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LG Stuttgart, Urteil vom 23.01.2024 – 49 O 142/23

Dienstag, 23. Januar 2024

Entziehung Geschäftsführungsbefugnis

§ 6 Abs 2 PartGG, § 6 Abs 3 PartGG, § 7 PartGG, § 116 Abs 5 HGB

1. § 6 Abs. 2 PartGG schließt eine (vorübergehende) Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis für den Bereich der freiberuflichen Tätigkeiten nicht aus. Unter Berücksichtigung besonderen Schutzes der Geschäftsführung in beruflichen Angelegenheiten in Freiberuflergesellschaften kann im Einzelfall eine Entziehung der gesamten Geschäftsführung gerechtfertigt sein.

2. Eine Entziehung der gesamten Geschäftsführung ist insbesondere dann zulässig, wenn den übrigen Gesellschaftern eine Fortsetzung der Geschäftsführung im Namen der Partnerschaft im freiberuflichen Bereich nicht zumutbar ist.

3. Eine Entziehung der Geschäftsführung in der Partnerschaftsgesellschaft kann durch Beschluss erfolgen. Das in § 6 Abs. 3 PartGG i.V.m. § 116 Abs. 5 HGB vorgesehene Verfahren der Entziehung durch gerichtliche Entscheidung ist dispositiv, vorrangig gelten etwaige Regelungen des Gesellschaftsvertrags.

4. Bereits der Verdacht rechtwidrigen Handelns im Rahmen eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens kann einen wichtigen Grund darstellen, der die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis rechtfertigt.

5. Ein Gesellschafter, dem von dritter Seite rechtswidriges Handeln vorgeworfen wird, muss auf Grund seiner Treuepflicht seine Mitgesellschafter zutreffend und vollständig über solche Umstände informieren, die deren Vermögensinteressen tangieren. Er kann sich dabei weder auf die strafrechtliche Unschuldsvermutung noch auf den nemo-tenetur-Grundsatz berufen.

6. Erteilt ein Gesellschafter seinen Mit-Gesellschaftern entgegen seiner Treuepflicht bestimmte Auskünfte nicht, stellt dies gegebenenfalls einen wichtigen Grund für eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht dar.

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 300.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Verfügungskläger ist Gesellschafter der B. Partnerschaft mbB (im Folgenden: „B.“ oder „die Partnerschaft“). Die Verfügungsbeklagten sind die übrigen Gesellschafter der B. zum Stand 06.12.2023. Mit Beschluss vom 07.12.2023 ist Herr (…) T. G. zum 01.01.2024 als weiterer Gesellschafter aufgenommen worden. Dies ist bisher im Register nicht eingetragen. Im Partnerschaftsregister ist stattdessen als weiterer Gesellschafter der an diesem Verfahren nicht beteiligte N. B. eingetragen.Randnummer2

B. ist in vier Referaten organisiert: Das „Referat H.“ besteht aus Herrn (…) P. H., Herrn (…) O. B. und Herrn (…) J. F. Das „Referat R.“ besteht aus Herrn (…) J. B., Herrn (…) P. P. und dem Verfügungskläger. Das Referat S. besteht aus Herrn (…) T. S., Herrn (…) M. Z., Herrn (…) R. S. und – seit 01.01.2024 – Herrn (…) T. G. Das „Referat H.“ besteht aus Herrn (…) M. H. und Frau (…) S. R.Randnummer3

Die Gesellschafter halten ihre Gesellschaftsanteile an der B. treuhänderisch für das Referat, dem sie angehören (§ 5 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages von B. (Anl. K1, nachfolgend kurz „GVP“)). Untereinander bilden die Mitglieder eines Referats jeweils eine Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft bürgerlichen Rechts
(§ 5 Abs. 1 GVP). Das R.-Referat ist auf der Grundlage des Interessengemeinschaftsvertrags vom 11.08.2020 (Anl. K8, kurz „IG-Vertrag“) organisiert, aus dem Herr N. B. inzwischen ausgeschieden und dem der Verfügungsbeklagte P. P. beigetreten ist. Innerhalb der R.-Innengesellschaft sind die Stimmrechte wie folgt verteilt: J. B. 71,33 %, P. P. 10,19 %, G. O., der Verfügungskläger, 18,48 %.Randnummer4

Gesellschafterbeschlüsse der Partnerschaft werden in Referatsversammlungen gefasst (§§ 8 und 9 GVP). Die Verteilung der Stimmrechte und des Gewinns auf die Referate basiert auf dem sogenannten Deckungsbeitrag, den die Referate jeweils erbringen (§§ 9 Abs. 4, 11 Abs. 5 GVP).Randnummer5

Nach § 7 Abs. 1 GVP sind grundsätzlich alle Gesellschafter einzeln zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Eine Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis ist gemäß § 7 Abs. 1 S. 3 GVP nur auf Grund eines Referatsbeschlusses zulässig, der nach dem Wortlaut des § 7 GVP gemäß § 9 Abs. 12 c) bb) GVP gefasst werden soll.Randnummer6

Gemäß § 9 Abs. 12 a) bb) [und nicht c) bb)] bedürfen Referatsbeschlüsse über „die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis gemäß vorstehendem § 7 Abs. 1, wobei dies nur bei Vorliegen eines wichtigen Grunds und nur unter Beachtung der Bestimmungen von § 6 PartGG möglich ist“, einer Mehrheit von 100 % der abgegebenen Stimmen. Bei einer solchen Beschlussfassung hat das betroffene Referat kein Stimmrecht (§ 9 Abs. 15 f) GVP). Eine Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters stellt einen wichtigen Grund für die Ausschließung des Referats, dem dieser angehört, aus der Gesellschaft dar, vgl. § 9 Abs. 12 a) aa) GVP.Randnummer7

Ende 2018 wurde bekannt, dass der Verfügungskläger über ein Treuhandkonto der B., das zuvor nicht genutzt worden war, Zahlungen für einen Herrn O. S. bzw. eine O. S. & Partner Limited mit Sitz in Gibraltar abwickelte. Der Verfügungskläger erklärte hierzu, im Rahmen einer Treuhandvereinbarung für Herrn O. S. zu agieren. Man einigte sich darauf, diese Transaktionen zu beenden und schloss das Konto. Es wurde ein externes Gutachten über das Bestehen von Meldepflichten nach dem Geldwäschegesetz (GwG) beauftragt. Auf der Grundlage der Informationen, die der Verfügungskläger und der Verfügungsbeklagte M. Z. als stellvertretender GwG-Beauftragter von B. zur Verfügung stellten, verneinte der hiermit beauftragte Rechtsanwalt T. im Rahmen einer Gesamtabwägung eine Meldepflicht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass kein Ermittlungsverfahren gegen Herrn O. S. positiv bekannt sei (vgl. Anl. AG2).Randnummer8

Gegen den Verfügungskläger laufen seit 2019 strafrechtliche Ermittlungen (Az. 164 Js 122240/19, Staatsanwaltschaft Stuttgart). Im Raum steht eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Betrug und wegen Untreue und Beihilfe zur Untreue durch Mitwirkung an Zahlungen zu Gunsten der ebenfalls als Beschuldigten geführten O. S. und B. P., die über das Treuhandkonto der B. abgewickelt wurden. In diese Rahmen fand im Oktober 2020 eine Durchsuchung bei B. statt. Zugleich war auch die Durchsuchung der Wohnung des Verfügungsklägers angeordnet worden (vgl. den Durchsuchungsbeschluss, Anl. AG1). Der Verfügungskläger teilte den Verfügungsbeklagten mit, dass an den Ermittlungen „nichts dran“ sei.Randnummer9

Mit Gesellschafterbeschluss vom 01.12.2020 (Anl. K7) wurde die Gesellschafterstellung des Partners N. B. abweichend von den Regelungen des Partnerschaftsvertrags in § 15 Abs. 1 GVP, die ein Ausscheiden jedes Gesellschafters zum Ende des Geschäftsjahres, in dem er sein 65. Lebensjahr vollendet hat, vorsehen, bis zum 31.12.2022 verlängert.Randnummer10

Im Jahr 2022 fand im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine Hausdurchsuchung in den Privaträumen des Verfügungsklägers statt, welche den Verfügungsbeklagten erst im Rahmen der polizeilichen Vernehmungen, die im Dezember 2023 stattfanden, bekannt wurde.Randnummer11

Im Sommer 2023 wurde weiter bekannt, dass ein Unternehmen, für das ausweislich des Webauftritts als dreiköpfiges Team neben einer dritten Person Herr O. S. und der Verfügungskläger jeweils als „Managing Member“ auftreten, unter der Firma P. Dienstleistungen im Bereich der Treuhandabwicklung in den USA anbietet (vgl. Anl. AG18 und AG18/1).Randnummer12

Im September 2023 sollte die Aufnahme des Gesellschafters T. G. in das Referat S. und dementsprechend auch in die B. beschlossen werden. Der Verfügungskläger verweigerte seine Mitwirkung, zunächst mit der Begründung, dass ihm Zahlungen aus einem Kapitalkonten- und Spitzenausgleich zustünden, die zuvor zu regeln seien (vgl. den als Anl. AG17 vorgelegten Mailverkehr).Randnummer13

Am 9. November 2023 kontaktierte die Kriminalpolizei Stuttgart die Herren N. B. und J. B., um sie im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zu vernehmen.Randnummer14

Daraufhin luden die Verfügungsbeklagten mit Einladungsschreiben vom 20.11.2023 (Anl. K4) für den 07.12.2023 zu einer Gesellschafterversammlung der Referate, einer Referatsversammlung und einer (Gesamt-) Gesellschafterversammlung der B. ein, um dort u.a. Auskunft zum Ermittlungsverfahren und zur P. vom Verfügungskläger zu verlangen und über eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht des Verfügungsklägers zu beschließen.Randnummer15

Mit Schreiben vom 29.11.2023 (Anl. K5) verlangten die Verfügungsbeklagten zusätzlich vom Verfügungskläger schriftliche Auskunft zu den in der Ladung genannten Themen im Vorfeld der Versammlung.Randnummer16

Am 07.12.2023 fanden die angekündigten Versammlungen statt. Anwesend waren der Verfügungskläger sowie sämtliche Verfügungsbeklagten. Vor den Abstimmungen zog sich das R.-Referat jeweils zur Beratung in ein Nebenzimmer zurück und stimmte separat ab. Streitig ist, ob bzw. in welcher Form die übrigen Referate vor Abstimmung in der Gesamtversammlung eine referatsinterne Abstimmung durchführten. Sodann erfolgte in der großen Runde eine weitere Abstimmung, wobei jeweils ein Abstimmungsergebnis zur Referatsversammlung und ein Ergebnis zur vorsorglich geladenen Gesellschafterversammlung protokolliert wurde. Mit Beschluss zu TOP 5 wurde dem Verfügungskläger die Geschäftsführungsbefugnis für B. bis zum 31.12.2024, hilfsweise die Führung der „sonstigen Geschäfte“ im Sinne von § 6 Abs. 2 PartGG bis zum 31.12.2024 entzogen. Unter TOP 6 wurde dem Verfügungskläger die Vertretungsbefugnis bis zum 31.12.2024 für B. entzogen, hilfsweise beschlossen, dass dieser nur noch zusammen mit einem anderen einzelvertretungsberechtigten Gesellschafter für B. vertretungsbefugt sei. Wegen der Einzelheiten der Versammlung und der Beschlussfassungen wird auf das Protokoll der Versammlung (Anl. K6) Bezug genommen.Randnummer17

In der Vernehmung des J. B. am 19.12.2023 wurde diesem unter anderem mitgeteilt, dass es im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren und Herrn O. S. eine Vielzahl von Schreiben auf dem Briefpapier der B. gebe, die nach der Durchsuchung im Jahr 2020 verfasst worden und dem Verfügungskläger zuzuordnen seien. Unter anderem wurde J. B. ein auf Englisch verfasstes Schreiben aus dem Jahr 2021 gezeigt, das an zwei als Limited verfasste Gesellschaften gerichtet war und in etwa mit den Worten „On behalf of A. Limited and the Investment Group of O. S.“ begann. Die A. Limited ist eine englische Gesellschaft, an der unter anderen erneut Herr O. S. und der Verfügungskläger beteiligt sind. Dieses Schreiben ist nicht im Dokumentenmanagement-System der Partnerschaft auffindbar.Randnummer18

Der Verfügungskläger ist der Ansicht, die Beschlüsse seien bereits nicht wirksam zustande gekommen. Mangels ordnungsgemäßer Ladung zur Versammlung, der nicht zu entnehmen gewesen sei, worum es gehen solle und insbesondere auf welche wichtigen Gründe etwaige Beschlüsse zur Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis gestützt werden sollten. Durch die schriftliche Aufforderung vom 29.11.2023 (Anl. K5) an ihn, sich hierzu schriftlich näher zu erklären, werde deutlich, dass die Verfügungsbeklagten selbst ebenfalls hiervon ausgingen. Das Schreiben stelle eine unzulässige Ergänzung der Tagesordnung dar. Die gesellschaftsvertragswidrige Ladung zu einer Gesellschafterversammlung sei unzulässig gewesen. Zudem hätte der Gesellschafter N. B. ebenfalls zur Versammlung geladen werden müssen.Randnummer19

Er geht weiter davon aus, dass auch die Beschlussfassungen unwirksam gewesen seien. Zunächst seien die Beschlüsse bereits durch den Beschluss unter TOP 1b) durch den hierfür nicht zuständigen Versammlungsleiter gefasst und insgesamt vorweggenommen worden. Der Beschlussinhalt habe bereits vor den Versammlungen festgestanden, was man auch an der Mandatierung der Prozessbevollmächtigten bereits im November 2023 erkennen könne. Das gesellschaftsvertragliche Prozedere sei nicht eingehalten gewesen, insbesondere seien keine Referatssprecher benannt und keine ordnungsgemäßen Referatsversammlungen abgehalten worden. Angesichts von § 9 Abs. 15 f) GVP habe das R.-Referat nicht abstimmen dürfen. Auch der Verfügungsbeklagte J. B. habe nicht abstimmen dürfen, da ihm gemäß § 2 Abs. 8 IG-Vertrag ein Stimmverbot auferlegt sei. Daher könne es keine einstimmigen Beschlüsse gegeben haben, wie sie aber protokolliert wurden.Randnummer20

Der Verfügungsbeklagte geht weiter davon aus, dass es bereits keine Rechtsgrundlage für die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht gebe. Der Gesellschaftsvertrag sei insoweit unzulänglich und unklar. Auch verbiete § 6 Abs. 2 PartGG die hier vorgenommene vollständige Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis.Randnummer21

Es fehle auch an einem wichtigen Grund, der Voraussetzung für die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis ist. Das Ermittlungsverfahren sei lange bekannt gewesen. Er könne hierzu keine Auskünfte geben, die über das bereits Erklärte hinausgehen, da er selbst nicht wisse, worum es gehe. Laufende Ermittlungs- und Strafverfahren seien zudem in der B. kein Grund, einen Gesellschafter auszuschließen, schließlich sei ein solches auch gegen N. B. geführt worden, ohne dass dies Konsequenzen gehabt habe. Es drohe der B. kein Schaden aus einem Fortbestehen seiner Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis. Er habe auch keine Gesellschafterpflichten verletzt. Die Verfügungsbeklagten würden versuchen, ihn auf diese Weise willkürlich zu schädigen, dies dürfe nicht zugelassen werden.Randnummer22

Der Verfügungskläger beantragt, im Wege einer einstweiligen Verfügung,Randnummer23

1. den Verfügungsbeklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € und einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten im Falle der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes zu untersagen,Randnummer24

a) die in der Gesellschafter- bzw. Referatsversammlung der B. unter dem TOP 5, am 07.12.2023 gefasste temporäre Entziehung der Geschäftsführungsbefugnisse des Verfügungsklägers bis 31.12.2024,Randnummer25

b) die in der Gesellschafter- bzw. Referatsversammlung der B. unter dem TOP 5, am 07.12.2023 hilfsweise dem Verfügungskläger entzogene Führung der „sonstigen Geschäfte“ im Sinne von § 6 Abs. 2 PartGGRandnummer26

zu vollziehen;Randnummer27

2. den Verfügungsbeklagten bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € und einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten im Falle der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes zu untersagen,Randnummer28

a) die in der Gesellschafter- bzw. Referatsversammlung der B. unter TOP 6, am 07.12.2023 gefasste temporäre Entziehung der Vertretungsberechtigungen des Verfügungsklägers bis 31.12.2024,Randnummer29

b) die in der Gesellschafter- bzw. Referatsversammlung der B. unter dem TOP 6, am 07.12.2023 hilfsweise gefasste gemeinschaftliche Vertretungsberichtigung des Verfügungsklägers zusammen mit einem einzelvertretungsberechtigten Gesellschafter der B.Randnummer30

zu vollziehen;Randnummer31

hilfsweise, für den Fall, dass dem Antrag zu Ziff. 1 nicht entsprochen wird:Randnummer32

3. den von den Verfügungsbeklagten in der Gesellschafter- bzw. Referatsversammlung der B. am 07.12.2023 unter TOP 5 gefasste Beschluss,Randnummer33

a) der dem Verfügungskläger die Geschäftsführungsbefugnis bis 31.12.2024,Randnummer34

b) hilfsweise dem Verfügungskläger die Führung der „sonstigen Geschäfte“ im Sinne von § 6 Abs. 2 PartGGRandnummer35

entzieht,Randnummer36

bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig auszusetzen;Randnummer37

hilfsweise, für den Fall, dass dem Antrag zu Ziff. 2 nicht entsprochen wird:Randnummer38

4. den von den Verfügungsbeklagten in der Gesellschafter- bzw. Referatsversammlung der B. unter TOP 6 am 07.12.2023 gefasste Beschluss,Randnummer39

a) der dem Verfügungskläger die Vertretungsberechtigungen bis 31.12.2024 entzieht,Randnummer40

b) eine gemeinschaftliche Vertretungsberechtigung des Verfügungsklägers zusammen mit einem einzelvertretungsberechtigten Gesellschafter der B. feststellt,Randnummer41

bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig auszusetzen.Randnummer42

Die Verfügungsbeklagten beantragen,Randnummer43

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.Randnummer44

Sie sind der Ansicht, dass eine weitere Zusammenarbeit mit dem Verfügungskläger ausgeschlossen sei, da man ihm nicht weiter vertrauen könne. Angesichts dessen, dass das Ermittlungsverfahren anders, als der Verfügungskläger immer suggeriert habe, nicht eingestellt, sondern im Gegenteil noch ausgeweitet worden sei und in Anbetracht der offensichtlich fortgesetzten Zusammenarbeit mit Herrn O. S. bestehe ein sehr hohes Risiko, dass der B. fortlaufend weitere Schäden entstünden, wenn der Verfügungskläger seine Tätigkeit für die B. mit eigener Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis fortsetze. In einer solchen Situation könne § 6 Abs. 2 PartGG einen Entzug der Geschäftsführungsbefugnis nicht ausschließen.Randnummer45

Hinzu komme das wettbewerbswidrige Verhalten des Verfügungsklägers durch seine Tätigkeit in der P. sowie das gesellschaftsvertrags- und pflichtwidrige Verhalten rund um die Aufnahme des (…) T. G. in die Gesellschaft. Auch dies seien Gründe, einen Verbleib des Verfügungsklägers in der Gesellschaft und kurzfristig eine weitere Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis nicht hinnehmen zu können.Randnummer46

Die Beschlüsse seien insgesamt ordnungsgemäß gefasst worden. Die Tagesordnung sei ausreichend detailliert gewesen. Auch sei N. B. bereits zu Ende 2022 ausgeschieden, so dass er nicht mehr habe geladen werden müssen. Eine Gesellschafterversammlung habe man deshalb neben der Referatsversammlung einberufen, da man Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit der gesellschaftsvertraglichen Regelungen zu den Referaten habe. Es scheine problematisch, dass abweichende Stimmen, die innerhalb der Referate abgegeben werden, auf Ebene der Partnerschaft unter den Tisch fielen. Auch der Wegfall der Stimmrechte der übrigen Gesellschafter eines Referats, in dem ein Gesellschafter sich vertragswidrig verhalte, begegne rechtlichen Bedenken. Jedenfalls aber seien alle Gesellschafter bei der Versammlung anwesend gewesen und hätten auch abgestimmt, so dass gegebenenfalls von einer konkludenten Änderung des Gesellschaftsvertrags auszugehen sei.Randnummer47

Die einstweilige Verfügung ist den Verfügungsbeklagten am 28.12.2023 zugestellt worden.Randnummer48

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom xx.xx.2024 (Bl. 87 ff. der Akten) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Ein Verfügungsanspruch zu Gunsten des Verfügungsklägers auf Untersagung der Vollziehung der am 07.12.2023 getroffenen Beschlüsse zur vorläufigen Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis gegen die Verfügungsbeklagten besteht nicht.Randnummer50

I. ZulässigkeitRandnummer51

Gemäß §§ 943, 802 ZPO ist das Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ausschließlich zuständig. Das Landgericht Stuttgart ist gem. §§ 22, 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG in der Hauptsache örtlich und sachlich und somit auch im einstweiligen Rechtsschutz zuständig.Randnummer52

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO mit dem Ziel, den Vollzug der Beschlüsse zum Entzug der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des Verfügungsklägers auszusetzen, ist auch grundsätzlich statthaft (vgl. Drescher, in MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 935 Rn. 57).Randnummer53

II. BegründetheitRandnummer54

Die zeitlich befristete Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis war rechtmäßig. Es besteht daher kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 1004 ff. BGB entsprechend oder aus § 241 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. der gesellschafterlichen Treuepflicht, den Verfügungsbeklagten zu untersagen, die in der Versammlung vom 07.12.2023 gefassten Beschlüsse zur Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zu vollziehen.Randnummer55

Die Beschlüsse wurden formwirksam gefasst (s. hierzu unten 1.). Die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht des Verfügungsbeklagten war auch sowohl rechtlich zulässig (s. hierzu unten 2.) als auch von dem gemäß § 9 Abs. 12 a) bb) GVP und dem PartGG geforderten wichtigen Grund getragen (s. hierzu unten 3.).Randnummer56

Dabei waren bereits die hauptsächlich getroffenen Beschlüsse über eine zeitlich bis zum 31.12.2024 befristete Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des Verfügungsklägers wirksam, so dass es auf die jeweils hilfsweise beschlossenen, weniger einschneidenden Maßnahmen bereits nicht ankommt. Die Beschlüsse waren auch nicht, wie der Verfügungskläger hilfsweise beantragt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig auszusetzen (s. hierzu unten 4.).Randnummer57

1. Formwirksamkeit der BeschlüsseRandnummer58

Die Beschlüsse der Partnerschaft wurden formwirksam gefasst.Randnummer59

a) TagesordnungRandnummer60

Die geplanten Beschlussfassungen waren zunächst in der Ladung vom 20.11.2023 (Anl. K4) mit Hilfe der enthaltenen Tagesordnung ordnungsgemäß und bestimmt genug angekündigt worden. Eine Beschlussunfähigkeit der Versammlung(en) auf Grund dessen, dass in der Einladung bzw. Tagesordnung keine ausreichenden Informationen und insbesondere kein wichtiger Grund mitgeteilt und daher auch die in § 8 Abs. 2 GVP vorgesehene Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen nicht eingehalten worden sei, besteht nicht.Randnummer61

Welche Anforderungen an die ordnungsgemäße Ladung der Gesellschaftsversammlung einer Partnerschaftsgesellschaft (bzw. einer oHG, auf deren Rechtsregime § 6 Abs. 3 PartGG a.F. bis zum 31.12.2023 in diesem Punkt verwies) zu stellen sind, ist gesetzlich nicht geregelt. Sinn und Zweck einer Ladung ist es, dem einzelnen Gesellschafter die Teilnahme an der Versammlung und deren ordnungsgemäße Vorbereitung zu ermöglichen (BGH, Urt. v. 11.03.2014, II ZR 24/13, NZG 2014, 621 Rz. 13). Nach einhelliger Auffassung gilt deshalb, dass der Ladung zur Gesellschafterversammlung eine Tagesordnung beizufügen ist (vgl. zur oHG Enzinger, in Müko HGB, 5. Aufl. 2022, § 119 [a.F.] Rn. 49). Diese ist in Abhängigkeit von den vorgesehenen Beschlussgegenständen angemessen detailliert zu fassen. Daher ist bei komplizierten, weitreichenden Änderungen wie etwa Änderungen des Gesellschaftsvertrags möglicherweise bereits der wesentliche Beschlussinhalt zu skizzieren (Enzinger, ebd.).Randnummer62

Aus dem Gesamtzusammenhang der geplanten Versammlung, wie er sich bereits aus der Ladung vom 20.11.2023 (Anl K4) ergibt, erschließt sich, dass nach der vorgesehenen Erörterung diverser Aspekte zum strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unter TOP 3a) und zur P. LLC unter TOP 3b) und der nachfolgend unter TOP 4 vorgesehenen Besprechung der hierzu erteilten Auskünfte anschließend unter TOP 5 und 6 jeweils über die dauerhafte oder temporäre Entziehung oder Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht des Verfügungsklägers entschieden werden sollte. Es ergibt sich damit im streitgegenständlichen Fall insbesondere klar aus der Tagesordnung, auf welche Sachverhalte gegebenenfalls eine Beschlussfassung zur Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis gestützt werden sollte. Jedem Gesellschafter war durch die Tagesordnung hinreichend deutlich vor Augen geführt worden, worüber diskutiert und gegebenenfalls Beschluss gefasst werden sollte. Der in diesem Zusammenhang klägerseits zitierte Beschluss des BGH vom 15.01.1996 (Az. II ZR 22/95, Kurzwiedergabe in DStR 1996, 879, und juris), aus dem sich anderes ergeben soll, dürfte nicht übertragbar sein: Insoweit lässt sich den Veröffentlichungen des Beschlusses bereits kein vergleichbarer Sachverhalt entnehmen.Randnummer63

Es war in dieser Situation nicht erforderlich, noch weitere Details zu den konkret geplanten Beschlüssen mitzuteilen oder die in Betracht kommenden wichtigen Gründe noch detaillierter zu benennen.Randnummer64

Dass in der Ladung zu TOP 5 nur die Beschlussfassung über die (vorläufige) Entziehung oder Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis angekündigt war und die am 07.12.2023 hilfsweise beschlossene Entziehung lediglich der „Führung der sonstigen Geschäfte“ im Sinne von § 6 Abs. 2 PartGG nicht ausdrücklich angekündigt worden war, ist selbst dann unschädlich, wenn sie nicht, was offen bleiben kann, als Maßnahme der „Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis“ implizit angekündigt war. Die hilfsweise Entziehung der Geschäftsführung betreffend sonstige Geschäfte stellt jedenfalls ein Minus zur angekündigten (und in der Hauptsache beschlossenen) Beschlussfassung dar. Es ist auch nicht ersichtlich, dass zur Vorbereitung auf die Beschlussfassung über die hilfsweise Entziehung nur der „Führung der sonstigen Geschäfte“ andere oder weitere Aspekte vorzubereiten gewesen wären.Randnummer65

Soweit der Verfügungskläger davon ausgeht, dass durch die nach der Ladung erfolgte Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme im Vorfeld der Versammlung die Tagesordnung unzulässig und unter Verletzung der geltenden Ladungsfrist verspätet ergänzt worden sei, ist dem nicht zu folgen: Die Einladung nebst Tagesordnung war aus sich heraus vollständig und ausreichend, s. oben. Sie hielt die in § 8 Abs. 2 GVP vorgesehene Ladungsfrist von 14 Tagen ein, die auch insgesamt angemessen erscheint. Eine Ergänzung der Tagesordnung ist in der schriftlichen Aufforderung zur Auskunftserteilung bereits nicht zu sehen. Selbst wenn man dies anders sähe, wäre sie jedenfalls weder notwendig noch schädlich gewesen, da bereits die als solche mitgeteilte Tagesordnung als Grundlage für die gefassten Beschlüsse ausreichte.Randnummer66

Ob der Kläger den Verstoß gegen die Ladungsfrist in der Versammlung hätte rügen müssen, kann daher offenbleiben; ebenso wenig kommt es auf die schriftsätzlich aufgeworfenen Fragen der Kausalität und möglicher Rechtsfolgen eines Einberufungsfehlers an.Randnummer67

b) Ladung zur GesellschafterversammlungRandnummer68

Dass zugleich abweichend von den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags zu einer Gesellschafterversammlung eingeladen wurde, war ebenfalls jedenfalls im Ergebnis unschädlich.Randnummer69

Zwar begegnet es Bedenken, zugleich zu der nach dem Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Referatsversammlung und zu einer daneben nicht vorgesehenen Gesellschafterversammlung einzuladen. Es wäre nicht auszuschließen, dass die beiden Versammlungen im selben Beschlusspunkt zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Eine solche Situation kann nicht hingenommen werden. Richtig kann nur entweder die Einberufung der Referatsversammlung gemäß den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags sein oder, falls die Strukturierung der Gesellschaft in Referate gemäß dem Gesellschaftsvertrag insbesondere angesichts der erhobenen Bedenken (Wegfall der Stimmen etwaiger Minderheiten in den Referaten, Wegfall des Stimmrechts ganzer Referate) gesetzlich unzulässig wäre, die Einberufung ausschließlich der Gesellschafterversammlung.Randnummer70

Welche Versammlung konkret einzuberufen und zur Willensbildung der B. berufen war, kann aber hier offen bleiben:Randnummer71

Auch wenn eine der beiden (neben den Versammlungen der Einzelreferate) einberufenen Versammlungen unzulässig gewesen sein muss, ergibt sich hieraus nicht die Nichtigkeit der in der jeweils anderen Versammlung getroffenen Beschlüsse. Insbesondere bestand kein kausaler Einfluss zwischen den Beschlüssen der Versammlungen, in denen die vollzählig als Gesellschafter und Referatsgesellschafter versammelten Anwesenden mit Ausnahme des Verfügungsklägers bei sämtlichen Beschlüsse gleichgerichtet abgestimmt haben. Unabhängig davon, ob die Verfügungsbeklagten in der Versammlung ihre Stimme innerhalb der Referatsversammlung, als Referatssprecher ihres Referats oder als Gesellschafter der Partnerschaft abgegeben haben: In jedem Fall wären die Beschlüsse genauso wirksam beschlossen worden, wie sie festgestellt wurden. Insoweit kommt der Grundsatz zur Anwendung, dass ein formaler Mangel bei einer Personengesellschaft dann nicht zur Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen führt, wenn ausgeschlossen werden kann, dass sein Zustandekommen durch den Fehler beeinflusst wurde (für den Fall des Ladungsmangels: BGH, Urt. v. 11.03.2014, II ZR 24/13, NZG 2014, 621 f.; allgemein siehe z.B. Schäfer, in: Ulmer/Schäfer, GbR und PartG, 8. Aufl., § 709 a.F. Rn. 111).Randnummer72

Auf die Frage, ob angesichts dessen, dass sämtliche Gesellschafter bei der Versammlung anwesend waren und jeweils abgestimmt haben, von einer konkludenten Änderung des Gesellschaftsvertrags auszugehen ist, kommt es demnach schon nicht an.Randnummer73

c) Ladung des N. B.Randnummer74

N. B. war am Tag der Versammlung bereits aus der Gesellschaft ausgeschieden. Aus der Tatsache, dass er nicht ebenfalls zur Versammlung geladen worden war, ergibt sich daher ebenfalls kein Beschlussmangel.Randnummer75

Zwar war N. B. unstreitig am Tag der Versammlung noch als Gesellschafter im Partnerschaftsregister eingetragen. Ausweislich der Beschlussfassung der B. vom 01.12.2020 (Anl. K7) war er jedoch mit Ablauf des Geschäftsjahres 2022, also mit Ablauf des 31.12.2022, aus der Partnerschaft ausgeschieden. Sein Ausscheiden war entsprechend dem geregelt worden, was zuvor bereits für die Alt-Gesellschafter St. und H. in § 15 Abs. 1 GVP vorgesehen gewesen war. Ein Umsetzungsbeschluss hierzu war weder nach dem Beschluss vom 01.12.2020 noch nach dem Gesellschaftsvertrag erforderlich.Randnummer76

Die Eintragung der Gesellschafter im Partnerschaftsregister ist nur deklaratorischer Natur (vgl. Schäfer in Müko BGB, 9. Auflage 2023, PartGG § 5 Rn. 12). Dass N. B. dort noch als Gesellschafter eingetragen war, ist demnach nicht erheblich.Randnummer77

d) Vorwegnahme der BeschlüsseRandnummer78

Die Beschlussfassungen sind auch nicht bereits vor der Versammlung erfolgt oder unzulässig vorweggenommen worden.Randnummer79

Soweit der Verfügungskläger meint, aus dem Beschluss unter TOP 1b): „Sämtliche Beschlussfassungen gelten, sofern nichts anderes bestimmt wird, als Beschlüsse der einzelnen Referate (wobei das Referat R. seine Beschlüsse in einer gesonderten Vereinbarung trifft), als Referatsbeschlüsse (wobei hier nur die jeweiligen Stimmen der jeweiligen Referatsvertreter berücksichtigt werden) sowie vorsorglich als Beschlüsse der Gesellschafter (Gesellschafterversammlung)“ ableiten zu können, dass die Klarstellung, dass Beschlüsse im Zweifel als Beschlüsse jeweils jeder der drei einberufenen Versammlungen gelten sollen, die eigentlichen Beschlüsse vorwegnehme, ist dem nicht zu folgen. Inhaltliche Beschlüsse sind hierdurch nicht gefasst worden, schon gar nicht allein durch den Versammlungsleiter.Randnummer80

Auch dass die Verfügungsbeklagten bereits am 13.11.2023 die jetzigen Prozessbevollmächtigten mit ihrer Vertretung beauftragten, führt nicht dazu, dass die Beschlussfassungen der Versammlungen vorweggenommen und keine „echten“ Beschlüsse mehr gefasst worden wären. Innerhalb der Versammlungen war es dem Verfügungskläger am 07.12.2023 möglich, im gesellschaftsvertraglich vorgegebenen Rahmen Stellung zu beziehen, und sich zu bemühen, die Vorwürfe gegen ihn auszuräumen. Dass ihm dies nicht gelungen ist und daraufhin die Beschlüsse wie protokolliert gefasst wurden, ändert hieran nichts.Randnummer81

e) Abstimmungen der Versammlungen der einzelnen ReferateRandnummer82

Angesichts der vollzähligen Anwesenheit aller Gesellschafter kommt es nicht darauf an, ob die Aussprache zu den Tagesordnungspunkten, was umstritten ist, ausschließlich innerhalb der Gesamt-Versammlung oder zuvor auch innerhalb der einzelnen Referate stattfand. Soweit die Referate mit Ausnahme des R.-Referats zu einer etwaigen referatsinternen Aussprache den Raum nicht verließen, oder gegebenenfalls, wie der Verfügungskläger behauptet, gar nicht ausdrücklich referatsintern berieten und abstimmten, war dies offensichtlich von keinem der Referate und von keinem Gesellschafter mit Ausnahme des Verfügungsklägers für erforderlich befunden worden. Aus dem Protokoll ergibt sich, dass sich jedenfalls diverse Partner aller Referate an der Aussprache in der gesamten Versammlung beteiligt haben.Randnummer83

Soweit der Verfügungskläger aus der Nachfrage an ihn, ob bereits vor Abhalten der R.-Versammlung zu Beschlussantrag TOP 3a das Ergebnis der Abstimmung des R.-Referats verkündet werden könne (Anl. K6, S. 10 mittig), schließt, dass das Beschlussergebnis bereits vor Abhalten der R.-Versammlung festgestanden habe, ist auch dies unbeachtlich: Die Referatsversammlung R. hat in der Folge ordnungsgemäß stattgefunden. In dieser hatte der Verfügungskläger die Möglichkeit, seinen Einfluss geltend zu machen und seine Referatskollegen umzustimmen, auch wenn ihm dies im Ergebnis nicht gelungen ist.Randnummer84

f) Beschlussfassung in der B.Randnummer85

Auch die Beschlussfassung innerhalb der B. erfolgte im Ergebnis ordnungsgemäß. Dabei kann offen bleiben, ob die Willensbildung der B. im Rahmen der Referatsversammlung oder im Wege der Gesellschafterversammlung stattgefunden hat:Randnummer86

(1) Variante 1: Abstimmung der Referatsversammlung nach ReferatenRandnummer87

Entweder hatte die Willensbildung gemäß den Vorgaben des GVP im Rahmen einer Referatsversammlung zu erfolgen, wie dies der Gesellschaftsvertrag vorsieht, s. oben. Die gegen eine ordnungsgemäße Beschlussfassung der Referatsversammlung vorgebrachten Rügen haben keinen Erfolg: Es ist unstreitig, dass in der B. dauerhafte Referatssprecher benannt sind. Danach war die R.-Stimme durch den Verfügungsbeklagten J. B. abzugeben. Es musste daher keine ausdrückliche Benennung für die konkrete Versammlung erfolgen. Aus dem Protokoll ist zwar nicht ersichtlich, wer genau letztlich für welches Referat abgestimmt hat. Dies ist jedoch unschädlich: Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass nicht (jedenfalls auch) der Verfügungsbeklagte J. B. für das R.-Referat abgestimmt hat. Klar ist auch, dass bei allen Beschlüssen, sowohl innerhalb des R.-Referats als auch in der Referatsversammlung, die einzig abweichende Stimme die des Verfügungsklägers war. Dieser war aber, soweit er überhaupt ein Stimmrecht hatte, in der Abstimmung des Referats überstimmt worden, so dass die Stimme des R.-Referats jedenfalls richtig abgegeben wurde. Dass der Verfügungskläger entgegen der vorgesehenen Stimmbindung in der Referatsversammlung der B. das R.-Stimmrecht ausgeübt und dabei gegen die anderen Referate gestimmt hätte, ist nicht vorgetragen.Randnummer88

Dass das R.-Referat entgegen § 9 Abs. 15 f) GVP trotz des darin angeordneten Stimmrechtsausschlusses an der Abstimmung der Referate in der Referatsversammlung teilgenommen hat, bleibt ebenfalls ohne Konsequenzen. Eine Nichtigkeit der Beschlüsse ergibt sich auch hieraus nicht. Bei keiner der Abstimmungen kam es für das Beschlussergebnis auf die Stimme des R.-Referats an. Damit kann offenbleiben, ob der gesellschaftsvertragliche Stimmrechtsausschluss des Referats bereits unzulässig und daher unbeachtlich war, weil dieser die Stimmrechte der im betroffenen Referat nicht betroffenen Partner unzulässig beschneidet.Randnummer89

Auch dass die Beschlüsse innerhalb des R.-Referats als einstimmig gefasst protokolliert wurden, spielt keine Rolle: Es ist jeweils zugleich protokolliert, dass die R.-Versammlung davon ausging, dass dem Verfügungskläger kein Stimmrecht zustand, sowie für den Fall, dass dies nicht richtig sei, dieser gegen die Beschlüsse stimme. Anders als der Verfügungskläger wohl meint, kommt es insoweit unter keinem Gesichtspunkt darauf an, dass das jeweilige Stimmrecht nach Deckungsbeitragsquoten zu berechnen war. Damit ist das Stimmverhalten in der R.-Versammlung jedenfalls richtig wiedergegeben.Randnummer90

(2) Variante 2: Abstimmung der GesellschafterversammlungRandnummer91

Wenn man demgegenüber annehmen wollte, dass allein eine Abstimmung der Gesellschafter der B. zulässig war, weil die Regelungen des GVP zur Referatsstruktur unwirksam sind, so waren alle Gesellschafter der B. unmittelbar stimmberechtigt – mit Ausnahme des Verfügungsklägers in Bezug auf die Beschlussgegenstände, die ihn selbst betrafen. Alle Gesellschafter haben jeweils ihr Stimmrecht ausgeübt, das zugehörige Beschlussergebnis ist auch richtig protokolliert worden.Randnummer92

(3) Unschädlichkeit der Abstimmung auch der jeweils anderen VersammlungRandnummer93

Die jeweils zugleich abgehaltene andere Versammlung nebst jeweiliger Beschlussfassung hatte jedenfalls keine Auswirkungen auf das Beschlussergebnis und war daher unschädlich, s. oben.Randnummer94

g) Stimmrecht des Verfügungsbeklagten J. B.Randnummer95

Zuletzt dringt der Verfügungskläger auch nicht damit durch, dass der Verfügungsbeklagte J. B. wegen § 2 Abs. 8 IG-Vertrag (Anl. K8) nicht gegen ihn hätte stimmen dürfen. Die dort vorgesehene Stimmbindung scheidet dann aus, wenn sich der von der Abstimmung betroffene Gesellschafter pflichtwidrig verhalten, insbesondere gegen den IG-Vertrag oder den GVP verstoßen hat, vgl. § 2 Abs. 8 S. 1 IG-Vertrag am Ende. Dies ist hier der Fall: Der Verfügungskläger hat gegen seine Treupflicht verstoßen und verstößt auch weiterhin hiergegen, indem er seine Mitgesellschafter nicht wie geschuldet informiert, s. hierzu ausführlich unten.Randnummer96

Zudem hätte gemäß § 8 Abs. 2 IG-Vertrag nicht nur der Verfügungsbeklagte J. B., sondern auch der weitere Verfügungsbeklagte P. nicht gegen den Verfügungskläger stimmen dürfen. Damit hätte die Abstimmung des R.-Referats über die Stimmabgabe in der B. entweder eine Enthaltung oder eine Gegenstimme ergeben müssen, jedenfalls aber keine Zustimmung sein dürfen. Auf die Stimme des R.-Referats in der Referatsversammlung der B. kam es jedoch, soweit das Referat überhaupt stimmberechtigt war, s. oben, bereits nicht an, s. ebenfalls oben.Randnummer97

2. Zulässigkeit der Entziehung der Geschäftsführungs- und VertretungsbefugnisRandnummer98

a) Zulässigkeit der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis, Beschluss zu TOP 5Randnummer99

(1) RechtsgrundlageRandnummer100

Die Beschlussfassung über die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis erfolgte auf der Grundlage von § 9 Abs. 12 a) bb) GVP. Der fehlerhafte Verweis in § 7 Abs. 1 S. 3 auf § 9 Abs. 12 c) bb) anstatt auf § 9 Abs. 12 a) bb) GVP ist irrelevant. Es ist eindeutig, dass gesellschaftsvertraglich die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis ermöglicht werden sollte. Die Zuordnung der vorgesehenen Beschlussfassung über die Entziehung innerhalb des § 9 Abs. 12 GVP und damit die Festlegung der erforderlichen Mehrheit erfolgte zudem eindeutig dahingehend, dass die Beschlussfassung mit einer Mehrheit von 100 % der abgegebenen Stimmen zu erfolgen hatte.Randnummer101

(2) Wirksamkeit der Rechtsgrundlage, § 134 BGB i.V.m. § 6 Abs. 2 PartGGRandnummer102

§ 6 Abs. 2 PartGG steht der beschlossenen (vorübergehenden) Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis des Verfügungsklägers nicht entgegen. Die Regelung in § 6 Abs. 2 PartGG führt nicht dazu, dass die gesellschaftsvertragliche Regelung in §§ 7 Abs. 1 S. 3, 9 Abs. 12 a) bb) GVP gemäß § 134 BGB nichtig ist.Randnummer103

Zwar ist streitig, ob § 6 Abs. 2 PartGG die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis insgesamt, also über die Entziehung nur der „sonstigen Geschäfte“ hinaus, überhaupt zulässt. Diese gesetzliche Grenze gilt zugleich gemäß § 9 Abs. 12 a) bb) GVP ausdrücklich auch als gesellschaftsvertragliche Begrenzung zulässiger Beschlussfassungen in der Gesellschaft.Randnummer104

Bei § 6 Abs. 2 PartGG handelt es sich um eine Sonderregelung für die Geschäftsführung in Partnerschaftsgesellschaften, wonach einzelne Partner jedenfalls im Gesellschaftsvertrag nur von der Führung „sonstiger Geschäfte“, aber nicht von der Geschäftsführung betreffend sogenannte „berufliche Leistungen“, also Tätigkeiten zur Ausübung des freien Berufes, ausgeschlossen werden können (vgl. auch Schäfer, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, PartGG § 6 Rn. 4, 11).Randnummer105

Ob, wie, und unter welchen Voraussetzungen einem Partner die Geschäftsführungsbefugnis dennoch nachträglich auch vollständig entzogen werden kann, ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt und bisher nicht (höchst-) richterlich entschieden.Randnummer106

Dass eine nachträgliche Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis nicht vollständig ausgeschlossen sein kann, zeigt der ausdrückliche Verweis in § 6 Abs. 3 PartGG auf § 116 Abs. 5 HGB n.F./ § 117 HGB a.F. Danach ist für eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis eine gerichtliche Entscheidung auf Antrag der übrigen Gesellschafter vorgesehen. Schon dies könnte eine (außerhalb des Gesellschaftsvertrags begründete) Entziehung der vollen Geschäftsführungsbefugnis ermöglichen (so Seibert/Kilian, PartGG, 1. Aufl. 2012, § 6 Rn. 6).Randnummer107

Der Verweis in § 6 Abs. 3 PartGG ist auch nicht alleine auf die Entziehung der sonstigen Geschäfte im Sinne des § 6 Abs. 2 PartGG zu beziehen, so dass nur insoweit nach dem dispositiven Recht eine gerichtliche Entscheidung möglich ist. Dies ist zwar umstritten (vgl. zum Streitstand Schäfer, in MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, PartGG § 6 Rn. 17 ff. m.w.N.). Für eine Bezugnahme allein auf die sonstigen Geschäfte im Sinne des § 6 Abs. 2 PartGG bestehen jedoch keine Anhaltspunkte im Wortlaut der Vorschrift. Aus der Gesetzesbegründung (Gesetzesentwurf v. 11.11.1993, BT-Drs. 12/6152, S. 15) ergibt sich, dass der Verweis nicht nur in Bezug auf sonstige Geschäfte, sondern in engen Grenzen auch für Geschäfte der freiberuflichen Tätigkeit gelten sollte: „Besondere Umstände können es im Einzelfall dennoch rechtfertigen, einem Partner die Geschäftsführungsbefugnis auch im Hinblick auf seine Berufsausübung zu entziehen, insbesondere, wenn anders ein drohender Schaden von der Partnerschaft nicht abzuwenden ist. Für diese Ausnahmefälle bleibt es daher bei der Möglichkeit, entsprechend § 117 HGB auf Antrag aller übrigen Gesellschafter die Befugnis zur Geschäftsführung durch gerichtliche Entscheidung zu entziehen; ein dauerhafter Ausschluss von der berufsausübenden Geschäftsführungstätigkeit wird aber nur im Wege der Ausschließung des Partners möglich sein“ (Gesetzesbegründung, ebd.). Auch Hirtz (in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 6 PartGG Rn. 10) geht nicht von einem kategorischen Ausschluss des Entzugs der Geschäftsführungsbefugnis für die berufsbezogenen Geschäfte durch § 6 Abs. 2 PartGG aus, wenn er die Bedenken betont, denen ein dauerhafter Entzug, der also nicht unmöglich sein kann, begegnet.Randnummer108

Jedenfalls Regelungen zur Geschäftsverteilung, wohl aber auch zur Einrichtung einer Mitgeschäftsführung sind nach den Stimmen der Literatur zulässig (vgl. insb. Schäfer, in MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, PartGG § 6 Rn. 18, 21; Hirtz, in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 6 PartGG Rn. 9). Ein berechtigtes Interesse hierzu wird insbesondere dann angenommen, wenn die Partnerschaft die Bearbeitung bestimmter Mandate aus gewichtigem Grund verhindern will (vgl. insb. Salger, in MünchHdbGesR, Bd. 1, 5. Aufl. 2019, § 41 Rn. 19, und Meilicke, in Meilicke u.a., PartGG, 3. Aufl. 2015, § 6 Rn. 45 und ff.) oder wenn anders ein drohender Schaden von der Partnerschaft nicht abgewendet werden kann (Schöne, in beckOGK BGB, 68. Ed., Stand 01.11.2023, § 6 PartGG Rn. 10).Randnummer109

Eine absolute Unantastbarkeit der freiberuflichen Geschäftsführung ist auch nach Auffassung der Kammer nicht vertretbar. Entscheidend muss sein, ob die für die Entziehung der Geschäftsführung vorgebrachten wichtigen Gründe unter besonderer Berücksichtigung des in § 6 Abs. 2 PartGG zum Ausdruck kommenden besonderen Schutzes der Geschäftsführung in beruflichen Angelegenheiten in Freiberuflergesellschaften im Einzelfall eine Entziehung rechtfertigen (s. hierzu konkret unten unter 3.).Randnummer110

(3) Einschränkende Voraussetzungen für die Entziehung der GeschäftsführungsbefugnisRandnummer111

Um dem Regelungszweck des § 6 Abs. 2 PartGG und dem Charakter der PartGG als Zusammenschluss von Freiberuflern möglichst gerecht zu werden, wird teilweise vertreten, dass eine Entziehung lediglich im Vorfeld und zur Vorbereitung eines Ausschlusses zugelassen werden dürfe (so insb. Hirtz, in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 6 PartGG Rn. 10). So soll ein dauerhaftes Auseinanderfallen von freiberuflicher Tätigkeit und umfassender Geschäftsführungsbefugnis vermieden werden. Aus demselben Grund ist möglicherweise auch grundsätzlich eine zeitliche Befristung einer Entziehung der vollen Geschäftsführungsbefugnis geboten (vgl. Schäfer, in MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, PartGG § 6 Rn. 23 m. V.a. die Gesetzesbegründung). Anderseits soll ein Gesellschafter, der aus Alters- oder Krankheitsgründen zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nicht mehr in der Lage ist, nicht zum Ausscheiden gezwungen, sondern stattdessen auch eine dauerhafte Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis möglich sein (so im Ergebnis Schäfer, in MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, PartGG § 6 Rn. 24).Randnummer112

Ob die Vorbereitung eines Ausschlusses oder eine Befristung der Entziehung notwendige Voraussetzung dafür sind, dass auch mit Blick auf den in § 6 Abs. 2 PartGG zum Ausdruck kommenden Charakter der PartGG als Zusammenschluss von Freiberuflern eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis zulässig ist, wenn ein entsprechend gewichtiger Grund hierfür vorliegt, braucht in diesem Fall nicht entschieden werden:Randnummer113

Hier wurde zwar bisher kein Ausschluss beschlossen. Das Ausscheiden des Verfügungsklägers bis zum Ablauf der befristeten Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis ist jedoch erklärtes Ziel der Verfügungsbeklagten. Auch im vorliegenden Fall geht es also um die Rechtsgestaltung zwischen den Parteien im Vorfeld zu einem Ausschluss. Es gibt jedenfalls in dieser Konstellation keinen Grund, die übrigen Gesellschafter ausschließlich auf den möglicherweise schwerer, insb. langwieriger, durchzusetzenden Ausschluss aus der Gesellschaft zu verweisen, und sie bis zu dessen Wirksamkeit einer Fortsetzung der Geschäftsführung im Namen der Partnerschaft im freiberuflichen Bereich auszusetzen.Randnummer114

Die durch Beschluss vom 07.12.2023 vorgenommene Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis des Verfügungsklägers wurde auch auf den 31.12.2024 zeitlich befristet. Zwar begegnet zum einen diese sich über etwas mehr als ein Jahr erstreckende und damit einen signifikanten Zeitraum umfassende Entziehung Bedenken dahingehend, ob es sich tatsächlich noch um eine vorläufige Maßnahme handelt. Zum anderen ist es erklärtes Ziel der Verfügungsbeklagten, den Verfügungskläger vor Ablauf der Befristung aus der Partnerschaft auszuschließen, wenn kein anderweitiges Ausscheiden mit ihm vereinbart werden kann. Die Geschäftsführungsbefugnis soll also gerade nicht wiederaufleben.Randnummer115

Welcher Zeitraum noch als vorübergehend anzusehen ist und ab wann eine dauerhafte Entziehung anzunehmen ist, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls, insbesondere in Ansehung des wichtigen Grundes für die Entziehung, zu bewerten (Schöne, in BeckOK BGB, 68. Ed., 01.11.2023, PartGG § 6 Rn. 10). Aus Sicht der Verfügungsbeklagten war bereits vor der Beschlussfassung angesichts des unkooperativen Verhaltens des Verfügungsklägers damit zu rechnen, dass dieser sich gegen die Beschlüsse wehren würde. Auch sieht der Gesellschaftsvertrag der B. in § 9 Abs. 12 a) aa) und bb) GVP für die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und einen sich anschließenden Ausschluss des betroffenen Referats ein mehrstufiges Prozedere vor, das notwendigerweise einiges an Zeit, insbesondere zwei mit Ladungsfrist einzuberufende Referatsversammlungen, benötigt. Eine abschließende gerichtliche Klärung kann, selbst bei vorläufiger Klärung im Wege einstweiligen Rechtsschutzes, unter Einbeziehung der Instanzen langwierig sein und viele Monate dauern. Würde eine absolut betrachtet nur „kurze“ Befristung im Bereich nur weniger Monate für zwingend gehalten, um eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis zu gestatten, müssten möglicherweise regelmäßig Folgebeschlüsse (unter Beteiligung des betroffenen missliebigen Gesellschafters) gefasst werden, die Aufwand und zusätzliche rechtliche Risiken und Angriffsflächen schaffen würden. Dies muss mit dem Interesse des betroffenen Gesellschafters auf freie Ausübung seines Berufs abgewogen werden. Der von den Verfügungsbeklagten gewählte Zeithorizont von etwas über 12 Monaten für die vorläufige Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis des Verfügungsklägers ist vor diesem Hintergrund im Ergebnis noch vertretbar.Randnummer116

(4) Erfordernis einer gerichtlichen EntscheidungRandnummer117

Eine gerichtliche Entscheidung, wie sie § 116 HGB n.F. (bzw. § 117 HGB a.F.) zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis vorsieht, war nicht erforderlich. Die genannte Vorschrift ist gemäß § 6 Abs. 3 S. 2 PartGG dispositives Recht, vorrangig gelten die Regelungen des Gesellschaftsvertrags. Dieser sieht in §§ 7 Abs. 1 S. 3, 9 Abs. 12 a) bb) GVP ein Verfahren für die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis vor, welches keinen Raum für eine über die Beschlussfassung der Referatsversammlung hinausgehende gerichtliche Entscheidung lässt. Vor diesem Hintergrund ist auch der in § 9 Abs. 12 a) bb) GVP enthaltene Verweis auf § 6 PartGG nicht so zu verstehen, dass zusätzlich entsprechend dem dispositiven Recht eine gerichtliche Entscheidung erforderlich sein soll. Im Gegenteil enthält § 9 Abs. 12 a) bb) GVP eine abschließende Regelung zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis durch Beschluss.Randnummer118

b) Zulässigkeit der Entziehung der Vertretungsmacht, Beschluss zu TOP 6Randnummer119

Die Entziehung der Vertretungsbefugnis richtet sich nach §§ 7 Abs. 1 S. 3, 9 Abs. 12 a) bb) GVP. Gesetzlich ist sie in § 7 Abs. 3 PartGG i.V.m. § 124 Abs. 5 HGB n.F. geregelt. Diese Gesetzesregelungen sind dispositiv (§ 124 Abs. 5 a.E. HGB n.F.) und damit einer Regelung im Gesellschaftsvertrag zugänglich (vgl. auch Roth, in Hopt, HGB, 42. Aufl. 2023, § 127 [a.F.] Rn. 11, 12). § 7 PartGG sieht dabei jedenfalls dem Wortlaut nach keine dem § 6 Abs. 2 PartGG vergleichbare Beschränkung für die Entziehung der Vertretungsmacht vor. Diese könnte daher in weiteren Grenzen zulässig sein als die der Geschäftsführungsbefugnis, was umstritten ist (s. zum Streitstand Schäfer, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2023, PartGG § 7 Rn. 15 m.w.N.).Randnummer120

Eine Entscheidung hierzu ist im konkreten Fall nicht erforderlich. Selbst wenn, was angesichts des Gesetzeswortlauts zweifelhaft erscheint, für die Entziehung der Vertretungsbefugnis dieselben Maßstäbe gelten würden wie für die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis, ergäbe sich nichts Abweichendes: Für die Beschlussfassung über die Entziehung der Vertretungsbefugnis gilt dasselbe wie zu der betreffend die Geschäftsführungsbefugnis.Randnummer121

3. Vorliegen eines wichtigen GrundesRandnummer122

Es liegt auch ein wichtiger Grund zur Rechtfertigung der getroffenen Beschlüsse vor. Ein Anspruch des Verfügungsklägers gegen die Verfügungsbeklagten auf Unterlassung des Vollzugs der Beschlüsse entsprechend §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB oder § 241 Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. der gesellschafterlichen Treuepflicht besteht daher nicht.Randnummer123

Es kommt dabei nicht darauf an, ob, wie die Verfügungsbeklagten meinen, ihre Vorwürfe als unstreitig zu behandeln seien, weil kein substantiierter Vortrag des Verfügungsklägers erfolge. Insoweit genügen bereits die im Raum stehenden Verdachtsmomente und die sich daraus ergebende Gefährdung der interessen der Verfügungsbeklagten und der B.Randnummer124

Es ist auch keine strafrechtliche Verurteilung des Verfügungsklägers erforderlich, um hierauf eine Entziehung der Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnis zu stützen. Es gilt für den Verfügungskläger weder die Unschuldsvermutung, noch kann er sich auf den nemo-tenetur-Grundsatz berufen. Seine Treuepflicht gebietet es ihm, in seiner Gesellschafterstellung auf die Rechte, Rechtsgüter und interessen der Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen.Randnummer125

Konkret muss ein Gesellschafter seine Mitgesellschafter insbesondere über Vorgänge, die deren Vermögensinteressen tangieren, zutreffend und vollständig informieren (vgl. insb. BGH, Urt. v. 09.09.2002, II ZR 198/00, NJW-RR 2003, 169, 170 m.w.N.; Geibel, in beckOGK BGB, § 706 [a.F.] Rn. 86). Gleiches ergibt sich aus § 717 Abs. 2 BGB n.F. für die GbR und damit über § 1 Abs. 4 PartGG für die Partnerschaftsgesellschaft bzw. aus dem jedenfalls auf das Verhältnis der geschäftsführenden Gesellschafter einer oHG zur Gesellschaft und den Gesellschaftern anwendbaren Auftragsrecht (§ 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 666 BGB). Auch im Auftragsrecht gilt, dass der Beauftragte sich bei der Auskunftserteilung nicht auf ein Geheimhaltungsinteresse zu seinen Gunsten und insbesondere nicht auf den nemo-tenetur-Grundsatz berufen kann (F. Schäfer, in Müko BGB, 9. Aufl. 2023, § 666 Rn. 47; vgl. auch zu § 259 BGB: Krüger, in MüKo BGB, 9. Aufl. 2022, § 259 Rn. 36).Randnummer126

a) Fehlende Auskunftsbereitschaft des VerfügungsklägersRandnummer127

In der fehlenden Auskunftsbereitschaft des Verfügungsklägers betreffend das gegen ihn seit 2019 geführte und bis heute nicht abgeschlossene Ermittlungsverfahren liegt ein hinreichend wichtiger Grund im Sinne der §§ 7 Abs. 1 S. 3, 9 Abs. 12 a) bb) GVP, der die beschlossene Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des Verfügungsklägers rechtfertigt. Angesichts des Verhaltens des Verfügungsklägers in Bezug auf das gegen ihn und Herrn O. S. laufende Ermittlungsverfahren, insbesondere die bis zur Gesellschafterversammlung am 07.12.2023 und bis heute nicht erfolgte Auskunft zu den verschiedenen hierzu erfragten Aspekten, ist eine fortbestehende Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des Verfügungsklägers den Verfügungsbeklagten nicht zumutbar.Randnummer128

Der Verfügungskläger verweigert jegliche Auskünfte zum Stand des Strafverfahrens, obwohl er unstreitig Einsicht in Teile der Akte erhalten hat. Auch in Bezug auf die konkrete Zusammenarbeit mit Herrn O. S., insbesondere die konkrete Ausgestaltung der Treuhandabrede vor dem Hintergrund der im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erhobenen Vorwürfe und die auch nach der Durchsuchung von 2020 fortgesetzte Tätigkeit für Herrn O. S. im Namen der B., erteilt der Verfügungskläger keine Auskünfte, obgleich sich diese auf Wissen aus seinem eigenen Wahrnehmungsbereich beziehen. Nicht nur hat der Verfügungskläger – soweit aktenkundig ist – zu keinem Zeitpunkt von sich aus zu dem Ermittlungsverfahren und insbesondere zu dessen Fortsetzung, in deren Rahmen es insbesondere 2022 zu einer Durchsuchung seiner Wohnung gekommen ist, die jedenfalls nicht ohne weitere Informationen der zuvor erfolgten Durchsuchung von 2020 zuzuordnen war, an die Mitgesellschafter berichtet, obgleich er nach den oben skizzierten, auch für ihn geltenden konkreten Pflichten aus der gesellschafterlichen Treuepflicht hierzu verpflichtet war. Auch auf ausdrückliche Aufforderungen vor, in und nach der Gesellschafterversammlung vom 07.12.2023 hat der Verfügungskläger in der Sache zu den Vorwürfen nicht ansatzweise Stellung bezogen. Dabei ist es dem Verfügungskläger verwehrt, sich auf den nemo-tenetur-Grundsatz zu berufen. Im Gegenteil ist er aus seiner Treuepflicht heraus zur Interessenwahrung, insbesondere durch aktive und vollständige Informationserteilung gegenüber seinen Mitgesellschaftern, verpflichtet, s. oben.Randnummer129

Dass dieses Verhalten das für eine Zusammenarbeit im Rahmen einer Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die in besonderem Maße auf ihren integren Ruf angewiesen ist, notwendige Vertrauen zerstört, ist für die Kammer umfassend nachvollziehbar. Ein solches Verhalten ist grundsätzlich geeignet, Beschlüsse über die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht auch in einer Partnerschaft von Freiberuflern zu tragen.Randnummer130

Weiter wurde im Rahmen der polizeilichen Vernehmung des Verfügungsbeklagten J. B. Ende 2023 deutlich, dass der Verfügungskläger auch nach der Durchsuchung 2020 und der bereits zuvor angeblich erfolgten „Beendigung der Treuhand“ mitsamt Schließung des Treuhandkontos weiterhin auf Briefpapier der Partnerschaft und damit im Namen dieser und zugleich des Beschuldigten O. S. aufgetreten ist. Der Verfügungskläger arbeitet auch sonst offensichtlich weiterhin mit Herrn O. S. zusammen: Aus der im Sommer 2023 bekannt gewordenen Webseite der P. ist eine fortgesetzte gemeinsame Tätigkeit ersichtlich. Die zur P. in der Gesellschafterversammlung vom 07.12.2023 erteilten Auskünfte überzeugten die Verfügungsbeklagten ersichtlich nicht. Dass die P. lediglich eine Vorratsgesellschaft sei, was damit begründet wird, dass diese bisher keine Geschäfte abgewickelt habe, erscheint auch der Kammer angesichts des Auftritts im Internet fragwürdig. Jedenfalls aber wirken der Verfügungskläger und Herr O. S. in dieser Gesellschaft bis heute zusammen. Eine weitere aktuell fortbestehende Verbindung des Verfügungsklägers mit Herrn O. S. besteht in Bezug auf die britische A. Limited, an welcher unbestritten sowohl der Verfügungskläger als auch Herr O. S. beteiligt sind. Das vom Verfügungsbeklagten J. B. konkret beschriebene Schreiben auf Geschäftspapier der B., dass ihm im Rahmen der polizeilichen Vernehmung vorgelegt worden war, erklärte der Verfügungskläger zuletzt im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 09.01.2024 damit, dass er hier im Auftrag des Herrn O. S. einen Due-Diligence-Auftrag erledigen sollte (vgl. das Protokoll der mündl. Verhandlung, Bl. 87, 90 d. Akten). Er habe zudem nicht gesagt, keine Geschäfte mehr mit Herrn O. S. zu tätigen (ebd.). Dass diese Korrespondenz nicht im Dokumentenmanagement-System der B. auffindbar ist, rechtfertigt den Verdacht, dass hier rechtlich zweifelhafte Geschäftstätigkeiten möglicherweise gezielt vor den Verfügungsbeklagten versteckt werden sollen. Dass auch diese Umstände im Ergebnis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Parteien die Grundlage entziehen, ist nachvollziehbar und rechtfertigt ebenfalls nach Auffassung der Kammer die Beschlüsse zur vorläufigen Entziehung der Geschäftsführung und Vertretung für die B.Randnummer131

b) Fehlendes Schutzbedürfnis der VerfügungsbeklagtenRandnummer132

Dem steht auch nicht eine fehlende Schutzwürdigkeit oder -bedürftigkeit der Verfügungsbeklagten entgegen. Zwar war das Ermittlungsverfahren spätestens seit der Durchsuchung der Geschäftsräume der B. im Oktober 2020 allen Gesellschaftern der B. bekannt. Auch ergab sich bereits aus dem Durchsuchungsbeschluss, dass gravierende Vorwürfe gegen den Verfügungskläger im Raum standen, zu denen dieser offenbar damals nicht substantiiert Stellung nehmen musste. Dass der Verfügungskläger insoweit „abgewiegelt“ und die anderen im Glauben gelassen habe, da „sei schon nichts dran“, wurde damals von den anderen Gesellschaftern offenbar hingenommen.Randnummer133

Dies wiegt umso schwerer, als bereits 2018/2019 zweifelhafte Treuhandgeschäfte des Verfügungsklägers bekannt geworden waren. In dem daraufhin in Auftrag gegebenen Gutachten zur Meldepflicht nach GwG heißt es im Rahmen der Abwägung, nach der eine Meldepflicht nicht anzunehmen gewesen sein soll, dass insbesondere entscheidend sei, dass keine Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftspartner O. S. bekannt seien. Die Tatsache, dass sich aus dem nur etwa ein Jahr später bekannt gewordenen Durchsuchungsbeschluss insoweit ausdrücklich anderes ergab, und dennoch die Angelegenheit von den Gesellschaftern nicht wiederaufgenommen wurde, ist ein Indiz dafür, dass diese Umstände die übrigen Gesellschafter schlicht nicht interessierten. Vor diesem Hintergrund könnte zweifelhaft sein, warum ausgerechnet die Ankündigung polizeilicher Vernehmungen Ende 2023 den Ausschlag dafür geben sollte, dem Verfügungskläger die Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht zu entziehen.Randnummer134

Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, dass mit dem Anruf der Polizei im November 2023 allen Mitgesellschaftern deutlich gemacht wurde, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Verfügungskläger weiterhin läuft, und zudem, dass, wie sich im Rahmen der Vernehmungen der Herren Bauer ergab, weiterhin zusätzlicher Sachverhalt ermittelt wird. Spätestens jetzt mussten die Verfügungsbeklagten zur Kenntnis nehmen, dass ein gravierendes Risiko für Ruf und Finanzlage der Partnerschaft besteht. Zusätzlich häuften sich zu diesem Zeitpunkt die Hinweise auf eine fortbestehende Zusammenarbeit des Verfügungsklägers mit Herrn O. S., s. oben.Randnummer135

Dass auch gegen N. B. zuvor bereits einmal strafrechtliche Ermittlungen liefen und dieser daraufhin nicht ausgeschlossen wurde, ergibt keine Rechtsposition zu Gunsten des Verfügungsklägers.Randnummer136

c) GesamtabwägungRandnummer137

Nach Überprüfung der für und gegen eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht des Verfügungsklägers sprechenden Argumente im Rahmen einer Gesamtabwägung war nach Auffassung der Kammer ein wichtiger Grund zur Entziehung der genannten Rechte gegeben.Randnummer138

Das Verhalten des Verfügungsklägers ist, unabhängig davon, ob sich die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe als wahr erweisen oder nicht, geeignet, den Ruf der Partnerschaft in erheblichem Maß zu schädigen. Das Geschäft der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung erfordert ein erhebliches Maß an Vertrauen zwischen dem beauftragten Berater und den Mandanten. Schon die nur mögliche Verwirklichung vermögensrechtlicher Straftatbestände, insbesondere der Untreue, können potentielle oder bestehende Mandanten von einer Mandatierung der B. abschrecken. Es sind in diesem Falle erhebliche Umsatzeinbußen zu erwarten. Auch die Wiederherstellung etwa verlorengehenden Vertrauens würde der Partnerschaft und auch den einzelnen Gesellschaftern erhebliche Marketing- und Wiedergutmachungsmaßnahmen abverlangen und sich über einen unabsehbar langen Zeitraum erstrecken, was ebenfalls mit Vermögenseinbußen verbunden ist.Randnummer139

Sowohl das Haftungsrisiko der Gesellschaft, insbesondere vor dem Hintergrund, dass bis zuletzt deren Geschäftspapier für Mandate eines gemeinsam mit dem Verfügungskläger der Strafverfolgung ausgesetzten Mandanten eingesetzt wurde, als auch das Risiko für den Ruf der Gesellschaft erscheinen insgesamt erheblich. Das Verhalten des Verfügungsklägers ist aus Sicht der Mitgesellschafter, insbesondere unter Berücksichtigung der bestehenden Treuepflichten unter den Gesellschaftern, insgesamt untragbar. Der Verfügungskläger kooperiert nicht mit den Verfügungsbeklagten, denen es mangels auch nur rudimentärer Auskünfte nicht einmal möglich ist, deren nach außen bestehende Haftungsrisiken wenigstens der Höhe nach abzuschätzen. Die offensichtlich fortgesetzte Zusammenarbeit mit Herrn O. S. und die fehlende Einsicht des Verfügungsklägers dahingehend, dass sowohl sein Auskunftsverhalten als auch seine weiter bestehende Zusammenarbeit mit Herrn O. S. unter anderem im Rahmen mehrerer ausländischer Gesellschaften für die Verfügungsbeklagten problematisch sein können, muss von diesen nicht weiter hingenommen werden. Auch vor dem Hintergrund des besonderen Schutzes der freien Berufsausübung der Partner einer PartGG, in denen vor allem dem Berufsrecht unterworfene und ansonsten frei agierende Freiberufler zusammengeschlossen sind, ist eine Entziehung vorliegend möglich und eine angemessene Reaktion auf das Verhalten des Verfügungsklägers. Dem Verfügungskläger in dieser Situation weiterhin Geschäftsführungsbefugnis im Namen der B. und Vertretungsmacht für diese zuzugestehen, ist den Verfügungsbeklagten nicht zumutbar.Randnummer140

Dies gilt nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Ausschluss der Geschäftsführungsbefugnis eines Gesellschafters gemäß § 9 Abs. 12 a) aa) GVP einen Beschluss über die Ausschließung des betreffenden Referats aus der Gesellschaft ermöglicht. Dies rechtfertigt es, bereits bei der Prüfung der Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis den für den Ausschluss eines Gesellschafters aus der Gesellschaft geltenden Maßstab anzulegen. Diesem Maßstab, nach dem der Ausschluss eines Gesellschafters ultima ratio bleiben muss für den Fall, dass eine weitere Zusammenarbeit den Gesellschaftern unzumutbar ist, ist nach Einschätzung der Kammer im Rahmen der Beschlussfassungen der B. ebenfalls Genüge getan. Auch ein Beschluss über einen Ausschluss des Verfügungsklägers aus der Gesellschaft wäre am 07.12.2023 in der gegebenen Situation gerechtfertigt gewesen, soweit nicht – was vorliegend nicht entschieden werden braucht – wegen § 9 Abs. 12 a) aa) GVP vorrangig eine Pflicht zur Einhaltung des gesellschaftsvertraglich geregelten und bisher nicht durchgeführten Vorgehens, nämlich der Ausschließung des gesamten Referats, besteht.Randnummer141

Die interessen des Verfügungsklägers an seiner ungestörten Berufsausübung mitsamt eigener, nicht abgeleiteter Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis muss trotz des besonderen Schutzes der Berufsfreiheit durch das Grundgesetz und trotz der darin liegenden erheblichen Beeinträchtigung seiner freien Berufsausübung insgesamt hinter den interessen der Verfügungsbeklagten zurückstehen. Es war die Pflicht des Verfügungsklägers, schon den bösen Schein, er könne als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in strafbare Vermögensdelikte verwickelt sein, zu vermeiden, und zweifelhafte Geschäfte zu meiden, vgl. auch § 57 Abs. 2 StBerG i.V.m. § 6 Abs. 1 PartGG. Jedenfalls hätte er die interne Aufarbeitung innerhalb der B. fördern müssen, insbesondere indem er die Verfügungsbeklagten über den Verlauf des Ermittlungsverfahrens hätte unterrichten und jedenfalls auf die an ihn gestellten Auskunftsverlangen hin die Umstände des Verfahrens näher hätte darlegen müssen. Die mit der Entziehung der Geschäftsführung und Vertretungsmacht auch mit Blick auf laufende Gerichtsverfahren und Prüfungsaufträge möglicherweise verbundenen Schwierigkeiten dürften im Wesentlichen mithilfe rechtsgeschäftlicher Vollmachten (auch zu – geschäftsführungsbezogenen – Entscheidungen in der Sache) zu lösen sein, ebenso wie die vom Verfügungskläger aufgebrachte Frage des Weisungsrechts gegenüber den Angestellten der Partnerschaft.Randnummer142

Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Verfügungsbeklagten dem Verfügungskläger eine Fortsetzung seiner Tätigkeit zu den Bedingungen angeboten haben, wie sie auch für einen angestellten Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer gelten. Dass es dem Verfügungskläger bei Entziehung der eigenen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis nicht möglich sein soll, überhaupt Einkommen zu generieren, ist deshalb bereits nicht richtig. Dass es ihm in einer solchen Konstellation nicht möglich sein sollte, seine Schulden aus der angeblich seit seinem Beitritt im Jahr 2007 nicht abgelösten Finanzierung des Erwerbs seiner Gesellschafterstellung zu bedienen, ist bestritten und im Übrigen nicht nachvollziehbar. Andere schutzwürdige interessen des Verfügungsklägers sind nicht dargelegt.Randnummer143

Darüber hinaus steht es dem Verfügungskläger frei, die Partnerschaft zu verlassen und selbständig aufzutreten. In diesem Fall stünden ihm Abfindungsansprüche wegen seiner Beteiligung an der B. zu.Randnummer144

d) Weitere VorwürfeRandnummer145

Nach alledem kann offen bleiben, ob die Tätigkeit des Verfügungsklägers im Rahmen der P. einen gemäß § 20 Abs. 1 GVP verbotenen Wettbewerb zur B. darstellt, was angesichts der Beschränkung des gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbots auf den „sachlichen und räumlichen Tätigkeitsbereich“ zweifelhaft sein kann.Randnummer146

Auch die Frage, ob das Verhalten des Verfügungsklägers in Bezug auf die Aufnahme des neuen Gesellschafters T. G., konkret seine Weigerung, dessen Aufnahme in das Partnerschaftsregister trotz des diesbezüglich am 07.12.2023 getroffenen und nicht gerichtlich angegriffenen Beschlusses der B. zuzustimmen, für sich genommen oder jedenfalls in Kombination mit anderen von den Verfügungsbeklagten geltend gemachten Gründen für Beschlüsse über die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis genügen kann, muss ebenfalls nicht beantwortet werden.Randnummer147

e) Vorwurf der WillkürRandnummer148

Der Vorwurf willkürlichen Verhaltens der Verfügungsbeklagten wird auf keine über die bereits erörterten Aspekte hinausgehenden Umstände gestützt. Eine Nichtigkeit der Beschlüsse wegen willkürlichen Verhaltens ergibt sich damit nicht.Randnummer149

4. Vorläufige Aussetzung der Beschlüsse (Hilfsanträge Ziff. 3 und 4)Randnummer150

Die Beschlüsse der B. zur vorläufigen Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht des Verfügungsklägers waren auch nicht, wie der Verfügungskläger hilfsweise mit den Anträgen Ziff. 3 und 4 beantragt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.Randnummer151

Angesichts der mit einer weiteren Tätigkeit des Verfügungsklägers für die B. verbundenen erheblichen Risiken (s. oben) kommt eine Suspendierung der Beschlüsse bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache nicht in Betracht. Der Verfügungskläger hat es in der Hand, für eine Übergangszeit mit den Verfügungsbeklagten eine Verfahrensweise betreffend laufende Mandate auszuhandeln, die ihm ein nach außen (gegenüber den Mandanten) weitgehend frei wirkendes Handeln ermöglicht.Randnummer152

III. Prozessuale NebenentscheidungenRandnummer153

Die Nebenentscheidungen betreffend die Kosten des Verfahrens und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 6, 711 ZPO.Randnummer154

Bezüglich der Streitwertbemessung wird auf den im Verfahren 49 O 4/24 am 10.01.2024 ergangenen Streitwertbeschluss und die dort erfolgte Festsetzung des Streitwerts für die zeitlich befristete Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht auf den halben Verkehrswert der Beteiligung des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers Bezug genommen. Der Verkehrswert der hier streitgegenständlichen Beteiligung beträgt hier wie dort mindestens 100 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes der letzten Jahre, welcher auf 1,8 bis 1,9 Mio. € beziffert wurde. Da hier lediglich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zu entscheiden war und etwaige Hauptsache-Entscheidungen voraussichtlich werden folgen müssen, war der Streitwert hier auf (lediglich) ein Drittel des dort festgesetzten Betrags von 900.000 € festzusetzen.

