 17 Abs. 8 S. 4 GV ist erfolgt, wenn die Stimmerklärung dem Versammlungsleiter zugeht, der die Gesellschaft in der Gesellschafterversammlung vertritt (vgl. insoweit zur GmbH Drescher in Münchener Kommentar GmbHG, 3. Auflage, München 2019, Rdnr. 35 zu § 47 GmbHG). Auf die Frage, ob, wann und unter welchen Voraussetzungen die geschäftsführenden Gesellschafter der Beklagten, d.h. die H.F.S. Immobilienfonds Deutschland 10 Komplementär GmbH und die W.C. R. E. M. GmbH, bzw. deren Organmitglieder die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Stimmerklärungen hatten, kommt es daher für den Zugang bei der Beklagten ebenso wenig an, wie auf die Kenntnismöglichkeit der Organmitglieder der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH.

69

Da nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien Versammlungsleiter i.S.d. § 18 Abs. 1 GV der Zeuge M. S. war (vgl. im Übrigen insoweit auch die Feststellung in Abschnitt B Nr. 2 S. 2 der „Niederschrift im Rahmen eines schriftlichen Abstimmungsverfahrens der H.F.S. I. D. 10 GmbH & Co KG“ des Notars Dr. G. laut Anl. BB 5), ist allein darauf abzustellen, wann die Abstimmungserklärungen dem Zeugen S. zugingen.

70

Zugegangen ist eine Willenserklärung, die – wie vorliegend – unter Abwesenden abgegeben wird, in dem Moment, in dem sie so in den Bereich des Empfängers, das heißt des Zeugen S., gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (st. Rspr., vgl. statt aller BGH, Beschluss vom 21.06.2011 – II ZB 15/10, Rdnr. 15). Entgegen der Ansicht der Klägerin (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.02.2022, S. 5, Bl. 237 d.A.) reicht damit für einen Zugang beim Zeugen S. auch bereits die bloße Möglichkeit zur Kenntnisnahme aus, eine tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich. Insoweit kann sich die Klägerin auch nicht auf die Entscheidung des BGH vom 13.07.2012 (V ZR 254/11) berufen. Denn dieser hatte nur bei einer Stimmabgabe unter Anwesenden ohne Verwendung von Stimmzetteln auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Versammlungsleiter abgestellt. Im Falle einer in Form von Stimmzetteln verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden nahm der BGH dagegen einen Zugang i.S.d. § 130 BGB an, nachdem die Stimmzettel durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Versammlungsleiters als Empfänger gelangt waren. Auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Versammlungsleiter (in Form des Verlesens der Stimmzettel und der Eintragung des Stimmergebnisses in eine Excel-Tabelle) sollte es dabei gerade nicht ankommen (BGH, Urteil vom 13.07.2012 – V ZR 254/11, Rdnr. 5).

71

In die tatsächliche Verfügungsgewalt (vgl. BGH, Urteil vom 27.01.1965 – VIII ZR 11/63, Rdnr. 16) des Erklärungsempfängers und damit in seinen Bereich gelangt eine Willenserklärung in dem Moment, in dem sie die Empfangseinrichtung des Erklärungsempfängers erreicht. Empfangseinrichtung des Zeugen S. als Empfänger der Stimmerklärungen war dabei – je nachdem, ob die Stimmerklärung des Treugebers per Brief oder Fax abgegeben wurde – der Briefkasten oder das Faxgerät der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH, da – wie sich aus der Rücksendeadresse auf den Stimmzetteln laut Anl. A 7 ergibt – die von den Treugebern ausgefüllten Stimmzettel an die W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH per Brief oder Fax zurückgesandt werden mussten. Ob und in welcher Form die W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH von der Beklagten oder deren geschäftsführenden Gesellschaftern oder vom Zeugen S. im Innenverhältnis mit der Durchführung der Abstimmung beauftragt war (vgl. das diesbezügliche Bestreiten im Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.01.2022, S. 7, Bl. 239 d.A.), ist insoweit unerheblich. Damit gelangten die Stimmerklärungen in den Bereich des Zeugen S. als Versammlungsleiter in dem Moment, in dem sie den Briefkasten oder das Faxgerät der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH erreichten.

72

Dass die Stimmerklärungen mit dem Eingang bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH auch in den Bereich des Zeugen S. gelangten, ergibt sich im Übrigen auch aus den Feststellungen des Notars Dr. G., wonach „sich sämtliche Stimmzettel ab dem Zeitpunkt des Eingangs bei der KVG zugleich im Zugriffs- und Herrschaftsbereich der geschäftsführenden Kommanditistin“ befanden (vgl. Abschnitt B Nr. 5 der „Niederschrift im Rahmen eines schriftlichen Abstimmungsverfahrens der H.F.S. I. D. 10 GmbH & Co KG“ des Notars Dr. G. laut Anl. BB 5). Denn geschäftsführende Kommanditistin i.S.d. Feststellungen ist die W.C. R.E. M. GmbH, deren Geschäftsführer im Abstimmungszeitraum wiederum der Zeuge S. war. Aus dieser Geschäftsführerstellung ergibt sich die tatsächliche Verfügungsgewalt des Zeugen S. über die eingegangenen Stimmzettel, auch soweit er im Rahmen des streitgegenständlichen Abstimmungsverfahrens als Versammlungsleiter tätig wurde.

73

d. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass unter normalen Verhältnissen, das heißt nach dem üblichen Gang der Dinge, der Zeuge S. als Versammlungsleiter frühestens am Tag des Eingangs, spätestens aber drei (Bank) Arbeitstage nach Eingang der Stimmerklärungen bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH die Möglichkeit hatte, vom Inhalt dieser Stimmerklärungen Kenntnis zu nehmen. Hinsichtlich von Erklärungen, mit denen bereits abgegebene Stimmerklärungen widerrufen werden sollten, geht der Senat nach Durchführung der Beweiserhebung davon aus, dass der Zugang beim Versammlungsleiter durch die Beklagte treuwidrig vereitelt wurde.

74

aa. Aufgrund der Aussagen der Zeugen L. (vgl. S. 6 drittletzter und vorletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 277 d.A.) und O. (vgl. S. 8 Mitte des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 279 d.A.) sowie aufgrund der Feststellungen des Notars Dr. G. in seiner Niederschrift über das Abstimmungsverfahren (dort Abschnitt B Nr. 4) laut Anl. BB 5 steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH eingegangenen Stimmerklärungen von den Mitarbeitern des Zeugen O. an Bankarbeitstagen taggenau, zum Teil auch mehrmals täglich erfasst, ausgewertet und in eine Excel-Datei eingepflegt wurden und der Zeuge S. einen Lesezugriff auf diese Excel-Datei hatte. Gleichzeitig steht aufgrund der Aussage dieser Zeugen sowie der Feststellungen des Notars Dr. G. in dessen Niederschrift laut Anl. BB 5 fest, dass die bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH eingegangenen Stimmerklärungen (sei es per Post oder per Fax) papierhaft in Ordnern abgeheftet wurden, in die der Zeuge S. jederzeit hätte Einsicht nehmen können (vgl. die Aussage des Zeugen L., S. 6 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 277 d.A.). Schließlich hat die Beweisaufnahme ergeben, dass der Zeuge L. den Zeugen S. jeden zweiten oder zumindest dritten (Bank) Arbeitstag telefonisch oder im direkten Gespräch über den jeweiligen Stand des Abstimmungsverfahrens informierte und während des laufenden Abstimmungsverfahrens fünf bis sieben Emails mit dem jeweiligen Abstimmungsstand an ihn sandte (vgl. die Aussage des Zeugen L., S. 6 letzter Absatz und S. 7 zweiter und dritter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 277 und 278 d.A. sowie des Zeugen S., S. 3 vorletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 274).

75

Aufgrund der Aussage des Zeugen O. steht darüber hinaus zur Überzeugung des Senats fest, dass, sollte ein Anleger bereits seine Stimmerklärung abgegeben haben und er zu einem späteren Zeitpunkt diese widerrufen, dieser Widerruf in der Excel-Datei nicht erfasst wurde (vgl. S. 8 letzter Absatz und 9 erster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 279 und 280 d.A.).

76

An der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen L., O. und S. hat der Senat keine Zweifel, da deren Aussagen widerspruchsfrei und in sich schlüssig waren und sich insbesondere mit den Feststellungen des Notars Dr. G. laut Anl. BB 5 deckten, dessen Unabhängigkeit außer Zweifel steht. Auch die Glaubwürdigkeit der Zeugen steht außer Frage. Allein die Tatsache, dass die Zeugen L. und O. Angestellte der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH sind und deshalb aus dem Lager der Beklagten stammen, ändert an ihrer Glaubwürdigkeit nichts. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass Arbeitnehmer grundsätzlich zu Gunsten ihres Arbeitgebers aussagen und dabei gegebenenfalls auch lügen würden. Auch der von beiden Zeugen angegebene telefonische Kontakt mit dem Beklagtenvertreter vor ihrer Vernehmung als Zeugen vor dem Senat beeinträchtigt ihre Glaubwürdigkeit nicht. Denn ein solches Telefonat ist rechtlich zulässig. In Bezug auf den telefonischen Kontakt mit dem Zeugen L. sollte dieser nach der Erklärung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022 dazu dienen festzustellen, ob die Zeugen überhaupt im streitgegenständlichen Fall relevante Wahrnehmungen gemacht haben und deshalb sinnvollerweise von der Beklagten als Zeugen benannt werden sollen. Hinsichtlich des Zeugen O., der von der Klägerseite angeboten wurde, hat der Zeuge O. ausgesagt, dass über den Aussageinhalt nicht gesprochen worden sei, sondern der Beklagtenvertreter den Zeugen O. vielmehr nur über den Ablauf einer Zeugenvernehmung informierte. Der Zeuge S., der nicht mehr für die W.C.-Gruppe arbeitet und in niemandes Lager steht, hat auch Erinnerungslücken freimütig eingeräumt. Letztendlich hat auch die Klägerseite weder die Glaubhaftigkeit der Aussagen noch die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Zweifel gezogen (vgl. den Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.11.2022, Bl. 288/299, mit dem zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen wurde).

77

bb. Die demnach erfolgte taggenaue Erfassung der bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH eingegangenen Stimmerklärungen und deren Erfassung in einer dem Zeugen S. als Versammlungsleiter jederzeit zugänglichen Excel-Datei reicht nicht aus, damit unter normalen Verhältnisses der Zeuge S. auch am Ende eines jeden (Bank) Arbeitstages die Möglichkeit hatte, von den bis dahin eingegangene Stimmerklärungen Kenntnis zu nehmen. Denn der Zeuge S. konnte sich bei seiner Vernehmung durch den Senat nicht daran erinnern, dass er die ihm eröffnete Möglichkeit des jederzeitigen Zugriffs auf die Excel-Datei auch genutzt hätte (vgl. S. 3 letzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 274 d.A.).

78

Auch die für den Zeugen S. bestehende Möglichkeit der jederzeitigen Einsichtnahme in die durch die Mitarbeiter des Zeugen O. papierhaft abgehefteten Stimmerklärungen führt nicht dazu, dass der Zeuge S. am Ende eines jeden Bankarbeitstages unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit gehabt hätte, von den eingegangenen Stimmerklärungen Kenntnis zu nehmen. Nach der glaubhaften Aussage des glaubwürdigen Zeugen S. hat er sich nämlich überhaupt keine Stimmzettel angeschaut (vgl. S. 4, vorletzter Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 275 d.A.). Wenn der Zeuge S. aber während des Abstimmungsverfahrens weder die Excel-Datei nutzte noch Einsicht in die papierhaften Unterlagen nahm, bestand nach den normalen Verhältnissen, auf die im Rahmen des Zugangs nach der Rechtsprechung des BGH ausschließlich abzustellen ist und unter denen eine Kenntnisnahme des Zeugen S. mittels Zugriff auf die Excel-Datei oder Einsicht in die papierhaften Unterlagen gerade nicht erfolgte, keine Möglichkeit für den Zeugen S., am Ende eines jeden (Bank) Arbeitstages Kenntnis von den eingegangenen Stimmerklärungen Kenntnis zu nehmen.

79

Unter normalen Verhältnissen bestand allerdings die Möglichkeit der Kenntnisnahme der bis dahin jeweils abgegebenen Stimmerklärungen durch den Zeugen S. alle zwei bis drei (Bank) Arbeitstage, da der Zeuge L. den Zeugen S. alle zwei bis drei (Bank) Arbeitstage telefonisch oder im direkten Gespräch über den Stand der Abstimmung informierte. Damit erfolgte, je nachdem, wann vor dem Eingang der jeweiligen Stimmerklärung die letzte mündliche Unterrichtung des Zeugen S. durch den Zeugen L. über den Abstimmungsstand stattfand, der Zugang der Stimmerklärungen beim Zeugen S. frühestens am Eingangstag, spätestens aber am dritten (Bank) Arbeitstag nach dem Eingang der Stimmerklärungen bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH und nicht – wie von der Klägerin behauptet (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.01.2022, S. 10, Bl. 242 d.A.) – erst am 12.12.2019 (Ende der Abstimmungsfrist) oder gar erst am 16.12.2019.

80

cc. Erklärungen von Treugebern, mit denen eine bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgegebene und in der Datei erfasste Stimmerklärung widerrufen werden soll, wurden überhaupt nicht in der Excel-Datei erfasst (vgl. S. 8 letzter Absatz und S. 9 erster Absatz des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 279 und 280 d.A.), sodass nach dem normalen Lauf der Dinge der Zeuge S. auch keine Möglichkeit hatte, von der Widerrufserklärung der Treugeberin W. Kenntnis zu erlangen.

81

Da diese Nichtbeachtung von Widerrufserklärungen eine grundlose Verhinderung des Zugangs beim Versammlungsleiter S. darstellt, muss sich die Beklagte nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als wäre die Widerrufserklärung zugegangen (vgl. BGH, Urteil vom 11.07.2007 – XII ZR 164/03, Rdnrn 21 f), d.h. ordnungsgemäß erfasst und im weiteren Geschäftsgang wie eine Stimmerklärung behandelt worden. Für die Frage, wann unter normalen Verhältnissen der Zeuge S. als Versammlungsleiter die Möglichkeit der Kenntnisnahme einer Widerrufserklärung hatte, sind daher die gleichen Grundsätze anzuwenden wie bei erstmaligen Stimmerklärungen.

82

e. Da die Klägerin sich auf die Mangelhaftigkeit des Gesellschafterbeschlusses und darüber hinaus auf eine Widerrufserklärung beruft, trägt sie die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Widerrufserklärung der Treugeberin W. vom 20.11.2019 bei der Stimmauszählung als NEIN-Stimme hätte berücksichtigt werden müssen. Da dies nach der vom Senat vertretenen Rechtsansicht gemäß § 130 Abs. 1 BGB nur dann der Fall ist, wenn die Widerrufserklärung vom 20.11.2019 vor oder gleichzeitig mit der ursprünglichen Stimmerklärung vom 15.11.2019 dem Zeugen S. zuging, muss die Klägerin darlegen und beweisen, dass dem so war. Da der Zeuge L. nur einen Zeitrahmen für die mündlichen Unterrichtungen des Zeugen S. angab (alle zwei bis drei (Bank) Arbeitstage), erachtet der Senat nur die jeweils für die Klägerin am ungünstigsten sich auswirkende Konstellation als erwiesen und legt diese seiner Entscheidung zu Grunde.

83

f. Demnach konnte die Klägerin (nur) beweisen, dass die Stimmerklärung der Treugeberin W. dem Zeugen S. am 15.11.2019 (aa.) und die Widerrufserklärung der Treugeberin W. am 22.11.2019 zuging (bb.).

84

aa. Die ursprünglich „unter dem 15.11.2019“ abgegebene Stimmerklärung der Treugeberin W. laut Anl. A 14 ging bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH unstreitig am 15.11.2019 ein, sodass, je nachdem, wann die letzte mündliche Unterrichtung des Zeugen S. durch den Zeugen L. über den Abstimmungsstand erfolgte, die Stimmerklärung dem Zeugen S. im Zeitraum vom 15. bis 20.11.2019 zuging. Erfolgte nämlich die mündliche Unterrichtung des Zeugen S. durch den Zeugen L. am 15.11.2019 nach Erfassung aller am 15.11.2019 eingegangenen Stimmerklärungen, so ging die Stimmerklärung der Treugeberin W. dem Zeugen S. mit der mündlichen Unterrichtung noch am 15.11.2019 (Freitag) zu. Fand die letzte mündliche Unterrichtung des Zeugen S. dagegen am 15.11.2019 noch vor Erfassung der Stimmerklärung der Treugeberin W. statt, so stand die nächste Unterrichtung erst zwei bis drei Bankarbeitstage später und damit erst am 19. oder 20.11.2019 an.

85

Der aus Beweislastgründen (dazu vgl. oben unter e) maßgebende Zeitpunkt für den Zugang der Stimmerklärung vom 15.11.2019 beim Zeugen S. ist damit der 15.11.2019.

86

bb. Die Widerrufserklärung der Anlegerin W. vom 20.11.2019 laut Anl. A 14 ging bei der W.C. Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH unstreitig noch am selben Tag ein. Aufgrund der Zugangsvereitelung durch die Beklagte (vgl. oben unter d cc) ist nach Treu und Glaube von einem fiktiven Zugangszeitpunkt auszugehen, der sich danach bemisst, wann die Widerrufserklärung – wäre sie ordnungsgemäß erfasst und in den Geschäftsgang gegeben worden – dem Versammlungsleiter zugegangen wäre. Damit bestimmt sich der Zugangszeitpunkt nach den gleichen Grundsätzen wie bei erstmaligen Stimmerklärungen. Dies bedeutet, dass je nachdem, wann die letzte mündliche Unterrichtung des Zeugen S. durch den Zeugen L. über den Abstimmungsstand erfolgte, die Widerrufserklärung dem Zeugen S. im Zeitraum vom 20. bis 25.11.2019 zugegangen wäre. Erfolgte nämlich die mündliche Unterrichtung des Zeugen S. durch den Zeugen L. am 20.11.2019 nach Erfassung aller am 20.11.2019 eingegangenen Stimm- und (unterstellt) Widerrufserklärungen, so wäre die Widerrufserklärung der Treugeberin W. dem Zeugen S. mit der mündlichen Unterrichtung noch am 20.11.2019 (Mittwoch) zugegangen. Fand die letzte mündliche Unterrichtung des Zeugen S. dagegen am 20.11.2019 noch vor Erfassung der Widerrufserklärung der Treugeberin W. statt, so stand die nächste Unterrichtung erst zwei bis drei Bankarbeitstage später und damit nicht vor dem 22.11.2019 (Freitag), möglicherweise auch erst am 25.11.2019 (Montag) an.

87

Da der Zeuge L. den Zeugen S. aber unabhängig von mündlichen Unterrichtungen am 22.11.2019, 14:03 Uhr per Email (Anl. BB 7) über den Zwischenstand informierte, war spätester (fiktiver) Zugangszeitpunkt der Widerrufserklärung der 22.11.2019.

88

Der aus Beweislastgründen (dazu vgl. oben unter e) zu Grunde zu legende späteste Zeitpunkt des Zugangs der Widerrufserklärung beim Zeugen S. (dazu s. o.) war damit der 22.11.2019. Letztendlich kommt es bezüglich der Widerrufserklärung der Treugeberin W. aber auf den genauen Zugangszeitpunkt beim Zeugen S. gar nicht an. Denn selbst wenn von einem Zugang der Widerrufserklärung unmittelbar nach dem Eingang der Widerrufserklärung bei der Beklagten am 20.11.2019 ausgegangen werden sollte, wäre dies immer noch nach dem zu unterstellenden Zugang der Stimmerklärung vom 15.11.2019 beim Zeugen S. und damit nicht mehr rechtzeitig iSd. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB.

89

Da nach alledem die Widerrufserklärung der Treugeberin W. dem Zeugen S. erst mehrere Tage nach dem Zugang der Stimmerklärung am 15.11.2019 zuging, konnte die Treugeberin W. ihre Stimmerklärung nicht mehr wirksam widerrufen und waren die Stimmen der Treugeberin W. als JA-Stimmen zu werten.

90

g. Der von der Klägerin zum Beweis ihrer Behauptungen, „die Übernahme des Versammlungsleiters beschränk(e) sich im wesentlichen auf die Leistung von Unterschriften in hierfür von spezialiserten Fachabteilungen vorbereiteten Schriftmappen“ und „(d) ie Vorbereitung der Unterlagen erfolg(e) regelmäßig in Fachabteilungen, die räumlich auch über Stockwerke getrennt untergebracht“ seien (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 11.01.2022, S. 4 zweiter Absatz, Bl. 236 d.A.), benannte Zeuge K. war nicht zu vernehmen, da es nicht darauf ankommt, wie in der Vergangenheit Abstimmung- und Auszählungsvorgänge bei der W.C.-Gruppe abliefen, sondern nur darauf, wie die streitgegenständliche Abstimmung durchgeführt wurde, und der diesbezügliche Sachvortrag deshalb als wahr unterstellt werden kann.

91

Da die Beklagte auf die Vernehmung des von ihr benannten Zeugen K. verzichtete (vgl. S. 10 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26.10.2022, Bl. 281 d.A.), war auch dieser nicht zu vernehmen. Schließlich war auch der Zeuge S. nicht nochmals zu vernehmen (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 20.12.2022, Bl. 303 d.A.).

92

Auf die insgesamt drei Stimmen der drei übrigen widerrufenden Treugeber K., N. und G./L. kommt es nicht mehr an, da ihr Stimmverhalten keinen Einfluss auf das Erreichen oder Verfehlen der Dreiviertelmehrheit hat, da diese bereits mit den 25 Ja-Stimmen der Treugeberin W. erreicht war.

93

2. Wie das Landgericht richtig ausgeführt hat (LGU S. 8 – 10), gebot es auch die den Gesellschaftern obliegende Treuepflicht nicht, hinsichtlich TOP 9 mit Nein zu stimmen, sodass die abgegebenen JA-Stimmen als solche zu werten waren. Da die eingehenden Ausführungen des Landgerichts zur Treuepflicht der Gesellschafter und dazu, warum diese Pflicht durch eine Zustimmung zu TOP 9 nicht verletzt ist, in jeder Hinsicht zutreffend sind und die Klägerin in ihrer Berufung die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts auch gar nicht mehr angreift, kann insoweit vollumfänglich auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen werden.