Schlagworte: Eingriff in Ressort, Geschäftsführerposition, Geschäftsführertätigkeit, Organkonflikte, Unterlassungsanspruch, Verhinderung Geschäftsführungsmaßnahmen

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SG Duisburg, Urteil vom 18. August 2023 – S 37 BA 16/22

Freitag, 18. August 2023

GmbH-abhängigen Beschäftigung

§ 7 Abs 1 SGB 4

Ist ein Gesellschafter einer GmbH ohne Mehrheitsbeteiligung nicht zum Geschäftsführer bestellt, sondern angestellt tätig, erhält er eine feste jährliche Vergütung, hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und auf bezahlten Urlaub und ist er in die betriebliche Organisation eingebunden, so ist er nicht selbständig tätig, sondern i. S. von § 7 Abs. 1 SGB 4 abhängig beschäftigt.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2), die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.

Der Streitwert wird auf 100.150,74 € festgesetzt.

Tatbestand

Im Streit ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen.Randnummer2

Die Klägerin wird im Handelsregister bei dem Amtsgericht Essen unter der Registernummer HRB 8411 geführt. Geschäftsgegenstand ist der industrielle Tiefbau sowie der Handel mit Mineralölen und industrieller Maschinenbau. Die Klägerin ist durch Umwandlung des im Handelsregister des Amtsgerichts Essen unter der Registernummer HRA eingetragenen Einzelunternehmens, der Firma R.W, mit Gesellschaftsvertrag vom 15.12.19XX entstanden. Die Satzung wurde seitdem mehrfach geändert, vor der streitgegenständlichen Betriebsprüfung zuletzt mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 27.08.1999. Die dem Amtsgericht Essen zuletzt vorgelegte Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
datierte vom 27.08.1999. Danach hielt R.W. mit 40.000,00 DM und 50.000,00 DM 60 % der Geschäftsanteile an der Klägerin, die Beigeladene zu 1) mit 25.000,00 DM 16,67 % sowie der Beigeladene zu 2) mit 10.000,00 DM und 25.000,00 DM 23,33 % der Geschäftsanteile an der Klägerin. Der Beigeladene zu 2) ist zudem seit dem 15.03.1994 zum Geschäftsführer der Klägerin bestellt. Die Eintragung ins Handelsregister erfolgte ebenfalls am 15.03.1994. Zugleich wurde R.W. als bisheriger Geschäftsführer abberufen. Die Beigeladene zu 1) ist mitarbeitende Gesellschafterin und war im Prüfzeitraum für den Bereich Mineralöle/Handel zuständig.Randnummer3

Der hier maßgebliche Gesellschaftsvertrag der Klägerin enthält u.a. die folgenden Regelungen:Randnummer4

„[…]Randnummer5

§ 3 StammkapitalRandnummer6

Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 150.000,– DM.Randnummer7

Es wird wie folgt aufgeteilt:Randnummer8

1 Geschäftsanteil von 50.000,00 DMRandnummer9

1 Geschäftsanteil von 40.000,00 DMRandnummer10

1 Geschäftsanteil von 10.000,00 DMRandnummer11

1 Geschäftsanteil von 25.000,00 DMRandnummer12

1 Geschäftsanteil von 25.000,00 DMRandnummer13

[…]Randnummer14

§ 5 GesellschafterversammlungRandnummer15

Beschlüsse der Gesellschaft werden mit einfacher Mehrheit gefasst, wenn das Gesetz nicht zwingend eine höhere Mehrheit vorschreibt.Randnummer16

Die schriftliche Abstimmung ist zulässig, wenn kein Gesellschafter widerspricht.Randnummer17

Auf angefangene 1000,00 DM Geschäftsanteil entfällt je eine Stimme.Randnummer18

Zu den Gesellschafterversammlungen sind die Gesellschafter mit eingeschriebenen Briefen mindestens zwei Wochen vorher zu laden, wobei die Absendung der Ladung entscheidend ist.Randnummer19

§ 6 GeschäftsführerRandnummer20

Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinsam oder von einem Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten. Durch Gesellschafterbeschluss kann einem Geschäftsführer Alleinvertretungsbefugnis und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB erteilt werden. Ist nur ein Geschäftsführer vorhanden, so vertritt dieser die Gesellschaft allein und ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Prokura können mit Einzel- oder Gesamtvertretung erteilt werden.Randnummer21

§ 7 Veräußerung von GeschäftsanteilenRandnummer22

Die Veräußerung von Geschäftsanteilen oder Teilen eines Geschäftsanteils bedarf zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Genehmigung der Gesellschaft. Das gilt auch für Abtretungen an Mitgesellschafter. Genehmigungspflichtig sind auch sonstige Verfügungen (z.B. Verpfändungen, Abtretung von Gewinnausschüttungen usw.) sowie die Begründung von Unterbeteiligungen.Randnummer23

[…]Randnummer24

§ 9 Einziehung von GeschäftsanteilenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einziehung
Einziehung von Geschäftsanteilen
Randnummer25

1. Die Geschäftsanteile des GesellschaftersRandnummer26

a) in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt,Randnummer27

b) über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist,Randnummer28

c) in dessen Vermögen eine Pfändung ausgebracht wird,Randnummer29

d) der die Auflösungsklage eingereicht hat,Randnummer30

e) der im Falle der Eheschließung nach Aufforderung der Gesellschaft nicht binnen Monatsfrist den Nachweis erbringt, dass die Zugewinngemeinschaft bezüglich der Beteiligung an der Gesellschaft ausgeschlossen wurde,Randnummer31

können durch Gesellschafterbeschluss eingezogen werden. Die Einziehung ist jedoch nicht mehr zulässig, wenn zu b) das Verfahren, zu c) die Pfändung inzwischen wieder aufgehoben und zu e) der Gesellschafter bereits vor Abschluss dieses Vertrages verheiratet ist.Randnummer32

2. Im Falle der Einziehung gemäß Abs. 1 Buchst. a), b) und e) ist das sich nach der letzten vor dem Einziehungsbeschluss unmittelbar vorausgehenden oder mit ihm zusammenfallenden, ordnungsgemäß festgestellten Jahresbilanz buchmäßig auf den beigezogenen Geschäftsanteil entfallende Vermögen der Gesellschaft, in den anderen Fällen der Wert, ermittelt nach den steuerrechtlichen Bewertungsmaßstäben des Stuttgarter Verfahrens, zu vergüten. Maßgeblich bleibt die letzte, ordnungsmäßig festgestellte Jahresbilanz auch, wenn die Jahresbilanz später (z.B. im Zuge einer Betriebsprüfung) geändert wird. Das Abfindungsentgelt ist – beim Fehlen einer anderslautenden Vereinbarung – in sechs gleichen Jahresraten auszuzahlen. Die erste Rate ist fällig drei Monate nach Feststellung des Abfindungsguthabens.Randnummer33

3. Die Gesellschafter können anstelle der Einziehung beschließen, dass der Gesellschafter seine Geschäftsanteile oder Teile von solchen auf die Gesellschaft oder einen von ihr zu bestimmenden Dritten zu übertragen hat. Bei Übertragung auf Dritte haftet die Gesellschaft für die zu zahlende Vergütung, für die der vorstehende Absatz gilt, als Gesamtschuldnerin.Randnummer34

4. Die Einziehung von GeschäftsanteilenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einziehung
Einziehung von Geschäftsanteilen
oder Teilen von solchen und der Erwerb durch die Gesellschaft ist nur insoweit zulässig, als die Gesellschaft die Vergütung zahlen kann, ohne hierfür das Stammkapital anzugreifen.
Randnummer35

§ 10 ErbfolgeRandnummer36

1. Geschäftsanteile können nur an Personen vererbt oder vermacht werden, die mit dem Gesellschafter in gerader Linie verwandt sind.Randnummer37

2. Beim Tode eines Gesellschafters soll immer nur ein Erbe bzw. Vermächtnisnehmer als Nachfolger in die Gesellschaft einrücken. Der Nachfolger ist durch letztwillige Verfügung des berechtigten Gesellschafters zu bestimmen.Randnummer38

3. Geht ein Geschäftsanteil von Todes wegen an mehrere Berechtigte, die alle oder teilweise unter Abs. 1 fallen, so ruhen alle mit den vererbten (vermachten) Geschäftsanteilen verbundenen Gesellschaftsrechte, außer dem Gewinnbeteiligungsrecht, ab dem Tage des Todes des Erblassers. In diesem Falle haben sich die Erbbeteiligten binnen einer Frist von sechs Monaten zu einigen, wer Inhaber des Geschäftsanteils wird. Eine Einziehung des GeschäftsanteilsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einziehung
Einziehung des Geschäftsanteils
Geschäftsanteils
scheidet sodann aus. Kommt zwischen den Erbbeteiligten keine Einigung über die Nachfolge in den Geschäftsanteil zustande, kann die Gesellschafterversammlung beschließen, dass der Geschäftsanteil an sie entschädigungslos abzutreten ist. Der mitberechtigt gewesene Erbberechtigte kann sodann die entschädigungslose Abtretung dieses Anteils an sich verlangen.
Randnummer39

4. Geschäftsanteile, die von Todes wegen an nicht unter Abs. 3 fallende Gesellschafter übergehen und für die nicht Abs. 3 gilt, fallen unter § 9 Abs. 1a.“Randnummer40

In dem undatierten Geschäftsführervertrag des Beigeladenen zu 2) heißt es u.a.:Randnummer41

„§ 1 AufgabenbereichRandnummer42

Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Er führt die Geschäfte der Gesellschaft und hat die verantwortliche Leitung des gesamten Betriebes.Randnummer43

§ 2 VergütungRandnummer44

1. Der Geschäftsführer erhält als Vergütung für seine Tätigkeit ein festes Jahresgehalt in Höhe von DM 60.000,–, zahlbar in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von DM 5.000,– jeweils am Monatsende.Randnummer45

2. Zusätzlich steht dem Geschäftsführer die Nutzung eines Firmen Pkw’s zu. Der geldwerte Vorteil aus der Nutzung wird der Lohnsteuer unterworfen.Randnummer46

§ 3 Spesen und AuslagenRandnummer47

Reisekosten und sonstige Aufwendungen, die im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
im Interesse der Gesellschaft
notwendig waren, werden dem Geschäftsführer gegen Nachweis erstattet. Tage- und Übernachtungsgelder können nach seiner Wahl auch im Rahmen der jeweils steuerlich zulässigen Höchstsätze pauschal abgerechnet werden.
Randnummer48

§ 4 Weiterzahlung im KrankheitsfallRandnummer49

Wird der Geschäftsführer durch Krankheit vorübergehend gehindert, seine Tätigkeit als Geschäftsführer auszuüben, so wird ihm die vereinbarte Vergütung auf die Dauer von sechs Wochen weitergezahlt.Randnummer50

§ 5 Geschäftsführungs- und VertretungsbefugnisRandnummer51

1. Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft in Gemeinschaft mit einem anderen Geschäftsführer, wenn mehrere Geschäftsführer bestellt sind. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so ist er alleingeschäftsführungs- und allein vertretungsberechtigt.Randnummer52

2. Der Geschäftsführer ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.Randnummer53

3. Der Geschäftsführer ist verpflichtet, die im Gesellschaftsvertrag enthaltenen und die ihm von der Gesellschafterversammlung erteilten allgemeinen oder besonderen Anweisungen auszuführen.Randnummer54

4. Der Geschäftsführer hat das Recht, jederzeit eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen.Randnummer55

§ 6 Pflichten und Rechte des GeschäftsführersRandnummer56

1. Der Geschäftsführer hat sein Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu führen.Randnummer57

[…]Randnummer58

§ 7 NebentätigkeitRandnummer59

1. Der Geschäftsführer hat der Gesellschaft seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Er ist an bestimmte Arbeitszeiten nicht gebunden.Randnummer60

2. Für Nebentätigkeiten, die gegen Vergütung geleistet werden, bedarf der Geschäftsführer der vorherigen Zustimmung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafterversammlung
Zustimmung
Zustimmung der Gesellschafterversammlung
.
Randnummer61

§ 8 WettbewerbsverbotRandnummer62

1. Für die Dauer des Vertrages ist es dem Geschäftsführer nicht gestattet, in einem Unternehmen, das mit der Gesellschaft in Wettbewerb steht, als Inhaber, Gesellschafter oder Angestellter tätig zu werden oder sich an einem solchen Unternehmen direkt oder indirekt zu beteiligen oder es direkt oder indirekt zu beraten oder zu fördern oder direkt oder indirekt eine Vertretung hierfür zu übernehmen.Randnummer63

[…]Randnummer64

§ 9 UrlaubRandnummer65

1. Der Geschäftsführer hat Anspruch auf einen jährlichen bezahlten Urlaub von 27 Arbeitstagen. Samstage werden dabei nicht mitgerechnet.Randnummer66

2. Kann der Geschäftsführer den Urlaub aus zwingenden geschäftlichen Gründen ganz oder teilweise nicht nehmen, so ist der Urlaubsanspruch abzugelten. Das Abfindungsentgelt bemisst sich nach der Höhe des Festgehaltes gemäß § 2.Randnummer67

§10 Dauer des VertragesRandnummer68

Dieser Vertrag beginnt am 01.Dezember 1991 und wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. […]“Randnummer69

Mit Bescheid vom 06.07.1992 stellte die Tiefbau-Berufsgenossenschaft fest, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) als Gesellschafter-Geschäftsführer nicht mehr zum Kreis der pflichtversicherten Personen zählen. Darüber hinaus wurde ausgeführt, nach den Feststellungen des Rechnungsbeamten anlässlich der Lohnbuchprüfung am 27.04. und 02.06.1992 bestehe auch in der gesetzlichen Renten- bzw. Krankenversicherung keine Versicherungspflicht. In einem weiteren Schreiben der Tiefbau-Berufsgenossenschaft vom 04.01.1996 wurde ausgeführt, nach den vorliegenden Unterlagen hätten die Beigeladenen zu 1) und 2) zwar keinen maßgeblichen Anteil am Stammkapital der Gesellschaft, aufgrund der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit hätten sie indes erheblichen Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens. Nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts seien sie daher als Unternehmer anzusehen. Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung könne daher nur bei Abschluss einer freiwilligen Unternehmerversicherung gewährt werden.Randnummer70

Mit Bescheid vom 22.07.1999 stellte die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft unter Bezugnahme auf eine (der dem Bescheid nicht beigefügten) Erklärung, wonach R.W. das Stimmrecht seines Kapitalanteils von 55 v.H. auf die Beigeladenen zu 1) und 2) übertragen hat fest, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) nicht zum versicherungspflichtigen Personenkreis zählen. Beide würden eine unternehmerische Stellung in der Gesellschaft einnehmen, so dass kein Versicherungsschutz kraft Gesetzes bestehe.Randnummer71

Am XX.XX.2018 verstarb der Gesellschafter R.W.. Daraufhin wurde am 01.12.2018 eine außerordentliche Gesellschafterversammlung durchgeführt. Darin wurde beschlossen, nach der in § 10 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrags geregelten Erbfolge den Geschäftsanteil von R.W. zu teilen und diese neuen Anteile auf die Beigeladenen zu verteilen. Die neue Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
wurde nicht beim Amtsgericht zur Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Eintragung
Eintragung in das Handelsregister
Handelsregister
eingereicht. Es erfolgte auch keine Einziehung des GeschäftsanteilsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einziehung
Einziehung des Geschäftsanteils
Geschäftsanteils
durch die Klägerin.Randnummer72

In der Zeit vom 23.10.2020 bis zum 10.05.2021 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Geprüft wurde der Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 31.12.2020.Randnummer73

Am 10.05.2021 erfolgte im Anschluss an die Betriebsprüfung eine Aktualisierung der Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
. Die Eintragung ins Handelsregister erfolgte am 02.06.2021. Daraus ergaben sich die folgenden Beteiligungsverhältnisse: E., F. und K. W. hielten in Erbengemeinschaft als Gesamtrechtsnachfolger des verstorbenen R.W. 60 % der Geschäftsanteile. Der Beigeladene zu 2) hielt ferner selbst weiterhin 23,33 % und die Beigeladene zu 1) 16,67 % der Geschäftsanteile.Randnummer74

Unter dem 20.05.2021 hörte die Beklagte die Klägerin zu dem Ergebnis der Betriebsprüfung und der beabsichtigten Nachforderung von 100.150,74 € an. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei festgestellt worden, dass für die Beigeladene zu 1) seit dem 02.02.1990 ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis als mitarbeitende Gesellschafterin gegen Arbeitsentgelt besteht. Seit mindestens dem 01.01.2016 bestehe Versicherungs- und Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Für den Beigeladenen zu 2) habe vom 15.03.1994 bis zum 26.11.2018 ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer gegen Arbeitsentgelt bestanden. Mindestens vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 habe Versicherungs- und Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden. Seit dem 27.11.2018 sei der Beigeladene zu 2) im Betrieb der Klägerin nicht mehr abhängig beschäftigt, sondern selbständig tätig. Seitdem bestehe Versicherungsfreiheit in allen Zweigen der Sozialversicherung. Nach dem Tod des R.W. sei am 01.12.2018 eine außerordentliche Gesellschafterversammlung durchgeführt worden, in der beschlossen worden sei, den Geschäftsanteil von R.W. zu teilen und die neuen Anteile auf die Beigeladenen zu verteilen. Die neue Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
sei aber nicht dem Amtsgericht zur Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Handelsregister
vorgelegt worden. Es sei auch keine Einziehung der Geschäftsanteile erfolgt. Die mit den vererbten Geschäftsanteilen verbundenen Gesellschaftsrechte würden damit weiterhin ruhen. Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft könnten die Beigeladene zu 1) als Gesellschafterin sowie der Beigeladene zu 2) als Gesellschafter-Geschäftsführer lediglich mittels ihrer stimmberechtigten Anteile nehmen. Auf Vertrauensschutz wegen der Nichtbeanstandung der Beschäftigungsverhältnisse der Beigeladenen zu 1) und 2) in früheren Prüfungen könne sich die Klägerin nicht berufen. Die Prüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) könne auf Stichproben beschränkt werden. Es liege auch keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Status durch die Clearingstelle der D. Rentenversicherung oder die zuständige Einzugsstelle vor.Randnummer75

Nach § 7 Abs. 1 SGB IV sei Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Beschäftigter in diesem Sinne sei, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordere die Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung. Umgekehrt sei Kennzeichen einer selbständigen Tätigkeit die im wesentlichen freie Einteilung der Arbeitszeit und die freie Gestaltung der Arbeitsleistung. Darüber hinaus trage der Selbständige in der Regel auch ein eigenes erhebliches Unternehmerrisiko, dem auf der anderen Seite größere Unternehmerchancen als bei einer abhängigen Beschäftigung gegenüberstünden. Entscheidend für die Beurteilung der Tätigkeit sei das Gesamtbild des Vertragsverhältnisses der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen werde. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis könne bei mitarbeitenden Gesellschaftern aufgrund deren Kapitalbeteiligung oder besonderer Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag von vornherein ausgeschlossen sein. Erfolgen Beschlüsse der Gesellschafter nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen und richte sich dabei das Stimmrecht des einzelnen Gesellschafters nach der Höhe seiner Geschäftsanteile, sei für einen mitarbeitenden Gesellschafter ohne Geschäftsführerfunktion ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich von vornherein ausgeschlossen, wenn er über mehr als 50 % des Stammkapitals verfüge. Eine Kapitalbeteiligung von bis zu 50 % des Stammkapitals bzw. eine Sperrminorität würden ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis dagegen nicht von vornherein ausschließen. Sofern ein Geschäftsführer zugleich am Kapital der Gesellschaft beteiligt sei, könne sich daraus oder aus dem Gesellschaftsvertrag ein maßgeblicher Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ergeben. Gesellschafter-Geschäftsführer seien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abhängig beschäftigt, wenn sie funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess teilhaben, für ihre Beschäftigung ein entsprechendes Arbeitsentgelt erhalten und keinen maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft haben. Maßgeblichen Einfluss habe der Gesellschafter, der allein über die für die Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung erforderliche Mehrheit der Stimmen verfüge. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer sei ausnahmsweise auch dann als Selbständiger anzusehen, wenn ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt sei. Er müsse insoweit alle ihm nicht genehmen Beschlüsse der Gesellschafter verhindern können. Eine auf bestimmte Bereiche begrenzte Sperrminorität sei hingegen nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln.Randnummer76

Die Beigeladene zu 1) arbeite gegen Entgelt im Unternehmen und sei nicht zur Geschäftsführerin bestellt. Sie verfüge über eine Stimmberechtigung i.H.v. 16,67 % des Stammkapitals. Nach dem Tod von Herrn R.W. habe sie weitere Geschäftsanteile geerbt, bis auf die entsprechende Gewinnbeteiligung würden aber die damit verbundenen Gesellschafterrechte ruhen. Damit verfüge die Beigeladene zu 1) weiterhin nur über 16,67 Prozentpunkte der nur noch stimmberechtigten 40 Prozentpunkte. Denn eine aktive Stimmberechtigung sei nur noch mit 60.000,00 DM der Geschäftsanteile verbunden, von denen sie 25.000,00 DM halte. Die im Bescheid der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft vom 22.07.1999 benannte Stimmrechtsübertragung sei nicht in das Handelsregister eingetragen. Eine außerhalb des Gesellschaftsvertrags geschlossene Stimmrechtsvereinbarung sei zwar rechtlich zulässig, aber nicht geeignet, eine sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebende, nicht wirksam abbedungene Rechtsmacht wirkungslos werden zu lassen. Die getroffene Regelung führe allenfalls zu einer sogenannten Schönwetter-Selbständigkeit, die für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht ausschlaggebend sei. Die im Schreiben der Berufsgenossenschaft genannte Stimmrechtsvereinbarung liege nicht vor und habe für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung keine Bedeutung. Zudem stehe sie auch im Widerspruch zu dem einen Monat später beim Handelsregister eingereichten geänderten Gesellschaftsvertrag. Der Beigeladene zu 2) verfüge über 23,33 Prozentpunkte der seit dem Tod von R.W. am 26.11.2018 nur noch stimmberechtigten 40 Prozentpunkte. Vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 habe der Beigeladene zu 2) nicht über die Mehrheit der Stimmen in der Gesellschafterversammlung verfügt, um Beschlüsse herbeizuführen. Er habe daher keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben können. Ab dem 27.11.2018 habe der Beigeladene zu 2) dagegen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft gehabt. Ein Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin sei seitdem ausgeschlossen.Randnummer77

Am 25.03.2021 gingen für die Beigeladenen zu 1) und 2) Feststellungsbögen zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern, Fremdgeschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern einer GmbH bei der Beklagten ein. Darin gab der Beigeladene zu 2) u.a. an, er halte 23,3 % der Geschäftsanteile der Klägerin und sei seit dem 15.03.1994 deren Geschäftsführer. Zuvor sei er ab dem 02.02.1990 bei der Klägerin beschäftigt gewesen. Als Stimmrecht sei die einfache Mehrheit vereinbart, sofern nicht durch Gesetz zwingend eine höhere Mehrheit erforderlich sei. Er könne nicht durch Sonderrechte Gesellschafterbeschlüsse herbeiführen oder verhindern. Das Stimmrecht werde auch nicht aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung zugunsten eines Dritten ausgeübt. Darlehen oder Bürgschaften habe er der Klägerin nicht gewährt. Er sei ausschließlich im Rahmen des Gesellschaftsvertrags zur Mitarbeit verpflichtet, die Mitarbeit sei nicht in einem besonderen Arbeits- oder Dienstvertrag geregelt. Er erhalte eine feste monatliche Vergütung, von der Lohnsteuer gezahlt werde und die als Lohn/Gehalt verbucht werde. Darüber hinaus sei er am Gewinn und am Verlust beteiligt. Ergänzend wurde ausgeführt, die Stimmrechte für 60 % am Stammkapital würden seit dem Tod von R.W. ruhen. Eine Einigung über die Nachfolge in den Geschäftsanteil sei nicht zustande gekommen.Randnummer78

Die Beigeladene zu 1) führte aus, sie halte 16,6 % der Geschäftsanteile und sei ausschließlich im Rahmen des Gesellschaftsvertrags zur Mitarbeit verpflichtet. Sie könne nicht durch Sonderrechte Gesellschafterbeschlüsse herbeiführen oder verhindern und übe das Stimmrecht auch nicht aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung zugunsten eines Dritten aus. Sie erhalte ebenfalls eine feste monatliche Vergütung, von der Lohnsteuer entrichtet werde und die als Lohn/Gehalt verbucht werde. Darüber hinaus bestehe eine Beteiligung an Gewinn und Verlust. Ergänzend wurde ausgeführt, sie betreibe in Eigenverantwortung den Geschäftsbereich Mineralöle/Handel.Randnummer79

Unter dem 01.07.2021 führte dann der Steuerberater der Klägerin aus, die Beigeladenen zu 1) und 2) würden mindestens seit dem Jahr 1991 als selbständig tätige Unternehmer behandelt. Der Sachverhalt sei mehrfach geprüft und stets für richtig befunden worden. In ihren früheren Bescheiden habe die Beklagte auch beide Beschäftigungsverhältnisse ausgiebig und vollständig geprüft. In den Bescheiden der Berufsgenossenschaft aus den Jahren 1992 und 1996 sei ebenfalls festgestellt worden, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) nicht zum versicherungspflichtigen Personenkreis gerechnet werden. Sie hätten daher davon ausgehen können, dass ihr versicherungsrechtlicher Status damit abschließend geklärt ist und für die Zukunft Bestand haben würde. Für die Jahre 2004 bis 2007 sei ein Prüfbescheid erteilt worden, in dem die Befreiung der Gesellschafter geprüft und nicht beanstandet worden sei.Randnummer80

Mit Bescheid vom 21.07.2021 machte die Beklagte eine Nachforderung i.H.v. 100.150,74 € geltend. Die Beigeladene zu 1) sei mindestens seit dem 01.01.2016 als mitarbeitende Gesellschafterin abhängig gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Es bestehe Versicherungs- und Beitragspflicht in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Für den Beigeladenen zu 2) habe mindestens in der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer bestanden. In dieser Zeit habe Versicherungs- und Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung, in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden. Seit dem 27.11.2018 übe er eine selbständige Tätigkeit aus und es bestehe in allen Zweigen der Sozialversicherung Versicherungsfreiheit. Die Begründung entsprach im Wesentlichen derer des Anhörungsschreibens. Ergänzend wurde ausgeführt, die vom Steuerberater der Klägerin vorgebrachten Einwände hätten keine erheblichen Tatsachen enthalten, die zu einer anderen Entscheidung hätten führen können. Die Prüfung der Aufzeichnungen bei den Arbeitgebern könne auf Stichproben beschränkt werden. Durch die Prüfungen solle gesichert werden, dass die Beiträge zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung entrichtet werden. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung komme den Betriebsprüfungen nicht zu. Ein Arbeitgeber könne sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen nur weil der Rentenversicherungsträger einen bestimmten Sachverhalt bei einer vorherigen Betriebsprüfung nicht beanstandet habe. Vertrauensschutz erwachse auch nicht aus dem vorgelegten Bescheid der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft vom 22.07.1999. Bescheide der Berufsgenossenschaften würden sich grundsätzlich nur auf die Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch und somit nur auf die Belange im Zusammenhang mit der Unfallversicherung beziehen. Ein Rückschluss auf die übrigen Zweige der Sozialversicherung könne grundsätzlich nicht erfolgen. Vertrauensschutz könne in Ausnahmefällen entstehen, wenn sich der Bescheid des Unfallversicherungsträgers ausdrücklich auch auf weitere Zweige der Sozialversicherung bezieht und dem Empfänger der Eindruck entstehen muss, die Entscheidung gelte nicht allein für die Unfallversicherung. Dies sei jedoch nicht der Fall, da der Bescheid ausdrücklich mit „unfallversicherungsrechtliche Stellung des Herrn F.W.“ betitelt sei.Randnummer81

Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte der Klägerin und dem 25.08.2021 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der VollziehungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Aussetzung
Aussetzung der Vollziehung
Vollziehung
. Die Beitragsforderungen für das Jahr 2016 seien verjährt. Darüber hinaus habe die Bundesagentur für Arbeit [sic] zuletzt im Rahmen der vom 08.06.2016 bis zum 01.08.2016 durchgeführten Betriebsprüfung keine Auffälligkeiten festgestellt. Auch bei einem beanstandungsfreien Abschluss einer Betriebsprüfung sei das Verfahren mit einer rechtswirksam Feststellung zum (Nicht-) Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflichten in den stichprobenweise geprüften Auftragsverhältnissen und zum Ergebnis der übrigen geprüften Sachverhalte abzuschließen. Die Betriebsprüfung müsse sich zwingend auf die im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführende GmbH-Gesellschafter erstrecken, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist. Mit Bescheid vom 01.08.2016 sei daher ein Vertrauenstatbestand gesetzt worden. Zudem seien auch die in der Vergangenheit durchgeführten Betriebsprüfungen beanstandungsfrei gewesen. Die Beitragsnach-forderungen für das Jahr 2016 seien zudem verjährt. Die Verjährungsfrist für die im Jahr 2016 fällig gewordenen Beiträge beginne am 01.01.2017 und ende am 31.12.2020. Die Betriebsprüfung habe jedoch erst am 05.01.2021 und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist begonnen. Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung könne die Beklagte nicht geltend machen. Dies führe zu einer Störung des Äquivalenzprinzips. Wenn allein aufgrund der Unkenntnis von einer bestehenden Versicherungspflicht weder Beiträge gezahlt noch Leistungen in Anspruch genommen werden, könnten Beitragsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sich das Risiko, dass versichert werden sollte, nicht mehr realisieren lasse. Die Beigeladene zu 1) sei schon nach § 6 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) versicherungsfrei. Sie habe am 16.09.2014 das 55. Lebensjahr vollendet und sei zu diesem Zeitpunkt durchgehend privat krankenversichert gewesen.Randnummer82

Mit Schreiben vom 02.09.2021 führte der Beigeladene zu 2) unter Vorlage von Unterlagen aus den Jahren 1991 bis 2000 aus, er habe noch die Anlage zu einem Bericht der Einzugsstelle gefunden, wonach Beiträge zur Rentenversicherung für den Monat Dezember 1991 zu erstatten waren. Seit 1991 seien er und seine Schwester Mitglieder der privaten Krankenversicherung. Unfall- und Rentenversicherungen seien bei privaten Versicherungsunternehmen fortgeführt worden. Die Beklagte habe den Betrieb lückenlos geprüft. Es sei auch nicht ersichtlich, dass es sich dabei um stichprobenartige Prüfungen gehandelt habe. Man habe keine Veranlassung gehabt, an der Rechtmäßigkeit der Befreiung von der Sozialversicherungspflicht zu zweifeln.Randnummer83

Im Oktober 2021 führte der Bevollmächtigte der Klägerin ergänzend aus, die Deutsche Angestellten Krankenkasse habe mit Schreiben vom 11.09.1991 eine Pflichtmitgliedschaft des Beigeladenen zu 2) verneint. Für die Beigeladene zu 1) sei dies in der Anlage zum Bericht vom 19.06.1992 und vom 21.07.1992 ebenfalls festgestellt worden. Auch die Tiefbau-Berufsgenossenschaft habe mit Bescheid vom 06.07.1992 die fehlende Versicherungspflicht in der Unfallversicherung sowie in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung festgestellt. Dies habe auch die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 22.07.1999 bestätigt. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte habe aufgrund einer Betriebsprüfung am 29.10.1996 bezüglich der Beigeladenen zu 1) und 2) keine Beanstandungen gehabt. Auch in den nachfolgenden Jahren seien durch die Beklagte keine Beanstandungen erfolgt. Im Übrigen sei auch die Ehefrau des Beigeladenen zu 2), die ebenfalls K. heiße und auf Basis eines Arbeitsverhältnisses im sozialversicherungsrechtlichen Sinne bei der Klägerin tätig sei, in den Bescheiden mehrfach erwähnt worden. Gemäß dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.09.2019 (B 12 R 25/18 R) hätten in der Betriebsprüfung auch zwingend Feststellungen bezüglich der im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner von Abkömmlingen des Arbeitgebers sowie geschäftsführenden GmbH-Gesellschaftern zu erfolgen. Die Vertragsverhältnisse der Beigeladenen zu 1) und 2) hätte die Beklagte daher prüfen müssen.Randnummer84

Mit Bescheid vom 27.01.2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei den vorangegangenen stichprobenweise durchgeführten Betriebsprüfungen seien keine sozialversicherungsrechtlichen Beurteilungen für die Beigeladenen zu 1) und 2) vorgenommen worden. Das BSG habe mit Urteil vom 19.09.2019 den Stichprobencharakter einer Betriebsprüfung, aus dem sich kein Vertrauensschutz herleiten lasse, erneut bestätigt. Der Umstand, dass in der Vergangenheit durchgeführte Betriebsprüfungen hinsichtlich erfolgter Beitragszahlungen ohne Beanstandungen geblieben sind, sei kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Prüfbehörden. Das BSG habe bestätigt, dass sich aus einer Prüfmitteilung, die keine entsprechenden personenbezogenen versicherungs- bzw. beitragsrechtlichen Feststellungen enthält, weder eine materielle Bindungswirkung noch ein Vertrauensschutz herleiten lasse. Hinsichtlich der Schreiben der Tiefbau-Berufsgenossenschaft vom 06.07.1992 und vom 04.01.1996 sei festzustellen, dass allein der Rentenversicherungsträger und die Einzugsstellen Entscheidungen darüber treffen, ob ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht. Die Berufsgenossenschaften seien hierzu nicht ermächtigt. Auf einen Vertrauensschutz könne sich die Klägerin daher nicht berufen. Ein solcher lasse sich auch nicht aus den eingereichten Unterlagen der D. und der A. herleiten. Die Unterlagen würden keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der mitarbeitenden Gesellschafterin und des Gesellschafter-Geschäftsführers enthalten. Die Beitragsforderung sei auch nicht verjährt. Die Betriebsprüfung habe am 23.10.2020 begonnen und sei mit Bekanntgabe des Beitragsbescheides am 21.07.2021 beendet worden. Seit dem 23.10.2020 habe die Außendienstmitarbeiterin mehrmals mit der Abrechnungsstelle der Klägerin Kontakt aufgenommen. Da Unterlagen teilweise nicht oder nur unvollständig vorgelegt werden konnten, sei die Prüfung erst im Jahr 2021 abgeschlossen worden. Zwischen dem Beginn der Prüfung und der Bescheiderteilung sei das Erfordernis zusätzlicher Ermittlungsarbeit gegeben gewesen, sodass eine laufende Fortführung der Betriebsprüfung erkennbar gewesen sei. Nach Zugang der Unterlagen am 12.04.2021 sei eine Prüfung durch die Außendienstmitarbeiterin erfolgt. Das Anhörungsschreiben sei am 20.05.2021 an die Abrechnungsstelle und an die Klägerin gesandt worden. Die Abrechnungsstelle habe am 07.06.2021 eine Fristverlängerung zur Stellungnahme bis zum 30.06.2021 beantragt. Dem habe die Beklagte zugestimmt. Am 01.07.2021 habe die Abrechnungsstelle sodann mitgeteilt, die Stellungnahme sei am selbigen Tag in die Post gegeben worden. Die Bescheiderteilung sei dann am 21.07.2021 erfolgt.Randnummer85

Hinsichtlich der rückwirkenden Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung habe das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 08.07.2008 (L 16 (18) R 43/05) festgestellt, eine solche sei auch dann zulässig, wenn wegen einer gleichzeitigen privaten Krankenversicherung ein Leistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse nicht gegeben ist. In diesem Zusammenhang gehe das Solidarprinzip der Sozialversicherung dem abgabenrechtlichen Grundsatz vor, dass zu Beiträgen nur herangezogen werden darf, wer von einem bestimmten öffentlichen Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil zu erwarten hat. Dieser Rechtsauffassung habe sich unter anderem auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg angeschlossen. Das Äquivalenzprinzip beziehe sich in erster Linie auf das sozialrechtliche Versicherungsverhältnis zwischen Sozialversicherungsträger und Versicherten und sei nicht ohne weiteres auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Sozialversicherungsträger übertragbar. Es liege keine Störung des Äquivalenzprinzips vor, wenn der gesetzlich Versicherte vom Eintritt der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung nichts wisse oder hiervon keine Kenntnis nehme und deshalb keine Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen habe. Das Bundessozialgericht habe eine rechtlich bedeutsame Störung des Äquivalenzprinzips nur bejaht, wenn der Sozialversicherungsträger aus dem Versicherungsverhältnis einseitig Rechtspositionen in Gestalt von Beitragsansprüchen gegen den Versicherten (nicht den Arbeitgeber) ableitet, ohne dafür diesem gegenüber selbst nur das Risiko einer möglichen Gewährung von Versicherungsschutz durch Gewährung von Sozialleistungen zu tragen. Der Arbeitgeber könne sich nicht auf eine Fehlbeurteilung der Versicherungspflicht berufen. Wenn eine Meldung der Versicherungspflicht und damit die Beitragszahlung aufgrund eines Rechtsirrtums des Arbeitgebers unterbleibe, handele der Arbeitgeber fahrlässig. Für die Beigeladene zu 1) bestehe auch keine Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 3a SGB V. Wenn die Beigeladene zu 1) eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung hätte vornehmen lassen, wäre von Beginn an eine Krankenversicherungspflicht festgestellt worden. Nur aus einer sozialversicherungsrechtlichen Fehlinterpretation der Tätigkeit könne keine Krankenversicherungsfreiheit abgeleitet werden.Randnummer86

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 25.02.2022 Klage erhoben.Randnummer87

Sie ist der Ansicht, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) in den ausgewiesenen Zeiträumen nicht abhängig versicherungspflichtig bei ihr beschäftigt gewesen sind. Beide Beigeladenen seien bereits seit dem Jahr 1991 von der Versicherungspflicht in der (Gesamt-) Sozialversicherung befreit. Darüber hinaus ergebe sich ein Vertrauensschutz aus den früheren Prüfbescheiden der Beklagten, in denen hinsichtlich der Beigeladenen zu 1) und 2) keine Versicherungspflicht festgestellt worden sei, sowie aus den Bescheiden der Berufsgenossenschaften und den Mitteilungen der Krankenkasse.Randnummer88

Die Klägerin beantragt,Randnummer89

den Bescheid vom 21.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2022 aufzuheben.Randnummer90

Die Beklagte beantragt,Randnummer91

die Klage abzuweisen.Randnummer92

Sie ist weiterhin der Ansicht, dass die Beigeladene zu 1) im gesamten Prüfzeitraum sowie der Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 abhängig bei der Klägerin beschäftigt waren und für sie Beiträge für sämtliche Zweige der Sozialversicherung nachzuentrichten sind. Im Übrigen beruft sie sich auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.Randnummer93

Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben keine Anträge gestellt.Randnummer94

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.Randnummer96

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2022 ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin nicht Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten.Randnummer97

Ermächtigungsgrundlage für die Nachforderung von Beiträgen ist § 28p Abs. 1 S. 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Betriebsprüfungen Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht zur Arbeitsförderung. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte zu Recht die Versicherungspflichtigkeit der Beigeladenen zu 1) in der Kranken- und Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie für die Zeit vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 die Versicherungspflichtigkeit des Beigeladenen zu 2) ebenfalls in allen Zweigen der Sozialversicherung angenommen und die Höhe der aufgrund dessen von der Klägerin für diese Versicherungszweige zu zahlenden Beiträge festgesetzt.Randnummer98

Der Versicherungspflicht in der Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, §§ 25 Abs. 1 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), 20 Abs. 1 S. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.Randnummer99

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. etwa BSG Urteil vom 22.06.2005 – B 12 KR 28/03 R m.w.N.), der sich die Kammer anschließt, setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er insbesondere im Hinblick auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung einem umfassenden Weisungsrecht seines Arbeitgebers unterliegt, wobei dieses bei höheren Diensten auf eine „funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein kann (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20.11.2009 – L 4 R 1540/08). Eine selbständige Tätigkeit ist dagegen geprägt durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit (vgl. BSG aaO). Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen, wobei das Gesamtbild der Arbeitsleistung entscheidend ist.Randnummer100

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen; darunter fallen in diesem Zusammenhang die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben (vgl. BSG Urteil vom 24.01.2007 – B 12 KR 31/06). Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist oder sich aus der gelebten Beziehung erschließen lässt. Ausgangspunkt der Prüfung sind dabei jeweils die (schriftlichen) vertraglichen Vereinbarungen, soweit solche bestehen. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Abwicklung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der formellen Vereinbarung regelmäßig vor. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen (BSG SozR 4-2400 § 7 Nr. 5 m.w.N.).Randnummer101

Gemessen an diesen Grundsätzen hält der Bescheid vom 21.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2022 einer rechtlichen Überprüfung vollumfänglich stand. Die Kammer gelangt unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu der Überzeugung, dass die Beigeladenen bei der Klägerin im Prüfzeitraum abhängig beschäftigt waren und somit die Beigeladene zu 1) für ihre Tätigkeit im gesamten Prüfzeitraum und der Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlagen.

I.

Die Beigeladene zu 1) ist als bloße Minderheitsgesellschafterin im Prüfzeitraum abhängig bei der Klägerin beschäftigt gewesen.Randnummer103

Die dargestellten Abgrenzungsmaßstäbe zwischen einer abhängigen Beschäftigung und einer selbständigen Tätigkeit gelten grundsätzlich auch für in einer GmbH angestellte Gesellschafter (vgl. BSG Urteil vom 29.06.2021 – B 12 R 8/19 R – juris RdNr 12; Urteil vom 12.05.2020 – B 12 KR 30/19 RBSGE 130, 123 = SozR 4-2400 § 7 Nr 47, RdNr 30 ff mwN). Eine GmbH-Gesellschafterin, die in der Gesellschaft angestellt und – wie hier nicht zur Geschäftsführerin bestellt ist, ist regelmäßig abhängig beschäftigt (vgl. BSG Urteil vom 13.12.2022 – B 12 KR 16/20 R). Allein aufgrund der gesetzlichen Gesellschafterrechte besitzt sie noch nicht die Rechtsmacht, ihre Weisungsgebundenheit als Angestellte der Gesellschaft aufzuheben. Denn das Weisungsrecht gegenüber den Angestellten der GmbH obliegt – sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist – nicht der Gesellschafterversammlung, sondern ist Teil der laufenden gewöhnlichen Geschäftsführung. Erst unter besonderen Bedingungen, etwa wenn Gesellschafter kraft ihrer gesellschaftsrechtlichen Position auch die Leitungsmacht gegenüber dem Geschäftsführer haben, unterliegen sie nicht mehr dessen Weisungsrecht (st. Rspr; BSG Urteil vom 29.06.2021 aaO; BSG Urteil vom 12.05.2020 aaO RdNr 32 mwN).Randnummer104

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe überwiegen nach dem Gesamtbild die Indizien für die abhängige Beschäftigung.Randnummer105

a) Das Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrags über die Mitarbeit in der Gesellschaft hat für die sozialversicherungsrechtliche Statuszuordnung keine Bedeutung. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung kann auch dann vorliegen, wenn eine Tätigkeit – wie hier – allein auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage ausgeübt wird (vgl. BSG Urteil vom 13.12.2022 aaO mwN).Randnummer106

Dass die Vertragsparteien offenbar von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind, ist unerheblich. Die wertende Zuordnung nach § 7 SGB IV kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden (vgl. BSG Urteil vom 13.12.2022 aaO, BSG Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 6/20 R juris RdNr 18). Denn über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden.Randnummer107

b) Vorliegend waren in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Falle der Beigeladenen zu 1) eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Dabei kann eine im Widerspruch zu den ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung der nur formellen Vereinbarung vorgehen, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist (vgl. BSG Urteil vom 29.08.2012 – B12 R 14/10 R). Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist (BSG Urteil vom 29.08.2012 aaO). Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Hieran hat das Bundessozialgericht, dessen überzeugenden Ausführungen sich die Kammer anschließt, bislang festgehalten (vgl. BSG Urteil vom 29.08.2012 aaO mit Hinweis auf BSG Urteil vom 11.03.2009 – B 12 KR 21/07 R, BSG Urteil vom 29.9.2011- B 12 R 17/09 und BSG Urteil vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R).Randnummer108

Dies zugrunde legend war die Beigeladene zu 1) im Prüfzeitraum nicht in ihrem eigenen, sondern in einem fremden Betrieb tätig, da sie nicht über eine Mehrheitsbeteiligung an den Geschäftsanteilen der Klägerin verfügte.Randnummer109

Die Beigeladene zu 1) hielt im Prüfzeitraum lediglich 16,67 % der Geschäftsanteile. Von den übrigen Geschäftsanteilen hielten der Beigeladene zu 2) 23,33 % und der am 26.11.2018 verstorbene R.W. 60 %. Nach dem Tod des R.W. gingen dessen Geschäftsanteile auf E., F. und K.W. in Erbengemeinschaft als Gesamtrechtsnachfolger über. Dieser Geschäftsanteil ruht jedoch gemäß § 10 Ziff. 3 des Gesellschaftsvertrags, so dass seit dem 27.11.2018 unter Zugrundelegung der noch verbliebenen stimmberechtigten 40 % der Geschäftsanteile der Beigeladene zu 2) Mehrheitsgesellschafter der Klägerin wurde.Randnummer110

Eine Erhöhung des Geschäftsanteils der Beigeladenen zu 1) ist nicht sozialversicherungsrechtlich bedeutsam bewirkt worden. Zwar wurde in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 01.12.2018 eine Teilung des Anteils des verstorbenen R.W. und eine Verteilung der neuen Anteile auf die Beigeladenen zu 1) und 2) beschlossen, jedoch ist keine entsprechende Eintragung im Handelsregister erfolgt. Insbesondere wurde bis zum Abschluss der Betriebsprüfung keine neue Gesellschafterliste zur Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Eintragung
Eintragung in das Handelsregister
Handelsregister
bei dem zuständigen Amtsgericht eingereicht. Es erfolgte auch keine Einziehung des GeschäftsanteilsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einziehung
Einziehung des Geschäftsanteils
Geschäftsanteils
durch die Klägerin, so dass die Beigeladene zu 1) während des gesamten Prüfzeitraums lediglich 16,67 % der Geschäftsanteile hielt. Der Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 01.12.2018 ist auch offensichtlich im Prüfzeitraum nicht umgesetzt worden, da gemäß der am 02.06.2021 zu Eintragung gebrachten aktualisierten Gesellschafterliste E., F. und K.W. in Erbengemeinschaft als Gesamtrechtnachfolger 60 % der Geschäftsanteile der Klägerin hielten. Die am 01.12.2018 beschlossene Teilung dieses Geschäftsanteils ist dagegen erst später umgesetzt und am 13.04.2022 in das Handelsregister eingetragen worden.Randnummer111

Die Beigeladene zu 1) war damit im Prüfzeitraum Minderheitsgesellschafterin und verfügte nicht über die eine abhängige Beschäftigung ausschließende ausreichende Rechtsmacht innerhalb der Klägerin, da gemäß § 5 des Gesellschaftsvertrags Beschlüsse der Gesellschaft mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Insbesondere war die Beigeladene zu 1) nicht in der Lage, die Dienstaufsicht über die nicht an der Klägerin beteiligten Angestellten, die der laufenden Geschäftsführung des Geschäftsführers unterliegen, in Widerspruch zu ihrem Bruder (dem Beigeladenen zu 2) auszuüben. Sie hatte auch nicht die gesellschaftsrechtlich verankerte Rechtsmacht zu verhindern, dass der Beigeladene zu 2) als Geschäftsführer maßgebende Rahmenbedingungen vorgibt, in die sich die Erbringung ihrer Arbeitsleistung eingegliedert hat. Dabei sind die bestehenden familiären Beziehungen und eine gegebenenfalls bestehende familiäre Rücksichtnahme für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung unerheblich. Eine „Schönwetter-Selbständigkeit“ außerhalb gesellschaftsrechtlicher Bindungen ist mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren (vgl. etwa BSG Urteil vom 13.12.2022 – B 12 KR 16/22 R mwN).Randnummer112

Die Beigeladene zu 1) war insoweit kraft ihres Anteils am Stammkapital nicht in der Lage auf die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend Einfluss zu nehmen und damit das unternehmerische Geschick der GmbH insgesamt wie ein Unternehmensinhaber zu lenken. Hierfür wäre grundsätzlich eine sich auf die gesamte Unternehmenstätigkeit erstreckende Gestaltungsmacht erforderlich (vgl. BSG Urteil vom 28.6.2022 aaO). Andernfalls ist auch die mitarbeitende Gesellschafterin nicht im „eigenen“ Unternehmen tätig, sondern in funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als Arbeitgeberin eingegliedert (vgl. BSG Urteil vom 01.02.2022 – B 12 KR 37/19 RBSGE 133, 245 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 61, RdNr 13).Randnummer113

c) Die Beigeladene zu 1) verfügte im Prüfzeitraum auch nicht über eine ihr gesellschaftsvertraglich eingeräumte umfassende Sperrminorität, die es ihr ermöglicht hätte, sämtliche ihr unliebsamen Entscheidungen zu verhindern. Ab dem 27.11.2018 verfügte sie aufgrund ihres Anteils an den noch verbliebenen stimmberechtigten 40 % des Stammkapitals nur über die Rechtsmacht solche Beschlüsse zu verhindern, die kraft Gesetzes (wie in § 53 Abs. 2 und § 60 Abs. 1 S. 2 GmbHG) eine Mehrheit von mindestens 75% der vorhandenen Stimmen erfordern. Alle anderen Beschlüsse vermochte sie kraft ihres Anteils am Stammkapital hingegen nicht zu verhindern. Dies ist nicht ausreichend für die Annahme einer Sperrminorität.Randnummer114

d) Die Beigeladene zu 1) verfügte darüber hinaus nicht aufgrund einer Stimmrechtsübertragung des verstorbenen R.W. über einen höheren Stimmrechtsanteil, der es ihr ermöglicht hätte, einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Klägerin zu nehmen.Randnummer115

Zwar hatte die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 22.07.1999 unter Bezugnahme auf eine Erklärung, wonach R.W. das Stimmrecht seines Kapitalanteils von 55 v.H. auf die Beigeladenen zu 1) und 2) übertragen hat, festgestellt, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) nicht zum versicherungspflichtigen Personenkreis zählen; diese Erklärung befindet sich jedoch weder in der Verwaltungsakte noch ist sie im Klageverfahren vorgelegt worden. Eine Stimmrechtsübertragung ist auch nicht in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen oder in das Handelsregister eingetragen worden. Es ist auch nicht ersichtlich, in welchem Umfang eine Stimmrechtsübertragung an die Beigeladene zu 1) konkret erfolgt sein soll oder ob die Beigeladenen das Stimmrecht gegebenenfalls nur gemeinschaftlich und einheitlich ausüben können sollten.Randnummer116

Eine außerhalb des Gesellschaftsvertrags vorgenommene Stimmrechtsübertragung (ohne Übertragung der zugrundeliegenden Geschäftsanteile) gewährt der Beigeladenen zu 1) – ebenso wenig wie ein Stimmbindungsvereinbarung – aber jedenfalls nicht die Rechtsmacht, sich – einer gesellschaftsvertraglich vereinbarten umfassenden Sperrminorität qualitativ gleichwertig – jederzeit gegen unliebsame Weisungen zur Wehr zu setzen.Randnummer117

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) führen außerhalb des Gesellschaftsvertrags auf Dauer eingegangene schuldrechtliche Abstimmungsverpflichtungen unter wechselseitiger Beteiligung aller Gesellschafter an der Stimmbindungsvereinbarung regelmäßig zu einer Innengesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR, §§ 705 ff Bürgerliches GesetzbuchBGB), da mit der koordinierten Ausübung der Stimmrechte ein gemeinsamer Zweck verfolgt wird (BSG Urteil vom 11.11.2015 – B 12 KR 13/14 R; BGHZ 126, 226, 234). Insoweit sind die Vorgaben des § 723 BGB zu beachten. Die Kündigungsrechte können ungeachtet dessen, ob sie die ordentliche Kündigung oder die Kündigung aus wichtigem Grund betreffen, nicht vertraglich abbedungen werden. Dabei liegt der außerordentlichen Kündigung der Rechtsgedanke zugrunde, dass das Dauerschuldverhältnis mit sofortiger Wirkung und nicht etwa unter Einhaltung einer Frist gelöst werden kann, wenn einem der Beteiligten das Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist (vgl. Schäfer in: Münchner Kommentar, 8. Aufl. 2020, § 723 BGB Rn. 19). Die Gestaltungswirkungen der Kündigung treten somit grundsätzlich sofort ein, sobald die Erklärung allen Gesellschaftern zugegangen ist (vgl. Schäfer in: Münchner Kommentar aaO); die Gesellschaft ist dann nach Maßgabe der §§ 730 ff BGB abzuwickeln. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liegt z.B. vor, wenn einer der beteiligten Gesellschafter eine ihm nach dem Stimmbindungsvertrag obliegende Verpflichtung vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit verletzt hat oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird (§ 723 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB). Aber auch Störungen des Vertrauensverhältnisses rechtfertigen eine außerordentliche Kündigung (Schäfer in: Münchner Kommentar, § 723 BGB Rn. 31). Das gilt anerkanntermaßen etwa für die nachhaltige üble Nachrede gegenüber Familienmitgliedern eines Mitgesellschafters; ebenso kann das Unterhalten ehewidriger Beziehungen zur Ehefrau eines Mitgesellschafters zu einer unerträglichen Belastung des Gesellschaftsverhältnisses führen und die Auflösung gebieten (Schäfer in: Münchner Kommentar, § 723 BGB Rn. 31).Randnummer118

Nach Auffassung der Kammer können diese Grundsätze auf eine außerhalb des Gesellschaftsvertrags vereinbarte Stimmrechtsübertragung entsprechend angewendet werden.Randnummer119

Die nicht gesellschaftsvertraglich geregelte Vereinbarung über eine Stimmrechtsübertragung ist insoweit als rein schuldrechtliche Vereinbarung – anders als eine Sperrminorität jederzeit sowohl ordentlich fristgerecht als auch außerordentlich fristlos durch einseitige Kündigungserklärung formlos kündbar. Ungeachtet dessen, ob nach ihrem Ausspruch gerichtlich gegen sie vorgegangen werden kann, ist die Kündigung zunächst einmal ausgesprochen und zieht unmittelbar Rechtsfolgen nach sich. Die Anforderungen an die Aufhebung gesellschaftsvertraglicher Regelungen sind dagegen ungleich höher: die gesellschaftsvertraglich verankerte Sperrminorität kann einem Gesellschafter nicht durch eine einseitige (Kündigungs-) Erklärung entzogen werden. Die Entziehung einer Sperrminorität stellt eine Änderung des Gesellschaftsvertrags dar. Eine solche kann gemäß § 53 Abs. 1 GmbHG nur durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen. Anders als bei der (einseitigen) Kündigung einer Stimmbindungsvereinbarung oder einer Stimmrechtsübertragung bedarf es mithin eines Zusammenwirkens der Gesellschafter. Der erforderliche Gesellschafterbeschluss muss darüber hinaus nicht nur notariell beurkundet werden, sondern bedarf für seine Wirksamkeit zudem einer Mehrheit von 3/4 der abgegebenen Stimmen. Wenn ein Gesellschafter über eine umfassende Sperrminorität verfügt, kann sie ihm somit gegen seinen Willen nicht entzogen werden, da er diese Satzungsänderung mit seiner Sperrminorität verhindern kann (vgl. Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 14 Rn. 19; BGH WM 1989, 250).Randnummer120

Die Stimmrechtsübertragung hätte zudem schon im Falle eines Zerwürfnisses der Beigeladenen zu 1) und 2) mit ihrem Vater, dem Gesellschafter R.W., einseitig mit der Folge gekündigt werden können, dass die Stimmrechtsübertragung entfällt. Allein darauf kommt es an. Weder dem Gesetzeswortlaut noch der Kommentierung ist zu entnehmen, dass die Möglichkeit der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung auf absolute Extremsituationen beschränkt sein soll. Vielmehr zeigen die in der Kommentarliteratur genannten Beispiele ganz eindeutig und zweifelsohne, dass ein „herkömmliches“ Zerwürfnis der Gesellschafter erforderlich, aber auch vollkommen ausreichend ist.Randnummer121

Die Möglichkeit mit den sich daraus möglicherweise ergebenden gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen in Gestalt des Wegfalls der Stimmrechtsübertragung ist mit dem Grundgedanken der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände vollkommen unvereinbar. Im Interesse aller Beteiligten muss die Frage der Versicherungspflicht bzw. wegen Selbständigkeit nicht bestehender Versicherungspflicht bereits zu Beginn einer Tätigkeit geklärt werden können, weil dies nicht nur für die Beitragsentrichtung, sondern auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche der Betroffenen von entscheidender Bedeutung sein kann (BSG Urteil vom 11.11.2015 – B 12 KR 10/14 R mwN). Eine solche Vorhersehbarkeit ist nicht mehr gegeben, wenn die für die Frage des sozialversicherungsrechtlichen Status entscheidenden Rechtsmachtverhältnisse außerhalb des Gesellschaftsvertrags ohne wesentliche Hürden und Einhaltung von Formerfordernissen durch Ausübung einseitiger Rechte potentiell jederzeit geändert werden können. Dieses das Recht der Pflichtversicherung im Sozialversicherungsrecht prägende Prinzip der Vorhersehbarkeit unterscheidet sich maßgeblich von den Wertungen des an vornehmlich praktischen Bedürfnissen ausgerichteten Gesellschaftsrechts.Randnummer122

Im Übrigen stünde eine solche Stimmrechtsübertragung auch im Widerspruch zu dem geänderten Gesellschaftsvertrag vom 27.08.1999 und der unter demselben Datum beim Handelsregister eingereichten aktualisierten Gesellschafterliste, die eine Stimmrechtsübertragung gerade nicht erkennen ließen.Randnummer123

e) Auch nach den allgemeinen Grundsätzen gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass die Beigeladene zu 1) bei der Klägerin abhängig beschäftigt war.Randnummer124

Die Beigeladene zu 1) hatte im Verwaltungsverfahren angegeben, für den Bereich Mineralöle/Handel zuständig und nur aufgrund des Gesellschaftsvertrags zur Mitarbeit verpflichtet zu sein. In ihrem Geschäftsbereich könne sie selbständig Personal einstellen und entlassen und ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei bestimmen. Als wöchentliche Arbeitszeit wurden 40 Stunden angegeben. Für die Tätigkeit erhielt sie eine fest monatliche Vergütung in Höhe von 2068,00 €, von der Lohnsteuer entrichtet wurde. Es bestand zudem Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Damit ist das Vertragsverhältnis durch typische Merkmale einer abhängigen Beschäftigung geprägt gewesen.Randnummer125

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund etwaiger größerer Entscheidungs- bzw. Handlungsfreiheiten in ihrem Tätigkeitsfeld im Unternehmen. Denn größere Handlungsfreiheiten sind geradezu charakteristisch für leitende Angestellte, die in einem Betrieb höhere Dienste verrichten; dies ändert aber nichts daran, dass die Beigeladene zu 1) im Rahmen ihrer Tätigkeit in eine fremde vorgegebene Arbeitsorganisation eingebunden war (vgl. dazu BSGE 16, 289,294; BSG SozR 3-2400 §7 Nr. 20 S. 80; BSGE 66, 168; BSG SozR 3-2940 §3 Nr. 2 S. 57,58f). Denn es bestanden grundsätzlich Weisungs- und Kontrollbefugnisse sowohl der Gesellschafterversammlung als auch des Geschäftsführers dem Beigeladenen zu 2) – da dieser gemäß § 1 des Geschäftsführervertrags die Geschäfte der Gesellschaft führt und die verantwortliche Leitung des gesamten Betriebes hat. Insoweit ist es auch nicht von Bedeutung, ob und inwiefern im Einzelfall umfassende Weisungs- und Kontrollrechte tatsächlich wahrgenommen wurden. Bei Diensten höherer Art – wie sie von der Beigeladenen zu 1) ausgeübt wurden – verfeinert sich das Weisungsrecht nämlich zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess (st. Rspr, vgl. zuletzt BSG Urteil vom 29.08.2012 – Az. B 12 R 14/10 R).

II.

Auch hinsichtlich des Beigeladenen zu 2) hat die Beklagte für die Zeit bis einschließlich 26.11.2018 zu Recht angenommen, dass er bei der Klägerin abhängig beschäftigt gewesen ist.Randnummer127

Die dargestellten von dem BSG aufgestellten Grundsätze zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit sind auch bei Organen juristischer Personen, zu denen die Geschäftsführer einer GmbH gehören, anzuwenden.Randnummer128

Allein die Organstellung des Gesellschafter-Geschäftsführers schließt dessen Abhängigkeit von der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern nicht aus (vgl. BSG Urteil vom 30.06.1999 – B 2 U 35/98 R; BSGE 13, 196, 200). Die Beurteilung der Frage, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, hängt vielmehr davon ab, ob er einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft ausübt (BSG Urteil vom 30.06.1999, aaO; BSG SozR 4600 § 56 Nr. 1; BSG SozR 2100 § 7 Nr. 7). Bei einem am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer ist daher zunächst der Umfang seiner Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung. Danach ist ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis regelmäßig zu verneinen, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH aufgrund seiner eigenen Kapitalbeteiligung auf die Gesellschaft beherrschenden Einfluss nehmen kann; hiervon ist auszugehen, wenn er Mehrheitsgesellschafter ist, er also mindestens über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft verfügt (vgl. BSGE 23, 83, 84; BSGE 42, 1,2). Gleiches gilt im Falle einer geringeren Beteiligung, wenn sich aus den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages die Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers ergibt, mit seinem Anteil ihm unliebsame Entscheidungen zu verhindern (sog. Sperrminorität; vgl. BSG Urteil vom 23.01.1986 = SozR 5420 § 2 Nr. 35; BSG SozR 4-2400 §7 Nr. 1).Randnummer129

Verfügt ein geschäftsführender Gesellschafter weder über eine Mehrheitsbeteiligung noch über eine Sperrminorität, so kann daraus indes nicht zwingend auf das Vorliegen einer Beschäftigung geschlossen werden. In einem solchen Fall hängt das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach allgemeinen Grundsätzen wesentlich davon ab, ob der Geschäftsführer nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit einem seine persönliche Abhängigkeit begründenden Weisungsrecht der Gesellschaft unterliegt; denn auch wenn der geschäftsführende Gesellschafter nicht über eine Mehrheit der Geschäftsanteile oder über eine Sperrminorität verfügt, kann eine abhängige Beschäftigung ausgeschlossen sein, wenn es ihm sein tatsächlicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft ermöglicht, ihm unliebsame Weisungen zu verhindern (vgl. BSG SozR 2100 §7 Nr. 7; SozR 3-2400 §7 Nr. 4).Randnummer130

Vorliegend waren in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Falle des Beigeladenen zu 2) eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung in dem im Bescheid ausgewiesenen Zeitraum, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Dabei kann eine im Widerspruch zu den ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung der nur formellen Vereinbarung nur dann vorgehen, soweit eine formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist (vgl. BSG Urteil vom 29.08.2012 – B12 R 14/10 R). Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist (BSG Urteil vom 29.08.2012 aaO). Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den getroffenen Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist. Hieran hat das Bundessozialgericht, dessen überzeugenden Ausführungen sich die Kammer anschließt, bislang festgehalten (vgl. BSG aaO mit Hinweis auf BSG Urteil vom 11.03.2009 – B 12 KR 21/07 R, BSG Urteil vom 29.9.2011 – B 12 R 17/09 und BSG Urteil vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R).Randnummer131

a) Der Beigeladene zu 2) hielt im Prüfzeitraum lediglich 23,33 % der Geschäftsanteile der Klägerin. In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 war er damit Minderheitsgesellschafter. Erst durch den Tod des Mehrheitsgesellschafters R.W. am 26.11.2018 Ruhen dessen auf die Erbengemeinschaft E., F. und K.W. übergegangenen Geschäftsanteils in Höhe von 60 %, so dass ab dem 27.11.2018 zunächst nur noch 40 % stimmberechtigte Geschäftsanteile verblieben sind. Der Beigeladene zu 2) ist daher kraft seines Anteils an dem verbliebenen stimmberechtigten Stammkapital seit dem 27.11.2018 Mehrheitsgesellschafter der Klägerin.Randnummer132

In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 26.07.2018 war er jedoch allein aufgrund seiner Beteiligung am Stammkapital nicht in der Lage, einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Klägerin zu nehmen. Es verfügte auch nicht über eine ihm gesellschaftsvertraglich eingeräumte Sperrminorität, die es ihm ermöglicht hätte, ihm unliebsame Entscheidungen zu verhindern. Gemäß § 5 des Gesellschaftsvertrags ergehen Beschlüsse der Gesellschaft mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn das Gesetz nicht zwingend eine höhere Mehrheit vorsieht. Selbst für die Veräußerung oder Einziehung von GeschäftsanteilenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einziehung
Einziehung von Geschäftsanteilen
sieht der Gesellschaftsvertrag keine Abweichung von dem Erfordernis einer einfachen Mehrheit vor (vgl. §§ 7 und 9 des Gesellschaftsvertrags). Aufgrund seiner Beteiligung am Stammkapital konnte der Beigeladene zu 2) ihm unliebsame Beschlüsse nicht verhindern. Mit seinem Anteil am Stammkapital war er noch nicht einmal in der Lage, aus eigener Kraft solche Beschlüsse zu verhindern, die kraft Gesetzes (wie in § 53 Abs. 2 und § 60 Abs. 1 S. 2 GmbHG) eine Mehrheit von mindestens 75% der vorhandenen Stimmen erfordern. Der Beigeladene zu 2) verfügte somit nicht über die erforderliche vollumfängliche Sperrminorität, die es ihm ermöglicht hätte, jede ihm unliebsame Entscheidung zu verhindern, was aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erforderlich wäre (BSG Urteil vom 24.09.1992 – 7 Rar 12/92; Urteil vom 29.08.2012 – B 12 R 14/10 R; Beschluss vom 31.03.2014 – B 12 R 53/13 B).Randnummer133

Auch hinsichtlich des Beigeladenen zu 2) ist eine Erhöhung seines Geschäftsanteils nicht sozialversicherungsrechtlich bedeutsam bewirkt worden, da – wie bereits unter I. ausgeführt – die in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 01.12.2018 beschlossene Teilung des Anteils des verstorbenen R.W. und eine Verteilung der neuen Anteile auf die Beigeladenen zu 1) und 2) zunächst nicht in das Handelsregister eingetragen worden ist und auch keine Einziehung des GeschäftsanteilsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einziehung
Einziehung des Geschäftsanteils
Geschäftsanteils
durch die Klägerin erfolgt ist. Vielmehr ist die Umsetzung dieses Beschlusses erst weit nach der Betriebsprüfung erfolgt und am 13.04.2022 in das Handelsregister eingetragen worden, so dass der Beigeladene zu 2) während des gesamten Prüfzeitraums lediglich 23,33 % der Geschäftsanteile gehalten hat.Randnummer134

b) Der Beigeladene zu 2) verfügte darüber hinaus nicht aufgrund einer Stimmrechtsübertragung des verstorbenen R.W. über einen höheren Stimmrechtsanteil, der es ihm ermöglicht hätte, einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Klägerin zu nehmen. Eine solche Stimmrechtsübertragung ist weder in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen noch in das Handelsregister eingetragen worden. Eine außerhalb des Gesellschaftsvertrags vorgenommene Stimmrechtsübertragung gewährt dem Beigeladenen zu 2) jedoch nicht die Rechtsmacht, sich – einer gesellschaftsvertraglich vereinbarten umfassenden Sperrminorität qualitativ gleichwertig – jederzeit gegen unliebsame Weisungen zur Wehr zu setzen. Insoweit gelten die Ausführungen hinsichtlich einer etwaigen Stimmrechtsübertragung an die Beigeladene zu 1) (vgl. unter I d) für den Beigeladenen zu 2) gleichermaßen.Randnummer135

c) Auch nach den allgemeinen Grundsätzen gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass der Beigeladene zu 2) bei der Klägerin abhängig beschäftigt war.Randnummer136

Der Geschäftsführervertrag des Beigeladenen zu 2) enthält für Arbeitnehmer typische Regelungen. So bestimmt § 2 Ziff. 1 des Geschäftsführervertrags, dass der Beigeladene zu 2) für seine Tätigkeit eine feste jährliche Vergütung in Höhe von 60000,00 DM, zahlbar in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von 5000,00 DM jeweils am Monatsende, erhält. Ferner steht ihm die Nutzung eines Firmenwagens zu, wobei der geldwerte Vorteil aus der Nutzung gemäß § 2 Ziff. 2 des Geschäftsführervertrags der Lohnsteuer unterworfen ist. Reisekosten und sonstige Aufwendungen, die im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
im Interesse der Gesellschaft
notwendig waren sind ihm gegen einen Nachweis zu erstatten (§ 3 des Geschäftsführervertrags). Ferner hat er gemäß § 4 des Geschäftsführervertrags Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von 6 Wochen sowie gemäß § 9 Ziff. 1 des Geschäftsführervertrags Anspruch auf 27 Tage bezahlten Jahresurlaub. Der Beigeladene zu 2) hat der Klägerin gemäß § 7 Ziff. 1 des Geschäftsführervertrags seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und bedarf gemäß § 7 Ziff. 2 des Geschäftsführervertrags für Nebentätigkeiten, die gegen Vergütung geleistet werden, der vorherigen Zustimmung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafterversammlung
Zustimmung
Zustimmung der Gesellschafterversammlung
.Randnummer137

Die aus seiner Geschäftsführertätigkeit erwachsenden Entscheidungsbefugnisse machen den Beigeladenen zu 2) nicht zum Selbständigen. Vielmehr ist die Kammer davon überzeugt, dass der Beigeladene zu 2) in die betriebliche Ordnung der Klägerin eingebunden war, ohne dass für ihn die rechtliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die von der Klägerin vorgegebene konkrete Arbeitsorganisation bestanden hätte. Nach § 6 Ziff. 1 des Geschäftsführervertrags führt der Geschäftsführer sein Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. Er ist zudem verpflichtet, die im Gesellschaftsvertrag enthaltenen und die ihm von der Gesellschafterversammlung erteilten allgemeinen oder besonderen Anweisungen auszuführen (§ 5 Ziff. 3 des Geschäftsführervertrags). Seiner Entscheidungsfreiheit sind insoweit deutliche Grenzen gesetzt. Somit ist der Beigeladene zu 2) sehr wohl an die Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden, da er aufgrund seines Anteils am Stammkapital und in Ermangelung einer Sperrminorität ihm unliebsame Weisungen nicht verhindern konnte. Vielmehr unterlag er in seiner Tätigkeit der Kontrolle der Gesellschafterversammlung.Randnummer138

Dabei ist es nicht von Bedeutung, dass die der Gesellschafterversammlung eingeräumten Kontrollbefugnisse faktisch nicht ausgeübt worden sind und der Mehrheitsgesellschafter R.W. den Beigeladenen zu 1) und 2) weitgehend freie Hand gelassen hat. Im Hinblick auf die umfangreichen gesellschaftsrechtlichen Verfahrens- und Formvorschriften, wie z.B. §§ 35, 47, 51, 53 54 GmbHG, scheidet eine stillschweigende Änderung aus. Auch Organe einer juristischen Person können nicht im rechtsfreien Raum agieren, sondern unterliegen rechtlichen Rahmenbedingungen, die insbesondere durch das Zivilrecht vorgegeben werden. Dies muss schon deshalb gelten, weil sich die zivilrechtlichen Regelungen nicht auf das Innenverhältnis der juristischen Personen erschöpfen, sondern vielfach auch dem Interesse und Schutz Dritter, wie etwa Gläubigern, dienen.Randnummer139

Darüber hinaus hatte der Beigeladene zu 2) als Geschäftsführer der Klägerin auch nicht völlig freie Hand. Zwar ist er gemäß § 6 des Gesellschaftsvertrags und gemäß § 5 Ziff. 2 des Geschäftsführervertrags von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit; die Befreiung des Beigeladenen zu 2) vom Selbstkontrahierungsverbot und das Bestehen weitreichender Entscheidungsbefugnisse schließen die Annahme einer abhängigen Beschäftigung jedoch nicht schlechthin aus. Diesbezüglich hat auch das BSG bereits entschieden, dass nicht schon eine Befreiung von § 181 BGB für das Vorliegen einer Selbständigkeit spricht (BSG Urteil vom 29.08.2012 – Az. B 12 R 14/10R; BSG SozR 4-2400 §7 Nr. 1 RdNr. 11 und Nr. 8 RdNr. 17). Solche Handlungsfreiheiten sind geradezu charakteristisch für leitende Angestellte, die in einem Betrieb höhere Dienste verrichten; dies ändert aber nichts daran, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit in eine fremde vorgegebene Arbeitsorganisation eingebunden sind (vgl. dazu BSGE 16, 289,294; BSG SozR 3-2400 §7 Nr. 20 S. 80; BSGE 66, 168; BSG SozR 3-2940 §3 Nr. 2 S. 57,58f). Insoweit ist es nicht von Bedeutung, ob vollumfassenden Weisungs- und Kontrollrechte bestanden haben. Bei Diensten höherer Art – wie sie von dem Beigeladenen zu 2) ausgeübt wurden – verfeinert sich das Weisungsrecht nämlich zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess (st. Rspr, vgl. zuletzt BSG Urteil vom 29.08.2012 – Az. B 12 R 14/10 R). Diese bestand vorliegend jedenfalls schon im Hinblick auf die Kontrollbefugnisse der Gesellschafterversammlung.