94

Mangels einer Verletzung der TreuepflichtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Treuepflicht
Verletzung der Treuepflicht
war die Komplementärin auch nicht gemäß § 5 Abs. 3 S. 3 2. Hs GV verpflichtet, mit den Stimmen derjenigen Treugeber, die ihr Stimmrecht weder selbst noch durch einen Bevollmächtigten ausübten und auch der Treuhandkommanditistin keine Weisung über dessen Ausübung erteilten, zu TOP 9 mit NEIN zu stimmen, sondern konnte sich mit den Stimmen dieser Treugeber enthalten.

III.

95

In jeder Hinsicht richtig ist auch die Annahme des Landgerichts, dass der Beschluss zu TOP 9 nicht deshalb anfechtbar oder gar nichtig ist, weil nach dem Wortlaut des Beschlusses über die Zustimmung zum Verkauf der Immobilie „Bahnhofspassagen Potsdam“ entschieden wurde und nicht ausdrücklich lediglich über das Stimmverhalten der Vertreter der Beklagten in der Gesellschafterversammlung der Objektgesellschaft (LGU S. 6 und 7). Auch diesbezüglich kann deshalb vollumfänglich auf die Ausführungen des Landgerichts im angegriffenen Urteil verwiesen werden, zumal auch insoweit die Berufung keine Rüge erhebt.

96

Nach alledem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, da der Beschluss der Gesellschafterversammlung zu TOP 9 weder anfechtbar noch nichtig ist.

C.

I.

97

Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, da die Klägerin mit ihrem Rechtsmittel zur Gänze unterlag.

II.

98

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

99

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe nicht vorliegen. Die Entscheidungen des Reichsgerichts vom 04.03.1930 – II 207, 29, RGZ 128, 172, 177 und vom 13.04.1940 – II 143/39, RGZ 163, 385, 392 f. sind durch die Entscheidung des BGH vom 13.07.2012 – V ZR 254/11 überholt. Gleiches gilt für die Entscheidung des OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Celle
vom 08.06.2006 – 4 W 82/06. Aufgrund der Entscheidung des OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Celle
wäre aber unabhängig davon schon allein deshalb die Revision nicht zuzulassen gewesen, da es sich bei den Ausführungen des OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Celle
zur Widerrufbarkeit einer abgegebenen Stimme nur um eine Hilfserwägung handelt, auf die der Beschluss nicht tragend gestützt wird (vgl. OLG, aaO, Rdnr. 7).

Löffler I www.K1.de I Gesellschaftsrecht I Gesellschafterversammlung I M&A I Unternehmenskauf I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

Schlagworte: Allgemeines zu Beschlussmängelstreitigkeiten, Beschlussmängel, Beschlussmängelklage, Beschlussmängelstreit, Beschlussmängelstreitigkeit, Beschlussmängelstreitigkeiten, Gesellschafterstreit, Gesellschafterstreitigkeiten, Gesellschafterversammlung, Treuhand, Treuhandkommanditist, Treuhandverhältnis

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OLG München, Endurteil vom 22. März 2023 – 7 U 1995/21

Mittwoch, 22. März 2023

fehlerhafter VersammlungsortBitte wählen Sie ein Schlagwort:
fehlerhafter Versammlungsort
Versammlungsort

§ 121 Abs 5 S 1 AktG, § 243 Abs 4 AktG, § 48 Abs 2 GmbHG, § 2 GesRuaCOVBekG

analog § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG sollen Gesellschafterversammlungen am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
stattfinden. Von der Sollbestimmung darf abgewichen werden, wenn am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
kein geeignetes Versammlungslokal vorhanden ist oder die Verkehrsverbindung dorthin gestört ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob mit den Räumlichkeiten der Gesellschaft oder in etwaig anzumietenden Räumlichkeiten eines Hotels eine auch unter Coronabedingungen geeignete Lokalität zur Verfügung stand und ob deren Nutzung für eine Gesellschafterversammlung nach den geltenden bayerischen Schutzvorschriften zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie zulässig war, sofern der Gesetzgeber sowohl zum Zeitpunkt der Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
als auch im Zeitpunkt der Durchführung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Durchführung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
im Hinblick auf die Pandemielage eine Regelung getroffen hatte, wie Gesellschafterbeschlüsse bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung trotz der getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gefasst werden können.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26.03.2021, Az. 10 HK O 5766/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das in Ziff. 1 genannte Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von auf einer Gesellschafterversammlung der Beklagten am 27.04.2020 gefassten Beschlüssen (in der Berufung mit Ausnahme des Beschlusses unter Top 9 über die Ausschließung des Klägers aus der Gesellschaft).Randnummer2

Der Kläger und Frau C. P. waren im Zeitpunkt der Gesellschafterversammlung (und sind immer noch) Gesellschafter der Beklagten zu 1/2. Der Kläger war jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Gesellschafterversammlung Geschäftsführer der Beklagten; seit 23.07.2019 ist Frau A. R. weitere Geschäftsführerin der Beklagten. Beide Geschäftsführer haben im Außenverhältnis Einzelvertretungsbefugnis.Randnummer3

Die Satzung der Beklagten (in ihrer Fassung ab 2016) statuiert M. als Sitz der Beklagten (§ 2 der Satzung, Anlage A3) und enthält zu Gesellschafterversammlungen in §§ 10f. folgende Regelungen:Randnummer4

„§ 10
GesellschafterversammlungenRandnummer5

1. …Randnummer6

2. Die Einberufung erfolgt durch eingeschriebenen Brief an jeden Gesellschafter unter Angabe von Ort, Tag, Zeit und Tagesordnung mit einer Frist von vier Wochen bei ordentlichen Gesellschafterversammlungen und von mindestens zwei Wochen bei außerordentlichen Gesellschafterversammlungen. Der Lauf der Frist beginnt mit dem der Aufgabe zur Post folgenden Tag. Der Tag der Versammlung wird bei der Berechnung der Frist nicht mitgezählt.Randnummer7

3. Eine Gesellschafterversammlung ist nur beschlußfähig, wenn mindestens 50% des Stammkapitals vertreten sind. Sind weniger als 50% des Stammkapitals vertreten, ist unter Beachtung von Abs. 2 unverzüglich eine neue Gesellschafterversammlung mit Tagesordnung einzuberufen. Diese ist ohne Rücksicht auf das vertretene Stammkapital beschlussfähig, falls hierauf in der Einberufung hingewiesen wird.Randnummer8

4. Sind sämtliche Gesellschafter anwesend oder vertreten und mit der Beschlußfassung einverstanden, so können Beschlüsse auch dann gefaßt werden, wenn die für die Einberufung und Ankündigung geltenden gesetzlichen oder gesellschaftsvertraglichen Vorschriften nicht eingehalten worden sind.Randnummer9

§ 11
GesellschafterbeschlüsseRandnummer10

1. Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen gefasst. Außerhalb von Versammlungen können sie, soweit nicht zwingendes Recht eine andere Form vorschreibt, durch schriftliche, fernmündliche, telegrafische oder mündliche, auch fernmündliche Abstimmung gefaßt werden, wenn sich jeder Gesellschafter an der Abstimmung beteiligt.Randnummer11

2. …Randnummer12

3. Gesellschafterbeschlüsse werden mit 80% der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht ein Gesetz oder Gesellschaftersvertrag eine größere Mehrheit vorgesehen [sic]. Je DM 100,00 eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme.“Randnummer13

Die Geschäftsführerin R. lud mit Schreiben von Gründonnerstag, den 09.04.2020 (Anlage A7) zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 27.04.2020 in den Räumen von K. in Frankfurt ein. In den für die Gesellschafterversammlung vorgesehenen Räumlichkeiten befindet sich die Rechtsanwaltskanzlei des Vaters (H. K.) der Mitgesellschafterin des Klägers. In der Einladung waren die Tagesordnungspunkte 1-7, darunter die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer aus wichtigem Grund, angegeben. Die Einladung erreichte den Kläger am 14.04.2020. Mit auf den 09.04.2020 datiertem Schreiben, das in Wirklichkeit vom 21.04.2020 stammt und dem Kläger per E-Mail (Anlage 10a) an diesem Tag übersandt wurde, wurde die Tagesordnung um die Tagesordnungspunkte 8-14, darunter die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Kläger (Top 8) und seine Ausschließung aus der Gesellschaft wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlungen (Top 9), ergänzt. Der Kläger rügte mit Schreiben vom 16.04.2020, 22.04.2020 und 24.04.2020 den Versammlungsort F. (Anlagen A 8, A 10, A 11), in den Schreiben vom 16.04.2020 und vom 24.04.2020 (dort durch Bezugnahme auf bereits erhobene Rügen) auch die Nichteinhaltung der Frist. Die Gesellschafterversammlung fand sodann, wie angekündigt, in F. statt. An dieser Gesellschafterversammlung nahm – neben Herrn K. als Vertreter der Gesellschafterin P. und Frau R. als Geschäftsführerin – als Vertreter des Klägers Herr Rechtsanwalt M. S. teil, der die Rüge des unzulässigen Versammlungsorts und auch der Frist (Protokoll, Anlage A 15, S. 1 und Anlage zum Protokoll) aufrecht erhielt. Die zur Versammlungsleiterin bestimmte Mitgeschäftsführerin R. stellte fest, dass mit den Stimmen der Gesellschafterin C. P. die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1, 2, 5, 7, 8, 9, 10, 12, 13 und 14 gefasst wurden; der anwaltliche Vertreter des Klägers hatte für diesen gegen die Beschlussgegenstände gestimmt (vergleiche Protokoll der Gesellschafterversammlung Anlage A 15).Randnummer14

Der Kläger ist der Auffassung, sämtliche am 27.04.2020 gefassten Beschlüsse seien unwirksam, da sie an einem unzulässigen Versammlungsort gefasst worden seien. Zudem sei die Ladungsfrist nicht eingehalten. Zu weiteren Rügen wird auf die Ausführungen im streitigen Klägervortrag im landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.Randnummer15

Der Kläger beantragte erstinstanzlich:Randnummer16

Es wird festgestellt, dass die in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 27.04.2020 gefassten Beschlüsse zuRandnummer17

Top 1Randnummer18

Die sofortige Abberufung des Klägers aus wichtigem Grund als Geschäftsführer wegen gravierender Pflichtverletzungen und Interessenkollision.Randnummer19

Top 2Randnummer20

Die sofortige Übersendung von sämtlichen Originalakten der Gesellschaft zu Händen der Geschäftsführerin seit deren Beginn nach F. ….Randnummer21

Top 5Randnummer22

Die Beauftragung der Geschäftsführungsprüfung an Herrn Wirtschaftsprüfer A. L., V. AG, wegen u.a. fehlerhafter Jahresabschlüsse, Rechtsgrundlagen sowie Überprüfung der Angemessenheit der gezahlten Geschäftsführergehälter und über Leistungen an Personal und Räumlichkeiten an G. GmbH oder andere mit dem Geschäftsführer S. G. verbundene Gesellschaften wird bestätigt.Randnummer23

Top 7Randnummer24

Der Geschäftsführer S. G. hat verfügte oder beabsichtigte Zahlungen, z.B. künftige Geschäftsführergehälter, Lohnsteuer, Zahlungen an Herrn Steuerberater Sch. und Lohnsteuern einschließlich des Kontos bei der H.&A. mit der Endnummer -120 unter der Bezeichnung „GAC/SG Bauvorhaben“ zu unterlassen.Randnummer25

Top 8Randnummer26

Es sollen Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer S. G. wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlungen, erheblicher unberechtigter Privatentnahmen, Verweigerung von Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf zum Vorwurf gemachte Pflichtverletzungen, Gewährung von unberechtigten wirtschaftlichen Vorteilen an Dritte etc. geltend gemacht werden, ebenso soll eine Prüfung zur Einleitung gerichtlicher Verfahren diesbezüglich erfolgen.Randnummer27

Top 9Randnummer28

Der Gesellschafter S. G. wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlungen, erheblicher unberechtigter Privatentnahmen, Verweigerung von Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf zum Vorwurf gemachter Pflichtverletzungen, Gewährung von unberechtigten wirtschaftlichen Vorteilen an Dritte etc.. Es soll eine Prüfung zur Einleitung gerichtlicher Verfahren diesbezüglich erfolgen.Randnummer29

Top 10Randnummer30

Gegen Herrn Steuerberater und Wirtschaftsprüfer A. Sch. sollen seitens der Gesellschaft Schadensersatzansprüche wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlung geltend gemacht werden und ebenso soll eine Prüfung zur Einleitung gerichtlicher Verfahren erfolgen.Randnummer31

Top 12Randnummer32

Nutzungsverhältnisse zwischen der Gesellschaft hinsichtlich der Geschäftsräume in den Räumen des Geschäftsführers S. G., … 8 in M. sollen außerordentlich gekündigt werden.Randnummer33

Top 13Randnummer34

Sämtliche verwahrten Geschäftsunterlagen der Gesellschaft sollen ab Geschäftsbeginn an die V. AG, H., herausgegeben werden, dies auf der Grundlage des in der Gesellschafterversammlung vom 23.07.2019 gefassten Beschlusses unter Top 10.Randnummer35

Top 14Randnummer36

Bestehende Nutzungsverhältnisse zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer S. G. oder diesem verbundener Dritter, insbesondere in Verbindung mit der Nutzung von Büroräumen in den Räumen des Geschäftsführers S. G., … 8 in M. sollen außerordentlich gekündigt werden.Randnummer37

nichtig sind.Randnummer38

Die Beklagte beantragteRandnummer39

Klageabweisung.Randnummer40

Sie ist der Auffassung, der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Beschlüsse stehe der Versammlungsort Frankfurt nicht entgegen. Denn es handele sich bei dem beanstandeten Versammlungslokal de facto zumindest um eine Betriebsstätte der Gesellschaft, weil die mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattete Geschäftsführerin R. unter der Adresse der in der Ladung angegebenen Geschäftsanschrift ihre Geschäftsführertätigkeit für die Gesellschaft ausübe. Auch handele es sich um eine Folgeversammlung zu der vorangegangenen außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 23.07.2019, die in den gleichen Räumlichkeiten stattgefunden habe. Dort seien die maßgeblichen kritischen Beschlussgegenstände in Erwartung einer einvernehmlichen Regelung zurückgestellt und vertagt worden. An dieser vorangegangenen Gesellschafterversammlung habe der Kläger teilgenommen. Im Übrigen sei die Einberufung einer Gesellschafterversammlung an einen anderen Versammlungsort als den Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
zulässig, wenn es sich um eine Gesellschaft mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis handele und bei einem abweichenden Versammlungsort von vornherein feststehe, dass er die teilnahme nicht erschwere. So liege es hier. Der Kläger verweigere sich treuwidrig der Durchführung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Durchführung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
in F. Im Geschäftslokal der Beklagten in M. hätten sich keine geeigneten Räume befunden, um in der damals gegebenen Coronasituation eine Gesellschafterversammlung durchzuführen. Geeignete Räume in einem F. Hotel zu finden sei coronabedingt nicht möglich gewesen. Auch in München hätten im April 2020 keine Tagungsräume angemietet werden können. Die Rüge der Nichteinhaltung der Ladungsfrist gehe fehl.Randnummer41

Das Landgericht hat mit Urteil vom 26.03.2021, das durch Beschluss vom 30.08.2021 berichtigt wurde und auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), festgestellt, dass der Beschluss, den Gesellschafter G. aus der Gesellschaft auszuschließen, nichtig sei, weil es an einer satzungsrechtlichen Grundlage für einen Ausschluss fehle. Insoweit nimmt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil hin. Die übrigen in der Versammlung gefassten Beschlüsse hat das Landgericht wegen eines unzulässigen Versammlungsortes für nichtig erklärt. Grundsätzlich sollten Gesellschafterversammlung am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
stattfinden. Dies sei nicht geschehen. Ausnahmen griffen vorliegend nicht. Eine teilnahme in den Kanzleiräumen des Vaters der Mitgesellschafterin P. sei dem Kläger nicht zuzumuten. Am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
habe ein Raum von 16m² zur Verfügung gestanden, der bei entsprechenden Lüftungsmaßnahmen und dem Tragen von Masken durchaus für eine Gesellschafterversammlung, an der lediglich 3 Personen teilnahmen, hätte genutzt werden können. Auch hätte ein Tagungsraum in einem Hotel in M. angemietet werden können. Gesellschafterversammlungen seien während des Lockdowns im April 2020 nicht per se verboten gewesen. Auch hätte die Beschlussfassung im Umlaufverfahren in die Wege geleitet werden können. Damit sei das Teilnahmerecht des Klägers in anfechtbare Weise verletzt.Randnummer42

Gegen diese Sichtweise wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, in der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft.Randnummer43

Die Beklagte beantragt,Randnummer44

das am 26.03.2021 verkündete Endurteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I, Az. 10 HK O 5766/20, abzuändern und die Klage, soweit über diese zu Ziffer 2 der Entscheidungsformel befunden worden ist, abzuweisen.Randnummer45

Der Kläger beantragtRandnummer46

die Zurückweisung der Berufung.Randnummer47

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.Randnummer48

Der Senat hat über die Berufung am 22.03.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift und die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 27.04.2020, soweit noch in der Berufung streitgegenständlich, zu Recht wegen des fehlerhaften Versammlungsortes für nichtig erklärt. Im Übrigen wurde, jedenfalls soweit die ergänzten Tagesordnungspunkte inmitten stehen, auch die Ladungsfrist nicht eingehalten.Randnummer50

1. Der Versammlungsort war fehlerhaft gewählt; dies führt zur Anfechtbarkeit der in der Gesellschafterversammlung am 27.04.2022 gefassten Beschlüsse.Randnummer51

1.1. Die Satzung regelt den Ort der Gesellschafterversammlung nicht. In diesem Fall soll – in Analogie zu § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG – die Gesellschafterversammlung am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
stattfinden. Dies ist nicht erfolgt (dazu unter 1.2). Eine Ausnahme, die eine Gesellschaftsversammlung in Frankfurt rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich (dazu unter 1.3f.).Randnummer52

1.2. Die Satzung bestimmt (ausschließlich) München als Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
. Dieser statutarisch bestimmte Sitz ist für das Recht der GmbH maßgeblich (§ 4a GmbHG; vgl. C. Jaeger in BeckOK GmbHG, § 4a Rn. 3 [Stand: 01.11.2022]; Schindler in BeckOK GmbHG, § 48 Rn. 11 [Stand: 01.09.2022]; Liebscher in MüKo GmbHG, 4. Aufl., § 48 Rn. 70f.]); der Verweis der Beklagten auf Rechtsprechung zu anderen Gesellschaftsformen ist insoweit unbehelflich). Auf die Frage, ob die Gesellschaft eine weitere Betriebsstätte am Tätigkeitsort der Mitgeschäftsführerin R. in Frankfurt hatte, kommt es nicht an, denn eine unterstellte weitere Betriebsstätte begründet keinen weiteren Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
.Randnummer53

1.3. Die Regelung des § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG (analog) bezweckt, die Gesellschafter vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsortes und einer daraus folgenden Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechtes zu schützen. Dieser Gesetzeszweck ist bestimmend für die Frage, wann und in welchem Maße das Einberufungsorgan – hier die Mit-Geschäftsführerin R. – von der Sollvorschrift des § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG abweichen darf (vgl. BGH, Beschluss vom 24.03.2016 – IX ZB 32/15, juris – Rn. 24).Randnummer54

1.3.1. Zumindest in einer Gesellschaft mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis darf ein Ort gewählt werden, von dem von vornherein versteht, dass er die teilnahme nicht erschwert, weil ihn die Gesellschafter leichter als den Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
erreichen können (BGH, a.a.O. m.w.N.). So liegt der Fall jedoch nicht. Gesellschafter der Beklagten sind die Gesellschafterin P. mit Wohnsitz in B. und der Kläger mit Wohnsitz in M. Jedenfalls für den Kläger ist der Versammlungsort M. wesentlich einfacher zu erreichen als der Versammlungsort F..Randnummer55

1.3.2. Des Weiteren darf nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung von der Sollbestimmung abgewichen werden, wenn am Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
kein geeignetes Versammlungslokal vorhanden ist oder die Verkehrsverbindung dorthin gestört ist (BGH, a.a.O., m.w.N.). Zwischen den Parteien besteht (im gerichtlichen Verfahren, vorgerichtlich hatte sich die Beklagte auf diesen Umstand nicht berufen) Streit, ob in München mit den Räumlichkeiten der Gesellschaft oder in etwaig anzumietenden Räumlichkeiten eines Hotels eine auch unter Coronabedingungen geeignete Lokalität zur Verfügung stand und ob deren Nutzung für eine Gesellschafterversammlung nach den geltenden bayerischen Schutzvorschriften zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie zulässig war. Hierauf kommt es jedoch, wie mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung eingehend erörtert, nicht an. Der Gesetzgeber hatte sowohl zum Zeitpunkt der Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
als auch im Zeitpunkt der Durchführung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Durchführung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
im Hinblick auf die Pandemielage eine Regelung getroffen, wie Gesellschafterbeschlüsse bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung trotz der getroffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gefasst werden können. Ausweislich § 2 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.03.2020, in Kraft getreten am Folgetag, können abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden. Damit hat der Gesetzgeber eine Abhilfemaßnahme geschaffen, mit der eine Beschlussunfähigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
verhindert wird. Dem Bedürfnis nach einem Austausch an Argumenten kann (nach teilweise vertretener Ansicht: muss, vgl. dazu Liebscher in MüKo GmbHG, 4. Aufl., § 48 Rn. 253ff.) dadurch Rechnung getragen werden, dass der schriftlichen Stimmabgabe einer Videokonferenz vorgeschaltet wird oder zumindest eine solche angeboten wird. Die Satzung der Beklagten sieht – freilich im Einverständnis der Beteiligten – eine fernmündliche Beschlussfassung vor. Es hätte also nahegelegen, auf den skizzierten Mechanismus zurückzugreifen, also eine Videokonferenz abzuhalten oder zumindest anzubieten und konstitutiv – ggf. gegen den Willen des Klägers – eine schriftliche Stimmabgabe vorzusehen. Ein Bedürfnis für eine Versammlung in Präsenz an einem satzungsfremden Ort bestand demnach nicht. Eine Präsenzveranstaltung an einem fernen Ort entgegen der Satzung stellt zugleich eine unzumutbare Belastung für den Kläger dar, der überdies, wie aus dem am selben Tag verhandelten Parallelverfahren 7 U 723/22 bekannt, als damals schon über 60-Jähriger einer besonders vulnerablen Personengruppe angehört.Randnummer56