III.

Da die Beigeladene zu 1) im gesamten Prüfzeitraum und der Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 26.11.2018 bei der Klägerin abhängig beschäftigt waren, unterlagen sie für die jeweils von der Beklagten ausgewiesenen Zeiträume der Versicherungs- und Beitragspflicht in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung, sodass für sie die für diese Zeiträume zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachzuerheben waren.Randnummer141

a) Die Beklagte war gemäß § 28p Abs. 1 SGB IV befugt, im Rahmen der Betriebsprüfung über den sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1) und 2) und das Bestehen von Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung zu entscheiden. Dem stand insbesondere keine die Beklagte bindende frühere Feststellung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status der beiden Beigeladenen durch die Beklagte entgegen. Die Klägerin hat insbesondere keinen Nachweis erbracht, dass für die Beigeladenen bezüglich der im Prüfzeitraum ausgeübten Tätigkeiten bereits eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung durch die Einzugsstelle oder die Beklagte vorgenommen worden ist. Einen solchen Rückschluss lassen auch die im Verwaltungs- und Klageverfahren vorgelegten Unterlagen nicht zu.Randnummer142

aa) Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin ist weder die Beigeladene zu 1) noch der Beigeladene zu 2) seit dem Jahr 1991 von der Sozialversicherung befreit. Das von dem Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegte Schreiben der D. vom 11.09.1991 an den Beigeladenen zu 2) enthält weder eine statusrechtliche Beurteilung hinsichtlich des Beigeladenen zu 2) noch eine Befreiung von der Versicherungspflicht. Vielmehr wird mit diesem Schreiben lediglich das Ende des Versicherungsverhältnisses zum 31.03.1991 bestätigt. Dem Schreiben ist noch nicht einmal zu entnehmen, aus welchem Grunde die Mitgliedschaft beendet wurde. Einen Befreiungsbescheid konnte die Klägerin hingegen nicht vorlegen.Randnummer143

Selbst wenn zeitgleich mit der Bestätigung der Beendigung der Mitgliedschaft durch die Krankenkasse als Einzugsstelle über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 2) entschieden worden wäre, so hätte sich eine solche Entscheidung jedoch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf die im streitgegenständlichen Zeitraum ausgeübte Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer beziehen können. Denn der Beigeladene zu 2) hat im Verwaltungsverfahren angegeben, er sei ab dem 02.02.1990 bei der Klägerin beschäftigt gewesen und seit dem 15.03.1994 deren Geschäftsführer. Diese Angabe deckt sich mit der Eintragung im Handelsregister. Soweit die Klägerin unter Vorlage eines undatierten Geschäftsführervertrags mit darin ausgewiesenem Beginn einer Geschäftsführertätigkeit des Beigeladenen zu 2) zum 01.12.1991 vorbringt, die Geschäftsführertätigkeit sei schon vor dem 03.1994 ausgeübt worden, steht diese Behauptung im krassen Widerspruch zu den Ausführungen des Beigeladenen zu 2) in dem von ihm unterschriebenen Feststellungsbogen zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern. Eine schon vor dem 03.1994 ausgeübte Tätigkeit ist angesichts der Angaben des Beigeladenen zu 2) im Verwaltungsverfahren daher völlig unglaubhaft.Randnummer144

Ungeachtet dessen läge aber auch ein vermeintlicher Beginn der Geschäftsführertätigkeit am 01.12.1991 zeitlich eindeutig nach der von der Klägerin behaupteten Befreiungsentscheidung der Krankenkasse, die zeitlich im Zusammenhang mit dem Wechsel in die private Krankenversicherung und der Bestätigung des Endes der Mitgliedschaft mit Schreiben vom 11.09.1991 erfolgt sein soll. Insoweit kann – selbst wenn damals eine Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 2) und das Bestehen von Versicherungsfreiheit getroffen worden wäre – die hier maßgebliche Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer keinesfalls Prüfungsgegenstand gewesen sein und daher keine Bindungswirkung entfalten.Randnummer145

bb) Hinsichtlich der Beigeladenen zu 1) wurde eine „Anlage zum Bericht vom 10.06. und 21.07.92“ vorgelegt. Auf welchen Bericht sich dieses Schreiben bezieht und von wem es ausgestellt wurde, ist nicht eindeutig ersichtlich. Im Hinblick auf die darin getätigten Ausführungen ist zu vermuten, dass es sich um ein Schreiben der Krankenkasse D. handelt. Aufgrund des Ablaufs der Aufbewahrungsfristen lagen bei der D. jedoch keinerlei Unterlagen mehr vor, die dies hätten belegen können. In dem vorgelegten Schreiben wurde ausgeführt, die Beigeladene zu 1) sei bei der Klägerin als Geschäftsführerin bestellt. Sie sei von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Gemäß § 10 des Geschäftsführervertrags beginne dieser am 01.12.1991. Die Umstufung in die Versicherungsklasse für Selbständige entfalle, da die Mitgliedschaft zum 31.12.1991 beendet worden sei. Die Beiträge zur Rentenversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit seien für den Monat Dezember 1991 zu erstatten.Randnummer146

In diesem Schreiben ist jedoch eindeutig keine Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1) erfolgt. Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass damals eine statusrechtliche Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) durch die Einzugsstelle der Krankenkasse vorgenommen worden ist. Die Krankenkasse selbst konnte hierzu keine Angaben mehr machen.Randnummer147

Selbst wenn eine sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung damals erfolgt wäre, so stünde diese der nunmehr von der Beklagten vorgenommenen Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1) nicht entgegen, da die Beigeladene zu 1) bei der Klägerin offensichtlich eine völlig andere Tätigkeit ausgeübt hat, als sie seitens der Krankenkasse 1992 angenommen worden ist. Denn in dem vorgelegten Schreiben wird auf eine Geschäftsführertätigkeit abgestellt. Die Beigeladenen zu 1) ist indes niemals als Geschäftsführerin im Handelsregister eingetragen gewesen. Einen Geschäftsführervertrag mit der Beigeladenen zu 1) hat die Klägerin ebenfalls nicht vorgelegt. Im Verwaltungsverfahren hat die Beigeladene zu 1) zudem selbst angegeben, dass sie seit dem 02.02.1990 bei der Klägerin beschäftigt und ausschließlich aufgrund des Gesellschaftsvertrags zur Mitarbeit verpflichtet ist.Randnummer148

Ungeachtet dessen, ob überhaupt jemals eine in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht wirksame Bestellung der Beigeladenen zu 1) zur Geschäftsführerin bestanden hat, war die Beigeladene zu 1) ihren eigenen Angaben entsprechend jedenfalls im Prüfzeitraum und auch davor nicht Geschäftsführerin der Klägerin. Vielmehr war sie lediglich als mitarbeitende Gesellschafterinnen für die Klägerin tätig. Hinsichtlich dieser Tätigkeit ist jedenfalls bislang keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung erfolgt.Randnummer149

cc) Auch der Bescheid der Tiefbau-Berufsgenossenschaft vom 06.07.1992 bindet die Beklagte nicht und steht somit der von der Beklagten vorgenommenen Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1) und 2) nicht entgegen.Randnummer150

Ob dieser Bescheid wegen einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit gemäß § 40 Abs. 1 SGB X nichtig ist, kann dahinstehen, da der Bescheid sich schon nicht auf die im Prüfzeitraum von den Beigeladenen zu 1) und 2) ausgeübten Tätigkeiten bezieht. Denn in dem Bescheid ist ausgeführt worden, dass die Gesellschafter F. und K.W. als Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund ihrer Beteiligung am Stammkapital der GmbH sowie aufgrund der Ausgestaltung ihrer Tätigkeit nicht mehr zum Kreis der pflichtversicherten Personen rechnen. Ausweislich des historischen Handelsregisterauszugs ist die Beigeladene zu 1) niemals als Geschäftsführerin der Klägerin eingetragen gewesen. Zwar wurde im Klageverfahren einen Nachtrag zu einem (nicht vorliegenden) Geschäftsführervertrag vom 14.11.1991 mit der Beigeladenen zu 1) vorgelegt; dieser ist aber schon deshalb nicht von Bedeutung, weil keine Eintragung einer Geschäftsführertätigkeit im Handelsregister erfolgt ist.Randnummer151

Allein die Beschlussfassung zur Bestellung eines Geschäftsführers einer GmbH (ohne Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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) führt statusrechtlich nicht dazu, dass dies bei der Beurteilung des Bestehens einer durch die Geschäftsführerbestellung herrührenden Rechtsmacht maßgeblich zu berücksichtigen ist (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2020 – 4 BA 825/20 ER-B). Sozialversicherungsrechtlich entfalten ein solcher Gesellschafterbeschluss über die Bestellung – ebenso wenig wie der bloße Geschäftsführervertrag – keine Relevanz, weil ihm ohne notarielle Beurkundung und Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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die insoweit erforderliche Publizität fehlt (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.04.2020 aaO). Denn der Zeitpunkt der Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ist für die statusrechtliche Beurteilung der maßgebliche Zeitpunkt (LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 08.04.2020 aaO). Ab diesem Zeitpunkt manifestiert sich der Wille der Gesellschafter zur Bestellung eines (neuen) Geschäftsführers in rechtlich anzuerkennender Weise.Randnummer152

Ungeachtet dessen hat die Beigeladene zu 1) schon unter Zugrundelegung ihrer eigenen Angaben weder im Prüfzeitraum noch davor eine Geschäftsführertätigkeit ausgeübt, sondern war als mitarbeitende Gesellschafterin für den Bereich Mineralöle/Handel zuständig. Diese Tätigkeit ist von der Tiefbau-Berufsgenossenschaft offensichtlich nicht zugrunde gelegt worden.Randnummer153

Auch der Beigeladene zu 2) war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht als Geschäftsführer in das Handelsregister eingetragen. Zwar hatte die Klägerin einen undatierten Geschäftsführervertrag mit dem Beigeladenen zu 2) über einen Tätigkeitsbeginn zum 01.12.1991 vorgelegt; die für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung maßgebliche Eintragung als Geschäftsführer ist indes erst am .03.1994 erfolgt. Zudem hatte der Beigeladene zu 2) im Fragebogen zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern selbst angegeben, dass er (erst) seit dem 03.1994 Geschäftsführer der Klägerin ist und zuvor ab dem 02.02.1990 bei ihr beschäftigt gewesen ist. Dies steht im Widerspruch zu einer Geschäftsführertätigkeit bereits ab dem Jahr 1991.Randnummer154

Der Bescheid vom 06.07.1992 betrifft somit ganz offensichtlich völlig andere Vertragsverhältnisse bzw. andere Tätigkeiten, als die im Prüfzeitraum tatsächlich ausgeübten. Weder für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) als mitarbeitende Gesellschafterin noch für die ab dem 15.03.1994 ausgeübte Geschäftsführertätigkeit des Beigeladenen zu 2) konnten damit bindende Feststellungen getroffen werden.Randnummer155

b) Die Beigeladenen zu 1) und 2) unterlagen im Prüfzeitraum entgegen der Auffassung der Klägerin insbesondere auch der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (und damit gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 SGB XI zugleich in der sozialen Pflegeversicherung).Randnummer156

aa) Die Feststellung einer Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Krankenversicherung steht § 6 Abs. 3a SGB VI nicht entgegen.Randnummer157

Gemäß § 6 Abs. 3a S. 1 SGB VI sind Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert waren. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Personen mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht versicherungspflichtig waren (§ 6 Abs. 3a S. 2 SGB V).Randnummer158

Diese Vorschrift ist indes nach Auffassung der Kammer auf die Beigeladenen zu 1) nicht anwendbar.Randnummer159

Der allgemeine Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich aus der Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs. 14/1245 S. 59/60): Danach dient die Neuregelung einer klareren Abgrenzung der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung und dem Schutz der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten. Sie folgt dem Grundsatz, dass versicherungsfreie Personen, die sich frühzeitig für eine Absicherung in der privaten Krankenversicherung entschieden hätten, diesem System auch im Alter angehören sollten. Dieser Grundsatz, der bereits in den für eine Pflichtmitgliedschaft als Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V) oder für den freiwilligen Beitritt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) gesetzlich geforderten Vorversicherungszeiten zum Ausdruck komme, werde durch die Neuregelung gestärkt. Nach geltendem Recht könnten diese Personen z.B. durch Veränderungen in der Höhe ihres Arbeitsentgelts, durch Übergang von einer Voll- in eine Teilzeitbeschäftigung oder durch Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung auch dann Pflichtmitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung werden, wenn sie vorher zu keinem Zeitpunkt einen eigenen Beitrag zu den Solidarlasten geleistet hätten. Da die Leistungsausgaben für ältere Versicherte ihre Beiträge im Regelfall erheblich überstiegen, würden die Beitragszahler durch diesen Wechsel zwischen den Versicherungssystemen unzumutbar belastet. Mit der Festsetzung der Altersgrenze auf 55 Jahre werde dem Rechnung getragen. Für einen Wechsel zwischen den Krankenversicherungssystemen bestehe bei dem betroffenen Personenkreis regelmäßig auch keine sozialpolitische Notwendigkeit, weil ein soziales Schutzbedürfnis wegen des seit langem bestehenden privaten Krankenversicherungsschutzes nicht gegeben sei.Randnummer160

Zwar hatte die Beigeladenen zu 1) im Prüfzeitraum bereits das 55. Lebensjahr vollendet und ist seit Jahren privat krankenversichert; § 6 Abs. 3 a S. 2 SGB V verlangt für den Ausschluss einer Versicherungspflicht indes über das Fehlen einer Vorversicherungszeit hinaus, dass die Person mindestens die Hälfte des Fünfjahreszeitraums nach § 6 Abs. 3a S. 1 SGB V versicherungsfreifrei (§§ 6, 7 SGB V), von der Versicherungspflicht befreit (§ 8 SGB V) oder nach § 5 Abs. 5 SGB V (als hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger) nicht versicherungspflichtig war. Damit soll erreicht werden, dass von denen, die eine Vorversicherungszeit nach § 6 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht aufzuweisen haben, nur diejenigen von der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden, die nach den genannten Vorschriften (§ 5 Abs. 5, §§ 6–8 SGB V) ausdrücklich und nachhaltig (mindestens die Hälfte des Fünfjahreszeitraums) von der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen und damit praktisch der privaten Krankenversicherung zugewiesen waren (Peters in: Beck-Online Großkommentar, § 6 SGB V, Rn. 60). Dagegen soll von § 6 Abs. 3a S. 1 SGB V nicht betroffen sein, wer in die gesetzliche Krankenversicherung nicht einbezogen, von ihr aber auch nicht ausgeschlossen war (Peters in: Beck-Online Großkommentar, § 6 SGB V aaO).Randnummer161

Die Beigeladene zu 1) war unter Zugrundelegung ihrer eigenen Angaben seit jeher – auch schon vor Vollendung des 55. Lebensjahres – lediglich mitarbeitende Minderheitsgesellschafterin der Klägerin. Wäre vor Vollendung des 55. Lebensjahres eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung erfolgt, wäre bereits damals die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (und damit auch in der sozialen Pflegeversicherung, § 20 Abs. 1 S. 1 SGB XI) festgestellt worden. Allein aus dem Umstand, dass aufgrund einer sozialversicherungsrechtlichen Fehlinterpretation keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung vorgenommen worden ist, kann sich nunmehr keine Versicherungsfreiheit der Beigeladenen zu 1) ergeben. Die Beigeladene zu 1) war schon vor Vollendung ihres 55. Lebensjahres nicht aufgrund gesetzlicher Regelung von der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen, sondern lediglich aufgrund einer falschen Annahme nicht gesetzlich krankenversichert.Randnummer162

bb) Eine etwaige von dem Bevollmächtigten der Klägerin gerügte Störung des Äquivalenzprinzips durch die Annahme von Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) und 2) in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung besteht nicht. Diesbezüglich hatte bereits das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) festgestellt, dass die rückwirkende Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auch dann zulässig ist, wenn wegen einer gleichzeitigen privaten Krankenversicherung ein Leistungsanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse nicht gegeben ist (LSG NRW Urteil vom 08.07.2008 – L 16 (18) R 43/05). Dem schließt sich die Kammer an.Randnummer163

Nach den überzeugenden Ausführungen des LSG NRW (Urteil vom 08.07.2008 aaO) hatte bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung vom 10.10.1962 (2 BvL 27/60, BVerfGE 14, 312) zu § 113 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu dem sozialversicherungsrechtlichen Äquivalenzprinzip von Beiträgen und Leistungen ausgeführt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Sozialversicherung Beiträge leisteten, um die Aufwendungen der Sozialversicherungsträger ganz oder teilweise zu decken. Dies sei anders bei Abgaben, bei denen der Gesichtspunkt der Gegenleistung wesentlich sei. Dabei stünden im Sozialversicherungsrecht der Risikoausgleich unter den versicherten Arbeitnehmern und die allgemeine Fürsorge der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer im Vordergrund. Die Leistungen der Versicherungsträger stünden daher nicht immer in einem entsprechenden Verhältnis zu den Leistungen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer erbrächten. Der abgabenrechtliche Grundsatz, dass zu Beiträgen nur herangezogen werden dürfe, wer von einem bestimmten öffentlichen Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil zu erwarten habe, gelte für die Sozialversicherung gerade nicht (vgl. hierzu auch BVerfG SozR 2200 § 381 Nr. 38; BVerfG SozR 3 – 5850 § 4 Nr. 1; BSG BSGE 22, 288). Eine hinreichende Rechtfertigung für die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen liegt insoweit nach den überzeugenden Ausführungen des LSG NRW (Urteil vom 08.07.2008 aaO) jedenfalls in einem Beschäftigungsverhältnis aufgrund der darin liegenden spezifischen Solidaritäts- und Verantwortungsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (BVerfG Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 909/82, SozR 5425 § 1 Nr. 1).Randnummer164

Die deutsche Sozialversicherung ist gerade nicht ausschließlich auf dem Äquivalenzprinzip aufgebaut. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist dieses Prinzip nur schwach ausgeprägt (LSG NRW Urteil vom 08.07.2008 aaO). Tragende Säule ist vielmehr das Solidarprinzip (LSG NRW Urteil vom 08.07.2008 aaO). Dieses organisiert einen für alle Versicherten noch finanzierbaren Ausgleich zwischen finanzstarken und schwachen Beitragszahlern.Randnummer165

Der Rechtsprechung des LSG NRW hat sich unter anderem das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 13.03.2012 (L 11 KR 4952/10) angeschlossen und festgestellt, dass die Pflicht zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags auch nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Dies gelte auch dann, wenn der gesetzlich Versicherte vom Eintritt der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung nichts wusste oder hiervon keine Kenntnis genommen hat und deshalb keine Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen hat. Darin liege keine Störung des Äquivalenzprinzips. Die Kammer teilt diese Auffassung uneingeschränkt.

IV.

Hinsichtlich der irrigen Annahme, die Beigeladenen seien selbständig und unterlägen damit nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung, in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung kann sich die Klägerin auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.Randnummer167

a) Aus den vorliegenden Bescheiden der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft sowie der Tiefbau-Berufsgenossenschaft kann kein Vertrauensschutz abgeleitet werden.Randnummer168

aa) Im Bescheid der Tiefbau-Berufsgenossenschaft vom 04.01.1996 war ausgeführt worden, dass die Beigeladenen zwar keinen maßgeblichen Anteil am Stammkapital der Gesellschaft haben, jedoch aufgrund der Ausgestaltung der Tätigkeit einen erheblichen Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens haben. Sie seien daher nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wie Unternehmer anzusehen. Versicherungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung könne daher nur bei Abschluss einer freiwilligen und Sicherung gewährt werden. Der Bescheid bezieht sich insoweit ganz eindeutig lediglich auf die Unfallversicherung. Feststellungen zu den anderen Sozialversicherungszweigen sind nicht getroffen worden.Randnummer169

bb) Gleiches gilt für die Feststellungen der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft vom 22.07.1999. Dieses Schreiben war überschrieben mit „Unfallversicherungsrechtliche Stellung des Herrn F.W.“. Darin wurde ausgeführt, dass sowohl der Beigeladene zu 2) als auch die Beigeladene zu 1) nicht zum versicherungspflichtigen Personenkreis zählen. Diese Feststellung bezog sich somit ebenfalls ausschließlich auf die Unfallversicherung.Randnummer170

cc) Zwar hatte die Tiefbau-Berufsgenossenschaft im Bescheid vom 06.07.1992 festgestellt, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) als Gesellschafter-Geschäftsführer nicht mehr zum Kreis der pflichtversicherten Personen (in der Unfallversicherung) zählen und dass nach den Feststellungen ihres Rechnungsbeamten anlässlich der Lohnbuchprüfung am 27.04. und 02.06.1992 auch in der gesetzlichen Renten- bzw. Krankenversicherung keine Versicherungspflicht besteht; einen Vertrauensschutz kann die Klägerin hieraus jedoch schon deshalb nicht ableiten, weil die Tiefbau-Berufsgenossenschaft keine Feststellungen hinsichtlich der hier zu beurteilenden Tätigkeiten getroffen hat (vgl. hierzu III a) cc)) unter und auch nur in Bezug auf die Unfallversicherung verbindliche Feststellungen treffen durfte.Randnummer171

Die Berufsgenossenschaften sind als Träger der Unfallversicherung seit jeher nur berechtigt, Feststellungen in Bezug auf die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Unfallversicherung zutreffen. Keinesfalls sind sie berechtigt, Feststellungen zu den anderen Zweigen der Sozialversicherung zutreffen. Die Entscheidung, ob ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht, kann gegenwärtig ausschließlich von den Rentenversicherungsträgern nach § 28p SGB IV und den Einzugsstellen nach § 28h SGB IV werden. Im Jahr 1992 verfügten die Rentenversicherungsträger nach § 28p Abs. 2 SGB V in der Fassung vom 01.01.1989 noch nicht über ein eigenes Prüfrecht, sondern es bestand die Verpflichtung, in ausreichendem Maße an den Prüfungen der Einzugsstellen mitzuwirken. Dementsprechend war zum damaligen Zeitpunkt allein die Einzugsstelle für Feststellungen über das Bestehen von Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken- und Rentenversicherung sowie über die Beitragspflicht und Beitragshöhe nach dem Arbeitsförderungsgesetz entscheidungsbefugt (§28 h Abs. 2 SGB IV in der Fassung vom 01.01.1989).Randnummer172

Im Hinblick darauf, dass die Klägerin stets durch einen Steuerberater vertreten gewesen ist, hätte zumindest diesem auffallen müssen, dass die Tiefbau-Berufsgenossenschaft überhaupt nicht zu Feststellungen bezüglich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie in der Rentenversicherung befugt war. Vor diesem Hintergrund hätte es sich förmlich aufgedrängt, diesbezüglich eine Klärung bei der zuständigen Einzugsstelle herbeizuführen.Randnummer173

Ob sich aus den fehlerhaften und unzulässigen Feststellungen der Tiefbau-Berufsgenossenschaft gegebenenfalls noch Ansprüche aus einer Amtshaftung ergeben können, war von der Kammer nicht zu beurteilen.Randnummer174

dd) Das Schreiben der D. vom 11.09.1991 kann ebenfalls keinen Vertrauensschutz begründen, da darin lediglich das Ende des Versicherungsverhältnisses bestätigt wurde. Eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ist darin nicht erfolgt. Auch in der Anlage zum Bericht vom 10.06. und 21.07.1992 ist keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung vorgenommen worden, aus der sich ein Vertrauensschutz ableiten lassen könnte.Randnummer175

b) Vertrauensschutz kann die Klägerin auch nicht daraus ableiten, dass im Rahmen früherer strichprobenweise durchgeführter Betriebsprüfungen keine sozialversicherungsrechtlichen Beurteilungen bezüglich der Beigeladenen vorgenommen worden sind.Randnummer176

Zwar waren in den früheren Prüfbescheiden Feststellungen zu der Mitarbeiterin „K.W.“ getroffen bzw. bezogen auf diese Auflagen erteilt worden; es handelt sich dabei aber nicht um die Beigeladene zu 1), sondern um die ebenfalls bei der Klägerin beschäftigte Ehefrau des Beigeladenen zu 2).Randnummer177

aa) Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin auf die Anforderung von Unterlagen mit Prüfungsankündigung der Beklagten vom 02.12.1999 Bezug nimmt und daraus offenbar schließt, es bestehe keine Versicherungspflicht, da eine solche nicht im später erteilten Prüfbescheid festgestellt worden sei, ist diese Annahme völlig verfehlt. Die Beklagte hatte in der Prüfankündigung verschiedene Unterlagen angefordert, u.a. Geschäftsführer- und Anstellungsverträge sowie alle Unterlagen über die Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht (Schul-, Immatrikulationsbescheinigungen, Erklärungen der geringfügig/kurzfristig Beschäftigten über eventuelle weitere Beschäftigungsverhältnisse, Rentenbescheide etc.). Hinsichtlich der erbetenen Unterlagen über Versicherungsfreiheit ist nach Auffassung der Kammer klar ersichtlich, dass es sich dabei nicht um erbetene Unterlagen bezüglich der Beigeladenen zu 1) und 2) handeln konnte, sondern um solche bezüglich bei der Klägerin gegebenenfalls tätiger Schüler, Studenten, geringfügig Beschäftigter oder Rentner. Feststellungsbögen zum sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1) und 2) sind indes nicht angefordert worden. In dem Prüfbescheid waren auch keine Feststellungen bezüglich der Beigeladenen zu 1) und 2) getroffen worden. Aus dem Umstand, dass keine abhängige Beschäftigung und keine Versicherungspflicht positiv festgestellt worden ist, kann indes nicht auf das Bestehen von Selbständigkeit und Versicherungsfreiheit geschlossen werden, insbesondere wenn sich aus dem Prüfbescheid nicht ergibt, dass eine diesbezügliche Prüfung erfolgt ist. Ein Vertrauensschutz kann sich hieraus nicht ergeben, da eine Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status und das Bestehen bzw. Nichtbestehen von Versicherungspflicht nicht stillschweigend oder konkludent erfolgen kann.Randnummer178

Allein aus der Anforderung von Geschäftsführer- und Anstellungsverträgen und der Übersendung von die Beigeladenen zu 1) und 2) betreffenden Unterlagen kann nicht geschlossen werden, dass im Rahmen der bloß stichprobenweisen Prüfung diesbezüglich dann auch tatsächlich eine Prüfung erfolgt ist. Angesichts der damaligen Rechtsprechung zu Familiengesellschaften erscheint es vielmehr als wahrscheinlich, dass keine Prüfung erfolgt ist. Die Klägerin hätte im Zweifelsfalle Anträge auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1) und 2) bei der Beklagten stellen können, um Klarheit zu haben.Randnummer179

bb) Auch soweit der Bevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen hat, dass gemäß dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.09.2019 (B 12 R 25/18 R) in der Betriebsprüfung auch zwingend Feststellungen bezüglich der im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner von Abkömmlingen des Arbeitgebers sowie geschäftsführenden GmbH-Gesellschaftern hätten erfolgen müssen, kann daraus kein Vertrauensschutz abgeleitet werden. Es ist zutreffend, dass das BSG in dieser Entscheidung für den genannten Personenkreis festgestellt hat, dass für sie im Rahmen einer Betriebsprüfung zwingend Feststellungen zu treffen sind. Das BSG hat aber auch ausgeführt, dass bei in der Vergangenheit abgeschlossenen beanstandungsfreien Betriebsprüfungen, die nicht durch einen hinsichtlich der Angabe von Gegenstand und Ergebnis der Prüfung hinreichend bestimmten Verwaltungsakt beendet wurden, nur möglicherweise noch ein Anspruch auf Bescheidung des Arbeitgebers in Frage kommen kann (BSG Urteil vom 19.09.2019 aaO). Damit kann aber kein Bestands- und Vertrauensschutz für die Vergangenheit begründet werden (BSG Urteil vom 19.09.2019 aaO). Dies gilt gleichermaßen, wenn eine Betriebsprüfung durch einen Prüfbescheid abgeschlossen wurde, in dem das streitige Versicherungsverhältnis nicht Gegenstand der Prüfung gewesen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.11.2022 – L 5 BA 3206/21). Bezüglich der Beigeladenen zu 1) und des Beigeladenen zu 2) hatte die Beklagte jedoch bislang keine personenbezogenen Feststellungen (insbesondere nicht zu einer etwaigen Selbständigkeit) getroffen. Die zuvor beanstandungsfrei verlaufenden Betriebsprüfungen vermitteln auch keinen Bestandsschutz gegenüber einer späteren Beitragsforderung, selbst wenn sie auf Stichproben beschränkt waren (BSG Urteil vom 04.09.2018 – B 12 R 4/17R; BSG Urteil vom 18.11.2015 – B 12 R 7/14R). Eine Selbstbindung der Beklagten aufgrund einer früheren Verwaltungspraxis kann im Übrigen schon deshalb nicht eintreten, weil den Behörden kein Spielraum bei der Beurteilung eingeräumt ist, ob eine Beschäftigung vorliegt (vgl. BSG Urteil vom 19.09.2019 aaO).Randnummer180

c) Vertrauensschutz kann auch nicht aus dem vorgelegten Bericht über die Lohnsteueraußenprüfung im Jahr 2015 ergeben, da die steuerrechtliche und die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht gleichlaufend sind. Sozialversicherungsrechtliche Feststellungen sind zudem im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung überhaupt nicht getroffen worden.

V.

Die Beitragsforderung für das Jahr 2016 ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht verjährt.Randnummer182

Ansprüche auf Beiträge verjähren gemäß § 25 Abs. 1 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind.Randnummer183

Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten gemäß § 25 Abs. 2 S. 1 SGB IV die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. Die Verjährung ist für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt; diese Hemmung der VerjährungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Hemmung
Hemmung der Verjährung
Verjährung
bei einer Prüfung gilt auch gegenüber den auf Grund eines Werkvertrages für den Arbeitgeber tätigen Nachunternehmern und deren weiteren Nachunternehmern (§ 25 Abs. 2 S. 2 SGB IV). Satz 2 gilt nicht, wenn die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die prüfende Stelle zu vertreten hat (§ 25 Abs. 2 S. 3 SGB IV). Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung beim Arbeitgeber oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle und endet mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides, spätestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung (§ 25 Abs. 2 S. 4 SGB IV). Kommt es aus Gründen, die die prüfende Stelle nicht zu vertreten hat, zu einem späteren Beginn der Prüfung, beginnt die Hemmung mit dem in der Prüfungsankündigung ursprünglich bestimmten Tag (§ 25 Abs. 2 S. 5 SGB IV).Randnummer184

Nach den entsprechend anzuwendenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) wird der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet (§ 109 BGB i.V.m. § 120 Abs. 2 S. 1 IV).Randnummer185

Entgegen den Ausführungen des Bevollmächtigten der Klägerin hat die Betriebsprüfung nicht erst am 05.01.2021 begonnen, sondern bereits am 23.10.2020. Sie endete mit Bekanntgabe des Beitragsbescheides an 21.07.2021. Seit dem 23.10.2020 hat die Außendienstmitarbeiterin der Beklagten im Rahmen der Betriebsprüfung mehrmals mit der Abrechnungsstelle der Klägerin Kontakt aufgenommen. Aus verschiedenen – von der Abrechnungsstelle erklärten Gründen – konnten Unterlagen zunächst nicht oder nur unvollständig vorgelegt werden, sodass die Betriebsprüfung erst im Jahr 2021 abgeschlossen werden konnte. Dies ist von der Klägerin auch nicht substantiiert bestritten worden. Die eingetretene Verzögerung ist insoweit nicht von der Beklagten zu vertreten. Die Klägerin hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen worden ist, die die prüfende Stelle zu vertreten hatte. Die Beitragsforderung für das Jahr 2016 ist daher nicht verjährt.Randnummer186

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 3 VwGO.Randnummer187

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Schlagworte: Entscheidenden Kriterien für die Abgrenzung der sozialversicherungsfreien von der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, sozialversicherungspflicht gmbh gesellschafter 50

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BAG, Urteil vom 25. Juli 2023 – 9 AZR 43/22

Dienstag, 25. Juli 2023

Fremdgeschäftsführer GmbH Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG

EGRL 88/2003 Art 7, § 17a Abs 3 S 2 GVG, § 17a Abs 5 GVG, § 2 Abs 1 Nr 3 ArbGG, § 2 Abs 2 ArbGG, § 2 Abs 3 ArbGG, § 5 ArbGG, § 65 ArbGG, § 73 Abs 2 ArbGG, § 7 Abs 4 BUrlG                 

Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH kann Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG sein.

1. Rügt eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs, ist darüber nach § 17a Abs 3 S 2 GVG vorab durch einen mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Beschluss zu entscheiden. Ist dies in erster Instanz unterblieben, muss die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs im Berufungsverfahren nachgeholt werden.

2. Unterlässt auch das Berufungsgericht die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs, stehen die Bestimmungen in § 17a Abs 5 GVG iVm. § 73 Abs 2, § 65 ArbGG einer Prüfung durch das Bundesarbeitsgerichts nicht entgegen.

3. Auszugehen ist dabei von dem allgemeinen nationalen und nicht von dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff. Die Frage des Zugangs zu den Gerichten für Arbeitssachen und der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der nationalen Gerichte fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts.

4. Der Anspruch als Fremdgeschäftsführerin einer GmbH ergibt sich unmittelbar aus § 7 Abs 4 BUrlG. Dies folgt – unabhängig davon, ob die Klägerin nach nationalem Recht als Arbeitnehmerin anzusehen ist – aus einer mit Art 7 EGRL 88/2003 konformen Auslegung der Vorschrift.

5. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist maßgeblich, wenn – wie vorliegend mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – eine unionsrechtliche Regelung angewandt und in nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt oder ausgelegt werden muss.

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. Juni 2021 – 5 Sa 1494/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung aus den Jahren 2019 und 2020.Randnummer2

Zunächst war die Klägerin seit dem 1. Juli 1993 als Arbeitnehmerin bei der Z GmbH H beschäftigt. Ab dem 19. April 2012 war sie als „Geschäftsführerin“ der Beklagten angestellt, zuletzt aufgrund Dienstvertrags vom 26. Mai 2016 zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt iHv. 6.454,00 Euro.Randnummer3

Die Klägerin wurde seit 2018 in einer Geschäftsstelle der zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörenden Z GmbH H in M eingesetzt. Auf der Grundlage einer Vereinbarung vom 26. Oktober 2018 übernahm die Beklagte für die Z GmbH H bestimmte entgeltliche Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten und stellte dieser dazu „ihre Geschäftsführerin … im erforderlichen Umfang für den o.g. Tätigkeitsbereich zur Verfügung“. Nach Anweisung der Geschäftsführung hatte die Klägerin eine Arbeitszeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr einzuhalten. Vormittags musste sie am Telefon eine sog. „Kaltakquise“ durchführen, am Nachmittag hatte sie in eigener Initiative Leistungen anzubieten und wurde im Außendienst, zu Kundenbesuchen und mit Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Sie hatte wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachzuweisen. Außerdem führte sie Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Die Parteien vereinbarten zudem die Zahlung einer vom Ergebnis der Geschäftsstelle M abhängigen Tantieme.Randnummer4

Nach sechsjähriger Betriebszugehörigkeit sah der Dienstvertrag der Parteien einen Jahresurlaub von 33 Tagen vor. Diesen musste die Klägerin bei der Beklagten beantragen. Im Jahr 2019 nahm sie elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub in Anspruch.Randnummer5

Mit schriftlicher Erklärung vom 5. September 2019 legte die Klägerin gegenüber der Beklagten ihr Amt als Geschäftsführerin nieder. Am 17. September 2019 wurde sie aus dem Handelsregister als Geschäftsführerin ausgetragen. Das Vertragsverhältnis der Parteien endete durch Kündigung der Klägerin vom 25. Oktober 2019 zum 30. Juni 2020. Vom 30. August 2019 bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses erbrachte sie keine Leistungen und legte der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor.Randnummer6

Die Beklagte hat die Klägerin vor dem Amtsgericht auf Rückzahlung von Tantieme in Anspruch genommen. Eine von der Klägerin erhobene Widerklage auf Entgeltfortzahlung ist vom Amtsgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 10. Juni 2020 abgetrennt und an das Arbeitsgericht verwiesen worden. Mit Schriftsatz vom 10. August 2020 hat die Klägerin diese Klage beim Arbeitsgericht um den – in der Revision allein relevanten – Urlaubsabgeltungsanspruch erweitert. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten im Urteil bejaht, ohne zuvor durch Beschluss über die mit Schriftsatz vom 12. November 2020 erhobene Rüge der Beklagten zu entscheiden, die Gerichte für Arbeitssachen seien für den erhobenen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht zuständig. Das Landesarbeitsgericht hat diese Verfahrensweise nicht beanstandet.Randnummer7

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Gerichte für Arbeitssachen seien trotz ihrer formalen Geschäftsführerstellung zur Entscheidung berufen. Sie sei einem Arbeitsverhältnis entsprechend weisungsgebunden beschäftigt worden und könne als Arbeitnehmerin Urlaubsabgeltung verlangen.Randnummer8

Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt,

        die Beklagte zu verurteilen, an sie 11.294,36 Euro brutto zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat den Standpunkt eingenommen, das Arbeitsgericht habe seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht. Ein Arbeitsverhältnis habe zwischen den Parteien nicht bestanden. Die Beendigung der Geschäftsführerstellung habe zwar die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG entfallen lassen. Der Dienstvertrag habe aber weitergegolten. Weder die darin geregelten Vertragsmodalitäten noch die tatsächliche Durchführung des Rechtsverhältnisses rechtfertigten die Annahme eines Arbeitsverhältnisses.Randnummer10

Das Arbeitsgericht hat der Klage – soweit für die Revision von Bedeutung – ganz überwiegend mit einer Zinsforderung ab dem 13. August 2020 stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts – soweit für die Revision von Bedeutung – zu Recht zurückgewiesen. Die Klage auf Abgeltung von Urlaub ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch iHv. 11.294,36 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. August 2020.Randnummer12

I. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet. Davon ist das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen.Randnummer13

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts vom 10. Juni 2020 erstrecke sich auch auf die mit Schriftsatz vom 10. August 2020 und damit nach der Verweisung vorgenommene Erweiterung der Klage auf Zahlung von Urlaubsabgeltung, hält allerdings einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Dieser Verfahrensfehler führt dazu, dass der Senat nicht gemäß § 17a Abs. 5 GVG iVm. § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG an die vorinstanzlichen Entscheidungen gebunden ist und die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen selbst zu beurteilen hat.Randnummer14

a) Nach § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG prüft das Revisionsgericht nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist und ob das Landesarbeitsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Die gesetzliche Einschränkung der Prüfungskompetenz des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn die Rechtswegfrage vorab in dem nach dem Gerichtsverfassungsrecht vorgesehenen Verfahren geprüft worden ist. Hat das Landesarbeitsgericht das in § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG geregelte Verfahren nicht eingehalten, tritt die Bindung nicht ein (st. Rspr. BAG 16. Dezember 2009 – 5 AZR 125/09 – Rn. 20 mwN).Randnummer15

b) Rügt eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs, ist darüber nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab durch einen mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Beschluss zu entscheiden. Ist dies in erster Instanz unterblieben, muss die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs im Berufungsverfahren nachgeholt werden. Andernfalls wäre der Partei, welche die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hat, das vom Gesetzgeber vorgesehene Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde abgeschnitten (BGH 18. September 2008 – V ZB 40/08 – Rn. 12 mwN).Randnummer16

aa) Danach hätte das Landesarbeitsgericht gemäß § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vor der Entscheidung über die Klage auf Urlaubsabgeltung gesondert durch einen isoliert anfechtbaren Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs befinden müssen. Dazu war es gehalten, nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 12. November 2020 ua. gerügt hatte, die Gerichte für Arbeitssachen seien nicht für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Urlaubsabgeltung zuständig. Das Arbeitsgericht hat über den Rechtsweg stattdessen inzidenter im Urteil erkannt.Randnummer17

bb) Aufgrund dieses Verfahrensfehlers galt die Beschränkung der Prüfungsbefugnis für das Landesarbeitsgericht als Berufungsgericht nicht. Es war gehalten, die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs im Berufungsverfahren nachzuholen und hierüber durch gesonderten Beschluss zu erkennen. Da es dies unterlassen hat, stehen die Bestimmungen in § 17a Abs. 5 GVG iVm. § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG einer Prüfung durch den Senat nicht entgegen.Randnummer18

2. Das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Urlaubsabgeltung eröffnet ist.Randnummer19

a) Die Gerichte für Arbeitssachen sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Wer Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes ist, bestimmt § 5 ArbGG.Randnummer20

aa) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Arbeitnehmer Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten sowie sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als Arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.Randnummer21

bb) Auszugehen ist dabei von dem allgemeinen nationalen und nicht von dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff (vgl. zum Status von Geschäftsführern nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 EuGH 10. September 2015 – C-47/14 – [Holterman Ferho Exploitatie ua.] Rn. 41 ff.; nach der Richtlinie 98/59/EG EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 34; nach der Richtlinie 92/85/EWG EuGH 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 51). Die Frage des Zugangs zu den Gerichten für Arbeitssachen und der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der nationalen Gerichte fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Das Arbeitsgerichtsgesetz basiert nicht auf Unionsrecht und setzt dieses nicht um. § 5 ArbGG liegt keine unionsrechtliche Bestimmung zugrunde. Durch dieses Verständnis wird dem Dienstverpflichteten ein ggf. unionsrechtlich vermittelter Schutz nicht versagt. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist in Bereichen, in denen Unionsrecht anzuwenden ist, das nicht auf den Arbeitnehmerbegriff des nationalen Rechts verweist, unabhängig davon zu beachten, ob der Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen oder den ordentlichen Gerichten geführt wird (BAG 8. Februar 2022 – 9 AZB 40/21 – Rn. 16; 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 – Rn. 14, BAGE 165, 61).Randnummer22

b) Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nicht bereits nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ausgeschlossen, dem zufolge in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind, nicht als Arbeitnehmer gelten. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin ihr Amt als Geschäftsführerin im September 2019 niedergelegt und wurde zum 17. September 2019 als Geschäftsführerin aus dem Handelsregister ausgetragen.Randnummer23

c) Die Frage, ob die Klägerin als Geschäftsführerin ausnahmsweise als Arbeitnehmerin der Beklagten zu qualifizieren war (zum rechtlichen Charakter eines Anstellungsverhältnisses eines GmbH-Geschäftsführers vgl. BAG 8. Februar 2022 – 9 AZB 40/21 – Rn. 22; 27. April 2021 – 2 AZR 540/20 – Rn. 20; 11. Juni 2020 – 2 AZR 374/19 – Rn. 25 mwN, BAGE 171, 44), bedarf bezogen auf den Rechtsweg keiner abschließenden Entscheidung. Selbst wenn die Klägerin keine Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen wäre, ergäbe sich die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen aus § 2 Abs. 3 ArbGG.Randnummer24

aa) Nach § 2 Abs. 3 ArbGG können vor die Gerichte für Arbeitssachen auch nicht unter § 2 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG fallende Rechtsstreitigkeiten gebracht werden, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Art in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang steht und für die Geltendmachung des Anspruchs nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist.Randnummer25

bb) Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 ArbGG findet keine Anwendung, wenn die Zuständigkeit für die Zusammenhangsklage allein aus der Verbindung mit einem „Sic-non-Antrag“ folgen kann. Werden zusätzlich zu einem solchen Antrag weitere Anträge gestellt, muss für diese die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 ArbGG gesondert festgestellt werden. Anderenfalls könnten im Zusammenhang mit einer Sic-non-Klage, die nur erhoben wird, um den Rechtsstreit vor die Arbeitsgerichte zu bringen, Streitgegenstände vor die Gerichte für Arbeitssachen gelangen, für die andere Gerichte sachlich zuständig sind. Das wäre mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar, wonach der erkennende Richter normativ bestimmt sein muss (BAG 4. September 2018 – 9 AZB 10/18 – Rn. 25; 15. Februar 2005 – 5 AZB 13/04 – zu II 1 der Gründe, BAGE 113, 308; 11. Juni 2003 – 5 AZB 43/02 – zu B I 2 der Gründe, BAGE 106, 273).Randnummer26

cc) Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 ArbGG erfüllt. Die von der Klägerin verfolgten Entgeltfortzahlungsansprüche standen in rechtlichem Zusammenhang mit der im Wege der Klageerweiterung geltend gemachten Urlaubsabgeltung.Randnummer27

(1) Dem durch § 2 Abs. 3 ArbGG eröffneten Wahlrecht der Klägerin steht nicht bereits entgegen, dass das Amtsgericht in seinem Verweisungsbeschluss den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall als Sic-non-Fall qualifiziert und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat, ohne zu prüfen, ob es sich bei dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelte. Durch den bindenden Verweisungsbeschluss ist zuvor die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für die Hauptklage auf Zahlung von Entgeltfortzahlung festgelegt worden. Damit ist die Besorgnis einer Manipulation bei der Auswahl des zuständigen Gerichts durch die Klägerin nicht gegeben. Die Klägerin hat die Hauptklage nicht etwa erhoben, um gleichzeitig oder anschließend auch einen Antrag auf Urlaubsabgeltung vor die Arbeitsgerichte zu bringen, sondern die Klage – prozessökonomisch nachvollziehbar – um diesen Anspruch erst erweitert, nachdem bereits aufgrund der Verweisung durch das Amtsgericht rechtskräftig feststand, dass die Hauptklage vor dem Arbeitsgericht verhandelt werden würde.Randnummer28

(2) Zwischen Haupt- und Zusammenhangsklage besteht auch ein rechtlicher Zusammenhang iSv. § 2 Abs. 3 ArbGG. Ein solcher liegt vor, wenn ein Zusammenhang zu den vorgebrachten Verteidigungsmitteln des Beklagten nach § 33 ZPO besteht (ErfK/Koch 23. Aufl. ArbGG § 2 Rn. 30; GMP/Schlewing/Dickerhof-Borello 10. Aufl. § 2 Rn. 118; Düwell/Lipke/Zimmerman/Krasshöfer ArbGG 5. Aufl. § 2 Rn. 44). Dies ist hier gegeben. Die Beklagte hat zur Abwehr beider erhobener Ansprüche einheitlich eingewandt, dass das Geschäftsführeranstellungsverhältnis kein Arbeitsverhältnis darstelle.Randnummer29

II. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Abgeltung von 38,5 Arbeitstagen Urlaub mit einem Betrag iHv. 11.294,36 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses mit der Beklagten nach § 7 Abs. 4 BUrlG einen nicht erfüllten Anspruch auf 22 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2019 und auf 16,5 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2020 hatte. Der Abgeltung steht nicht entgegen, dass die Klägerin selbst das Amt der Geschäftsführerin niedergelegt hat.Randnummer30

1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Klägerin als Geschäftsführerin Urlaubsabgeltung verlangen kann. Der Anspruch als Fremdgeschäftsführerin einer GmbH ergibt sich unmittelbar aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies folgt – unabhängig davon, ob die Klägerin nach nationalem Recht als Arbeitnehmerin anzusehen ist – aus einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung der Vorschrift.Randnummer31

a) Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Nach § 2 BUrlG unterliegen dem Geltungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten zudem Arbeitnehmerähnliche Personen.Randnummer32

b) Durch das Bundesurlaubsgesetz werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt. Die nationalen Gerichte sind gehalten, innerstaatliches Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie auszulegen, um das in der Richtlinie festgelegte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 58 f.). Für die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs in § 2 BUrlG bedeutet dies, dass die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Grundsätze zum Arbeitnehmerbegriff (vgl. EuGH 17. März 2021 – C-585/19 – [Academia de Studii Economice din Bucureşti] Rn. 58 f.) heranzuziehen sind. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist maßgeblich, wenn – wie vorliegend mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – eine unionsrechtliche Regelung angewandt und in nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt oder ausgelegt werden muss. Er beeinflusst nationales Recht dort, wo unionsrechtliche Vorgaben für die Regelungsmaterie existieren (BAG 8. Februar 2022 – 9 AZB 40/21 – Rn. 20; 27. April 2021 – 2 AZR 540/20 – Rn. 23).Randnummer33

c) Der Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Richtlinie 2003/88/EG ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Als „Arbeitnehmer“ ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH 26. März 2015 – C-316/13 – [Fenoll] Rn. 27 mwN). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer KapitalgesellschaftArbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts ist, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer ist als der eines Arbeitnehmers im Sinne der üblichen Definition des deutschen Rechts (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47). Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47; BAG 17. Januar 2017 – 9 AZR 76/16 – Rn. 24, BAGE 158, 6). In die Gesamtwürdigung der Umstände ist einzubeziehen, in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnimmt (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 40).Randnummer34

d) Danach ist die Klägerin als Arbeitnehmerin iSd. Unionsrechts zu qualifizieren. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war sie weisungsgebunden tätig. Sie hatte auf Anweisung eine Arbeitszeit von 07:00 Uhr bis 18:00 Uhr einzuhalten. Auch die Art der ihr übertragenen Aufgaben spricht für die Arbeitnehmereigenschaft. Diese bestanden im Wesentlichen aus typischen Aufgaben eines Angestellten. So hatte die Klägerin vormittags eine sog. „Kaltakquise“ durchzuführen, indem sie eigeninitiativ Firmen anrief und Leistungen der Z GmbH H, Geschäftsstelle M, anbot. Nachmittags waren im Außendienst Kundenbesuche und Kontroll- und Überwachungsaufgaben zu erledigen. Es bestand die Vorgabe, wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche durchzuführen und nachzuweisen. Darüber hinaus führte sie die Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Nach § 7 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten kann ein Geschäftsführer jederzeit abberufen werden. Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin Mehrheitsgesellschafterin war oder eine Sperrminorität besaß, sind nicht ersichtlich.Randnummer35

2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht den Umfang des abzugeltenden Urlaubs berechnet, ohne dabei zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihr Geschäftsführeramt niederlegte. Dieser Umstand konnte sich nicht auf die Berechnung des Urlaubs auswirken. Durch die Amtsniederlegung ist es der Klägerin nicht unmöglich geworden, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen.Randnummer36

a) Nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG setzt der gesetzliche Urlaubsanspruch – dem Grunde nach – allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus. Er steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs ist nach § 3 Abs. 1 BUrlG zu berechnen (vgl. BAG 30. November 2021 – 9 AZR 225/21 – Rn. 8, BAGE 176, 251; 19. März 2019 – 9 AZR 406/17 – Rn. 21 f., BAGE 166, 176). Er bemisst sich nach den regelmäßigen Tagen mit Arbeitspflicht. Diese können sich unterjährig aufgrund verschiedener Umstände ändern. Das kann eine zeitabschnittsbezogene Berechnung erfordern, indem die in § 3 Abs. 1 BUrlG genannten 24 Werktage durch die Anzahl der Arbeitstage im Jahr geteilt und mit der Anzahl der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitstage multipliziert werden (vgl. 19. März 2019 – 9 AZR 406/17 – Rn. 28 ff., aaO).Randnummer37

b) Eine zeitabschnittsbezogene Berechnung könnte auch dann veranlasst sein, wenn der Geschäftsführer einer GmbH sein Amt niederlegt und deshalb außerstande ist, seine Funktion als Geschäftsführer zu erfüllen. Die Frage, ob beschäftigungslose Zeiten in diesem Fall Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen sind, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Der Klägerin ist durch die Niederlegung ihres Geschäftsführeramtes die Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten nicht unmöglich geworden. Der Dienstvertrag sieht zwar nur ihre Beschäftigung als Geschäftsführerin vor. Eine Tätigkeit unterhalb der Organebene kann typischerweise aus dem Anstellungsvertrag, der die Geschäftsführertätigkeit regelt, nicht hergeleitet werden (vgl. BGH 11. Oktober 2010 – II ZR 266/08 – Rn. 9). Dieser typisierende Grundsatz greift aber nicht, wenn die Parteien – wie hier – abweichend vom Normalfall auch Tätigkeiten unterhalb der Geschäftsführertätigkeit zum Gegenstand ihres Vertragsverhältnisses gemacht haben. Die Beklagte setzte die Klägerin vor deren Amtsniederlegung in der Geschäftsstelle M der Z GmbH H ein und vereinbarte mit der Klägerin eine Tantieme, die sich nach dem Ergebnis der Geschäftsstelle M bemaß. Dort nahm die Klägerin Aufgaben unterhalb der Organebene wahr, die sie seit 2018 ausübte (Kaltakquise, Kundenbesuche, Kontroll- und Überwachungsaufgaben, Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen). Diese hätte sie auch nach der Amtsniederlegung weiter erfüllen können.Randnummer38

3. Zum Zeitpunkt, zu dem das Anstellungsverhältnis mit der Beklagten endete, hatte die Klägerin Anspruch auf 22 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2019 und 16,5 Arbeitstage Urlaub aus dem Jahr 2020. Dieser Urlaub konnte ihr wegen der Beendigung des Rechtsverhältnisses nicht gewährt werden. Unter Zugrundelegung des – rechnerisch unstreitigen – Tagessatzes iHv. 293,36 Euro brutto ergibt sich insgesamt ein Abgeltungsanspruch iHv. 11.294,36 Euro brutto.Randnummer39

4. Der Zinsanspruch beruht auf § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB.Randnummer40

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Schlagworte: Fremdgeschäftsführer

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LG Dortmund, Beschluss vom 21.06.2023 – 8 O 5/22 (Kart)

Mittwoch, 21. Juni 2023

Haftung ehemaliger Geschäftsführer

Art 101 AEUV, § 1 GWB, § 43 Abs 2 GmbHG

Gründe

Die Kammer weist im Anschluss an die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung auf folgende Aspekte hin:

I.

Nach vorläufiger Rechtsauffassung der Kammer ist eine Haftung des ehemaligen Geschäftsführers der Komplementärin der Klägerin dem Grunde nach zu bejahen.

Entgegen der bisher in der Rechtsprechung (LAG Düsseldorf 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, ZIP 2015, 829; ferner in einem obiter dictum LG Saarbrücken 15.09.2020 – 7HK O 6/16, Rn. 122, juris in Bezug auf Kartellbußen der EU und offenbar auch LG Düsseldorf 37 O 66/20 (Kart) – unveröffentlicht) sowie in Teilen der Literatur (vgl. etwa Baur/Holle, ZIP 2018, 459; Bunte, NJW 2018, 123; Lotze/Smolinski, NZKart 2015, 254 und zum Ganzen Leclerc, NZKart 2021, 220 m.w.N.) vertretenen Auffassung ist ein Regressanspruch der Gesellschaft gegenüber ihrem Geschäftsführer auf Ersatz von Schadenspositionen anzuerkennen, die ihr dadurch entstanden sind, dass der Geschäftsführer an einem der Gesellschaft zurechenbaren Kartellrechtsverstoß mitgewirkt hat und die Gesellschaft daraufhin mit Bußgeldern belegt und mit Schadensersatzforderungen konfrontiert wurde (so schon die überwiegende Literaturansicht, vgl. statt aller Grau/Dust, ZRP 2020, 134; Stancke, BB 2020, 1167 und ausführlich bereits Kersting, ZIP 2016, 1266 m.w.N.).Randnummer4

Der Anspruch ergibt sich vorliegend aus § 43 Abs. 2 GmbHG, da die Beteiligung an einem nach Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB verbotenen Kartell einen zur Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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führenden Verstoß gegen die Legalitätspflicht darstellt, da er sich als Organ der Gesellschaft an einem solchen Verstoß nicht hätte beteiligen dürfen, sondern ihn vielmehr hätte verhindern müssen (vgl. Heyers, WM 2016, 581, 582 sowie Kersting, ZIP 2016, 1266 m.w.N.).Randnummer5

Dass Dritte, etwa im Rahmen der Verletzung vertraglicher Beratungspflichten, gegenüber der Gesellschaft haften müssen, ist allgemein anerkannt (BGH v. 31.1.1957 – II ZR 41/56 = BGHZ 23, 222, 224 ff.; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 215/95 = NJW 1997, 518, 519; ferner Zimmermann, WM 2008, 433, 436 f. m.w.N.). Nichts anderes kann für einen Geschäftsführer aufgrund seiner organschaftlichen Pflicht zur Unterlassung bzw. Verhinderung von Rechtsverstößen gelten. Denn anders als bei vertraglichen Beratungspflichten kann die Gesellschaft, welche nur durch ihr Organ, den Geschäftsführer, handeln kann, nicht etwa abweichend von dem erteilten Rat handeln und somit Schadensfolgen vermeiden. Vielmehr greifen hier Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten nur ex post, nämlich nach vollzogener Handlung ein. Der Regress ist damit die einzig mögliche Sanktionsmaßnahme (zum Ganzen Fleischer, DB 2014, 345, 347 sowie Kersting ZIP 2016, 1266, 1267 m.w.N.). Seine grundsätzliche Anerkennung ist aus Sicht der Kammer mithin zwingend.Randnummer6

Im Hinblick auf zu ersetzende Bußgelder stellt dies auch keineswegs ein Unterlaufen der ordnungsrechtlichen Sanktionen dar. Zunächst ist hier zu berücksichtigen, dass Zivil- und Ordnungswidrigkeitenrecht eigenständig nebeneinander stehen, ohne dass letzteres das erstere beschränken könnte (so schon Fleischer, BB 2008, 1070, 1073; Kapp/Hummel, ZWeR 2011, 349, 358).Randnummer7

Sodann wird hierdurch weder die primäre Zahlungspflicht des bebußten Unternehmens in Frage gestellt noch wird es regelmäßig zu einer vollständigen Entlastung des Unternehmens aufgrund des Regresses kommen, da die Bußen bekanntlich oftmals aufgrund ihrer Höhe ohnehin nicht in vollem Umfang vom Geschäftsführer werden zurückerlangt werden können, zumal Deckungssummen von C1-Versicherungen regelmäßig überschritten sein dürften, sofern diese überhaupt in solchen Fällen zum Tragen kämen (vgl. zum Ganzen Bachmann, BB 2015, 911; Suchy, NZG 2015, 591, 592; Kersting a.a.O.). Allein schon der Umstand, dass das Unternehmen zunächst gleichsam in Vorleistung zu gehen hat und sodann nicht zuletzt dem Insolvenzrisiko seines Organs, und sei es nur für einen Teilregress, ausgesetzt ist, verbürgt auch die Abschreckungs-bzw. Präventionsfunktion des Bußgeldes, weswegen entgegen der Auffassung des LG Saarbrücken (a.a.O.) die Anerkennung eines Regresses auch nicht dem effet utile zuwiderläuft. Auch der – naturgemäß nicht regressierbare – Ansehensverlust, den das Unternehmen durch die Bußgeldverhängung erleidet, ist hier in die Rechnung einzustellen.Randnummer8

Darüber hinaus werden auf diesem Wege auch keinerlei Fehlanreize gesetzt, denn wie ausgeführt, bleiben hinreichende Risiken für das Unternehmen bestehen. Vielmehr würde der Verzicht auf den Regress eher einer gewissen Risikobereitschaft auf Seiten der Geschäftsführung, durch Kartellrechtsverletzungen Vorteile unmittelbar für das Unternehmen, aber mittelbar auch für sich selber zu generieren, Vorschub leisten (in diese Richtung schon Walter/Scholz, GmbHR 2015, 449, 453, ferner auch Bunte, NJW 2018, 123, 126).Randnummer9

Schließlich droht auf diesem Wege auch keinesfalls ein Unterlaufen der Bußgelddifferenzierung aus § 81 Abs. 4 GWB, denn diese betrifft erkennbar nur ordnungswidrigkeitsrechtliche Erwägungen, nicht aber die Pflicht zur zivilrechtlichen Kompensation verursachter Schäden (so schon Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449, 454; Suchy, NZG 2015, 591, 593 und Kersting, ZIP 2016, 1266, 1268; ferner auch Fabisch, ZWeR 2013, 91, 104).Randnummer10

Soweit im Übrigen ein Ausschluss des Regresses aufgrund des Abschöpfungscharakters des Bußgeldes diskutiert wird, kann dies hier dahinstehen, der erkennbar eine Abschöpfung im vorliegenden Falle nicht stattgefunden hat.Randnummer11

Auch greifen vorliegend die Aspekte, welche von einer weiteren Meinungsgruppe in der Literatur für eine höhenmäßige Begrenzung des Regresses herangezogen werden (vgl. etwa Fritz, NZA 2017, 673; Gaul, AG 2015, 109 und weitere Nachweise bei Leclerc, NZKart 2021, 220 f.) wie etwa der Begrenzung auf den Bußgeldrahmen für Privatpersonen etc. schon aufgrund der Sachverhaltsbesonderheiten, namentlich des vergleichsweise geringen Bußgeldes, nicht ein.Randnummer12

Eine Begrenzung der Haftung kommt richtigerweise vor allem durch den Aspekt der Vorteilsausgleichung in Betracht (vgl. hierzu Stancke, BB 2020, 1167 ff. und bereits Kersting ZIP 2016, 1266, 1271 ff.), doch greift auch dieser Aspekt vorliegend nicht zugunsten des Beklagten ein, denn unstreitig sind dem Unternehmen aus den konkret in Rede stehenden kartellierten Geschäften keine Vorteile, sondern im Gegenteil – und völlig unabhängig von den Geldbußen – herbe Verluste entstanden.

II.

Ferner erwägt die Kammer, die geltend gemachten Anwaltshonorare dem Grund nach und – soweit sie dem in der mündlichen Verhandlung erfolgten Hinweis folgend näher substantiiert bzw. nachgewiesen werden, auch der Höhe nach anzuerkennen und zwar auch in einer die Gebühren nach RVG übersteigenden Höhe.Randnummer14

In der Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass in bestimmten Fällen auch höhere Aufwendungen aus einer Honorarvereinbarung im Wege materiellen Schadensersatzes zu erstatten sind, wenn der Geschädigte diese Aufwendungen wegen der besonderen Lage des Falles für erforderlich und zweckmäßig halten durfte (vgl. schon BGH, Urteil vom 23.10. 2003 – III ZR 9/03, NJW 2003, 3693 und zuletzt OLG Hamm, Urteil vom 18.01.2019 – 11 U 153/17, juris), etwa weil ein erforderlicher spezialisierter Anwalt zu den gesetzlichen Gebühren nicht gefunden werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 30.05.2000 – IX ZR 121/99, BGHZ 144, 343, 346). Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Tráficos Manuel Ferrer (Urteil vom 16.02.2023 – C-312/21) steht dieser Einschätzung erkennbar nicht entgegen (vgl. auch Kersting, WuW 2023, 189, 190 f.).

III.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu den bisher gewechselten Schriftsätzen sowie zu den hier und bereits in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweisen binnen einer Frist von 5 Wochen nach Zugang dieses Beschlusses abschließend vorzutragen.

Schlagworte: Anwaltshonorar, Außenhaftung, Baugeld, Check Geschäftsführerhaftung, Existenzvernichtungshaftung, Geschäftschancenlehre, Geschäftsführerhaftung, Geschäftsführerhaftung bei GmbH, Geschäftsführerhaftung GmbH, Geschäftsführerhaftung GmbH & Co. KG, GmbH-Geschäftsführerhaftung, GmbHG § 43, GmbHG § 43 Abs. 2, Haftung des Geschäftsführers, Haftung Geschäftsführer, Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, Haftung nach § 43 GmbHG, Haftung wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB, Haftung wegen Verletzung der Sicherung der Bauforderungen gemäß § 1 Abs. 1 BauFordSiG, Haftung wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG, Hinweis zur Geschäftsführerhaftung, Honoraranspruch, Honorarvereinbarung, Innenhaftung, Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 3 GmbHG, Rechtsanwalt Honorarforderung, Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB, Vorgeschriebene Verwendung

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LG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2023 – 100 O 18/23

Mittwoch, 31. Mai 2023

Restrukturierungsverfahren

§ 29 Abs 1 StaRUG, § 18 InsO

Tenor

1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann – wegen jeder Zuwiderhandlung

untersagt,

das Restrukturierungsverfahren vor dem Amtsgericht Charlottenburg (Az. 36f RES 1604/23) ohne Gesellschafterbeschluss der Gesellschafter der Antragsgegnerin weiter zu betreiben.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Verfahrenswert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Wegen des Sachverhaltes wird auf die Antragsschrift vom 24.05.2023 sowie die damit vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.Randnummer2

Der Antrag auf einstweilige Verfügung ist begründet. Die Antragsgegnerin darf das Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG nicht ohne Gesellschafterbeschluss fortführen. Zur Begründung wird zunächst auf die Ausführungen in der Antragsschrift verwiesen. Die Stellungnahme der Antragsgegnerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.Randnummer3

Nach h.M. ist der Geschäftsführer einer GmbH dazu verpflichtet, einen Gesellschafterbeschluss herbeizuführen, wenn ein fakultativer Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu stellen ist. Ein solcher Gesellschafterbeschluss ist zwar im Außenverhältnis keine Voraussetzung der Antragstellung oder Verfahrenseröffnung. Im Innenverhältnis einer von Zahlungsunfähigkeit bedrohten Gesellschaft ist das antragsberechtigte Organ jedoch zur Einholung eines entsprechenden Beschlusses verpflichtet, da es sich nicht um eine Geschäftsführungsmaßnahme, sondern um ein den Gesellschaftszweck änderndes Geschäft handelt (OLG München, Urteil vom 21. März 2013 – 23 U 3344/12 –, Rn. 55, juris, m.w.N.).Randnummer4

Für das StaRUG-Verfahren, das als Voraussetzung ebenfalls die drohende ZahlungsunfähigkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
drohende Zahlungsunfähigkeit
Zahlungsunfähigkeit
(§ 18 InsO) hat (§ 29 Abs. 1 StaRUG), gilt nichts anderes. Ein in diesem Stadium gestellter Eigenantrag erfordert das Einverständnis der Gesellschafter. Denn dabei handelt es sich um ein den Gesellschaftszweck änderndes Grundlagengeschäft. Nachdem der deutsche Gesetzgeber das StaRUG gerade als funktionales Äquivalent zum Schutzschirmverfahren/Insolvenzplanverfahren konzipiert hat, liegt die Parallele zu § 18 InsO und den freiwilligen Insolvenzanträgen auf der Hand, selbst wenn die Restrukturierungssache nicht zur Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
führt (Thole, BB 2021, 1347, 1350). Da die Einleitung des Restrukturierungsverfahrens eine außergewöhnliche Maßnahme besonderer Bedeutung bildet, müssen die Geschäftsführer vor Einleitung des Verfahrens die Zustimmung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafterversammlung
Zustimmung
Zustimmung der Gesellschafterversammlung
einholen (Gehrlein, BB 2022, 1096, 1097). Es handelte sich hier zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Restrukturierungsverfahren auch nicht um eine Situation, in der Insolvenzantragspflicht bestand, denn durch die Darlehen, die von der Antragsgegnerin im Februar und März aufgenommen wurden, war die Gesellschaft zunächst gerettet.Randnummer5

Nicht sachgerecht wäre es, ein gesellschaftsrechtliches Beschlusserfordernis auf den späteren Zeitpunkt der Vorlage bzw. Bestätigung des Restrukturierungsplans aus der Erwägung zu verlagern. dass mit der Anzeige alleine noch kein (wesentlicher) Eingriff in die Rechte der Gesellschafter verbunden ist. Ein Hinausschieben des Beschlusserfordernisses würde eine Zwangslage für alle Beteiligten hervorrufen, weil eine Verweigerung der Zustimmung zu einem späteren Zeitpunkt die Verhandlungen insgesamt vereiteln und die Gesellschaft in ein Insolvenzverfahren zwingen würde. Da ein solches Obstruktionspotenzial durch den präventiven Restrukturierungsrahmen gerade vermieden werden soll, müssen die Gesellschafter bereits im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens eingebunden werden (Gehrlein, a.a.O.).Randnummer6

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin reicht es auch nicht aus, dass die Gesellschafter innerhalb des Restrukturierungsverfahrens angehört werden. Das StaRUG-Verfahren ist keineswegs lex spezialis gegenüber den gesellschaftsrechtlichen Regelungen. Das StaRUG regelt lediglich die Durchführung der Restrukturierung, während das Gesellschaftsrecht die Willensbildung innerhalb der Gesellschaft und die Entscheidung über Ob eines solchen Verfahrens regelt.Randnummer7

Bei einem Restrukturierungsverfahren ist davon auszugehen, dass es sich jedenfalls dann um eine ungewöhnliche Maßnahme handelt, wenn der beabsichtigte Restrukturierungsplan in die Stellung der Gesellschafter eingreift (juris Literaturnachweis zu Brinkmann, KTS 2021, 303-325). Das ist hier der Fall. Sämtliche Gesellschafter, die der Antragsgegnerin keine Darlehen gegeben haben, sollen durch die geplante Kapitalherabsetzung auf Null und der anschließenden Kapitalerhöhung unter Ausschluss des BezugsrechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ausschluss
Ausschluss des Bezugsrechts
der Altgesellschafter aus der Gesellschaft endgültig ausscheiden.Randnummer8

Die Antragsgegnerin kann auch nicht damit gehört werden, dass die Sache eilig und im Wege der Notgeschäftsführung zu entscheiden war. Es gab genügend Zeit, die Gesellschafter nach der Gesellschafterversammlung am 7.2.2023 einzubeziehen. Die Antragsgegnerin trägt selbst vor, dass bereits im Februar 2023 die Zahlungsunfähigkeit drohte. Die Darlehen über insgesamt 800.000. € wurden im Februar und März vereinbart und die Auffanggesellschaft xx xxx GmbH wurde bereits Mitte März gegründet. Es ist also davon auszugehen, dass die Planung, ein Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG durchzuführen, spätestens im März 2023 stand. Damit war genug Zeit, die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen, zumal die Satzung der Antragsgegnerin für das Zustandekommen von Gesellschafterbeschlüssen keine großen Hürden aufstellt. Nach § 10 der Satzung können Gesellschafterbeschlüsse u.a. telefonisch, per Videokonferenz, per Email oder in Kombination dieser Verfahren gefasst werden. Dies erlaubt auch bei 29 Gesellschaftern eine rasche Willensbildung und Abstimmung. Die Auffassung der Antragsgegnerin, sie bilde eine Publikumsgesellschaft, für die die Willensbildung innerhalb des Gesellschafterkreises erschwert ist, erscheint weit hergeholt. Die Antragstellerin trägt selbst vor, dass es gelungen ist, die Zustimmung von Gesellschaftern einzuholen, die zusammen über 80 % des Stammkapitals repräsentieren; dann hätte auch um die Zustimmung aller Gesellschafter gebeten werden können.
Soweit die Antragsgegnerin sich mit den Folgen eines ablehnenden Beschlusses befasst, besteht angesichts der vorab gegebenen Zustimmung von über 80 % der Stimmen keine Gefahr und im übrigen könnte – wenn es tatsächlich keine anderweitige Finanzierung gibt – eine Verpflichtung zur Zustimmung bestehen.Randnummer9

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin handelt es sich bei dem Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses nicht um eine bloße Förmelei. Eine auch für die Anteilseigner derart einschneidende Maßnahme muss von der Gesellschafterversammlung entschieden werden, die für die Gestaltung der zukünftigen gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse alleine zuständig ist. Es ist nicht auszuschließen, dass unter dem Druck, seine Anteile endgültig zu verlieren, einer oder mehrere Gesellschafter sich doch noch entschieden hätten, Kapital in die Antragsgegnerin einzubringen.Randnummer10

Auch das Argument, dass ohne Restrukturierung die Antragsgegnerin überschuldet sei, weil keine Fortführungsprognose mehr besteht, überzeugt nicht. Verboten wird der Antragsgegnerin nicht die Durchführung des Verfahrens an sich, sondern nur die Durchführung ohne Gesellschafterbeschluss. Ein solcher kann auch heute noch eingeholt werden. Im übrigen wird im Restrukturierungsplan ausgeführt, dass die Gesellschaft durch die Darlehen jedenfalls bis Mitte 2023 durchfinanziert sei, so dass – die Ausführungen als wahr unterstellt – keine unmittelbare Insolvenzantragspflicht besteht.Randnummer11

Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, dafür zu sorgen, dass der Termin am 1.6.2023 nicht stattfindet, war nicht auszusprechen, denn die Wahrnehmung des Termins durch die Antragsgegnerin würde dem Verbot bereits widersprechen.Randnummer12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Schlagworte: einstweilige Verfügung, einstweiliger Rechtsschutz, Restrukturierungsverfahren, Sicherung Status quo, Vorläufiger Rechtsschutz, Vorteile Einstweiliger Rechtsschutz

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LG Heidelberg, Urteil vom 02.02.2023 – 7 S 1/122

Donnerstag, 2. Februar 2023

Vermögenswert Genossenschaft

§ 1 S 1 InsO, § 199 S 2 InsO, § 22 Abs 4 S 1 GenG          

Der Insolvenzverwalter darf nur Forderungen einziehen, soweit dies zur Befriedigung der Gläubiger der Insolvenzschuldnerin erforderlich ist. Dem Insolvenzverwalter steht hingegen keine Einziehungsbefugnis zur Durchführung des Innenausgleichs unter den Genossen zu (Anschluss BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – II ZR 108/19).

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 23.09.2022 (Az. 22 C 368/21) aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten beider Instanzen einschließlich der Kosten der Streithelferin trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G. Wohnbaugenossenschaft eG (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) bestellte (Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 18.10.2018, Az. 2 IN 250118) Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von übernommenen Genossenschaftsanteilen in Anspruch.Randnummer2

Die Insolvenzschuldnerin firmierte früher als ”G.t. Wohnbaugenossenschaft eG“.Randnummer3

In der Satzung der Insolvenzschuldnerin (Stand: 22.06.2015, Anl. K1; im Urteil des AG fälschlich.: 21.11.2013) finden sich unter anderem folgende Regelungen:Randnummer4

§ 2 Zweck und GegenstandRandnummer5

(1) Zweck der Genossenschaft ist die wirtschaftliche Förderung und Betreuung der Mitglieder. Die Genossenschaft hat insbesondere das Ziel, ihre Mitglieder mit dauerhaft bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. …Randnummer6

§ 33 Geschäftsanteil und GeschäftsguthabenRandnummer7

(1) Der Geschäftsanteil beträgt 100,00 Euro. Die Genossenschaft erhebt ein Eintrittsgeld und/oder eine Abschlussgebühr, dessen Höhe der Vorstand in den jeweils gültigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen und den jeweils anzuwendenden Allgemeinen Tarifbestimmungen festlegt.Randnummer8

(2) Für die Mitgliedschaft ist jedes Mitglied verpflichtet, einen Geschäftsanteil zu übernehmen. Dieser Anteil ist ein Pflichtanteil. Jeder Pflichtanteil ist sofort einzuzahlen. Jedes Mitglied, dem eine Wohnung oder ein Eigenheim überlassen werden soll, hat einen angemessenen Betrag zur Aufbringung der Eigenleistung durch Übernahme weiterer Geschäftsanteile zu übernehmen. Die Mitgliedschaft berechtigt zur Teilnahme an dem Optionskaufkonzept. Die Details sind in den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ und in den „Allgemeinen Tarifbestimmungen“ in der jeweils für den einschlägigen Tarif gültigen Fassung geregelt. Der Vorstand kann Ratenzahlungen zulassen.Randnummer9

(3) Über den Pflichtanteil gemäß Abs. 2 hinaus können die Mitglieder weitere Anteile übernehmen, wenn die vorhergehenden Anteile bis auf den zuletzt übernommenen voll eingezahlt sind und der Vorstand die Übernahme zugelassen hat. Sie sind innerhalb von 300 Monatsraten in gleichbleibenden Teilbeträgen einzuzahlen. Die Einzahlung kann jedoch auch sofort in voller Höhe oder in höheren Teilbeträgen geleistet werden.Randnummer10

Mit Beitrittserklärung vom 04.08.2015 (Anl. K2) trat der Beklagte der Insolvenzschuldnerin als Genosse bei und übernahm einen „Pflichtanteil zur Begründung der Mitgliedschaft“ in Höhe von 100,00 € und 99 weitere Geschäftsanteile zu je ebenfalls 100,00 €.Randnummer11

Mit der auf einem separaten Blatt enthaltenen „G.R.Tarif Tariferklärung“ (Anl. K3; im erstinstanzlichen Urteil fälschlich: „G.B.Tarif Tariferklärung“) verpflichtete sich der Beklagte am 04.08.2015, eine „Soforteinlage“ in Höhe von 4.371,00 € zu leisten; der restliche Betrag in Höhe von 5.629,00 € sollte über 225 Monate (= knapp 19 Jahre) mit einem monatlichen „Stundungsbetrag“ von 25,00 € gestundet werden.Randnummer12

In Bezug auf die weiteren Einzelheiten der Beitrittserklärung sowie der Tariferklärung des Beklagten wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils sowie die Anlagen verwiesen.Randnummer13

Der Beklagte entrichtete auf seinen Beitritt hin einen Betrag in Höhe von 7.468,66 €, der entsprechend den G.-AGB unter Abschnitt B Nr. 3 zunächst auf den sofort fälligen Pflichtanteil in Höhe von 100,00 €, danach auf die Abschlussgebühr in Höhe von 1.829,00 € und schließlich in Höhe von 5.539,66 € auf die weiteren, freiwillig übernommenen Anteile verrechnet wurde.Randnummer14

Mit der Klage macht der Kläger die noch verbliebene Einlagenzahlung in Höhe von 4.360,34 € geltend, die sich aus der Differenz zwischen der gesamten Einlagenverpflichtung von 10.000,00 € und den bereits geleisteten Einlagen (Pflichtanteil: 100,00 € + Zahlung auf freiwillig übernommene Anteile: 5.539,66 €) ergibt.Randnummer15

Mit vorgerichtlichem Schreiben vom 13.08.2020 forderte der Kläger den Beklagten erfolglos zur Zahlung des noch ausstehenden Betrags in Höhe von 4.360,34 € auf.Randnummer16

Die Streitverkündungsschrift des Beklagten wurde der Streithelferin am 19.01.2022 zugestellt. Sie ist dem Streit mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 14.02.2022 auf Beklagtenseite beigetreten.Randnummer17

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens und der insoweit gestellten Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.Randnummer18

Das Amtsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 23.09.2022 (Az. 22 C 368/21) zur Zahlung von 4.360,34 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.12.2021 an den Kläger verurteilt.Randnummer19

Der Kläger habe gegen den Beklagten Anspruch auf Zahlung von 4.360,34 € aus der Beitrittserklärung vom 04.08.2015 i.V.m. §§ 12 Abs. 1 lit. B, 33 Abs. 2 der Satzung der Insolvenzschuldnerin.Randnummer20

Der geltend gemachte Betrag sei bereits mit dem Beitritt in voller Höhe fällig gewesen, da Stundungsabrede und Ratenzahlungsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 15b Abs. 2 GenG nichtig seien. Eine Ausnahme von der Volleinzahlungspflicht liege nicht vor. Diese bestehe nur bei Pflichtbeteiligungen; um solche gehe es jedoch nicht. Die Beitritts- und Ratenzahlungsvereinbarung könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Anteile entsprechend dem Zahlungsfortschritt nur sukzessive hätten übertragen werden sollen.Randnummer21

Die Nichtigkeit der Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung führe nicht dazu, dass der Beklagte von der Verpflichtung zur Einzahlung der Anteile entbunden wäre.Randnummer22

Ob gemäß § 139 BGB auch eine Gesamtnichtigkeit des Genossenschaftsbeitritts vorliege, könne dahinstehen, denn selbst bei einem unwirksamen Beitritt wäre der Beklagte nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft zu vollständigen Zahlung der Einlage verpflichtet. Denn der vollzogene Beitritt zu einer Genossenschaft sei bis zur Geltendmachung des Fehlers wirksam. Vorliegend sei der Beitritt durch Zahlung der 7.468,66 € bereits in Vollzug gesetzt.Randnummer23

Gründe, die der Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Der Zweck der Insolvenzschuldnerin sei weder nach § 138 BGB sittenwidrig noch verstoße er gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB. Der Gesellschaftszweck verstoße auch nicht gegen § 15b Abs. 2 GenG.Randnummer24

Die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft verstoße nicht gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Das mögliche Vertrauen des Beklagten, allenfalls zur Ratenzahlung verpflichtet zu sein, sei im Ergebnis nicht schutzwürdiger als die Belange Dritter als auf den Bestand der Gesellschaft Vertrauender. Nach der Rechtsprechung des BGH gälten die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft selbst dann, wenn der Gesellschafter/Genosse aufgrund arglistiger Täuschung zum Beitritt veranlasst worden sei.Randnummer25

Der vom Beklagten erhobene dolo-agit-Einwand greife nicht. Der Kläger sei als Insolvenzverwalter verpflichtet, rückständige und fällige Einlagen geltend zu machen. Im eröffneten Insolvenzverfahren bestehe der Anscheinsbeweis für eine Unterdeckung. Gemäß § 22 Abs. 4 GenG gelte das Erlassverbot. Diese Grundsätze gälten auch in der Insolvenz.Randnummer26

Schließlich könne sich der Beklagte, da die Stundungsvereinbarung ausdrücklich Vertragsinhalt gewesen sei, nicht auf den Wegfall der GeschäftsgrundlageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Geschäftsgrundlage
Wegfall der Geschäftsgrundlage
berufen. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung greife nicht, weil die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auch bei arglistiger Täuschung gälten.Randnummer27

Gegen das dem Beklagtenvertreter am 28.09.2022 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit am 27.10.2022 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 27.11.2022 eingegangenem Schriftsatz begründet.Randnummer28

Der Beklagte vertritt die Auffassung, es fehle bereits an einem Vertragsschluss. Dass die Beitrittserklärung des Beklagten in der erforderlichen Schriftform binnen einer Frist von vier Wochen gemäß § 147 Abs. 2 BGB der Insolvenzschuldnerin im Original zugesendet und auch angenommen worden sei, sei weder dargelegt noch ersichtlich. Die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft seien daher hier nicht anzuwenden.Randnummer29

Zu Unrecht gehe das erstinstanzliche Gericht davon aus, dass die Beitrittserklärung des Beklagten wegen der vereinbarten Stundung und Ratenzahlung insgesamt gemäß §§ 134, 139 BGB wegen Verstoßes gegen § 15b Abs. 2 GenG unwirksam sei. Diese Vorschrift stelle kein Verbotsgesetz dar. Selbst wenn man dies aber bejahte, richte sich dieses ausschließlich gegen den Vorstand, sei somit einseitig und damit wirksam. Soweit davon auszugehen sei, dass der Vorstand den Beklagten konkludent durch die Entgegennahme der Zahlungen und Versendung der Benachrichtigung i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 15 Abs. 2 S. 1 GenG zugelassen habe, gelte für die Zahlungsweise der weiteren Einlagen § 50 GenG, wonach dies – wie hier – durch Satzungsbestimmung festgelegt werden könne. Auf die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft/des fehlerhaften Beitritts komme es daher nicht an.Randnummer30

Durch Zeichnung der Beitrittserklärung habe noch keine vollständige Übernahme der insgesamt 100 Anteile stattgefunden. Bei interessengerechter und gesetzeskonformer Auslegung der Beitrittserklärung habe der Beklagte jedenfalls nicht mehr als die bereits eingezahlten Geschäftsanteile übernommen.Randnummer31

Schließlich verstoße die Klageforderung gegen den Grundsatz dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est, wenn es dem Kläger lediglich um die Einnahme von jenem Kapital gehe, welches er dem Beklagten im Rahmen eines Innenausgleiches später jedenfalls teilweise wieder auskehren müsse. Der Insolvenzverwalter sei nicht für den Innenausgleich zwischen den Genossen zuständig. Der Kläger habe weiteren Kapitalbedarf zur Befriedigung von Gläubigern, die keine Genossen seien, nicht vorgetragen.Randnummer32

Der Beklagte beantragt,Randnummer33

das am 23.09.2022 für Recht erkannte Urteil des Amtsgerichtes Heidelberg zum Aktenzeichen 22 C 368/21 zu ändern und die Klage abzuweisen.Randnummer34

Der Kläger beantragt,Randnummer35

die Berufung zurückzuweisen.Randnummer36

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus, mit seinem erstmaligen Bestreiten des Zugangs im Original von Beitritts- und Tariferklärung in der Berufungsinstanz sei der Beklagte präkludiert. Im Ergebnis komme es auf einen wirksamen Vertragsschluss aufgrund der faktischen Invollzugsetzung gar nicht an.Randnummer37

§ 15b Abs. 2 GenG sei ein Verbotsgesetz im Sinne eines Zulassungsverbotes; aus § 15b Abs. 3 GenG ergebe sich die Wirksamkeit der Beteiligung trotz Verstoßes mit Zulassung durch den Vorstand. Der Genossenschaftsbeitritt sei vor dem Hintergrund der Invollzugsetzung wirksam, sei es über die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft oder über § 15b Abs. 3 GenG. Nur die Stundungsvereinbarung verstoße gegen § 15b Abs. 2 GenG und sei damit gemäß § 134 BGB nichtig. Der Beitritt seinerseits sei aufgrund des Einheitlichkeitswillens gemäß § 139 BGB nichtig, sodass die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft gälten.Randnummer38

Die Stundungsabrede verstoße gegen § 15b Abs. 2 GenG. Die Satzungsgrundlage, auf die es bei der Auslegung ankomme, sei wegen Verstoßes gegen § 15b Abs. 2 GenG gemäß § 241 Nr. 3 AktG analog nichtig. Ohne Satzungsgrundlage seien weitere Anteile betreffende Ratenzahlungsvereinbarungen ohnehin unwirksam. Ein sukzessiver Erwerb ergebe die Auslegung der SatzungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auslegung
Auslegung der Satzung
Satzung
nicht.Randnummer39

Der Kläger sei auch berechtigt, die Einlageschuld geltend zu machen. Eine Überdeckung liege nicht vor; auf eine solche komme es auch nicht an. Die Zahlungsverpflichtung ergebe sich aus §§ 15, 15b GenG i.V.m. dem Beitrittsvertrag und den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft. Der Kläger verlange die Kapitalaufbringungspflicht als Insolvenzverwalter, um die Insolvenzforderungen quotal befriedigen zu können; um einen Innenausgleich unter den Gesellschaftern gehe es nicht. Der Kläger müsse auch nicht das Eingeforderte wieder an den Beklagten zurückzahlen. Gläubiger festgestellter Forderungen hätten einen Anspruch gegenüber der Masse und die Masse sei nicht die Einlagenverpflichtung. Im Übrigen sei Verfahrensziel des Insolvenzverfahrens auch die Vollabwicklung der Genossenschaft, wenn – wie hier – eine Sanierung nicht gelinge. Dem Beklagten obliege die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Frage, ob die Insolvenzmasse ausreiche, um die angemeldeten Forderungen zu erfüllen. Der Kläger habe mittels Tabellenauszugs hinreichend dargelegt, dass die Einnahmen nicht ausreichten, um die Forderungen zu befriedigen.Randnummer40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten führt zu Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abweisung der Klage.

I.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus dessen Beitrittserklärung vom 04.08.2015 in Verbindung mit §§ 12 Abs. 1 lit. b, 33 Abs. 2 der Satzung der Insolvenzschuldnerin auf Zahlung rückständiger Genossenschaftsbeiträge in Höhe von 4.360,34 €.Randnummer43

Denn – unabhängig vom Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs – scheitert die Begründetheit der Klage daran, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger berechtigt ist, die gegen den Beklagten gerichtete Forderung geltend zu machen. Der zwar grundsätzlich zur Geltendmachung ausstehender Geschäftsanteile befugte (1.) Kläger hat die Erforderlichkeit der Einziehung der streitgegenständlichen Forderung zur Befriedigung der Gläubiger der Insolvenzschuldnerin (2.) nicht ausreichend dargelegt (3.).Randnummer44

1. Zwar ist der Kläger als Insolvenzverwalter im Grundsatz berechtigt, fällige, rückständige Beiträge der Genossen einzufordern. Denn mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Rückständige Beiträge fallen als Sozialansprüche in die Insolvenzmasse, bilden dort einen Aktivposten und müssen grundsätzlich noch geleistet werden (vgl. zur Genossenschaft: BGH, Beschluss vom 16. März 2009 – II ZR 138/08 –, juris, Rn. 17; RGZ 135, 55, 60f.; RGZ 141, 230, 232; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich, 4. Aufl. 2012, GenG § 101 Rn. 2; zur BGB-Gesellschaft: Sprau, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 728, Rn. 1).Randnummer45

2. Der Kläger darf als Insolvenzverwalter jedoch nur Forderungen einziehen, soweit dies zur Befriedigung der Gläubiger der Insolvenzschuldnerin erforderlich ist. Dem Insolvenzverwalter steht hingegen keine Einziehungsbefugnis zur Durchführung des Innenausgleichs unter den Gesellschaftern zu.Randnummer46

a) Hauptzweck des Insolvenzverfahrens ist die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung. Nach § 1 S. 1 InsO dient das Insolvenzverfahren vorrangig dazu, die Gläubiger des Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem dessen Vermögen verwertet und der Erlös verteilt wird. Die Entstehungsgeschichte von § 1 InsO offenbart, dass der ursprünglich im Regierungsentwurf vorgesehene weitere Zweck des Verfahrens, bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit an die Stelle der gesellschafts- oder organisationsrechtlichen Abwicklung zu treten (vgl. § 1 Abs. 2 S. InsO-E, BT-DS 12/2443, S. 10, 109), der redaktionellen Straffung und der Rückführung auf ihre wesentlichen Elemente wegen gestrichen wurde (vgl. BT-DS 12/7302, S. 155). Aus der in § 199 S. 2 InsO geregelten Ermächtigung des Verwalters, einen nach der Schlussverteilung etwa verbleibenden Überschuss an die Gesellschafter zu verteilen, folgt keine darüberhinausgehende Befugnis oder gar Verpflichtung, durch Einziehung von Ausgleichsbeträgen auch den Innenausgleich der Gesellschafter herbeizuführen (BGH, Urteil vom 15.12.2020 – Az. II ZR 108/19 -, juris, Rn. 72 ff.). Diese Vorschrift setzt voraus, dass bei der Schlussverteilung ein Überschuss bleibt, und regelt nur dessen Verteilung. Sie besagt hingegen nichts darüber, ob und gegebenenfalls wie ein solcher Überschuss zustande kommt (BGH, Urteil vom 5. Juli 2001 – IX ZR 327/99 –, BGHZ 148, 252-261, Rn. 21; Meller-Hannich in: Jaeger: Kommentar zur Insolvenzordnung, § 199 Überschuss bei der Schlussverteilung, Rn. 3).Randnummer47

Vielmehr verdeutlicht die Gesetz gewordene Fassung des § 1 InsO im Zusammenhang mit ihrer Entstehungsgeschichte, dass die Abwicklung der juristischen Person jedenfalls dann dem als „wesentlich“ hervorgehobenen gesetzlichen Hauptzweck des Gesamtvollstreckungs- oder Insolvenzverfahrens untergeordnet ist, wenn sie die Gläubigerbefriedigung verkürzen würde (BGH, Urteil vom 5. Juli 2001 – IX ZR 327/99 –, BGHZ 148, 252-261, Rn. 20). Dies ist im Falle der Durchsetzung von Ausgleichsansprüchen zum Zwecke des Innenausgleichs durch den Insolvenzverwalter der Fall. Sie würde zu einer zusätzlichen Schmälerung der Verteilungsmasse und damit zu einer Finanzierung des – im Gesellschafterinteresse erfolgenden – Innenausgleichs zu Lasten der Masse und damit der Gläubiger führen. Dies widerspräche aber wiederum dem nach der gesetzlichen Zielsetzung vorrangigen Zweck der Gläubigerbefriedigung (BGH, Urteil vom 15.12.2020 – Az. II ZR 108/19 -, juris, Rn. 76).Randnummer48

b) Bei der Beschränkung der Befugnis des Insolvenzverwalters auf die Einziehung von zur Gläubigerbefriedigung notwendiger Ansprüche handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Insolvenzverfahrens (so zur Genossenschaft: Gehrlein, WM 2022, 2249, 2250; zur GmbH: BGH, Urteil vom 15. Oktober 2007 – II ZR 216/06 –, Rn. 13, juris; zur KG: BGH, Urteil vom 15.12.2020 – Az. II ZR 108/19 -, juris, Rn. 63 ff.; BGH, NJW 1981, 2251, 2252; OLG DresdenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Dresden
, Urteil vom 27.06.2019 – 8 U 2001/18 -, ZIP 2019, 2173, 2174; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 7. September 2016 – 9 U 9/16 –, Rn. 32, juris). Dementsprechend lesen sich die Ausführungen des BGH in der Entscheidung vom 15.12.2020 (a.a.O.) auch nicht als auf die Spezifika der KG, der Außenhaftung sowie des Innenausgleichs der Kommanditisten beschränkt (a.A. OLG BrandenburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Brandenburg
, Beschluss vom 17.05.2022 – 7 U 68/21 -, n.v., Anl. K59; OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Celle
, Beschluss vom 28.11.2011 – 9 U 70/22 -, n.v., Anl. K70; OLG Thüringen, Beschluss vom 10.01.2023 – 2 U 302/22 -, Anl. K71). Vielmehr setzt sich der BGH – entsprechend der von ihm zitierten Literatur (vgl. etwa MüKoInsO/Ganter/Bruns, 4. Aufl. 2019, InsO § 1) mit insolvenzrechtlichen Erwägungen auseinander, die allgemein Stellung und Aufgabe des Insolvenzverwalters sowie Bedeutung des Insolvenzverfahrens betreffen (dem BGH zustimmend aus der insolvenzrechtlichen Kommentarliteratur etwa: BeckOK InsR/Nicht, 29. Ed. 15.7.2022, InsO § 199 Rn. 3).Randnummer49

c) Etwaige Besonderheiten des Genossenschaftsrechts rechtfertigen keine andere Beurteilung.Randnummer50

1) Soweit der Kläger das Erlassverbot gemäß § 22 Abs. 4 S. 1 GenG heranzieht, wonach eine geschuldete Einzahlung auf das Geschäftsguthaben nicht erlassen werden darf, richtet sich dieses zwar im Grundsatz auch an den Insolvenzverwalter, der im Rahmen seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht anders als die Organe der Genossenschaft grundsätzlich (zu Ausnahmen: vgl. Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Pöhlmann, 4. Aufl. 2012, GenG § 22 Rn. 11) nicht befugt wäre, einem Genossen die Einzahlung auf das Geschäftsguthaben zu erlassen. Daraus ist indessen keine von den allgemeinen insolvenzrechtlichen Regelungen abweichende Verpflichtung des Insolvenzverwalters abzuleiten, die Einlageverpflichtung unabhängig von seiner Einziehungsbefugnis geltend zu machen, zumal eine Nichtgeltendmachung auch keinen Erlass darstellte. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich den – auch von Klägerseite zutreffend betonten – Zweck des § 22 Abs. 4 S. 1 GenG vor Augen führt. Dabei handelt es sich nämlich um eine der zentralen Vorschriften zum Schutz der Geschäftsguthaben als Teil des den Genossenschaftsgläubigern zur Verfügung stehenden Haftungsfonds der Genossenschaft, gerade weil bei dieser im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften kein gesetzliches Mindestkapital vorgeschrieben ist (Henssler/Strohn GesR/Geibel, 5. Aufl. 2021, GenG § 22 Rn. 7, § 8a Rn. 1; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich, 4. Aufl. 2012, GenG § 8a Rn. 1, § 22, Rn. 7). Stellt die Vorschrift damit eine Gläubigerschutzvorschrift zur Erhaltung der Haftmasse dar, ist unter Verweis darauf eine Abweichung vom Grundsatz der fehlenden Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters zur Durchführung des Innenausgleichs gerade im Genossenschaftsrecht kaum zu stützen.Randnummer51

2) Stichhaltige Gründe dafür, dass das Insolvenzverfahren gerade im Genossenschaftsrecht – falls nicht die Sanierung gelingt – auf eine Vollabwicklung gerichtet sei (so aber OLG BrandenburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Brandenburg
, Beschluss vom 17.05.2022 – 7 U 68/21 -, Anl. K59; OLG Thüringen, Beschluss vom 10.01.2023 – 2 U 302/22 -, Anl. K71; einschränkend Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich, 4. Aufl. 2012, GenG § 101 Rn. 1), bestehen nicht. Denn dem Genossenschaftsrecht sind keine Besonderheiten zu entnehmen, die es rechtfertigten, dem Insolvenzverfahren eine weitergehende Funktion als bei anderen Gesellschaftsformen zuzuschreiben. Selbst in Fällen der Insolvenz einer Publikumsgesellschaft, bei der der Ausgleich unter den Gesellschaftern angesichts der Vielzahl von untereinander nicht persönlich verbundenen Gesellschaftern ohne eine hierzu berufene Person nicht gewährleistet, zumindest aber in unzumutbarer Weise erschwert sein dürfte, ist es nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters, diesen vorzunehmen. Stattdessen kann diese Aufgabe gleichermaßen durch einen von den Gesellschaftern nach Abschluss des Insolvenzverfahrens bestellten Liquidator erfüllt werden (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2020 – II ZR 108/19 –, BGHZ 228, 28-56, Rn. 70, 78; vgl. insoweit bereits auch BGH, 1981, 2251 a.E.). So liegt der Fall auch bei der Genossenschaft. Deshalb vermag der in der mündlichen Verhandlung sinngemäß vorgebrachte Einwand des Klägervertreters, dass es, verwehrte man ihm die vollständige Einziehung aller rückständiger Geschäftsanteile, dem Zufall überlassen wäre, welche der Genossen zur Befriedigung der Gläubigerforderungen in Anspruch genommen würden, was letztlich auf eine ungleiche Behandlung der Genossen hinauslaufen würde, zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Denn die selektive Inanspruchnahme ist innerhalb der sich der Befriedigung der (echten) Gläubigerforderungen ggfs. anschließenden Liquidation und der Auseinandersetzung zwischen den Genossen zu berücksichtigen (vgl. – zu einer vergleichbaren Erwägung im Zusammenhang mit der Erstattung der Nachschusszahlungen nach § 87a Abs. 2 GenG – Henssler/Strohn GesR/Geibel, 5. Aufl. 2021, GenG § 91 Rn. 2 sowie – zum Ausgleich ggfs. fehlerhafter Verteilungen zw. Mitglieder der LPG in der letzten Liquidationsphase durch § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. GenGBGH, Beschluss vom 23. November 2007 – BLw 4/07 –, Rn. 24, juris). Es spricht nichts dagegen, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch vorhandenes überschüssiges Vermögen im Wege der Abwicklung nach §§ 78 ff. GenG zu verteilen und die eG als Liquidationsgesellschaft fortbestehen zu lassen, um eine der Satzung entsprechende Verteilung zu sichern (Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich, 4. Aufl. 2012, GenG § 101 Rn. 1). Aufgabe des Liquidators ist es gemäß § 88 S. 1 GenG unter anderem, Forderungen gegen Mitglieder einzuziehen (vgl. Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich, 4. Aufl. 2012, GenG § 88 Rn. 4). Hingegen ist es nicht Aufgabe des Insolvenzverwalters, für eine gleichmäßige Heranziehung der Genossen zu sorgen (Gehrlein, WM 2022, 2249, 2253 f.).Randnummer52

3. Der Vortrag des darlegungsbelasteten Klägers (a)) lässt nicht erkennen, ob die Einziehung des gegenüber der Beklagten geltend gemachten Anspruchs zur Befriedigung von zu berücksichtigenden angemeldeten Gläubigerforderungen erforderlich ist (b)).Randnummer53

a) Der Kläger trägt jedenfalls die sekundäre Darlegungslast für seinen Kapitalbedarf.Randnummer54

Offenbleiben kann, ob der Insolvenzverwalter nicht sogar von vornherein die Beweislast für seinen Kapitalbedarf trägt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 09.02.2021 II ZR 28/20 -, juris Rn. 14), wobei ihm unter Umständen ein Anscheinsbeweis dafür zugute kommen könnte, dass in dem eröffneten Verfahren die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2020 – IX ZR 5/19 –, juris, Rn. 4). Denn vorliegend wäre der Anscheinsbeweis erschüttert, weil feststeht, dass der Kläger Forderungen in der Tabelle berücksichtigt, die keine Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO darstellen (vgl. unten b) 2)).Randnummer55

Selbst wenn aber den Beklagten die Darlegungs- und Beweislast träfe, hat der Kläger die insoweit bedeutsamen Verhältnisse darzulegen, soweit nur er dazu imstande ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2018 – II ZR 95/16 – juris, Rn. 59 zum Liquidator; BGH, Urteil vom 3. Juli 1978 – II ZR 54/77, WM 1978, 898; Urteil vom 5. November 1979 – II ZR 145/78, ZIP 1980, 192, 194).Randnummer56

b) Der Kläger ist vorliegend trotz Hinweises in der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2023 seiner ihm obliegenden Darlegungslast nicht gerecht geworden. Vor dem Hintergrund seines Vortrags kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass die Einziehung des gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruchs zur Befriedigung der – nach dem oben Gesagten zu berücksichtigenden – Gläubiger erforderlich ist. Denn er berücksichtigt Forderungen in der Insolvenztabelle (1)), die keine Insolvenzforderungen sind (2)), ohne dies trennbar aufzuschlüsseln, obwohl nur er dazu imstande ist (3)).Randnummer57

1) Der Kläger hat erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 10.03.2022 (S. 12) unter Vorlage einer teilweise geschwärzten Insolvenztabelle, aus der nicht einmal die Namen der Gläubiger zu entnehmen sind (vgl. Anl. K31), vorgetragen, es seien bislang 2382 Forderungen in Höhe von insgesamt 38.390.111,81 € im Rang des § 38 InsO zur Insolvenztabelle angemeldet. Die bisherigen Einnahmen beliefen sich auf rund 13,5 Mio. €, sodass – ohne Berücksichtigung der Ausgaben – eine Unterdeckung in Höhe von rund 25,0 Mio. € zu verzeichnen sei. Abgesehen davon, dass für die Beurteilung die Umstände zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung maßgeblich sind (BGH, Urteil vom 30. Januar 2018 – II ZR 95/16 –, BGHZ 217, 237-263, Rn. 59 – 60), steht der Kläger dabei – zu Unrecht (vgl. nachfolgend unter 2)) – auf dem Standpunkt, dass auch Auseinandersetzungs- und Schadensersatzansprüche bei Insolvenzeröffnung noch aktiver Genossen als Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO gälten, sodass sie in dem Gesamtbetrag der angemeldeten Forderungen – neben Forderungsanmeldungen von Nichtgenossen und Ansprüchen von vor Insolvenzeröffnung ausgeschiedenen Genossen – beinhaltet sind.Randnummer58

2) Im Insolvenzverfahren der eingetragenen Genossenschaft kann der Genosse weder sein Geschäftsguthaben noch einen etwaigen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung der Aufklärungspflichten als Insolvenzgläubiger beanspruchen. Denn Mitgliedschaftsrechte der Teilhaber einer Gesellschaft begründen im Insolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen keine Insolvenzforderungen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2022 – II ZR 199/20 –, Rn. 13, und Urteil vom 10. Oktober 2017 – II ZR 353/15 –, Rn. 24, jew. juris, zu Forderungen von Kommanditisten auf Auszahlung der Einlage/ Rückzahlung bereits zurückgezahlter Ausschüttungen). Die Einlagen der Gesellschafter bilden den Grundstock des Gesellschaftsvermögens und damit der den Gesellschaftsgläubigern im Insolvenzverfahren der Gesellschaft zugewiesenen Haftungsmasse. Der Gesellschafter oder Genosse bringt das den Gläubigern haftende Kapital mit auf. Mithin kann und darf gemäß § 90 GenG nur das nach Befriedigung aller, auch der nachrangigen Gläubiger verbleibende Vermögen der durch die Verfahrenseröffnung aufgelösten Gesellschaft an die Gesellschafter verteilt werden (vgl. Henckel in: Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2004, § 38 Begriff der Insolvenzgläubiger, Rn. 31; MüKoInsO/Ehricke/Behme, 4. Aufl. 2019, InsO § 38, Rn. 63; BGH, Beschluss vom 30.06.2009 – IX ZA 21/09 -, Rn. 2 zu Aktionären). Nichts anderes gilt für etwaige Ansprüche auf Schadenersatz wegen Verletzung der AufklärungspflichtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Aufklärungspflicht
Verletzung der Aufklärungspflicht
im Zusammenhang mit dem Beitritt, sind sie doch in der Sache auf Rückzahlung geleisteter Einlagen gerichtet. Es wäre widersprüchlich, einerseits zum Schutz genossenschaftsfremder Gläubiger nach den Grundsätzen des fehlerhaften Beitritts zur Gesellschaft/Genossenschaft eine Beitragspflicht ungeachtet einer etwaigen Täuschung zu bejahen, andererseits aber in der Insolvenz darauf gestützte Schadenersatzansprüche von Genossen mit den Forderungen der außenstehenden Gläubiger gleichzustellen und damit zur Verkürzung von deren Haftungsmasse beizutragen. Dies würde dazu führen, dass die zum Schutz Dritter entwickelten Grundsätze der fehlerhaften, in Vollzug gesetzten Gesellschaft ausgehöhlt würden.Randnummer59

Lässt der Kläger solche Forderungen zu, zielt er letztlich darauf ab, auch den Innenausgleich zwischen den Genossen und damit die Vollabwicklung der Genossenschaft vorzunehmen. Gleichzeitig erschüttert er selbst einen etwaigen Anscheinsbeweis dafür, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen.Randnummer60

3) Aus dem Vortrag des Klägers wird nicht ersichtlich, welchen Anteil die Forderungen ausmachen, die keine Insolvenzforderungen sind, und umgekehrt, in welcher Höhe Forderungen echter Insolvenzgläubiger bestehen. Die Höhe der einzelnen Kategorien der zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen hat der Kläger anhand der Forderungsschreiben der Anspruchsteller vorzunehmen und darzulegen, denn dem Beklagten ist es selbst bei Einsichtnahme in die Insolvenztabelle nicht möglich, die erforderliche Differenzierung sachgerecht vorzunehmen und die Auseinandersetzungs- und Schadenersatzansprüche der bei Insolvenzeröffnung noch aktiven Genossen auszusondern.

II.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 ZPO.Randnummer62

2. Die Revision wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Mit der vorliegenden Entscheidung weicht das Gericht in entscheidungserheblicher Weise bezüglich der Frage der Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters in der Insolvenz der Genossenschaft von der Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte (vgl. etwa OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Karlsruhe
, Urteil vom 21.11.2022, – 1 U 45/22 -, n.v.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 7. Dezember 2022 – 4 U 61/22 –, Rn. 44, juris; OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Celle
, Beschluss vom 28.11.2011 – 9 U 70/22 -, n.v., Anl. K70) ab, die diese nicht an den Kapitalbedarf zur Befriedigung echter Insolvenzgläubiger knüpfen.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-Recht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Agrargenossenschaft, Genossenschaft, Genossenschaft Vermögenswert, Genossenschaftsanteil, Genossenschaftsrecht, Innenausgleich Genossen, Kauf von Agrargenossenschaft, Verkauf von Agrargenossenschaft

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LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 10.11.2022 – 1 HK O 7642/21

Donnerstag, 10. November 2022

Wertverlust GenossenschaftsanteilBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Genossenschaftsanteil
Wertverlust
Wertverlust Genossenschaftsanteil

§ 15 UmwG, § 85 Abs 1 UmwG, § 1 SpruchG, § 8 Abs 1 S 1 SpruchG, § 8 Abs 3 SpruchG, § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130a Abs 4 ZPO, § 139 ZPO          

1. Nach dem geltenden Recht ist bei einer Verschmelzung von Genossenschaften eine Zuzahlung bis zum Erreichen des wirtschaftlichen Wertes der Beteiligung nicht vorgesehen. Eine solche Zuzahlung lässt sich auch über eine teleologische oder anderweitige Auslegung der geltenden Normen erreichen. Eine Analogie zur Auflösung der Genossenschaft lässt sich nicht ziehen mangels einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz. Eine Abfindung, die sich am tatsächlichen Wert der Beteiligung orientiert, ist auch im Hinblick des Zwecks einer Genossenschaft nicht geboten.

2. Nach § 85 Abs. 1 UmwG ist bei der Verschmelzung von Genossenschaften miteinander § 15 UmwG nur anzuwenden, wenn und soweit das Geschäftsguthaben eines Mitglieds in der übernehmenden Genossenschaft niedriger als das Geschäftsguthaben in der übertragenden Genossenschaft ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn die Geschäftsguthaben des Antragstellers lauten insgesamt auf den gleichen Betrag. Damit ist nach dem Gesetzeswortlaut für eine Zuzahlung kein Raum.

Tenor

1. Der Antrag des Antragstellers auf Kompensation des behaupteten Wertverlusts seiner beiden Genossenschaftsanteile wird verworfen.

2. Der Antragsteller trägt seine außergerichtlichen Kosten des Verfahrens selbst. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gemeinsamen Vertreters, die Gerichtskosten und ihre außergerichtlichen Kosten.

3. Der Gegenstandswert wird auf 200.000€ festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers ist unzulässig und war dementsprechend zu verwerfen.Randnummer2

1. Dieser Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:Randnummer3

a) Unter dem 01.12.2021 wandte sich der Antragsteller an das Gericht. Er war Mitglied der …. Deren Vertreterversammlung stimmte am 08.06.2021 mehrheitlich für die Verschmelzung mit der bzw. auf die …. Die Eintragung der Verschmelzung erfolgte beim … am 07.09.2021. Parallel wurde die Löschung der … veröffentlicht. Der Antragsteller gehörte der Vertreterversammlung nicht an. Er war einfaches Mitglied der verschmolzenen Genossenschaft und hielt zwei Geschäftsanteile zu je 125€. Neben ihm waren 32.454 Mitlieder an der verschmolzenen Genossenschaft beteiligt. An der Verschmelzung nahm als weitere übergebende Genossenschaft noch die … teil. Nach Namensänderung firmiert die verbleibende Genossenschaft unter dem Namen der Antragsgegnerin. Im Verschmelzungsvertrag wurden als wirtschaftlicher Sitz … und als juristischer Sitz … vereinbart. Die künftige Höhe des einzelnen Geschäftsanteils wurde auf 25,00€ festgesetzt. Dementsprechend wurden die vom Antragsteller einbezahlten Geschäftsguthaben von jeweils 250,00 € umgetauscht je 10 Geschäftsanteile der … zu je 25,00€.Randnummer4

b) Der Antragsteller ist der Ansicht, der Wert seiner beiden Anteile habe sich durch die Fusion verringert. Bei der Verschmelzung habe der innere Wert seiner beiden Geschäftsanteile 2.662,00€ betragen. Nach der Verschmelzung sie dieser auf nur noch 1.599,00€ gesunken. Der innere Wert der Anteile sei bei der Fusion zu Unrecht unberücksichtigt geblieben. Während seiner Mitgliedschaft sei jedes Genossenschaftsmitglied am tatsächlichen Wert des Geschäftsanteils beteiligt. Dieser Wert müsse deshalb ermittelt werden. Die Verschmelzung hätte hierfür Anlass gegeben. Die Voraussetzungen der Regelungen der §§ 15, 85 Abs. 1 UmwG lägen vor. Die Pflicht zur Abfindung der anderen 32.454 Mitglieder ergebe sich aus § 45 der Satzung der … eG. § 73 UmwG, wonach eine Beteiligung ausscheidender Mitglieder am Vermögen der Genossenschaft ausgeschlossen ist, sei vorliegend nicht anwendbar. Der gesetzliche Pflichtzweck jeder Genossenschaft sei die Förderung der eigenen Mitglieder. Der Geschäftszweck der Genossenschaft bestünde seinem Wesen nach nicht in der Erzielung von Gewinnen. Im Fusionsvertrag hätte eine Vereinbarung dahingehend aufgenommen werden müssen, dass die Genossen der aufgelösten Genossenschaft nach dem inneren Wert ihrer Geschäftsanteile ausgezahlt werden. Hilfsweise werde daher der durch das Unterbleiben einer solchen Vereinbarung beim Antragsteller verloren gegangene Wert in Höhe von 1063,00€ als Schadensersatzanspruch geltend gemacht. Im Übrigen läge inzwischen ein Gesetzesentwurf vor, der auch eine Modifikation des § 85 UmwG vorsehe, nach der § 15 UmwG nicht auf Mitglieder einer übernehmenden Genossenschaft anzuwenden sei. Diese geplante Neuregelung zeige, dass der Gesetzgeber derzeit davon ausgeht, dass die Einleitung eines Spruchverfahrens nach § 15 UmwG durch Mitglieder einer übergebenden Genossenschaft jederzeit zulässig sei und auch weiterhin bleiben soll, dass auch im Fall der Verschmelzung von Genossenschaften untereinander die Möglichkeit der Einleitung eines Spruchverfahrens durch die Mitglieder der sich einbringenden Genossenschaften bestünde und deshalb das hier angestrebte Spruchverfahren statthaft sein müsse. Zu klären sei in diesem Verfahren, ob bei einer Fusion der tatsächliche Wert des Mitgliederanteils maßgeblich ist. Die Fusion mehrerer Genossenschaften zu einer gemeinsamen bei gleichzeitiger Löschung von in die Fusion eingebrachten Genossenschaften sei ein Unterfall der Auflösung einer Genossenschaft. Deshalb seien die Regelungen zur Liquidation nicht nur entsprechend, sondern sogar unmittelbar anzuwenden. Auf den Zweck einer Genossenschaft könne, nicht abgestellt werden; denn nahezu jede Fusion werde mit wirtschaftlichen interessen und der Wettbewerbsfähigkeit begründet. Auf den Förderzweck käme es in diesem Zusammenhang nicht an. Zweck jeder Genossenschaft sei es, die interessen der Mitglieder zu fördern. Diese interessen seien vorliegend vom Vorstand und der Vertreterversammlung der Genossenschaft bei der Fusion außer Acht gelassen worden entgegen der Regelung des § 34 Abs. 1 S. 1 GenG. Die Vorstände der Genossenschaft hätten ihre Pflichten verletzt, da sie es unterlassen hätten, die Mitglieder und Vertreter in der Vertreterversammlung der … im Rahmen der Vorbereitung der Fusion über Umstände zutreffend und vollständig zu informieren, die deren mitgliedschaftlichen Vermögensinteressen berührten. Dies folge aus der auch für Genossenschaften geltende Informations- und Treuepflicht. Der Gesetzgeber habe in seinen Erläuterungen zur Bereinigung des Umwandlungsrechts ausdrücklich ausführliche Vorabinformationen der Anteilseigner gefordert. Unter Verheimlichung von Informationen, die mitgliedschaftliche Vermögensinteressen berührten, hätten die Vorstände der … der Vertreterversammlung einen Verschmelzungsvertrag vorgelegt, der die Mitglieder als Anteilseigner massiv benachteilige und von jeglicher Mitwirkung und Willensbildung ausgeschlossen habe. Eine ausführliche Information der Mitglieder sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Die Vorstände hätten eigenmächtig andere Alternativen ausgeschlossen. Die Vertreterversammlung habe deshalb insgesamt ohne vollständige und zutreffende Informationen der Verschmelzung zugestimmt. Die Verschmelzung hätte Anlass geboten, eine Unternehmensbewertung durchzuführen. Ein Umtauschverhältnis von 1:1 der Nominalwerte der eingezahlten Geschäftsguthaben führe stets dazu, dass eine Rechtsform, die den gesetzlichen Pflichtauftrag habe, ausschließlich ihre eigenen Mitglieder zu fördern, dazu missbraucht würde, verfassungsrechtliche Grundrechte der Anteilseigner auszuhebeln. Auch der BGH habe in seinem Urteil Vom 27.04.2009 unter dem Aktenzeichen II ZB 16/08 ausdrücklich klargestellt, dass ein Genossenschaftsmitglied während seiner Mitgliedschaft am tatsächlichen Wert des Geschäftsanteils beteiligt sei. Dies führe automatisch zur Erkenntnis, dass auch bei einer rein genossenschaftlichen Verschmelzung die gleichen Maßstäbe für ein angemessenes Umtauschverhältnis gelten müssen wie für Mischverschmelzungen. Da ihm wesentliche Informationen vorenthalten worden seien, könne man ihm nicht vorhalten, zu wenig im Rahmen der Einwendungen vorgetragen zu haben. Die Verfahrenskosten seien in jedem Fall von der Antragsgegnerin zu tragen. Das Verfahren sei nicht zur Entscheidung reif. Es müsse eine mündliche Verhandlung anberaumt werden. Aus systematischen Gründen und aus Gründen der Billigkeit müsse der im Spruchverfahren geltend zu machende Anspruch nach § 15 Abs. 1 UmwG allen zustehen, denen gem. § 14 UmwG die Klage gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses bei zu niedrig bemessenem Umtauschverhältnis der Anteile verwehrt sei.Randnummer5

c) Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, der Antragsteller verkenne die Bedeutung des § 85 Abs. 1 UmwG. Diese Regelung schlösse eine Verbesserung des Umtauschverhältnisses in der Regel aus. Im Falle der Verschmelzung von zwei Genossenschaften sei eine entsprechende Verbesserung gem. § 85 Abs. 1 UmwG ausschließlich dann vorgesehen, wenn das Geschäftsguthaben eines Mitglieds des übertragenden Rechtsträgers geringer ist als sein Geschäftsguthaben in der übertragenden Genossenschaft. Vorliegend ergebe sich bereits aber aus der Antragsschrift, dass das Geschäftsguthaben des Antragstellers vor und nach der Verschmelzung identisch ist. Sie beantragte deshalb inzwischen, den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen. Der Antrag sei bereits unzulässig, da der Anspruch auf bare Zuzahlung gem. § 15 UmwG, der im Spruchverfahren nach § 1 Nr. 4 SpruchG geltend gemacht werden könne, durch die Regelung des § 85 Abs. 1 UmwG erheblich eingeschränkt sei und hier nicht bestünde. In allen Fällen der Verschmelzung zweier Genossenschaften, die nicht mit einer Verringerung des Geschäftsguthabens beim übernehmenden Rechtsträger verbunden sind, sei der Anspruch gem. § 15 UmwG de lege lata nach einhelliger Auffassung in der Literatur ausgeschlossen. Diese Wirkung entspräche ausweislich der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 01.02.1994 dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers sowie dem Zweck der Vorschrift. Aber selbst bei einer Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 85 Abs. 1, 15 UmwG bestünde allenfalls ein Anspruch auf Ausgleich der Differenz zwischen den beiden Geschäftsguthaben. Zudem fehle es der Antragsschrift an konkreten Einwendungen gegen die ermittelten Unternehmenswerte. Damit seien die Anforderungen des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SpruchG nicht erfüllt. Ferner seien die Wertermittlungen des Antragstellers schlicht willkürlich. Eine analoge Anwendung des SpruchG käme vorliegend trotz der weiten Regelung des § 1 SpruchG nicht in Betracht. Es fehle auch an einer planwidrigen Regelungslücke. Aus der Vorgabe des § 80 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwG zur bloßen Fortschreibung des Geschäftsguthabens beim übernehmenden Rechtsträger in Verbindung mit dem Ausschluss eines Anspruchs auf eine bare Zuzahlung brächte das UmwG zum Ausdruck, dass eine Beteiligung der Mitglieder der übertragenden Genossenschaft an deren „wahren“ Wert im Zuge einer Umwandlung unterbleiben soll. Diese gesetzliche Anordnung werde allgemein als genossenschaftsrechtliches Nominalwertprinzip bezeichnet. Der beschränkte Anwendungsbereich des Anspruchs auf bare Zuzahlung gem. § 85 Abs. 1, 15 UmwG erweise sich somit nur als konsequente Fortschreibung dieses Prinzips. Das Nominalwertprinzip finde seine Rechtfertigung in der gesellschaftsrechtlichen Struktur der Rechtsform der Genossenschaft, die grundsätzlich keine Beteiligung der Mitglieder an dem über das auf die Mitglieder entfallende Geschäftsguthaben hinausgehenden Vermögen der Genossenschaft vorsehe. Dadurch unterscheide sich diese deutlich von der gesellschaftsrechtlichen Struktur einer AG oder GmbH. Der Beitritt zu einer Genossenschaft erfolge immer mit dem Ziel, den jeweiligen Förderzweck der Genossenschaft in Anspruch zu nehmen, aber nicht in der Absicht, an dem von dieser erzielten Gewinn zu partizipieren. Ferner sei die Verkehrsfähigkeit der aus der Mitgliedschaft erwachsenden Vermögensbeteiligung eines Mitglieds an der Genossenschaft aus praktischen und rechtlichen Gründen erheblich eingeschränkt. Das Gesetz sehe bereits keine Übertragung der Mitgliedschaft im Sinne der Übertragung der gesamten Rechtsstellung des Mitglieds vor. § 76 GenG ermögliche lediglich die Übertragung von Geschäftsguthaben. Der Übernehmer eines Geschäftsguthabens müsse die Voraussetzungen für einen Beitritt zur Genossenschaft erfüllen, was insbesondere bedinge, dass der Übernehmer willens und in der Lage sei, vom Förderzweck der Genossenschaft Gebrauch zu machen. Die damit verbundene Reduzierung des Kreises der in Frage kommenden Übernehmer sei auch erheblich, wodurch die Verkehrsfähigkeit der Vermögensbeteiligung in tatsächlicher Hinsicht signifikant eingeschränkt werde. Im Übrigen könne gem. § 76 Abs. 2 S. 1 GenG die Satzung einer Genossenschaft die Übertragung des Geschäftsguthabens vollständig ausschließen oder an weitere Voraussetzungen knüpfen. Der etwaige Übernehmer eines Geschäftsguthabens haben keinen Anlass, sich zur Zahlung eines Betrages an das ausscheidende Mitglied zu verpflichten, der das zu übernehmende Geschäftsguthaben übersteige. Regelmäßig vollziehe sich der Erwerb der Mitgliedschaft durch Begründung einer neuen Mitgliedschaft. Jeder Beitritt erhöhe damit den Gesamtbetrag der Geschäftsguthaben. Auch bei der Beendigung der Mitgliedschaft erhalte das ausscheidende Mitglied die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens, dem wiederum gem. § 73 Abs. 2 S. 2 GenG das Geschäftsguthaben zugrunde liege. Anders als bei der GmbH oder der AG sei bei der Genossenschaft kein festes Gründungskapital vorgeschrieben. Das Kapital der Genossenschaft schwanke laufend mit dem sich verändernden Mitgliederbestand. Auch bei der Bilanzierung käme es nur auf den Betrag der Geschäftsguthaben an. Wegen der schwankenden Zahl der Mitglieder bestünde kein Schutz vor einer Verwässerung der Gewinnbezugsrechte. Nur im Falle der Liquidation der Genossenschaft sei eine unmittelbare Beteiligung der Mitglieder an dem über die Geschäftsguthaben hinausgehenden Vermögen vorgesehen. Zudem seien Neumitglieder nicht verpflichtet, den Verwässerungseffekt den Bestandsmitgliedern auszugleichen. Das Genossenschaftsrecht verfolge mit dem grundsätzlich vorgesehenen Stimmrecht nach Köpfen und nicht nach der Zahl der Anteile (wie bei GmbH und AG) auch nicht das Ziel, einzelnen Mitgliedern in Abhängigkeit von dem auf sie entfallenden Geschäftsguthaben Einfluss auf die Meinungsbildung in der Generalversammlung zu geben. All diese grundsätzlichen Erwägungen gälten auch für die Mitglieder der …. Eine Gleichstellung einer Verschmelzung mit einer Liquidation einer Genossenschaft könne daher nicht erfolgen. Soweit in der vom Antragsteller und dem gemeinsamen Vertreter herangezogenen Literatur Kritik an der geltenden Rechtslage geäußert werde, ändere dies aber eben nichts an dieser. Darüber hinaus bestehe kein Bedürfnis für eine Korrektur des geltenden Rechts. Aber selbst wenn man die Existenz eines Anspruchs des Antragstellers bejahte, bestünde dieser nicht in der geltend gemachten Höhe. So sei der innere Wert des übertragenden Rechtsträgers nicht ausreichend dargelegt. Eine bare Zuzahlung in Höhe von mehr als 10% der gewährten Anteile käme ohnehin nicht in Betracht. Um Übrigen entspräche es der Billigkeit, dem Antragsteller gem. § 15 SpruchG die Tragung der Gerichtskosten aufzuerlegen, da der Antrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet sei. Das vom gemeinsamen Vertreter über eine angebliche teleologische Reduktion des § 85 UmwG erreichte Ergebnis ließe sich lediglich mit einer Abschaffung der Regelung erreichen, die den Rückgriff auf § 15 UmwG ermöglichen würde. Die Auslegung sei auch nicht teleologisch. Eine solche Auslegung setze vielmehr voraus, dass Sachverhalte unter den Wortlaut einer Norm fielen, jedoch vom Normzweck nicht erfasst würden, wobei hinsichtlich des Normzwecks auf die in der Gesetzesbegründung niedergelegte gesetzgeberische Absicht abzustellen sei. Vielmehr sei es eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, die Mitglieder des übertragenden Rechtsträgers nicht an den Rücklagen und dem sonstigen Vermögen des übertragenden Rechtsträgers zu beteiligen. Dies ergebe sich unmittelbar aus den Gesetzesmaterialien. Der vom Antragsteller in Bezug genommene Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vom 20.04.2022 sehe eine Modifikation von § 85 UmwG im Sinne der Argumentation des Antragstellers und des gemeinsamen Vertreters im Übrigen gerade nicht vor. Eine derzeit noch nicht vollzogene Gesetzesänderung wirkte sich auch nicht auf das hiesige Verfahren aus. Die Erholung eines Rechtsgutachtens sei im Hinblick auf die Regelung des Art. 100 GG nicht veranlasst. Wegen der Rechtsnatur der Genossenschaft führe § 85 Abs. 1 UmwG nicht zu einer Grundrechtsverletzung, insbesondere nicht zu einer Verletzung der Eigentumsgarantie. Eine über das Geschäftsguthaben hinausgehende Beteiligung stellte einen reinen „windfall profit“ dar. Dieser sei nicht durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützt. Der Antragsteller und der gemeinsame Vertreter hätten eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für eine Ausgleichszahlung nicht aufzeigen können. Damit sei das Spruchverfahren vorliegend unstatthaft. Die Antragserwiderung sei formgerecht elektronisch eingereicht worden, indem der Schriftsatz signiert und auf einem sicheren Übertragungsweg eingereicht worden sei. Die vom. Antragsteller gegen den Vorstand erhobenen Vorwürfe seien unberechtigt. Bei einer Zustimmung von mehr als 3/4 der Vertreterversammlung könne von einem eigenmächtigen Vorgehen des Vorstands keine Rede sein.Randnummer6

d) Mit Verfügung vom 31.01.2022 wurde Rechtsanwalt … zum gemeinsamen Vertreter der nicht am Verfahren beteiligten Anteilseigner bestellt. Dieser äußerte sich im Wesentlichen zum Antrag des Antragstellers wie folgt: Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens sei die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens, die er angesichts der von ihm vertretenen ca. 32.500 Anteilseigner nicht in Frage stellen könne. Da sich die Antragsgegnerin nicht gegen die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens mit einem entsprechenden Antrag gewehrt habe, ginge sie selbst davon aus, dass es statthaft sei. Weiteres gegensätzliches Vorbringen dürfte präkludiert sein. Es läge eine massive Unterbewertung der … vor. Der Antragsteller wehre sich gegen die regelmäßige Unterbewertung im Rahmen einer Verschmelzung zweier eingetragener Genossenschaften, was den Antrag auch rechtspolitisch bedeutsam mache. Der gemeinsame Vertreter rügt die fehlende elektronische Signatur des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 19.04.2022. Damit fehle die erforderliche Unterschrift, weshalb es sich bei dem so unterbreiteten Vorbringen um ein Nullum handle. Insoweit sei die Antragsgegnerin auch präkludiert. Der Anwendungsbereich des § 1 SpruchG sei vom Wortlaut her nicht eröffnet. Indes handele es sich bei dieser Regelung um keine abschließende. Die Regelung des § 85 UmwG sei im Wege der teleologischen Reduktion eng auszulegen. Die Regelung sei nicht verfassungskonform. Der gemeinsame Vertreter beantragt diesbezüglich die Erholung eines Rechtsgutachtens durch eine Stimme in der aktienrechtlichen Fachliteratur, die § 85 UmsG ausweislich der eigenen Kommentierung eben nicht verfassungsrechtlich unbedenklich einstuft. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin seien die Einwendungen des Antragstellers konkret genug formuliert und vorgetragen. Der Antrag des Antragstellers sei auch begründet. Denn es habe unstrittig keinerlei Unternehmensbewertung stattgefunden. Diese habe nunmehr erstmalig zu erfolgen. Ihr Vorangestellt werden solle aber indes zunächst eine Entscheidung über die Statthaftigkeit des Antrags. Die Antragsgegnerin trage auch die Kosten des gemeinsamen Vertreters.Randnummer7

e) Ergänzend wird auf alle gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und sonstigen Aktenteile Bezug genommen.Randnummer8

2. Vor dem Hintergrund des wechselseitigen, im wesentlichen unstreitigen Sachvortrags der Beteiligten und deren rechtlichen Ausführungen war der Antrag auf Durchführung des Spruchverfahrens als unzulässig zu verwerfen.Randnummer9

a) Die Unzulässigkeit ergibt sich aber nicht daraus, dass die vorliegende Konstellation in § 1 SpruchG nicht genannt ist. Denn die Aufzählung in § 1 SpruchG ist nicht abschließend und auch nicht vollständig (vgl. Mennicke in: Lutter, Umwandlungsgesetz, 6. Aufl. 2019, § 1 SpruchG Rn. 1).Randnummer10

b) Die Unzulässigkeit ergibt sich vielmehr hier daraus, dass nach dem geltenden Recht für die vorliegende Verschmelzung der Genossenschaften auf die Antragsgegnerin eine Zuzahlung bis zum Erreichen des wirtschaftlichen Wertes der Beteiligung gerade nicht vorgesehen ist. Eine solche Zuzahlung lässt sich auch über eine teleologische oder anderweitige Auslegung der geltenden Normen erreichen. Eine Analogie zur Auflösung der Genossenschaft lässt sich vorliegend ebenfalls nicht ziehen mangels einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz. Eine Abfindung, die sich am tatsächlichen Wert der Beteiligung orientiert, ist auch im Hinblick des Zwecks einer Genossenschaft nicht geboten.Randnummer11

aa) Das geltende Recht sieht eine Zuzahlung, wie sie der Antragsteller begehrt, gerade nicht vor. Maßgeblich sind insoweit die Regelungen der §§ 15, 85 UmwG. Gem. § 15 Abs. 1 UmwG kann dann, wenn das Umtauschverhältnis der Anteile zu niedrig bemessen oder die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger kein ausreichender Gegenwert für den Anteil oder die Mitgliedschaft bei einem übertragenden Rechtsträger ist, jeder Anteilsinhaber dieses übertragenden Rechtsträgers, dessen Recht, gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses Klage zu erheben, nach § 14 Abs. 2 UmwG ausgeschlossen ist, von dem übernehmenden Rechtsträger einen Ausgleich durch bare Zuzahlung verlangen; die Zuzahlungen können den zehnten Teil des auf die gewährten Anteile entfallenden Betrags des Grund- oder Stammkapitals übersteigen. Die angemessene Zuzahlung wird auf Antrag durch das Gericht nach den Vorschriften des SpruchG bestimmt. Nach § 85 Abs. 1 UmwG ist bei der Verschmelzung von Genossenschaften miteinander § 15 UmwG aber nur anzuwenden, wenn und soweit das Geschäftsguthaben eines Mitglieds in der übernehmenden Genossenschaft niedriger als das Geschäftsguthaben in der übertragenden Genossenschaft ist. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall. Denn die Geschäftsguthaben des Antragstellers lauten insgesamt auf den gleichen Betrag. Damit ist nach dem Gesetzeswortlaut für eine Zuzahlung kein Raum.Randnummer12

bb) Auch im Wege einer teleologischen oder anderweitigen Auslegung der einschlägigen Normen lässt sich keine Möglichkeit begründen, eine Zuzahlung zu prüfen.Randnummer13

(1) Unter der ratio legis versteht man den Zweck einer Regelung, ihren Sinn als Teil einer gerechten und zweckmäßigen Ordnung. Der BGH verwendet die Formel, eine Vorschrift sei nach Sinn und Zweck des Gesetzes auszulegen. In der teleologischen Methode kommt die Bindung des Richters an die Gerechtigkeit zum Ausdruck, in deren Dienst ja auch das positive Gesetz steht. Daher soll es so angewendet werden, wie diese letzte Zwecksetzung des Rechtes es erfordert. Die ratio legis kann bestimmt werden subjektiv nach den Ansichten des historischen Gesetzgebers oder objektiv aus allgemeinen Zweck- und Gerechtigkeitserwägungen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass man davon ausgehen müsse, dass das Gesetz etwas Vernünftiges gewollt hat, oder wie das Reichsgericht es einmal formuliert hat: „Ein allgemeiner Grundsatz der Auslegung ist auch, dass im Zweifel der Gesetzgeber eine nützliche, nicht schädliche Vorschrift hat aufstellen wollen. Die ratio legis wird in der Praxis in der Weise berücksichtigt, dass die praktischen Konsequenzen einer bestimmten Auslegung herausgearbeitet werden und an dem festgestellten Normzweck und der Gerechtigkeit gemessen werden. Es wird geprüft, ob das Ergebnis befriedigend ist. Mit der teleologischen Auslegung nach der ratio legis, insbesondere mit dem Gedanken, dass dem Gesetz eine innere vernünftige Ordnung entnommen werden muss, hängt das sogenannte argumentum ad absurdum zusammen. Bei diesem Argument wird gezeigt, dass ein bestimmtes Auslegungsergebnis nicht als Bestandteil einer sinnvollen Ordnung verstanden werden kann. Ein solches argumentum a consequentiis begegnet z. B. in BGHZ 56, 163, 171, wo der BGH bemerkt: „Daraus ergibt sich zugleich, dass die vom Berufungsgericht und einem Teil des Schrifttums vertretene Auffassung zu unhaltbaren Ergebnissen führt.“ Ziel der Auslegung (im engeren Sinn) muss es sein, die Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte zu erfassen, die einer gesetzlichen Regelung zugrunde liegen. Es gilt also der Primat der teleologischen Methode. Hilfsmittel auf diesem Wege sind aber die übrigen Methoden: die sprachlich-grammatische, die logisch-systematische, die historisch-genetische, gegebenenfalls die vergleichende. Ist die ratio der Norm ermittelt, so muss sie zur Grundlage ihrer Anwendung gemacht werden. Die logisch-systematische Subsumtion des Falles unter die Norm ist nur ein erster Schritt; entscheidend immer der Rückgriff auf zugrunde liegende Wertung (vgl. Staudinger/Honsell (2018) Einleitung BGB Rn. 148ff. m. w. N.).Randnummer14

(2) In Anwendung dieser grundsätzlichen Erwägung kommt eine Auslegung im Sinne des Antragstellers nur in Betracht, wenn der Zweck der einschlägigen genossenschaftlichen Regelungen die begehrte Zuzahlung rechtfertigen kann und die Verweigerung der Zuzahlung ein unhaltbares Ergebnis wäre. Maßgeblich sind insoweit zunächst die Regelungen der §§ 15, 85 UmwG. Gem. § 15 kann dann, wenn das Umtauschverhältnis der Anteile zu niedrig bemessen oder ist die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger kein ausreichender Gegenwert für den Anteil oder die Mitgliedschaft bei einem übertragenden Rechtsträger ist, jeder Anteilsinhaber dieses übertragenden Rechtsträgers, dessen Recht, gegen die Wirksamkeit des Verschmelzungsbeschlusses Klage zu erheben, nach § 14 Abs. 2 UmwG ausgeschlossen ist, von dem übernehmenden Rechtsträger einen Ausgleich durch bare Zuzahlung verlangen; die Zuzahlungen können den zehnten Teil des auf die gewährten Anteile entfallenden Betrags des Grund- oder Stammkapitals übersteigen. Die angemessene Zuzahlung wird auf Antrag durch das Gericht nach den Vorschriften des SpruchG bestimmt. § 15 Abs. 1 UmwG gewährt den Anteilsinhabern eines übertragenden Rechtsträgers damit die Möglichkeit, einen Anspruch auf bare Zuzahlung wegen Unangemessenheit des Umtauschverhältnisses in einem gesonderten Spruchverfahren geltend zu machen. Die Regelung stellt das notwendige Pendant zu § 14 Abs. 2 UmwG dar, wonach diese Anteilsinhaber im Rahmen von Unwirksamkeitsklagen gegen den Verschmelzungsbeschluss nicht die Rüge des unangemessenen Umtauschverhältnisses erheben können (Decher in: Lutter, Umwandlungsgesetz, 6. Aufl. 2019, § 15 UmwG Rn. 1). § 85 Abs. 1 UmwG macht von diesem Grundsatz ausdrücklich eine Ausnahme für Genossenschaften. Danach ist § 15 UmwG bei der Verschmelzung von Genossenschaften miteinander nur anzuwenden, wenn und soweit das Geschäftsguthaben eines Mitglieds in der übernehmenden Genossenschaft niedriger als das Geschäftsguthaben in der übertragenden Genossenschaft ist. Wie sich aus der Begründung des entsprechenden Gesetzesentwurfs zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 01.02.1994 ergibt, war diese Ausnahme eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers:Randnummer15