1.3.3. Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass auch die Räumlichkeiten der Gesellschaft – immerhin 16m² groß – bei Maskentragung und Lüftung als Versammlungsort nicht ausgeschlossen gewesen wären, selbst wenn – so der Beklagtenvortrag – sieben (und nicht nur drei) Personen erwartet wurden. Berufliche Tätigkeit war auch in Bayern erlaubt, wie die Befreiung von den Ausgangsbeschränkungen und die Öffnungsmöglichkeit für nicht touristisch veranlasste Übernachtungsmöglichkeiten zeigt (§ 2 Abs. 3 S. 2, § 4 Abs. 3 Nr. 1 der 1. BayIfSMV bzw. § 2 Abs. 3 S. 2 und § 5 Abs. 3 Nr. 1 der 2. BayIfSMV). Das landesweite Versammlungs- und Veranstaltungsverbot ist nach Auffassung des Senats angesichts des äußerst beschränkten, individuell bestimmten Personenkreises der Gesellschafterversammlung, der somit nicht echter Versammlungs-, sondern bloßer Besprechungscharakter zukam, schon nicht einschlägig, stand jedenfalls unter dem Vorbehalt einer Genehmigung durch die Kreisverwaltungsbehörden (§ 1 Abs. 1 S. 1 und 3 der 1. und 2. BayIfSMV).Randnummer57

1.4. Die Versammlung durfte auch nicht deshalb in Frankfurt stattfinden, weil sich der Kläger anlässlich der Versammlung im Sommer 2019 auf den Versammlungsort F. eingelassen hatte. Daraus folgt nicht, dass er sich auch zukünftig auf diesen Versammlungsort einlassen muss. Dies gilt umso mehr, als die damalige Versammlung zwar schon von Spannungen geprägt war (auch dort stand die Abberufung als Geschäftsführer auf der Tagesordnung); der Versammlungsverlauf – insb. die Zurückstellung streitträchtiger Beschlussgegenstände – bestätigt jedoch, dass dort noch eine einvernehmliche Lösung angestrebt wurde. Außerdem waren die Rahmenbedingungen nicht vergleichbar, da 2019 keine reiseerschwerende Pandemielage bestand.Randnummer58

1.5. Nichts herleiten kann die Beklagte aus dem Argument, es handele sich um eine Folgeversammlung zur Gesellschafterversammlung vom Sommer 2019. Eine privilegierte Folgeversammlung wäre nur dann gegeben (vgl. § 10 Nr. 3 der Satzung), wenn die frühere Versammlung am Teilnahmequorum gescheitert wäre; sie hätte auch als solche bezeichnet werden müssen. Außerdem bildet der Umstand, dass es sich um eine Folgeversammlung handelt – wie tatsächlich nicht -, keine Rechtfertigung für eine Abweichung vom „geschuldeten“ Versammlungsort.Randnummer59

1.6. Vor diesem Hintergrund ist nicht mehr entscheidungserheblich, ob auch der konkrete Ort, der Sitz der Kanzlei des Vaters der Gesellschafterin P., unzumutbar ist. Dies erscheint jedoch naheliegend, da von einem endgültigen Zerwürfnis und damit Feindschaft zum Zeitpunkt der Versammlung im April 2020, in der ein Ausschluss des Klägers und seine Inanspruchnahme auf Schadensersatz beschlossen werden sollte, ausgegangen werden muss. Die Beklagte hat die Problematik im Übrigen selbst erkannt und die Anmietung einer neutralen Lokalität in Aussicht gestellt (vgl. ihr Schreiben vom 17.04.2020, S. 2 a.E., Anlage A9). Dazu ist es jedoch nicht gekommen. An der Betrachtung ändert nichts, dass die (zur Kontrolle des Klägers eingesetzte, wie sich aus den Beschlüssen im Juli 2019 ergibt) Mitgeschäftsführerin R. – eine Angestellte der Kanzlei des Vaters der Mitgesellschafterin – ihre Geschäftsführertätigkeit von diesen Räumlichkeiten aus ausübt (BGH, Beschluss vom 24.03.2016 – IX 32/15, juris – Rn. 25). Dadurch wird der Ort für den Kläger nicht zumutbar.Randnummer60

1.7. Der Fehler führt vorliegend nicht zur Nichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 1 AktG, da der Mangel die teilnahme nicht in einer Weise erschwert hat, der einer Verhinderung der teilnahme gleichstehen würde (BGH, a.a.O., juris-Rn. 21); der Kläger war auf der Versammlung vertreten. Der Beschluss ist jedoch wegen Gesetzes- bzw. Satzungsverstoßes anfechtbar (vgl. BGH, a.a.O., juris – Rn. 30; BGH, Urteil vom 28.01.1985 – II ZR 79/85, juris – Rn. 9; Schindler in BeckOK GmbHG, § 48 Rn. 16 [Stand: 01.11.2022]). Der Versammlungsort wurde sowohl vor der Versammlung als auch in der Versammlung und in der Klageschrift ausdrücklich gerügt. Der Anfechtung steht nicht entgegen, dass der fehlerhafte Versammlungsort keine Auswirkung auf das Beschlussergebnis hatte, da auch bei einer Versammlung in München die Gesellschafterin P. so abgestimmt hätte, wie sie es in Frankfurt, dort vertreten durch ihren Vater, tat. Für die Anfechtbarkeit genügt die Relevanz des Fehlers für das Mitwirkungs- oder Partizipationsrecht entsprechend § 243 Abs. 4 AktG (näher begründet in: OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.07.2003 – 6 U 27/03, juris – Rn. 19ff.). Für das Teilhaberecht eines Gesellschafters ist der Versammlungsort von grundsätzlicher Bedeutung. Dies manifestiert sich im vorliegenden Fall konkret in dem Umstand, dass der Kläger sowohl an der Gesellschafterversammlung im Juli 2019 als auch – wie aus dem am selben Tag verhandelten Parallelverfahren 7 U 453/22 senatsbekannt ist – an den Gesellschafterversammlungen in München am 26.05.2020 und am 16.06.2020 persönlich teilgenommen hat, während er sich in Frankfurt anwaltlich vertreten ließ. Die Vertretung ist einer persönlichen teilnahme nicht gleichwertig, wenn eine persönliche teilnahme gewünscht ist. Überdies stand dem anwaltlichen Vertreter des Klägers wegen eines Anschlusstermins nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung, weswegen die Versammlung mit immerhin 14 Tagesordnungspunkten in 35 Minuten abgewickelt wurde (vgl. Anlage A15, woraus sich ein Beginn der Versammlung um 12:00 Uhr und ihr Ende um 12:35 Uhr ergeben).Randnummer61

2. Jedenfalls hinsichtlich der Tagesordnungspunkte 8-14 ist auch die Ladungsfrist nicht eingehalten. Ihre Nichteinhaltung wurde bereits vor der Versammlung im Schreiben vom 16.04.2020 (Anlage A8) und – mittelbar durch Bezugnahme auf erhobene Rügen – im Schreiben vom 24.02.2020 (Anlage A11) gerügt, ferner in der Versammlung (vgl. Protokoll, S. 1, Anlage A15, i.V.m. Anlage 1 zum Protokoll) und auch in der Klageschrift (dort S. 4) geltend gemacht.Randnummer62

Ausweislich der Satzung sind ordentliche Gesellschafterversammlungen durch eingeschriebenen Brief unter Angabe der Tagesordnung mit einer Frist von vier Wochen, gerechnet vom dem Tag nach der Aufgabe zur Post, außerordentliche mit einer Frist von zwei Wochen zu berufen. Aus der Regelung ist zu schließen, dass außerordentliche Versammlungen nur wegen dringlicher Tagesordnungspunkte berufen werden können. In beiden Fällen ist in der Ladung die Tagesordnung anzugeben. Daraus folgt für den Senat, dass Tagesordnungspunkte nicht außerhalb dieses Fristenregimes nachgemeldet werden können. Die Satzung ist insoweit eine zulässige spezielle Regelung gegenüber § 51 Abs. 4 GmbHG. Aus Vorstehendem folgt zwanglos, dass die Ladungsfrist (und auch die Ladungsform durch E-Mail statt durch eingeschriebenen Brief) hinsichtlich der erst am 21.04.2020 nachgemeldeten Tagesordnungspunkten 8-14 nicht eingehalten ist, ohne dass der Kläger mit der Beschlussfassung ohne Beachtung der Förmlichkeiten einverstanden gewesen wäre (§ 10 Nr. 4 der Satzung).Randnummer63

Offen lässt der Senat, ob die Ladungsfrist hinsichtlich der Tagesordnungspunkte 1-7 eingehalten war, insbesondere ob die Tagesordnungspunkte 2 und 5 dringlich waren und ob hinsichtlich der Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund – grundsätzlich ein dringlicher Tagesordnungspunkt – der Beklagten wegen Zuwartens seit der letzten Gesellschafterversammlung am 23.07.2020 ausnahmsweise eine Berufung auf die verkürzte Ladungsfrist versagt ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Zulassung der Revision war mangels Zulassungsgründen (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht veranlasst.

Schlagworte: AktG § 121, AktG § 241, AktG § 243, AktG § 243 Abs. 4, Analoge Anwendung der §§ 241 ff AktG, analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG, Analoge Anwendung von §§ 241, Analoge Anwendung von §§ 241 242 und 249 AktG, Anwesenheitsrecht in Gesellschafterversammlung, Ausschließen, Ausschließung, Ausschließung durch Beschluss, Ausschließung durch Gestaltungsurteil, Ausschließung in BGB-Gesellschaft, Ausschließungsklage, Ausschluss, Ausschluss BGB-Gesellschafter, Ausschluss der Ausschließung in der Satzung, Ausschluss des Gesellschafters, Ausschluss des Mehrheitsgesellschafters, Ausschluss Gesellschafter, Ausschluss GmbH-Gesellschafter, Ausschluss Kommanditist, Ausschluss Komplementär, Ausschluss OHG-Gesellschafter, Ausschluss- oder Einziehungsbeschluss, Ausschlussbeschluss aufgrund Satzungsgrundlage, Ausschlussgrund, Ausschlussklage, Ausschlussklauseln in Satzung, Behinderung bei Recht der Teilhabe an der Willensbildung, Behinderung der Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, Einberufungsform Einberufungsfrist, Einberufungsfrist, Einberufungsmängel gemäß § 241 Nr. 1 AktG analog, Einverständliche Verlegung, fehlerhafter Versammlungsort, Frage- und Rederecht, Frist, Gesellschafterausschluss, Gesellschafterzerwürfnis, Gesellschaftssitz, Gezielte Behinderung, GmbHG § 48, Grundsätzlich Sitz der Gesellschaft, Nichtigkeit bei Unzumutbarkeit von Zeit und/oder Ort der Gesellschafterversammlung, Nichtwahrung der Einladungsfrist, Privatwohnung und Anwaltskanzlei, Rechtsfolgen bei Verletzungen des Teilnahmerechts, Relevanz des Anfechtungsgrundes, Relevanz des Rechtsverstoßes, Relevanz des Verfahrensmangels, Schriftliches Verfahren ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gemäß § 48 Abs. 2 GmbHG, Sitz der Gesellschaft, Teilhabe an der Willensbildung, Teilnahmerecht des betroffenen Gesellschafters, Verlegung bei Erleichterung, Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht, Zerwürfnis, Zerwürfnis Gesellschafter, Zerwürfnis von Gesellschaftern, Zumutbarkeit von Zeit und Ort

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OLG München, Urteil vom 22.03.2023 – 7 U 723/22

Mittwoch, 22. März 2023

Abberufung eines GmbH-Geschäftsführer und außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses aus wichtigem Grund

§ 611 Abs 1 BGB, § 625 BGB, § 626 Abs 1 BGB, § 626 Abs 2 BGB, § 16 Abs 1 S 1 GmbHG   

1. Wenn ein GmbH-Geschäftsführer, ohne zuvor die dafür nach der Geschäftsordnung der GmbH erforderliche Zustimmung einer Geschäftsführerin einzuholen, 240.000,00 € vom Konto der GmbH auf sein Privatkonto überweist, dann liegt ein wichtiger Grund sowohl für seine Abberufung als Geschäftsführer als auch für die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses vor.

2. Die etwaige Befürchtung eines GmbH-Geschäftsführerss, dass eine unzulässige Sperrung seines Zugriffs auf die Konten der GmbH erfolgen könnte, rechtfertigt nicht die Überweisung der 240.000,00 € auf sein Privatkonto. Dabei würde es sich um einen unzulässigen Akt präventiver Selbsthilfe handeln. Wenn der Geschäftsführer derartige Befürchtungen hat und dies für rechtswidrig hält, muss er dagegen gerichtlich, gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, vorgehen. Keinesfalls kann er aber Geld auf seinem Privatkonto in Sicherheit bringen, um Angriffe einer Mitgesellschafterin auf seine Stellung abzuwehren.

3. Bereits der Verstoß gegen die Geschäftsordnung rechtfertigt die Annahme eines wichtigen Grundes für die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages des GmbH-Geschäftsführers.

4. Durch die zeitnahe Zurücküberweisung der 240.000,00 € wird das durch die unbefugte Überweisung erschütterte Vertrauen in die Redlichkeit des Geschäftsführers nicht wiederhergestellt.

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilend- und Grundurteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022, Az. 15 O 11883/20, in Ziffer 1 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 4.193,55 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.06.2020 zu zahlen.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilend- und Grundurteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022, Az. 15 O 11883/20, in Ziffer 2 aufgehoben und die Widerklage abgewiesen.

3. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen und wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 39%, die Beklagte 61%.

Von den Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger 97%. Im Übrigen trägt die Nebenintervenientin ihre Kosten selbst.

5. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 bezeichnete Teilend- und Grundurteil, soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten bzw. der Nebenintervenientin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die Nebenintervenientin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

6. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrages durch die Beklagte vom 26.05.2020 und Ansprüche der Beklagten auf Rückzahlung an den Kläger gezahlter Geschäftsführervergütungen.

2

Die Beklagte ist eine GmbH mit einem Stammkapital von 100.000,00 DM, das voll einbezahlt ist. Mit Urkunde vom 17.08.2016 (URNr. …06/2016) des Notars Dr. Sch teilte der Kläger seinen Geschäftsanteil im Nennbetrag von 100.000,00 DM in die vier Geschäftsanteile Nrn 1, 2, 3 und 4 zu je 25.000,00 DM. Mit gleicher Urkunde verkaufte der Kläger den Geschäftsanteil Nr. 4 zum Preis von 15.000,00 € an Frau S. K. (nunmehr P.), die Nebenintervenientin, und übertrug gleichzeitig den Geschäftsanteil Nr. 4 an sie. Der Kaufpreis wurde zehn Bankarbeitstage nach der Genehmigung der Urkunde durch die Nebenintervenientin zur Zahlung fällig. Die Nebenintervenientin erteilte die Genehmigung am 16.09.2016. Der Kaufpreis wurde in der Folge nicht bezahlt.

3

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten in der Fassung der Urkunde des Notars Dr. Sch vom 17.08.2016 (URNr. …25/2016) lautete auszugsweise wie folgt:

㤠10 Gesellschafterversammlungen

1. Die Gesellschafterversammlungen werden durch die Geschäftsführer einberufen. Jeder Geschäftsführer ist alleine einberufungsberechtigt.“

2. Die Einberufung erfolgt durch eingeschriebenen Brief an jeden Gesellschafter unter Angabe von Ort, Tag, Zeit und Tagesordnung mit einer Frist von vier Wochen bei ordentlichen Gesellschafterversammlungen und von mindestens zwei Wochen bei außerordentlichen Gesellschafterversammlungen. Der Lauf der Frist beginnt mit dem der Aufgabe zur Post folgenden Tag. Der Tag der Versammlung wird bei Berechnung der Frist nicht mitgezählt.

3. Eine Gesellschafterversammlung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens 50% des Stammkapitals vertreten sind (…).

§ 11 Gesellschafterbeschlüsse

(…)

3. Gesellschafterbeschlüsse werden mit 80% der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht ein Gesetz oder Gesellschaftsvertrag eine größere Mehrheit vorgesehen [sic]. Je DM 100,00 eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme.

(…)“

4

Mit Kauf- und Abtretungsvertrag vom 21.12.2018 (URNr …63/2018 des Notars Dr. Sch) verkaufte der Kläger auch den Geschäftsanteil Nr. 3 an die Nebenintervenientin zum Preis von 15.000,00 € und trat gleichzeitig den Geschäftsanteil Nr. 3 an sie ab. Der Kaufpreis wurde zehn Bankarbeitstage nach Vertragsschluss fällig. Der Kaufpreis wurde in der Folge ebenfalls nicht bezahlt.

5

Am 23.07.2019 bestellte die Gesellschafterversammlung der Beklagten Frau A. R. als weitere alleinvertretungsberechtigte und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Geschäftsführerin und erließ die „Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der G. P.O. GmbH“ laut Anl. B 20, die wie folgt lautete:

„Frau A. R. ist als weitere Geschäftsführerin neben dem bisherigen Geschäftsführer S. G. bestellt worden. Beide Geschäftsführer sind allein vertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Unbeschadet ihrer uneingeschränkten Vertretung nach außen sind die Geschäftsführer verpflichtet für sämtliche Geschäftsführungsmaßnahmen vor deren Durchführung die Zustimmung des jeweils anderen Geschäftsführers einzuholen. Diese Zustimmung bedarf der Schriftform, soweit es sich nicht um Notfälle oder ansonsten unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
im Interesse der Gesellschaft
handelt. Bei solchen Maßnahmen ist die Zustimmung des an der Zustimmung verhinderten Geschäftsführers in Schriftform unverzüglich nachzuholen. Ebenso sind die Gesellschafter unverzüglich von solchen Maßnahmen, soweit möglich vorab, zu informieren.

Bei abweichenden Auffassungen der Geschäftsführer zur Notwendigkeit einer Geschäftsführungsmaßnahme ist unverzüglich eine Beschlussfassung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschlussfassung
Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
herbeizuführen.“

6

Am 27.04.2020 überwies der Kläger vom Konto Nr. …120 der Beklagten bei der H. & A. Bank 240.000,00 € auf sein Konto unter Angabe des Verwendungszwecks „TREUHANDUEBERTRAG“ (vgl. den Kontoauszug laut Anl. B5).

7

Am 05.05.2020 überwies der Kläger auf Aufforderung der Geschäftsführerin R. 240.000,00 € von seinem Konto auf das Konto Nr. …120 der Beklagten bei der H. & A. Bank unter Angabe des Verwendungszwecks „SVWZ + ERLED.SICHERUNGSZWECK/G9 ERLASS EINSTW.VERFUEGUNG“ (vgl. den Kontoauszug laut Anl. B 6).

8

Mit Schreiben vom 07.05.2020 lud die Beklagte zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 26.05.2020 in München ein. Beschlussgegenstände waren u.a. zu TOP 1 die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer aus wichtigem Grund und zu TOP 2 die außerordentliche fristlose Kündigung des Dienstvertrages des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten.

9

Mit Schreiben vom 08.05.2020 an die Nebenintervenientin trat der Kläger wegen der unterbliebenen Zahlung der Kaufpreise von den beiden Verträgen vom 17.08.2016 und 21.12.2018 zurück und forderte die Nebenintervenientin auf, bis spätestens 30.05.2020 der Rückübertragung der Geschäftsanteile Nrn 3 und 4 auf ihn zuzustimmen. Die verlangte Zustimmung zur Rückübertragung hat die Nebenintervenientin nicht erteilt.

10

In der Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020, an der u.a. der Kläger sowie in Vertretung für die Nebenintervenientin Rechtsanwalt H. K. teilnahmen, stimmte der Kläger bezüglich der TOP 1 und 2 jeweils mit NEIN, Rechtsanwalt K. für die Nebenintervenientin jeweils mit JA. Die Versammlungsleiterin R. stellte bezüglich TOP 1 und 2 fest, dass die Gesellschafterversammlung die sofortige Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten und die außerordentliche fristlose Kündigung des Geschäftsführerdienstvertrages mit dem Kläger sowie die Beauftragung der Geschäftsführerin R. mit dem Ausspruch der Kündigung beschlossen habe und dass in beiden Fällen die Stimmen des Klägers wegen eines Stimmverbots nicht mitgezählt worden seien.

11

Im Anschluss an die Gesellschafterversammlung übergab die Geschäftsführerin R. dem Kläger das Schreiben der Beklagten vom 26.05.2020 laut Anl. A 1, mit dem die Beklagte das Dienstverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündigte.

12

Der Kläger focht die in der Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020 gefassten Beschlüsse an (vgl. die Klageschrift laut Anl. B 1). Das Beschlussmängelverfahren ist unter dem Aktenzeichen 12 HK O 7622/20 beim Landgericht München I anhängig. Es ist noch nicht abgeschlossen.

13

Für seine Tätigkeit als Geschäftsführer zahlte die Beklagte dem Kläger jedenfalls im Zeitraum vom 01.08.2016 bis Ende April 2020 5.000,00 € brutto monatlich. Für den Monat Mai 2020 erfolgte keine Zahlung mehr.

14

Der Kläger trug vor, dass sich die Beendigung seines Anstellungsverhältnisses nach dem Vertrag vom 16.10.1990 laut Anl. A 2 richte. Demnach gelte hinsichtlich der Vertragsdauer folgendes:

㤠2 Vertragsdauer

1. Der Anstellungsvertrag läuft auf unbestimmte Zeit.

2. Er kann unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum jeweiligen Quartalsende mit eingeschriebenen Brief gekündigt werden. Eine Kündigung durch die Gesellschaft kann nur nach ordnungsmäßiger Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung des Geschäftsführers
erfolgen.“

15

Der Kläger behauptete des Weiteren, dass der Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 26.05.2020 hinsichtlich seiner Abberufung als Geschäftsführer der Beklagten und der außerordentlichen fristlosen Kündigung seines Anstellungsvertrages vom 26.05.2020 nichtig sei. Denn nach dem Rücktritt des Klägers von den beiden Anteilsübertragungsverträgen infolge der Nichtbezahlung der Kaufpreise habe der Nebenintervenientin gar kein Stimmrecht in der Beklagten mehr zugestanden.