„Die Erfüllung des Nachbesserungsanspruchs nach § 15 kann bei der Verschmelzung von Genossenschaften dazu führen, daß dem Genossen aus Anlaß der Verschmelzung eine Beteiligung an den Rücklagen und dem sonstigen Vermögen der übertragenden Genossenschaft zuwächst, die er nicht hätte, wenn er aus der Genossenschaft ausschiede (durch Kündigung gemäß den §§ 93 k ff. GenG oder durch Ausschlagung gemäß den §§ 90 ff. des Entwurfs – vgl. § 93m Abs. 1 Satz 3 GenG, § 93 Abs. 2 des Entwurfs), und die er auch bisher nicht hatte. Deshalb soll der Nachbesserungsanspruch für die rein genossenschaftliche Verschmelzung auf den Fall begrenzt werden, daß nach dem Verschmelzungsvertrag dem Genossen bei der übernehmenden Genossenschaft ein geringeres Geschäftsguthaben zustehen soll als bei der übertragenden Genossenschaft. Dadurch wird zugleich eine Abschmelzung des Eigenkapitals der Genossenschaft vermieden“ (S. 101 BT-Drs 12/6699).Randnummer16

Ausdrückliches Ziel der Regelung ist es damit, das Mitglied durch die Verschmelzung keinen Sondervorteil aus seiner Beteiligung an der Genossenschaft ziehen zu lassen, den es ansonsten nicht hätte.Randnummer17

(3) Auch der aktuelle Referentenentwurf zum Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie zeigt, dass der Gesetzgeber an der bisherigen Gestaltung trotz der Kritik an der Regelung des § 85 Abs. 1 UmwG in der Kommentarliteratur festhalten will. § 85 UmwG soll zwar geändert werden. Diese Änderung soll aber bei Beibehaltung der bisherigen Regelungen den bisherigen Absätzen 1 und 2 einen neuen Absatz 1 voranstellen, nach dem § 15 UmwG nicht anzuwenden sein soll auf die Mitglieder der übernehmenden Genossenschaft. Zur Begründung heißt es wörtlich wie folgt:Randnummer18

„Mit § 85 Absatz 1 UmwG-E wird den Absätzen 1 und 2 von § 85 UmwG gegenwärtiger Rechtslage ein neuer Absatz vorangestellt. § 85 Absatz 1 UmwG-E schließt den Anspruch auf bare Zuzahlung und dessen Durchsetzung im Spruchverfahren gemäß § 15 UmwG-E für die Mitglieder der übernehmenden Genossenschaft aus. Eine Erstreckung auf die Mitglieder einer übernehmenden Genossenschaft wäre nicht sachgerecht, da ihnen keine Beteiligung am Kapital der Genossenschaft, sondern nur ein Geschäftsguthaben zusteht. Das Geschäftsguthaben der Mitglieder der übernehmenden Genossenschaft wird durch die Verschmelzung nicht verändert. Der neue § 85 Absatz 1 UmwG-E soll – im Gegensatz zu § 85 Absatz 1 UmwG gegenwärtiger Rechtslage – nicht auf Verschmelzungen von Genossenschaften miteinander beschränkt sein, sondern auch auf die Verschmelzung von Rechtsträgern anderer Rechtsform auf eine Genossenschaft Anwendung finden.Randnummer19

Die geänderte Nummerierung der Absätze 1 und 2 ist eine redaktionelle Folgeänderung zur Einfügung des neuen Absatz 1. Inhaltliche Änderungen der bisherigen Bestimmungen ergeben sich daraus nicht.“Randnummer20

Dies belegt, dass der Gesetzgeber nichts an seiner Wertung ändern möchte. Er will sie vielmehr auch auf die Mitglieder der übernehmenden Genossenschaft erstrecken und behält das Geschäftsguthaben als entscheidendes Kriterium bei. Auf den wirtschaftlichen Wert der Beteiligung soll es weiterhin nicht ankommen. Insoweit liegt auch die für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke ersichtlich nicht vor.Randnummer21

(4) Dieses Ergebnis stellt sich gerade vom Wesen der Genossenschaft als nicht unhaltbar dar. Genossenschaften sind Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (§ 1 Abs. 1 GenG). Das Gesetz sieht dabei keine einzige Regelung zur Übertragung von GeschäftsanteilenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Übertragung
Übertragung von Geschäftsanteilen
im Ganzen vor. Anders verhält es sich im Aktiengesetz und im Recht der GmbH (vgl. z. B. § 15 Abs. 1 GmbHG). In diesen Rechtsformen ist die Übertragung von Anteilen bzw. deren Übertragbarkeit selbstverständlich. Die Satzung der verschmolzenen Genossenschaft sah demgegenüber die Übertragbarkeit der Mitgliedschaft ausdrücklich vor. Gem. § 3 der Satzung konnten u. a. natürliche Personen die Mitgliedschaft erwerben. Nach § 6 Abs. 1 der Satzung kann ein Mitglied jederzeit sein Geschäftsguthaben durch schriftlichen Vertrag einem anderen übertragen. Es scheidet hierdurch ohne Auseinandersetzung aus der Genossenschaft aus. Damit korrespondiert die Regelung des § 10 Abs. 1 S. 2 der Satzung. Danach ist im Fall der Übertragung des Geschäftsguthabens eine Auseinandersetzung ausgeschlossen. Ansonsten hat das ausscheidende Mitglied einen Anspruch auf Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens. Wie sich dieses zusammensetzt, lässt die Satzung offen. Maßgeblich sind damit die gesetzlichen Regelungen des Genossenschaftsgesetzes. Gem. § 73 Abs. 2 GenG vollzieht sich die Auseinandersetzung wie folgt: „Die Auseinandersetzung erfolgt unter Zugrundelegung der Bilanz. Das Geschäftsguthaben des Mitglieds ist vorbehaltlich des § 73 Abs 4 GenG und des § 8a Abs. 2 GenG binnen sechs Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft auszuzahlen. Auf die Rücklagen und das sonstige Vermögen der Genossenschaft hat das Mitglied vorbehaltlich des § 73 Abs. 3 GenG keinen Anspruch. Nach der letztgenannten Regelung kann die Satzung Mitgliedern, die ihren Geschäftsanteil voll eingezahlt haben, für den Fall der Beendigung der Mitgliedschaft einen Anspruch auf Auszahlung eines Anteils an einer zu diesem Zweck aus dem Jahresüberschuss zu bildenden Ergebnisrücklage einräumen. Die Satzung kann diesen Anspruch von einer Mindestdauer der Mitgliedschaft abhängig machen sowie weitere Erfordernisse aufstellen und Beschränkungen des Anspruchs vorsehen. Solche Regelungen enthält die Satzung der verschmolzenen Genossenschaft jedoch gerade nicht. Damit verbleibt es bei den gesetzlichen Regelungen. Danach beträgt das Auseinandersetzungsguthaben die Höhe des Geschäftsguthabens abzüglich etwaiger Verlustbeteiligungen (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 10. Dezember 2003, Az.: 12 U 1209/03 Rn. 19, zitiert nach juris). Eine Abbildung des tatsächlichen Werts der Beteiligung bezogen auf den Wert des Unternehmens erfolgt dementsprechend gerade nicht. Damit korrespondiert die Satzung mit der Regelung des § 85 Abs. 1 UmwG. Maßgeblich ist allein die Höhe des Geschäftsguthabens und eben nicht der tatsächliche Wert der Genossenschaft heruntergebrochen auf den einzelnen Anteil.Randnummer22

(5) Dass dies für die Liquidation in § 91 GenG anders geregelt ist, bietet keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Bei der Liquidation geht es um die Beendigung der Genossenschaft und ihre Beseitigung als juristische Person. Verbleibt in ihrem Rahmen ein Vermögen, ist es nur logisch, dieses auf die Anteilseigner nach Köpfen (vgl. § 91 Abs. 2 GenG) oder einem anderen, in der Satzung verankerten Schlüssel (vgl. § 91 Abs. 3 GenG) zu verteilen. Es gibt ja sonst niemanden, auf den das Vermögen verteilt werden könnte. Dabei kann – entgegen der Auffassung des Antragstellers und gemeinsamen Vertreters – die Liquidation nicht mit der Verschmelzung gleichgesetzt werden. Das Endergebnis der Liquidation ist die rückstandslose Auflösung der Genossenschaft. Im Falle der Verschmelzung lebt diese aber mit der eingebrachten Substanz in der Genossenschaft weiter, auf die sie verschmolzen wurde. Vor diesem Hintergrund verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 85 Abs. 1 UmwG. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich daher der Antrag des Antragstellers als unzulässig.Randnummer23

(6) Die Kammer hegt dabei keine Bedenken hinsichtlich einer etwaigen Verfassungswidrigkeit dieser Regelung und sieht daher von einer Vorlage gem. Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht als nicht veranlasst ab. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der Antragsteller wie jedes andere Mitglied der verschmolzenen Genossenschaft schon beim Erwerb der Mitgliedschaft anhand der Satzung ersehen konnte, dass im Falle der Übertragung von Anteilen und Mitgliedschaft das Geschäftsguthaben die maßgebliche Grundlage für die Ermittlung des Auszahlungsbetrages an das Mitglied ist und es insoweit gerade nicht auf den „wahren“ Wert der Genossenschaft ankommt.Randnummer24

c) Ein der hiesigen Entscheidung vorgeschalteter Hinweis zur Unzulässigkeit des Antrags auf Durchführung des Spruchverfahrens war trotz einer entsprechenden Bitte des Antragstellers nicht veranlasst.Randnummer25

aa) In seinem Schriftsatz vom 27.05.2022 äußerte sich der Antragsteller dahingehend, dass er „angesichts der bisherigen Hinweise und der bisherigen prozessleitenden Schritte des Gerichts“ davon ausgeht, dass das Gericht „keine Zweifel an der Statthaftigkeit und Zulässigkeit“ seines Antrags hat. Für den Fall, dass das Gericht entgegen seinen bisherigen Einschätzungen doch Bedenken an der „Statthaftigkeit und/oder Zulässigkeit“ seines Antrags haben sollte, bittet der Antragsteller um einen entsprechenden richterlichen Hinweis und um die Einräumung einer entsprechenden Frist zu ergänzender Stellungnahme.Randnummer26

bb) Das Gericht hat bislang keine Hinweise zur Zulässigkeit des Antrags des Antragstellers erteilt. Die bisherigen prozessierenden Schritte entsprechen dem üblichen Verfahren nach dem Eingang eines Antrags auf Durchführung eines Spruchverfahrens und sagen über die Statthaftigkeit des Antrags als eine Voraussetzung dessen Zulässigkeit nichts aus.Randnummer27

cc) Gem. § 7 Abs. 5 SpruchG kann das Gericht den Beteiligten die Ergänzung oder Erläuterung ihres schriftlichen Vorbringens sowie die Vorlage von Aufzeichnungen aufgeben, insbesondere eine Frist zur Erklärung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte setzen. In jeder Lage des Verfahrens ist darauf hinzuwirken, dass sich die Beteiligten rechtzeitig und vollständig erklären. Darüber hinaus ergibt sich aus der Regelung des § 8 Abs. 3 SpruchG die entsprechende Anwendbarkeit des § 139 ZPO. Gem. § 139 Abs. 2 ZPO darf das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien. Die über die Erörterung nach § 139 Abs. 1 ZPO hinausgehende Pflicht zum konkreten Hinweis auf entscheidungserhebliche Gesichtspunkte dient vor allem der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisiert damit den Anspruch auf rechtliches Gehör, übersteigt aber die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen. Sie erstreckt sich auf rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte und entfällt, wenn nur eine Nebenforderung betroffen ist. Eine Hinweispflicht wird dabei aber nur ausgelöst, wenn eine Partei einen Gesichtspunkt oder dessen Bedeutung übersehen hat zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung oder wenn das Gericht in seiner Beurteilung von der der Parteien abweicht. Bei einer zwischen diesen streitigen Frage muss das Gericht dagegen nicht nach § 139 Abs. 2 ZPO kundtun, welcher Partei es in der Beurteilung zu folgen gedenkt (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 139 Rn. 8).Randnummer28

dd) Die Frage der Statthaftigkeit des Spruchverfahrens ist in den Schriftsätzen aller Beteiligter letztlich der Schlüssel zur Endentscheidung mit oder ohne Unternehmensbewertung. Es wurden ersichtlich alle denkbaren Argumente wechselseitig ausgetauscht. Beide Seiten sind sich darüber im Klaren, dass die Entscheidung des Gerichts so oder so ausfallen kann bzw. wird. In einer derartigen Situation das Gericht verpflichtet zu sehen, seine Meinung vorab bekanntzugeben, um Gelegenheit zu geben, weiter ergänzend vorzutragen, um dessen Auffassung vielleicht doch noch zu revidieren, findet damit keine prozessrechtliche Stütze. Dementsprechend bestand vorliegend trotz der Bitte des Antragstellers weder Pflicht noch Anlass für das Gericht, seine Einschätzung vorab mitzuteilen. Aus Sicht der Antragsgegnerin hätte eine solche Vorabmitteilung eher Zweifel an der Neutralität des Gerichts gesät.Randnummer29

d) Die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung war vorliegend ebenfalls nicht erforderlich.Randnummer30

aa) Gem. § 8 Abs. 1 S. 1 SpruchG soll das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden. § 8 Abs. 1 Satz 1 SpruchG schreibt eine mündliche Verhandlung damit nicht zwingend vor, macht sie jedoch zur Regel. Davon abzuweichen, kommt nach dem Gesetzeszweck nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es keine Fragen gibt, deren Erörterung mit den Parteien oder dem sachverständigen Prüfer sinnvoll ist. Das ist bei (offensichtlich) unzulässigen Anträgen der Fall, sonst aber schwer vorstellbar (vgl. Mennicke in: Lutter, Umwandlungsgesetz, 6. Aufl. 2019, § 8 SpruchG Rn. 2).Randnummer31

bb) Vorliegend hat das Gericht den Antrag als unzulässig eingestuft. Zwar ist diese Unzulässigkeit nicht offensichtlich, hängt sie doch von der bislang – soweit ersichtlich – noch nicht richterlich entschiedenen Frage ab, ob bei einer Verschmelzung zweier Genossenschaften das Mitglied der übergebenden Genossenschaft an deren wahren Wert zu beteiligen ist. Von einer Erörterung dieser Frage in einem Termin sind aber keinerlei neue Erkenntnisse zu erwarten, die für die Entscheidung über den Antrag des Antragstellers relevant sein können. In tatsächlicher Hinsicht strittig zwischen den Parteien sind etwaige falsche und unzureichende Informationen der Vertreterversammlung bzw. der Mitglieder der Genossenschaft und damit verbundene etwaige Pflichtverletzungen deren Vorstands. Diese Punkte sind jedoch für die hiesige Entscheidung nicht relevant und damit entscheidungsunerheblich. Der wechselseitige Sachvortrag zu der oben formulierten Frage ist demgegenüber unstrittig, sondern wird „nur“ rechtlich kontrovers beurteilt. Eine mündliche Verhandlung erschöpfte sich damit insoweit in einer mündlichen Wiederholung der schriftsätzlich bereits umfangreich ausgetauschten Argumente und bot damit keinen Mehrwert für die zu treffende Entscheidung. Auch eine gütliche Einigung in einem Vergleichsgespräch ist vorliegend ersichtlich ausgeschlossen, geht es dem Antragsteller und dem gemeinsamen Vertreter doch (auch) um eine grundsätzliche Klärung der hier entschiedenen Rechtsfrage.Randnummer32

e) Die vom gemeinsamen Vertreter beantrage Erholung eines Rechtsgutachtens kam nicht in Betracht, erst recht nicht durch den vorgeschlagenen Sachverständigen, bei dem nicht zu erwarten ist, dass er nach einer unvoreingenommenen und neutralen Prüfung zu einem von seiner eigenen Kommentierung abweichenden Ergebnis kommt. Die Einholung eines Rechtsgutachtens durch das Gericht zu in Deutschland geltenden, deutschen Rechtsnormen ist dem gerichtlichen Sachverständigenbeweis wesensfremd. Der Sinn und Zweck des Sachverständigenbeweises besteht darin, dass der Sachverständige als Gehilfe des Richters seine besondere Sachkunde zur Verfügung stellt, um aus bestimmten Tatsachen konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen, Kenntnisse von Erfahrungssätzen zu vermitteln oder mit besonderem Fachwissen Tatsachen festzustellen, und dadurch die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts zu erweitern. Für Rechtsfragen lautet der Grundsatz des deutschen Rechtes dagegen „iura novit curia“, also dass der Richter das Recht kennen (bzw. selbständig feststellen), auslegen und anwenden muss. Die Rechtsermittlung obliegt dem Richter selbständig und in vollem Umfange, soweit der Grundsatz des „iura novit curia“ gilt, insbesondere in dem weiten Bereich des deutschen Gesetzesrechts. Dies bedeutet für das Gericht im Einzelnen, dass es entweder die genaue Kenntnis vom anzuwendenden Recht hat oder dass es dieses Recht ermitteln muss, sei es durch Studium von Literatur und Rechtsprechung oder durch Informationen von Kollegen, wissenschaftlichen Mitarbeitern oder anderen Fachleuten. Diese Art der richterlichen Information über die Rechtslage ist ein interner Vorgang und hat keinerlei Verbindung zu einem Beweisverfahren. Die Kenntnis des allgemein gültigen, in Deutschland geltenden deutschen Rechts und auch des gemäß Art. 25 bzw. Art. 59 Absatz 2 GG transformierten Völkerrechts sowie des Rechts der EU wird vom deutschen Richter dabei bedingungslos gefordert. Soweit ein Gericht zur Beurteilung inländischen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt, liegt deshalb eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 8 Gerichtskostengesetz (GKG) vor, weil die Anwendung inländischen Rechts originäre richterliche Aufgabe ist, die einem Sachverständigen nicht überlassen werden darf. Ein Sachverständigengutachten im gerichtlichen Verfahren ist ein Beweismittel zur Feststellung von Tatsachen, nicht zur Feststellung der Rechtslage. Der Sachverständige hat nicht die Aufgabe, den entscheidungserheblichen Prozessstoff zusammenzustellen, zu ordnen oder in rechtlicher Hinsicht zu bewerten. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine Beweisaufnahme nur über streitige Tatsachen, nicht aber Rechtsnormen durchzuführen ist, sieht das Gesetz nur in § 293 ZPO bezüglich der Feststellung ausländischen Rechts, Gewohnheitsrechts oder von Statuten vor. Für die Auslegung inländischen Rechts gilt dies nicht, auch wenn es sich um komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge handelt. Auch der Umstand, dass sich eine Materie zum „Spezialgebiet“ entwickelt hat, ist kein Grund, ein Gutachten einzuholen (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.03.2021, Az.: L 7 KO 7/18 (KR) Rn. 38 mit zahlreichen weiteren Nachweisen, zitiert nach juris).Randnummer33

f) Die Antragsgegnerin ist auch nicht wegen einer fehlenden Signatur der Antragserwiderung nicht mit ihrem Sach- und erst recht nicht mit ihrem Rechtsvortrag präkludiert. Vielmehr hat sie ihre Antragserwiderung ordnungsgemäß bei Gericht eingereicht.Randnummer34

aa) Maßgeblich sind insoweit die Regelungen der §§ 17 Abs. 1 SpruchG, 14 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 130a ZPO. Hinsichtlich der Übermittlung von Dokumenten im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs enthalten das SpruchG und das FamFG keine besonderen eigenen Regelungen. Gem. § 17 Abs. 1 SpruchG finden, sofern im SpruchG nichts anderes bestimmt ist, auf das Verfahren die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Anwendung. Gem. § 14 Abs. 2 FamFG können Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter als elektronisches Dokument übermittelt werden. Für das elektronische Dokument gelten dabei § 130a ZPO der Zivilprozessordnung, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. Nach § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.Randnummer35

Was sichere Übermittlungswege sind, ergibt sich aus § 130a Abs. 4 ZPO. Gem. Nr. 2 dieser Regelung gehört dazu der Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31a BRAO oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts.Randnummer36

bb) Wie sich aus dem Prüfvermerk zur Übermittlung des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 19.04.2022 (Bl. 67 d. A.) ergibt, wurde dieser nicht qualifiziert signiert übermittelt, sondern ging am 19.04.2022 um 16:34:59 Uhr beim … ein. Versendet wurde er aus dem besonderen Anwaltpostfach des Vertreters der Antragsgegnerin, Rechtsanwalt …. Unter „Angaben zur Nachricht“ ist der sichere Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach ausdrücklich bestätigt. Nachdem der Name des Vertreters der Antragsgegnerin am Ende des Schriftsatzes wiedergegeben ist, liegt die weiter erforderliche einfache Signatur auch vor (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 130a Rn 9). Vor diesem Hintergrund sind die Voraussetzungen des § 130a ZPO erfüllt, was jedwede Präklusion von Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 19.04.2022 ausschließt.Randnummer37

g) Soweit der Antragsteller ausführt, dass „hilfsweise der … beim Antragsteller verloren gegangene Wert in Höhe von 1.063,00 Euro als Schadensersatzanspruch geltend gemacht“ wird, war eine Entscheidung nicht veranlasst.Randnummer38

aa) Das Begehren des Antragstellers ist auf die Durchführung eines Spruchverfahrens gerichtet. Dies ergibt sich aus dem Begleitschreiben des Antragstellers zur Antragsschrift vom 01.12.2021 (Bl. 1 d. A.) und aus der Überschrift der Antragsschrift, die im Fettdruck lautet wie folgt: „Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 15 Abs. 1 S. 2, 85 UmwG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SpruchG“. Als förmlichen Antrag wird sodann gebeten, dass der Antragsgegner an den Antragsteller zur Kompensation des durch die Fusion entstandenen Wertverlustes seiner beiden Genossenschaftsanteile einen Betrag in Höhe von 1.063,00 € zahlt. Auf Seite 5 seiner Antragsschrift stellt der Antragsteller klar, dass er eine Unternehmensbewertung möchte und die Höhe des Ausgleichs in das Ermessen des Gerichts stellt. Ein konkretes Zahlungsbegehren unterbreitet er damit dem Gericht nicht.Randnummer39

bb) Die oben zitierte Formulierung zur hilfsweisen Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs ist nicht als förmlicher Hilfsantrag zum „Hauptantrag“ zu sehen. Zum einen erfolgt insoweit keine förmliche oder ausdrückliche Antragstellung. Zum anderen wäre eine solche hilfsweise erhobene Zahlungsklage unzulässig. Das Spruchverfahren ist in seinem Anwendungsbereich der ausschließliche Rechtsbehelf zur Bestimmung von Ausgleich, Abfindung und Zuzahlung. Eine andere Form der gerichtlichen Bestimmung – insbesondere im Rahmen einer Klage auf Zahlung eines die ursprünglich festgesetzte Abfindung bzw. den ursprünglich festgesetzten Ausgleich übersteigenden Betrages – ist also ausgeschlossen. Solange das Spruchverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, wäre eine solche Zahlungsklage nach § 148 ZPO auszusetzen (vgl. Mennicke in: Lutter, Umwandlungsgesetz, 6. Aufl. 2019, § 1 SpruchG Rn. 18 m. w. N.). Ein solcher – rechtskräftiger – Abschluss des Spruchverfahrens liegt aber hier nicht vor. Es ist sicher im Sinne der Erfüllung der prozessualen Fürsorgepflicht, bei entsprechender Möglichkeit einen unzulässigen Antrag oder Rechtsbehelf in einen zulässigen umzudeuten. Es widerspräche indes dieser Pflicht, einen nicht eindeutig gestellten „Antrag“ in einen unzulässigen umzuinterpretieren.Randnummer40

cc) Etwaige Pflichtverletzungen des Vorstands bei der Information der Vertreterversammlung und der Mitglieder waren vor diesem Hintergrund nicht zu prüfen. Eine Unternehmensbewertung war nicht durchzuführen. Diese wäre nur bei einem zulässigen Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens veranlasst gewesen.Randnummer41

3. Die Nebenentscheidungen ergeben sich wie folgt:Randnummer42

a) Die Entscheidung über die Kosten richtet sich nach § 15 Abs. 1 SpruchG. Der Antragsteller trägt seine außergerichtlichen Kosten, auch die notwendigen, selbst. Die grundsätzliche Aufbürdung dieses begrenzten Kostenrisikos soll vor einer übereilten oder mutwilligen Antragstellung abhalten (Klöcker/Wittgens in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 15 SpruchG Rn. 17). Die Kosten des gemeinsamen Vertreters trägt die Antragsgegnerin gem. § 6 Abs. 2 SpruchG wie auch die Gerichtskosten (§ 23 Nr. 14 GNotKG) und ihre außergerichtlichen Kosten. Eine Billigkeitsentscheidung dahingehend, dass abweichend von der getroffenen Entscheidung auch der Antragsteller an den Kosten der Antragsgegnerin oder den Gerichtskosten wenigstens teilweise beteiligt wird, war vorliegend nicht veranlasst; denn dies käme nur in Betracht bei aus ex-ante-Sicht offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Anträgen (vgl. Klöcker/Wittgens in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 15 SpruchG Rn. 11). Wie bereits ausgeführt ist eine derartige offensichtliche Unzulässigkeit des Antrags des Antragstellers indes vorliegend nicht festzustellen. Vielmehr gibt es zu der im Antrag letztlich aufgeworfenen Frage, ob bei einer Verschmelzung zweier Genossenschaften das Mitglied der übergebenden Genossenschaft an deren wahren Wert zu beteiligen ist, soweit ersichtlich keine Rechtsprechung, demgegenüber aber kritische Literatur, die eine solche Beteiligung für verfassungsrechtlich geboten hält. Vor diesem Hintergrund blieb für eine abweichende Billigkeitsentscheidung nicht der dafür erforderliche Raum.Randnummer43

b) Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 74 Abs. 1 GNotKG.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-Recht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Agrarbetrieb, Agrargenossenschaft, Agrarunternehmen, fehlerhafte Genossenschaft, Genossenschaft, Genossenschaft Vermögenswert, Genossenschaftsanteil, Genossenschaftsrecht, Innenausgleich Genossen, Kauf von Agrargenossenschaft, Verkauf von Agrargenossenschaft, Wertverlust Genossenschaftsanteil

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LG Hannover, Urteil vom 12.10.2022 – 23 O 63/21

Mittwoch, 12. Oktober 2022

Informationsrechte AktG §§ 118 ff

Informationsrechte in Hauptversammlung der Volkswagen AG

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Nebenintervenienten zu 2. tragen die Kläger. Der Nebenintervenient zu 1. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Kläger und der Nebenintervenient zu 1 machen die Nichtigkeit/Anfechtbarkeit der in der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 gefassten Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 (der Kläger zu 2 und der Nebenintervenient zu 1 darüber hinaus zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4) geltend.

A.

Die Beklagte, eine im Handelsregister des Amtsgerichts …unter HRB … eingetragene börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in …, berief am 14. Juni 2021 durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger ihre ordentliche Hauptversammlung 2021 für den 22. Juli 2021 ein. Die Einberufung erfolgte als virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten mit Ausnahme der Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft gemäß § 1 Abs. 2, Abs. 6 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG, bzw. Covid-19-Gesetz) (Anlagen K1.7, K2.4 und B2).Randnummer3

Zum Zeitpunkt der Einberufung der HauptversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Hauptversammlung
Hauptversammlung
2021 am 14. Juni 2021 Betrug die Gesamtzahl der Aktien der Beklagten 501.295.263; davon 295.089.818 (stimmberechtigte) Stammaktien und 206.205.445 stimmlose Vorzugsaktien (Anlagen K1.7, K2.4 und B2). Rd. 53,3 % der durch die Stammaktien der Beklagten vermittelten Stimmrechte entfielen auf die …, rd. 20 % auf … und rd. 17 % auf die … (Anlage B3). Der restliche Anteil von rd. 9,7 % entfiel auf weitere Aktionäre, unter anderem die Kläger und Nebenintervenienten (Anlagen K1.1, NI2.1, Blatt 179a, GA I und Anlage B4).Randnummer4

Die mit der Einberufung mitgeteilte Tagesordnung umfasste unter den Punkten 10 a und 10 b Beschlussvorschläge des Vorstands und des Aufsichtsrats über die Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Vorstands, Herrn …, und dem ehemaligen Mitglied des Vorstands, Herrn … (Haftungsvergleiche) sowie unter Punkt 11 über die Zustimmung der Hauptversammlung zu einer Vergleichsvereinbarung mit den Versicherungsunternehmen, die an der für den … bestehenden … beteiligt sind (Deckungsvergleich). Die Tagesordnung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 beinhaltete, neben einer Kurzfassung, eine Beschreibung der Beschlussgegenstände, die Information, dass die Vergleiche der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen sowie den Vorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand, den jeweiligen Vergleichsvereinbarungen zuzustimmen. Der Wortlaut der Vergleichsvereinbarungen wurde in den weiteren Informationen zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 wiedergegeben (unter I. bis III., Seite 21 ff. der Anlagen K1.7, K2.4 und B2). Ferner enthält die Einladung einen Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstandes der Beklagten zum Hintergrund der Vergleiche zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11, dem …Versicherungsprogramm, dem wesentlichen Inhalt und den rechtlichen Rahmenbedingungen der Vergleichsvereinbarungen, zu den wesentlichen Gründen für die Vergleichsvereinbarungen, zur gerichtlich angeordneten Sonderprüfung sowie eine zusammenfassende Empfehlung (unter IV., Seite 47 bis 63, Anlagen K1.7, K2.4 und B2).Randnummer5

Die mitgeteilte Tagesordnung umfasste ferner unter den Punkten 3 und 4 Beschlussvorschläge des Vorstandes und des Aufsichtsrats über die Erteilung der Entlastung für die im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats (Anlagen K1.7, K2.4 und B2).Randnummer6

Hintergrund der der Hauptversammlung zur Zustimmung gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG vorgelegten Vergleichsvereinbarungen war der seitens der Beklagten gegenüber Herrn … sowie Herrn … – auf der Grundlage einer gutachterlichen Stellungnahme der Rechtsanwaltssozietät … – erhobene Vorwurf einer fahrlässigen Verletzung aktienrechtlicher Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal. Dem …sind bis zum 31. Dezember 2020 Aufwendungen in Höhe von rd. 32,2 Mrd. € dadurch entstanden, dass die Software der Steuerungseinheiten (zumindest) für den zwischen 2002 und 2008 von … entwickelten Dieselmotor EA 189 dahingehend manipuliert wurde, dass der Fahrverlauf von Abgastests erkannt und je nach erkanntem Fahrverlauf zwischen zwei verschiedenen Modi umgeschaltet wurde („Defeat Device“), um im Prüfstand die strengen US-amerikanischen Emissionsgrenzwerte einhalten zu können. Während im Prüfstand-Modus die strengen US-amerikanischen Emissionsgrenzwerte eingehalten wurden, ergaben Messungen im realen Fahrbetrieb um den Faktor 15 bis 35 höhere NOx-Emissionen, was eine Studie des … im Mai 2014 aufdeckte. Die US-amerikanische … am 18. September 2015 eine Notice of Violation mit der sie bekannt gab, dass bei Abgastests an bestimmten Fahrzeugen der Modelljahr 2009 bis 2015 mit 2,0 l Dieselaggregaten EA 189 und EA 288 des .. in den USA Unregelmäßigkeiten bei NOx-Emissionen festgestellt worden seien. Daraufhin informierte die Beklagte mit Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 darüber, dass bei Dieselaggregaten des Typs EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rd. 11 Millionen Fahrzeugen, auffällige Abweichungen von Emissionswerten zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb festgestellt worden seien. Mit einer weiteren Notice of Violation gab die EPA am 2. November 2015 festgestellte Unregelmäßigkeiten in Bezug auf in den Fahrzeugen von …, … und … verbauten Dieselmotoren vom Typ 3,0 l V6 TDI bekannt. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) erließ in den Jahren 2017 bis 2019 Bescheide gegen … und … wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerungssoftware u. A. diverser von … entwickelter V-TDI Motoren, deren Basisdatenstand in den in … -Fahrzeugen eingesetzten V6 und V8 TDI Motoren ebenfalls enthalten war. Daraus ergaben sich die oben genannten Kosten (rd. 32,2 Mrd. €) u. A. für Rückrufe und Feldmaßnahmen, Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen an Händler, Kosten der internen Untersuchung und Bußgeldzahlungen. Gegen die Beklagte und andere Gesellschaften des … u. A. noch anhängig sind im Zusammenhang mit dem Dieselskandal zahlreiche zivilrechtliche Einzel- und Sammelverfahren von Kunden sowie Klagen von Verbraucher- und/oder Umweltverbänden in Deutschland und im Ausland. Ferner werden von Anlegern aus Deutschland und dem Ausland gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Kursverluste im Zusammenhang mit dem Dieselskandal mit einem Volumen von mehr als 9,7 Mrd. € gerichtlich geltend gemacht (Seite 49 f. der Anlagen K1.7, K2.4 und B2 sowie Anlagen K1.8 bis K1.19). Ein wegen des Abgasreinigungskartells von der Europäischen Kommission gegen die Beklagte verhängtes Bußgeld Betrug rd. 500 Mio. € (Anlage K1.20a).Randnummer7

U. A. gegen Herrn … und Herrn … werden vor den Landgerichten Braunschweig, München II  und Stuttgart strafrechtliche Verfahren insbesondere wegen des Vorwurfs des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges geführt (Seite 50 der Anlagen K1.7, K2.4 und B2 sowie K1.34 bis K1.40, Anlage K1.43, K2.29, Anlagen K2.9, K2.11 bis K2.17; Anlagen NI1 bis NI4). Darüber hinaus wurde vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig das Hauptverfahren gegen Herrn .. wegen des Verdachts der Marktmanipulation zugelassen (Anlage K1.41 und Anlagen K2.18, K2.19, K2.20, K2.21) und mit Blick auf die zu erwartende Strafe im Verfahren wegen u. A. gewerbs- und bandenmäßigen Betruges vorläufig eingestellt (Anlage K1.42, Anlage K2.22). Diesen Einstellungsbeschluss hat das Oberlandesgericht Braunschweig mit Beschluss vom 19. April 2022 aufgehoben, weil bei der Entscheidung nicht alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt worden seien, sodass das Landgericht … erneut über die vorläufige Einstellung des Verfahrens zu entscheiden haben wird (Anlage K2.28). Gegen Herrn … wurde zudem von der Staatsanwaltschaft Berlin Anklage wegen uneidlicher Falschaussage vor dem sog. „Abgas“-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags, wegen des Vorwurfs, fälschlich behauptet zu haben, erst im September 2015 über Abschalteinrichtungen unterrichtet worden zu sein, während ihm diese bereits seit Mai 2015 bekannt gewesen seien, erhoben (Anlage K2.24). Gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten, Herrn … und den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Herrn … wegen des Verdachts der Marktmanipulation eingeleitete Strafverfahren wurden gegen Zahlung von jeweils 4,5 Mio. € an die Staatskasse gemäß § 153a StPO eingestellt. Gegen die Beklagte wurde ein Bußgeld in Höhe von 1 Mrd. € verhängt (Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 13. Juni 2018; Anlage K2.25) und gegen die … in Höhe von 800 Mio. € (Pressemitteilung der … AG vom 16. Oktober 2018; Anlage K2.26).Randnummer8

Die Beklagte hat gegen die vom Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 8. November 2017 (9 W 86/17) gemäß § 142 Abs. 2 AktG angeordnete Sonderprüfung, mit dem Gegenstand zu prüfen, ob Vorstand und Aufsichtsrat im Zusammenhang mit dem Dieselskandal seit dem 22. Juni 2006 ihre Pflichten verletzt und der Beklagten einen Schaden zugefügt haben (vergleiche Anlage K1.31), und gegen die Bestellung eines neuen Sonderprüfers, jeweils Verfassungsbeschwerde erhoben (Seite 62 f. der Anlage B2 sowie Anlage K2.4); die gegen den Ausgangsbeschluss gerichtete einstweilige Anordnung wurde vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen (Anlage K1.33). Prüfungshandlungen hat der bestellte Sonderprüfer, gegen den die Beklagte – wegen des nicht hinreichend nachgewiesenen Fehlens eines Bestellungshindernisses – Unterlassungsklage erhoben hat, bis zur Hauptversammlung nicht vorgenommen (Seite 63 der Anlage B2 sowie Anlage K2.4).Randnummer9

In der vom Aufsichtsratsvorsitzenden Herrn … geleiteten Hauptversammlung vom 22. Juli 2021 erläuterte der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats, Herr …, bezüglich der Tagesordnungspunkte 10 und 11 das Ergebnis der vom Aufsichtsrat im Oktober 2015 zu „Ursachen und Verantwortlichkeiten für die Dieselthematik“ in Auftrag gegebenen Untersuchung der Rechtsanwaltssozietät … dahin, dass  Herr … und Herr … ihre aktienrechtliche Sorgfaltspflicht nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG fahrlässig verletzt hätten; Herr … indem er am 27. Juli 2015 gewonnene konkrete Anhaltspunkte für möglicherweise rechtswidrige Funktionen in 2,0 l Dieselmotoren nicht zum Anlass einer unverzüglichen, umfassenden Aufklärung des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen genommen habe und Herr …, indem er am 21. September 2016 erlangte Anhaltspunkte für rechtswidrige Funktionen der von … entwickelten V6 und V8 TDI Motoren nicht zum Anlass einer Untersuchung der Motoren auf unzulässige Softwarefunktionen genommen habe. Pflichtverletzungen anderer Vorstandsmitglieder, namentlich deren Beteiligung an der Entwicklung und Verwendung unzulässiger Softwarefunktionen, seien – so der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung – ebenso wenig wie eine Organisationspflichtverletzung oder die Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten festgestellt worden. (vgl. Seite 11 ff. des am 23. August 2021 zum Handelsregister des Amtsgerichts … eingereichten notariellen Protokolls der ordentlichen Hauptversammlung 2021 des Rechtsanwalts … als amtlich bestellter Vertreter des Notars … , mit Amtssitz in …; Anlage B4).Randnummer10

Nach dem Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstands zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 in der Einladung zur Hauptversammlung, sind die Vorstände der Beklagten sowie von … und … auf der Grundlage der in ihrem Auftrag von der Rechtsanwaltssozietät … durchgeführten Prüfung, ob die ehemaligen oder amtierenden Mitglieder der Aufsichtsräte der vorgenannten Gesellschaften ihre aktienrechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal eingehalten haben, zu dem Ergebnis gelangt, dass nur Herrn …, in seiner Funktion als Vorsitzender des Aufsichtsrats von …, eine fahrlässige Verletzung aktienrechtlicher Sorgfaltspflichten vorzuwerfen sei, weil er die am 27. Juli 2015 gewonnenen Erkenntnisse fahrlässig nicht zum Anlass genommen habe, auf eine umfassende Aufklärung hinzuwirken, den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern aber kein Vorwurf zur Last zu legen sei (Seite 49 der Anlage B2).Randnummer11

Herr … war im Zeitraum 1. Januar 2007 bis 23. September 2015 Vorstandsvorsitzender der Beklagten (vgl. die Präambel des in der Einladung zur Hauptversammlung 2021 wiedergegeben Haftungsvergleichs, Anlage B2). In den Jahren 2012 bis 2014 belief sich seine jährliche Vergütung auf rd. 15 Mio. € (Anlage K1.22 bis K1.24). Im Jahr seines Ausscheidens erhielt er Vergütung in Höhe von rd. 7 Mio. € (Anlage K1. 25). Herr … war im Zeitraum Januar 2010 bis zum 28. September 2018 Mitglied des Vorstands der Beklagten sowie vom 1. Januar 2007 bis zum 28. September 2018 Vorstandsvorsitzender von … (vgl. die Präambel des in der Einladung zur Hauptversammlung 2021 wiedergegeben Haftungsvergleichs, Anlage B2). Er erhielt in den Jahren 2015 bis 2017 eine jährliche Vergütung zwischen 3,7 und 5,2 Mio. € (Anlagen K1. 25, K1.28 und K1.29). Im Jahr seines Ausscheidens erhielt er eine Vergütung in Höhe von 2,7 Mio. € (Anlage K1. 30).Randnummer12

Der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats, Herr …, führte in der Hauptversammlung weiter aus, dass die nach Vorliegen der Prüfungsergebnisse und der (vom Aufsichtsrat am 26. März 2021 beschlossenen) außergerichtlichen Inanspruchnahme von … und Herrn … sowie der Unterrichtung der …-Versicherer geführten Verhandlungen – auf der Grundlage des Beschlusses des Aufsichtsrats vom 5. Juni 2021 – in den Abschluss der in der Einladung zur Hauptversammlung 2021 wiedergegebenen Haftungsvergleiche und des Deckungsvergleichs mündeten (Seite 21 ff. der Anlage B2, auf deren Inhalt Bezug genommen wird; Seite 13 ff. der Anlage B4). Den wesentlichen Inhalt der Vergleiche erläuterte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende in der Hauptversammlung dahin, dass Herr … Schadensersatz in Höhe von 11,2 Mio. € und Herr … Schadensersatz in Höhe von 4,1 Mio. € leisteten; Herr … teilweise und Herr … vollständig durch Verzicht auf Ansprüche gegen die Beklagte und …. Die …-Versicherer (des …) hätten sich zur Zahlung von 270 Mio € verpflichtet, wovon etwa 1/3 an … und knapp 15 % an … weitergeleitet würden. Auf weitere Ansprüche gegen Herrn …, Herrn … und die beteiligten …-Versicherer verzichte die Beklagte. Ferner würden im Interesse einer umfassenden Erledigung die Beklagte, … und … im Deckungsvergleich auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen sonstige unter der …-Versicherung versicherte Personen verzichten, wodurch diejenigen Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats der Beklagten, … und … betroffen seien, die sich nach den vom Aufsichtsrat, bzw. dem Vorstand der jeweiligen Gesellschaften getroffenen Feststellungen, pflichtgemäß verhalten hätten. Im Interesse weitgehender Rechtssicherheit habe sich die Beklagte zudem verpflichtet, Herrn … und Herrn … unter bestimmten Voraussetzungen von Rechtsverteidigungskosten sowie von Ansprüchen freizustellen, die Dritte im Zusammenhang mit dem Dieselskandal sowie damit zusammenhängenden Sachverhalten gegen Herrn … oder Herrn … geltend machen könnten (Seite 14 f. der Anlage B4).Randnummer13

Insoweit enthalten die jeweiligen Haftungsvergleiche in Ziffer 1.7 umfassende Erledigungsklausel, die neben Ansprüchen aus dem sogenannten Dieselskandal auch solche aus dem Abgasreinigungskartell erledigen (relevanter Sachverhalt). Von der Abgeltung und Erledigung sind nach Ziffer 1.8 der jeweiligen Haftungsvergleiche solche Ansprüche ausgenommen, bei denen seit ihrer Entstehung noch keine drei Jahre abgelaufen sind. Ziffer 3 der jeweiligen Haftungsvergleiche beinhaltet eine Freistellung von Herrn … und Herrn …, die ihrerseits auf Ansprüche auf Aufwendungs- und Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Dieselskandal gegenüber u. A. der Beklagten verzichten (Anlage K1.21). Der u. A. zwischen der Beklagten und den … Versicherern geschlossene Deckungsvergleich enthält in Ziffer 3.1 ebenfalls eine Abgeltungsklausel. Ferner ist in Ziffer 3.6 im Wege eines echten Vertrages zugunsten Dritter vereinbart, dass Ansprüche gegen amtierende oder ehemalige Vorstandsmitglieder sowie sämtliche weitere versicherte Personen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal nicht mehr geltend gemacht werden. In Ziffer 4.1 ist geregelt, dass u. A. die Beklagte die … Versicherer von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal freistellt, sowie in Ziffer 5.1 ein Verzicht der … Versicherer auf Regress- oder Ausgleichsansprüche, insbesondere nach § 86 VVG. In Ziffer 2 sind Rückstellungen der … Versicherer in Höhe von 50 Mio. € vereinbart, die für den Fall dienen sollen, dass eine versicherte Person von den Versicherern noch Abwehrdeckung und/oder Freistellung von Haftungsansprüchen verlangen kann oder Streit darüber besteht (Anlage K1.45).Randnummer14

Nach dem Bericht des Vorstandsvorsitzenden, Herrn … und der Beantwortung der vorab eingereichten Fragen, erfolgte die Abstimmung über die Tagesordnungspunkte (Seite 18 ff. der Anlage B4). Den Mitgliedern des Vorstandes wurde mit 99,50 % der abgegebenen Stimmen Entlastung erteilt (Tagesordnungspunkt 3). Den Mitgliedern des Aufsichtsrats wurde mit 99,48 % der abgegebenen Stimmen Entlastung erteilt (Tagesordnungspunkt 4). Den Vergleichen mit Herrn … und Herrn … wurde jeweils mit 99,91 % der abgegebenen Stimmen zugestimmt (Tagesordnungspunkt 10 a und 10 b). Dem Deckungsvergleich wurde mit 99,98 % der abgegebenen Stimmen zugestimmt (Tagesordnungspunkt 11) (Seite 22 ff. der Anlage B4; Anlage K2.8). Die Kläger haben u. A. bezüglich der Tagesordnungspunkte 3, 4, 10.1, 10.2 und 11 Widerspruch eingelegt (Widerspruchsliste als Anlage 4 zum Notariellen Protokoll über die ordentliche Hauptversammlung 2021, Anlage B4).Randnummer15

Die Kammer hat die getrennt eingereichten Anfechtungs-/Nichtigkeitsklagen des Klägers zu 1 und des Klägers zu 2 mit Beschluss vom 28. September 2021 gemäß § 249 Abs. 2 AktG zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung verbunden (Blatt 185 f. GA Ia).

B.

1.

Der Kläger zu 1 „bestreitet“ die auf Blatt 373 bis 376, GA III wiedergegebenen Ausführungen der Beklagten in der Klageerwiderung zu dem der Rechtsanwaltssozietät … seitens des Aufsichtsrats und dem der Rechtsanwaltssozietät … seitens des Vorstandes erteilten Prüfungsauftrag, dem Gegenstand und Umfang der Prüfung, den zur Verfügung stehenden, ausgewerteten Unterlagen und geführten Gespräche sowie dem Prüfungsergebnis mit „Nichtwissen“. Entgegenstehende Anhaltspunkte ergäben sich aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2021 (VI ZR 405/19, juris Rn. 19) und des Oberlandesgerichts Celle vom 8. November 2017 (9 W 86/17, juris Rn. 44).Ferner mit „Nichtwissen bestritten“ werden Beauftragung und Inhalt des Gutachtens von … , der Inhalt der Verhandlungen mit den …- Versicherern und die Motivation für die Durchführung der ordentlichen Hauptversammlung 2021 als virtuelle Hauptversammlung. Damit könne nicht festgestellt werden, dass die erforderliche Tatsachengrundlage für die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 bestehe, was von Vorneherein deren Anfechtbarkeit begründe.Randnummer17

Der Kläger zu 1 ist der Auffassung, dass den Beschlüssen der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 die erforderliche Bestimmtheit fehle, weil der jeweilige notariell beurkundete Beschluss nicht aus sich heraus verständlich sei. Denn die beschlussgegenständlichen Vergleichsvereinbarungen seien nicht Gegenstand der Beschlüsse, weshalb das Beurkundungserfordernis des § 130 AktG nicht erfüllt werde. Die Vergleichsvereinbarungen seien aufgrund ihrer Komplexität nicht hinreichend bestimmt, verhielten sich nicht zu einem Höchstbetrag der von den Vereinbarungen betroffenen Forderung und seien bezüglich Freistellungen/Verzicht sowie der nach Ziffer 2 des Deckungsvergleichs vereinbarten Rückstellung für künftige Versicherungsleistungen unklar.Randnummer18

Die Voraussetzungen nach § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 AktG („wesentlicher Vertragsinhalt bekanntzumachen“), wonach Informationen zu dem anspruchsauslösenden Fehlverhalten des Organmitglieds, dem Schaden, bzw. dem weiteren Schadensrisiko, dem Bestehen und der Beweisbarkeit des Anspruchs, der Durchsetzbarkeit des Anspruchs bei dem betroffenen Organmitglied, der vereinbarten Leistung und Gegenleistung, weiterer Vereinbarungen die Bestandteil des Vertrages werden und die Mitteilung, dass der Vertrag nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam werde, bekannt zu machen seien, habe die Beklagte nicht erfüllt. Dies sei nicht durch die Vorlage der Vergleichsvereinbarungen, die Einberufung und den HV-Bericht erfolgt, wobei letzterer zwar freiwillig sei, aber wegen der damit beabsichtigten Erfüllung der Informationspflicht, der Ausschluss der Anfechtbarkeit nach § 1 Abs. 7 Covid-19-Gesetz nicht eingreife. Der Kläger zu 1 ist der Auffassung, dass die Beklagte zur Erfüllung ihrer Verpflichtung nach § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG die Gutachten von … und … hätte veröffentlichen, zumindest aber deren Inhalt näher erläutern müsse. Dem genüge die Mitteilung der jeweiligen Prüfergebnisse nicht, weil die Aktionäre damit nicht in die Lage versetzt würden, über die Zustimmung oder Ablehnung der Vergleichsvereinbarungen entscheiden zu können.Randnummer19

Zudem sei dadurch, dass Fragen im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung nicht unverändert, vollständig wiedergegeben worden seien, das Fragerecht des Klägers zu 1 verletzt und – auch unter Berücksichtigung des Covid-19-Gesetzes – unverhältnismäßig eingeschränkt worden. In der Fassung des Gesetzes vom 28. Februar 2021 könne der Vorstand nur noch „nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen“ entscheiden, wie er Fragen beantworte (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Covid-19-Gesetz). Ob und welche Fragen er beantworte, stehe nicht (mehr) in seinem Ermessen. Durch die von der Beklagten vorgenommene Kürzung und Umformulierung von Fragen, seien diese ihres sachlichen Gehalts beraubt worden. Der Kläger zu 1 „bestreitet mit Nichtwissen“, dass die nicht wörtliche Widergabe der eigereichten Fragen in der Hauptversammlung ohne Auswirkungen auf die Abstimmungsergebnisse geblieben sei (Blatt 538R GA IV).Randnummer20

Die vom Oberlandesgericht Celle angeordnete Sonderprüfung sperre die Möglichkeit eines Vergleichs im Sinne von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Der Zweck der Sonderprüfung, mittels von der Gesellschaft unabhängiger Informationsbeschaffung Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder vorzubereiten, werde durch den Vergleich über Ansprüche aus dem der Sonderprüfung unterliegenden Sachverhalt, konterkariert. Damit werde der in der Regelung über die Anordnung einer Sonderprüfung Ausdruck findende Minderheitenschutz ausgehebelt. Wenngleich die Mehrheit der Aktionäre eine angeordnete Sonderprüfung nicht beenden dürfe, könne diese durch einen Vergleich nach Ablauf der Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG faktisch beendet werden, was eine teleologische Reduktion der vorgenannten Vorschrift dahin erfordere, dass im Falle einer angeordneten Sonderprüfung, ein Vergleich auch nach Ablauf der Dreijahresfrist nicht zulässig sei. Anderenfalls könne die Beklagte (bei Annahme einer wirksamen Zustimmung der Hauptversammlung nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG) die Aufhebung der Sonderprüfung wegen geänderter Umstände gemäß § 142 Abs. 8 AktG in Verbindung mit § 48 FamFG bewirken, ohne dass das Quorum für die Beantragung der Sonderprüfung dies verhindern könne. Die von der Beklagten herangezogene Parallele zum Klagezulassungsverfahren sei nicht tragfähig, weil für das Klagezulassungsverfahren in § 148 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG die Subsidiarität gegenüber der Geltendmachung durch die Gesellschaft angeordnet sei, wohingegen dies für das Sonderprüfungsverfahren nicht gelte und beide Verfahren einen unterschiedlichen Gegenstand aufwiesen. Ziel der Beklagten sei es ersichtlich, die Sonderprüfung zu obstruieren, was aus den vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig gemachten Verfassungsbeschwerden abzuleiten sei. Jedenfalls unzulässig sei ein Vergleich auf der Grundlage eines nicht vollständig, unabhängig aufgeklärten Sachverhalts.Randnummer21

Für eine Beschlussfassung im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung bestehe keine Rechtfertigung. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit des mit der Einräumung der Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung verbundenen Eingriffs in das Grundrecht auf Eigentum der Aktionäre, sei eine Beschlussfassung in dieser Form nur für eilbedürftige Beschlüsse zulässig, aber nicht für die hier in Rede stehenden wichtigen/streitigen Beschlussgegenstände, die auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden könnten.Randnummer22

Die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 der Hauptversammlung seien rechtsmissbräuchlich, weil sie nicht im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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im Interesse der Gesellschaft
lägen, sondern unvertretbar seien, was auch in Anbetracht der (in Bezug auf Beschlüsse nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG) nicht stattfindenden materiellen Beschlusskontrolle, zur Anfechtbarkeit/Nichtigkeit führe. In Relation zum eingetretenen Schaden seien die vereinbarten Schadensersatzleistungen durch Herrn … und Herrn … zu gering. Die in den Haftungsvergleichen enthaltene Freistellung von Herrn … und Herrn … gegenüber Ansprüchen Dritter sei durch § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht gedeckt, zumal der Sachverhalt nicht umfassend aufgeklärt sei und sich Verpflichtungen der Beklagten daraus ergeben könnten, die die an sie erbrachten Schadensersatzleistungen überstiegen. Zudem liege ein unzulässiger Vorausverzicht vor, weil damit ein weiterer Schaden und ein neuer, weiterer Streitgegenstand begründet werde. Der im Deckungsvergleich „versteckte“ Anspruchsverzicht gegenüber anderen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern sei rechtsmissbräuchlich, da Schadensersatzansprüche gegen frühere Aufsichtsratsmitglieder wegen deren Privatvermögen einen hohen Wert hätten, weshalb die Beklagte nicht ohne Prüfung der Ansprüche hätte verzichten dürfen, zumal Mehrheitsaktionäre der Beklagten dadurch begünstigt würden. Die Rechtsmissbräuchlichkeit ergebe sich zudem daraus, dass von dem vom Deckungsvergleich abgegoltenen „relevanten Sachverhalt“ auch das Abgaskartell und das – nach Auffassung des Generalsanwalts beim europäischen Gerichtshof – eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellende „Thermofenster“ erfasst seien, ohne sich daraus ergebende Ansprüche zu begutachten oder zu begründen.Randnummer23

Die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 seien treuwidrig, weil damit vorschnell Vergleichsabschlüsse beschlossen würden, ohne den Sachverhalt umfassend aufzuklären, namentlich den Ausgang der laufenden Strafverfahren abzuwarten, was nicht im Interesse der Beklagten sei. Entsprechendes gelte für den Ausschluss des Klagezulassungsverfahrens nach § 148 AktG durch die abgeschlossenen Vergleiche, bevor seitens der Aktionäre Informationen aus den Hauptverhandlungen der Strafverfahren generiert werden könnten. Es liege ein Verstoß gegen die 3-Jahres-Frist das § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG vor, da in Bezug auf unbekannte Ansprüche die Frist nicht zu laufen begonnen habe. Über die von der Beklagten angenommenen Pflichtverletzungen von Herrn … und Herrn … hinaus, sprächen Strafverfahren für weitere (noch nicht aufgedeckte) Pflichtverletzungen. Insoweit sei der Anspruch noch nicht entstanden und die 3-Jahres-Frist habe noch nicht zu laufen begonnen.Randnummer24

Der Aufsichtsrat habe seine Entscheidung nach § 112 AktG auf einer unzureichenden Tatsachenbasis getroffen und sich in einem Interessenkonflikt wegen des Verzichts auf Ansprüche gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern befunden. Den Anforderungen an die Informationsermittlung nach der sogenannten Business Judgment Rule und der ARAG/Garembeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 135, 244) werde durch die eingeholten Gutachten (…/…) nicht Genüge getan. Dies ergebe sich schon daraus, dass schriftliche Gutachten nicht vorgelegt seien und ein „Höchstschaden“ ebenso wenig wie das Privatvermögen der in Anspruch zu nehmenden Personen ermittelt worden sei. Zudem seien die in Auftrag gegebenen Untersuchungen ersichtlich deshalb unzureichend gewesen, weil sie sich nicht auf die weiteren abgegoltenen Sachverhalte (Abgasreinigungskartell/Thermofenster) bezogen hätten. Damit liege offenkundig kein wirksamer Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats gemäß § 124 Abs. 3 AktG vor. Zudem hätten Aufsichtsratsmitglieder wegen eines Interessenkonflikts, der sich aus der Abstimmung über den Verzicht auf gegen sie gerichtete Ansprüche ergebe, einem Stimmrechtsverbot unterlegen. Der Beschluss sei damit treuepflichtwidrig, weil nur eine Beschlussablehnung treuepflichtgemäß gewesen wäre.Randnummer25

Die Aktionäre … , … und … unterlägen einem Stimmverbot. Insoweit diene der Zustimmungsbeschluss nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zumindest mittelbar einer Verhinderung des „Richtens in eigener Sache“, wenn Hauptaktionäre den Aufsichtsrat mit eigenen Mitgliedern besetzten. Deshalb unterlägen Aktionäre, gegen die sich Ersatzansprüche nach § 147 AktG richteten, dem Stimmverbot des § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG. Entsprechendes müsse in Bezug auf die den Hauptaktionären nahestehenden Aufsichtsratsmitglieder gelten, bezüglich derer es Hinweise auf eine Unterrichtung über Manipulationen bei Abgaswerten gäbe (Anlage K1.53 „Presseverlautbarung zum Spiegel-Interview mit Herrn …), woraus sich ein Treueverstoß und Rechtsmissbrauch durch die Stimmabgabe ergebe. Der Kläger zu 1 „bestreitet mit Nichtwissen“, dass die – keinem Stimmverbot unterliegenden – Aktionäre mit Mehrheiten von 99,63 % und 99,93 % der abgegebenen Stimmen zugestimmt hätten (Blatt 538, GA IV).

2.

Der Kläger zu 2 behauptet, der Versuch der …  in den Jahren 2005 bis 2008 die Beklagte zu übernehmen, sei ursächlich für den Dieselskandal, weil in diesem Kontext Absprachen der Beklagten mit der … über einen Zugriff der Beklagten auf die überlegene, moderne Abgastechnologie der … für die 2007 geplante Clean Diesel Großoffensive in den USA gegen Einräumung einer 10 %-Überkreuzbeteiligung, von einem die …  dominierenden Gesellschafterausschuss torpediert worden sei, sodass keine ausreichende Zeit für die Entwicklung einer eigenen Abgasreinigungstechnologie zur Verfügung gestanden habe und auf das „Defeat Device“ habe zurückgegriffen werden müssen. Der Dieselskandal beruhe auf einem Interessenkonflikt zwischen den Unternehmensinteressen der Beklagten und den interessen der an dem Gesellschafterausschuss beteiligten Familien … und … , was in dem vor dem Oberlandesgericht Celle geführten Kap-MuG-Verfahren (13 Kap 17/16) vorgetragen, von der Beklagten im Rahmen ihrer Sachaufklärung aber nicht berücksichtigt worden sei. Aus dem Zusammentreffen von Beratertätigkeit bezüglich des „Projekts Deutschland“ und Gutachtertätigkeit im Zusammenhang mit dem Dieselskandal könne sich eine Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat ergeben (Blatt 542, GA IV).Randnummer27

Der Kläger zu 2 vertritt die Auffassung, dass die Sachaufklärung der Beklagten (namentlich in zeitlicher Hinsicht) unzureichend sei und (laufende) Strafverfahren nicht berücksichtigt würden. Ansprüche gegen weitere Organe und sich aus dem Verjährenlassen solcher Ansprüche ergebende weitere Schadensersatzansprüche seien nicht geprüft worden. Zudem hätten die Vermögensverhältnisse von Herrn … und Herrn … aufgeklärt werden müssen, die etwa dem Vergütungsbericht der Beklagten für das Geschäftsjahr 2008 hätten entnommen werden können. Ferner hätte die Bonität sämtlicher (ehemaligen) Angehörigen von Vorstand und Aufsichtsrat geprüft werden müssen (Blatt 541, GA IV). Angaben zur Höhe der gegenüber Herrn … und Herrn … berechneten Schadenssumme nenne die Beklagte nicht, die in Bezug auf Herrn … in der Presse mit 1 Mrd. € angegeben werde (Anlage K2.10). Abschließende Feststellungen zum Umfang der Freistellung von Herrn … und Herrn … habe die Beklagte nicht getroffen. Es sei nicht ausreichend, Informationen (nur) auf der Grundlage nicht veröffentlichter, von der Beklagten in Auftrag gegebener Gutachten einzuholen. Die weitere Sachaufklärung durch die vom Oberlandesgericht Celle angeordnete Sonderprüfung, versuche die Beklagte zu verhindern. Ein Beschluss der Hauptversammlung nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG sei im Falle einer unzulänglichen Sachverhaltsaufklärung anfechtbar, verantwortliche Aufsichtsratsmitglieder hätten den sich daraus ergebenden Schaden gemäß § 116 Satz 1, § 93 Abs. 2 AktG zu ersetzen. Zudem läge eine unzulässige Einlagenrückgewähr im Sinne von § 57 Abs. 1 AktG vor, wenn der mit einem Aktionär der Gesellschaft geschlossene Haftungsvergleich unausgewogen sei. Zu einer etwaigen Aktionärsstellung von Herrn … und Herrn … mache die Beklagte keine Angaben, woraus sich ein Verstoß gegen die Vorabpublizitätspflicht gemäß § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG ergebe.Randnummer28

Der für den Vergleichsschluss relevante Sachverhalt sei nicht abschließend ermittelt, was §°93 Abs. 4 Satz 3 AktG aber voraussetze. Die Höhe des Gesamtschadens stehe bislang nicht fest. Vor Abschluss der Strafverfahren gegen Herrn … und Herrn … komme ein abschließender Vergleich nicht in Betracht. Die Haftungsvergleiche beträfen unbestimmte und noch nicht bekannte Sachverhalte. Die Inanspruchnahme einzelner Organmitglieder trage der Gesamtverantwortung des Vorstands und des Aufsichtsrats nicht hinreichend Rechnung. Die Stattgabe der Anfechtungsklage liege im Eigeninteresse der Beklagten, welches von Partikularinteressen der Großaktionäre am Abschluss des Vergleichs abzugrenzen sei.Randnummer29

Inhalt und Auswirkung der Haftungsvergleiche sowie des Deckungsvergleichs seien von der Beklagten in der Hauptversammlung sowie in den Informationen zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 unzutreffend dargestellt. Tatsächlich werde mit den Haftungsvergleichen gegenüber Herrn … und Herrn … auf Schadensersatzansprüche in Milliardenhöhe verzichtet. Diese erhielten zudem eine bedingungslose und unbegrenzte Freistellung von Kosten für die Abwehr von Ansprüchen, die in Bezug auf in den USA geführte Verfahren, die Deckungssumme der … Versicherer deutlich übersteigen könnten. Der Deckungsvergleich enthalte eine, in der Zusammenfassung nicht dargestellt, umfassende Abgeltungswirkung gegenüber allen übrigen Organmitgliedern der Beklagten, der … AG und der … AG im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal. Zudem werde zu Unrecht auf Ansprüche gegen die Kanzlei … , die die Beklagte dahin beraten habe, das Defeat Device geheim zu halten (Anlage K2.7), verzichtet.Randnummer30

Der Kläger zu 2 ist der Auffassung, die Zustimmungsbeschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 seien wegen eines Verstoßes gegen Bekanntmachungspflichten bezüglich der Tagesordnungspunkte und des wesentlichen Inhalts der beschlussgegenständlichen Verträge anfechtbar, § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG.Randnummer31

Nach den anzuwendenden Grundsätzen des § 305c BGB ergebe sich aus der Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Aktionärs, aufgrund der ihm mitgeteilten Tagesordnung, zum Regelungsgehalt der Klausel, d. h. dem Inhalt der Haftungsvergleiche und des Deckungsvergleichs, eine Überrumpelung der Aktionäre. Insoweit erwarte der Aktionär als Inhalt der Haftungsvergleiche einen Verzicht auf Ansprüche gegen Leistung, nicht aber die von der Beklagten gegenüber Herrn … und Herrn … übernommenen Freistellungsverpflichtungen, die weit über die sog. Dieselthematik hinausgingen, da auf den sogenannten „relevanten Sachverhalt“ abgestellt werde, der auch (sonstige) Verstöße gegen Publizitätspflichten oder Bilanzierungsvorschriften sowie kartellrechtswidrige Absprachen und die Manipulation von Benzinmotoren (Anlagenkonvolute K2.27) umfasse. Damit seien auch Verstöße gegen Publizitätspflichten erfasst, sodass im Falle des Erfolges eines wegen unterlassener Kapitalmarktinformationen gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht … geführten KapMuG-Verfahrens keine Inanspruchnahme der Verantwortlichen möglich sei, was sich dem Aktionär nicht ohne weiteres erschließe. Der im Deckungsvergleich enthaltene umfassende Verzicht gegenüber aktuellen und ehemaligen Organmitgliedern der Beklagten, der …  und der …, ohne Einschränkungen mit Blick auf den Versicherungsschutz, durch die … Versicherungen (Vorsatz/Versicherungssumme), sei für die Aktionäre ebenfalls überraschend. Die Veröffentlichung der Vergleichstexte und die Beifügung des Berichts des Aufsichtsrats und des Vorstands zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 genügten nicht den Anforderungen an die erforderliche Angabe der sich aus den Vergleichen ergebenden Hauptleistungspflichten. Es fehle an einer gesonderten Regelung zum Verzicht unter Angabe derjenigen (150) Personen, die davon betroffen seien. Ferner sei aus dem Deckungsvergleich nicht erkennbar, wer unter den Begriff der „versicherten Person“ falle. Die einzelnen Versicherer seien ferner nicht genannt. Hierdurch werde gegen Aktionärsrechte verstoßen und es sei nicht ausgeschlossen, dass die Aktionäre bei ordnungsgemäßer Bekanntmachung anders abgestimmt hätten, woraus sich die Relevanz ergebe. Verstöße seien nicht durch die Beantwortung von Aktionärsfragen in der Hauptversammlung geheilt.Randnummer32

Die Beschlüsse der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11, die zumindest einer Missbrauchskontrolle unterlägen, seien auch wegen Treuwidrigkeit und Rechtsmissbrauch anfechtbar, weil sie auf der Grundlage ermessensfehlerhafter und rechtsmissbräuchlicher Beschlussvorschläge zustande gekommen seien. Die Beschlussfassung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 sei rechtsmissbräuchlich, wegen der (oben dargestellten) Überrumpelung, der Verdeckung eines Organisationsverschuldens, das in der unterbliebenen Einrichtung einer wirksamen Compliance-Organisation zu sehen sei, für die sämtliche Vorstandsmitglieder die Gesamtverantwortung trügen, und der unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts/Sicherung von (weiteren) Ansprüchen, der Täuschung über den Umfang der Sachverhaltsaufklärung, der Begünstigung aller Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats durch den im Deckungsvergleich enthaltenen Verzicht sowie aufgrund des kollusiven Zusammenwirkens mit Vertretern der … . Mit dem verlautbarten Bestreben, die „Dieselthematik“ aufzuarbeiten, werde nicht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der für den Vergleich herangezogene „relevanten Sachverhalt“ weitergehende Haftungsfreistellungen beinhalte, etwa auch für Berater der Beklagten.Randnummer33

Dass die umfassende Erledigung von den …-Versicherern zur Voraussetzung der Zahlung gemacht worden sei, „bestreitet“ der Kläger zu 2 „mit Nichtwissen“. Getäuscht worden sei über den Umfang der durchgeführten Prüfungen, deren Gegenstand, Inhalt und Ergebnis „mit Nichtwissen bestritten“ werde, die sich nur auf den „Dieselskandal“ bezogen hätten, während der weitergehende „relevanten Sachverhalt“ verglichen aber nicht geprüft worden sei. Sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht sei der Prüfungsumfang unzureichend gewesen. Der Kläger zu 2 ist der Auffassung, dass sich ein Widerspruch daraus ergebe, dass die Fragen in der Hauptversammlung nach dem wesentlichen Ansprechpartner von … dahin beantwortet worden seien, dass Mitgliedern des Aufsichtsrats sowie Mitarbeitern des Büros des Aufsichtsratsvorsitzenden berichtet worden sei, wohingegen nunmehr vorgetragen werde, dass einem vom Aufsichtsrat eingesetzten „Sonderausschuss Dieselmotoren“ und dem Aufsichtsratsplenum berichtet worden sei.Randnummer34

Ferner ergebe sich der Rechtsmissbrauch aus Willkür und einem widersprüchlichen Verhalten des Vorstands und Aufsichtsrats der Beklagten im Zusammenhang mit der Aufklärung des Sachverhalts. Die Haftungsvergleiche und der Deckungsvergleich schädigten die Beklagte, weil sich aus der Freistellung höhere Verpflichtungen als die aus den Vergleichen zufließenden Leistungen ergeben könnten, auf Ansprüche gegen alle weiteren Organmitglieder verzichtet werde und Regressansprüche gegen Berater vereitelt würden. Der Zufluss von 15,3 Mio. € (durch die Haftungsvergleiche) werde in Ansehung des Schadens dem „Sanktionscharakter“ nicht gerecht. In Ansehung der Investition von rd. 120 Mio. € in Anwaltshonorar sei der durch die Vergleiche der Beklagten zufließende Gesamtbetrag auch unter Berücksichtigung der von den …-Versicherern gezahlten 270 Mio. € zu gering. Zudem sei unverständlich, warum nicht der Deckungshöchstbetrag durchgesetzt worden sei (Blatt 542 R, GA IV). Der Kläger zu 2 behauptet, die Beklagte täusche ein Aufklärungsinteresse nur vor, was insbesondere aus der konterkarierten Sonderprüfung abgeleitet werden könne.Randnummer35

Die Aktionärin …  erlange einen Sondervorteil dadurch, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten, die Ansprüche gemäß §§ 117, 317 AktG hätte verjähren lassen und durch den Haftungsverzicht veranlasst würden, nicht gegen Mitglieder der Familien … und … auszusagen. Ferner werde auf konzernrechtliche Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche verzichtet, woraus sich eine Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 2 Satz 1 AktG ergebe. Der Kläger ist zu 2 ist der Auffassung, die Beklagte treffe eine sekundäre Darlegungslast zu den vom Kläger zu 2 erhobenen Vorwürfen. Auf die Ursächlichkeit des Sondervorteils für das Abstimmungsergebnis komme es nicht an.Randnummer36

Die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 seien auch anfechtbar, weil dem Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten Informationspflichtverletzungen zur Last zu legen seien, indem sie in ihrer gemeinsamen Stellungnahme relevante Informationen nicht, bzw. nicht vollständig erteilt, bzw. keine hinreichende Informationsgrundlage hierfür geschaffen hätten. Entgegen der Auffassung der Beklagten werde mit der Vorlage der Vergleichstexte die Informationspflicht nicht erfüllt. Denn die Reichweite des Verzichts werde aus dem komplexen Vertragswerk nicht deutlich. Infolge der Bezugnahme auf den „relevanten Sachverhalt“ werde weder der Verzicht noch der Umfang der Freistellungsvereinbarung deutlich. Dies beziehe sich sowohl auf die Personen, gegenüber denen auf Ansprüche verzichtet werde, die durch den Begriff der „versicherten Person“ nicht hinreichend definiert würden, als auch auf bestehende Interessengegensätze zwischen denjenigen der Beklagten und ihrer (ehemaligen) Organe. Eine weitere – von der Beklagten nicht erfüllte – Berichtspflicht ergebe sich aus dem, im Kontext mit der Einflussnahme der …  aufgezeigten Organisationsverschulden, welches mit den Vergleichen abgegolten werden solle. Der Sachverhalt, namentlich zu den Vermögensverhältnissen von Herrn … und Herrn … sei unzureichend aufgeklärt. Der Kläger zu 2 „bestreitet mit Nichtwissen“, dass die gutachterliche Stellungnahme von … deren Einkommen für die Tätigkeit im …-Konzern aufliste. Die Informationspflichtverletzung sei nicht durch die Beantwortung der Fragen im Rahmen der Hauptversammlung geheilt worden. Der in § 1 Abs. 7 Covid-19-Gesetz geregelte Anfechtungsausschluss für Verletzungen des Fragerechts der Aktionäre erstrecke sich nicht auf Informationsmängel im Bericht zur Hauptversammlung. Zudem komme ein Anfechtungsausschluss nach § 1 Abs. 7 Covid-19-Gesetz wegen Vorsatzes der Beklagten nicht in BetrachtRandnummer37

Die Beschlüsse über die Vorstandsentlastung (Tagesordnungspunkt 3) und die Aufsichtsratsentlastung (Tagesordnungspunkt 4) seien ebenfalls anfechtbar, weil sich aus den oben genannten Rechtsverletzungen schwere eindeutige Gesetzesverstöße der vorgenannten Organe ergäben. Zudem sei Entlastung wegen Untätigkeit bei der Aufklärung des Dieselskandals zu versagen (Blatt 542 R, GA IV).Randnummer38

Der Kläger zu 2 meint letztlich, es würden – wegen des strukturellen Informationsgefälles zwischen Aktionären und Organen – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 19. Oktober 2021 VI ZR 148/20, juris Rn. 16 bis 19) die Grundsätze der sekundären Darlegungslast der Beklagten gelten. Sein Antrag auf Vorlage von Unterlagen nach § 142 ZPO sei begründet, weil ohne den vorläufigen Bericht von … , auf dessen Auswertung die die gegen Herrn … geführten Strafverfahren beruhten (Anlagen K2-30 und K2-31), und das Gutachten von … (vgl. zu den dadurch entstandenen Kosten Anlage K2-30), die erforderliche Tatsachengrundlage nicht gegeben sei. Ohne die Unterlagen könne nicht beurteilt werden, ob entgegen dem Kompetenzgefüge einer Aktiengesellschaft nicht auch Angehörige des Aufsichtsrats in Anspruch genommen werden müssten.

3.

Der Nebenintervenient zu 1 ist der Auffassung, dass sich in Anbetracht der laufenden Strafverfahren, der „weiteren zahlreichen zivilrechtlichen und behördlichen Verfahren im In- und Ausland“ und der nunmehr begonnenen Sonderprüfung ein Vergleich über den Sachverhalt, den Herr … spätestens seit dem Jahr 2012 gekannt habe (Anlage NI 4), jedenfalls derzeit verbiete. Hinreichende Erkennbarkeit des Schadensausmaßes – als Voraussetzung für den Abschluss eines Vergleichs – liege nicht vor, zumal in den USA hohe Strafen drohen könnten. Außerdem sei erst am 13. Juni 2022 vom Bundesgerichtshof entschieden worden, dass sich Inkassodienstleister wirksam Schadensersatzforderungen gegen die Beklagte von Erwerbern mit Wohnsitz in der Schweiz abtreten lassen könnten (VIa ZR 418/21), was weitere Verfahren veranlassen werde (Blatt 546 R, GA IV). Zudem stehe die Auffassung der Ermittlungsbehörden, wonach Vorsatzstraftaten im Zeitraum 2006 bis 2015 gegeben seien, der Annahme der Beklagten, es stehe nur eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung der Herren … und … in den Jahren 2015 und 2016 in Rede, entgegen. Entsprechendes gelte in Bezug auf einen Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 18. November 2021 (3 Kap 1/16), mit dem bereits für das Jahr 2008 eine Verpflichtung zur ad hoc-Meldung wegen der in für den U-S.-Markt bestimmten Diesel-PKW für das Modelljahr 2009 enthaltene Manipulationssoftware angenommen werde, was auf ein Organisationsverschulden hindeute (Blatt 546 R, GA IV). Ansprüche seien erst entstanden, wenn die Voraussetzungen einer Haftung und der Eintritt eines Schadens dem Grunde nach feststünden, was vorliegend nicht der Fall sei, sodass die Dreijahresfrist nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht zu laufen begonnen habe. Deshalb sei ein unzulässiger „Vorab-Blankovergleich“ mit den Stimmen der in einem Interessenkonflikt befindlichen Großaktionäre beschlossen worden, woran nichts ändere, dass noch nicht entstandene Ansprüche vom Vergleich ausgenommen seien. Zudem sprächen der Umfang des Schadens ebenso wie personelle Verflechtungen gegen eine abschließende Vereinbarung. Zudem umfasse die mit den … Versicherern vereinbarte umfassende Erledigung auch Fahrzeuge mit Elektroantrieb, bei denen sich ebenfalls Risiken manifestierten, wie sich aus den Anlagen NI 7 und NI 8 ergäbe. Ausgeblendet habe die Beklagte zudem, die Vorstandsmitglieder auch im Falle einer Ressortverteilung treffende Überwachungs- und Kontrollpflicht sowie etwaiges Organisationsverschulden. Zu einem ordnungsgemäßen Compliance- und Risikofrüherkennungssystem im Sinne von § 91 Abs. 2 AktG, das offenkundig nicht existiere, fehlten erforderliche Informationen, die im Sonderprüfungsverfahren zu erwarten seien. Es sei mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht vereinbar, Beschlüsse zu fassen, die bestimmte Aktionärsgruppen bevorzugten (§ 241 Nr. 3 AktG) und es verstoße gegen § 138 BGB, unter noch nicht aufgearbeitete Vorgänge einen Schlussstrich ziehen zu wollen, indem man sich mit minimalen Zahlungen zufriedengebe (§ 241 Nr. 4 AktG). Der seitens der Initiatoren des Vergleichs, die für den Schaden verantwortlich seien, forcierte Haftungsverzicht stelle einen Sondervorteil im Sinne von § 243 Abs. 2 AktG dar. Die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 seien demgemäß ebenso wie die Entlastungsbeschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4 nicht nur anfechtbar, sondern nichtig.Randnummer40

Die Kläger und der Nebenintervenient machen sich den Sachvortrag/die geäußerten Rechtsauffassungen der jeweils Anderen zu eigen.Randnummer41

Der Kläger zu 1 beantragt,Randnummer42

1. Es wird festgestellt, dass der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 zu TOP 10 a) gefasste Beschluss mit folgendem Wortlaut:Randnummer43

„Der Vergleichsvereinbarung zwischen der …, der …  und Herrn … vom 9. Juni 2021 wird zugestimmt.“Randnummer44

nichtig ist.Randnummer45

Hilfsweise:Randnummer46

Der der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 zu TOP 10 a) gefasste Beschluss mit folgendem Wortlaut:Randnummer47

„Der Vergleichsvereinbarung zwischen der …, der …  und Herrn … vom 9. Juni 2021 wird zugestimmt.“Randnummer48

wird für nichtig erklärt.Randnummer49

2. Es wird festgestellt, dass der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 zu TOP 10 b) gefasste Beschluss mit folgendem Wortlaut:Randnummer50

„Der Vergleichsvereinbarung zwischen der …, der … und Herrn… vom 9. Juni 2021 wird zugestimmt.“Randnummer51

nichtig ist.Randnummer52

Hilfsweise:Randnummer53

Der der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 zu TOP 10 b) gefasste Beschluss mit folgendem Wortlaut:Randnummer54

„Der Vergleichsvereinbarung zwischen der …, der …  und Herrn… vom 9. Juni 2021 wird zugestimmt.“Randnummer55

wird für nichtig erklärt.Randnummer56

3. Es wird festgestellt, dass der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 zu TOP 11 gefasste Beschluss mit folgendem Wortlaut:Randnummer57

„Der Vergleichsvereinbarung zwischen der …, der …  und der … einerseits und der … . als …Versicherer des Grundvertrags sowie den …-Versicherern der Exzedentenversicherungsverträge andererseits vom 9. Juni 2021 wird zugestimmt.“Randnummer58

nichtig ist.Randnummer59

Hilfsweise:Randnummer60

Der der auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 zu TOP 11 gefasste Beschluss mit folgendem Wortlaut:Randnummer61

„Der Vergleichsvereinbarung zwischen der …, der …  und der … einerseits und der …, als …Versicherer des Grundvertrags sowie den …-Versicherern der Exzedentenversicherungsverträge andererseits vom 9. Juni 2021 wird zugestimmt.“Randnummer62

wird für nichtig erklärt.Randnummer63

Der Kläger zu 2 beantragt,Randnummer64

1. Die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22. Juli 2021 zu Punkt 3 der Tagesordnung gefassten Einzelbeschlüsse, den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Vorstands für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung zu erteilen, werden für nichtig erklärt.Randnummer65

Es wird hilfsweise festgestellt, dass die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22. Juli 2021 zu Punkt 3 der Tagesordnung gefassten Einzelbeschlüsse, den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Vorstands für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung zu erteilen, nichtig sind.Randnummer66

2. Die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22 Juli 2021 zu Punkt 4 der Tagesordnung gefassten Einzelbeschlüsse, den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung zu erteilen, werden für nichtig erklärt.Randnummer67

Es wird hilfsweise festgestellt, dass die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22. Juli 2021 zu Punkt 4 der Tagesordnung gefassten Einzelbeschlüsse, den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung zu erteilen, nichtig sind.Randnummer68

3. Die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22 Juli 2021 zu Punkt 10 der Tagesordnung gefassten Einzelbeschlüsse über die Zustimmung zu Vergleichsvereinbarungen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Vorstands, … und dem ehemaligen Mitglied des Vorstands,…, werden für nichtig erklärt.Randnummer69

Es wird hilfsweise festgestellt, dass die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22. Juli 2021 zu Punkt 10 der Tagesordnung gefassten Einzelbeschlüsse über die Zustimmung zu Vergleichsvereinbarungen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Vorstands, …, und dem ehemaligen Mitglied des Vorstands,…, nichtig sind.Randnummer70

4. Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22 Juli 2021 zu Punkt 11 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Zustimmung zu einer Vergleichsvereinbarung mit den …-Versicherern der Beklagten wird für nichtig erklärt.Randnummer71

Es wird hilfsweise festgestellt, dass der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 22. Juli 2021 zu Punkt 11 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Zustimmung zu einer Vergleichsvereinbarung mit den …-Versicherern der Beklagten, nichtig ist.Randnummer72

Der Nebenintervenient zu 1 beantragt,Randnummer73

1. Es wird festgestellt, dass die in der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 gefassten Beschlüsse zuRandnummer74

– Tagesordnungspunkt 3 („Beschlussfassung über die Entlastung der im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitglieder des Vorstands für das Geschäftsjahr 2020“),Randnummer75

– Tagesordnungspunkt 4 („Beschlussfassung über die Entlastung der im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2020“),Randnummer76

– Tagesordnungspunkt 10 a) und b) („Beschlussfassung über die Zustimmung zu Vergleichsvereinbarungen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Vorstands, … und dem ehemaligen Mitglied des Vorstands,…“),Randnummer77

– Tagesordnungspunkt 11 („Beschlussfassung über die Zustimmung zu einer Vergleichsvereinbarung mit den …-Versicherern der … Aktiengesellschaft“) nichtig sind.Randnummer78

2. Hilfsweise wird beantragt, dass die vorgenannten Beschlussfassungen für nichtig erklärt werden.Randnummer79

Die Beklagte beantragt,Randnummer80

die Klage abzuweisen.Randnummer81

Der Nebenintervenient zu 2 war in der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2022 nicht anwesend. Er hat demgemäß keinen Antrag gestellt.

C.

Die Beklagte ist der Auffassung, für die Frage der Rechtmäßigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung vom 22. Juli 2021 zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 sei entscheidend, dass die Hauptversammlungsmehrheit in ihrer Entscheidung über die Zustimmung zu den Vergleichsvereinbarungen frei gewesen sei und keinen inhaltlichen Bindungen unterlegen habe. Einer Inhaltskontrolle seien die Beschlüsse entzogen, da die interessen von Minderheitsaktionären abschließend gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG durch ein – hier unstreitig nicht erreichtes – Widerspruchsquorum geschützt würden. Danach hätten sich die Aktionäre auf angemessener Informationsgrundlage nach freiem Ermessen rechtsfehlerfrei mit einer Mehrheit von jeweils 99,91 % sowie 99,98 % der abgegebenen Stimmen für die Zustimmung zu den Vergleichen entschieden. Eine Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergebe sich weder aus formellen Fehlern noch aus Informationsmängeln. Ferner seien die Zustimmungsbeschlüsse nicht aus materiellen Gründen anfechtbar, bzw. nichtig. Die Entlastungsbeschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4 seien ebenso wenig anfechtbar, weil Vorstand und Aufsichtsrat auch im Geschäftsjahr 2020, als dem für die Entlastung maßgeblichen Zeitraum, in jeder Hinsicht pflichtgemäß gehandelt hätten.Randnummer83

Im Einzelnen:

1.

Die Beschlussfassung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 sei nicht aus formellen Gründen rechtswidrig.

1.1

Eine fehlerhafte Bekanntmachung der Tagesordnung entgegen § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG liege nicht vor, da die Aufgabe der Tagesordnung, Aktionäre auf die Inhalte der Hauptversammlung sachgerecht vorzubereiten, durch die schlagwortartige Nennung des Inhalts der Verträge, um deren Zustimmung es gehe, erfüllt werde. Ohnedies seien wesentliche Vertragsinhalte in der Einberufung gemäß § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG bekannt gemacht, worauf in der Tagesordnung Bezug genommen werde. Maßgeblich sei insoweit die am 14. Juni 2021 im Bundesanzeiger bekannt gemachte Tagesordnung (vgl. Anlage 1 zum notariell beurkundeten Protokoll der Hauptversammlung 2021; Anlage B4). Die Bekanntmachung nehme wiederum Bezug auf die (in ihrem Wortlaut vollständig wiedergegebenen) Haftungsvergleiche, denen sämtliche Informationen zu den Freistellungsverpflichtungen zu entnehmen seien. Freistellungsansprüche, die die Beklagte für den Fall zugesagt habe, dass Herr … und Herr … im Zusammenhang mit dem „relevanten Sachverhalt“ von Dritten in Anspruch genommen werden würden, bestünden gegenwärtig nicht. Entsprechendes gelte für den Deckungsvergleich und den darin enthaltenen Verzicht, in Bezug auf den die Tagesordnung hinsichtlich der ausdrücklich einbezogenen zusätzlichen Informationen im Deckungsvergleich selbst sowie im HV-Bericht ergänzt und konkretisiert würde. Die Annahme, AGB-rechtliche Grundsätze zu überraschenden Klauseln fänden Anwendung, treffe nicht zu, was sich bereits aus § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ergebe. Zudem schließe die vollständige Wiedergabe der Haftungs- und Deckungsvergleiche sowie die Erläuterung im HV-Bericht eine überraschende Wirkung durch die Freistellungsverpflichtungen und Verzichte aus.Randnummer86

Eine fehlerhafte Bekanntmachung der Vergleichsvereinbarungen gemäß § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG liegen nicht vor, da der wesentliche Vertragsinhalt als Gegenstand der Bekanntmachungspflicht wiedergegeben sei. Von vorneherein nicht bekanntzumachen seien – anders als die Kläger meinten – im Vertrag nicht enthaltene Regelung. Da die Vergleichsvereinbarungen die vom Verzicht betroffenen Personen nicht nennen würden, sei deren namentliche Nennung nicht erforderlich gewesen. Zudem sei bei den hier in Rede stehenden Verträgen zu Gunsten Dritter (nach § 328 Abs. 1 BGB) die Bestimmbarkeit der durch den Deckungsvergleich begünstigten Personen ausreichend. Die Bezugnahme auf den abstrakten, sachlich abgrenzbaren Kreis der versicherten Personen sei in … Versicherungsverträgen üblich und der Verweis auf versicherungsvertragliche Regelungen diene dazu, einen Gleichlauf zwischen der Begünstigung des Verzichts einerseits und der Versicherungsdeckung unter der … Versicherung andererseits herzustellen. Eine Verpflichtung zur abschließenden Aufzählung der durch die Vergleichsvereinbarungen begünstigten Personen ergebe sich nicht aus dem Normzweck des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Die Regelung solle der Hauptversammlung eine Kontrolle darüber ermöglichen, welche Personen von dem Vergleich begünstigt würden, was indes die namentliche Nennung der begünstigten Personen nicht erfordere. Ausreichend sei die Darstellung im HV-Bericht, wonach bei allen amtierenden und ehemaligen Organmitgliedern, mit Ausnahme von Herrn … und Herrn …, keine Pflichtverletzungen festgestellt worden seien, woraus sich ergebe, dass hinsichtlich der übrigen Organmitglieder ein Verzicht vorliege. Selbst wenn man – wie nicht – eine unzureichende Informationsgrundlage der Hauptversammlung durch die mit der Tagesordnung übermittelten Informationen annähme, wäre der Informationsmangel durch die Beantwortung der Frage zu den Namen sämtlicher durch den Deckungsvergleich begünstigter Organmitglieder behoben worden (Seite 35 ff. der Klageerwiderung).

1.2

Die Zustimmungsbeschlüsse seien nicht wegen gemäß § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG unwirksamer Beschlussvorschläge des Aufsichtsrats anfechtbar, weil der Aufsichtsrat über die Beschlussvorschläge auf unzureichender Informationsgrundlage beschlossen und einem Interessenkonflikt unterlegen habe. Auf eine unzureichende Informationsgrundlage des Aufsichtsrats bei der Beschlussfassung komme es von vornherein nicht an, da eine solche nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses über den Beschlussvorschlag führe. Relevant sei nur, ob der Beschlussvorschlag formal ordnungsgemäß zustande gekommen und materiell nicht auf eine satzungs- oder gesetzeswidrige Amtsausübung des Organmitglieds gerichtet sei, was hier nicht in Rede stehe. Zudem habe der Aufsichtsrat den Beschluss über die Beschlussvorschläge auf einer angemessenen Informationsgrundlage gefasst. Maßstab sei bei Entscheidungen über den Abschluss von Vergleichen mit Organmitgliedern und deren Vorlage an die Hauptversammlung die Einhaltung der allgemeinen Sorgfaltspflichten durch die Aufsichtsratsmitglieder. Die besonderen Anforderungen bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder nach Maßgabe der …-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, fänden dagegen keine Anwendung. Ihrer Sorgfaltspflicht hätten die Aufsichtsratsmitglieder bereits dadurch genügt, dass sie sich von spezialisierten Rechtsanwälten der Rechtsanwaltssozietät … eingehend hätten beraten lassen und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzogen hätten. … und … hätten umfangreiche Ermittlungen angestellt, auf deren Grundlage der Aufsichtsrat angemessen informiert worden sei (siehe auch Seite 5 bis 9 des Schriftsatzes vom 20. Mai 2022). Von den darlegungs- und beweisbelasteten Klägern werde ein Interessenkonflikt auch nicht schlüssig dargelegt. Soweit auf die Möglichkeit eines (aus einer im Zuge der internen Ermittlungen nicht aufgedeckten Pflichtverletzung hervorgehenden) Interessenkonflikts verwiesen werde, ergebe sich daraus kein Anfechtungsgrund. In diesem Kontext bestreitet die Beklagte eine Verbindung zwischen einem „Projekt Deutschland“, einer angeblich geplanten Beteiligung von … an der Beklagten und der Dieselthematik, die bereits nicht schlüssig dargelegt sei. Nach Abschluss der Untersuchungen durch … im März 2021, habe der Aufsichtsrat auf der Grundlage der Präsentation des Untersuchungsergebnisses am 26. März 2021 den Beschluss gefasst, Herrn … sowie Herrn … wegen fahrlässiger Sorgfaltspflichtverletzungen in Anspruch zu nehmen, die die gegen sie erhobenen Vorwürfe einer Sorgfaltspflichtverletzung zurückgewiesen hätten, woraufhin Vergleichsverhandlungen geführt worden seien, die in die Vergleichsvereinbarungen mündeten. Bezüglich der Pflichtgemäßheit der Entscheidung, die Vergleiche abzuschließen, habe sich der Aufsichtsrat ebenfalls durch … beraten lassen. Dabei sei der nach Auffassung von … Herrn … zuzuordnende Schaden von rund 2,5 Mrd. € und der Herrn … zuzuordnende Schaden von rund 300 Mio. € ebenso wie der Umstand, dass das Privatvermögen beider als Haftungsmasse nicht ausreichen werde, thematisiert worden. Eine Bekanntmachungspflicht gegenüber der Hauptversammlung in Bezug auf die Vermögensverhältnisse des Organmitglieds bestehe nicht, allenfalls eine Ermittlungspflicht des Aufsichtsrats für seine eigene Informationsgrundlage. Die Vermögensverhältnisse von Herrn … und Herrn … seien anhand der Bezüge aus ihrer Organtätigkeit abgeschätzt worden, was ausreichend sei. Bezüglich der Pensionsansprüche von Herrn … und Herrn … seien diese auf der Grundlage von Fragen des Klägers zu 2 in der Hauptversammlung thematisiert worden.Randnummer88

Soweit die Kläger meinten, der Hauptversammlung hätten nicht nur die für die Zustimmung maßgeblichen Informationsgrundlage als solche, sondern darüber hinaus auch solche Informationen mitgeteilt werden müssen, anhand derer die Plausibilität der mitgeteilten Informationsgrundlage im Einzelnen hätte überprüft werden können, würden die Kläger verkennen, dass der Hauptversammlung nicht im Einzelnen anhand interner Unterlagen der Gesellschaft darzulegen sei, wie Vorstand und Aufsichtsrat zu den die Grundlage des Vergleichs bildenden Feststellungen gekommen seien (Seite 20 f. des Schriftsatzes vom 20. Mai 2022). Zudem ergäben sich für die Beklagte im Falle der Veröffentlichung interner Gutachten erhebliche Nachteile. In der gutachterlichen Stellungnahme von … ergäben sich Aspekte, anhand derer die in Anspruch genommenen Vorstandsmitglieder und die …- Versicherer Einwände gegen ihre Haftung (zumindest leichter) entwickeln könnten. Zudem könnten Aktionäre und Dritte Informationen aus den Gutachten zum Nachteil der Beklagten nutzen. Eine Vorlageanordnung gemäß § 142 Absatz ein Satz 1 ZPO wäre wegen fehlender Beweiserheblichkeit unzulässig und würde gegen den Beibringungsgrundsatz verstoßen.Randnummer89

Ebenso wie in Bezug auf eine behauptete fehlende Informationsgrundlage für den Aufsichtsratsbeschluss, sei ein etwaiger Interessenkonflikt von Aufsichtsratsmitgliedern für die Wirksamkeit des Beschlusses ohne Relevanz. Zudem lägen keine Interessenkonflikte bei der Entscheidung des Aufsichtsrats über die Beschlussvorschläge vor. Vorstand und Aufsichtsrat seien vielmehr gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG verpflichtet, der Hauptversammlung Beschlussvorschläge zu unterbreiten, auch wenn diese beinhalteten, Ansprüche gegen Mitglieder des jeweils „eigenen Organs“ dauerhaft nicht geltend zu machen. Insoweit sei auch anerkannt, dass Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder, die selbst Begünstigte einer Vergleichsvereinbarung seien, keinem Stimmverbot unterlägen. Die von …-Versicherern regelmäßig geforderte umfassende Erledigung wäre anderenfalls nicht möglich, weil Vorstand und Aufsichtsrat der Hauptversammlung sonst keinen Beschlussvorschlag unterbreiten könnten.Randnummer90

Nicht entscheidungserheblich sei die Frage der Verantwortlichkeit der ehemaligen und amtierenden Organmitglieder der Beklagten als solche. Gegenstand des Verfahrens sei nicht die Entscheidung von Aufsichtsrat und Vorstand der Beklagten, die Vergleichsvereinbarungen der Hauptversammlung zur Zustimmung vorzulegen, weshalb die Ausführungen zu sorgfaltswidrigem Verhalten von Aufsichtsrat und Vorstand irrelevant seien. Maßgeblich seien allein die Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung, die bei ihrer Entscheidung nicht den für Organmitglieder geltenden Sorgfaltsmaßstäben gemäß § 93 Abs. 1 (in Verbindung mit § 116 Satz 1) AktG unterlägen. Anders als die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats sei die Hauptversammlung nämlich nicht Sachwalter fremder Vermögensinteressen. Aus diesem Grund scheide eine Haftung von Organmitgliedern gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG aus, wenn diese von der Hauptversammlung gefasste Beschlüsse ausführten.Randnummer91

Die Beklagte habe die Hauptversammlung sowohl über die Reichweite der Verzichts- und Freistellungsregelungen in den Haftungsvergleichen als auch über die Reichweite der Erledigungswirkung im Deckungsvergleich umfassend informiert. Eine umfassende Prüfung des relevanten Sachverhalts sei dabei nicht erforderlich gewesen, weil es insofern keine Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen gegeben habe und der relevante Sachverhalt auch nicht umfassend erledigt worden sei.Randnummer92

Entgegen der Auffassung der Kläger sei in den Haftungsvergleichen keine Einlagenrückgewähr gemäß § 57 Abs. 1 AktG zu sehen. Mit dem Anfechtungsgrund seien die Kläger schon nach § 246 Abs. 1 AktG präkludiert, da dieser nicht innerhalb der einmonatigen Anfechtungsfrist vorgebracht worden sei. Soweit auf die Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 3 AktG abgehoben werde, fehle bereits jeder Sachvortrag der Kläger zur Aktionärseigenschaft von Herrn … und Herrn …. Zudem sei die Voraussetzung nach § 57 Abs. 1 AktG, wonach ein Verstoß nur dann begründet sei, wenn der Abschluss des Vergleichs nach dem Sach- und Streitstand nicht gerechtfertigt sei, nicht gegeben. Denn die Haftungsvergleiche seien als Ergebnis intensiver Verhandlungen in jeder Hinsicht sachgerecht.

1.3

Die bekanntgemachten Beschlussvorschläge des Vorstands seien ebenfalls nicht wegen einer nicht ausreichenden Informationsgrundlage anfechtbar.

1.4

Die Beschlussfassung im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung sei zulässig. Die Entscheidung des Vorstandes und des Aufsichtsrats der Beklagten, die ordentliche Hauptversammlung als virtuelle Versammlung durchzuführen, sei gemäß § 1 Abs. 7 Covid-19-Gesetz nicht anfechtbar. Zudem stelle die virtuelle Hauptversammlung während der Corona-Pandemie einen vollwertigen Ersatz für die Durchführung von Präsenzhauptversammlungen dar, in deren Rahmen die Aktionäre – unter anderem auf der Grundlage der Beantwortung von 640 eingereichten Fragen – umfassende Informationen zu den vorgeschlagenen Vergleichsvereinbarungen erhalten hätten. Der Vorstand habe auch mit Blick auf die Zusammenfassung von Fragen, einleitenden Bemerkungen und dem (teilweisen) Verzicht auf deren Wiedergabe ermessensfehlerfrei gehandelt. Soweit der Kläger zu 1 die Einhaltung des aktienrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes „mit Nichtwissen bestreite“, treffe die Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Ferner handele sich um einen neuen Anfechtungsgrund, sodass gemäß § 246 Abs. 1 AktG Präklusion eingetreten sei.

2.Randnummer95

Die Hauptversammlung habe über eine angemessene Informationsgrundlage verfügt, nachdem Vorstand und Aufsichtsrat ihre für die Zustimmung zu den Vergleichsvereinbarungen bestehenden Informationspflichten gemäß § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG durch die Vorlage der Vergleichsvereinbarungen, die freiwillige Vorlage des HV-Berichts und die vollständige sowie erschöpfende Beantwortung sämtlicher (insgesamt 640) Fragen, erfüllt hätten.

2.1Randnummer96

Die Verpflichtung, den wesentlichen Inhalt des Vergleichs bekanntzugeben, sei durch die Wiedergabe der zustimmungspflichtigen Verträge im Wortlaut erfüllt, was dem üblichen Vorgehen entspreche. Darüber hinaus sei der wesentliche Inhalt der Vergleichsvereinbarungen im HV-Bericht dargestellt. Soweit die Kläger fehlende Angaben im – freiwillig erstatteten – HV-Bericht rügten, führe diese von vornherein nicht zur Anfechtbarkeit und wäre jedenfalls durch die Ausübung des Fragerechts kompensiert worden. In Bezug auf Pflichtberichte (nach § 293 a Abs. 1 AktG) sei anerkannt, dass diese Informationen über die für den Vertragsschluss wesentlichen Angelegenheiten des anderen Vertragsteils nicht enthalten müssten, was für den hier in Rede stehenden freiwilligen HV-Bericht erst recht gelte. Zudem würde die Aufnahme aller denkbaren Informationen in den Bericht (aus Gründen der Vorsicht) zur Unübersichtlichkeit beitragen. Die Beklagte ist der Auffassung, ein Anfechtungsrecht sei gemäß § 1 Abs. 7 Covid-19 Gesetz nicht nur bezüglich der Verletzung des Fragerechts, sondern auch mit Blick auf Informationspflichtverletzungen, ausgeschlossen.

2.2Randnummer97

Darüber hinaus lägen Informationsmängel im HV-Bericht nicht vor. Die Beklagte habe ihren Aktionären eingehend Bericht erstattet, indem sie zu den Gründen für die angenommenen, bzw. nicht angenommenen fahrlässigen Pflichtverletzungen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, dem …-Versicherungsprogramm, den von Herrn … und Herrn … zu leistenden Eigenbeträgen sowie dem im Gegenzug erklärten Verzicht, den Regelungen zu den Freistellungen, den Leistungen von den …- Versicherern, dem Rückstellungskonto, dem Verzicht gegenüber ehemaligen Vorstandsmitgliedern und der der Zustimmung zum Vergleich nicht entgegenstehenden Sonderprüfung, umfassend Stellung genommen habe.Randnummer98

Von den Klägern als fehlend gerügte Informationen stellten keine Informationsmängel dar. Die deutlich über den Schadensersatzleistungen liegende Höhe der (angenommenen) Schadensersatzansprüche gegen Herrn … und Herrn … lasse sich dem HV-Bericht entnehmen und die darauf abzielende Frage sei in der Hauptversammlung dahingehend beantwortet worden, dass man in Bezug auf Herrn … von einem Schaden in Höhe von rund 2,5 Mrd. € und in Bezug auf Herrn … in Höhe von 300 Mio. € ausgehe, sodass ein objektiv urteilender Aktionär über die erforderlichen Informationen verfügt habe. Risiken einer gerichtlichen Auseinandersetzung über Ersatzansprüche seien von der Beklagten im HV-Bericht thematisiert. Ferner habe die Beklagte darin ihre Einschätzung wiedergegeben, dass sie weder aufgrund der noch anhängigen behördlichen und gerichtlichen Verfahren noch in Folge der Durchführung der Sonderprüfung weitergehende Erkenntnisse erwarte. Woraus sich fehlende Anhaltspunkte dafür ergäben, dass Aufsichtsratsmitgliedern Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Dieselthematik zur Last zu legen seien, namentlich nicht bereits im Frühjahr 2015 Kenntnis über Manipulationen bei Abgaswerten vorgelegen habe, sei im HV Bericht dargelegt. Vor diesem Hintergrund seien Angaben zu den Vermögensverhältnissen von Aufsichtsratsmitgliedern obsolet. Die Höhe der von den …-Versicherern (noch) zu leistenden Zahlungen sei für die Liquidität der Beklagten ohne Relevanz, da die Beklagte in Höhe der bereits erbrachten Leistungen begünstigt sei. Darüber hinaus seien in der Hauptversammlung Fragen nach den der Beklagten zufließenden Zahlungen der …-Versicherer beantwortet worden. Der HV-Bericht enthalte auch Angaben zu Zahlungen vom Rückstellungskonto. Angaben zu den Freistellungsverpflichtungen in den Haftungsvergleichen und den Verzichten im Deckungsvergleich seien im HV-Bericht enthalten. Ergänzend sei auf der Grundlage von Fragen in der Hauptversammlung zu den Freistellungsverpflichtungen und den Verzichten ausgeführt worden, dass die Freistellungspflicht maximal die Differenz zwischen den seitens der Versicherer geleisteten Regulierungsbeiträgen einerseits und der jeweiligen Deckungssumme des …-Versicherungskonsortiums andererseits umfasse, wobei sich für Konzernvorstandsmitglieder (alle versicherten Person zusammen) die maximale Summe auf 240 Mio. € belaufe, in Bezug auf Vorstandsmitglieder, die einen Haftungsvergleich geschlossen hätten, das Risiko aus der Freistellungspflicht im einstelligen oder niedrigen 2-stelligen Millionenbereich gesehen werde. Als fehlend erachtete Fragen nach dem Vermögen von Herrn … und Herrn … seien in der Hauptversammlung – soweit möglich – dahin beantwortet worden, dass das von Herrn … und Herrn … von der Beklagten und … bezogene Einkommen (120 Mio. €/50 Mio. €) berücksichtigt worden sei. Die Frage nach den Namen der durch den Verzicht betroffenen Organmitglieder seien in der Hauptversammlung beantwortet worden und aus der Angabe der jeweiligen Vermögen der Organmitglieder ergebe sich kein Informationsmehrwert. Fragen nach dem Zeitraum der durchgeführten Untersuchungen seien in der Hauptversammlung dahin beantwortet worden, dass Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder und gegen …-Versicherer im Zeitraum 1. November 2002 bis 31. März 2018 und gegen Aufsichtsratsmitglieder im Zeitraum Mai 2014 bis November 2017 untersucht worden seien. Es liege auch keine unvollständige Angabe zu Strafverfahren und zivilrechtlichen Verfahren gegen Herrn …, namentlich solche in den USA, vor. Vielmehr ergebe sich aus dem HV-Bericht, dass die Aufzählung der Verfahren nicht abschließend sei. Zudem seien Verfahren gegen Herrn … in den USA in der Hauptversammlung thematisiert worden. Als fehlend gerügte Angaben zu „potentiellen Beraterregressen“ seien nicht erforderlich, weil der Verzicht nur versicherte Personen betreffe. Angaben zu einem fehlenden Organisationsverschulden von Organmitgliedern enthalte der HV-Bericht dahin, dass mit Blick auf Herrn … und Herrn … keine Organisationspflichtverletzungen festgestellt worden seien, die für die Dieselthematik mitursächlich gewesen seien. Entgegen der Auffassung der Kläger sei es nicht „lebensfremd“, dass andere Vorstandsmitglieder die in Bezug auf Herrn … und Herrn … festgestellten Unterlassungspflichtverletzungen nicht erkannt hätten und auch nicht hätten erkennen können. Vor diesem Hintergrund komme keine Haftung aus dem Aspekt der Gesamtverantwortung von Vorstandsmitgliedern für die Einhaltung des Legalitätsprinzips und der Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems in Betracht.Randnummer99

Aus der Beweislastumkehr in § 93 Abs. 2 Satz 2, § 116 Satz 1 AktG im Falle der Inanspruchnahme von Organmitgliedern durch die Gesellschaft, wenn streitig sei, ob diese die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters/Überwachers angewandt hätten, ergäben sich keine weitergehenden Informationsverpflichtungen der Beklagten gegenüber ihren Aktionären. Letztlich seien dem HV-Bericht Angaben zu Pflichtverletzungen des Herrn … in seiner Eigenschaft als Vorsitzenden des Aufsichtsrats der …  zu entnehmen.

2.3Randnummer100

Gutachterliche Stellungnahmen von … und … hätten nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung, die die Prüfung eines Fehlverhaltens von Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat und die Prüfung eines Fehlverhaltens von Aufsichtsratsmitgliedern durch den Vorstand vorsehe, nicht vorgelegt werden müssen. Ungeachtet dessen enthalte der HV-Bericht Angaben zu den Ergebnissen der gutachterlichen Stellungnahmen.

2.4Randnummer101

Eine Verletzung des Auskunftsrechts aus § 131 Abs. 1 AktG sei wegen der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ebenso wie die Anfechtung wegen einer nicht pflichtgemäßen Beantwortung der eingereichten Fragen im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 Covid-19-Gesetz nach § 1 Abs. 7 Covid-19-Gesetz ausgeschlossen. Das Fragerecht sei durch die nicht wörtliche Wiedergabe und Zusammenfassung von Fragen nicht verletzt; die Vorgehensweise der Beklagten sei ermessensfehlerfrei. Letztlich sei keine grundrechtswidrige Ausgestaltung der Rechte der Aktionäre nach dem Covid-19-Gesetz festzustellen, bzw. die grundrechtskonforme Auslegung führe nicht zur Einräumung weitergehender Aktionärsrechte.

2.5Randnummer102

Eine Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergebe sich nicht aus einer Treuepflichtverletzung der Aktionäre aufgrund einer unzureichenden Informationsgrundlage des Aufsichtsrats bei seiner Entscheidung über den Abschluss der Vergleichsvereinbarung und deren Vorlage an die Hauptversammlung einschließlich seiner Beschlussvorschläge. Vielmehr seien der Aufsichtsrat angemessen und die Hauptversammlung umfassend informiert worden. Zudem seien Zustimmungsbeschlüsse nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG wegen Treuepflichtverletzungen der Hauptversammlungsmehrheit grundsätzlich nicht anfechtbar.

3.Randnummer103

Die Zustimmungsbeschlüsse seien nicht aus materiellen Gründen rechtswidrig, bzw. nichtig. Weder die Hauptversammlungsbeschlüsse noch die Vergleiche seien unbestimmt. Ein Verstoß gegen die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG liege nicht vor. Die gerichtlich angeordnete Sonderprüfung entfalte keine Sperrwirkung. Ein Stimmverbot der Hauptaktionäre habe nicht vorgelegen. Inhaltsmängel der Zustimmungsbeschlüsse oder Rechtsmissbrauch sei nicht gegeben.

3.1Randnummer104

Die in der Hauptversammlung gefassten Zustimmungsbeschlüsse seien bestimmt und ordnungsgemäß notariell beurkundet (Anlage B4). Hierfür sei es nicht erforderlich, die Vergleichsvereinbarungen als Anlage zu den beurkundeten Beschlüssen zu nehmen, was indes dadurch geschehen sei, dass sich in den weiteren Informationen zur Tagesordnung, die als Bestandteil der Einberufung auch zur Anlage der notariellen Niederschrift genommen worden seien, der vollständige Wortlaut der Vergleiche wiedergegeben sei. Die – tatsächlich nicht vorliegende – Unbestimmtheit der Vergleichsvereinbarungen würde nicht zur Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung führen, da Beschlüsse der Hauptversammlung gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nach allgemeiner Auffassung keiner inhaltlichen bzw. materiellen Kontrolle unterlägen. Vielmehr stehe es den Aktionären frei, auf Schadensersatzansprüche gegenüber Organmitgliedern zu verzichten, was keiner Rechtfertigung bedürfe. Auch begründeten zivilrechtliche Mängel keine Rechtswidrigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen. Ungeachtet dessen seien die als nicht hinreichend bestimmt gerügten Regelungen der Vergleichsvereinbarungen aus sich heraus eindeutig und bestimmt. Der „relevante Sachverhalt“ sei ebenso wie die „Dieselthematik“ klar definiert. Einer Auflistung der versicherten Personen bedürfe es nicht, da diese in den Versicherungsverträgen definiert seien. Der Betrag der jeweiligen Ersatzforderung sei genannt und Freistellungserklärungen sowie Verzichte nachvollziehbar geregelt. Rückstellungen für künftige Versicherungsleistungen seien aus den Erläuterungen des Rückstellungskontos im HV-Bericht nachvollziehbar erläutert.

3.2Randnummer105

Ein Verstoß gegen die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG liege nicht vor, weil der Anspruch mit Erfüllung des haftungsbegründenden Tatbestandes entstehe und Ansprüche gegen Herrn … und Herrn … ab dem 27. Juli 2015, bzw. 21. September 2016, dem Beginn der Ihnen vorgeworfenen fahrlässigen Pflichtverletzung, entstanden seien. Vorsorglich seien zudem noch nicht entstandene Ansprüche in den Vergleichsvereinbarungen ausgeschlossen, für die indessen keine Anhaltspunkte bestünden. Dem stehe die Absicht der Beklagten, unter die Dieselthematik einen Schlussstrich zu ziehen, nicht entgegen, weil dann nur insoweit noch Ansprüche zu behandeln seien. Entgegen der Auffassung der Kläger seien Freistellungsvereinbarungen in Vergleichen mit Organmitgliedern üblich (Anlagen B6 bis B 11). Diese seien nach allgemeiner Auffassung auch mit Blick auf die Dreijahresfrist zulässig, wenn – wie hier – die Pflichtverletzung im Zeitpunkt der Zustimmung der Hauptversammlung mehr als 3 Jahre zurückliege. Insoweit sei auch kein Vorausverzicht gegeben, weil an den Zeitpunkt der Pflichtverletzung angeknüpft werde und der Grundsatz der Schadenseinheit gelte. Entgegen der Auffassung der Kläger beschränke 3.2 der Haftungsvergleiche den Umfang der Freistellungszusagen auf die nach dem Deckungsvergleich noch verbleibende Versicherungssumme, sei also nicht unbegrenzt.

3.3Randnummer106

Die Sonderprüfung entfalte keine Sperrwirkung für eine Zustimmung zum Abschluss eines Vergleichs mit den von der Sonderprüfung betroffenen Organmitgliedern. Eine gesetzliche Regelung über die Sperrung der Zustimmung zu einem Vergleich bei laufender Sonderprüfung existiere nicht. Die Voraussetzungen für eine dahingehende teleologische Reduktion des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, dass im Falle einer laufenden Sonderprüfung eine Beschlussfassung über einen Vergleich/Verzicht gesperrt sei, lägen nicht vor. Es bestünden keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber hätte den in Rede stehenden Fall dahingehend geregelt, dass während einer laufenden Sonderprüfung kein Zustimmungsbeschluss zu einem Vergleich gefasst werden dürfe. Demgegenüber habe der Gesetzgeber bewusst akzeptiert, dass die Hauptversammlung nach Ablauf der Dreijahresfrist – ohne weitere Einschränkungen – zu einem Vergleich oder Verzicht disponieren könne. Ein Widerspruch zwischen einem mit Zustimmung der Hauptversammlung abgeschlossenen Vergleich und der Durchführung einer gerichtlich angeordneten Sonderprüfung bestehe nicht, weil die Aktionäre auch auf der Grundlage des vorliegenden Berichts des Sonderprüfers nach § 147 Abs. 1 AktG frei in ihrer Entscheidung darüber blieben, ob sie die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beschließen oder sich dagegen entscheiden würden. Mit anderen Worten ergebe sich aus einem Bericht des Sonderprüfers, der eine Pflichtverletzung von Organmitgliedern feststelle keine Verpflichtung der Hauptversammlung, deren Verfolgung zu beschließen. Erst recht gegen eine Sperrwirkung der laufenden Sonderprüfung für Zustimmungsbeschlüsse nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG spreche, dass auch das Klagezulassungsverfahren gemäß § 148 Abs. 1 AktG die Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsbeschlüssen nicht sperre. Insoweit sei anerkannt, dass auch wenn mit dem Klagezulassungsverfahren der Aktionärsminderheit, die den einhundertsten Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 € erreiche, die Prozessführungsbefugnis zur Geltendmachung von ErsatzansprüchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ersatzansprüchen
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
der Gesellschaft gegen Organmitglieder auf die Aktionärsminderheit übergehe, die Hauptversammlung auch während eines laufenden Klagezulassungsverfahren einem von der Gesellschaft geschlossenen Vergleich zustimmen könne, was entsprechend für das eigentliche (dem Klagezulassungsverfahren nachfolgende) Klageverfahren gelte. Daraus werde deutlich, dass die Gesellschaft ihre Dispositionsbefugnis über ihre Ersatzansprüche in jeder Lage des Verfahrens behalte und nach dem gesetzgeberischen Willen unter den Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG jederzeit Vergleiche schließen könne. Diese Grundsätze seien auf die Sonderprüfung anzuwenden, woraus sich ergebe, dass ein Zustimmungsbeschluss nach Maßgabe von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG über einen den Gegenstand der Sonderprüfung betreffenden Sachverhalt erst recht zulässig sei. Sonderprüfung und Klagezulassung verfolgten deckungsgleiche Ziele, wobei sich aus der Sonderprüfung geringere Eingriffe in die Rechte der Gesellschaft ergäben. Wenn also der Gesetzgeber im Falle des gravierenderen Eingriffs durch Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf eine Aktionärsminderheit den Vergleichsschluss gleichwohl zulasse, müsse dies erst recht für die Sonderprüfung gelten, deren Berichterstattung die Hauptversammlung nicht zur Verfolgung von (dabei festgestellten) Verstößen verpflichte. Danach sei der durch das Quorum in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG gewährleistete Minderheitenschutz abschließend. Der Argumentation, dass die Sonderprüfung mit dem Abschluss von Vergleichen sinnentleert würde, stehe ebenfalls die vergleichbare Ausgangslage beim Klagezulassungsverfahren entgegen. Es komme hinzu, dass nach der …-Rechtsprechung, Vorstand bzw. Aufsichtsrat auch im Falle einer gerichtlich angeordneten Sonderprüfung zur Anspruchsverfolgung verpflichtet blieben, den Sachverhalt aufzuklären und die Geltendmachung von Ansprüchen zu prüfen hätten. Dies könnte dazu führen, dass während einer laufenden Sonderprüfung nach den Grundsätzen der …-Rechtsprechung Ansprüche gerichtlich geltend gemacht werden müssten, auch wenn überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls für den Abschluss eines Vergleichs sprächen, jedenfalls dann, wenn die hohen Voraussetzungen der …-Rechtsprechung für eine Nichtgeltendmachung nicht vorlägen. Soweit sich Klagezulassungsverfahren und Sonderprüfung darin unterscheiden würden, dass in Bezug auf Ersteres die Subsidiarität der Geltendmachung durch die Gesellschaft in § 148 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 AktG gesetzlich angeordnet sei, während diese für die Sonderprüfung fehle, liege dies an der Übertragung der Prozessführungsbefugnis für etwaige Ersatzansprüche der Gesellschaft im Falle des Klagezulassungsverfahrens. Da bei der Sonderprüfung dagegen keine Übertragung der Prozessführungsbefugnis erfolge, sei eine andere Situation gegeben. Es bestehe schon ansatzweise kein Konkurrenzverhältnis der Sonderprüfung zu einer Disposition der Gesellschaft über etwaige Ersatzansprüche. Die Unabhängigkeit der Regelungen über die Sonderprüfung und über einen Vergleichsabschluss ergebe sich bereits daraus, dass beide Maßnahmen von einem unterschiedlichen Minderheitenquorum ausgingen. Während die Sonderprüfung bereits durch eine Aktionärsminderheit, die (zusammen) den anteiligen Betrag von 100.000 € erreichten, beantragt werden könne, müsse zum Ausschluss eines Vergleichsbeschlusses eine Minderheit Widerspruch zur Niederschrift erheben, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals erreiche. Damit sei vom Gesetzgeber abschließend geregelt, unter welchen Voraussetzungen der Beschluss über die Zustimmung scheitere, wozu gerade kein laufendes Sonderprüfungsverfahren gehöre.

3.4Randnummer107

Ein Stimmverbot der …  nach § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG greifen nicht ein, weil nicht über die Entlastung der …  oder deren Befreiung von Verbindlichkeiten Beschluss gefasst worden sei. Zudem würde ein Stimmverbot nicht zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 führen, weil – insoweit unstreitig – auch ohne die Stimmen der …  die Zustimmung zu den Vergleichen mehrheitlich erteilt worden wäre (Seite 118 der Klageerwiderung). Dies gelte – ebenfalls unstreitig – im Falle der Annahme eines Stimmverbots der Beteiligungsgesellschaft des Landes Niedersachsen entsprechend. Würde man deren Stimmen zusätzlich zu den Stimmen der …  abziehen, ergäbe sich immer noch eine Zustimmung zu den Beschlüssen der Tagesordnungspunkte 10 und 11 mit einer Mehrheit von über 99 %. Bei Abzug der Stimmen der drei größten Aktionäre der Beklagten, also auch der …, hätten die verbleibenden Streubesitzaktionäre den Vergleichsvereinbarungen mit Mehrheiten von 99,62 % und 99,93 % der abgegebenen Stimmen zugestimmt.

3.5Randnummer108

Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG unterlägen – wie Hauptversammlungsbeschlüsse generell – bereits von vorneherein keiner inhaltlichen Kontrolle. Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG komme nur in Betracht, wenn der Beschluss der Hauptversammlung gegen konkrete Bestimmungen des Aktienrechts oder der Satzung verstoße. Demnach finde nach einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung keine Inhaltskontrolle von Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG statt. Dies beruhe darauf, dass es den Aktionären als wirtschaftlich Berechtigten an dem Gesellschaftsvermögen freistehe, auf Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Organmitglieder zu verzichten oder sich über solche Ansprüche zu vergleichen. Als weiterer Aspekt komme hinzu, dass der Gesetzgeber ausdrücklich geregelt habe, dass die interessen der Minderheit nur dann nicht gegenüber den interessen der Mehrheit zurückträten, wenn Aktionäre der Beschlussfassung widersprächen, die zusammen Anteile von 10 % des Grundkapitals hielten (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG a. E.). Damit sei vom Gesetzgeber selbst geregelt, wie eventuell abweichende Minderheitsinteressen berücksichtigt würden, nämlich indem das Widerspruchsquorum als einziges Abwägungskriterium für den Schutz der interessen der Minderheitsaktionäre vorgesehen sei.

3.6Randnummer109

Eine inhaltliche Missbrauchskontrolle beziehe sich nicht auf den Beschlussinhalt, bzw. dessen sachliche Rechtfertigung, sondern auf das Abstimmungsverhalten einzelner Aktionäre. Dieser individuelle Rechtsmissbrauch könne vorliegen, wenn ein Aktionär seine Stimmrechte unter Verletzung seiner individuellen Treuepflicht ausgeübt, aus eigennützigen Motiven gehandelt und das Beschlussergebnis dadurch beeinflusst habe.Randnummer110

Dies sei bei Hauptversammlungsbeschlüsse über die Zustimmung zu Vergleichen oder Verzichten gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG wegen der durch eine solche Vereinbarung alle Aktionäre in proportional gleicher Höhe treffenden Minderung des Gesellschaftsvermögens ausgeschlossen. Die denkbare Ausnahme, dass das (ehemalige) Organmitglied als Aktionär der Gesellschaft die Abstimmung beeinflussen könne, werde durch das Stimmverbot gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG verhindert. Ein solches Stimmverbot in Bezug auf die …  und die Beteiligungsgesellschaft des Landes Niedersachsen sei ausgeschlossen, weil die Vergleichsvereinbarungen weder Verbindlichkeiten der …  noch solche der Beteiligungsgesellschaft des Landes Niedersachsen oder Verbindlichkeiten anderer Aktionäre der Gesellschaft beträfen. Ohnedies würde in Ansehung der Zustimmung zu den Beschlüssen in der Hauptversammlung mit 99,91 % bzw. 99,98 % ein vermeintlich treuwidriges Abstimmungsverhalten einzelner Aktionäre keine Relevanz für das Beschlussergebnis haben. Wie bereits dargelegt, würde sich an dem Abstimmungsergebnis nichts Nennenswertes ändern, würde man die Stimmen der …  und der Beteiligungsgesellschaft des Landes Niedersachsen sowie der … unberücksichtigt lassen.Randnummer111

Auch in der Sache liege kein rechtsmissbräuchliches Stimmverhalten von Aktionären vor, welches die Kläger bereits nicht schlüssig darlegten. Entgegen der Auffassung der Kläger ergebe sich ein die Anfechtbarkeit begründender Rechtsmissbrauch nicht mit Blick auf die Höhe der vereinbarten Vergleichsbeträge. Der Einwand betreffe von vorneherein inhaltliche Mängel der Zustimmungsbeschlüsse, die eine Anfechtung nicht begründen könnten, gehe aber auch in der Sache fehl. Auch unter Berücksichtigung der in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG geregelten Vermutung der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Vorstandsmitglieds, wäre die gerichtliche Inanspruchnahme von Herrn … und Herrn …, die gegen sie gerichtete Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach zurückgewiesen hätten, in Ansehung der komplexen Sach- und Rechtsfragen mit erheblichen Prozessrisiken verbunden gewesen. Die Inanspruchnahme der …- Versicherer (im Falle eines erfolgreichen Vorgehens gegen Herrn … und Herrn … in einem ersten Schritt) hätte weiteren Risiken unterlegen, nämlich dem Einwand, dass Ersatzansprüche nicht oder nicht vollständig vom Versicherungsschutz abgedeckt seien und dass Pflichten vorsätzlich verletzt worden wären, was den Versicherungsschutz nach den Versicherungsbedingungen in Gänze ausgeschlossen hätte. Hinzu kämen Zinsverluste, Kosten und möglicher Ansehensverlust der Beklagten im Fall einer öffentlichen gerichtlichen Auseinandersetzung, wegen einer Fokussierung der Presseberichterstattung auf in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten, während aktuell erzielte Erfolge im Compliance-Management nicht angemessen wahrgenommen werden würden. Entgegen der Auffassung der Kläger sei der bisher entstandene Schaden von rd. 32,2 Mrd. € Herrn … und Herrn … nur teilweise (2,5 Mrd. €/300 Mio. €) zuzurechnen, weil zum Zeitpunkt der festgestellten Pflichtverletzung der Großteil der betroffenen Fahrzeuge bereits ausgeliefert gewesen sei. Die mit Herrn … und Herrn … vereinbarten Vergleichsbeträge seien – entgegen der Auffassung der Kläger – angemessen, was sich bereits daraus ergebe, dass diese deutlich über dem gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG maximal angeordneten Selbstbehalt von Vorstandsmitgliedern in der …- Versicherung (das eineinhalbfache der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds) lägen. Die feste Vergütung von Herrn … habe im Jahr 2015 1,6 Mio. € betragen, sodass sich der Selbstbehalt auf 2,4 Mio. € beliefe, also deutlich unterhalb des mit 11,2 Mio. € vereinbarten Eigenbetrages. Im Jahr 2016 habe sich das Grundgehalt von Herrn … auf 1,1 Mio. € belaufen, sodass der Selbstbehalt 1,6 Mio. € betragen habe, also ebenfalls deutlich unterhalb des mit 4,1 Mio. € vereinbarten Eigenbeitrags. Die aufgrund des von Herrn … und Herrn … bezogenen Einkommens geschätzten Vermögensverhältnisse seien bei den vereinbarten Eigenbeträgen angemessen berücksichtigt worden, wobei auch (sukzessiv zufließenden) Pensionsansprüche beachtet worden seien.Randnummer112

Die wesentliche Haftungsmasse zur Befriedigung der Schadensersatzansprüche der Beklagten habe sich ohnedies aus der …-Versicherung ergeben, wobei sich aus dem Versicherungsprogramm 2015 eine Gesamtversicherungssumme in Höhe von 500 Mio. Euro und dem Versicherungsprogramm 2021 eine Gesamtversicherungssumme von 480 Mio. Euro ergeben habe, letztere Versicherungssumme aber nicht in voller Höhe zur Regulierung der Schäden aus der Dieselthematik zur Verfügung gestanden hätte. Ansprüche im Zusammenhang mit Abgaswertemanipulationen, die nicht vor 2016 gemeldet worden seien, seien bereits seit 2016 vom Deckungsschutz der …-Versicherung ausgeschlossen, selbst wenn etwaige Pflichtverletzungen schon vor 2016 begangen worden sein sollten. In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Deckungssumme sei die Regulierung in Höhe von rund 270 Mio. Euro erheblich. Dass die von Herrn … und Herrn … zu erbringenden Eigenbeträge teilweise, bzw. vollständig durch den Verzicht auf Boni und Abfindungszahlungen erbracht würden, sei sowohl bei rechtlicher als auch bei wirtschaftlicher Betrachtung ohne Relevanz. Letztlich seien die Verdienste von Herrn … und Herrn … bei der Bemessung der Eigenbeträge im Rahmen der Abwägung des Aufsichtsrats angemessen berücksichtigt worden, wohingegen die Auffassung der Kläger, dass die unter der Ägide von Herrn … und Herrn … erzielten Erfolge im Zusammenhang mit der Dieselthematik stünden, ohne Grundlage sei.

3.7Randnummer113

Rechtsmissbräuchlichkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergebe sich nicht aus einer – nach den Behauptungen der Kläger – unzulänglichen Untersuchung von Ansprüchen gegen Organmitglieder. Der zeitliche Prüfungsumfang für etwaige Pflichtverletzungen von ehemaligen und amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats ab Mai 2014 knüpfe sachgerecht an die zu diesem Zeitpunkt erfolgte Veröffentlichung der …-Studie an, aus der sich erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten beim Emissionsverhalten von Fahrzeugen des … Konzerns ergeben hätten. Wegen des nicht untypischen operativen Problems, dass Fahrzeuge ein unterschiedliches Emissionsverhalten aufwiesen, je nachdem ob sie sich auf der Straße oder im Prüfstand befänden, habe eine Befassung des Aufsichtsrats vor der ersten Notice of Violation durch die EPA am 18. September 2015 nicht stattgefunden. Nachdem relevante Anhaltspunkte für ein aufklärungsbedürftiges Problem ab dem 27. Juli 2015 ausschließlich für Herrn … bestanden hätten (wegen seiner umfassenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Abgasregelung), der diese Aufklärung indessen (pflichtwidrig) nicht unmittelbar betrieben habe, sei die Befassung des Aufsichtsrats hiermit auch ab diesem Zeitpunkt nicht als erforderlich angesehen worden. Entgegen der Annahme der Kläger, habe der … erteilte Prüfungsauftrag sowohl die rechtzeitige Geltendmachung etwaiger Ersatzansprüche als auch die eines etwaigen Organisationsverschuldens umfasst. Dabei seien Organisationspflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern, die ursächlich für die Dieselthematik seien, nicht festgestellt worden. Die für relevant erachteten Dokumente seien von … herangezogen worden. Letztlich sage der Honoraraufwand über die Ordnungsgemäßheit des Prüfungsumfangs ersichtlich nichts aus.Randnummer114

Die Dieselthematik sei umfassend geprüft und erledigt worden, wohingegen der relevante Sachverhalt im Deckungsvergleich ganz überwiegend von der Erledigungswirkung ausgeschlossen sei, weshalb es hierzu keiner umfassenden Prüfung bedurft habe.

3.8Randnummer115

Die im Deckungsvergleich enthaltene Verzichtsregelung sei weder versteckt noch überraschend. Der Verzicht sei den Aktionären vielmehr sowohl im HV-Bericht als auch in der Hauptversammlung eingehend erläutert worden und in der Sache angemessen und üblich. Es sei sowohl üblich als auch nachvollziehbar, dass die …-Versicherer zu einer vergleichsweisen Einigung nur dann bereit gewesen seien, wenn damit eine umfassende endgültige Erledigung und damit auch ein Verzicht auf nicht in Anspruch genommene versicherte Personen vereinbart werde. Zudem liege es im Unternehmensinteresse, auf der Grundlage einer umfassenden Erledigung den Sachverhalt abzuschließen und sich auf zukunftsorientierte Aufgaben zu konzentrieren. Soweit von dem Verzicht auch Fälle vorsätzlicher Pflichtverletzungen und über die Versicherungssumme hinausgehende Ansprüche erfasst seien, werde damit dem Interesse der …- Versicherer Rechnung getragen, durch die umfassende Erledigung, Streitigkeiten über die Abgrenzung versicherter und nicht versicherter Ansprüche zu vermeiden. Den die Dieselthematik überschreitenden „relevanten Sachverhalt“ mit dem Verzicht zu erfassen, beruhe auf der Forderung der …- Versicherer, sämtliche theoretisch gegen sie in Betracht kommenden Ansprüche umfassend zu erledigen. Entgegen der Auffassung der Kläger würden Ansprüche gegen Rechtsberater durch den Verzicht nicht erfasst.Randnummer116

Die in den Haftungsvergleichen enthaltenen Freistellungen gegen Herrn … und Herrn … seien entgegen der Auffassung der Kläger nicht rechtsmissbräuchlich. Die Kläger würden bereits die Begrenzung der Freistellungsansprüche verkennen, da die Freistellung nur eingreifen würde, soweit Herr … und Herr … keine Leistungen der …-Versicherer erhalten hätten oder erhielten. Zudem greife die Freistellung nicht ein, soweit eine Deckung nach den Versicherungsbedingungen der …-Versicherung ausgeschlossen oder die Deckungssumme ausgeschöpft sei, womit das (theoretische) maximale Risiko aus den Freistellungen bei rund 240 Mio. € liege. Daraus, dass sich die Begrenzungen hinsichtlich Deckungssummen und Deckungszuschüssen nicht auf die Erstattung von Kosten für die Abwehr von Ansprüchen und sonstigen Rechtsverteidigungskosten bezögen, ergebe sich keine Unvertretbarkeit, weil für weitere Versicherungsleistungen 50 Mio. Euro zur Verfügung stünden.Randnummer117

Die Zustimmungsbeschlüsse seien nicht wegen eines vorschnellen Vergleichsabschlusses treuwidrig. Insoweit treffe die in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG normierte Dreijahresfrist eine abschließende Regelung zum Schutz vor übereilten Vergleichsabschlüssen. Die hier in Rede stehenden Zustimmungsbeschlüsse seien auch nicht vorschnell zu einem Zeitpunkt getroffen worden, in dem sich das Ausmaß der Verfehlungen des Organmitglieds und des Schadens noch nicht abschließend überblicken lasse. Die Vergleiche fußten vielmehr auf einer mehr als fünfeinhalb Jahre umfassenden Prüfung der Dieselthematik und etwaiger Pflichtverletzungen von Organmitgliedern. Zudem gehe es der Beklagten nicht darum, eine Untersuchung zu verhindern oder Organmitglieder von ihrer Verantwortung zu befreien. Die Vergleichsabschlüsse zum jetzigen Zeitpunkt lägen auch im Interesse der Beklagten. Entgegen der Auffassung der Kläger liege es im Interesse der Beklagten jetzt Vergleiche abzuschließen, um nach Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten einen Schlussstrich unter die Dieselthematik zu ziehen, zeitnah erhebliche Mittel zu generieren und Ressourcen für wichtige strategische und operative Zukunftsthemen freizusetzen. Von Strafverfahren seien keine wesentlichen neuen Erkenntnisse zu erwarten. Im Gegenteil würde die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Falle der Verurteilung von Herrn … und Herrn … wegen vorsätzlicher Straftaten gegenüber den …-Versicherern erschwert, weil diese sich erfolgversprechend auf den Ausschluss des Versicherungsschutzes für vorsätzliche Pflichtverletzungen berufen könnten. Letztlich zeige der Umstand, dass Vergleichsvereinbarungen nach allgemeiner Auffassung selbst dann zulässig seien, wenn bereits ein Klagezulassungsverfahren oder ein sich anschließendes Klageverfahren anhängig sei, dass sich aus dem Ausschluss des Klagezulassungsverfahrens durch eine Vergleichsvereinbarung keine Treuwidrigkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergeben könne.Randnummer118

Eine Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergebe sich nicht aus einem widersprüchlichen Verhalten des Vorstandes und Aufsichtsrats der Beklagten, indem diese einerseits die Dieselthematik als umfassend aufgeklärt erachteten, sich andererseits gegen die Durchführung der Sonderprüfung zur Wehr setzten. Eine Anfechtbarkeit ergebe sich von vorneherein nicht, weil sich daraus nach dem eigenen Vorbringen der Kläger kein Rechtsmissbrauch eines Aktionärs, sondern allenfalls ein widersprüchliches Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat ergäbe. Zudem ergäbe sich aus der Sonderprüfung keine Sperrwirkung, sondern die Dispositionsbefugnis der Hauptversammlung über die von der Prüfung betroffenen Ersatzansprüche bleibe im vollen Umfang erhalten. Letztlich verhindere die Beklagte nicht die Durchführung der Sonderprüfung, sondern setze verfassungsmäßige Rechte der Beklagten durch, die sie durch die Anordnung der Sonderprüfung und den Austausch des Sonderprüfers verletzt sehe. Das Unterlassungsklageverfahren gegen den Sonderprüfer beruhe auf der durch ein Gutachten bestätigten Rechtsauffassung, dass der Sonderprüfer vor Beginn seiner Tätigkeit das Nichtbestehen von gesetzlichen Ausschlussgründen nachzuweisen habe.Randnummer119

Der Einwand der Kläger, Rechtsmissbrauch ergebe sich aus einer „Selbstbetroffenheit“ von Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, gehe fehl. Ein individueller Rechtsmissbrauch von Aktionären sei – soweit ehemalige oder amtierende Vorstands- der Aufsichtsratsmitglieder zugleich Aktionäre der Beklagten seien – dadurch ausgeschlossen, dass sich daraus gemäß §°136 Absatz 1 Satz 1 AktG ergebende Stimmrechtsverbote im Auszählungssystem der Hauptversammlung hinterlegt und beachtet worden seien (Anlage B4). Zudem seien Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrats von den Verzichtsregelungen im Deckungsvergleich tatsächlich nicht begünstigt, weil die Untersuchungen durch Aufsichtsrat und Vorstand ergeben hätten, dass amtierenden Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats keine Pflichten im Zusammenhang mit der Dieselthematik verletzt hätten. Insoweit sei die Verantwortlichkeit nicht von den jeweiligen Organen selbst oder deren Mitgliedern geprüft, sondern nach der gesetzlichen Kompetenzverteilung gesondert und unabhängig voneinander untersucht worden. Vor diesem Hintergrund scheide eine „Selbstbetroffenheit“ aus. Ferner sei eine Einflussnahme ausgeschlossen worden, etwa indem Herr … als früheres Mitglied des Vorstands der Beklagten und als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Beklagten von den Untersuchungen abgeschirmt worden sei und dem „Sonderausschuss Dieselmotoren“ des Aufsichtsrats der Beklagten nicht angehört habe. Zudem habe Herr … weder als Ansprechpartner für … fungiert noch an Beschlussfassungen des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Untersuchung der Dieselthematik teilgenommen, sodass der Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, bzw. Vorstand und Aufsichtsrat einerseits sowie …  andererseits ohne Grundlage sei. Ansprechpartner für … seien die Mitglieder des Aufsichtsrats sowie das – für die Geschäfte des Aufsichtsrats insgesamt zuständige – Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden gewesen. Es entspreche auch guter Corporate Governance, bei der Besetzung des Aufsichtsrats die Eigentümerstruktur der Gesellschaft zu berücksichtigen, weshalb es nicht zu beanstanden sei, dass Herr … neben seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der …  Vorsitzender des Aufsichtsrats der Beklagten sei. Ebenfalls nicht beanstandet werden könne, dass der Chefjustiziar der Beklagten, Herr … , zugleich Mitglied des Vorstands der …  sei. Beide trennten ihre jeweiligen Aufgabenfelder strikt.Randnummer120

Die Zustimmungsbeschlüsse seien nicht wegen behaupteter Sondervorteile für die …  anfechtbar. Soweit gemäß § 243 Abs. 2 AktG eine Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen darauf gestützt werden könne, dass ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen versuche und der Beschluss geeignet sei, diesem Zweck zu dienen, stelle dieser Anfechtungsgrund einen Unterfall eines treuwidrigen Abstimmungsverhaltens im Sinne von § 243 Abs. 1 AktG dar. Nachdem eine Anfechtung von Zustimmungsbeschlüssen gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG wegen individuellen Rechtsmissbrauchs nach § 243 Abs. 1 AktG ausscheide, müsse dies auch für eine Anfechtung wegen treuwidrigen Stimmverhaltens nach § 243 Abs. 2 AktG gelten. Zudem behaupteten die Kläger Sondervorteile der …  und ein sich daraus ergebendes treuwidriges Abstimmungsverhalten nicht mit Substanz. Anhaltspunkte für Ansprüche der Beklagten gegen die …  im Zusammenhang mit der Dieselthematik gemäß §§ 117, 317 AktG seien nicht dargelegt und von der Verzichtsregelung im Deckungsvergleich nicht erfasst. Sondervorteile der …  selbst würden durch den Deckungsvergleich nicht begründet. Dass Mitglieder der die …  kontrollierenden Familien … und … durch den Vergleich begünstigt seien, werde ebenso wenig dargelegt wie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass und warum sich die …  bei ihrem Stimmverhalten hieran orientiert haben sollte. Entsprechendes gelte für den Verzicht in den Haftungsvergleichen. Es fehle jede substantiierte Darlegung, weshalb Aussagen von Herrn … oder Herrn … Mitglieder der Familien … oder … gefährden könnten. Letztlich ergebe sich aus der seit Jahren nicht mehr bestehenden Doppelfunktion von Herrn … als Vorstandsvorsitzender der Beklagten und der …  keine Veranlassungsvermutung im Sinne von § 311 AktG.Randnummer121

Anhaltspunkte für einen Treuepflichtverstoß bzw. Rechtsmissbrauch des Landes Niedersachsen und der … würden bereits nicht ansatzweise mit Substanz vorgetragen. Die in diesem Zusammenhang von den Klägern thematisierten Angaben von Herrn … gegenüber dem Spiegel (Anlage K1.53) böten keine Anhaltspunkte für solche Pflichtverletzungen.

4.Randnummer122

Die Zustimmungsbeschlüsse seien nicht gemäß § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG nichtig. Die insoweit herangezogene Bevorzugung bestimmter Aktionärsgruppen führe allenfalls zur Anfechtbarkeit aber nicht zu einer Nichtigkeit wegen der Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Aktiengesellschaft. Die Zustimmungsbeschlüsse seien auch nicht Sittenwidrig, was schon daraus abzuleiten sei, dass mehr als 99 % der abstimmenden Aktionäre die Vergleichsvereinbarungen als billig und gerecht bewertet hätten. Vielmehr seien auf der Grundlage aufwendiger Sachaufklärungen und deren juristischer Bewertung im Interesse der Beklagten liegende Vergleichsvereinbarungen geschlossen worden. Die Behauptung, dass „die Initiatoren dieses Schlussstrichs“ verantwortlich für die Dieselthematik seien, sei ohne tatsächliche Grundlage. Für die Nichtigkeit gemäß § 136 Abs. 2 Satz 2 AktG, die voraussetze, dass sich Aktionäre verpflichteten, für die jeweiligen Vorschläge des Vorstandes oder des Aufsichtsrats zu stimmen, gebe es keine Anhaltspunkte. Der Deckungsvergleich enthalte eine solche Verpflichtung nicht.

5.Randnummer123

Die Entlastungsbeschlüsse seien ebenfalls nicht anfechtbar. Im Ausgangspunkt stehe die Entlastungsentscheidung im freien Ermessen der Hauptversammlung, die hier mit einer Mehrheit von über 99,48 % für eine Entlastung gestimmt habe. Soweit die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung mit Blick auf die Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltung einer eingeschränkten Kontrolle durch das Gericht dahin unterliege, ob die Hauptversammlung ihr breites Entlastungsermessen in einer Weise überschritten habe, dass sich die Entlastung als Treuepflichtverletzung der Hauptversammlungsmehrheit gegenüber der gegen die Entlastung stimmenden Hauptversammlungsminderheit darstelle, seien dafür vorliegend keine Umstände ersichtlich. Voraussetzung sei ein festgestellter eindeutiger und schwerwiegender Pflichtverstoß im hier maßgeblichen Zeitraum, also dem Jahr 2020, der für den objektiven Durchschnittsaktionär im Zeitpunkt der Entlastungsentscheidung zumindest erkennbar gewesen sei. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen sei seitens der darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nichts dargelegt oder ersichtlich. Soweit die Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse mit der Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse begründet werde, fehle es bereits an der Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse. Zudem fielen Pflichten von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder im Zusammenhang mit der Vorlage, Bekanntmachung und Information bezüglich der Vergleiche nicht in den Entlastungszeitraum, sondern in das Geschäftsjahr 2021. Eine Pflichtverletzung ergebe sich nicht aus der unterbliebenen Prüfung des Vermögens der durch den Deckungsvergleich erfassten Aufsichtsratsmitglieder, da die Untersuchung keine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern ergeben habe, sodass es der Prüfung ihrer Vermögensverhältnisse nicht bedurft habe. Entsprechendes gelte für den Vorwurf, keine weitergehenden Ansprüche anhand des in dem vor dem Oberlandesgericht Celle geführten KapMuG-Verfahrens gehaltenen Sachvortrags und die genauen Vermögensverhältnisse von Herrn … und Herrn … geprüft zu haben. Tatsächlich gebe es keine Verbindung zwischen einem „Projekt Deutschland“ und der Dieselthematik. Zudem seien die Vermögensverhältnisse von Herr … und Herrn … – soweit möglich – herangezogen worden.Randnummer124

Die Nichtigkeit der Entlastungsbeschlüsse sei zudem ersichtlich nicht gegeben.Randnummer125

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

A.Randnummer126

Die gemäß § 249 Abs. 2 AktG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen sind zulässig, aber unbegründet.