16

Darüber hinaus fehle es an einem wichtigen Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses. Die Überweisung der 240.000,00 € am 27.04.2020 auf sein Privatkonto habe der Kläger nämlich vorgenommen, weil er zum damaligen Zeitpunkt erfolgreiche Vergleichsgespräche im Rahmen eines Bauprozesses (Objekt G.weg 9 in M.-G.) geführt habe, die unmittelbar vor dem Abschluss gestanden seien und aufgrund derer die Vergleichssumme unmittelbar hätte bezahlt werden sollen. Unter den anhaltenden Drohungen der Geschäftsführerin R. und des Rechtsanwalts K., ihm die Geschäftsführung und die Kontovollmachten zu entziehen, habe er sich gezwungen gesehen, Schaden von der Beklagten abzuwenden und die Erfüllung des Vergleichs sicherzustellen. Nur so habe er die für die Erfüllung des Vergleichs erforderlichen liquiden Mittel vorhalten können. Die Überweisung sei auch nur treuhänderisch erfolgt.

17

Das Kündigungsschreiben vom 26.05.2020 enthalte keine ausreichende Begründung.

18

Darüber hinaus hätte die Beklagte den Kläger in Anbetracht der seit 1990 andauernden Geschäftsführung zunächst abmahnen müssen.

19

Auch sei die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Die von der Beklagten behaupteten Pflichtverletzungen seien bereits Gegenstand der Gesellschafterversammlung vom 27.04.2020 gewesen. Die inkriminierte Überweisung der 240.000 € vom 27.04.2020 sei bereits seit Ende April/Anfang Mai 2020 bekannt gewesen, sodass auch insoweit die Frist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen gewesen sei.

20

Schließlich hätte die Kündigung dem Kläger nach dem Gesellschaftsvertrag als eingeschriebener Brief zugestellt werden müssen.

21

Der Kläger beantragte daher, 1.

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Anstellungsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 26.05.2020 nicht beendet wurde, sondern unverändert fortbesteht. 2.

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Mai 2020 sein Gehalt in Höhe von 5.000,00 Euro brutto zu zahlen, zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit dem 01.06.2020. 

22

Die Beklagte beantragte,

Klageabweisung.

23

Die Nebenintervenientin schloss sich dem Klageabweisungsantrag an.

24

Die Beklagte beantragte des Weiteren widerklagend,

den Kläger zu verurteilen, Euro 225.000 nebst 5 Prozentpunkten über den [sic] Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Beklagte zu zahlen.

25

Die Beklagte erwiderte, dass die Nebenintervenientin in der Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020 stimmberechtigt gewesen sei. Denn der Kläger habe die Geschäftsanteile Nrn 3 und 4 aufgrund bestehender treuhänderischer Bindung und Verpflichtung nach entsprechender Weisung des Treugebers an die Nebenintervenientin übertragen, weshalb auch entgegen der Vereinbarungen in den beiden Kaufverträgen keine Kaufpreise von der Nebenintervenientin bezahlt werden sollten.

26

Im Übrigen sei die Nebenintervenientin in der Gesellschafterliste der Beklagten als deren Gesellschafterin ausgewiesen, sodass sie gemäß § 16 Abs. 1 GmbHG als deren Gesellschafterin gelte.

27

Des Weiteren trug die Beklagte vor, dass der vom Kläger in Bezug genommene Anstellungsvertrag vom 16.10.1990 nebst den Nachträgen und Gesellschafterbeschlüssen gefälscht sei. Maßgeblich sei der „Geschäftsführervertrag“ vom 15.01.1991 laut Anl. B 9, wonach der Vertrag ohne Kündigung am Ende des Monats ende, in dem der Kläger das 60. Lebensjahr vollende. Demnach sei der Vertrag Ende Juli 2016 ausgelaufen.

28

Bei der Überweisung der 240.000,00 € auf sein Privatkonto sei es dem Kläger darum gegangen, Gehaltszahlungen sowie die Zahlung der Miete und der Bürokostenpauschale an eine allein ihm gehörende GmbH sicherzustellen. Diese Absicht lasse sich auch dem Vortrag des Klägers im Verfahren des Landgerichts München I, Az. 12 HK O 7622/20, entnehmen. Denn dort habe er vortragen lassen, dass die Geschäftsführerin R. für den Monat Mai 2020 weder das Gehalt des Klägers an ihn ausbezahlt noch andere Zahlungen an ihn geleistet habe. Die Überweisung der 240.000,00 € sei deshalb nur aus Sicherungsgründen erfolgt. Die Behauptung des Klägers hinsichtlich des bevorstehenden Vergleichsabschlusses bezüglich des Objekts G.weg 9 sei falsch. Nach Angabe des damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei ein Vergleichsabschluss nicht unmittelbar bevorgestanden (vgl. Email des Rechtsanwalts K. laut Anl. B 2).

29

Neben der Überweisung lägen dem Kläger aber noch weitere Verfehlungen zur Last. So seien dem Kläger, wie sich aus dem Schreiben der V. AG, der mit der Erstellung der Körperschaftssteuer- und Gewerbesteuererklärung der Beklagten beauftragten Steuerberaterin der Beklagten, vom 22.12.2020 laut Anl. B 7 ergebe, eklatante Fehler in der Buchhaltung unterlaufen. Auch gebe der Kläger der Beklagten nicht die erforderlichen Auskünfte und habe er der Beklagten zustehende Zinseinkünfte in Höhe von mindestens 1,4 Mio € vorenthalten.

30

Eine Abmahnung sei aufgrund der gravierenden Pflichtverletzung des Klägers nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen habe der Kläger in der Vergangenheit bereits Untreuehandlungen zum Nachteil der Beklagten in sechsstelliger Höhe begangen.

31

Hinsichtlich der Frist des § 626 Abs. 2 BGB komme es auf die Kenntnis der Mitglieder der Gesellschafterversammlung in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende an der kollektiven Willensbildung an.

32

Das Erfordernis, die Kündigung mittels eines eingeschriebenen Briefes zu übermitteln, betreffe nur die ordentliche Kündigung. Im Übrigen könne sich der Kläger hierauf nicht berufen, da er unstreitig die außerordentliche fristlose Kündigung übergeben bekommen habe.

33

Zur Begründung ihrer Widerklage trug die Beklagte vor, dass, nachdem der allein relevante Anstellungsvertrag vom 15.01.1991 laut Anl. B 9 mit Ablauf des 31.07.2016 geendet habe, es für die monatliche Zahlung eines Geschäftsführergehalts in Höhe von 5.000,00 € brutto durch die Beklagte an den Kläger im Zeitraum vom 01.08.2016 bis 30.04.2020 keine Rechtsgrundlage gegeben habe, sodass der Kläger das bezogene Geschäftsführergehalt in Höhe von 225.000,00 € (45 x 5.000,00 €) zurückzuzahlen habe.

34

Der Kläger beantragte,

die Widerklage abzuweisen.

35

Der Kläger legte insoweit dar, dass er das Geschäftsführergehalt für den Zeitraum vom 01.08.2016 bis 30.04.2020 nicht ohne Rechtsgrund erhalten habe, da nach dem maßgeblichen Anstellungsvertrag vom 16.10.1990 laut Anl. A 2 das Anstellungsverhältnis auf unbestimmte Zeit gelaufen sei und deshalb nicht mit Erreichen des 60. Lebensjahres geendet habe.

36

Mit Zwischenurteil vom 17.02.2021, Az. 15 O 11883/20, Bl. 130/136 d.A., ließ das Landgericht die Nebenintervention hinsichtlich der Klage zu. Im Übrigen wies es den Beitritt zurück. Die gegen die teilweise Zurückweisung des Beitritts durch das Landgericht gerichtete sofortige Beschwerde der Nebenintervenientin wies der Senat mit Beschluss vom 31.03.2021, Az. 7 W 495/21, Bl. 147/149 d.A. zurück.

37

Mit Teilend- und Grundurteil vom 12.01.2022 wies das Landgericht München I, Az. 15 O 11883/20, die Klage ab. Darüber hinaus urteilte es, dass der Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf Rückzahlung von – nach dem 31.07.2016 – gezahlter Geschäftsführervergütung zustehe. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landgericht aus, dass dahinstehen könne, ob die Kündigung vom 26.05.2020 form- und fristgerecht erfolgt sei, ob ein wichtiger Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung bestanden habe, ob eine Abmahnung erforderlich gewesen sei und ob der Gesellschafterbeschluss vom 26.05.2020 wirksam gefasst worden sei. Denn das Geschäftsführeranstellungsverhältnis des Klägers habe bereits zum 31.07.2016 mit Erreichung des 60. Lebensjahres des Klägers im Juli 2016 geendet.

38

Maßgeblich – jedenfalls bezüglich der Beendigung des Anstellungsverhältnisses – sei nämlich der „Geschäftsführervertrag“ vom 15.01.1991 laut Anl. B 9, der zeitlich nach dem Anstellungsvertrag vom 16.10.1990 laut Anl. A 2 geschlossen worden sei und schon allein deshalb der ausschlaggebende sei (LGU S. 6 zweiter Absatz). Die Vertragsergänzungen vom 20.12.1991, 20.12.1993, 18.12.1994 und 19.12.1998 beträfen jeweils nur die Vergütung, nicht aber die Beendigung des Vertrages. Hinsichtlich der Regelungen zur Beendigung des Vertrages sei die im Vertrag vom 15.01.1991 die zeitlich letzte. Auch die letzte Bezugnahme auf die Beendigung des Anstellungsvertrages sei bezüglich des Vertrages vom 15.01.1991 erfolgt. Da somit – jedenfalls hinsichtlich der Beendigung des Geschäftsführeranstellungsvertrages – der Vertrag vom 15.01.1991 gelte, komme es auch nicht darauf an, ob – wie die Beklagte behauptet – der Vertrag vom 16.10.1990 eine Fälschung sei (LGU S. 7).

39

Der Beklagten stehe dem Grunde nach ein Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten Geschäftsführervergütung zu, da diese Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt sei, nachdem der Anstellungsvertrag zum 31.07.2016 geendet habe.

40

Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

41

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel sowie sein Widerklageabweisungsziel weiter.

42

Der Kläger rügt insbesondere, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung vollständig übergangen habe, dass der Kläger auch nach Vollendung seines sechzigsten Lebensjahres weiterhin jedenfalls bis zur Kündigung am 26.05.2020 als Geschäftsführer der Beklagten tätig gewesen sei. Damit sei das Anstellungsverhältnis des Klägers entweder konkludent verlängert oder es sei sogar ein neues Dienstverhältnis vereinbart worden. Das Landgericht habe übersehen, dass der Vertrag vom 16.10.1990 laut Anl. A 2, auf den sich der Kläger berufe, keine Befristung enthalte. Die Ansicht des Landgerichts, dass sich die Frage der Beendigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers nach dem Vertrag vom 15.01.1991 laut Anl. B 9 bemesse, sei fehlerhaft. Selbst wenn man aber – wie die Beklagte – von der Anwendbarkeit des Vertrages vom 15.01.1991 laut Anl. B 9 ausgehe sei von den Parteien durch das weitere Tätigwerden des Klägers als Geschäftsführer für die Beklagte jedenfalls konkludent ein neuer Anstellungsvertrag geschlossen worden. Damit habe das Anstellungsverhältnis des Klägers entgegen der Ansicht des Landgerichts jedenfalls bis zur Kündigung am 26.05.2020 angedauert.

43

Das Landgericht hätte daher über die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 26.05.2020 entscheiden müssen. Diese Kündigung sei in Ermangelung eines wichtigen Grundes unwirksam. Außerdem habe es an der erforderlichen Abmahnung gefehlt und seien die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB sowie die vertraglich vereinbarte Form für die Kündigungserklärung (Einschreiben) nicht eingehalten.

44

Da das Anstellungsverhältnis über den 31.07.2016 hinaus fortgedauert habe, sei auch der Ausspruch zur Widerklage fehlerhaft. Diese sei abzuweisen.

45

Der Kläger beantragt daher,

das Teilend- und Grundurteil des Landgerichts München I vom 12.01.2022 (Az.: 15 O 11883/20) abzuändern, der Klage vom 09.06.2020 vollumfänglich stattzugeben und die Widerklage vom 18.01.2021 abzuweisen.

46

Die Beklagte beantragt,

Die Berufung wird zurückgewiesen.

47

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil.

48

Eine stillschweigende Verlängerung des Anstellungsvertrages über den 31.07.2016 hinaus sei auch nicht nach § 625 BGB anzunehmen, da einer solchen Verlängerung auf unbestimmte Zeit die in § 12 Abs. 2 des Vertrages vom 15.01.1991 laut Anl. B 9 vereinbarte doppelte Schriftformklausel entgegenstehe. Das Landgericht sei auch zutreffend von der Geltung des Vertrages vom 15.01.1991 ausgegangen, der gegenüber dem Vertrag vom 16.10.1990, dessen Echtheit im Übrigen weiterhin bestritten werde, der zeitlich spätere sei und deshalb Geltung beanspruchen könne. Das Landgericht habe auch nicht den konkludenten Abschluss eines neuen Anstellungsvertrages übersehen. Denn nach dem eigenen Vortrag des Klägers sei diesem der Anstellungsvertrag vom 15.01.1991 gar nicht bewusst gewesen, weshalb ihm der für den Abschluss eines neuen Dienstvertrages erforderliche Geschäftswille gefehlt habe.

49

Aufgrund der Beendigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers zum 31.07.2016 sei auch die Widerklage begründet.

50

Der Senat hat am 22.03.2023 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.03.2023, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

B.

51

Die zulässige Berufung des Klägers ist nur insoweit begründet, als das Landgericht zu Unrecht die Klage auf Zahlung der Geschäftsführervergütung vom 01.05.2020 bis 26.05.2020 zur Gänze abwies, und insoweit, als es auf die Widerklage urteilte, dass der Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch gegen den Kläger auf Rückzahlung der nach dem 31.07.2016 gezahlten Geschäftsführervergütung zustehe. Im Übrigen ist die Berufung des Klägers unbegründet, da das Landgericht – wenn auch nur im Ergebnis – den Feststellungsantrag des Klägers, dass das Geschäftsführeranstellungsverhältnis des Klägers nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26.05.2020 beendet worden sei, zutreffend abgewiesen hat.

I.

52

Das Geschäftsführeranstellungsverhältnis des Klägers endete durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26.05.2020.

53

1. Unzutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, die Klage sei schon deshalb unbegründet, weil am 26.05.2020 gar kein Anstellungsverhältnis mit dem Kläger mehr bestanden habe, da das Anstellungsverhältnis des Klägers nach § 3 Nr. 5 des Geschäftsführervertrages vom 15.01.1991 laut Anl. B 9 mit Erreichen des 60. Lebensjahres bereits mit Ablauf des 31.07.2016 ohne weiteres geendet habe. Denn selbst wenn – wie es das Landgericht annahm und die Beklagte behauptet – der Vertrag vom 15.01.1991 gelten würde und deshalb das Anstellungsverhältnis grundsätzlich mit Ablauf des 31.07.2016 geendet haben sollte, so hätte es sich aufgrund der unterbrechungslosen Fortsetzung der Geschäftsführertätigkeit durch den Kläger jedenfalls bis zur Kündigung vom 26.05.2020 gemäß § 625 BGB auf unbestimmte Zeit verlängert. Denn die Gesellschafterversammlung der Beklagten und damit dasjenige Organ der Beklagten, das zur Entscheidung über das Anstellungsverhältnis des Klägers berufen war, wusste von der Weiterausübung der Geschäftsführertätigkeit durch den Kläger und hat dem nicht widersprochen. Vielmehr hat die Gesellschafterversammlung mit Beschluss vom 23.07.2019 sogar noch die „Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der G. P. O. GmbH“ laut Anl. B 20 erlassen, in der der Kläger ausdrücklich als weiter amtierender Geschäftsführer der Beklagten (wenn auch nur neben der Mitgeschäftsführerin A. R.) bezeichnet wurde. Ob die Gesellschafterversammlung der Beklagten dabei auch bekannt war, dass diese Tätigkeit nach (unterstelltem) Ablauf des Dienstverhältnisses ausgeübt wurde, ist für die Frage der Anwendbarkeit des § 625 BGB ohne Bedeutung (vgl. Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 82. Auflage, München 2023, Rdnr. 2 aE zu § 625 BGB, Klumpp in BeckOGK zum BGB, Stand 01.08.2022, Rdnr. 19 zu § 625 BGB, Temming in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2022, Rdnr. 22 zu § 625 BGB; vgl. dazu auch BAG, Urteil vom 20.03.2018 – 9 AZR 479/17, Rdnr. 28 wo für eine Weiterbeschäftigung eines Auszubildenden nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses gemäß § 24 BBiG die Kenntnis des Ausbildenden im ausdrücklichen Unterschied zur Regelung des § 625 BGB verlangt wird).

54

Entgegen der Ansicht der Beklagten scheitert die Anwendung des § 625 BGB auch nicht an der in § 12 Nr. 2 des Vertrages vom 15.01.1991 laut Anl. B 9 enthaltenen doppelten Schriftformklausel (vgl. Henssler in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage, München 2023, Rdnr. 26 aE zu § 625 BGB, Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 23. Auflage, München 2023, Rdnr. 9 zu § 625 BGB und Temming in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2022, Rdnr. 39 zu § 625 BGB). Denn Sinn und Zweck doppelter Schriftformklauseln ist es grundsätzlich, Unsicherheiten über den Vertragsinhalt infolge nachträglicher mündlicher oder gar nur konkludenter Abreden der Vertragsparteien zu vermeiden. Derartige inhaltliche Unsicherheiten entstehen jedoch gerade nicht, wenn es – wie bei § 625 BGB – nur um die Verlängerung eines Vertrages mit unverändertem Inhalt geht, da die Weitererbringung der Tätigkeit durch den Dienstnehmer – wie auch im vorliegenden Fall – grundsätzlich unproblematisch feststellbar ist (vgl. Temming in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2022, Rdnr. 39 zu § 625 BGB und BAG, Urteil vom 04.08.1988 – 6 AZR 354/86, Rdnr. 15). Sonstige Anhaltspunkte, dass die Parteien in dem Vertrag vom 15.01.1991 die Regelung des § 625 BGB abbedingen wollten, lassen sich dem Vertrag nicht entnehmen.

55

Geht man dagegen mit dem Kläger davon aus, dass sich die Beendigung seines Anstellungsverhältnisses ausschließlich nach dem Vertrag vom 16.10.1990 laut Anl. A 2 bemesse, so hätte aufgrund der dann unbestimmten Laufzeit des Vertrages zum Kündigungszeitpunkt am 26.05.2020 ohne weiteres noch ein Anstellungsverhältnis bestanden.

56

Unter beiden Annahmen bestand daher am 26.05.2020 noch ein Anstellungsverhältnis des Klägers, das durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 26.05.2020 beendet werden konnte.

57

2. Voraussetzung für eine wirksame außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers ist zunächst, dass der Beschluss zu TOP 2 der Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020 betreffend die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages Klägers wirksam war. Denn ein wirksamer Gesellschafterbeschluss ist nicht nur interne Voraussetzung der Kündigung, sondern Wirksamkeitserfordernis (vgl. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Auflage, München 2022, Rdnr. 130 zu § 38 GmbHG und OLG NürnbergBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Nürnberg
, Urteil vom 22.12.2000 – 6 U 1604/00, Rdnr. 12 ff.).

58

Der Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020 zu TOP 2 (ebenso wie der zu TOP 1) war wirksam, insbesondere ist er mit der nach § 11 Nr. 3 GV erforderlichen Mehrheit von 80% der abgegebenen Stimmen gefasst worden.

59

a. Die Nebenintervenientin war bei der Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020 stimmberechtigt.

60

aa. Zunächst greift hinsichtlich der Gesellschafterstellung und damit der Stimmberechtigung der Nebenintervenientin die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG, da die Nebenintervenientin unstreitig am 26.05.2020 in der zuletzt zum Handelsregister eingereichten Gesellschafterliste der Beklagten als Inhaberin der Geschäftsanteile Nrn 3 und 4 aufgeführt ist.

61

bb. Im Übrigen führte der vom Kläger mit Schreiben seines damaligen anwaltlichen Vertreters vom 08.05.2020 erklärte Rücktritt von den Kauf- und Abtretungsverträgen vom 17.08.2016 und 21.12.2018 wegen der nicht erfolgten Zahlung des Kaufpreises für die Geschäftsanteile Nrn 3 und 4 der Beklagten durch die Nebenintervenientin – die Wirksamkeit des Rücktritts des Klägers unbeschadet des Fehlens einer Nachfristsetzung und unbeschadet des Bestreitens einer Zahlungsverpflichtung der Nebenintervenientin durch die Beklagte unterstellt – auch nicht zu einer Rückübertragung der Geschäftsanteile Nrn 3 und 4 auf den Kläger. Denn ein wirksamer Rücktritt nach § 323 Abs. 1 BGB führt nur Begründung eines schuldrechtlichen Rückgewährschuldverhältnisses nach § 346 BGB, aufgrund dessen der Rückgewährschuldner – hier die Nebenintervenientin – nach § 346 Abs. 1 BGB verpflichtet ist, die an sie vom Kläger in Erfüllung der Kauf- und Abtretungsverträge übertragenen Gesellschaftsanteile Nrn 3 und 4 auf den Kläger zurück zu übertragen. Der Rücktritt bewirkt jedoch nicht die Unwirksamkeit der in Erfüllung der Kauf- und Abtretungsverträge von den Parteien vorgenommenen Verfügungsgeschäfte und damit der Anteilsübertragungen. Die Geschäftsanteile Nrn 3 und 4 sind damit auch nicht mit dem Rücktritt kraft Gesetzes an den Kläger zurückgefallen.

62

b. Der Kläger unterlag dagegen bei der Beschlussfassung am 26.05.2020 zu TOP 2 einem Stimmrechtsverbot, da es um die außerordentliche fristlose Kündigung seines Geschäftsführeranstellungsvertrages aus wichtigem Grund (TOP 2) ging. Ein solcher wichtiger Grund lag auch vor.

63

Ein wichtiger Grund hinsichtlich der Geschäftsführerstellung ist anzunehmen, wenn der Beklagten eine weitere organschaftliche Vertretung durch den Kläger nicht mehr zumutbar war. Hinsichtlich der Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers liegt ein wichtiger Grund vor, wenn eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu einem ordentlichen Ablauf unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dem Kündigenden nicht zugemutet werden kann. Dabei ist nicht nur zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden, vielmehr müssen bei der zusätzlich erforderlichen Interessenabwägung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles daraufhin abgewogen werden, ob es dem Kündigenden unzumutbar ist, das Dienstverhältnis bis zum Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung fortzusetzen (BGH, Urteil vom 02.06.1997 – II ZR 101/96, Rdnr. 6).

64

Dadurch dass der Kläger am 27.04.2020, ohne zuvor die dafür nach der Geschäftsordnung der Beklagten laut Anl. B 20 erforderliche Zustimmung der Geschäftsführerin R. erforderliche Zustimmung erholt zu haben, 240.000,00 € vom Konto der Beklagten auf sein Privatkonto überwies, liegt ein solcher wichtiger Grund sowohl für die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten als auch für die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers mit der Beklagten vor.

65

aa. Eine Befugnis des Klägers, aus dem Vermögen der Beklagten 240.000,00 € zu entnehmen und diese seinem eigenen Vermögen zuzuführen, bestand nicht, da der Kläger zum Überweisungszeitpunkt am 27.04.2020 keinen fälligen Zahlungsanspruch in dieser Höhe gegen die Beklagte hatte.

66

bb. Mit seiner Behauptung, er habe die Überweisung in treuhänderischer Absicht vorgenommen, um Schaden von der Beklagten abzuwenden, da er den Entzug der Kontovollmacht durch die Mitgeschäftsführerin R. habe fürchten müssen, die 240.000,00 € aber am 27.04.2020 zur Begleichung einer Verbindlichkeit der Beklagten in dieser Höhe aus einem unmittelbar bevorstehenden, von ihm ausgehandelten Vergleichsabschluss in einem Bauprozess benötigt worden seien, vermag der Kläger den Senat nicht zu überzeugen. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass sich der Kläger die 240.000,00 € überwies, um damit die Zahlung seines Geschäftsführergehalts sowie von Miete und Bürokostenpauschale an sich auch für den Fall sicherzustellen, dass die Geschäftsführerin R. diese Zahlungen an ihn in Zukunft nicht mehr leisten werde. Diese Überzeugung entnimmt der Senat der Klageschrift des früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19.06.2020 laut Anl. B 1, S. 7 zweiter Absatz, im Beschlussmängelverfahren vor dem Landgericht München I (Az. 12 HK O 7622/20) hinsichtlich des Beschlusses der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 26.05.2020, in dem der Kläger als Grund für die Überweisung der 240.000,00 € am 27.04.2020 angab, dass diese Überweisung nur erfolgt sei, „um die Liquidität der Beklagten sicherzustellen. Was der Kläger befürchtet (habe, sei) eingetreten, nämlich, dass die Geschäftsführerin R. keine Zahlungen mehr vor(nehme). Für Mai 2020 (sei) weder das Gehalt des Klägers noch Miete noch Bürokostenpauschale gezahlt (worden). (…) Die Überweisung des Betrages von 240.000,00 EUR (sei) nur aus Sicherungsgründen erfolgt.“

67

Den Erklärungsversuch des Klägers, er habe die 240.000,00 € zur Erfüllung eines von ihm noch abzuschließenden Vergleichs in einem Baurechtsstreit der Beklagten bezüglich des Objekts G.weg 9 in M. benötigt, erachtet der Senat im Hinblick auf die Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in dem Baurechtsstreit betreffend das Objekt G.weg 9, Rechtsanwalt K., vom 11.01.2021 laut Anl. B 2 für nicht glaubhaft. Denn daraus ergibt sich zwar, dass der Kläger für die Beklagte im März 2020 Vergleichsverhandlungen mit dem damaligen Prozessgegner führte, Rechtsanwalt K. für die Beklagte dem gegnerischen Rechtsanwalt jedoch bereits am 20.04.2020, also nur sieben Tage vor der streitgegenständlichen Überweisung, mitgeteilt hatte, dass ein Vergleich nicht abgeschlossen werden könne, da die Ansprüche gegen die Beklagte möglicherweise verjährt seien. Es ist deshalb nicht ersichtlich, warum nur wenige Tage später ohne Einschaltung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten und ohne, dass dieser von einem beabsichtigten Vergleichsschluss etwas wusste, im Baurechtsstreit die Beklagte nun doch im Vergleichswege hätte zahlen sollen. Unklar ist auch, warum der angeblich unmittelbar bevorstehende Vergleichsabschluss dann doch nicht zustande kam.

68

Gegen die Glaubhaftigkeit des nunmehrigen Erklärungsansatzes des Klägers spricht auch, dass es keine Erklärung für die Diskrepanz zwischen dem im Beschlussmängelverfahren 12 HK O 7622/20 vom Kläger erbrachten Vortrag zu der Überweisung vom 27.04.2020 einerseits und seinem nunmehrigen Vortrag im streitgegenständlichen Verfahren gibt. Dass der Kläger nunmehr den angeblich bevorstehenden Vergleichsabschluss als Erklärungsansatz präferiert und weiterverfolgt, ist aus Sicht des Senats allerdings leicht damit erklärbar, dass der Kläger die Überweisung vom 27.04.2020 damit in einem milderen Licht erscheinen lassen will. Dass der Kläger als Verwendungszweck der Rücküberweisung vom 05.05.2020 (nicht der ursprünglichen Überweisung vom 27.04.2020) „G9“ (wohl G.weg 9 gemeint) angab, sagt über den tatsächlichen Beweggrund für die Überweisung nichts aus. Ebenso wenig lässt der in der Überweisung vom 27.04.2020 angegebene Verwendungszweck „TREUHANDUEBERTRAG“ die Überweisung in einem milderen Licht erscheinen. Denn entscheidend ist nur, dass das Geld auf ein Privatkonto des Klägers überwiesen wurde.

69

cc. Selbst wenn der Kläger aber – wovon der Senat aber wie oben unter bb dargelegt nicht überzeugt ist – die Überweisung vom 27.04.2020 in der Absicht des Vollzugs eines noch abzuschließenden Vergleichs im Baurechtsstreit G.weg 9 getätigt haben sollte, so würde auch dieses Verhalten einen wichtigen Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung seines Anstellungsvertrages darstellen. Denn auch eine etwaige Befürchtung des Klägers, „dass sich an den treuwidrigen Abberufungsversuch (als Teil des Angriffs auf seine Stellung als geschäftsführender Gesellschafter) schlimmstenfalls auch die Sperrung seines Zugriffs auf die Konten der Beklagten anschließen könnte“ (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 10.02.2021, S. 4, Bl. 114 d.A.), rechtfertigt eine Überweisung von 240.000,00 € von einem Konto der Beklagten auf ein Privatkonto des Klägers nicht. Dabei würde es sich nämlich um einen unzulässigen Akt präventiver Selbsthilfe handeln. Wenn der Kläger derartige Befürchtungen hinsichtlich des Vorgehens der Nebenintervenientin und der Mitgeschäftsführerin R. hegt und dies für rechtswidrig hält, muss er dagegen gerichtlich, gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, vorgehen. Keinesfalls kann er aber Geld auf seinem Privatkonto „in Sicherheit bringen“, um „Angriffe“ der Mitgesellschafterin auf seine Stellung abzuwehren.

70

dd. Die Überweisung der 240.000,00 € am 27.04.2020 ist aber auch unabhängig vom Beweggrund des Klägers für die Überweisung (Sicherung von Zahlungen an sich oder – wie der Kläger behauptet – Sicherstellung der Vergleichsdurchführung) ein schwerer Pflichtverstoß, da der Kläger damit gegen die vom ihm als Gesellschafter selbst mitbeschlossene „Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der G. P. O. GmbH“ vom 23.07.2019 laut Anl. B 20 verstieß, wonach der Kläger im Innenverhältnis unbeschadet seiner Alleinvertretungsbefugnis im Außenverhältnis hierfür die vorherige (jedenfalls mündliche) Zustimmung der Mitgeschäftsführerin R. hätte erholen müssen. Dieses Versäumnis wiegt umso schwerer, da nach dem vom Kläger nicht bestrittenen (siehe hierzu den Schriftsatz des Klägervertreters vom 26.07.2021, 8 ff., Bl. 172 ff. d.A.) Vortrag der Beklagten die Geschäftsordnung laut Anl. B 20 gerade deshalb vereinbart worden sei, um „weiteren nicht abgestimmten Zahlungen, die bereits Gegenstand von Beanstandungen waren (Geschäftsführergehälter und Büroservicepauschalen) einen Riegel vorzuschieben“ (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 16.02.2021, S. 6, dritter Absatz, Bl. 124 d.A.). Allein dieser Verstoß gegen die Geschäftsordnung rechtfertigt die Annahme eines wichtigen Grundes für die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages des Klägers, zumal die Überweisung sowohl nach der Sachverhaltsversion des Klägers als auch nach der vom Senat angenommenen gerade erfolgte, um den Willen der Mitgeschäftsführerin R. zu konterkarieren, und damit nicht nur aus Versehen, sondern absichtlich (vgl. OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
, Urteil vom 16.09.1991 – 15 U 238/97, Rdnr. 41). Auch zu dem von ihm behaupteten unmittelbar bevorstehenden Vergleichsabschluss im Baurechtsstreit bezüglich des Anwesens G.weg 9 hätte der Kläger die vorherige Zustimmung der Mitgeschäftsführerin R. einholen müssen.

71

ee. Die unbefugte Überweisung der 240.000,00 € am 27.04.2020 erscheint auch dadurch nicht in einem milderen Licht, dass der Kläger den Betrag in Höhe von 240.000,00 € bereits am 05.05.2020 von seinem Privatkonto auf das Konto der Beklagten zurücküberwies. Denn dadurch wird das durch die unbefugte Überweisung erschütterte Vertrauen in die Redlichkeit des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten nicht wiederhergestellt. Auch nach der Rückzahlung stand nämlich weiter zu befürchten, dass der Kläger bei einer erneuten Streitigkeit mit der Nebenintervenientin und/oder der Mitgeschäftsführerin R. wiederum im Wege der Selbsthilfe zur Schaffung vollendeter TatsachenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Tatsachen
zu seinen Gunsten schreiten würde. Im Übrigen ist die Rücküberweisung auch nichts weiter als die Wiederherstellung eines rechtskonformen Zustands, nachdem der Kläger unstreitig weder am 27.04.2020 noch am 05.05.2020 einen Anspruch auf Zahlung von 240.000,00 € gegen die Beklagte hatte.

72

ff. Auch die Tatsache, dass der Kläger bis zur Kündigung am 26.05.2020 mehrere Jahrzehnte Geschäftsführer der Beklagten war, nimmt dem in der unbefugten Überweisung vom 27.04.2020 liegenden Verstoß gegen die dem Kläger obliegenden Pflichten als Geschäftsführer der Beklagten schon allein in Anbetracht der Höhe des Überweisungsbetrages von 240.000,00 € nichts von seiner Schwere.

73

gg. Schließlich führt auch die vorzunehmende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles nicht dazu, dass es der Beklagten nach der Überweisung vom 27.04.2020 zumutbar gewesen wäre, das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger noch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Denn damit hätte das Geschäftsführeranstellungsverhältnis sowohl nach dem vom Kläger behaupteten Anstellungsvertrag vom 16.10.2020 (dort § 2 Nr. 2 S. 1) als auch nach dem vom Landgericht und der Beklagten als relevant angesehenen Vertrag vom 15.01.1991 laut Anl. B 9 (dort § 3 Nr. 1) erst zum 31.12.2020 geendet. Insbesondere in Anbetracht der Höhe des Überweisungsbetrages von 240.000 € und der Absichtlichkeit der Pflichtverletzung des Klägers war es der Beklagten nicht zumutbar, das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger noch mehr als sechs Monate fortzusetzen. Das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses und insbesondere an der Fortzahlung seiner Vergütung bis Ende des Jahres 2020 muss dahinter zurückstehen.

74

Nach alledem bildet bereits die Überweisung vom 27.04.2020 allein einen wichtigen Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Klägers mit der Beklagten (wie im Übrigen auch für die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten), sodass es auf die weiteren, von der Beklagten behaupteten Kündigungsgründe nicht mehr ankommt.

75

Aufgrund der Stimmberechtigung der Nebenintervenientin und des Stimmverbots des Klägers bei der Beschlussfassung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zu TOP 2 wurden die Beschlussvorschläge zu TOP 2 einstimmig angenommen und ist damit die nach § 11 Nr. 3 S. 1 GV erforderliche Mehrheit von 80% der abgegebenen Stimmen erreicht.

76

Da der Kläger zumindest hinsichtlich des hier relevanten Beschlusses zu TOP 2 vom 26.05.2020 in seiner Klage vom 19.06.2020 laut Anl. B 1 im Verfahren des Landgerichts München I, Az. 12 HK O 7622/20 weitere Beschlussmängel nicht vorgetragen hat, war der Beschluss TOP 2 (wie im Übrigen auch der zu TOP 1) wirksam.

77

3. Entgegen der Ansicht des Klägers war auch die außerordentliche fristlose Kündigung seines Anstellungsverhältnisses vom 26.05.2020 wirksam.

78

a. Wie oben unter 2 b dargelegt lag ein wichtiger Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung vor.

79

b. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26.05.2020 erfolgte auch innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB.

80

aa. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für den Fristbeginn nach § 626 Abs. 2 BGB ausschlaggebend, wann der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Bei juristischen Personen – wie hier der Beklagten als GmbH – ist grundsätzlich die Kenntnis des zur Kündigung berechtigten Organs entscheidend, bei der GmbH also diejenige der Gesellschafterversammlung. Da die Gesellschafterversammlung ein Kollegialorgan ist, das seinen Willen durch Beschlussfassung bilden muss, kommt es für die Wissenszurechnung an die Gesellschaft nur auf die Kenntnis der Organmitglieder in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende an der kollektiven Willensbildung an. Kenntnis der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Kenntnis
Kenntnis der Gesellschafter
als kollegiales Beratungs- und Beschlussorgan liegt daher erst dann vor, wenn der für die Tatsachenkenntnis maßgebliche Sachverhalt hinsichtlich der Entlassung des Geschäftsführers einer Gesellschafterversammlung (§ 48 Abs. 1 GmbHG) unterbreitet wird. § 626 Abs. 2 BGB beruht auf dem Gedanken, dass der Berechtigte aus seiner Kenntnis die seiner Ansicht nach gebotenen Konsequenzen ziehen kann; hierzu sind die Gesellschafter, selbst wenn sie sämtlich als einzelne außerhalb einer Gesellschafterversammlung Kenntnis vom Kündigungssachverhalt erlangt haben, nicht ohne den Zusammentritt als Kollegialorgan in der Lage (BGH, Urteil vom 15.06.1998 – II ZR 318/96, Rdnr. 6).

81

Da der Zusammentritt der Gesellschafterversammlung am 26.05.2020 war und die Kündigung gegenüber dem Kläger noch am selben Tag durch Übergabe des Kündigungsschreibens ausgesprochen wurde, ist unter Zugrundelegung der oben dargelegten Rechtsprechung des BGH die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich ohne weiteres eingehalten.

82

bb. Jedoch darf dem betroffenen Geschäftsführer nach Sinn und Zweck des § 626 Abs. 2 BGB nicht zugemutet werden, bis zu einem unabsehbaren Zusammentritt der Gesellschafterversammlung zuwarten zu müssen. Wird daher die Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
einer GmbH von ihren einberufungsberechtigten Mitgliedern nach Kenntniserlangung von dem Kündigungssachverhalt unangemessen verzögert, so muss sich die Gesellschaft nach der Rechtsprechung des BGH so behandeln lassen, als wäre die Gesellschafterversammlung mit der billigerweise zumutbaren Beschleunigung einberufen worden (vgl. BGH, Urteil vom 15.06.1998 – II ZR 318/96, Rdnr. 7).

83

Eine solche Verzögerung liegt streitgegenständlich jedoch nicht vor, da die Überweisung der 240.000,00 € auf das Konto des Klägers, auf die die Kündigung gestützt ist, am 27.04.2020 erfolgte und jedenfalls vor dem 05.05.2020 der einberufungsberechtigten Geschäftsführerin R. bekannt wurde, nachdem die Rücküberweisung vom 05.05.2020 durch den Kläger auf Aufforderung der Geschäftsführerin R. vorgenommen wurde. Selbst wenn die Überweisung vom 27.04.2020 der Geschäftsführerin R. durch Kenntnisnahme des Kontoauszugs vom 28.04.2020 laut Anl. B 5 am 28.04.2020 bekannt geworden sein sollte, lägen zwischen der Kenntniserlangung der einberufungsberechtigten Geschäftsführerin R. vom Kündigungsgrund und der Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
durch letztere mit Schreiben vom 07.05.2020 unter Berücksichtigung des Maifeiertages und Wochenendes nur fünf Arbeitstage, was keine unangemessene Verzögerung begründet. Auch die Anberaumung der außerordentlichen Gesellschafterversammlung auf den 26.05.2020 stellt in Anbetracht der nach dem Gesellschaftsvertrag zweiwöchigen Einberufungsfrist und der einzuberechnenden Postlaufzeit für das Einladungsschreiben auch in der Zusammenschau mit dem zwischen Kenntniserlangung und Einberufung liegenden Zeitraum von fünf Arbeitstagen keine unangemessene Verzögerung dar.

84

Selbst wenn man dies jedoch – wie nicht – annehmen sollte, müsste sich die Gesellschaft dann nur so behandeln lassen, als wäre die Gesellschafterversammlung mit der billigerweise zumutbaren Beschleunigung einberufen worden (BGH, Urteil vom 15.06.1998 – II ZR 318/96, Rdnr. 7). Auch bei größtmöglicher Beschleunigung wäre aber der Zeitraum zwischen dem fiktiv vorzuverlegenden Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund durch die Gesellschafterversammlung und der Übergabe der Kündigungserklärung am 26.05.2020 nicht länger als die zwei Wochen gemäß § 626 Abs. 2 S. 1 BGB.

85

cc. An diesen Grundsätzen der Kenntniserlangung durch die Gesellschafterversammlung ändert sich auch dadurch nichts, dass es sich bei der Beklagten um eine zweigliedrige GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
zweigliedrige Gesellschaft
mit dem Kläger und der Nebenintervenientin als Gesellschafter handelt und zur Entscheidung über die außerordentliche fristlose Kündigung in der Gesellschafterversammlung nur die Nebenintervenientin berufen war, da in Bezug auf den Kläger, nachdem in seiner Person ein wichtiger Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung tatsächlich vorlag (vgl. oben unter 2 b), ein Stimmverbot nach § 47 GmbHG bestand. Denn der BGH hat die oben angewandten Grundsätze für die Kenntniserlangung auf der Basis einer Gesellschaft mit nur zwei Gesellschaftern entwickelt, von denen der eine einem Stimmverbot unterlag, da es um die Kündigung seines Anstellungsvertrages aus wichtigem Grund ging (vgl. BGH, Urteil vom 15.06.1998 – II ZR 318/96, Rdnr. 8 aE).

86

c. Eine außerordentliche fristlose Kündigung eines Anstellungsverhältnisses unterliegt auch keinem Begründungserfordernis, sodass es nicht darauf ankommt, ob in dem Kündigungsschreiben vom 26.05.2020 laut Anl. A 1 hinreichende Gründe für die Kündigung angegeben waren. Entscheidend ist vielmehr allein, ob tatsächlich ein hinreichender Grund vorlag, was – wie oben unter 2 b dargelegt – der Fall war.

87

d. Das Fehlen einer Abmahnung des Klägers durch die Beklagte führt nicht zur Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung, da auch nach der Schuldrechtsreform einer außerordentlichen fristlosen Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrages eine Abmahnung schon deshalb nicht vorangehen muss, weil ein Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft Arbeitgeberfunktionen wahrzunehmen hat und diese Funktionszuweisung einen besonderen Umstand iSd. § 314 Abs. 2 BGB darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 02.07.2007 – II ZR 71/06). Selbst wenn aber – wie nicht – entgegen der Rechtsprechung des BGH auch bei einem Geschäftsführer einer GmbH nach § 314 Abs. 2 S. 1 BGB von der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Abmahnung ausgegangen werden sollte, so wäre eine solche im streitgegenständlichen Fall schon deshalb gemäß § 314 Abs. 2 S. 3 BGB entbehrlich, da durch die unbefugte Überweisung vom 27.04.2020 der Vertrauensbereich betroffen ist.

88

e. Schließlich steht der Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 26.05.2020 auch nicht entgegen, dass das Kündigungsschreiben dem Kläger nicht per eingeschriebenen Brief zuging, sondern ihm von der Mitgeschäftsführerin R. im Anschluss an die Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020 persönlich übergeben wurde.

89

Sofern sich der Kläger insoweit auf § 2 Nr.2 S. 1 des von ihm behaupteten Anstellungsvertrags vom 16.10.1990 laut Anl. A 2 beruft, so führt die bloße persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens vom 26.05.2020 an ihn unbeschadet der Frage, ob sich das Erfordernis der Kündigungsübermittlung ohnehin nur auf eine ordentliche, nicht aber auch auf die hier streitgegenständliche außerordentliche fristlose Kündigung bezieht, nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 26.05.2020. Denn die (unterstellt geltende) Klausel „mit eingeschriebenen Brief“ beinhaltet die Abrede der Schriftform für die Kündigungserklärung und zusätzlich die Vereinbarung der besonderen Übersendungsart durch einen eingeschriebenen Brief. Bei einer solchen Klausel hat die Schriftform konstitutive Bedeutung im Sinne von § 125 Satz 2 BGB, während die Versendung als Einschreibebrief nur den Zugang der Kündigungserklärung sichern soll. Deswegen ist bei einer solchen Klausel regelmäßig nur die Schriftform als Wirksamkeitserfordernis für die Kündigungserklärung vereinbart, dagegen kann ihr Zugang auch in anderer Weise als durch einen Einschreibebrief wirksam erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2013 – XII ZR 35/11, Rdnr. 8).