I.Randnummer127

Die Kläger und der Nebenintervenient zu 1 (im Folgenden nur: Kläger) sind als Aktionäre der Beklagten anfechtungsbefugt, §°245 Nr. 1 AktG.Randnummer128

Die Aktionärsstellung der Kläger und Nebenintervenienten bereits vor der Bekanntmachung der Tagesordnung der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 ist unstreitig. Der Kläger zu 1 und der Nebenintervenient zu 2 haben darüber hinaus ihre Aktionärsstellung durch Vorlage eines Depotauszugs, bzw. einer Bankbestätigung belegt (Anlage K1.1, Anlagenordner Kläger zu 1; Anlage NI2.1, Blatt 179a, GA I). Die in der Hauptversammlung anwesenden Kläger haben gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 (der Kläger zu 2 zudem gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4) Widerspruch zur Niederschrift erklärt, § 245 Nr. 1 AktG (Widerspruchsliste als Anlage zum Protokoll des in der Hauptversammlung amtierenden Notars, Anlage B4, Anlagenordner Beklagte).Randnummer129

Beide Klagen sind innerhalb der Monatsfrist gemäß § 246 Abs. 1 AktG erhoben worden, nämlich am (Montag) 23. August 2021, jeweils eingereicht als elektronisches Dokument im Sinne von § 130a ZPO. Die Nebenintervention des Nebenintervenienten zu 1 auf Seiten der Kläger ist – ebenfalls als elektronisches Dokument im Sinne von § 130a ZPO – am 20. Oktober 2021 und damit rechtzeitig innerhalb eines Monats nach der am 21. September 2021 erfolgten Bekanntmachung der Beschlussmängelklagen im Bundesanzeiger eingereicht worden, § 246 Abs. 4 Satz 2 ZPO (vgl. Anlage zum Schriftsatz vom 28. Oktober 2021, Anlagenordner Beklagte). Die durch elektronisches Dokument im Sinne von § 130a ZPO am 8. Dezember 2021 eingereichte Nebenintervention des Nebenintervenienten zu 2 auf Seiten der Beklagten ist ebenfalls zulässig. Zwar ist die Frist gemäß § 246 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht eingehalten. Die Versäumung der Ausschlussfrist des § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG durch den Nebenintervenienten zu 2 führt aber nicht zur Unzulässigkeit seiner Nebenintervention. Die genannte Vorschrift gilt nicht zu Lasten des auf Seiten der beklagten Gesellschaft beitretenden Nebenintervenienten (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2009 – II ZB 8/08, juris Rn. 8).

II.Randnummer130

Die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juli 2021 zu den Tagesordnungspunkten 3, 4, 10a, 10b und 11 sind weder nichtig noch anfechtbar.Randnummer131

1. Die Anfechtbarkeit/Nichtigkeit der mit einer Mehrheit von über 99 % der abgegebenen Stimmen gefassten Zustimmungsbeschlüsse zu den mit Herrn …und Herrn … geschlossenen Haftungsvergleichen (Tagesordnungspunkte 10a und 10b) sowie dem mit den …-Versicherern des Konzerns der Beklagten geschlossenen Deckungsvergleich (Tagesordnungspunkt 11) ergibt sich weder aus der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse aus formellen Gründen oder wegen Informationsmängeln, noch aus deren Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit aus materiellen Gründen.Randnummer132

a) Die vorgenannten Beschlüsse sind nicht formell rechtswidrig, weil die Tagesordnungspunkte 10 und 11 gemäß § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG und die Vergleichsvereinbarungen gemäß § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG ordnungsgemäß in der Einberufung zur Hauptversammlung bekannt gemacht wurden, gegen die Wirksamkeit der Beschlussvorschläge des Aufsichtsrats nach § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG keine Bedenken bestehen und die Beschlussfassung im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung gemäß §°1 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 6 Covid-19-Gesetz zulässig war.Randnummer133

aa) Die Tagesordnungspunkte zu den Zustimmungsbeschlüssen sowie die Vergleichsvereinbarungen sind ordnungsgemäß bekannt gemacht.Randnummer134

(1) Entgegen der Auffassung der Kläger sind die Tagesordnungspunkte 10 und 11 in der Einladung zur ordentlichen virtuellen Hauptversammlung vom 22. Juli 2021 ordnungsgemäß im Sinne von § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG angegeben, weshalb die Beschlussfassung nach §°124 Abs. 4 Satz 1 AktG zulässig war.Randnummer135

(a) Sinn der Mitteilung der Tagesordnungspunkte einschließlich der Beschlussvorschläge ist eine sachgemäße Information der Aktionäre, aufgrund deren sie nicht nur in die Lage versetzt werden sollen, sich mit den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung zu befassen und aufgrund dieser Vorbereitung ihr Rede-, Frage- und Stimmrecht sinnvoll auszuüben, sondern auch, darüber zu befinden, ob sie überhaupt an der Hauptversammlung – selbst oder vertreten durch Dritte – teilnehmen sollen (BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, juris Rn. 12). Bei der Herbeiführung der Zustimmung der Hauptversammlung zum Abschluss zustimmungsbedürftiger Verträge hat die Bezeichnung des entsprechenden Tagesordnungspunktes neben der Person des Vertragspartners auch den Inhalt des Vertrages schlagwortartig zu enthalten (Kubis in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 121, Rn. 57). Tagesordnung im Rechtssinne sind nicht nur die häufig schlagwortartig formulierten Überschriften zu den einzelnen Tagesordnungspunkten, sondern auch die Informationen, die im Verwaltungsvorschlag und in ggf. gegebenen zusätzlichen Erläuterungen zum Hintergrund des Vorschlags enthalten sind (Ziemons in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 121 AktG, Rn. 42).Randnummer136

Darüber hinaus schreibt § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 AktG vor, dass bei Verträgen, die nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam werden, deren wesentlicher Inhalt bereits zusammen mit dem dazugehörigen Tagesordnungspunkt bekannt gemacht werden muss. Beim wesentlichen Vertragsinhalt handelt es sich nicht um eine Konkretisierung des betreffenden Tagesordnungspunktes, sondern um eine inhaltliche Ausformung des Beschlussvorschlags (Kubis, aaO, § 124, Rn. 21).Randnummer137

(b) Nach Maßgabe dessen waren die Aktionäre der Beklagten auf der Grundlage der mit der Einladung zur Hauptversammlung mitgeteilten und am 14. Juni 2021 im Bundesanzeiger bekanntgemachten Tagesordnung sowie den erteilten ergänzenden Informationen zu den Vergleichsvereinbarungen im obigen Sinne ausreichend informiert.Randnummer138

(aa) Aus der schlagwortartigen Wiedergabe des Inhalts der Haftungsvergleiche unter Tagesordnungspunkt 10 geht hervor, dass es um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Dieselthematik aufgrund einer fahrlässigen Verletzung aktienrechtlicher Sorgfaltspflichten durch Herrn … und Herrn … geht, über die beide mit der Beklagten und der … AG jeweils am 9. Juni 2021 Vergleichsvereinbarungen geschlossen haben. Desweiteren ergibt sich aus den Mitteilungen zum Tagesordnungspunkt 10, dass mit der Einladung zum einen der vollständige Wortlaut der Vergleichsvereinbarungen mitgeteilt und zum anderen ein umfassender Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstands über den Hintergrund, die Inhalte sowie die maßgeblichen Erwägungen des Aufsichtsrats und des Vorstands hinsichtlich der Haftungsvergleiche enthalten ist. Die vorgenannten Anforderungen sind damit erfüllt. Die Aktionäre der Beklagten wurden bereits durch die Informationen in der Tagesordnung in die Lage versetzt eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sie an der Hauptversammlung teilzunehmen beabsichtigen und welche Rechte sie dabei ausüben wollen. Zudem ergab sich aus der Tagesordnung selbst der wesentliche Inhalt der abgeschlossenen Vergleiche, der darin besteht, dass die Beklagte und die …  mit Herrn … und Herrn … eine Einigung über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Dieselskandal erzielt haben. Zur vertieften Vorbereitung auf die Hauptversammlung standen Ihnen zudem die in ihrem vollständigen Wortlaut wiedergegebenen Haftungsvergleiche sowie der Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstandes mit weiteren Informationen zur Verfügung, auf die in der Tagesordnung Bezug genommen wurde, sodass sie zugleich Bestandteil der Tagesordnung waren. Die Auffassung, die Tagesordnung habe explizit Informationen zu der der Beklagten zufließenden Leistung und hinsichtlich der Freistellungsverpflichtungen enthalten müssen, geht danach von vornherein fehl. Welche Leistungen seitens Herrn … und Herrn … auf der Grundlage der Haftungsvergleiche in welcher Weise erbracht wurden, geht aus Ziffer 1. der jeweils in Bezug genommenen und im Wortlaut wiedergegebenen Haftungsvergleiche hervor (Seite 23, 29 der Anlage B2). Ferner enthalten die Erläuterungen zum Hintergrund der Vergleichsvereinbarungen konkrete Angaben dazu, zu welchen Zahlungen sich Herr … und Herr … verpflichtet haben, in welcher Weise ihre Verpflichtungen getilgt werden sollen und welche rechtlichen Wirkungen mit den Haftungsvergleichen verbunden sind (Seite 55 ff. der Anlage B2). Ebenfalls fehl geht die Auffassung der Kläger, es bedürfe einer „inhaltlichen Fixierung“ einzelner Vertragsinhalte, namentlich der in den Haftungsvergleichen enthaltenen Freistellungsverpflichtung. Bereits im Ausgangspunkt unzutreffend ist die Annahme, Freistellungszusagen in Vergleichen mit Organmitgliedern seien unüblich. Gegenteiliges ergibt sich aus den Anlagen B5 bis B 14. Zudem verkennen die Kläger, dass durch die Bekanntmachung des wesentlichen Vertragsinhalts gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AktG den Aktionären eine grundlegende Orientierung ermöglicht werden soll, da nur anhand des Gegenstands der Tagesordnung dessen Tragweite oft nicht zu erfassen ist (Noack/Zetzsche in: Kölner Kommentar Aktiengesetz, 3. Aufl., § 124, Rn. 42). Daraus folgt, dass die Tagesordnung nicht alle wesentlichen Regelungen des zustimmungsbedürftigen Vertrages wiedergeben muss, sondern der Aktionär auf die Bekanntmachung des wesentlichen Vertragsinhalts und weitere Informationen verwiesen werden kann, die sich aus der – möglichen und in der Praxis vielfach aus Gründen der Vorsicht üblichen – Publikation des gesamten Vertrages ergeben können (Noack/Zetzsche, aaO). Aus dem Aspekt, dass die Haftungsvergleiche durch die Freistellungen auch Verpflichtungen der Beklagten bzw. der …  enthalten, ergibt sich kein „unzutreffender Eindruck“ über den Vertragsinhalt in der Bekanntmachung der Tagesordnung. Aus den Angaben zum Tagesordnungspunkt 10 sind für den Aktionär nur die Rahmenbedingungen des zustimmungsbedürftigen Vertrages zu erkennen, nämlich ein Vergleich mit den genannten Personen über Schadensersatzansprüche wegen der Dieselthematik, sodass sich auf dieser Grundlage gar kein Eindruck vom Inhalt der Haftungsvergleiche bilden konnte, auch kein unzutreffender. Welchen Inhalt dieser Vergleich hat war daraus keinesfalls zu erkennen und für die Annahme, die Beklagte würde darin ihrerseits keinerlei Verpflichtungen übernehmen, bestand in Ansehung der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten von Vergleichsvereinbarungen keine Grundlage.Randnummer139

(bb) Der Deckungsvergleich ist unter Tagesordnungspunkt 11 schlagwortartig dahin angegeben, dass die Beklagte, die …  und die …  mit den …-Versicherern im Zusammenhang mit der Dieselthematik am 9. Juni 2021 einen Deckungsvergleich abgeschlossen haben. Aus der Mitteilung zum Tagesordnungspunkt 10 ergibt sich darüber hinaus, dass mit der Einladung zum einen der vollständige Wortlaut des Deckungsvergleichs mitgeteilt und zum anderen ein umfassender Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstands über den Hintergrund, die Inhalte sowie die maßgeblichen Erwägungen des Aufsichtsrats und des Vorstands hinsichtlich des Deckungsvergleichs erstattet ist. Damit ist auch der Deckungsvergleich als Gegenstand der Zustimmung der Hauptversammlung in der Tagesordnung ordnungsgemäß bekannt gemacht worden, sodass die Aktionäre der Beklagten in der Lage waren, über die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung von Rechten zu entscheiden. Mit der Bezugnahme auf den im vollständigen Wortlaut wiedergegebenen Deckungsvergleich und die Ausführungen im HV-Bericht, sind diese Bestandteil der Tagesordnung geworden, sodass gegen die Vollständigkeit der Angaben zum Deckungsvergleich keine Bedenken bestehen. Damit umfassen die Angaben in der Einberufung der Beklagten – anders als die Kläger meinen – auch die Vertragschließenden auf Seiten der …-Versicherer. In der Einberufung ist als …-Versicherer des Grundvertrages die … . benannt. Der Deckungsvergleich listet darüber hinaus im Rubrum die …-Versicherer der Exzendentenversicherungsverträge auf, sodass an einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung der Vertragschließenden kein Zweifel besteht. Entgegen der Auffassung der Kläger fehlt es in der Bekanntmachung nicht an einer Offenlegung der im Deckungsvergleich geregelten Verzichte. Ein Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber amtierenden oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern und gegenüber sämtlichen weiteren versicherten Personen im Zusammenhang mit dem „relevanten Sachverhalt“ lässt sich bereits unzweifelhaft Ziffer 3.6 und 3.7 des in der Tagesordnung in Bezug genommenen Deckungsvergleichs entnehmen. Im Zusammenhang mit der Erläuterung des „relevanten Sachverhalts“ unter (K) der Präambel des Deckungsvergleichs wird daraus deutlich, dass die Beklagte, die …  und die …  damit auf Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder und weitere in der …-Versicherung versicherte Personen verzichten, die sich im Zusammenhang mit der unter (A) der Präambel des Deckungsvergleichs definierten „Dieselthematik“ und dem darüberhinausgehenden relevanten Sachverhalt ergeben könnten. Nachdem es sich bei der …-Versicherung um eine Organ-Haftpflichtversicherung handelt, erschloss es sich für den durchschnittlichen Aktionär auf der Grundlage dieser Angaben ohne weiteres, dass von dem Verzicht – neben den explizit genannten (ehemaligen und amtierenden) Mitgliedern des Vorstands – auch die weiteren Organe (die ehemaligen und amtierenden Mitglieder der Aufsichtsräte der vorgenannten Gesellschaften) erfasst wurden. Darüber hinaus enthält der HV-Bericht (Seite 59 der Anlage B2) weitere Erläuterungen, aus denen sich der Umfang des Verzichts auf Ansprüche im Zusammenhang mit dem relevanten Sachverhalt erschließt, nämlich bezüglich der Dieselthematik als Teilmenge des relevanten Sachverhalts umfassend und für Ansprüche im Übrigen nur soweit Versicherungsschutz unter der …-Versicherung besteht.Randnummer140

(cc) Entgegen der Auffassung der Kläger enthalten die Vergleichsvereinbarungen keine überraschenden Klauseln im Sinne von § 305c BGB. Ferner sind §§ 305 ff BGB nicht analog auf Angaben in der Tagesordnung anzuwenden. Dies ergibt sich bereits aus § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB. Einer Anwendbarkeit von AGB-Regeln steht zudem die unterschiedliche Ausgangslage des Vertragspartners des Verwenders von AGB einerseits und des Aktionärs, der über die Zustimmung zu einem Vergleich zu entscheiden hat, andererseits entgegen. Wie bereits dargelegt, gibt es in Ansehung der vielfachen Gestaltungsmöglichkeiten für einen Vergleich kein typisiertes Vertrauen darauf, dass sich die vorformulierten Vertragsbedingungen „im Großen und Ganzen im Rahmen dessen halten, was nach den Umständen bei Vertragsschluss erwartet werden kann“ (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum AGB-Gesetz, BT-Drucksache 7/3919, Seite 19). Dem Aktionär wird auch kein Vertrag mit „gestellten“ Vertragsbedingungen vorgelegt, den er als Vertragspartner unterzeichnen soll, sondern er hat die Möglichkeit, in der Hauptversammlung auf der Grundlage der ihm erteilten Informationen, die u. A. den Wortlaut der Vergleichsvereinbarungen beinhalten, nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG seine Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern. Zudem liegen die Voraussetzungen von § 305c BGB nicht vor, da die Freistellungsverpflichtungen und Verzichte weder überraschend noch ungewöhnlich sind. Ein Vergleich dient der Beseitigung eines Streits oder einer Ungewissheit der Parteien (§ 779 Abs. 1 BGB), woraus erhellt, dass der Verzicht auf weitere Ansprüche regelmäßig Inhalt eines Vergleichs ist. Dass Freistellungsvereinbarungen mit ehemaligen Organmitgliedern der Üblichkeit entsprechen, ergibt sich bereits aus den von der Beklagten vorgelegten Vereinbarungen, die den Hauptversammlungen der … , der …, der …, der …, der … und der .. vorlagen, die ebenfalls Freistellungsvereinbarungen enthalten. Dass diese nicht wortgleich formuliert sind, liegt auf der Hand und spricht nicht gegen deren Üblichkeit. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass die in Ziffer 3. der (im Wortlaut wiedergegebenen) Haftungsvergleiche geregelten Freistellungen, im HV Bericht im Einzelnen hinsichtlich Inhalt Umfang und Auswirkungen erläutert werden (vgl. Seite 56, 57 der Anlage B2). Eine Überraschung der Aktionäre bezüglich der Freistellungsvereinbarungen kommt danach nicht in Betracht.Randnummer141

(2) Der wesentliche Inhalt der Vergleichsvereinbarungen wurde gemessen an § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 AktG fehlerfrei bekannt gemacht.Randnummer142

(a) Die Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts des Vertrages muss es den Aktionären ermöglichen, die für die Zustimmung oder Ablehnung des Vertrages kennzeichnenden und kritischen Punkte zu erkennen. Als Maßstab für die Wesentlichkeit gilt die Auffassung eines verständigen Durchschnittsaktionärs. Danach gehört zum wesentlichen Inhalt eines Vertrages in jedem Fall die genaue Bezeichnung der Vertragsparteien sowie die Wiedergabe der vertraglichen Hauptleistungspflichten, nicht aber deren wirtschaftliche Herleitung (Kubis, aaO, § 124, Rn. 24). Es kann, aber es braucht nicht der volle Wortlaut des Vertrages wiedergegeben zu werden, sondern nur seine kennzeichnenden und kritischen Punkte. Die Bekanntmachung muss es ermöglichen, sich ein ungefähres Bild von Vorzügen und Nachteilen des Vertrages zu machen. Jedenfalls die Vertragsparteien und ihre Hauptleistungspflichten sind zu benennen, außerdem atypische und nachteilig wirkende Klausel (Noack/Zetzsche, aaO, § 124, Rn. 55).Randnummer143

(b) Unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Anforderungen an die Bekanntmachung des wesentlichen Inhalts der der Hauptversammlung zur Zustimmung vorgelegten Vergleichsvereinbarungen, hat die Beklagte ihre Verpflichtung nach § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 AktG erfüllt. Wie bereits dargelegt, sind die Vertragsparteien der Haftungsvergleiche im Tagesordnungspunkt 10 und diejenigen des Deckungsvergleichs im Tagesordnungspunkt 11 der Einladung, dem Rubrum der im vollen Wortlaut vorgelegten Vergleiche und im HV-Bericht genannt. Die vertraglichen Hauptleistungspflichten ergeben sich aus Ziffer 1. bis 3. der Haftungsvergleiche, nämlich die Zahlung eines bezifferten Eigenbetrages durch Herrn … und Herrn … sowie im Gegenzug der Verzicht auf weitere Ansprüche und die Freistellung von Ansprüchen Dritter und den damit im Zusammenhang stehenden Rechtsverfolgungskosten. Aus Ziffer 1. bis 4. des Deckungsvergleichs ergeben sich gleichermaßen die vertraglichen Hauptleistungspflichten, nämlich die Zahlung des im Vergleich genannten Betrages sowie die Bildung von Rückstellungen seitens der …-Versicherer, den Verzicht gegenüber amtierenden oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern sowie sämtlichen weiteren versicherten Personen seitens der Beklagten, der … AG und der … AG sowie die Freistellung der …-Versicherer von im Zusammenhang mit dem relevanten Sachverhalt gegen die Versicherer geltend gemachten Ansprüchen, durch die Beklagte. Neben der nicht erforderlichen (s. o.) wirtschaftlichen Herleitung der Vergleichsvereinbarungen, wonach eine umfassende Untersuchung der Dieselthematik und Prüfung von Verantwortlichkeiten ergeben habe, dass nur Herrn … und Herrn … fahrlässige Pflichtverletzungen zur Last gelegt werden könnten, während die zivilrechtliche Verantwortlichkeit (weiterer) amtierender und ehemaliger Organmitglieder nicht festgestellt worden sei, enthält der mit der Einladung zur Hauptversammlung übermittelte HV-Bericht nähere Erläuterungen zum Inhalt der Vergleichsvereinbarungen. Darin wird der Verzicht auf Ansprüche gegen amtierende und ehemalige Vorstandsmitglieder sowie sämtliche sonstigen versicherten Personen im Deckungsvergleich (Ziffer 3.6 und 3.7) näher dahin erläutert, dass damit Ansprüche im Zusammenhang mit der Dieselthematik umfassend erledigt werden, um die Aufarbeitung der Dieselthematik abzuschließen, weil die angestellten Untersuchungen keine Schadensersatzansprüche gegen die sonstigen versicherten Personen ergeben hätten (Seite 59 der Anlage B2). Damit sind alle die Vergleichsvereinbarungen kennzeichnenden und kritischen Punkte benannt, wozu es – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht der Auflistung sämtlicher von dem im Deckungsvergleich vereinbarten Verzicht betroffenen versicherten Personen bedurfte. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Namen der vom Verzicht begünstigten Personen nicht Inhalt des Deckungsvergleichs waren, sodass diesbezüglich keine Bekanntmachungspflicht aus § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 AktG besteht. Selbst wenn man – wie nicht – annimmt, dass die vom Verzicht begünstigten Personen zu den kennzeichnenden und kritischen Punkten des Deckungsvergleichs gehören, sind sie mit der Mitteilung des Wortlauts des Deckungsvergleichs und dem HV-Bericht bekannt gemacht. Denn darin ist der Verzicht gegenüber amtierenden oder ehemaligen Vorstandsmitgliedern sowie sämtlichen weiteren versicherten Personen seitens der Beklagten, der …  und der … benannt. Für den durchschnittlichen Aktionär erschließt sich auf der Grundlage dieser Angaben ohne weiteres, dass es sich bei den weiteren versicherten Personen um die amtierenden oder ehemaligen Organe der vorgenannten Gesellschaften im Übrigen handelt, da die …-Versicherung eine Organ-Haftpflichtversicherung ist, weshalb neben Vorstandsmitgliedern auch Aufsichtsratsmitglieder zu den versicherten Personen zählen. Jedenfalls waren die Aktionäre aus der Präambel (C) des Deckungsvergleichs darüber informiert, dass zu den versicherten Personen insbesondere ehemalige und amtierende Organmitglieder der Gesellschaften gehören. Damit bestand kein Zweifel darüber, dass der Verzicht – neben den explizit genannten ehemaligen und amtierenden Vorstandsmitgliedern – die ehemaligen und amtierenden Aufsichtsratsmitglieder der … , der …  und der Beklagten betraf. Hierdurch waren die durch den Deckungsvergleich begünstigten Personen insgesamt bestimmbar, was für den hier in Rede stehenden echten Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 Abs. 1 BGB genügt (BGH, Urteil vom 16. November 2007 – V ZR 208/06, juris Rn. 10). Die namentliche Nennung der durch den Verzicht betroffenen Organmitglieder, die aufgrund der Ausübung des Fragerechts in der Hauptversammlung erfolgt ist (Anlage B4), war auch nicht aus dem Aspekt erforderlich, dass es sich dabei um eine „wesentliche Information“ handelte, die den Aktionären „bewusst vorenthalten“ worden sei. Welchen Informationsgehalt die Namensnennung für den durchschnittlichen Aktionär hätte haben sollen, tragen die Kläger bereits nicht vor und erschließt sich nicht. Konkrete Personen aus dem Kreis der versicherten Personen, gegenüber denen Schadensersatzansprüche durchgesetzt werden könnten, benennen die Kläger nicht. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, welche Relevanz die Namen für die Erfolgsaussichten einer streitigen Anspruchsdurchsetzung hätten haben können. Die Namen der ehemaligen und amtierenden Aufsichtsratsmitglieder der vorgenannten Gesellschaften ließen sich zudem ohne weiteres recherchieren. Dass diese weder im Deckungsvergleich noch in der Bekanntmachung zum Tagesordnungspunkt 11 benannt werden, hat ersichtlich praktische Gründe. Nachdem es sich um eine Vergleichsvereinbarung mit Haftpflichtversicherern handelt, die üblicherweise den Kreis der von der Versicherung erfassten Personen abstrakt benennen, lag die Übernahme des (von der Beklagten definierten/erläuterten) Begriffs der versicherten Person nahe. Zudem ließ sich mit der abstrakten Benennung das Risiko, eine eingetretene Veränderung nicht berücksichtigt zu haben, ausschließen. Soweit die Kläger in der Bekanntmachung weitere Informationen zum zugrundeliegenden Sachverhalt, dem anspruchsauslösenden Fehlverhalten des Organmitglieds, dem Schaden der Gesellschaft, inklusive eines weiteren Schadensrisikos, dem Bestehen und der Beweisbarkeit des Anspruchs und der Durchsetzbarkeit des Anspruchs fordern, verkennen sie, dass diese Aspekte die wirtschaftliche Herleitung des abgeschlossenen Vertrages betreffen, zu deren Bekanntmachung nach § 124 Abs. 2 Satz 3 Alt. 5 AktG gerade keine Verpflichtung besteht.Randnummer144

bb) Die Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergibt sich nicht gemäß § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG aus einer fehlerhaften Bekanntmachung der Beschlussvorschläge des Aufsichtsrats der Beklagten, weil – wie die Kläger meinen – der Aufsichtsrat keine wirksamen Beschlüsse gefasst habe. Die Unwirksamkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergibt sich weder aus einer unzureichenden Informationsgrundlage noch aus einem Interessenkonflikt bei Beschlussfassung des Aufsichtsrats.Randnummer145

(1) Eine unzureichende Informationsgrundlage bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats ist für die Wirksamkeit der Zustimmungsbeschlüsse bereits ohne Relevanz. Darüber hinaus legen die für das Vorliegen des von Ihnen behaupteten Anfechtungsgrundes darlegungs- und beweisbelasteten Kläger eine unzureichende Informationsgrundlage bereits nicht dar und stellen ihr tatsächliches Vorbringen auch nicht unter (tauglichen) Beweis.Randnummer146

(a) Es kommt bereits nicht darauf an, welche Informationen der Aufsichtsrat bei der Fassung der Beschlussvorschläge hatte. Welche Informationen ein Organmitglied bei der Fassung eines Beschussvorschlags für erforderlich hält, obliegt zunächst seiner Entscheidungskompetenz. Rechtlich relevant für die auf diese Vorschläge hin gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse ist nur, ob der Beschlussvorschlag formal ordnungsgemäß zustande gekommen und materiell nicht auf eine satzungs- oder gesetzeswidrige Beschlussfassung der Hauptversammlung gerichtet ist (LG Frankfurt a. M. Urt. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07, BeckRS 2011, 16222, Rn. 69 f., beck-online). Die Einhaltung der Bestimmung, dass die Tagesordnung einen Vorschlag des Aufsichtsrats zu den einzelnen Punkten zu enthalten hat, ist nicht davon abhängig, ob der dem Vorschlag zugrundeliegende Beschluss mangelfrei zustande gekommen ist. Lediglich bei fehlender beschlussfähiger Besetzung mag es zugleich an einem wirksamen Vorschlag des Aufsichtsrats fehlen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juni 2006 – 7 W 22/06, juris Rn. 6). Ein Informationsdefizit stellt dagegen keinen schwerwiegenden Mangel dar, der die Nichtigkeit des Beschlusses des Aufsichtsrats nach sich ziehen könnte, weil dies keinen Verstoß gegen zwingendes Gesetzesrecht bedeutet, wie beispielsweise die Beschlussfassung durch einen nicht beschlussfähigen Aufsichtsrat. Sollten die Mitglieder des Aufsichtsrates ihren Vorschlag tatsächlich auf einer unzureichenden Informationsbasis unterbreitet haben, so könnten sie allenfalls zum Schadenersatz verpflichtet sein; eine Nichtigkeit des Beschlusses kann aber nicht die Rechtsfolge sein (LG München I, Beschluss vom 24. April 2008 – 5 HK O 23244/07, juris Rn. 262). Dass der Aufsichtsrat bei seiner Beschlussfassung über die zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 zu unterbreitenden Beschlussvorschläge gemäß § 108 Abs. 2 AktG, § 28 MitbestG nicht beschlussfähig gewesen sei oder zu der Aufsichtsratssitzung Mitglieder nicht ordnungsgemäß eingeladen worden seien, behaupten die Kläger selbst nicht. Das von Ihnen behauptete Informationsdefizit aufgrund eines noch nicht vollständig absehbaren Schadensumfangs sowie einer unzureichenden Ermittlung der Vermögensverhältnisse potenziell als Haftungsschuldner in Betracht kommender Personen, führt danach gerade nicht zur Nichtigkeit der Beschlussvorschläge. Eine Anfechtbarkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung wäre danach auch dann nicht gegeben, wenn man die von den Klägern behaupteten Informationsdefizite als wahr unterstellen würde.Randnummer147

(b) Die Kläger legen bereits nicht schlüssig dar, dass der Aufsichtsrat über die Beschlussvorschläge zu den Zustimmungsbeschlüssen der Hauptversammlung auf der Grundlage unzureichender Informationen entschieden hat. Sie stellen ihr Vorbringen zudem nicht unter (einzuholenden) Beweis.Randnummer148

(aa) Der Aufsichtsrat handelt im Falle der Einholung externen Expertenrats pflichtgemäß, sofern sich keine Zweifel an Sachkunde oder Unabhängigkeit der Hilfsperson sowie an deren sachgerechter Information aufdrängen und der Aufsichtsrat deren Ergebnis einer eigenen Plausibilitätskontrolle unterzogen hat (Mertens/Cahn in Kölner Kommentar Aktiengesetz, 3. Aufl., § 116, Rn. 63). Der organschaftliche Vertreter einer Gesellschaft, der selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, kann den strengen Anforderungen an eine ihm obliegende Prüfung der Rechtslage und an die Beachtung von Gesetz und Rechtsprechung nur genügen, wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht (BGH, Urteil vom 20. September 2011 – II ZR 234/09, juris Rn. 18). Der Vorschlag des Aufsichtsrats über einen Vergleich ist auf der Grundlage angemessener Informationen zu unterbreiten und darf nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Insoweit finden die Grundsätze des Business Judgement Rule Anwendung. Keine Anwendung finden dagegen – entgegen der Auffassung der Kläger – die besonderen Anforderungen nach den …-Grundsätzen (BGHZ 135, 244), da durch die ohnehin zwingende Mitwirkung der Hauptversammlung die Aktionärs- und Gesellschaftsinteressen hinreichend gewahrt werden (vgl. Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 93, Rn. 281, m. w. N.).Randnummer149

(bb) Die für das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes darlegungs- und beweisbelasteten Kläger legen nicht dar, dass der Aufsichtsrat über die Beschlussvorschläge zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 – gemessen an den vorstehend dargestellten Anforderungen – auf einer unzureichenden Informationsgrundlage entschieden hat. Ferner stellen Sie Ihre tatsächlichen Behauptungen nicht unter tauglichen Beweis.Randnummer150

Die Beklagte hat auf Seite 43 ff. der Klageerwiderung im Einzelnen vorgetragen, welche Ermittlungen seitens … und … zur Aufklärung des Sachverhalts angestellt wurden und welche Erwägungen (auf der Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme von …) dafür maßgeblich waren, die Haftungsvergleiche mit Herrn … und Herrn … sowie den Deckungsvergleich mit den …-Versicherern abzuschließen und der Hauptversammlung der Beklagten zur Zustimmung vorzulegen. Im Kern ging es bei der Sachverhaltsaufklärung und rechtlichen Bewertung um die Ermittlung von Anhaltspunkten für Pflichtverletzungen von ehemaligen und amtierenden Vorstandsmitgliedern im Zusammenhang mit der Dieselthematik sowie einer Compliance-Verletzungen begünstigenden Organisationsstruktur. Dabei wurden Erkenntnisse aus der Untersuchung von …, aus von der Beklagten und … auf Anforderung von … zur Verfügung gestellten Unterlagen, aus geführten Interviews und Ermittlungsverfahren gegen (ehemalige) Vorstandsmitglieder herangezogen. Das Untersuchungsergebnis wurde dem Aufsichtsrat danach präsentiert und die gutachterliche Stellungnahme zur Verfügung gestellt. Auf dieser Grundlage hat der Aufsichtsrat, dem Untersuchungsergebnis von … folgend, beschlossen, Herrn … und Herrn … wegen fahrlässiger Sorgfaltspflichtverletzungen in Anspruch zu nehmen, weitere (ehemalige) Mitglieder des Vorstandes dagegen nicht. Nachdem Herr … und Herr … gegen sie gerichtete Ansprüche zurückgewiesen haben und daraufhin geführte Vergleichsverhandlungen in den Entwurf der Haftungsvergleiche und des Deckungsvergleichs mündeten, hat der Aufsichtsrat auf der Grundlage einer gutachterlichen Stellungnahme und Empfehlung von … den Beschluss gefasst, die Vergleiche abzuschließen und der Hauptversammlung zur Zustimmung vorzulegen. Nach den Ausführungen der Beklagten waren die der Beschlussfassung zugrunde gelegten Aspekte, die Angemessenheit der Informationsgrundlage, die rechtlichen Grundlagen, die ungefähre Höhe des zurechenbaren Schadens, der in Bezug auf Herrn … mit 2,5 Mrd. € und in Bezug auf Herrn … in Höhe von 300 Mio. Euro angegeben wurde, das von Herrn … und Herrn … während ihrer Tätigkeit für den … Konzern erzielte Einkommen (120 Mio. € bzw. 50 Mio. €), die Prozessrisiken einer gerichtlichen Inanspruchnahme und der Verlauf der Vergleichsgespräche. Danach lagen die Voraussetzungen für ein rechtmäßiges Handeln des Aufsichtsrats nach obigen Grundsätzen vor und der Aufsichtsrat hat sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lassen sowie den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzogen.Randnummer151

Gegenteiliges legen die Kläger nicht mit Substanz dar. Eine unzureichende Informationsgrundlage durch (lediglich) interne Ermittlungen ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom 8. November 2017, mit der das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung einer Sonderprüfung – ungeachtet eingeleiteter interner Ermittlungen – als gegeben erachtet wurde. Soweit es in dem Beschluss vom 8. November 2017 heißt,Randnummer152

„Mit nur internen Ermittlungen, mögen diese auch noch so umfangreich und schon im September 2015 „auf Hochtouren“ gelaufen und „insbesondere auch auf alle Organmitglieder und Mitarbeiter der Antragsgegnerin“ bezogen gewesen sein, ist dem Interesse der Aktionäre, und zwar auch der Minderheitsaktionäre, deren Schutz § 142 Abs. 2 AktG zum Ziel hat, nicht gedient. Davon, dass der von der Antragsgegnerin angeblich betriebene „ganz außerordentliche Aufwand“ eine Sonderprüfung überflüssig machte, kann jedenfalls so lange keine Rede sein, wie dieser Aufwand ein rein interner Vorgang bleibt. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin in keiner Weise den Inhalt ihres Auftrags an die Anwaltskanzlei J. D. offenbart hat, so dass der Senat nicht Ermessen kann, was deren Prüfungsumfang war und inwieweit es der Antragsgegnerin im Rahmen des Auftrags erlaubt ist, auf die Formulierung von deren Ergebnissen Einfluss zu nehmen“Randnummer153

(9 W 86/17, juris Rn. 49),Randnummer154

kann daraus nur abgeleitet werden, dass eine von der Beklagten veranlasste interne Untersuchung der Bestellung eines Sonderprüfers nicht entgegensteht. Über die hier in Rede stehende Frage, ob der Aufsichtsrat über die Beschlussvorschläge zu den Zustimmungsbeschlüssen der Hauptversammlung nur auf der Grundlage einer unabhängigen Untersuchung entscheiden darf, trifft der Beschluss dagegen keine Aussage. Die Entscheidung lässt sich auch nicht entsprechend „uminterpretieren“. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sonderprüfers durch das Gericht gemäß § 142 Abs. 2 AktG gering sind. Voraussetzung ist (nur) ein prüfungsfähiger Vorgang, Tatsachen die den Verdacht rechtfertigen, dass bei dem zum Gegenstand des Antrags gemachten Vorgang Unredlichkeiten vorgekommen und Gesetz oder Satzung grob verletzt worden sind. Insoweit reicht die Behauptung von Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen aus, wobei nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit hierfür bestehen muss (Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 142, Rn. 19 f.). Schon daraus wird deutlich, dass mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle keine über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Sonderprüfers hinausgehende Aussage getroffen wurde. Zudem findet die Interpretation der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle durch die Kläger, wonach es immer eine Aufarbeitung von Verstößen durch externe Gutachten bedürfe, in der gesetzlichen Regelung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG keine Grundlage. Denn die Zustimmung der Hauptversammlung zu einem vom Aufsichtsrat mit (ehemaligen) Mitgliedern des Vorstandes abgeschlossenen Vergleich setzt nicht voraus, dass ein Organverschulden vorab durch ein externes Gutachten aufgearbeitet wurde. Auch dies spricht für eine Missinterpretation der obigen Entscheidung durch die Kläger.Randnummer155

Dass ein „Projekt Deutschland“ ursächlich für den Dieselskandal gewesen sei, was demgemäß vor der Entscheidung des Aufsichtsrats über Beschlussvorschläge zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 hätte aufgeklärt werden müssen, ist von den Klägern nicht mit Substanz vorgetragen und auch nicht unter einzuholenden Beweis gestellt. Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung der Kläger, der Dieselskandal beruhe auf einem Interessenkonflikt zwischen den Unternehmensinteressen der Beklagten und den interessen der an einem Gesellschafterausschuss der …  beteiligten Familien … und … , weil diese eine den Zugriff auf überlegene, moderne Abgastechnologie ermöglichende Zusammenarbeit mit der … torpediert hätten, um die für die Zusammenarbeit aufzuwendenden Gelder zur Refinanzierung der von ihnen initiierten „Übernahmeschlacht“ zu verwenden, entbehrt bereits der erforderlichen Substanz. Welche handelnde Person zu welchem Zeitpunkt welche Maßnahmen ergriffen haben soll, um eine in Aussicht gestellte Zusammenarbeit, zu deren konkreten Bedingungen bereits kein Sachvortrag gehalten wird, zu verhindern, legen die Kläger nicht dar. Vor diesem Hintergrund stellt sich ihr Sachvortrag bereits als ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt dar (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2022 – XII ZR 37/21, juris Rn. 10). Ihr Beweisantritt, die Akten des vor dem Oberlandesgericht Celle geführten Kap-MuG-Verfahrens (13 Kap 17/16) beizuziehen, aus deren Inhalt sich substantiiertes Vorbringen in Bezug auf den vorstehend genannten Sachverhalt ergeben solle, stellt sich danach bereits als unzulässiger Ausforschungsbeweis dar (Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl. Vor § 284, Rn. 8c). Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass die Voraussetzungen für eine Beweisführung durch Beiziehung der Akten gemäß § 432 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen. Voraussetzung ist, dass der Aktenbestandteil konkret bezeichnet wird. Die pauschale Bezeichnung einer Akte genügt dagegen nicht (Zöller-Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 432, Rn. 2). Aus welchem Schriftsatz in dem Verfahren, dessen Beiziehung beantragt wird, sich der in Bezug genommene Sachvortrag ergeben soll, tragen die Kläger indessen nicht vor. Es kommt hinzu, dass es sich – nach den eigenen Angaben der Kläger – lediglich um Sachvortrag handelt, der unbelegt ist, weshalb dieser ungeeignet ist, um den Beweis der Richtigkeit der (substanzlos) behaupteten Tatsachen zu führen. Die beantragte Beiziehung der Akten hatte deshalb zu unterbleiben. Angesichts der fehlenden Substanz des Vorbringens der Kläger bedurfte es keiner Untersuchung des Zusammenhangs zwischen einem „Projekt Deutschland“ und dem Dieselskandal und auch nicht der seitens der Klägern in diesem Kontext von Aufsichtsratsmitgliedern geforderten Vollständigkeitserklärung. Nachdem es bereits an der Darlegung der Relevanz des „Projekts Deutschland“ für den Dieselskandal fehlt, kommt es erst Recht nicht darauf an, wer die Beklagte in diesem Kontext beraten hat, woraus sich von Vorneherein kein Interessenkonflikt ergeben kann.Randnummer156

Die Informationsgrundlage des Aufsichtsrats war – anders als die Kläger meinen – nicht deshalb unzureichend, weil Strafverfahren im Kontext des Dieselskandals nicht abgeschlossen sind. Dass sich aus laufenden Ermittlungs-/Strafverfahren gesicherte Erkenntnisse ergeben werden, wonach Herr … vor dem 27. Juli 2015 und Herr … vor dem 21. September 2016 von unzulässigen Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren des … Konzerns wussten, steht nicht fest. Ob sich der von verschiedenen Staatsanwaltschaften angenommene (frühere) Zeitpunkt der Kenntnis im Rahmen einer Hauptverhandlung verifizieren lässt, ist offen. Daraus, dass die Anklage, bzw. die Zulassung zur Hauptverhandlung von dem jeweils angegebenen (früheren) Zeitpunkt der Kenntnis ausgeht, lässt sich lediglich ableiten, dass die Staatsanwaltschaft, bzw. die Strafkammer die Feststellung insoweit für überwiegend wahrscheinlich hält, § 170 Abs. 1, § 203 StPO. Legt man deren Auffassung zugrunde, die nicht zwingend richtig sein muss, wozu die Kläger, die lediglich auf Presseverlautbarungen Bezug nehmen, bereits keinen Sachvortrag halten, verbleibt eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Feststellungen im Rahmen der Hauptverhandlung nicht verifizieren lassen. Vor dem Hintergrund dieser unsicheren Erkenntnislage konnte der Aufsichtsrat auf die Angaben von … vertrauen, die in staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren Einsicht genommen haben und auf dieser Grundlage zu dem Schluss gelangt sind, dass sich aus den Strafverfahren voraussichtlich keine über ihr Ermittlungsergebnis hinausgehenden Erkenntnisse ergeben werden.Randnummer157

Von Vorneherein ohne Grundlage ist der Einwand der Kläger, die Informationsgrundlage des Aufsichtsrats sei unzureichend gewesen, weil der (das „Abgasreinigungskartell“ und das „Thermofenster“ umfassende) „relevante Sachverhalt“ in den Gutachten nicht umfassend geprüft aber im Deckungsvergleich abgegolten sei. Die Auffassung verkennt, dass nach Ziffer 3.9 des Deckungsvergleichs die Abgeltung des „relevanten Sachverhalts“ nicht umfassend ist, weil soweit kein Versicherungsschutz der …-Versicherer besteht, eine Abgeltung nicht erfolgt (vgl. D. II. des HV-Berichts). Vor diesem Hintergrund konnte eine vollständige Aufklärung des „relevanten Sachverhalts“ unterbleiben.Randnummer158

Letztlich war die Informationsgrundlage des Aufsichtsrats nicht deshalb unzureichend, weil die Vermögensverhältnisse der in Anspruch genommenen Herren … und … nicht vollständig aufgeklärt wurden. Bereits die Relation zwischen dem von … als zurechenbar erachteten Schaden (bezüglich Herrn … 2,5 Mrd. €/bezüglich Herrn … 300 Mio. €) und den im Rahmen ihrer Tätigkeit für den …Konzern generierten Bezüge (bezüglich Herrn … 120 Mio. €/bezüglich Herrn … 50 Mio. €) zeigt, dass es sich bei der genauen Höhe des Vermögens um keine relevante Information handelt. Denn daraus wird deutlich, dass ein vollständiger Ersatz des als zurechenbar erachteten Schadens von vornherein ausgeschlossen war, weil dafür das vorhandene Vermögen ersichtlich nicht ausreicht. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass der Beklagten keine weitergehenden Erkenntnisquellen zu den Vermögensverhältnissen zur Verfügung standen, die auch die Kläger nicht aufzeigen. Es erschließt sich nicht und wird von den Klägern auch nicht vorgetragen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Beklagte die Herren … und … auf Auskunft und eidesstattliche VersicherungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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über ihre Vermögensverhältnisse hätte in Anspruch nehmen können.Randnummer159

(2) Die Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses zum Tagesordnungspunkt 11 ergibt sich nicht aus einem Interessenkonflikt bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über den der Hauptversammlung unterbreiteten Beschlussvorschlag, der sich nach Auffassung der Kläger aus dem im Deckungsvergleich enthaltenen Verzicht, Ansprüche gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern im Zusammenhang mit dem Dieselskandal geltend zu machen, ergeben soll.Randnummer160

(a) Ebenso wie für ein Informationsdefizit gilt auch für einen Interessenkonflikt des Aufsichtsrats bei der Beschlussfassung über den der Hauptversammlung zu unterbreiteten Beschlussvorschlag, dass ein Verstoß gegen § 124 Abs. 3 AktG nur dann zur Anfechtbarkeit des auf der Grundlage des Vorschlags gefassten Hauptversammlungsbeschlusses führen würde, wenn die organinterne Willensbildung wegen Verfahrensfehlern unwirksam wäre oder der Beschlussvorschlag auf einen inhaltlich rechtswidrigen Beschluss abzielen würde (LG …, Urteil vom 11. März 2009 – 100 O 17/07, juris Rn. 170), was hier indessen – auch unter Berücksichtigung des Sachvortrags der Kläger – nicht der Fall ist. Die Kläger behaupten keine Verfahrensfehler bei der Beschlussfassung.Randnummer161

(b) Selbst wenn man einen Interessenkonflikt des Aufsichtsrats im Rahmen der Beschlussvorschläge für die Hauptversammlung annähme, würde sich nichts anderes ergeben. Aufsichtsrat und Vorstand sind nach § 124 Abs. 3 AktG verpflichtet, zu jedem Gegenstand der Tagesordnung, über den die Hauptversammlung beschließen soll, in der Bekanntmachung Vorschläge zur Beschlussfassung zu machen. Diese Verpflichtung des Vorstandes und des Aufsichtsrats besteht mithin auch, wenn – wie hier – der Vorschlag unterbreitet wird, einem Deckungsvergleich zuzustimmen, in dem die Verpflichtung der Beklagten geregelt ist, keine Ansprüche gegen Mitglieder des „eigenen Organs“ geltend zu machen. Deshalb ergibt sich auch kein Stimm- oder Mitwirkungsverbot hinsichtlich der Entscheidung, der Hauptversammlung den Beschluss über den Abschluss eines Vergleichs vorzulegen (Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 93, Rn. 283, m. w. N.; LG Berlin, aaO, Rn. 171). Anderenfalls könnte der Beschlussvorschlag über einen Verzicht oder Vergleich von der Verwaltung überhaupt nicht eingebracht werden, wenn die Haftung aller Verwaltungsmitglieder zur Debatte steht (Mertens/Cahn, Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 93, Rn. 163). Letztlich legen die Kläger auch keinen Interessenkonflikt der Aufsichtsratsmitglieder bei der Beschlussfassung über dem Beschlussvorschlag zum Tagesordnungspunkt 11 dar. Detaillierten Sachvortrag dazu, aufgrund welcher konkreten Vorwürfe eine Haftung von explizit benannten Aufsichtsratsmitgliedern im Zusammenhang mit dem Dieselskandal gegeben sein soll, aus denen sich ein Interessenkonflikt ergeben könnte, halten die Kläger nicht. Soweit sie den Sachvortrag der Beklagten zum Gegenstand und Inhalt der Ermittlungen, namentlich dem Ergebnis der von … und … angestellten Untersuchungen und deren Ergebnis sowie der Unterrichtung des Aufsichtsrats lediglich mit „Nichtwissen“ Bestreiten (u. A. die im Gutachten von … wiedergegebene Höhe des Einkommens von Herrn … und Herrn …), verkennen die Kläger ihre Darlegungs- und Beweislast. Es wäre Sache der Kläger, darzulegen und zu beweisen, dass (zumindest) Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen von Aufsichtsratsmitgliedern im Zusammenhang mit der Dieselthematik bestehen. Allein der Umstand, dass Aufsichtsratsmitglieder von Mehrheitsaktionären entsandt sind (was der Üblichkeit entspricht) und aus bestimmten Familien stammen, gibt keinen Anhalt für ein pflichtwidriges Verhalten im Zusammenhang mit dem Dieselskandal. Vor diesem Hintergrund war die von den Klägern geforderte „Überprüfung der Bonität“ sämtlicher ehemaliger und amtierender Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten ohne Relevanz.Randnummer162

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung eines Automobilherstellers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB in einem sog. Dieselfall (Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19) ergibt sich zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nichts Gegenteiliges. Zwar kann danach den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei eine sekundäre Darlegungslast treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeiten zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2022 – VI ZR 252/17, juris Rn. 37; Urteil vom 26. Januar 2021 – VI ZR 405/19, juris Rn. 19). Eine solche Konstellation ist vorliegend nicht gegeben. Denn die Beklagte ist ihrer (sekundären) Darlegungslast nachgekommen, indem sie detailliert zu den seitens … im Auftrag des Aufsichtsrats durchgeführten Untersuchungen und den sich daraus ergebenden Erkenntnissen vorgetragen hat, nämlich dass sich aus den ausgewerteten (umfangreichen) Informationen nur Hinweise auf seitens Herrn … und Herrn … begangene fahrlässige Pflichtverletzungen ergeben hätten, während Pflichtverletzungen weiterer Vorstandsmitglieder ebenso wenig hätten aufgedeckt werden können wie eine Compliance-Verstöße begünstigende Organisation. Unter Heranziehung des Untersuchungsergebnisses von … sei … im Rahmen seiner Untersuchung von Pflichtverletzungen seitens des Aufsichtsrats im Auftrag des Vorstands zu dem Ergebnis gelangt, dass (Überwachungs-) Pflichtverletzungen durch Mitglieder des Aufsichtsrats, nicht vorgelegen hätten. Vor dem Hintergrund dieser detaillierten Darlegungen wäre es Sache der Kläger gewesen, ihrerseits Sachvortrag zu halten, aus dem sich ein pflichtwidriges Verhalten (weiterer) Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder der Beklagten entnehmen ließ.Randnummer163

 (3) Die obigen Ausführungen zur fehlenden Relevanz einer unzureichenden Informationsgrundlage bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Beschlussvorschläge zur Tagesordnung gelten bezüglich der Beschlussfassung des Vorstands entsprechend.Randnummer164

cc) Gegen die Zulässigkeit der Beschlussfassung über die Zustimmung zu den Vergleichen im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung bestehen keine Bedenken. Zudem ist die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen mit der Begründung, die Hauptversammlung habe nicht virtuell abgehalten werden dürfen, nach § 1 Abs. 2, Abs. 7 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (im Folgenden: Covid-19-Gesetz) in Verbindung mit § 118 AktG ausgeschlossen. Soweit sich die Kläger darauf berufen, dass ein Anfechtungsausschluss nach § 1 Abs. 7 Covid-19-Gesetz wegen Vorsatzes der Beklagten nicht in Betracht komme, fehlt bereits jedes tatsächliche Vorbringen der Kläger aus dem sich ein vorsätzliches Handeln der Beklagten (in Bezug auf das Beschneiden der Rechte ihrer Aktionäre mit der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung?) ergeben könnte. Eine Einschränkung, wonach die virtuelle Hauptversammlung nur für eine ordentliche Hauptversammlung und für in Hauptversammlungen regelmäßig gefasste Beschlüsse (etwa über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat) in Betracht kommt, enthält die gesetzliche Regelung nicht. Aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ergeben sich gleichermaßen keine Einschränkungen, wonach einem Vergleich nicht im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung zugestimmt werden könnte. Die einzige Einschränkung ergibt sich aus § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, dass ein Vergleich erst drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs geschlossen werden darf und die Hauptversammlung diesem zustimmen muss. Die von den Klägern behauptete Voraussetzung, dass über einen Vergleich im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung nur abgestimmt werden könne, wenn der Beschluss eilbedürftig und von existenzieller Bedeutung sei, hat in § 1 Abs. 2, Abs. 7 Covid-19-Gesetz keine Grundlage. Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Ermessensentscheidung des VorstandsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ermessensentscheidung
Ermessensentscheidung des Vorstands
, die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre abzuhalten, ist gleichermaßen nicht ersichtlich. Soweit die Kläger der Auffassung sind, für die hier in Rede stehenden Beschlüsse der Tagesordnungspunkte 10 und 11 habe es eines Meinungsaustauschs in einer Präsenzversammlung bedurfte, wurde dieser angemessen durch die umfangreichen Informationen im HV-Bericht sowie die Beantwortung der 640 eingereichten Fragen kompensiert. Die Beklagte hat zudem nachvollziehbare Gründe genannt, der Hauptversammlung 2021 die Zustimmungsbeschlüsse zu den Haftungsvergleichen und dem Deckungsvergleich zur Entscheidung vorzulegen, was wegen des von einer Hauptversammlung dieser Größenordnung ausgehenden Infektionsrisikos nur im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung möglich war. Die Beklagte hat im Jahr 2021 ihre Ermittlungen zur Dieselthematik abgeschlossen und nach Inanspruchnahme der nach ihrer Überzeugung Schadensersatzpflichtigen, Vergleichsvereinbarungen mit diesen und den …-Versicherern erzielt, sodass die Vergleiche der ordentlichen Hauptversammlung 2021 zur Zustimmung vorgelegt werden konnten. Damit strebte die Beklagte an, die Aufarbeitung der Dieselthematik abzuschließen, um die damit freiwerdenden Ressourcen für Zukunftsthemen einsetzen zu können. Es ist ein legitimes, im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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liegendes Motiv, die Entscheidung der Hauptversammlung über die Zustimmung zu den Vergleichen nicht so lange hinauszuzögern, bis nach Abschluss der Corona-Pandemie (der bislang nicht in Sicht ist) eine Hauptversammlung in Präsenz wieder möglich ist.Randnummer165

b) Die Hauptversammlungsbeschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 sind nicht gemäß § 243 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AktG wegen Informationspflichtverletzungen anfechtbar.Randnummer166

aa) Die gesetzliche Informationspflicht der Hauptversammlung bei einer Beschlussfassung über die Zustimmung zu einem Verzicht und Vergleich ergibt sich nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG aus § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG, wonach der „wesentliche Inhalt“ des Verzichts und Vergleichs bekannt zu machen ist. Danach wird ein (schriftlicher) Bericht des Vorstands oder des Aufsichtsrats zu Hintergrund und Inhalt des vorgeschlagenen Verzichts und Vergleichs in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht vorausgesetzt (Dietz-Vellmer, NZG 2011, 248, 250). Da der Zustimmungsbeschluss keiner sachlichen Rechtfertigung bedarf, weil er nicht in die Mitgliedschaft der Minderheitsaktionäre eingreift, ist ein Bericht auch nicht erforderlich (Koch, AktG, 16. Aufl., § 93, Rn. 166 f.). Zustimmungsbedürftige Verträge müssen weder im vollen Wortlaut vorgelegt werden, noch bestehen weitergehende Informationspflichten der Gesellschaft bei einem Verzicht oder Vergleich in Bezug auf Ersatzansprüche der Gesellschaft (BGH, Urteil vom 15. Januar 2001 – II ZR 124/99, BGHZ 146, 288, juris Rn. 10). Danach greift eine Beschlussanfechtung – jenseits sonstiger formaler Mängel, die hier nicht in Rede stehen – nur dann durch, wenn die Hauptversammlung von falschen Voraussetzungen, sei es durch unzureichende oder falsche Informationen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ausgegangen ist (Koch, aaO; LG Frankfurt, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 3-05 O 154/16, juris Rn. 117).Randnummer167

bb) Die vorstehend dargestellte Informationspflicht nach § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG wurde seitens der Beklagten durch Vorlage der Vergleiche im vollständigen Wortlaut, durch die Darlegung der wesentlichen Inhalte der Vergleichsvereinbarungen im HV-Bericht sowie durch die Beantwortung der vorab eingereichten Fragen in der Hauptversammlung erfüllt. Die Aktionäre der Beklagten waren damit – entgegen der Auffassung der Kläger – in der Hauptversammlung ausreichend und zutreffend informiert, weshalb keine Informationspflichtverletzung im Sinne von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG vorliegt.Randnummer168

(1) Wenn die Gesellschaft – wie hier – nicht nur den wesentlichen Inhalt, sondern den gesamten Vertrag bekannt macht, erfüllt sie ihre Pflicht aus § 124 AktG (Ziemons in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 124 AktG, Rn. 73). Sind weitergehende Erläuterungen zum Zusammenspiel der Regelungen erforderlich, was bei besonders komplexen Verträgen der Fall sein kann, ist der richtige Ort hierfür, ebenso wie für eine Erläuterung von Hintergründen und Auswirkungen des Vertrages, der Bericht der Verwaltung der Gesellschaft (aaO).Randnummer169

(2) Ihre Informationspflicht aus § 124 AktG hat die Beklagte danach erfüllt, indem sie die mit Herrn … und Herrn … abgeschlossenen Haftungsvergleiche und den mit den …-Versicherern abgeschlossenen Deckungsvergleich mit der Bekanntmachung der Tagesordnung im Wortlaut veröffentlicht und im zugleich veröffentlichten HV-Bericht die vertraglichen Regelungen erläutert sowie die Hintergründe der Dieselthematik, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die vorgeschlagenen Vergleichsvereinbarungen und Verzichte sowie die wesentlichen Gründe für den vorgeschlagenen Abschluss der Vergleichs- und Verzichtsvereinbarungen im Einzelnen dargelegt hat. Ferner stand den Aktionären als weitere Informationsquelle die Beantwortung der eingereichten 640 Fragen in der Hauptversammlung zur Verfügung. Die vorgenannten Informationen waren weder unzureichend noch unzutreffend. Was den Umfang der erteilten Informationen anbelangt, ist insoweit maßgeblich, dass sogar für einen Pflichtbericht nach § 283a Abs. 1 AktG anerkannt ist, dass dieser keinem „Vollständigkeitsanspruch“ unterliegt (OLG Celle Urteil vom 7. Mai 2008 – 9 U 195/07, juris Rn. 16). Entsprechendes muss erst Recht für den hier in Rede stehenden freiwilligen HV-Bericht gelten. Die von den Klägern vertretene Auffassung, der HV-Bericht sei nicht vollständig, geht demgemäß von vornherein fehl. Zudem weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass ein Übermaß an Detailreichtum für die Befriedigung des berechtigten Informationsbedürfnisses der Aktionäre kontraproduktiv sein kann (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 26. August 2009 – 23 U 69/08, juris Rn. 93). Gemessen daran, was ein objektiv urteilender Aktionär als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte (§ 243 Abs. 4 Satz 1 AktG) waren die im HV-Bericht erteilten Informationen ausreichend und zutreffend. Die gegen die Vollständigkeit der im HV-Bericht enthaltenen Informationen von den Klägern erhobenen Rügen gehen insgesamt fehl.Randnummer170

(a) Der HV Bericht enthält alle für einen objektiv urteilenden Aktionär relevanten Informationen, nämlich eine umfassende Darstellung bezüglich der Aufdeckung und des Verlaufs des Dieselskandals. Ferner wird über die zur Aufklärung des Sachverhalts ergriffenen Maßnahmen, sowie das Ergebnis der Ermittlungen berichtet. Gegenstand des HV-Berichts ist das …-Versicherungsprogramm sowie eine Beschreibung der Regelungen in den Haftungsvergleichen und im Deckungsvergleich. Dargestellt sind die von Herrn … und Herrn … zu leistenden Eigenbeträge und auf welche Ansprüche von ihnen verzichtet wird. Beschrieben wird, welche Ansprüche im Gegenzug im Zusammenhang mit dem (definierten) relevanten Sachverhalt abgegolten werden. Der von den …-Versicherern zu erbringende Betrag ist genannt. Die Regelungen zu den Freistellungen von Herrn … und Herrn … sind ebenso dargestellt wie die zum Rückstellungskonto getroffenen Vereinbarungen. Ebenfalls erläutert wird, dass die Beklagte auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen andere als die von ihr in Anspruch genommenen ehemaligen Vorstandsmitglieder und alle weiteren versicherten Personen dauerhaft verzichtet. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Gründe die für den Abschluss des Vergleichs sprechen werden im HV Bericht ebenfalls erläutert, einschließlich der Einschätzung der Beklagten, dass die gerichtlich angeordnete Sonderprüfung dem Abschluss der Vergleichsvereinbarungen nicht entgegenstehe.Randnummer171

(b) Die den Aktionären im HV Bericht erteilten Informationen sind nicht aus den von den Klägern angeführten Aspekten unzureichend oder unzutreffend. Jedenfalls im Zusammenhang mit den in der Hauptversammlung beantworteten Aktionärsfragen verfügte ein verständiger Durchschnittsaktionär über die erforderlichen Informationen, um sich ein Bild über die Vor- und Nachteile der Vergleiche zu machen und in der Hauptversammlung über die Zustimmung zu den Vergleichen entscheiden zu können.Randnummer172

(aa) Der HV-Bericht enthält zwar keine expliziten Angaben zur angenommenen Höhe der gegen Herrn … und Herrn … gerichteten Schadensersatzansprüche. Darin ist angegeben, dass sowohl die der Beklagten aus der Dieselthematik entstandenen Schadensersatzansprüche als auch der Herrn … und Herrn … zurechenbare Vermögensschaden deutlich über dem 287.815.000 € betragenden (Gesamt-)Regulierungsbetrag lägen. Bereits damit war eine ausreichende Entscheidungsgrundlage gegeben. Denn dem durchschnittlichen Aktionär war damit klar, dass die Beklagte mit den Vergleichen einen erheblichen Teil ihrer als zurechenbar erachteten Schadensersatzansprüche nicht vereinnahmen würde. Zudem hat die Beklagte die in der Hauptversammlung nach der Höhe des Schadens gestellte Frage dahin beantwortet, dass der durch den Dieselskandal bisher entstandene, mit 32 Mrd. € bezifferte, Schaden lediglich in Höhe von 2,5 Mrd. € Herrn … und in Höhe von 300 Mio. Euro Herrn … als zurechenbar erachtet werde. Damit stand den Aktionären bei ihrer Entscheidung über die Zustimmung zu den Vergleichen die von den Klägern als fehlend erachtete Information zur Verfügung.Randnummer173

(bb) Entgegen der Darstellung der Kläger enthält der HV-Bericht Angaben dazu, mit welchen Prozessrisiken zu rechnen wäre, würde man Schadensersatzansprüche gegen Herrn … und Herrn … aus der (angenommenen) fahrlässigen Pflichtverletzung gerichtlich geltend machen. Hierzu wurde dargelegt, dass Herr … und Herr … die gegen sie gerichteten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach bestritten hätten, sodass eine Reihe komplexer Sach- und Rechtsfragen durch das Gericht zu entscheiden seien, namentlich die …-Versicherer eine Reihe rechtlicher Einwände vorbringen würden, weshalb mit rechtskräftigen Entscheidungen erst in vielen Jahren gerechnet werden könne. In diesem Kontext wurde die Auffassung geäußert, dass man in Ansehung der umfangreichen Ermittlungen mit keinen wesentlichen neuen Erkenntnissen über die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von amtierenden und ehemaligen Organmitgliedern aufgrund der noch anhängigen behördlichen und gerichtlichen Verfahren sowie aus den Prüfungsergebnissen der Sonderprüfung rechne. Greifbare Tatsachen, aus denen sich gegenteiliges ergeben würde, etwa konkrete Erkenntnisse, die aus den anhängigen behördlichen und gerichtlichen Verfahren sowie aufgrund der Sonderprüfung zwangsläufig hervorgehen und die zu einer deutlich günstigeren Bewertung der Prozessaussichten führen würden, legen die Kläger nicht dar. Ihr Sachvortrag geht über Mutmaßungen nicht hinaus. Eine unzutreffende Information der Aktionäre über Prozessrisiken kann danach nicht angenommen werden. Damit wurde dem verständigen Durchschnittsaktionär die Alternative zur Zustimmung zu den abgeschlossenen Vergleichen zutreffend dargelegt, nämlich langwierige, kostenintensive Zivilprozesse, deren Ausgang ungewiss ist.Randnummer174

(cc) Die Aktionäre wurden im HV-Bericht auch darüber informiert, dass nach dem Ergebnis der gutachterlichen Stellungnahme von … keine Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen von ehemaligen oder amtierenden Aufsichtsratsmitgliedern im Zusammenhang mit dem Dieselskandal bestehen. Die Beklagte hat in diesem Kontext auch ihre Einschätzung zu den Angaben des (zwischenzeitlich verstorbenen) Herrn … im Rahmen einer staatsanwaltlichen Vernehmung, wonach er Mitglieder des Präsidiums des Aufsichtsrats bereits im Frühjahr 2015 über Manipulationen bei Abgaswerten unterrichtet habe, dargelegt, nämlich, dass diese nicht glaubhaft seien. Danach waren die Aktionäre informiert, inwieweit eine Inanspruchnahme von Aufsichtsratsmitglieder in Betracht kommt. Die für das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes darlegungs- und beweisbelasteten Kläger haben keinen konkreten Sachvortrag dazu gehalten, welches ehemalige oder amtierende Aufsichtsratsmitglied aufgrund welcher Informationen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal hätte haftbar gemacht werden können, sodass nicht von einer unzutreffenden Information der Aktionäre ausgegangen werden kann. Nachdem nach der (unwiderlegten) Einschätzung der Beklagten keine Pflichtverletzungen festzustellen waren, hatte die von den Klägern geforderte (weitere) Information über die Vermögensverhältnisse der Aufsichtsratsmitglieder keinerlei Relevanz. Denn eine Inanspruchnahme von Aufsichtsratsmitgliedern kam bereits dem Grunde nach nicht in Betracht.Randnummer175

(dd) Den Aktionären lagen – anders als von den Klägern dargestellt – keine unzureichenden Angaben zur Höhe der effektiven Zahlung des Regulierungsbeitrags durch die …- Versicherer bei ihrer Entscheidung über die Zustimmungsbeschlüsse vor. Auf Fragen der Kläger hat die Beklagte in der Hauptversammlung erläutert, dass von den Vergleichsbeträgen rund 20 bzw. 21 Mio. € bereits geleistete Abwehrkosten abzuziehen seien und 50 Mio. € für weitere Versicherungsleistungen zur Verfügung gestellt würden, wobei die Beklagte den nicht verbrauchten Restbetrag ausgezahlt erhalte. Der Beklagten fließe seitens der Versicherer also zunächst eine Zahlung in Höhe von ca. 200 Mio. € zu. Damit war die Höhe der der Beklagten von den Versicherern zufließenden Beträge (soweit sie feststanden) benannt. Im Rahmen der wirtschaftlichen Abwägung der Vor- und Nachteile der Vergleichsvereinbarungen durch die Aktionäre war diese Information zudem nicht relevant, weil es an der Vermögenslage der Beklagten nichts änderte, ob ihr Zahlungen seitens der Versicherer zuflossen oder ob die Versicherer reale Aufwendungen der Beklagten beglichen.Randnummer176

(ee) Über Zahlungen vom Rückstellungskonto waren die Aktionäre durch die Angaben der Beklagten im HV-Bericht dahin informiert, dass darauf aus den Regulierungsbeiträgen insgesamt 50 Mio. € eingezahlt werden sollten, wovon künftige Versicherungsleistungen für den „relevanten Sachverhalt“ beglichen werden sollten und ein etwa verbleibendes Restguthaben an die Beklagte ausgezahlt werde. In diesem Kontext waren die Aktionäre auch nicht unvollständig über den „relevanten Sachverhalt“ informiert. Die Präambel des im Wortlaut veröffentlichten Deckungsvergleichs enthält unter (K), Satz 2 eine Definition des „relevanten Sachverhalts.“ Bereits daraus war deutlich, welcher Sachverhalt erfasst ist und dass dieser über die Dieselthematik hinausgeht. Zudem ist der „relevanten Sachverhalt“ Gegenstand der Erläuterungen im HV Bericht (D. I. Spiegelstrich 3).Randnummer177

(ff) Die (wörtlich wiedergegebenen) Freistellungsverpflichtungen in den Haftungsvergleichen und die Verzichte im Deckungsvergleich sind im HV-Bericht für den verständigen Durchschnittsaktionär  nachvollziehbar dahin erläutert, dass Herr … und Herr … von Ansprüchen freigestellt werden, die den „relevanten Sachverhalt“ betreffen, wobei die Freistellung auch die Kosten umfasst, die Herrn … im Zusammenhang mit der Abwehr von Ansprüchen oder strafrechtlichen Vorwürfen aus dem „relevanten Sachverhalt“ entstehen. Ferner ist dargelegt, dass alle Ansprüche im Zusammenhang mit dem „relevanten Sachverhalt“ abgegolten sind, sobald Herr … und Herr … jeweils den Eigenbetrag geleistet haben, zu dessen Zahlung sie sich in den Haftungsvergleichen verpflichtet haben. Der „relevante Sachverhalt“ ist in der Präambel des Deckungsvergleichs unter (K), Satz 2 definiert und Gegenstand der Erläuterungen im HV Bericht (D. I. Spiegelstrich 3). Aus dem Deckungsvergleich im Zusammenhang mit der Erläuterung im HV Bericht (D. II. Spiegelstrich 6) geht zudem hervor, dass sich die Beklagte sowie … und … verpflichtet haben – mit Ausnahme der (dort genannten) Inanspruchgenommenen – gegen amtierende und ehemalige Vorstandsmitglieder sowie gegen sämtliche sonstige versicherte Personen dauerhaft keine Ansprüche geltend zu machen; und zwar für die Dieselthematik umfassend und in Bezug auf den „relevanten Sachverhalt“ soweit Versicherungsschutz unter der … …-Versicherung besteht. Wie bereits dargelegt, ist aus dem Umstand, dass es sich bei der …-Versicherung um eine Organ-Haftpflichtversicherung handelt, für den verständigen Durchschnittsaktionär erkennbar, dass der Verzicht neben Vorstandsmitgliedern auch sämtliche Aufsichtsratsmitglieder betrifft. Die Beklagte hat zudem auf vorab eingereichte Fragen in der Hauptversammlung auch zu der Frage Stellung genommen, wie sie das Risiko einer Inanspruchnahme aus der Freistellungsverpflichtung einschätzt, nämlich auf maximal 240 Mio. € für alle versicherten Personen zusammen. Für ehemalige Vorstandsmitglieder, die einen Haftungsvergleich geschlossen haben, beläuft sich das Risiko auf einen einstelligen oder niedrigen 2-stelligen Millionenbereich. Das theoretische Risiko der Beklagten im „Worst Case“ besteht danach in der Differenz zwischen den erbrachten Versicherungsleistungen von 270 Mio. € und der maximalen Versicherungssumme. Substantiierte Einwände gegen die Richtigkeit dieser Angaben erheben die Kläger nicht. Auf dieser Grundlage konnte sich der verständige Durchschnittsaktionär eine Meinung dazu bilden, ob er bereit ist, den Vergleichsvereinbarungen zuzustimmen.Randnummer178