90

Nach alledem beendete die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26.05.2020 mit ihrem Zugang beim Kläger am selben Tag das bis dahin bestehende Geschäftsführeranstellungsverhältnis des Klägers bei der Beklagten, sodass die Berufung des Klägers insoweit unbegründet ist und die Klage insoweit abgewiesen bleibt.

II.

91

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von Geschäftsführervergütung in Höhe von 4.193,55 € brutto für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis 26.05.2020.

92

a. Da – entgegen der Annahme des Landgerichts (dazu vgl. oben unter I.) – das Geschäftsführeranstellungsverhältnis des Klägers auch noch im Zeitraum vom 01.05.2020 bis 26.05.2020 bestand und dem Kläger unstreitig für diesen Zeitraum von der Beklagten keine Vergütung mehr bezahlt wurde, hat der Kläger für diesen Zeitraum gemäß § 611 Abs. 1 BGB noch Anspruch auf Zahlung von Vergütung. Für den späteren Zeitraum vom 27.05.2020 bis 31.05.2020, für den der Kläger ebenfalls Vergütungsansprüche geltend macht, kann er dagegen keine Vergütung mehr verlangen, da sein Anstellungsverhältnis infolge der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 26.05.2020 zu diesem Zeitpunkt bereits beendet war.

93

b. Da das monatliche Bruttogeschäftsführergehalt des Klägers nach seinem unbestrittenen Vortrag in der Klageschrift (dort S. 3 letzter Absatz, Bl. 7 d.A.) zuletzt 5.000,00 € betrug, ist dieser Betrag auch für den Monat Mai 2020 zu Grunde zu legen. Damit errechnet sich für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis einschließlich 26.05.2020 ein Vergütungsanspruch des Klägers in Höhe von 4.193,55 € brutto.

94

Ein darüber hinausgehender Vergütungsanspruch für den Monat Mai 2020 besteht – wie oben dargelegt – nicht, sodass die Klage insoweit abgewiesen bleibt.

95

2. Nachdem nach dem ebenfalls unstreitigen Vortrag des Klägers die monatliche Vergütungszahlung zum Monatsende fällig wurde, ist der Betrag von 4.193,55 € ab dem 01.06.2020 und – wie vom Kläger nur beantragt – mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

III.

96

Da nach den obigen Ausführungen unter I zwischen den Parteien entgegen der Ansicht des Landgerichts im Zeitraum vom 01.08.2016 bis 26.05.2020 ein Geschäftsführeranstellungsverhältnis bestand, erfolgten die monatlichen Vergütungszahlungen der Beklagten an den Kläger im Zeitraum vom 01.08.2016 bis 30.04.2020 mit Rechtsgrund, sodass der Ausspruch des Landgerichts in Ziffer 2 des Tenors seines Urteils aufzuheben war. Der vom Landgericht angenommene Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Rückzahlung von Vergütung in Höhe von insgesamt 225.000,00 € (45 Monate x 5.000,00 €) aus § 812 Abs. 1 BGB besteht somit schon dem Grunde nach nicht, sodass die Widerklage insgesamt abzuweisen war.

C.

97

I. Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien. Der Senat geht dabei von einem Obsiegen des Klägers bezüglich der Klage in Höhe von 4.193,55 € und bezüglich der Widerklage in Höhe von 225.000,00 € und damit insgesamt in Höhe von 229.193,55 € aus. Der Kläger unterliegt dagegen mit seinem Feststellungsantrag, der gemäß § 42 Abs. 1 GKG mit 144.000,00 € (12 x 3 x 5.000,00 x 0,8) zu bemessen ist.

98

Die Kosten der Nebenintervention, die sich nur auf die Klage erstreckte, waren gemäß § 101 Abs. 1 ZPO entsprechend dem Obsiegen der Beklagten hinsichtlich der Klage vom Kläger zu tragen. Im Übrigen trägt die Nebenintervenientin ihre Kosten selbst. Dies ergibt bei einem Wert der Klage von insgesamt 149.000,00 € (144.000,00 € + 5.000,00 €) und einem diesbezüglichen Obsiegen der Beklagten mit 144.806,45 € (144.000,00 € + 806,45 €) eine Quote von 97% zu Lasten des Klägers und von 3% zu Lasten der Nebenintervenientin.

99

II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

100

III. Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt.

Löffler I www.K1.de I Gesellschaftsrecht I Gesellschafterversammlung I M&A I Unternehmenskauf I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

Schlagworte: Abberufung, Abberufung Aufsichtsrat, Abberufung aus wichtigem Grund Abberufung außerhalb des gesetzlichen Sofortvollzugs, Abberufung des Alleingeschäftsführers, Abberufung des Fremdgeschäftsführers Abberufung des Geschäftsführers, Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund, Abberufung des Geschäftsführers zu gesellschaftsvertragswidrigem Zweck; Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, Abberufung des GmbH-Geschäftsführers und Beendigung des Anstellungsvertrags, Außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages, Beendigung des Anstellungsvertrages, Beendigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund, Eigenmächtige Privatentnahme, Entnahmen, Entzug Vermögenswerte, Erwerbstreuhand, grobe Pflichtverletzung, Ist Gesellschaft Schaden entstanden Schadenswidergutmachung, Klage der Geschäftsführer gegen Kündigung des Anstellungsvertrages, Kündigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund, Treuhand, Treuhandübertragung, Treuhandverhältnis, unbefugte Entnahme aus dem Gesellschaftsvermögen, unbefugte Entnahmen, unberechtigte Entnahmen, Verstoß gegen Geschäftsordnung, wichtiger Grund in der Rechtsprechung

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OLG München, Urteil vom 22. März 2023 – 7 U 453/22 

Mittwoch, 22. März 2023

Ausschluss I Ausschließung

§ 275 BGB, § 675 Abs 1 BGB, § 666 Alt 2 BGB, § 666 Alt 3 BGB

1. Für eine Klage gegen die Ausschließung ergibt sich das Rechtsschutzbedürfnis des ausgeschlossenen Gesellschafters unmittelbar. Auch für einen Beschluss, Ausschließungsklage zu erheben, gilt nichts anderes. Insoweit muss der Gesellschafter ebenfalls befugt sein, einen entsprechenden Beschluss im Falle seiner Rechtswidrigkeit – schon wegen seines guten Rufs – aus der Welt zu schaffen.

2. Einem Beschluss, Auskunft und Rechenschaft zu verlangen, kommt allein die Wirkung zu, dass die Gesellschaft die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen und Ansprüchen auf Rechnungslegung beschließt. Ob und in welchem Umfang die Ansprüche tatsächlich gegeben sind, ist erst in dem prozess zu klären, in dem die Gesellschaft den Geschäftsführer bzw. ehemaligen Geschäftsführer im Wege der Leistungsklage auf Auskunft und Rechnungslegung in Anspruch nimmt.

3. Die Aufbewahrungsfristen für Buchhaltungsunterlagen beschränken den Umfang der Rechenschaftspflicht nicht. Besteht eine Rechnungslegungspflicht, so kann dieser Pflicht lediglich entgegengehalten werden, dass sie unmöglich geworden sei, wenn Unterlagen (eben weil die Aufbewahrungsvorschriften abgelaufen sind) vernichtet worden sind. Sind die Unterlagen jedoch vorhanden, können und müssen sie für die Rechnungslegung verwendet werden (vgl. BGH, 10. Oktober 1994, II ZR 95/93).

Tenor

1. Die Streithelferin wird ihrer Berufung für verlustig erklärt.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird Ziff. 2 des Urteils des Landgerichts München I vom 13.12.2021, Az. 10 HK O 8036/20 abgeändert und die Klage insoweit in vollem Umfang abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

3. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

4. Die Gerichtskosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagte und die Streithelferin zu je 1/6. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagte und die Streithelferin jeweils 1/6. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten trägt der Kläger 2/3. Von den außergerichtlichen Kosten der Streithelferin in erster Instanz trägt der Kläger 2/3. Im Übrigen tragen die Parteien und die Streithelferin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

5. Dieses Urteil sowie das in Ziff. 1 genannte Urteil im Umfang seiner Bestätigung sind vorläufig vollstreckbar.

6. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von auf einer Gesellschafterversammlung der Beklagten am 16.06.2020 gefassten Beschlüssen.Randnummer2

Der Kläger gründete die Beklagte mit einem Stammkapital von 50.000 DM und war zunächst deren Alleingesellschafter. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger seit Anbeginn 2/3 der Geschäftsanteile treuhänderisch für die Herren Rechtsanwälte H. K. und G. B. hielt. Der Kläger sowie die genannten Personen nutzten die Gesellschaft jedenfalls zur Umsetzung verschiedener Geschäftsideen. Nach Ausscheiden von Rechtsanwalt Brandt setzten der Kläger und Herr K. Projekte mit der Gesellschaft um.Randnummer3

Später wurde das Stammkapital der Gesellschaft auf 100.000 DM erhöht und wurden vier Geschäftsanteile von je 25.000 DM mit den Anteilsnummern 1-4 gebildet. Mit Anteilsübertragungsverträgen vom 17.08.2016 und 21.12.2018 (Anlagen K10 und K13) wurden die Geschäftsanteile Nrn. 3 und 4 auf Frau C. P., die Tochter des Herrn K., übertragen. Frau P. ist in der Gesellschafterliste der Beklagten als deren Gesellschafterin eingetragen.Randnummer4

Der Kläger war somit Mitgesellschafter der Beklagten zu 50% und – jedenfalls bis zur Gesellschafterversammlung vom 27.04.2020 – ihr Mitgeschäftsführer. Weitere Geschäftsführerin ist seit 23.07.2019 Frau A. R., die in der Rechtsanwaltskanzlei KMO H. K. beschäftigt ist.Randnummer5

Die Satzung der Beklagten sieht in § 10 Nr. 2 eine Ladungsfrist von vier Wochen für ordentliche und von zwei Wochen für außerordentliche Gesellschafterversammlungen vor. Sie verlangt für eine Beschlussfassung eine Zustimmung von 80% der abgegebenen Stimmen (§ 11 Nr. 3 der Satzung, Anlage K3). Einziehung und Ausschließung regelt die Satzung nicht.Randnummer6

Die Geschäftsführerin R. lud mit Schreiben vom 28.05.2020 (Anlage K28) zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 16.06.2020. Auf dieser Gesellschafterversammlung stimmte die Gesellschafterin P. für die Ausschließung des Klägers sowie Erhebung einer Ausschließungsklage (TOP 1) sowie für Auskunft und Rechnungslegung bezüglich der mit der HS-W. GmbH abgewickelten Geschäfte (TOP 2); der Kläger stimmte dagegen (Anlage K29). Zum genauen Wortlaut der Beschlüsse wird auf deren Wiedergabe in den Anträgen des Klägers verwiesen. Die zur Versammlungsleiterin bestimmte Geschäftsführerin Riese stellte fest und verkündete, dass die Beschlüsse mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden seien.Randnummer7

Der Kläger war erstinstanzlich der Auffassung, Frau C. P. habe kein Stimmrecht gehabt, weil der Kläger wegen Nichtzahlung der Kaufpreise für die erworbenen Geschäftsanteile mit Schreiben vom 08.05.2020 von beiden Anteilsübertragungsverträgen zurückgetreten sei. Dessen ungeachtet seien sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung auch deshalb nicht wirksam gefasst, da die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Mehrheit verfehlt worden sei. Der Kläger habe insoweit keinem Stimmverbot unterlegen.Randnummer8

Auch seien Gründe für die Ausschließung des Klägers aus der Gesellschaft und für die Erhebung einer Ausschließungsklage nicht gegeben. Für eine Ausschließung fehle es an der erforderlichen satzungsrechtlichen Grundlage. Ein Beschluss über die Erhebung einer Ausschließungsklage sei in einer 2-Personengesellschaft nicht erforderlich.Randnummer9

Die Beschlussfassung zu TOP 2 sei unwirksam, da alle Vorgänge vor Eintritt der Gesellschafterin P. in die Beklagte bereits abgeschlossen gewesen seien. Die Geschäftsvorgänge lägen 12-24 Jahre zurück, seien steuerrechtlich abgeschlossen und die Akten weitestgehend vernichtet, sodass der Kläger allenfalls aus dem Gedächtnis Auskunft erteilen könnte. Er hebt die Einrede der Verjährung und der Verwirkung. Auch sei eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich.Randnummer10

Erst mit Schriftsatz vom 09.11.2020, S. 42, Bl. 65 d.A., rügte der Kläger die Nicht-Einhaltung der Ladungsfrist, da den Tagesordnungspunkten dieser Gesellschafterversammlung jede Dringlichkeit fehle.Randnummer11

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt:Randnummer12

Es wird festgestellt, dass die in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 16.06.2020 gefassten Beschlüsse zuRandnummer13

TOP 1Randnummer14

Ausschließung des Gesellschafters S. G. aus der Gesellschaft wegen pflichtwidriger und gesellschaftsschädigender Handlungen sowie Erhebung einer Ausschließungsklage durch die Gesellschafter gegen Herrn S. G.Randnummer15

TOP 2Randnummer16

Auskunft und Rechnungslegung bezüglich der mit der HS-W. GmbH abgewickelten Geschäfte, insbesondere Darlehensverhältnisse und zu der Frage, wann und aus welchen Gründen diese Geschäfte von der Gesellschaft nicht mehr weiterbetrieben wurden, sondern Herr S. G. auf privater Ebene diese Geschäfte fortgesetzt bzw. abgewickelt hat.Randnummer17

nichtig sind.Randnummer18

Die Beklagte hat beantragt:Randnummer19

Klageabweisung.Randnummer20

Die Beklagte trägt vor, dass es sich bei TOP 1 um einen als dringlich anzusehenden Beschluss handele. Die Beklagte habe es für notwendig erachtet klarzustellen, dass tatsächlich die Erhebung einer Ausschlussklage und nicht die – satzungsmäßig ohnehin nicht mögliche – Einziehung der Geschäftsanteile des Klägers beschlossen werden sollte. Im Übrigen seien dem Kläger erhebliche Pflichtverletzungen vorzuwerfen. Darauf komme es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht an, denn die Frage eines wichtigen Grundes für die Ausschließung sei im Rahmen der Ausschließungsklage zu klären.Randnummer21

Die Notwendigkeit der Beschlussfassung zu TOP 2 ergebe sich daraus, dass der Kläger eine Offenlegung der langjährigen Geschäftsbeziehungen zur HS-W. GmbH trotz mehrfacher Auskunftsersuchen mit fadenscheinigen Gründen verweigere. Auch habe er sich nicht über den Verbleib einer zugunsten der Beklagten eingetragenen Grundschuld erklärt.Randnummer22

Das Landgericht hat mit Endurteil vom 13.12.2021, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 ZPO), festgestellt, dass der zu TOP 1 gefasste Beschluss nichtig ist, soweit die Ausschließung des Gesellschafters S. G. beschlossen wurde. Außerdem hat es den zu TOP 2 gefassten Beschluss für nichtig erklärt, soweit Rechnungslegung für die Jahre vor 2009 verlangt wurde. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Das Landgericht hielt die Ladungsfrist für gewahrt, da es sich um dringliche Tagesordnungspunkte handele. Die Ausschließung des Klägers sei nichtig, weil es an einer satzungsmäßigen Grundlage fehle. Im Übrigen – also hinsichtlich des Beschlusses auf Erhebung der Ausschließungsklage, eines eigenständigen Teils des Beschlusses – sei der Beschluss aufgrund des Stimmverbotes des Klägers mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes sei nicht im Beschlussanfechtungsverfahren zu prüfen. Auch der Beschluss zu TOP 2 sei formell ordnungsgemäß gefasst worden, weil auch insoweit der Kläger von einer Stimmabgabe ausgeschlossen gewesen sei. Als Gesellschaftergeschäftsführer schulde er Auskunft und Rechnungslegung aus §§ 713, 666 BGB analog. Die Beklagte könne Auskunft verlangen weil sie ein berechtigtes Interesse an der Information habe. Ausgeschlossen seien Ansprüche nur, wenn die Beklagte keinesfalls mehr etwas von dem Beauftragten fordern könne. Insoweit genüge aber die bloße Möglichkeit von Ansprüchen. Mögliche Ersatzansprüche seien vorliegend nicht gänzlich ausgeschlossen. Daher schulde der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer umfassend Auskunft über getätigte Geschäfte mit der HS-W. GmbH, und zwar sowohl soweit der Kläger die Geschäfte im Namen der Beklagten getätigt habe als auch soweit diese über den Kläger persönlich abgewickelt wurden. Rechnungslegung könne jedoch nicht verlangt werden für den Zeitraum, für den Geschäftsunterlagen nicht mehr aufzubewahren seien, mithin für die Jahre vor 2009.Randnummer23

Gegen das Urteil haben beide Parteien als auch die Streithelferin – die Mitgesellschafterin des Klägers – Berufung eingelegt.Randnummer24

Der Kläger wendet sich insbesondere gegen die Annahme der Teilbarkeit des unter TOP 1 gefassten Beschlusses; eine solche Teilbarkeit nehme nicht einmal die Beklagte an. Gegen die Teilbarkeit spreche auch, dass der verbleibende Beschlussinhalt redundant sei, weil es des Beschlusses für die Erhebung der Ausschließungsklage nicht bedürfe. Fehlerhaft sei das Landgericht auch von einer Auskunft bzw. Rechnungslegungspflicht bezüglich der weit zurückliegenden Geschäftsvorfälle ausgegangen.Randnummer25

Der Kläger beantragt,Randnummer26

das Endurteil des Landgerichts München I vom 13.12.2021 (Az.: 10 HK O 8036/20) abzuändern und der Klage vom 26.06.2020 vollumfänglich stattzugeben.Randnummer27

Die Beklagte beantragt,Randnummer28

unter Abänderung des am 13.12.2021 verkündeten Urteils des Landgerichts München I vom 13.12.2021, Az. 10 HK O 8036/20, die Klage insgesamt abzuweisen.Randnummer29

Kläger und Beklagte beantragen wechselseitigRandnummer30

die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels.Randnummer31

Die Beklagte rügt insbesondere, dass das Landgericht verkannt habe, dass es sich bei TOP 1 um einen einheitlichen Beschluss auf Erhebung der Ausschließungsklage handele und dass ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtung dieses Beschlusses seitens des Klägers nicht bestehe.Randnummer32

Der Senat über die Berufungen am 22.03.2023 mündlich verhandelt. Die Streithelferin hat dort ihre Berufung zurückgenommen. Auf die Sitzungsniederschrift und die gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

B.

Die Streithelferin, die Gesellschafterin P. der Beklagten, hat erstinstanzlich ihren Beitritt erklärt. Das Landgericht hat nach Rüge der Zulässigkeit des Beitritts durch die Klagepartei diesen nicht durch förmliches Zwischenurteil (§ 71 Abs. 2 ZPO), sondern im Rahmen der Gründe des Endurteils für zulässig erklärt. Hiergegen hat der Kläger kein Rechtsmittel eingelegt; auch im Rahmen der Berufung erfolgte keine diesbezügliche Rüge. Der Beitritt ist daher rechtskräftig wirksam (vgl. § 71 Abs. 3 ZPO).Randnummer34

Die Streithelferin hat mit Schriftsatz vom 19.01.2022 Berufung eingelegt, ihre Berufung jedoch in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Da es sich vorliegend – im Hinblick auf die gesetzlich angeordnete Rechtskrafterstreckung des Urteils auf alle Gesellschafter analog § 248 Abs. 1 AktG – um eine (aus prozessualen Gründen) streitgenössische Streithilfe handelt, war über die Berufung der Streithelferin gesondert zu entscheiden (BGH, Urteil vom 30.04.2001 – II ZR 328/00, juris-Rn. 4). Die Streithelferin war daher ihrer Berufung für verlustig zu erklären, § 516 Abs. 1 und 3 ZPO.

C.

Das Landgericht hat zutreffend die Nichtigkeit des Beschlusses unter TOP 1 festgestellt, soweit dort die Ausschließung beschlossen wurde, im Übrigen die Anfechtungsklage des Klägers zurückgewiesen. Im Ergebnis zutreffend hat es den Beschluss der Gesellschafterversammlung unter TOP 2, den Kläger auf Auskunft und Rechenschaft in Anspruch zu nehmen, im Grundsatz bestätigt. Zu Unrecht hat es jedoch die Rechenschaftspflicht unter Hinweis auf die handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen von 10 Jahren auf die Jahre ab 2009 beschränkt. Insoweit hat die Berufung der Beklagten Erfolg. Im Übrigen, im Falle des Klägers somit zur Gänze bleiben die Rechtsmittel ohne Erfolg. Im Einzelnen ist auszuführen.

I.

Der Beschluss unter TOP 1 ist zweiteilig. Die Ausschließung ist unwirksam; die Klage gegen den Beschluss auf Erhebung der Ausschließungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet.Randnummer37

1. Der im Tatbestand wörtlich zitierte Beschluss ist zweiteilig formuliert.Randnummer38

Zum einen wird die Ausschließung beschlossen, zum anderen die Erhebung der Ausschlussklage. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Beschlusses, der beide Punkte mit der Konjunktion „sowie“ verbindet und damit für einen objektiven Leser des Beschlusses zum Ausdruck bringt, dass es sich um zwei unterschiedliche Regelungsgegenstände handelt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Sinn einer Ausschließung im Bewusstsein der Notwendigkeit einer Ausschließungsklage fragwürdig erscheint. Auch der frühere Beschluss in der Gesellschafterversammlung vom 26.05.2020 (dort TOP 11, Anlage K 27, S. 16), bei der tatsächlich eine Ausschließung beschlossen wurde, waren zweiteilig – materiell die Ausschließung, ferner die Ergreifung prozessualer Mittel („Ausschließung […] sowie Einleitung und Abwehr gerichtlicher Verfahren diesbezüglich“) – formuliert. Wortlaut und angestellter Vergleich belegen somit – jedes Argument für sich, erst recht in der Gesamtschau – für den Senat, dass ein zweiteiliger Beschluss gefasst wurde. Nur ergänzend sei angemerkt, dass der Kläger, hätte er den Beschluss nicht angefochten, Gefahr gelaufen wäre, dass man ihm einen bestandskräftigen Ausschluss vorgehalten hätte.Randnummer39

2. Die Klage ist – anders als die Beklagte meint – zulässig. Insbesondere fehlt ihr nicht das Rechtsschutzbedürfnis.Randnummer40

2.1. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis an der Vernichtung eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung grundsätzlich nicht erforderlich. Eine entsprechende Feststellungsklage dient ebenso wie die Anfechtung oder Nichtigkeitsklage der Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Gesellschafterbeschlusses. Sie ist ein aus der Mitgliedschaft selbst folgendes Recht und bedarf keiner besonderen Rechtfertigung durch eine persönliche Betroffenheit des klagenden Gesellschafters. Ausdrücklich weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass schon der Wunsch eines Klägers, im Falle eines Ausschließungsbeschlusses seinen guten Ruf wieder herzustellen, für ein Rechtsschutzbedürfnis genügt (BGH, Urteil vom 25.10.2010 – II ZR 115/09, juris-Rn. 25f.).Randnummer41

2.2. Für die Klage gegen die Ausschließung ergibt sich das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers unmittelbar.Randnummer42

2.3. Auch für den Beschluss, Ausschließungsklage zu erheben, gilt nichts anderes. Insoweit muss der Gesellschafter ebenfalls befugt sein, einen entsprechenden Beschluss im Falle seiner Rechtswidrigkeit – schon wegen seines guten Rufs – aus der Welt zu schaffen. Ob und inwieweit der Beschluss einer materiell-rechtlichen Kontrolle unterliegt, insbesondere ob inzident eine Prüfung des wichtigen Grundes für eine Ausschließung stattfindet oder ob sich die Klage auf eine formelle Kontrolle der Beschlussfassung beschränkt, ist hierfür ohne Bedeutung, da ein legitimes Interesse an der Beseitigung eines nur formell fehlerhaften Beschlusses gleichfalls besteht.Randnummer43

3. Der Ausschließungsbeschluss ist schon deshalb unwirksam – entsprechend hat das Landgericht die damit gleichbedeutende Nichtigkeit festgestellt -, weil einer Ausschließung durch BeschlussBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Beschluss
vorliegend die satzungsmäßige Grundlage fehlt. Damit bedarf es zu einem Ausschluss eines Gesellschafters einer Gestaltungsklage, gerichtet auf Ausschließung (grundlegend: BGH, Urteil vom 01.04.1953 – II ZR 235/52). Da dies der übereinstimmenden Rechtsauffassung beider Parteien entspricht, sieht der Senat von einer näheren Begründung ab.Randnummer44

4. Der Beschluss auf Erhebung der Ausschlussklage ist dagegen rechtmäßig und unterliegt daher nicht der Anfechtung.Randnummer45

4.1. In formeller Hinsicht kann der Kläger eine mögliche Nicht-Einhaltung der Ladungsfrist schon deshalb nicht geltend machen, weil er diesen Anfechtungsgrund nicht innerhalb der Klagefrist von einem Monat (§ 246 Abs. 1 AktG analog) geltend gemacht hat. Eine Geltendmachung erst im Schriftsatz vom 09.11.2020, dort S. 42, Bl. 65 d.A., ist zu spät.Randnummer46

Keine Bedenken bestehen gegen die Erfüllung des notwendigen Zustimmungsquorums von 80%, da der Kläger gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG bei Beschlussfassungen, die die Einleitung eines Rechtsstreits mit ihm zum Gegenstand haben, einem Stimmverbot unterliegt. Soweit in der Klageschrift noch bezweifelt wurde, dass die Mitgesellschafterin P. im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch Gesellschafterin war, weil der Kläger den Rücktritt vom Anteilskaufvertrag erklärt habe, ist dieses Argument von Rechts wegen unbehelflich, da der Rücktritt nur das schulrechtliche Rechtsverhältnis erfasst und als solches Rückgewähransprüche auslöst, nicht aber eo ipso die Anteilsübertragung an Frau P. vernichtet. Diese war überdies – unstreitig – in der Gesellschafterliste eingetragen, gilt damit als Gesellschafterin (§ 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Das Argument hat sich überdies zwischenzeitlich erledigt, weil die Klage des Klägers gegen Frau P. auf Rückabwicklung zwischenzeitlich rechtskräftig abgewiesen ist, wie dem Senat aus dem am selben Tag verhandelten Parallelverfahren 7 U 1832/22 bekannt ist.Randnummer47

4.2. In materieller Hinsicht ist im Rahmen der Beschlussanfechtung nicht zu prüfen, ob ein wichtiger Grund vorliegt. Dieser Gesichtspunkt wird allein in dem prozess geprüft, in dem über den Anspruch auf Ausschließung (im Wege einer Gestaltungsklage analog § 140 HGB) entschieden wird (BGH, Urteil vom 13.01.2003 – II ZR 227/00, juris-Rn. 4). Das bezweifelt auch der Kläger nicht. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Beschluss nicht rechtsmissbräuchlich gefasst wurde. Schon der Umstand, dass sich der Kläger – mit welcher Begründung auch immer – während des Laufs der Gesellschafterversammlung am 27.04.2020, in der über seine Abberufung als Geschäftsführer entschieden werden sollte, eigenmächtig 240.000 € auf sein Privatkonto überwies (zum Sachverhalt wird auf das am selben Tag verhandelte Verfahren 7 U 723/22 Bezug genommen), obwohl er nach Geschäftsordnung für den Vorstand vom Juli 2019 für sämtliche Maßnahmen die Zustimmung der Mitgeschäftsführerin einholen musste (vgl. TOP 11 der Gesellschafterversammlung vom 23.07.2019, Anlage K14, S. 6f.), schließt eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Beschlusses aus. Ob der Grund eine Ausschließung als Gesellschafter tatsächlich tragen würde, ist – wie ausgeführt – nicht im Rahmen der Beschlussanfechtung zu prüfen. Sonstige materielle Einwendungen gegen den Beschluss sind nicht erhoben.Randnummer48

5. Die Klage ist auch nicht deshalb erfolgreich, weil der Beschluss nicht teilbar sei und deshalb insgesamt für nichtig hätte erklärt werden müssen. Der Beschluss ist teilbar, weil die Erhebung der Ausschließungsklage einen eigenständigen und sinnvollen Teilaspekt des Gesamtbeschlusses, bestehend aus Ausschließung und prozessualer Durchsetzung im Wege der Klage, bildet. Der Teilbarkeit steht nicht entgegen, dass beide Parteien von einem einheitlichen Beschluss ausgehen; dies – so der Kläger – binde den Senat. Der übereinstimmende Vortrag dazu, dass der Beschluss nicht teilbar sei, basiert nämlich auf einem unterschiedlichen Verständnis der Parteien vom Beschlussinhalt. Die Beklagte meint, es liege ein einheitlicher Beschluss vor, weil sie den Inhalt des Beschlusses auf die Erhebung der Ausschlussklage reduzieren will. Dem folgt der Senat gerade nicht. Dass die Beklagte eine Teilbarkeit auch bei Verständnis des Senats ablehnen würde, ist – auch in Hinblick auf die mündliche Verhandlung vor dem Senat – nicht ersichtlich. Nur dann aber wäre der Senat an das übereinstimmende Verständnis der Parteien gebunden. Der Aufrechterhaltung des Beschlusses steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Beschluss über die Erhebung einer Ausschließungsklage bei einer 2-Personen-Gesellschaft nicht konstitutiv ist, wie beide Parteien übereinstimmend vortragen. Eine Gesellschafterversammlung ist nicht gehindert, einen deklaratorischen Beschluss zu fassen. Dies macht schon zur Klarstellung oftmals Sinn, entzieht der zu erhebenden Ausschließungsklage einen Streitpunkt und gewährt dem Kläger vor der Beschlussfassung überdies rechtliches Gehör. Für den Senat steht daher fest – zumal er davon ausgehen kann, dass der Beklagten bekannt war, dass es für die Ausschließungsklage keines Beschlusses bedurfte -, dass die Beklagte, hätte sie von der Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses gewusst oder ihn auch nur für möglich gehalten, zumindest den Beschluss auf Erhebung der Ausschließungsklage gefasst hätte. Damit liegen die Voraussetzungen vor, den Beschluss – entgegen der Vermutung in § 139 BGB – nur teilweise zu kassieren und im Übrigen bestehen zu lassen.

II.

Der Beschluss, Auskunft und Rechenschaft zu verlangen, ist rechtmäßig, die Klage bleibt ohne Erfolg.Randnummer50

1. Der Beschluss ist formell wirksam gefasst. Zur Ladungsfrist wurde bereits oben ausgeführt. Auch das Stimmenquorum von 80% ist erreicht, da der Kläger einem Stimmverbot entsprechend § 47 Abs. 4 GmbHG unterlag. Grundgedanke der Norm ist, dass derjenige, der unter dem Einfluss eines erheblichen Sonderinteresses steht, bei der Abstimmung dem Verbandsinteresse nicht ausreichend Rechnung tragen wird (Noack in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 47 Rn. 76). Das trifft auch zu, wenn gegenüber dem mit dem Gesellschafter personenidentischen Geschäftsführer, wie vorliegend, Kontrollrechte geltend gemacht werden, wie dies der Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 6 GmbHG obliegt (vgl. Noack, aaO, Rn. 90: „Anordnung von Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen gegenüber GFührern“). Dies gilt erst recht, wenn Auskunft und Rechenschaft verlangt wird und das Verlangen ersichtlich mit weiteren Sanktionsmaßnahmen gegenüber dem Gesellschafter-Geschäftsführer in Verbindung steht, für die ein Stimmverbot besteht (hier mit dem in derselben Versammlung beschlossenen Ausschluss als Gesellschafter und, bereits früher beschlossen, mit der Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund und der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, vgl. TOP 1 und TOP 8 der Gesellschafterversammlung vom 27.04.2020, Anlage K 25).Randnummer51

2. Der Beschluss ist auch materiell rechtmäßig.Randnummer52

2.1. Anders als das Landgericht meint und wie in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien eingehend besprochen, kommt dem Beschluss allein die Wirkung zu, dass die Gesellschaft die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen und Ansprüchen auf Rechnungslegung – hier gegen den Kläger in seiner Rolle als Geschäftsführer – beschließt. Ob und in welchem Umfang die Ansprüche tatsächlich gegeben sind, ist erst in dem prozess zu klären, in dem die Beklagte den Kläger (als Geschäftsführer bzw. ehemaligen Geschäftsführer) im Wege der Leistungsklage auf Auskunft und Rechnungslegung in Anspruch nimmt (so auch die Rechtsmeinung der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung, S. 9, Bl. 199 d.A.). Gerade weil es für die Auskunft und Rechnungslegung ohnehin eines weiteren Prozesses bedarf (bei einem Fremd-Geschäftsführer wäre dies evident), wäre es nicht nur prozessunökonomisch, sondern würde es auch die Gesellschafterversammlung überfordern, wollte man von ihr verlangen, dass sie den Beschluss schon so fasst, dass sie etwaige Einwendungen des Geschäftsführers gegen seine Inanspruchnahme dem Grunde oder dem Umfange nach – solche Einwendungen müssen der Gesellschafterversammlungen bei Beschlussfassung nicht einmal bekannt sein – vollumfänglich berücksichtigt. Hinzu kommt wieder der Vergleich zu einem Fremdgeschäftsführer, bei dem diesem gegen einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss per se kein Anfechtungsrecht zustünde (vgl. Noack, aaO, Anh. § 47 Rn. 140). Für eine Privilegierung des Gesellschafter-Geschäftsführers besteht insoweit weder Bedürfnis noch Rechtfertigung.Randnummer53

Die Sachlage ist daher nicht anders als im Falle des Beschlusses der Gesellschafterversammlung, Ausschließungsklage gegen einen Gesellschafter zu erheben. Dort ist anerkannt, dass das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Ausschließung nicht im Rahmen der Beschlussanfechtung zu klären ist, sondern allein im Rahmen der Ausschließungsklage (BGH, Urteil vom 13.01.2003 – II ZR 227/00, juris-Rn. 4). Ebenso ist im Rahmen des Anfechtungsverfahrens gegen einen Beschluss der Gesellschafterversammlung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter (§ 46 Nr. 8 GmbHG; zur analogen Anwendung auf Auskunftsansprüche, die mit Schadensersatzansprüchen in Verbindung stehen: vgl. BGH, Urteil vom 13.02.1975 – II ZR 92/73, juris-Rn. 14) nicht die materielle Berechtigung der Schadensersatzforderung zu prüfen; dies bleibt dem Schadensersatzprozess vorbehalten (Liebscher in MüKo GmbHG, 4. Aufl., § 46 Rn. 273 mwN).Randnummer54

2.2. Grenze ist allein der Rechtsmissbrauch (Liebscher aaO).Randnummer55

Für Rechtsmissbrauch ist nichts ersichtlich. Auf Geschäftsführeranstellungsverhältnisse findet über § 675 Abs. 1 BGB (wegen der Besorgung fremder Angelegenheiten) § 666 BGB Anwendung (Wisskirchen/Zoglowek in BeckOK GmbHG, § 6 Rn. 88 [Stand: 01.03.2023]). Danach schuldet der Geschäftsführer auf Verlangen Auskunft (§ 666 Var. 2 BGB) und nach Beendigung seiner Tätigkeit Rechnungslegung (§ 666 Var. 3 BGB). Diese Ansprüche bestehen unabhängig von einem konkreten Informationsbedürfnis etwa für seitens der Beklagten vermutete Schadensersatzansprüche, allein der berechtigte Wunsch nach Kontrolle genügt im Ausgangspunkt (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2016 – III ZR 282/14, juris-Rn. 29). Die Beklagte darf deshalb von ihrem Geschäftsführer Auskunft und Rechenschaft für die Vergangenheit verlangen, wenn sie bzw. ihre Gesellschafter sich ein Bild von den Geschäften bzw. von Teilbereichen der Geschäfte und vom Wirken ihres Geschäftsführers machen wollen. Darin liegt grundsätzlich ein berechtigtes Informationsverlangen und keine unzulässige Ausforschung.Randnummer56

Eine Ausnahme ist dann zu machen – und ein Auskunftsbegehren wäre als missbräuchlich anzusehen -, wenn von vornherein feststünde, dass Auskunft und Rechnungslegung für die Gesellschaft ohne jede Bedeutung sind. Für die Beklagte von Bedeutung sind dabei nicht nur pekuniäre Ansprüche wie mögliche Schadensersatzansprüche. Der Umstand, dass Vorgänge lange zurück liegen, schließt eine Bedeutung für die Gegenwart nicht aus.Randnummer57

Daran gemessen ergibt sich, dass das Auskunftsverlangen im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht rechtsmissbräuchlich war. Denn die Frage nach den Geschäftsbeziehungen zu der HS-Wohnbau und dazu, ab welchem Zeitpunkt und mit welchem Recht der Kläger als Geschäftsführer eine Geschäftschance der Beklagten entzogen hat, steht zum einen im Zusammenhang mit der Frage der Zumutbarkeit der weiteren Zusammenarbeit der Mitgesellschafterin P. mit dem Kläger in der Gesellschaft (etwa wenn der Kläger den Vater der Mitgesellschafterin im Rahmen eines von diesem behaupteten Treuhandverhältnisses hintergangen haben sollte), zum anderen erscheinen Ansprüche der Beklagten gegen den Kläger keineswegs von vornherein – nur das könnte Rechtsmissbrauch begründen – völlig ausgeschlossen (etwa wenn die Tätigung von Geschäften durch den Kläger mit der HS-W. in eigener Person insgesamt oder jedenfalls ab 2016 pflichtwidrig gewesen sein sollte). Dass die Mitgesellschafterin P. erst 2016 in die Gesellschaft eingetreten ist, hindert sie nicht, sich auch ein Bild von der Gesellschaft machen zu wollen, wie es durch ein Wirtschaften in den Jahren vor ihrem Beitritt entstanden ist.Randnummer58

2.3. Selbst wenn dem nicht folgen wollte und ein legitimes Informationsbedürfnis verlangen wollte, war auch ein solches im Zeitpunkt der Beschlussfassung gegeben:Randnummer59

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, er habe von 1997 bis 2008 (Zeitpunkt der Fertigstellung und Abrechnung der Projekte) namens der Gesellschaft mit der HS-W. Geschäfte gemacht, auf den Kläger persönlich seien sie 2003/2004 übergegangen (Schriftsatz vom 09.11.2020, S. 14, Bl. 37 d.A.). In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 18.10.2021 nennt er für die Geschäfte mit der HS-W. GmbH den Zeitraum ca. 1996 bis 2000/2001 (Bl. 121 d.A.). In der Berufung leugnet er Geschäfte mit der HS-W. gänzlich (Berufungsbegründung, S. 6, Bl. 185 d.A.: „Die Beklagte selbst stand in keiner Geschäftsbeziehung mit der HS-W. GmbH“) und behauptet stattdessen Geschäfte mit der Schwestergesellschaft der HS-W., der S. A. W. GmbH. Der zuletzt gemachte Sachvortrag ist weder nachvollziehbar noch – im Hinblick auf den eigenen klägerischen Vortrag zu Projekten mit der HS-W. GmbH – glaubwürdig. Schon diese höchst widersprüchlichen Angaben des Klägers bedürfen der Aufklärung.Randnummer60

Darüber hinaus hat die Beklagte mit der Anlage BK3A vom Kläger zum 01.01.2018 vorgenommene Buchungen vorgelegt, die im Buchungstext mindestens 3x durch das Kürzel „hs“ oder „hs b“ auf die HS-W. GmbH hinweisen. Dieser Vortrag war entgegen der Ansicht des Klägers einlassungsfähig, wurde somit nicht wirksam bestritten und gilt daher im hiesigen Verfahren als zugestanden.Randnummer61

Vor diesem Hintergrund kann der Beklagten ein Interesse an einer Überprüfung der Richtigkeit der Buchungen in der Bilanz nicht abgesprochen werden. Die Buchung gibt Anlass zu hinterfragen, ob die Geschäfte mit der HS-W. GmbH wirklich – wie klägerseits behauptet – 2008 abgewickelt waren oder ob Ansprüche weiterhin bestehen und noch durchgesetzt werden können. Ggf. sind die Bilanz und auch die steuerlichen Angaben der Beklagten zu berichtigen. Sollte der Kläger Ansprüche verjähren lassen haben, resultieren hieraus möglicherweise Schadensersatzansprüche gegen ihn.Randnummer62

Auskunftsansprüche, die mit den Bilanzansätzen 2018 im Zusammenhang stehen, konnten 2020, dem Jahr der Beschlussfassung, weder verjährt noch verwirkt sein.Randnummer63

Ebenso besteht ein handfestes Interesse der Beklagten an der Klärung des Verbleibs einer Grundschuld. Auch hier weicht der Kläger belastbaren Angaben aus. So macht er im Kern nach dem Verständnis des Senats geltend, er habe die Finanzierung von Projekten der HS-W. durch den Einsatz einer (eigenen?) Grundschuld auf einem privaten Grundstück in der H. Straße in München gefördert (so im Schriftsatz vom 07.07.2021, S. 9, Bl. 109 d.A., ebenso im Rahmen der Anhörung vor dem Landgericht am 18.10.2021, Bl. 121 d.A.). Dem mag so sein. Es handelt sich jedoch mitnichten um die einzige inmitten stehende Grundschuld, wie der Kläger mit diesem Vortrag suggeriert. Im nachgelassenen Schriftsatz vom 08.11.2021, S. 2f., Bl. 124f. d.A., spricht der Kläger „plötzlich“ von einer (Global-)Grundschuld auf dem Grundstück der HS-W. Die Ausführungen zu deren Verbleib – wenn sie auf DM lautet, erfolgte die Bestellung noch vor 2002 und damit zu einer Zeit, als der Kläger nach eigenem erstinstanzlichem Bekunden die Geschäfte mit der HS-W. noch namens der Beklagten abwickelte – sind inhaltsleer. Offenbar wurde sie „zurückgegeben“, was allerdings nicht ohne Weiteres in Einklang mit dem Umstand zu bringen ist, dass noch Anfang 2018 Ansprüche gegen die HS-W. GmbHG bilanziert sind. Der Kläger hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn dieses Verhalten berechtigtes Misstrauen der Gegenseite provoziert.Randnummer64

2.4. Da der Umfang der Auskunfts- und Rechenschaftspflichten erst im Folgeprozess zu klären ist, muss der Senat auch nicht entscheiden, ob der Kläger – wie das Landgericht meint – Auskunft und Rechenschaft über Geschäfte schuldet, die er privat – also nicht namens der Beklagten – mit der HS-W. GmbH Geschäfte getätigt hat, weil Ansprüche der Gesellschaft aus einer Vereitelung von Geschäftschancen (dazu grundlegend: BGH, Urteil vom 16.03.2017 – IX ZR 253/15, juris-Rn. 20) oder einer Verletzung des Wettbewerbsverbots im Raum stehen, oder ob solche Ansprüche aufgrund der Alleingesellschafterstellung des Klägers jedenfalls für etwaige private Geschäfte mit der HS-W. bis 2016 ausgeschlossen sind (und – ein Treuhandverhältnis des Klägers mit Herrn K. unterstellt – allenfalls dessen Ansprüche als Treugeber, nicht aber Ansprüche der Gesellschaft gegen den Kläger im Raum stehen).Randnummer65

Gleiches gilt für die Frage, ob und in welchem Umfang sich der Kläger auf eine Beschränkung der Auskunfts- bzw. der Rechnungslegungspflichten aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB berufen kann, wenn und soweit einzelne Vorgänge sehr weit zurückliegen und für die Gesellschaft tatsächlich ohne Bedeutung sein sollten.Randnummer66

2.5. Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung waren im Zeitpunkt der Beschlussfassung auch nicht erfüllt, § 362 BGB. Dass vor dem angefochtenen Beschluss umfassend und systematisch Auskunft gegeben und Rechenschaft gelegt wurde, behauptet auch der Kläger nicht.Randnummer67

Die Anspruchserfüllung ist auch nicht, jedenfalls nicht zur Gänze, unmöglich (§ 275 BGB). Für die Erteilung von Auskunft und Rechnungslegung kann und muss der Kläger zumindest auf die noch vorhandenen Geschäftsunterlagen (mögen sie auch in Frankfurt liegen), auf Grundbuchunterlagen und auf sein Gedächtnis zurückgreifen.Randnummer68

3. Keinen Bestand hat die Einschränkung im landgerichtlichen Urteil, die Rechnungslegungspflicht auf die Jahre vor 2009 mit Blick auf die handelsrechtlichen Aufbewahrungsvorschriften zu beschränken. Wie bereits ausgeführt, ist über den Umfang der Auskunfts- und Rechenschaftspflichten ohnehin erst im Rahmen eines Leistungsprozesses zu entscheiden. Dessen ungeachtet beschränken die – anderen Zwecken dienenden – Aufbewahrungsfristen für Buchhaltungsunterlagen von zehn bzw. teilweise nur sechs Jahren (§ 257 Abs. 4 HGB, parallel § 147 Abs. 3 AO) den Umfang der Rechenschaftspflicht nicht (anders für spezifische berufsrechtliche Vorschriften zur Aufbewahrung von Handakten: F. Schäfer in MüKo BGB, 9. Aufl., § 666 Rn. 31, 45). Besteht eine Rechnungslegungspflicht, so kann dieser Pflicht lediglich entgegengehalten werden, dass sie unmöglich geworden sei (§ 275 BGB), wenn Unterlagen (eben weil die Aufbewahrungsvorschriften abgelaufen sind) vernichtet worden sind. Sind die Unterlagen jedoch vorhanden, können und müssen sie für die Rechnungslegung verwendet werden (vgl. BGH, Urteile vom 10.10.1994 – II ZR 95/93, juris-Rn. 21 und vom 30.01.2001 – XI ZR 183/00, juris-Rn. 25).

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 101 Abs. 2 iVm § 100 Abs. 1 und 2 und § 516 Abs. 3 ZPO. Da der Senat im Einvernehmen mit den Parteien den Streitwert des TOP 1 mit 20.000 € und den Streitwert des TOP 2 mit 10.000 € bemisst und er das jeweilige Unterliegen der Parteien zu TOP 1 hälftig bewertet, ergibt sich eine Kostenquote von 2/3 zu Lasten des Klägers und 1/3 zu Lasten der Gegenseite; dieses Drittel wird nach Köpfen auf Beklagte und Beigeladene verteilt. Die Kostenentscheidung erfolgt amtswegig (§ 308 Abs. 2 ZPO) und damit ohne Bindung an das Verschlechterungsverbot in § 528 ZPO (Heßler in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 528 Rn. 35). Die Rücknahme der Berufung der Streithelferin in der mündlichen Verhandlung ändert daran nur insoweit etwas, als sie nach § 516 Abs. 3 Satz 2 ZPO ihre außergerichtlichen Kosten aus dem Berufungsrechtszug in vollem Umfang selbst zu tragen hat.Randnummer70

Aufgrund der Bewertung des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens ergibt sich die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, § 711 und § 713 ZPO. Die Zulassung der Revision war mangels Zulassungsgründen (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht veranlasst.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbHRecht I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Ausschluss I Ausschließung I Ausschließungsklage

Schlagworte: Anfechtungsfrist, Anfechtungsgründe, Anfechtungsklage, Anfechtungsklage im Sinne der §§ 243 ff AktG, Anfechtungsklage nach § 245 AktG analog, Auskunfts-/Einsichts-/Informations-/Kontrollrechte, Ausschließen, Ausschließung, Ausschließung durch Beschluss, Ausschließung durch Gestaltungsurteil, Ausschließung in BGB-Gesellschaft, Ausschließungsklage, Ausschluss, Ausschluss BGB-Gesellschafter, Ausschluss der Ausschließung in der Satzung, Ausschluss des Gesellschafters, Ausschluss des Mehrheitsgesellschafters, Ausschluss Gesellschafter, Ausschluss GmbH-Gesellschafter, Ausschluss Kommanditist, Ausschluss Komplementär, Ausschluss OHG-Gesellschafter, Ausschluss- oder Einziehungsbeschluss, Ausschlussbeschluss aufgrund Satzungsgrundlage, Ausschlussgrund, Ausschlussklage, Ausschlussklauseln in Satzung, Gesellschafterausschluss, Gesellschafterbeschluss, Gesellschafterstreit, Gesellschafterstreitigkeiten, Gesellschafterversammlung, Rechnungslegung, Treuhand, Treuhandverhältnis

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OLG München, Urteil vom 22.02.2023 – 7 U 6026/21

Mittwoch, 22. Februar 2023

§§ 134, 138, 653 Abs. 1 BGB, § 354 HGB – Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Makler

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30.7.2021 (Az.: 31 O 3460/21) wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.

Der Kläger macht gegen die Beklagte im Wege der Stufenklage einen Anspruch auf Maklerhonorar für den Nachweis eines von der Beklagten bestellten Geschäftsführers geltend.

Der Kläger ist zugelassener Rechtsanwalt und daneben als Unternehmensberater im Bereich der Vermittlung von Kapitalgebern und der Beratung von Firmen im Automotive-Bereich tätig. Über einen Bekannten, den benannten Zeugen M., der als freiberuflicher Berater für die Beklagte tätig war, wurde er auf die Beklagte (ein Start-up-Unternehmen im Automotive-Bereich) aufmerksam und beabsichtigte, selbst für die Beklagte im Rahmen seiner Beratungstätigkeit tätig zu werden. Über Herrn M. erfuhr der Kläger auch, dass die Beklagte einen neuen Geschäftsführer suchte. Für diese Aufgabe erschien ihm ein weiterer Bekannter, der benannte Zeuge B. geeignet.

Am 6.3.2019 kam es auf Vermittlung des Zeugen M. zu einem Gespräch in einer M. Anwaltskanzlei, an welchem der Kläger, der vom Kläger mitgebrachte Zeuge B., der Zeuge M. und der damalige Geschäftsführer der Beklagten K. teilnahmen. Die Details des Gesprächsinhaltes sind streitig; jedenfalls erhielten aber Herr B. die Möglichkeit, sich als potentieller Geschäftsführer der Beklagten vorzustellen, und der Kläger die Möglichkeit, sein Geschäftsmodell vorzustellen.

Am 14./15.5.2019 kam es zu einem Email-Verkehr zwischen dem Kläger und Herrn B. (Anlage K 4). Am 3.6.2019 kam es zum Austausch von Emails zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer K. (Anlagen K 5, K 6). Am 4.2.2020 richtete Herr B., der seit 1.11.2019 in Teilzeit und seit 1.2.2020 in Vollzeit als Geschäftsführer für die Beklagte tätig war, das Schreiben gemäß Anlage K 9 an den Kläger. Hinsichtlich des Inhalts des vorgenannten Schriftverkehrs wird auf die zitierten Anlagen Bezug genommen.

Der Kläger ist der Meinung, aufgrund der Anstellung des Herrn B. als Geschäftsführer der Beklagten ein Maklerhonorar in Höhe von vier Brutto-Monatsgehältern des Herrn B. verdient zu haben. Die Beklagte bestreitet den Abschluss eines Maklervertrages und hält im übrigen die Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Makler für verbots- und standeswidrig (§§ 134, 138 BGB).

Der Kläger hat beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über die Höhe der monatlichen Bruttobezüge inklusive aller Nebenleistungen wie Dienstwagen, Tantieme etc., die ihr Geschäftsführer Herr H. B., am 01.02.2020 erhielt, zu erteilen.

2. Die Beklagte wird erforderlichenfalls verurteilt, durch ihren Geschäftsführer die Richtigkeit und Vollständigkeit der nach Ziff. 1 zu erteilende Auskünfte eidesstattlich zu versichern.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Courtage aus der Vermittlung eines Geschäftsführeranstellungsverhältnisses in Höhe von 4 Brutto-Monatsgehältern, deren Höhe sich aus der erfolgten Auskunft nach Ziff. [ergibt,] nebst 19% Umsatzsteuer sowie Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. September 2020 hieraus zu bezahlen.

4. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Ziff. 2300 VV RVG aus dem Gegenstandswert, der sich nach erteilter Auskunft in Höhe der aus Ziff. 3 der Klageanträge ergibt, nebst einer Gebühr nach Ziff. 7002 VV RVG sowie 19% MWSt. nebst Zinsen aus der Gesamtsumme in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. September 2020 hieraus zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen. Mit seiner zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter.

Der Kläger beantragt,

1. Das Urteil des Landgerichts München [I] vom 03.08.2021, Az. 31 O 3460/21) wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über die Höhe der monatlichen Bruttobezüge inklusive aller Nebenleistungen wie Dienstwagen, Tantieme etc., die ihr Geschäftsführer, Herr H. B. seit dem 01.02.2020 erhielt, zu erteilen.

3. Die Beklagte wird erforderlichenfalls verurteilt, durch ihren Geschäftsführer die Richtigkeit und Vollständigkeit der nach Ziff. 2 zu erteilenden Auskünfte eidesstattlich zu versichern.

4. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Courtage aus der Vermittlung eines Geschäftsführeranstellungsverhältnisses in Höhe von 4 Brutto-Monatsgehältern, deren Höhe sich aus der erfolgten Auskunft nach Ziff. 2 [ergibt,] nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. September 2020 hieraus zu bezahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Ziff. 2300 VV RVG aus dem Gegenstandswert, der sich nach erteilter Auskunft in Höhe der aus Ziff. 4 der Klageanträge ergibt, nebst einer Gebühr nach Ziff. 7002 VV RVG sowie 19% MWSt. nebst Zinsen aus der Gesamtsumme in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. September 2020 hieraus zu bezahlen.

Hilfsweise beantragt der Kläger,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Der Senat hat den Kläger im Termin vom 30.11.2022 persönlich angehört. Hinsichtlich der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 152/156 der Akten) Bezug genommen.

B.

Die Berufung erweist sich als unbegründet. Der Senat teilt im Ergebnis die Einschätzung des Landgerichts, dass (schon nach dem Vortrag des Klägers) ein Maklervertrag zwischen den Parteien nicht zustande kam, so dass weder ein Anspruch auf Maklerlohn (einschließlich der vorbereitenden Ansprüche im Rahmen der Stufenklage) noch ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten bestehen.

14

I. Vor dem Gespräch zwischen den Parteien (die Beklagte dabei in der Person ihres damaligen Geschäftsführers K.) in Anwesenheit der Herren M. und B. am 6.3. 2019 ist ein Maklervertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen.

15

Vor dem genannten Termin sind Organe der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht in Erscheinung getreten, die Kontakte liefen vielmehr über den benannten Zeugen M. Dieser war unstreitig als freiberuflicher Berater für die Beklagte tätig. Der Kläger behauptet nicht, dass Herr M., der damit weder Organ noch Arbeitnehmer der Beklagten war, von der Beklagten für den Abschluss von Maklerverträgen bevollmächtigt war. Auch aus den Umständen ergibt sich der Anschein einer solchen Bevollmächtigung nicht; vielmehr erscheint eher fernliegend und darf vom Rechtsverkehr nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass ein freiberuflicher Berater rechtsgeschäftlich für den Beratenen handeln kann. Damit scheidet ein Vertragsschluss vor dem 6.3.2019 aus.

16

II. Auch bei dem genannten Gespräch vom 6.3.2019 ist ein Maklervertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Dies ergibt sich schon auf der Basis des schriftlichen Vortrages der Klagepartei und der Einlassung des Klägers zum Ablauf des Gesprächs bei seiner Anhörung durch den Senat, so dass eine Beweisaufnahme zu dem genannten Gespräch nicht erforderlich war.

17

1. Allein durch das Mitbringen des Herrn B. zu dem Gesprächstermin und der von der Beklagten dem Herrn B. eingeräumten Möglichkeit, sich als möglicher Geschäftsführer vorzustellen, ist ein konkludenter Maklervertrag zwischen den Parteien auch unter Berücksichtigung der Wertungen des § 653 Abs. 1 BGB nicht zustande gekommen. Denn unter den konkreten Umständen, wie sie der Beklagten zu Beginn des Gespräches bekannt waren, musste sie, als sie Herrn B. gestattete, sich vorzustellen (sich also den Nachweis der Abschlussgelegenheit mit diesem gefallen ließ), nicht davon ausgehen, dass der Kläger die Nachweisleistung (Präsentierung des Herrn B. als potentiellen Geschäftsführer) nur gegen Vergütung erbringen wollte.

18

Der Kläger hat bei seiner persönlichen Anhörung geschildert, dass es im Vorfeld der Besprechung zum Abschluss einer Geheimhaltungsvereinbarung mit Herrn M., bezogen auf eine mögliche Zusammenarbeit mit der Beklagten, gekommen sei; ferner habe er Herrn M. einen Lebenslauf des Herrn B. übermittelt. Auf dieser Basis konnte die Beklagte, sofern Herr M. diese Unterlagen an sie weitergeleitet hat, vor Beginn des Gespräches nur wissen, dass der Kläger im Hinblick auf eine von ihm erwogene Tätigkeit als Unternehmensberater vorsprechen würde und dass bei dem Gespräch auch ein möglicher Geschäftsführer präsentiert werden sollte. Ein innerer Zusammenhang zwischen der beabsichtigten Tätigkeit als Unternehmensberater, die naturgemäß nur gegen Vergütung zu erwarten war, und der Vorstellung eines Geschäftsführers war aus diesen Befunden nicht ersichtlich. Auf dieser Basis hatte die Beklagte keine sicheren Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gewerbsmäßig im Bereich der Personalvermittlung tätig werden wollte, was dafür gesprochen hätte, dass er eine Vergütung für die Präsentation des Herrn B. erwartete. Damit kann – aus der maßgeblichen Sicht der Beklagten – nicht festgestellt werden, dass die Präsentation des Herrn B. nur gegen Vergütung zu erwarten war.

19

Auf § 354 HGB kann sich der Kläger ohnehin nicht berufen, da er kein Handelsgewerbe betreibt. Soweit er als Rechtsanwalt tätig ist, übt er einen freien Beruf und kein Gewerbe aus. Soweit er als Unternehmensberater tätig ist, ist nicht ersichtlich (und auch fernliegend), dass er hierfür einer kaufmännischen Einrichtung im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB bedarf.

20

2. Auch im weiteren Verlauf des Gespräches lassen sich zwei übereinstimmende, auf den Abschluss eines Maklervertrags gerichtete Willenserklärungen der Parteien schon nach dem Vortrag des Klägers nicht feststellen. Zwar ist der Berufung darin zuzustimmen, dass ein Maklervertrag über die Vergütung der Nachweisleistung auch nach Erbringung der Nachweisleistung (hier: Vorstellung des Biedermann) geschlossen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 3.7.2014 – III ZR 530/13, Rz. 14). Erforderlich hierfür sind aber wie bei jedem Vertragsschluss zwei diesbezüglich übereinstimmende Willenserklärungen der Vertragsparteien. Solche lassen sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen.

21

a) Ein Angebot zum Abschluss eines Maklervertrages könnte allenfalls in der vom Kläger geschilderten, im Laufe des Gespräches gefallenen Äußerung gesehen werden, dass seine Tätigkeit, und zwar alles, was er mache, durch Provision zu vergüten sei. Nach Auffassung des Senats ergibt die Auslegung dieser Erklärung aber, dass sie nicht auf Abschluss eines Maklervertrages gerichtet war.

22

Nach allgemeinen Grundsätzen ist eine Willenserklärung so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte (Lehre vom objektiven Empfängerhorizont). Maßgeblich ist also der Verständnishorizont der Beklagten, wie er sich aus dem Gesamtkontext der vorangegangenen Besprechung ergab bzw. ergeben durfte.

23

Dazu hat der Kläger bei seiner Anhörung geschildert, dass zunächst Herr B. die Gelegenheit erhalten habe, sich vorzustellen, was etwa eine halbe Stunde gedauert habe. Im Anschluss daran habe der Kläger sein Geschäftsmodell vorgestellt; dabei habe er darauf hingewiesen, dass alle seine Tätigkeiten provisionspflichtig seien. Angesichts dieses Gesprächsverlaufs liegt aus der Sicht der Beklagten (Empfängerhorizont) ein Verständnis dieser Erklärung dahin nahe, dass sie sich auf den zweiten Abschnitt der Besprechung, also die beabsichtigte Tätigkeit als Unternehmensberater und nicht (auch) auf den vorangegangenen Gesprächsabschnitt, also die Präsentation des Herrn B. bezog. Dafür, dass die Beklagte diese Sichtweise haben durfte, spricht auch, dass der Kläger bei seiner Anhörung ehrlicherweise einräumte, im Verlauf des Gesprächs nicht ausdrücklich auch eine Provision für die Vermittlung des Herrn B. verlangt zu haben. Damit liegt schon kein Angebot zum Abschluss eines Maklervertrages betreffend die Geschäftsführertätigkeit des Herrn B. vor.

24

b) Selbst wenn man dies anders sähe, hätte die Beklagte ein solches Angebot nicht angenommen. Bloßem Schweigen der Beklagten auf das (unterstellte) Angebot käme kein Erklärungswert zu. In der (bestrittenen) Äußerung des Geschäftsführers K., der Kläger möge einen Vertragsentwurf vorlegen, läge jedenfalls keine Annahme des (unterstellten) Angebots (so dass eine Beweisaufnahme hierzu nicht erforderlich war).

25

Zwar hat der Senat erhebliche Zweifel an der Auffassung des Landgerichts, dass auf der Basis dieser Äußerung ein konkludentes Schriftformerfordernis zwischen den Parteien vereinbart wurde. Durch seine Bitte um einen Vertragsentwurf hat der Geschäftsführer K. (nach den Umständen namens der Beklagten) aber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er die Beklagte derzeit gerade noch nicht rechtsgeschäftlich binden, sondern auf der Basis des zu erstellenden Vertragsentwurfs weiter verhandeln wollte. Der Kläger durfte daher die genannte Äußerung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte nicht als Annahme eines vorherigen Angebots verstehen. Vielmehr handelt es sich eindeutig um eine bloße invitatio ad offerendum.

26

III. Schließlich ist auch im Nachgang des genannten Gesprächs vom 6.3.2019 ein Maklervertrag zwischen den Parteien (der abstrakt noch möglich gewesen wäre, vgl. oben II.2. am Anfang) nicht zustande gekommen.

27

1. Die aus Anlage K 4 ersichtliche Email-Korrespondenz zwischen dem Kläger und Herrn B. von 14./15.5.2019 ist für die Frage eines Vertragsschlusses zwischen den Parteien unerheblich. Denn im Mai 2019 war Herr B. noch nicht als Geschäftsführer für die Beklagte bestellt und konnte daher keine wirksamen Willenserklärungen in ihrem Namen abgeben.

28

2. Durch die Email-Korrespondenz zwischen dem Kläger und dem damaligen Geschäftsführer K. der Beklagten vom 3.6.2019 (Anlagen K 5, K 6) kam ein Maklervertrag zwischen den Parteien nicht zustande. Zwar kann die Mail des Klägers gemäß Anlage K 5, wonach er eine Courtage von vier Bruttomonatsgehältern für „den von mir vermittelten Herrn B. als GF“ fordert, auf der Basis der Tatsache, dass zuvor noch kein Maklervertrag zwischen den Parteien bestand, als Angebot auf nunmehrigen Abschluss eines solchen gewertet werden. Die Antwort des Geschäftsführers K. (Anlage K 6), wonach man einer Honorierung der Bemühungen, Herrn B. vorzustellen, nachkommen würde, die „vorbereitenden Vorstellungen“ des Klägers allerdings nicht zuträfen, durfte der Kläger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte allerdings nicht als Annahme dieses (auf einen Vertrag zu vier Monatsgehältern gerichteten) Angebots verstehen. Vielmehr brachte der Geschäftsführer K. damit eindeutig zum Ausdruck, dass eine Vergütung in Höhe von vier Monatsgehältern nicht in Betracht komme. Damit hat er das konkrete Angebot des Klägers abgelehnt (§ 146 BGB). Folglich kam durch die geschilderten Erklärungen der Parteien nicht etwa ein Maklervertrag zu den üblichen Konditionen (§ 653 Abs. 2 BGB), sondern mangels zweier übereinstimmender Willenserklärungen kein Maklervertrag zustande.

29

3. Der Erklärung des Herrn B. gemäß Email vom 4.2.2020 (Anlage K 9) kann nach Auffassung des Senats schon nicht als rechtsgeschäftliches Angebot auf Abschluss eines Maklervertrages gewertet werden. Zwar war Herr B. zwischenzeitlich als Geschäftsführer der Beklagten bestellt worden und konnte damit Willenserklärungen wirksam für die Beklagte abgeben. Das Schreiben ist aber nach seinem ganzen Inhalt nicht auf einen konkreten Vertragsschluss gerichtet, sondern soll eine irgendwie geartete, aber nicht näher umrissene gütliche Einigung zwischen den Parteien fördern. Zwar wird die Bereitschaft der Beklagten, eine angemessene Provision zu bezahlen, wiederholt. Das ganze Schreiben steht aber unter dem Obersatz, dass damit versucht werden soll, „beim Thema Provisionsvermittlung … Transparenz zu schaffen“ (erster Absatz). Es wird betont, dass keine finale Vereinbarung und keine konkrete Absprache zur Provisionshöhe vorlägen (zweiter Absatz). Das Schreiben schließt mit der Bitte an den Kläger, seinen Kenntnisstand „zur Leistungsvereinbarung mitzuteilen“, und gibt der Hoffnung Ausdruck, hierbei eine gütliche Einigung zu erzielen (letzter Absatz).

30

Diesem Schreiben vermag der Senat daher weder ein konkretes Angebot auf Abschluss eines Maklervertrages zu den üblichen Konditionen noch gar das Anerkenntnis eines Anspruches aus einem bereits abgeschlossenen Maklervertrag zu den üblichen Konditionen zu entnehmen. Vielmehr durfte es der Kläger nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte nur dahin verstehen, dass der Geschäftsführer B. auf der Basis der erbetenen Mitteilung / Rückantwort des Klägers versuchen wollte, eine für alle Beteiligten annehmbare Lösung zu finden, ohne bereits jetzt eine verbindliche Zusage zu machen.

31

IV. Da somit ein Maklervertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen ist, kommt es auf die von der Beklagten aufgeworfene (eher zu verneinende) Frage, ob ein solcher Vertrag wegen Verstoßes gegen anwaltliches Standesrecht nichtig wäre, nicht mehr an.

C.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

33

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

34

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalles.

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Schlagworte: Maklervertrag, Treu und Glauben

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