(gg) Hinreichende Informationen zu den Vermögensverhältnissen von Herrn … und Herrn … standen den Aktionären bei ihrer Entscheidung zur Verfügung. Die Beklagte hat in der Hauptversammlung Fragen der Kläger dahin beantwortet, dass der Aufsichtsrat bei seiner Entscheidung über den Abschluss der Vergleiche das jeweils von … und … bezogene Einkommen berücksichtigt habe, welches in Bezug auf Herrn … 120 Mio. € vor Abzug von Steuern und in Bezug auf Herrn … 50 Mio. € vor Abzug von Steuern betragen habe. Ferner hat die Beklagte Fragen nach dem Barwert der Altersversorgung/Ruhegehaltsansprüche in der Hauptversammlung dahin beantwortet, dass sich der Barwert der Pensionsansprüche nach IFRS für Herrn … auf 29,8 Mio. € und die Höhe der Pensionsrückstellungen nach… für Herrn … auf 22,4 Mio. € beliefen. Weitere Angaben zu den Vermögensverhältnissen von Herrn … und Herrn … musste die Beklagte nicht machen, weil die Vermögensverhältnisse zwar als Informationsgrundlage des Aufsichtsrats bei seiner Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs relevant sind, eine Bekanntmachungspflicht gegenüber der Hauptversammlung aber nicht besteht (Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 93, Rn. 160), und der Beklagten Informationen zu den konkreten Vermögensverhältnissen weder zur Verfügung standen noch von ihr beschafft werden konnten. Eine Anspruchsgrundlage für einen seitens der Beklagten gegenüber Herrn … und Herrn … bestehenden Auskunftsanspruch zeigen die Kläger nicht auf und eine solche ist auch nicht ersichtlich. Es liegt auf der Hand, dass in der konkreten Verhandlungssituation, in der Schadensersatzansprüche in Milliarden-, bzw. Millionenhöhe im Raum stehen und die Inanspruchgenommenen ihre Verpflichtung dem Grunde und der Höhe nach in Abrede nehmen, wenig Neigung besteht, freiwillig konkrete Angaben zur Höhe des vorhandenen Vermögens zu machen oder sogar eine eidesstattliche Erklärung abzugeben. Damit hatte die Beklagte keine Möglichkeit weitere Informationen zu beschaffen. Dies war den Aktionären – worauf es maßgeblich ankommt – bei ihrer Entscheidung auch bekannt. Denn die Beklagte hat die vom Kläger zu 2 gestellte Frage nach den Vermögensverhältnissen von Herrn … und Herrn … in der Hauptversammlung dahin beantwortet, dass sie deren genaue private Vermögensverhältnisse nicht kenne. Damit konnten die Aktionäre auf der Grundlage zutreffender Informationen darüber entscheiden, ob ihnen die Angaben zu den Vermögensverhältnissen als Grundlage für eine Zustimmung zu den Vergleichsvereinbarungen ausreichte. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass in Anbetracht des von der Beklagten als zurechenbar erachteten Schadens das Vermögen von Herr … und Herrn … keine entscheidende Rolle für die Höhe des der Beklagten zufließenden Schadensersatzbetrages spielte (anders als von Hasselbach angenommen in NZG, 2016, 890), sondern der maßgebliche Beitrag von den …-Versicherern geleistet werden würde. Außerdem hat die Beklagte unwiderlegt vorgetragen, dass Herr … und Herr … nicht bereit gewesen seien einen höheren Eigenbeitrag zu leisten. Soweit die Kläger dies „bestritten“ haben, verkennen sie ihre Beweislast für die von Ihnen behaupteten Anfechtungsgründe. Von ihnen sind auch die tatsächlichen Voraussetzungen für die von ihnen behauptete fehlende/unzureichende Information der Aktionäre zu beweisen, also auch, dass es der Beklagten möglich gewesen wäre, nähere Informationen zum Vermögen von Herrn … und Herrn … zu erlangen. Ihre entsprechenden Behauptungen stellen die Kläger indessen nicht unter Beweis.Randnummer179

(hh) Soweit die Kläger fehlende Informationen der Aktionäre zu den durch die Verzichte begünstigten Organmitgliedern monieren, sind diese auf Fragen des Klägers zu 2 in der Hauptversammlung namentlich benannt worden. Sie waren den Aktionären also bei ihrer Entscheidung bekannt. Es kommt hinzu, dass die darlegungs- und beweisbelasteten Kläger konkreten Sachvortrag, der die Annahme von Pflichtverletzungen der benannten Organmitglieder zu begründen vermag, nicht halten und ihr Vorbringen auch nicht unter Beweis stellen. Damit waren Angaben zu den Vermögensverhältnissen der begünstigten Organmitglieder von Vorneherein entbehrlich, weil die Prüfung des Aufsichtsrats keine Pflichtverletzungen der benannten Personen ergeben hat, sodass eine Inanspruchnahme nicht in Betracht kommt. Erst Recht ist diesbezüglich nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage die Beklagte sie zur Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse hätte anhalten können.Randnummer180

(ii) Die Aktionäre der Beklagten verfügten zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Zustimmung zu den Vergleichsvereinbarungen auch über Informationen zum Untersuchungszeitraum der Überprüfung von Ansprüchen gegen Vorstandsmitglieder und Mitglieder des Aufsichtsrats. Die Beklagte hat in der Hauptversammlung auf Fragen mitgeteilt, dass sich der von … untersuchte Zeitraum, in dem Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder und die …-Versicherer für möglich erachtet wurden, auf November 2002 bis März 2018 erstreckte. Die Prüfung in Bezug auf Pflichtverletzungen von ehemaligen und amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats durch … erstreckte sich – nach den Angaben der Beklagten in der Hauptversammlung – auf den Zeitraum Mai 2014 bis November 2017. Es kann danach dahingestellt bleiben, ob die im HV-Bericht abstrakt beschriebenen Untersuchungszeiträume als Informationsgrundlage der Aktionäre ausreichend waren, weil den Aktionären bei ihrer Entscheidung in der Hauptversammlung konkrete Informationen hierzu vorlagen.Randnummer181

(jj) Über gegen Herrn … noch laufende Strafverfahren waren die Aktionäre im HV-Bericht informiert, sodass sie sich eine Meinung darüber bilden konnten, ob sie dem Haftungsvergleich mit Herrn … zustimmen wollten, auch wenn diese Verfahren noch nicht abgeschlossen waren. Der gegen Herrn … in den USA geführte Strafprozess war zudem – auf der Grundlage eingereichter Fragen – Thema der Hauptversammlung. Die Beklagte hat hierzu in der Weise Auskunft erteilt, dass sie die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verurteilung von Herrn … in den USA gering einschätze (weil dies eine Auslieferung oder freiwillige Teilnahme seitens Herrn … am Strafverfahren voraussetze) und im Rahmen ihrer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, dass Herrn … nur fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzungen vorzuwerfen seien. Konkreten Sachvortrag, der eine gegenteilige Einschätzung rechtfertigen würde, halten die Kläger nicht. Ferner stellen sie ihr Vorbringen nicht unter Beweis. Danach waren die Aktionäre bei ihrer Entscheidung umfassend und zutreffend über laufende Strafverfahren und die sich daraus ergebenden Risiken informiert.Randnummer182

(kk) Der von den Klägern geforderten Angaben zur Wirkung des Verzichts im Hinblick auf „potentielle Beraterregresse“ bedurfte es nicht, weil sich der Verzicht im Deckungsvergleich nur auf versicherte Personen bezog und damit nicht auf von der Beklagten beauftragte Berater.Randnummer183

(ll) Angaben zu einem Organisationsverschulden der Organmitglieder sind – entgegen der Auffassung der Kläger – im HV-Bericht enthalten. Insoweit trifft die Auffassung der Kläger zwar im Ausgangspunkt zu, wonach ein Vorstandsmitglied im Rahmen der Legalitätspflicht dafür Sorge tragen muss, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverletzungen stattfinden (LG München I, Urteil vom 10. Dezember 2013 – 5 HKO 1387/10, juris Rn. 89). Die Beklagte hat im HV-Bericht hierzu angegeben, dass die Entscheidung zur Entwicklung und Installation der als Abschalteinrichtung anzusehenden Softwarefunktion Ende 2006 im Bereich der Aggregateentwicklung getroffen worden sei und mit Blick auf Herrn … und Herrn … keine für die Dieselthematik ursächlichen Organisationspflichtverletzungen festgestellt worden seien. Gegenteiliges legen die für das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht dar und stellen ihr Vorbringen auch nicht unter Beweis. Soweit sie vom Auftreten der Manipulation an Dieselmotoren auf die fehlende Existenz eines geeigneten Compliance-Systems bei der Beklagten schließen, kann für sich genommen aus der Nichtaufdeckung eines Geschehens nicht auf eine Ungeeignetheit des Systems geschlossen werden (Landgericht Hannover, Urteil vom 14. September 2017 – 21 O 24/16, Seite 38; bestätigt durch OLG Celle, Urteil vom 27. Juni 2018 – 9 U 78/17; BGH, Beschluss vom 16. Juli 2019 – II ZR 273/18 NZB zurückgewiesen). Entgegen der Auffassung der Kläger greift die Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG insoweit nicht ein, weil diese Vorschrift nicht die – hier in Rede stehende – Informationspflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Aktionären, sondern die Organmitglieder treffende Beweislast im Rahmen der seitens der Gesellschaft gegen sie geltend gemachten Ersatzansprüche betrifft. Die Aktionäre der Beklagten waren deshalb mit den im HV-Bericht enthaltenen Angaben zutreffend über Organisationspflichtverletzungen dahin informiert worden, dass solche im Rahmen der Untersuchung nicht festgestellt wurden.Randnummer184

 (mm) Die Auffassung der Kläger, die Aktionäre seien nicht über die Herrn … im Rahmen seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied der …  vorgeworfene Pflichtverletzung informiert worden, ist ohne Grundlage. Aus dem HV-Bericht geht vielmehr hervor, dass die Beklagte ihm vorwirft, den Vorstand von … nicht von seinen Erkenntnissen über konkrete Anhaltspunkte für rechtswidrige Funktionen in von … entwickelten Motoren unterrichtet und nicht auf eine umfassende Aufklärung auch bei … hingewirkt zu haben.Randnummer185

nn) Eine Informationspflicht der Beklagten bezüglich der von den Klägern behaupteten Aktionärseigenschaft von Herrn … und Herrn … bestand nicht, weshalb in den hierzu fehlenden Angaben keine Informationspflichtverletzung der Beklagten zu sehen ist. Soweit die Kläger darauf abheben, dass ein Vergleich zwischen Aktiengesellschaft und Aktionär gegen § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG verstoße und die Nichtigkeit der Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 241 Nr. 3 AktG begründe, trifft dies nur mit der Einschränkung zu, dass es bei grundsätzlich zulässigem Inhalt auf die angemessene Bewertung der erledigten Ansprüche ankommt (OLG Dresden, Beschluss vom 5. Juli 2002 – 2 U 0729/02, juris Leitsatz). Nur die unangemessene vergleichsbedingte Leistung verstößt gegen § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG (Koch, AktG, 16. Aufl., § 57, Rn. 10). Vorliegend fehlt es indessen bereits an einer Darlegung der Kläger, aus der sich die behauptete Aktionärseigenschaft von Herrn … und Herrn … ergibt. Schon aus diesem Aspekt lässt sich nicht annehmen, die Haftungsvergleiche würden gegen § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG verstoßen. Darüber hinaus legen die Kläger auch keine Unangemessenheit der Haftungsvergleiche dar. Vergleiche sind – wie bereits dargelegt – Streitbeilegung im Wege gegenseitigen Nachgebens, § 779 Abs. 1 BGB. Dabei kommt es für einen vereinbarten Schadensersatzbetrag maßgeblich darauf an, mit welcher Wahrscheinlichkeit für gegeben erachtete Ansprüche durchsetzbar sind und ob hierfür Versicherungsleistungen in Anspruch genommen werden können. Vor diesem Hintergrund spricht der von den Klägern angeführte Aspekt, dass mit den Haftungsvergleichen lediglich 1 % der Gesamtforderung realisiert werde, nicht für deren Unangemessenheit. Denn die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass der maßgebliche Beitrag zur Schadenskompensation von den …-Versicherern geleistet wird, was bei versicherten Schäden der Üblichkeit entspricht. Zudem wären Ansprüche gegenüber Herrn … und Herrn … nur mit einem erheblichen Aufwand durchzusetzen, weil in einem prozess der gesamte Dieselskandal aufzuarbeiten wäre, nachdem Herr … und Herr … Ansprüche wegen fahrlässiger Pflichtverletzung dem Grunde und der Höhe nach in Abrede genommen haben. Gegenteiliges legen die auch insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht mit Substanz dar. Insbesondere halten sie keinen Sachvortrag, aus dem sich entnehmen ließe, dass die Durchsetzung weitaus höherer Forderungen, als mit den Haftungsvergleichen vereinbart, ohne erheblichen Aufwand realisierbar wäre. Soweit die Kläger die Anfechtung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG auf die fehlende Information zur Aktionärseigenschaft von Herrn … und Herrn … stützen, sind sie – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – mit ihrem Vorbringen nach § 246 Abs. 1 AktG präkludiert, weil sie dieses nicht innerhalb der Klagefrist von einem Monat nach BeschlussfassungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gehalten haben.Randnummer186

(oo) Fehlende Angaben im HV-Bericht „zu einem Rechtsmissbrauch“ behaupten die Kläger lediglich, legen aber bereits nicht dar um welche Angaben es sich dabei handeln soll, die nach ihrer Auffassung fehlen. Eine Informationspflichtverletzung der Beklagten lässt sich daraus nicht ableiten.Randnummer187

cc) Zur Information des verständigen Durchschnittsaktionärs nach § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG war es weder erforderlich noch geboten, den Aktionären einen etwaigen Untersuchungsbericht von … (dessen Existenz die Beklagte bestreitet) und die gutachterliche Stellungnahme von …, bzw. diejenige von … zur Verfügung zu stellen, sodass die Beklagte hierzu nicht verpflichtet war. Wie bereits dargelegt, ist nach § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG der wesentliche Inhalt des zustimmungspflichtigen Vertrages bekanntzumachen, wozu die genaue Bezeichnung der Vertragsparteien sowie die Wiedergabe der vertraglichen Hauptleistungspflichten gehört, nicht aber deren wirtschaftliche Herleitung (z. B. mit Hilfe von Sachverständigen) (Kubis, Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 124, Rn. 24). Danach musste die Beklagte die Aktionäre bereits nicht über den Inhalt der vorgenannten Gutachten informieren, was sie indessen im HV-Bericht (freiwillig) getan hat (Abschnitt B. IV. bis VI.). Einen Anspruch auf Einsichtnahme in gutachterliche Stellungnahmen hatten die Aktionäre erst recht nicht. Das Aktienrecht regelt, welche Unterlagen in der Hauptversammlung zur Einsicht ausgelegt werden müssen, wozu von der Verwaltung der Aktiengesellschaft in Auftrag gegebene Gutachten zur Pflichtwidrigkeit von Organhandeln nicht gehören. Hieraus ist der Umkehrschluss zu ziehen, dass eine Einsichtnahme in andere Unterlagen, also in die vorgenannten Gutachten, nicht verlangt werden kann (vgl. LG München I, Beschluss vom 24. April 2008 – 5 HK O 23244/07, juris Rn. 379, bestätigt durch OLG München, Beschluss vom 3. September 2008 – 7 W 1432/08). Die Kläger verkennen, dass es nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung nicht Aufgabe der Aktionäre ist, Fehlverhalten von Mitgliedern des Vorstandes oder des Aufsichtsrats zu prüfen, sondern diejenige des jeweils anderen Organs. Aufgabe der Aktionäre ist es, auf der Grundlage des wesentlichen Inhalts des zustimmungspflichtigen Vertrages und dem von der Verwaltung der Aktiengesellschaft erstatteten Bericht, ergänzt um die auf ihre Fragen hin erteilten weiteren Informationen, darüber zu entscheiden, ob sie die Zustimmung zum Vertrag erteilen oder verweigern wollen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gesellschaftsvermögen den Aktionären gehört, weshalb es ihre Aufgabe ist über eine Selbstschädigung durch Verzicht oder Vergleich zu beschließen (BGH, Urteil vom 8. Juli 2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26, juris Rn. 20). Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der von den Klägern in Bezug genommenen Entscheidung des Landgerichts … (Urteil vom 24. August 2006 – 5 HK O 1558/06, juris), wonach die Bekanntmachung der Einladung zur Hauptversammlung, die einem Vertrag über die Veräußerung des Kernbereichs des Unternehmens zustimmen soll, auch Informationen über den wesentlichen Inhalt des zur Ermittlung des Kaufpreises eingeholten Sachverständigengutachtens enthalten muss. Denn die Entscheidung behandelt einen anderen Sachverhalt. Vorliegend geht es nicht (wie in der vorstehend genannten Entscheidung) um eine aktienrechtliche Strukturmaßnahme, sondern um einen Zustimmungsbeschluss gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, der die Eigentumsrechte der Minderheitsaktionäre der Beklagten (anders als eine Strukturmaßnahme) nicht berührt, weil hiervon alle Aktionäre gleichermaßen betroffen sind (LG Frankfurt am Main , Urteil vom 15. Dezember 2016 – 3-5 O 154/16, juris Rn. 116). Die von den Klägern für ihre Auffassung in Bezug genommenen Entscheidungen des Landgerichts Flensburg (Urteil vom 7. April 2004 – 6 O 17/03) und dem folgend des Oberlandesgerichts Schleswig, gehen zwar davon aus, dass den Aktionären der wesentliche Inhalt eines weiteren Vertrages bekanntzumachen ist, wenn dieser mit dem Vertrag, um dessen Zustimmung es geht, in einem so engen inneren Zusammenhang steht, dass die Aktionäre die Bedeutung des ihnen zur Beschlussfassung vorgelegten Vertrages ohne Kenntnis des weiteren Vertrages nicht zutreffend erfassen können (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 8. Dezember 2005 – 5 U 57/04, juris Rn. 154). Daraus kann indes nicht abgeleitet werden, dass interne Gutachten zur Überprüfung des Vorliegens von Pflichtverletzungen, die Organmitgliedern zur Last zu legen sind, veröffentlicht werden müssen, um Informationspflichten zu erfüllen. Während sich in dem vom OLG Schleswig entschiedenen Fall der wesentliche Inhalt des der Hauptversammlung zur Zustimmung vorgelegten Vertrages erst im Zusammenhang mit einem weiteren Vertrag ergibt, der damit wesentlicher Inhalt des zustimmungspflichtigen Vertrages und deshalb bekanntzumachen ist, lässt sich vorliegend der Inhalt der zur Zustimmung vorgelegten Vergleiche aus diesen selbst zweifelsfrei erkennen. Der Bekanntgabe des Inhalts von Gutachten bedarf es hier dagegen zur Bestimmung des Vertragsinhalts nicht. Den Aktionären geht es mit der begehrten Einsichtnahme in Gutachten auch nicht um den Inhalt der Vergleichsvereinbarungen, sondern um die Überprüfung anhand der gutachterlichen Stellungnahmen, ob die den Vergleichsverhandlungen zugrundeliegenden Annahmen zutreffen, weshalb die vorstehend genannten Entscheidungen eine andere Ausgangslage betreffen, sodass sich die darin getroffenen Annahmen nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen lassen. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass die Beklagte sich zu Recht auf die sich durch die Veröffentlichung ergebenden Nachteile für die Gesellschaft beruft. Ein Rechtsgutachten zu etwaigen Pflichtverletzungen von Organmitgliedern und einer Inanspruchnahme von …-Versicherern enthält nicht nur für eine Haftung sprechende Gesichtspunkte, sondern auch eine Befassung mit Risiken einer Inanspruchnahme, weshalb darin naturgemäß auch gegen eine Haftung sprechende Aspekte thematisiert werden. Es liegt auf der Hand, dass deren Bekanntwerden geeignet ist, die Position der Beklagten in noch nicht abgeschlossenen Verfahren zu schwächen und ihr Nachteile zuzufügen.Randnummer188

Entgegen der Auffassung der Kläger besteht keine Veranlassung die Vorlage der gutachterlichen Stellungnahmen von … und … nach § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzuordnen. Die Voraussetzungen für eine Vorlageanordnung liegen bereits nicht vor. Voraussetzung für die Anordnung ist, dass sich die Bedeutung der konkreten Urkunde für die begehrte Entscheidung aus schlüssigem Parteivorbringen ergibt. Unzulässig ist daher die pauschale Aufforderung zur Vorlage ganzer Dokumentensammlungen (Zöller-Greger, ZPO, § 142, 34. Aufl., § 142, Rn. 2). Die Anordnung ist nur zulässig, wenn sie dazu dient, die für die vom Gericht begehrte Entscheidung relevanten Umstände zu erhellen. Die auf die Urkunde Bezug nehmende Partei muss darlegen, dass sich die aus der vorzulegenden Urkunde zu erwartenden Erkenntnisse auf den Streitgegenstand beziehen (Zöller-Greger, aaO, Rn. 7). Die Vorschrift befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast (BGH, Urteil vom 26. Juni 2007 – XI ZR 277/05, BGHZ 173, 23, juris Rn. 20). Welche Erkenntnisse sich aus welchen konkreten Bestandteilen der in Bezug genommenen Gutachten, die nach den unwiderlegten Angaben der Beklagten einen erheblichen Umfang haben sollen (mehr als 2000 Seiten soll allein das Gutachten von … umfassen), zu gewinnen sind, legen die Kläger bereits nicht dar. Ebenfalls nicht dargelegt wird, aus welchem Bestandteil des jeweiligen Gutachtens sich welche für den vorliegenden Rechtsstreit relevanten Erkenntnisse ergeben sollen. Soweit die Kläger die Darlegungen der Beklagten zum Inhalt und Ergebnis des Gutachtens sowie dem Gegenstand der Unterrichtung des Aufsichtsrats über den Inhalt des Gutachtens von …, bzw. den Gegenstand der Unterrichtung des Vorstands über den Inhalt des Gutachtens von … „mit Nichtwissen“ Bestreiten, verkennen die Kläger ihre Darlegungs- und Beweislast, die für das Vorliegen von Anfechtungsgründen der angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse – wie bereits dargelegt – bei den klagenden Aktionären liegt. Danach wäre es Sache der Kläger gewesen, im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, dass der von der Beklagten angegebene Inhalt der Gutachten tatsächlich nicht zutrifft, was ihrem Vorbringen indessen bereits nicht ansatzweise zu entnehmen ist. Demgemäß würde eine Vorlageanordnung zu einer unzulässigen Ausforschung führen, die dem gesetzgeberischen Zweck zuwiderliefe, weil die Vorschrift nicht zur Ausforschung schutzwürdiger Geheimbereiche und insbesondere nicht zur Annäherung des deutschen Zivilprozesses an das Leitbild des US-amerikanischen pre-trail-discovery of documents führen soll (Bericht des BT-Rechtsausschusses zum ZPO-Reformgesetz, BTDrs. 14/6036, 120).Randnummer189

dd) Die Anfechtbarkeit der zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 gefassten Beschlüsse ergibt sich nicht aus einer Verletzung des Auskunftsrechts infolge der Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung und der Art und Weise der Wiedergabe und Beantwortung der vorab elektronisch eingereichten Aktionärsfragen.Randnummer190

(1) In der virtuellen Hauptversammlung besteht bereits kein Auskunftsrecht der Aktionäre im Sinne von § 131 Abs. 1 AktG, sondern in diesem Fall folgt das Informationsrecht der Aktionäre aus § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 Covid-19-Gesetz. Danach kann der Vorstand entscheiden, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird, sofern den Aktionären ein Fragerecht im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird. Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, wie er Fragen beantwortet; er kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Vorliegend hat der Vorstand der Beklagten entschieden, die ordentliche Hauptversammlung 2021 als virtuelle Hauptversammlung abzuhalten und vorgegeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation eingereicht werden können. Von dieser Möglichkeit haben 32 Aktionäre oder Aktionärsvertreter Gebrauch gemacht, indem sie 640 Fragen elektronisch eingereicht haben. Diese Fragen sind in der Hauptversammlung ermessensfehlerfrei beantwortet worden. Die Kläger behaupten selbst nicht, dass Fragen unbeantwortet geblieben sind. Soweit sie sich gegen die Art und Weise der Beantwortung von Fragen wenden, liegt es auch nach der Neuordnung des Covid-19 Gesetzes im Dezember 2020 im Ermessen der Gesellschaft, wie Fragen beantwortet werden; nur über das „Ob“ der Beantwortung ist der Vorstand danach nicht mehr in seiner Entscheidung frei (Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 243, Rn. 72). Dass der Vorstand die Ermessensgrenzen bei der Beantwortung von Fragen überschritten hat, legen die insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Kläger nicht dar und stellen ihre tatsächlichen Behauptungen auch nicht unter Beweis. Dabei ist die Auffassung der Kläger, eine Zusammenfassung von Fragen und deren nicht wörtliche Wiedergabe, betreffe das „Ob“ der Beantwortung, bereits im Ausgangspunkt unzutreffend, weil es sich dabei um die im Ermessen der Beklagten liegende Art und Weise der Beantwortung handelt. Es kommt hinzu, dass die Kläger nicht darlegen, welche konkreten Fragen bzw. einleitenden Ausführungen zu Ihren Fragen wörtlich hätten mitgeteilt werden müssen, um die Aktionäre in der Hauptversammlung angemessen zu informieren. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die nicht wörtliche Widergabe der eingereichten Fragen für das Abstimmungsergebnis relevant war, was die Kläger nur ohne die erforderliche Substanz behaupten. Soweit sie „mit Nichtwissen“ Bestreiten, verkennen sie ihre Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Anfechtungsgründen. Letztlich liegt es auf der Hand, dass in Anbetracht der Anzahl der eingereichten (640) Fragen sehr umfangreiche einleitende Bemerkungen zu Fragen entfallen mussten, um eine Beantwortung sämtlicher Fragen in der Hauptversammlung zu ermöglichen.Randnummer191

(2) Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass nach § 1 Abs. 7 Covid-19-Gesetz die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses von Vorneherein nicht auf die Verletzung des Fragerechts nach § 1 Abs. 2 Covid-19-Gesetz gestützt werden kann.Randnummer192

(3) Die Frage-, Rede- und Auskunftsrechte der Kläger waren auch nicht infolge der Durchführung der Hauptversammlung nach den Vorgaben des § 1 Abs. 2 Satz 1 Covid-19-Gesetz unzulässig eingeschränkt. Das Covid-19-Gesetz ist unter den in § 1 Abs. 2 Satz 1 Covid-19-Gesetz aufgeführten Voraussetzungen weder formell noch materiell verfassungswidrig (vgl. OLG München, Beschluss vom 28. Juli 2021 – 7 AktG 4/21, juris Rn. 84 ff). Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Art. 2 § 1 Abs. 7 COVID-19-Gesetz, der das in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG niedergelegte Frage- und Auskunftsrecht des Aktionärs einschränkt und eine Anfechtbarkeit nur bei vorsätzlichen Verstößen zulässt, gegen europäisches Recht, insbesondere gegen Art. 8 und 9 der Richtlinie 2007/36/EG, sowie gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen könnten (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 25. März 2021 – 12 AktG 1/21, juris Rn. 38).Randnummer193

ee) Entgegen der Auffassung der Kläger war die Informationsgrundlage der Aktionäre bei der Beschlussfassung über die Haftungsvergleiche und den Deckungsvergleich nicht mangelhaft, was sich den vorstehenden Ausführungen entnehmen lässt, sodass sich daraus von Vornherein keine Treuepflichtverletzung der Aktionäre bei ihrer Abstimmung für die abgeschlossenen Vergleiche ableiten lässt. Auf die Frage, ob Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG wegen einer Treuepflichtverletzung anfechtbar sind, kommt es deshalb (an dieser Stelle) nicht an.Randnummer194

c) Die Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 ergibt sich nicht aus materiellen Gründen, namentlich nicht aus der Unbestimmtheit der Hauptversammlungsbeschlüsse bzw. derjenigen der Vergleiche, einem Verstoß gegen die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, einer Sperrwirkung der Sonderprüfung, einem Stimmverbot der Hauptaktionäre, Inhaltsmängeln sowie Rechtsmissbrauch, einer Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Aktiengesellschaft und Sittenwidrigkeit.Randnummer195

aa) Die Auffassung der Kläger, die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 seien unbestimmt, weil die Vergleichsvereinbarungen, denen mit den Beschlüssen zugestimmt worden sei, nicht Teil der Beschlüsse und damit auch nicht notariell beurkundet (§ 130 AktG) seien, geht fehl. Der notariellen Niederschrift der Hauptversammlung ist gemäß § 130 Abs. 3 AktG als Anlage 1 die Einberufungsschrift zur Hauptversammlung beigefügt, in der wiederum die Haftungsvergleiche und der Deckungsvergleich in ihrem Wortlaut wiedergegeben sind (Anlage B4). Die Beifügung führt dazu, dass die Einberufungsbelege Bestandteil der Niederschrift, bei der notariellen Niederschrift mithin Inhalt der Urkundenrolle, werden (Kubis in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 130, Rn. 79). Danach kann von einer fehlenden notariellen Beurkundung keine Rede sein. Nach dem Inhalt der notariellen Niederschrift, die als öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis des beurkundeten Vorgangs begründet, steht danach fest, dass zum Tagesordnungspunkt 10.1 der Beschluss über die Zustimmung zu der – in der Anlage A1 wiedergegebenen – Vergleichsvereinbarung mit Herrn …, zum Tagesordnungspunkt 10.2 der Beschluss über die Zustimmung zu der – in der Anlage A1 wiedergegebenen -Vergleichsvereinbarung mit Herrn … und zum Tagesordnungspunkt 11 der Beschluss über die Zustimmung zu der – in der Anlage 1 wiedergegebenen – Vergleichsvereinbarung mit den …-Versicherern des … gefasst wurde. Nachdem die Vergleichsvereinbarungen Bestandteil der notariellen Urkunde waren, bestand von Vornherein kein Erfordernis, sie – wie von den Klägern gefordert – (ein weiteres Mal) als Anlage zu den beurkundeten Beschlüssen zu nehmen.Randnummer196

bb) Soweit die Kläger die inhaltliche Unbestimmtheit der Vergleichsvereinbarungen rügen, weil ihnen die „essentialia negoti“ fehlten, verkennen die Kläger, dass Zustimmungsbeschlüsse nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG keiner Inhaltskontrolle unterliegen, sich aus zivilrechtlichen Mängel der Vergleichsvereinbarungen – die tatsächlich von den Klägern nicht dargelegt werden und auch nicht ersichtlich sind – keine Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse ergeben würde.Randnummer197

(1) Wie bereits mehrfach dargelegt, bedarf der Beschluss nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG keiner sachlichen Rechtfertigung, weil er nicht in die Mitgliedschaft der Minderheitsaktionäre eingreift. Er ist deshalb in dieser Hinsicht auch keiner gerichtlichen Kontrolle unterworfen (Koch, AktG, 16. Aufl., § 93 Rn. 166; LG Frankfurt, Urt. v. 15. Dezember 2016, 3 – 5 O 154/16 juris Rn. 116). Entsprechendes gilt für zustimmungspflichtige Verträge, deren zivilrechtliche Mängel nicht zu einer Rechtswidrigkeit der Zustimmungsbeschlüsse führen würden, weil anderenfalls eine unzulässige Inhaltskontrolle stattfinden würde.Randnummer198

(2) Die von den Klägern gegen die Bestimmtheit der Vergleichsvereinbarungen getragenen Bedenken sind zudem ohne Grundlage. Der „relevante Sachverhalt“, auf den sich die im Deckungsvergleich geregelten versicherungsrechtlichen Rechtsverhältnisse beziehen, zu denen auch die Dieselthematik gehört, ist in der Präambel des Deckungsvergleichs ebenso definiert wie die Dieselthematik und diejenige der „versicherten Person“, worauf die Haftungsvergleiche Bezug nehmen. Daraus erschließt sich ohne weiteres, „welche Personen vom relevanten Sachverhalt erfasst werden“, nämlich die versicherten Personen. Für die Bestimmtheit der Vergleichsvereinbarungen war es weder erforderlich noch sinnvoll einen „Haftungshöchstbetrag“ anzugeben, weil die Haftung von Herrn … und Herrn … dem Grunde und der Höhe nach streitig war und die Vergleichsvereinbarungen diesen Streit beenden sollten, § 779 Abs. 1 BGB. Die Festlegung einer Schadenshöchstsumme hätte nur dazu geführt, dass ein weiterer Streitpunkt über den Betrag eröffnet worden wäre auf den es für die Bestimmtheit der Vereinbarung nicht ankam. Entscheidend ist, dass mit den Haftungsvergleichen alle Ansprüche (unter Anwendung der hierfür üblichen Formel: „bekannt oder unbekannt, gegenwärtig oder zukünftig, bedingt oder unbedingt“) abgegolten wurden, woraus der Umfang des Verzichts hinreichend bestimmt zu erkennen ist. Entgegen der Auffassung der Kläger gehen der Umfang der Freistellungserklärungen und die als Verträge zugunsten Dritter ausgestalteten Verzichtsverträge aus Ziffer 3.1 der Haftungsvergleiche sowie Ziffer 3.6 und 3.7 des Deckungsvergleichs mit der erforderlichen Bestimmtheit hervor. Maßstab ist insoweit nicht der verständige Durchschnittsaktionär, der an der Vertragsvereinbarung nicht beteiligt ist, sondern der Horizont eines objektiven Erklärungsempfängers. Entsprechendes gilt für die Regelung zu den Rückstellungen für künftige Versicherungsleistungen, welche sich aus Ziffer 2 des Deckungsvergleichs ergeben. Auch insoweit verkennen die Kläger, dass die Aktionäre nicht Vertragsschließende und damit Erklärungsempfänger sind.Randnummer199

cc) Der Abschluss der Haftungsvergleiche mit Herrn … und Herrn … und des Deckungsvergleichs mit den …-Versicherern, jeweils am 8./9. Juni 2021, erfolgte mehr als drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs und damit nach Ablauf der Dreijahresfrist gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Entsprechendes gilt für die in der Hauptversammlung am 21. Juli 2021 beschlossene Zustimmung zu den vorgenannten Vergleichen.Randnummer200

(1) Nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bedarf ein Verzicht oder ein Vergleich gegenüber Vorstandsmitgliedern nicht nur der Zustimmung der Hauptversammlung. Diese darf vielmehr auch erst nach Ablauf einer gesetzlichen Sperrfrist von drei Jahren und nicht gegen den Widerspruch einer Minderheit von Aktionären erteilt werden, die den zehnten Teil des Grundkapitals ausmacht. Vereinbarungen, die diesen Voraussetzungen nicht genügen, sind nichtig, weil insoweit keine Vertretungsbefugnis des handelnden Organs angenommen werden kann (Harbarth/Höfer, NZG 2016, 686 f.; BGH, Urteil vom 8. Juli 2014 – II ZR 174/13 –, BGHZ 202, 26, juris Rn. 32). Der Zweck der Frist ist darin zu sehen, dass nicht vorschnell, nämlich vor Bekanntwerden des Schadensausmaßes, auf Ansprüche verzichtet wird. Die Dreijahresfrist ist fest vorgegeben; sie verlängert sich auch nicht ausnahmsweise dann, wenn der Schaden vor Ablauf noch völlig unüberblickbar ist (Hopt/Roth in Hirte/Mühlbert/Roth, AktG Großkommentar, 5. Aufl., § 93, Rn. 518 f.). Die Frist kann auch nicht verkürzt werden, wenn schon zuvor ausreichend Klarheit über die Höhe des Anspruchs besteht (Spindler in Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 93, Rn. 282; Harbarth/Höfer, aaO, S. 687). Die Frist berechnet sich nach §§ 187, 188 BGB. Sie beginnt, sobald der Anspruch entstanden ist und durch (Leistung- oder Feststellungs-)Klage geltend gemacht werden kann. Dazu muss ein Schaden dem Grunde nach eingetreten sein, auch wenn er sich noch nicht beziffern lässt und/oder in seiner Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist (Sailer-Coceani in Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl., § 93, Rn. 65). Dafür ist außer der Pflichtverletzung der Eintritt eines, wenngleich noch nicht bezifferbaren, Schadens notwendig, sodass jedenfalls eine Feststellungsklage erhoben werden kann. Insoweit gilt dasselbe wie zum Beginn der Verjährungsfrist nach § 93 Abs. 6 AktG. Für verschiedene, pflichtwidrig handelnde Organmitglieder und für verschiedene Pflichtverletzungen können unterschiedliche Dreijahresfrist laufen (Hopt/Roth, aaO, Rn. 520). § 199 Abs. 1 BGB findet allerdings keine Anwendung, sodass die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Aufsichtsrats bzw. der Gesellschaft vom Anspruch nicht entscheidend sind (Spindler, aaO, Rn. 282). Bei einem pflichtwidrigen Unterlassen wird dem Grundsatz, dass die Verjährung nicht beginnt, solange die schädigende Handlung andauert, dadurch Rechnung getragen, dass der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich für den Zeitpunkt anzusetzen ist, an dem die Handlung spätestens hätte vorgenommen werden müssen, um pflichtgemäß zu sein (Hopt/Roth, aaO, Rn. 591). Die verschiedenen Schadenspositionen können nicht als einzelne Ansprüche angesehen werden, sondern es gilt der Grundsatz der Schadenseinheit, wonach an die Pflichtverletzung anzuknüpfen ist. Aus der Pflichtverletzung sowie aus der Gesamtheit der abstrakt vorhersehbaren Schadenspositionen ergibt sich ein einheitlicher Ersatzanspruch, der spätestens mit dem Eintritt des ersten Schadenspostens für den gesamten Schaden zu laufen beginnt (Harbarth/Höfer, aaO, S. 688; BGH, Urteil vom 8. Juli 2014 – II ZR 174/13, aaO, Rn. 18).Randnummer201

(2) Nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen sind die Einwände der Kläger, es liege mit dem Abschluss der Haftungsvergleiche und des Deckungsvergleichs, bzw. der Zustimmung der Hauptversammlung hierzu, ein Verstoß gegen die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG vor, weil diese noch nicht abgelaufen sei, ohne Grundlage.Randnummer202

(a) Nach den Feststellungen des Aufsichtsrats der Beklagten ist eine fahrlässige Pflichtverletzung von Herrn … darin zu sehen, dass er es ab dem 27. Juli 2015 Unterlassen hat, die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen in 2,0 l TDI Motoren, die in den Jahren 2009 bis 2015 im nordamerikanischen Markt vertrieben wurden, unverzüglich und umfassend weiter aufzuklären und sicherzustellen, dass in diesem Zusammenhang gestellte Fragen der US-amerikanischen Behörden umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet werden. Der sich aus dem Verkauf und der weiteren Auslieferung der mit der unzulässigen Softwarefunktion ausgestatteten Fahrzeuge in Nordamerika ab August 2015 ergebende Schaden, beruht danach auf der vorgenannten Pflichtverletzung, sodass die Voraussetzungen für die Erhebung einer Feststellungsklage gegen Herrn … im August 2015 vorlagen. Aus dem Gesichtspunkt, dass die Verjährung eines pflichtwidrigen Unterlassens nicht beginnt, solange die schädigende Handlung andauert, ergibt sich nichts Gegenteiliges, weil die pflichtgemäße Aufklärung des Sachverhalts und die Sicherstellung der Unterrichtung der US-amerikanischen Behörden seitens Herrn … ebenfalls im August 2015 hätte veranlasst werden müssen. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass Herr … bereits am 23. September 2015 als Vorstandsvorsitzender der Beklagten ausgeschieden ist, eine (fortdauernde) Verletzung von Organpflichten danach nicht mehr in Betracht kam. Damit ist der Anspruch gegen Herrn … bereits im Jahr 2015 entstanden, womit auch die Frist gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zu laufen begann. Gegenteiliges legen die Kläger bereits nicht schlüssig dar. Soweit sie sich darauf berufen, dass gegen Herrn … laufende Strafverfahren dafür sprächen, dass von ihm tatsächlich viele weitere Pflichtverletzungen begangen worden seien, fehlt es an greifbarem Sachverhalt der ihre Behauptung stützt. Soweit sie auf das Ergebnis staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren Bezug nehmen, wonach Herrn … spätestens im März 2014 Kenntnis über Manipulationssoftware vorgelegen habe, fehlt es an substantiiertem Sachvortrag zu den Herrn … konkret vorgeworfenen Verletzungshandlungen. Wie bereits dargelegt, lässt sich aus einer – von den Klägern allein in Bezug genommenen – Anklageerhebung und der Zulassung der Anklage zu Hauptverhandlung nicht sicher auf eine dementsprechende Feststellung im Rahmen des Strafverfahrens schließen. Letztlich würde sich – die in Bezug genommene Annahme der Staatsanwaltschaft bzw. des Landgerichts … als richtig unterstellt – für die Einhaltung der Frist nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nichts Abweichendes ergeben. Die Herrn … vorzuwerfende Pflichtverletzung hätte dann bereits im März 2014 begonnen, was mit Blick auf die für den Beginn der Dreijahresfrist maßgeblichen Entstehung des Schadens ohne Relevanz wäre. Auf die Kenntnis der Beklagten von behaupteten Pflichtverletzungen des Herrn … kommt es – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht an, weil § 199 BGB im Rahmen von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG keine Anwendung findet (s. o.).Randnummer203

(b) Herrn … ist nach den Feststellungen des Aufsichtsrats der Beklagten eine fahrlässige Pflichtverletzung dahingehend vorzuwerfen, dass er es als Vorstandsmitglied in der Zeit ab dem 21. September 2016 Unterlassen hat, unverzüglich auf eine zielgerichtete und systematische Untersuchung der EU-Dieselmotoren 3,0 l V6 TDI und 4,2 l V8 TDI hinzuwirken. Durch das Unterlassen sind spätestens im Dezember 2016 eingreifende Maßnahmen verhindert worden, die die mit dem Verkauf betroffener Fahrzeuge für die Beklagte verbundenen Nachteile reduziert hätten, sodass ein kausaler Schaden ab Dezember 2016 eingetreten ist. Auch insoweit ergibt sich aus dem Aspekt, dass die Verjährung eines pflichtwidrigen Unterlassens nicht beginnt, solange die schädigende Handlung andauert, nichts Gegenteiliges. Insoweit ist der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich für den Zeitpunkt anzusetzen, an dem die Handlung spätestens hätte vorgenommen werden müssen (s. o.), hier also auch im Dezember 2016. Herr … ist zwar erst im September 2018 als Mitglied des Vorstands der Beklagten ausgeschieden. Anhaltspunkte dafür, dass sein pflichtwidriges Unterlassen bis dahin andauerte, sind von den Klägern indessen nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Damit begann in Bezug auf Herrn … die Frist gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG im Jahr 2016 zu laufen. Eine Feststellungsklage wäre zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen. Auch in Bezug auf Herrn … ist das Vorbringen der Kläger, wonach die Staatsanwaltschaft München II von einer Kenntnis von der Manipulationssoftware ab September 2015 ausgehe, nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, Herrn … seien weitere Pflichtverletzungen vorzuwerfen, seit deren Entstehung die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG noch nicht abgelaufen ist. Die Herrn … – die Annahmen der Staatsanwaltschaft München II als richtig unterstellt – vorzuwerfende Pflichtverletzung hätte vielmehr bereits im September 2015 begonnen, was mit Blick auf die für den Beginn der Dreijahresfrist maßgebliche Entstehung des Schadens ohne Relevanz wäre. Auf die Kenntnis der Beklagten von behaupteten Pflichtverletzungen des Herrn … kommt es – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht an, weil § 199 BGB im Rahmen von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG keine Anwendung findet (s. o.).Randnummer204

(c) Darauf, ob der Sachverhalt noch nicht vollständig aufgeklärt und der Schaden noch nicht vollständig absehbar ist, kommt es nach den obigen Ausführungen für die Entstehung des Schadens nicht an. Der Gesetzgeber hat seine mit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG verfolgte Intention, dass nicht voreilig auf Organhaftungsansprüche verzichtet oder ein Vergleich über sie geschlossen wird, ohne dass man sich darüber im Klaren ist, welche Vermögenseinbuße für die Gesellschaft durch die schädigende Handlung zu erwarten ist, durch Freihaltung eines Zeitraums von drei Jahren umgesetzt, in dem typisierend Klarheit über die Schadensverhältnisse geschaffen werden kann – jedoch nicht endgültig geschaffen werden muss (Harbarth/Höfer, aaO, S. 687 f.). Danach steht die von den Klägern beanstandete fehlende Sachaufklärung der Entstehung des Anspruchs auf Schadensersatz ebenso wenig entgegen wie ein noch in der Entwicklung befindliches (erhebliches) Schadensausmaß, etwa mit Blick auf neuere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Abtretbarkeit von Schadensersatzansprüchen durch Dieselfahrzeugerwerber mit Wohnsitz in der Schweiz an Inkassodienstleister (Urteil vom 13. Juni 2022 – VIa ZR 418/21) und des Oberlandesgerichts Braunschweig zu einer möglicherweise bereits im Jahr 2008 bestehenden Verpflichtung der Beklagten zur ad hoc-Meldung wegen der in für den U-S.-Markt bestimmten Diesel-PKW für das Modelljahr 2009 enthaltenen Manipulationssoftware (Hinweisbeschluss vom 18. November 2021 – 3 Kap 1/16, juris Rn. 89 ff.). Die Kläger verkennen mit ihrer Auffassung, dass mehrere Pflichtverletzungen vorlägen, die im Rahmen von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG gesondert zu prüfen seien, den Grundsatz der Schadenseinheit. Danach stellen sämtliche Schäden, die auf den vorstehend dargestellten Pflichtverletzungen von Herrn … und Herrn … beruhen, auch wenn zur Entstehung Handlungen weiterer Organe mitursächlich waren, einen einheitlichen Schaden dar, der im Jahr 2015, bzw. 2016 entstanden ist. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden liegt auch vor, wenn eine selbstschädigende Handlung des Verletzten durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert oder wesentlich mitbestimmt worden ist und eine nicht ungewöhnliche Reaktion darauf darstellt (sogenannter „Herausforderungsfall“) (BGH, Urteil vom 8. Juli 2014 – II ZR 174/13 –, BGHZ 202, 26, juris Rn. 18). Danach würde auch eine – wie nicht – auf einem rechtswidrigen Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats beruhende Zustimmung zu den Vergleichen, einen einheitlichen auf den oben dargestellten Pflichtverletzungen von Herrn … und Herrn … beruhenden Schaden begründen. In diesem Kontext lassen auch die in den Haftungsvergleichen enthaltenen – in Vergleichen mit Organmitgliedern üblichen (vgl. Anlagen B6 bis B 11) – Freistellungszusagen für Herrn … und Herrn … keine neuen Ansprüche entstehen, sofern sie in Anspruch genommen werden. Der Beklagten durch die Inanspruchnahme entstehende Schäden stellen – nach dem Grundsatz der Schadenseinheit – weitere Schadenspositionen dar, die auf der jeweiligen Pflichtverletzung von Herrn … und Herrn … beruhen. Vor diesem Hintergrund kann von einem „Vorausverzicht“ keine Rede sein. Der – nach Ziffer 3.2 lit. b der Haftungsvergleiche auf die nach dem Deckungsvergleich noch verbleibende Versicherungssumme begrenzte –  Umfang einer sich für die Beklagte ergebenden Freistellungsverpflichtung ist danach für die Vereinbarkeit der Regelungen zur Freistellung mit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ebenso ohne Relevanz wie das „Schadensausmaß“ und dessen Erkennbarkeit.Randnummer205

(d) Überwachungspflichtverletzungen anderer Vorstandsmitglieder, Compliance-Verstöße und eine sich aus Strafverfahren ergebende Ermittlung weiterer Verantwortlicher, die zu einer so späten Entstehung von Schadensersatzansprüchen führen würden, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vergleiche und der Zustimmung der Hauptversammlung hierzu die Frist nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG noch nicht abgelaufen war, legen die Kläger nicht mit Substanz dar. Ihr Sachvortrag beschränkt sich darauf, dass die Pflichtverletzungen von Herrn … und Herrn … von anderen Vorstandsmitgliedern hätten bemerkt werden müssen, anderenfalls ein Organisationsverschulden anzunehmen sei und der Staatsanwaltschaft, bzw. der Strafkammer andere Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, die die Ermittlung weiterer Verantwortlicher vermuten lasse. Dies ist ersichtlich nicht ausreichend, um die Annahme von Pflichtverletzungen konkreter Personen oder ein Organisationsverschulden zu begründen (s. o.). Es geht über bloße Mutmaßungen nicht hinaus. Erst Recht nicht ersichtlich ist danach, dass die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG in Bezug auf – bereits nicht konkret dargelegte – Pflichtverletzungen zum Zeitpunkt der Hauptversammlung noch nicht abgelaufen war.Randnummer206

 (e) Ohne dass es darauf ankommt, weil die Schadensersatzansprüche, über die sich die Beklagte mit Herrn … und Herrn … sowie den …-Versicherern verglichen hat, bereits in den Jahre 2015 und 2016 entstanden sind, sodass der Zeitraum von drei Jahren gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bei Abschluss der Vergleiche zweifelsfrei abgelaufen war (s. o.), wurden in Ziffer 1.8 (…), bzw. 1.6 (…) der Haftungsvergleiche und in Ziffer 3.8 des Deckungsvergleichs, vorsorglich Ersatzansprüche für die die Frist nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bei Abschluss der Vergleiche und Beschlussfassung der Hauptversammlung noch nicht abgelaufen war, von der Einigung ausgenommen. Eine entsprechende Regelung wurde in Bezug auf die Freistellungszusagen in Ziffer 3.2 der Haftungsvergleiche getroffen, wonach ein Anspruch auf Freistellung nur insoweit besteht, als eine Freistellung nicht gegen § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG verstößt. Selbst wenn also Schadensersatzansprüche zu einem späteren Zeitpunkt als hier angenommen entstanden wären, was von den Klägern bereits nicht dargelegt ist, wären diese Ansprüche nicht Gegenstand der Vergleiche, sodass sich die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG auf dies Ansprüche nicht beziehen würde. Ein Verstoß gegen die Dreijahresfrist kommt danach von Vorneherein nicht in Betracht.Randnummer207

dd) Die durch das Oberlandesgericht Celle bei der Beklagten in Bezug auf den Dieselskandal angeordnete Sonderprüfung entfaltet – entgegen der Auffassung der Kläger – keine Sperrwirkung gegenüber den Zustimmungsbeschlüssen zu den Haftungsvergleichen und dem Deckungsvergleich, die Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Dieselskandal betreffen. Eine solche Sperrwirkung ergibt sich weder aus der gesetzlichen Anordnung in §§ 142 ff AktG in Verbindung mit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, noch aus einer teleologischen Auslegung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, sondern eine Parallele zum Klagezulassungsverfahren gemäß § 148 f AktG zeigt, dass (auch) die Anordnung der Sonderprüfung nicht zum Verlust der Dispositionsbefugnis der Hauptversammlung über Schadensersatzansprüche führt.Randnummer208

(1) Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen ist nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG lediglich, dass drei Jahre seit der Entstehung des Anspruchs, über den der Vergleich geschlossen wird, vergangen sind und keine Minderheit, deren Anteil zusammen 10 % des Grundkapitals erreicht, Widerspruch erhebt. Eine abgeschlossene Sonderprüfung nach §§ 142 ff AktG ist dagegen nach der gesetzlichen Anordnung nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Aus den §§ 142 ff AktG ergibt sich das Erfordernis einer Sonderprüfung als Voraussetzung für die Zustimmung der Hauptversammlung zu einem Vergleich über Schadensersatzansprüche, die Gegenstand der Sonderprüfung sind, ebenfalls nicht. Der Wortlaut der vorgenannten Regelungen ist eindeutig, was auch von den Klägern nicht in Abrede genommen wird.Randnummer209

(2) Die teleologische Interpretation nach Sinn und Zweck des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG führt nicht zu dem Ergebnis, dass während einer laufenden Sonderprüfung die Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen, die den Gegenstand der Prüfung betreffen, gesperrt ist. Zwar ist die Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes auch gegenüber einem sprachlich unzweideutigen Wortlaut nicht ausgeschlossen; denn die Worte sind nur der möglicherweise unvollkommene Ausdruck des maßgebenden Gedanken (BGH, Urteil vom 23. Mai 1951 – II ZR 71/50, BGHZ 2, 176, juris Rn. 18). Indessen führt die Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht zu einer einschränkenden Auslegung dahin, dass eine Sonderprüfung beendet sein muss, bevor die Hauptversammlung Vergleichsvereinbarungen zustimmen darf, die sich auf den Gegenstand der Sonderprüfung beziehen. Sinn und Zweck des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ist es, das Gesellschaftsvermögen im Interesse der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter zu schützen (Koch, 16. Aufl. 2022, AktG § 93 Rn. 158). Mit der Entscheidung derjenigen, denen bei wirtschaftlicher Betrachtung das Gesellschaftsvermögen zusteht (Aktionäre), soll verhindert werden, dass Vorstand und Aufsichtsrat sich im kollusiven Zusammenwirken von Haftungsansprüchen befreien (Spindler in Münchener Kommentar, Aktiengesetz, 5. Aufl., § 93, Rn. 283). Bei ihrer Entscheidung disponieren die Aktionäre auch darüber, ob sie den Sachverhalt als ausreichend aufgeklärt erachten, um ihre Zustimmung erteilen zu können. Insoweit enthält § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG die typisierende Annahme, dass eine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts spätestens innerhalb von drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs erfolgt ist. Zur Art und Weise der Aufklärung des Sachverhalts macht § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG keine Vorgaben, weshalb nicht angenommen werden kann, dass einer Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen stets ein (abgeschlossenes) Sonderprüfungsverfahren vorauszugehen habe. Im Gegenteil lässt sich daraus, dass es im Ermessen der Hauptversammlung steht, wie sie auf einen (Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung und sich daraus ergebende Schadensersatzansprüche enthaltenden) Prüfungsbericht reagiert, sie sich also darauf beschränken kann, diesen lediglich zur Kenntnis zu nehmen (Arnold in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 145, Rn. 72; K. Schmidt/Lutter Aktiengesetz, 4. Aufl., § 145, Rn. 34; Koch Aktiengesetz, 16. Aufl., § 145, Rn. 9), ableiten, dass die Hauptversammlung stets die Disposition darüber behalten soll, ob sie der „Selbstschädigung“ auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Sachverhalts zustimmen will. Wenn also die Hauptversammlung selbst im Falle eindeutig festgestellter Pflichtverletzungen von einer Durchsetzung der sich daraus ergebenden Ansprüche absehen kann, spricht nichts dafür, dass ihr nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung die Befugnis entzogen sein sollte, auf der Grundlage einer (möglicherweise) noch nicht abschließend getroffenen Feststellung des zugrundeliegenden Sachverhalts, ihre Zustimmung zu Vergleichsvereinbarungen zu erteilen. Vielmehr spricht die typisierende Annahme des Gesetzgebers, nach Ablauf der 3-jährigen Sperrfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG sei von einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung auszugehen, dafür, dass der Zustimmung zu Vergleichsbeschlüssen keine umfassende Sachverhaltsaufklärung vorausgehen muss, weil auch Fälle denkbar sind, in denen sich innerhalb von drei Jahren nicht alle Umstände eines Vorgangs, der Gegenstand der Vergleichsvereinbarung ist, aufhellen lassen. Wenn die gesetzliche Regelung aber keine umfassende Sachverhaltsaufklärung fordert, kann eine abgeschlossene Sonderprüfung nicht Voraussetzung der Zustimmung zu Verzicht oder Vergleich sein.Randnummer210

Soweit sich die Kläger auf eine „Sinnentleerung“ der Sonderprüfung im Falle einer wirksamen Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen während laufender Sonderprüfung berufen, verkennen sie, dass eine angeordnete Sonderprüfung nach der gesetzgeberischen Entscheidung nicht zwangsläufig zu einer Verfolgung der dadurch festgestellten Ansprüche der Aktiengesellschaft führen muss und andererseits eine Sonderprüfung nicht Voraussetzung für die Zustimmung zu Vergleichsvereinbarungen ist, was zeigt, dass die Sonderprüfung nicht final auf die Vorbereitung von Zustimmungsbeschlüssen der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen gerichtet ist. Die Sonderprüfung dient zwar als Instrument, um bei Vorliegen von Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen, dass bei dem in Rede stehenden Vorgang Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung vorgekommen sind, tatsächliche Vorgänge in der Gesellschaft aufzuhellen und damit Schadensersatzansprüche der Gesellschaft vorzubereiten, also der Informationsverschaffung (Arnold in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 142, Rn. 6). Sie ist aber nicht notwendige Voraussetzung der Zustimmungsbeschlüsse (s. o.). Wurden also – wie hier – die Informationen auf andere Weise beschafft und wurde auf dieser Grundlage eine Einigung über die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche erzielt, kann sich die Hauptversammlung mit ihrer Zustimmung zu den Vergleichsvereinbarungen dafür entscheiden, das Ergebnis der Sonderprüfung nicht mehr abzuwarten. Denn der gesetzgeberische Wille geht dahin, es der Disposition der Hauptversammlung zu überlassen, wie sie mit den Ansprüchen verfahren will, die Gegenstand der Sonderprüfung sind. Im Übrigen behält die Sonderprüfung ihren Sinn in den Fällen, in denen – anders als hier – eine Aufklärung von Pflichtverletzungen und die Verfolgung von Ersatzansprüchen seitens der Gesellschaft abgelehnt wird. Von einer generellen „Sinnentleerung“ kann danach keine Rede sein.Randnummer211

Die Auffassung der Kläger, dass ohne eine Sperrwirkung der Sonderprüfung für Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, die in § 142 Abs. 2 AktG angeordnete Kompetenzverteilung unterlaufen werde, verkennt die bloße Hilfsfunktion der Sonderprüfung im Rahmen der Feststellung und Verfolgung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber ihren Organen. Insoweit trifft es zwar zu, dass die auf Antrag von Aktionären, deren Anteil zusammen den 100. Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 € erreichen, angeordnete Sonderprüfung – ohne geänderte Umstände – nur dadurch beendet werden kann, dass die antragstellende Minderheit die vorzeitige Beendigung der Sonderprüfung beantragt (Rieckers/J. Vetter, Kölner Kommentar, Aktiengesetz, 3. Aufl., § 142, Rn. 323). Demgegenüber ist die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, nach h. M. ebenfalls antragsberechtigt, wenn nachträgliche wesentliche Änderungen vorliegen (§ 142 Abs. 8 AktG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 FamFG), die der Sonderprüfung ihre Berechtigung entziehen (Arnold in Münchener Kommentar, 5. Aufl., § 142, Rn. 188; Koch, 16. Aufl. 2022, AktG § 142 Rn. 34). Vor diesem Hintergrund kann als sicher angenommen werden, dass die Beklagte nach Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung einen Antrag auf Aufhebung der gerichtlich angeordneten Sonderprüfung stellen wird. Daraus ergibt sich aber weder ein Widerspruch noch eine Umgehung der Kompetenzordnung, da die Sonderprüfung keinem Selbstzweck dient, sondern der (vorbereitenden) Informationserlangung, um auf der Grundlage des Prüfungsergebnisses über eine Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zu entscheiden. Kommt keine Verfolgung von Schadensersatzansprüchen mehr in Betracht, weil darüber (rechtsbeständige) Abgeltungsvergleiche geschlossen wurden, die auf einer anderweitig beschafften Informationsgrundlage beruhen, was von der insoweit zuständigen Hauptversammlung gebilligt wurde, kann die Sonderprüfung ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Der Zweck der Informationsbeschaffung ist auf andere Weise erfüllt worden, was zulässig ist, weil der Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG – wie bereits dargelegt – kein (zwingend) vorgeschaltetes Sonderprüfungsverfahren vorsieht. Die Informationen können danach – wie hier – auf der Grundlage eines internen Gutachtens ermittelt werden, was nicht im Widerspruch zum Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 8. November 2019 (9 W 86/17) steht. Soweit es darin heißt, dass der seitens der Beklagten betriebene Ermittlungsaufwand eine Sonderprüfung nicht überflüssig mache, ergibt sich daraus nicht, dass auf der Grundlage interner Ermittlungen keine Vergleiche geschlossen und Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung hierzu gefasst werden dürften. Die Entscheidung bezieht sich lediglich auf die Voraussetzungen für die Anordnung einer Sonderprüfung, die – wie bereits dargelegt – gering sind. Damit liegt mit den abgeschlossenen (und gebilligten) Vergleichen eine geänderte Sachlage vor, weshalb nicht zu beanstanden ist, dass auf dieser Grundlage auch die Gesellschaft die Aufhebung des Sonderprüfungsverfahrens beantragen kann. Dies zeigt zudem, dass von der seitens der Kläger angenommenen Umgehung der Anordnung der Sonderprüfung durch Beschluss des Oberlandesgerichts Celle (vom 8. November 2019 – 9 W 86/17) keine Rede sein kann. Es geht vielmehr um eine Entscheidung aufgrund nachträglich geänderter Sachlage gemäß § 142 Abs. 8 AktG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 FamFG. Letztlich ergibt sich eine Sperrwirkung der Sonderprüfung für Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zum „Doppelmandat“ des Sonderprüfers (nicht: „doppelte“ Sonderprüfung), wenn einerseits Anfechtungsklagen von Minderheitsaktionären gegen Hauptversammlungsbeschlüsse, die die zuvor gefassten Beschlüsse über die Bestellung eines Sonderprüfers aufheben, und die Anträge einer Aktionärsminderheit nach § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG, erfolgreich sind (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2009 – 6 W 45/09, juris Rn. 66). Der von den Klägern daraus gezogene Schluss, dass es der Aktionärsmehrheit verwehrt sei, die auf Antrag der Aktionärsminderheit angeordnete Sonderprüfung zu verhindern, was auch für die Herbeiführung einer Vergleichsvereinbarung über Haftungsansprüche, die Gegenstand der Sonderprüfung sind gelte, verkennt, dass es sich insoweit um unterschiedliche Konstellationen handelt. Während nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf das Wiederaufleben der Hauptversammlungsbeschlüsse über die Bestellung des Sonderprüfers infolge der erfolgreichen Anfechtung der Hauptversammlungsbeschlüsse über die Aufhebung der Bestellungsbeschlüsse eine Anordnung der Sonderprüfung auf Antrag einer Aktionärsminderheit nicht ausschließt, sondern zu einem Doppelmandat des Sonderprüfers führt, geht es bei den hier in Rede stehenden Zustimmungsbeschlüssen zu den mit Herrn … und Herrn … geschlossenen Haftungsvergleichen sowie dem mit den …-Versicherern geschlossenen Deckungsvergleich nicht um die Aufhebung/den Ausschluss der Sonderprüfung. Diese bleibt vielmehr bestehen, bis sie auf der Grundlage geänderter Umstände aufgehoben wird. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf keine Argumente ableiten, mit denen sich eine Sperrwirkung der Sonderprüfung gegenüber Zustimmungsbeschlüssen nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG begründen ließe.Randnummer212

(3) Darüber hinaus spricht eine parallele Betrachtung des Klagezulassungsverfahrens gemäß § 148 f. AktG, welches ebenso wie das Sonderprüfungsverfahren gemäß §§ 142 ff AktG (im weiteren Sinne) der Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen durch eine Aktionärsminderheit dient (Arnold in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 148, Rn. 2), für das anerkannt ist, dass die Hauptversammlung auch während des laufenden Klagezulassungsverfahrens (und nachfolgenden Klageverfahrens) nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG einem von der Gesellschaft geschlossenen Vergleich zustimmen kann (Arnold in Münchener Kommentar, Aktiengesetz, 5. Aufl., § 148, Rn. 80, mit weiteren Nachweisen), gegen eine Sperrwirkung des Sonderprüfungsverfahrens für Zustimmungsbeschlüsse nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Wie bereits dargelegt, haben das Sonderprüfungsverfahren und das Klagezulassungsverfahren jeweils zum Ziel, dass einer Aktionärsminderheit die Durchsetzung von Ansprüchen gegen Organmitglieder ermöglicht wird, wobei die Sonderprüfung eine geringere Wirkung als das Klagezulassungsverfahren aufweist, weil sie lediglich der (vorbereitenden) Tatsachenermittlung dient, während mit der Klagezulassung die Prozessführungsbefugnis für die Geltendmachung von Ansprüchen auf die Aktionärsminderheit übertragen wird. Wenn aber ein seitens der Gesellschaft über den Prozessgegenstand geschlossener Vergleich sogar nach Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf eine Aktionärsminderheit aufgrund der Klagezulassung durch das Gericht nach § 148 Abs. 1 AktG als zulässig angesehen wird, weil Anspruchsinhaberin etwaiger Ersatzansprüche und materiell Berechtigte auch im Rahmen des Klagezulassungsverfahrens die Gesellschaft bleibt (Rieckers/J. Vetter, Kölner Kommentar, Aktiengesetz, 3. Aufl., § 148, Rn. 528; Koch, 16. Aufl. 2022, AktG § 148 Rn. 21), muss eine Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen nach einer Sonderprüferbestellung erst Recht zulässig sein. Denn die Sonderprüfung betrifft nur die der Klagezulassung (ggf.) vorgelagerte Aufklärung der maßgeblichen Tatsachen. Die Auffassung der Kläger, weil für das Klagezulassungsverfahren in § 148 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AktG die „Subsidiarität der Geltendmachung durch die Gesellschaft“ (richtig: Subsidiarität der Aktionärsklage, vgl. Spindler in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 148 AktG, Rn. 36) geregelt sei, lasse sich aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung für die Sonderprüfung darauf schließen, dass für die Sonderprüfung die Möglichkeit eines Vergleichsschlusses nicht gewollt sei, der Gesellschaft also mit Anordnung der Sonderprüfung die Dispositionsbefugnis über deren Gegenstand entzogen werde, geht fehl. Die Ausgangslage bei Anordnung einer Sonderprüfung einerseits und dem Klagezulassungsverfahren andererseits unterscheidet sich dadurch, dass der Aktionärsminderheit mit der gerichtlichen Entscheidung nach § 148 Abs. 1 AktG die Prozessführungsbefugnis für etwaige Ersatzansprüche der Gesellschaft übertragen wird (Rieckers/J. Vetter, Kölner Kommentar, Aktiengesetz, 3. Aufl., § 148, Rn. 6), während dies beim Sonderprüfungsverfahren nicht der Fall ist. Während es danach in Bezug auf das Klagezulassungsverfahren einer Klarstellung dahin bedarf, dass ungeachtet der Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf die Aktionärsminderheit, die Gesellschaft jederzeit berechtigt ist, den Ersatzanspruch selbst gerichtlich geltend zu machen oder das Klageverfahren von den Aktionären zu übernehmen (§ 148 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG), gibt es diesen Klarstellungsbedarf beim Sonderprüfungsverfahren nicht. Denn damit erfolgt – wie schon gesagt – keine Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf eine Aktionärsminderheit. Gegenteiliges ergibt sich nicht aus dem Aspekt, dass § 148 Abs. 3 Satz 1 AktG lex specialis zu § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist, sodass ohne die Regelung in § 148 Abs. 3 Satz 1 AktG der – ungeachtet einer Klagezulassung für eine Aktionärsminderheit – erhobenen Klage der Gesellschaft die Einrede der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegenstehen würde. Denn eine solche Konstellation ist infolge einer Sonderprüferbestellung nicht möglich, weshalb für eine während der Sonderprüfung seitens der Gesellschaft erhobene Klage § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht eingreifen würde. Dies zeigt vielmehr, dass es einer § 148 Abs. 3 Satz 1 AktG entsprechenden Regelung in den §§ 142 ff AktG nicht bedarf.Randnummer213

ee) Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich die Anfechtbarkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 10 und 11 nicht aus einem Stimmverbot der …, der Beteiligungsgesellschaft des … und der … gemäß § 136 Abs. 1 AktG. Nach § 136 Abs. 1 AktG ist die Ausübung des Stimmrechts durch einen Aktionär ausgeschlossen, wenn über seine Entlastung oder seine Befreiung von einer VerbindlichkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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oder darüber, ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen soll (§ 147 AktG), Beschluss gefasst wird. Dies war in Bezug auf die …, die Beteiligungsgesellschaft des … und die … unzweifelhaft nicht der Fall. Die vorgenannten Gesellschaften sind weder Partei der Vergleichsvereinbarungen noch unmittelbar durch diese begünstigt. Die Voraussetzungen für ein Stimmverbot müssen in der Person des Aktionärs gegeben sein (Arnold in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl., § 136, Rn. 42), was hier nicht der Fall ist. Vor diesem Hintergrund kommt ein „Richten in eigener Sache“ nicht in Betracht. Selbst wenn man – wie nicht – annähme, für das Eingreifen eines Stimmverbots sei auf „Mitglieder der Hauptaktionäre“ abzustellen, fehlt jedes substantiierte Vorbringen der Kläger, aus dem sich entnehmen ließe, dass von Hauptaktionären entsandte Mitglieder des Aufsichtsrats (die seitens der Kläger bereits nicht konkret benannt werden), aufgrund ihres konkreten Wissens über Abgasmanipulationen, ihre Überwachungspflichten verletzt hätten, weshalb sie durch die Vergleiche begünstigt wären. Solches Vorbringen ergibt sich auch nicht aus der Bezugnahme auf Presseverlautbarungen zu einem mit Herrn … geführten …-Interview (Anlage K1.53 bzw. Anlage NI 4), die die Staatsanwaltschaft Braunschweig noch nicht einmal zur Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Aufsichtsratsmitglieder veranlasst hat. Das Vorliegen eines Stimmverbots für die vorgenannten Gesellschaften kann im Ergebnis aber auch dahingestellt bleiben, weil eine Anfechtung nur dann begründet wäre, wenn die fehlerhafte Berücksichtigung von Stimmen Einfluss auf das Beschlussergebnis hätte (BGH, Beschluss vom 29. April 2014 – II ZR 262/13, juris Rn. 8), was vorliegend nicht der Fall war. Denn die Beklagte hat dargelegt, dass selbst bei Abzug der Stimmen der drei größten Aktionäre der Beklagten (…, Beteiligungsgesellschaft des … und …) die verbleibenden Streubesitz-Aktionäre den Vergleichsvereinbarungen mit Mehrheiten von über 99 % der abgegebenen Stimmen zugestimmt haben. Soweit die Kläger dies „mit Nichtwissen“ Bestreiten, verkennen sei ihre Darlegungs- und Beweislast für eine Anfechtung der Zustimmungsbeschlüsse begründende Umstände.Randnummer214

ff) Die Zustimmungsbeschlüsse zu den Vergleichen (Tagesordnungspunkte 10 und 11 der ordentlichen Hauptversammlung 2021) sind nicht aufgrund von Inhaltsmängeln oder wegen Rechtsmissbrauchs anfechtbar. Zustimmungsbeschlüsse nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG unterliegen bereits keiner allgemeinen Inhaltskontrolle oder inhaltlichen Missbrauchskontrolle. Zudem sind Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht wegen individuellen Rechtsmissbrauchs, also einer rechtsmissbräuchlichen bzw. treuwidrigen Stimmrechtsausübung eines Aktionärs der Gesellschaft anfechtbar, weil durch den Abschluss von Vergleichs- und Verzichtsvereinbarungen alle Aktionäre gleichermaßen betroffen sind, der allein denkbare Fall einer Missbrauchskontrolle, bei dem das den Vergleich schließende (ehemalige) Organmitglied zugleich Aktionär der Gesellschaft ist und damit bei der Abstimmung durch Eigeninteressen beeinflusst sein kann, durch § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG ausgeschlossen wird, ein treuwidriges Abstimmungsverhalten einzelner Aktionäre in Ansehung der hohen Zustimmung zu den Hauptversammlungsbeschlüssen mit 99,91 % (zu TOP 10) und 99,98 % (zu TOP 11) ersichtlich ohne Relevanz war und die für das Vorliegen von Anfechtungsgründen darlegungs- und beweisbelasteten Kläger, ein rechtsmissbräuchliches Stimmverhalten von Aktionären bereits nicht schlüssig darlegen.Randnummer215

(1) Eine allgemeine Inhaltskontrolle oder inhaltliche Missbrauchskontrolle von Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG findet nicht statt. Eine Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nach § 243 Abs. 1 AktG kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn gegen konkrete Bestimmungen des Aktienrechts oder der Satzung verstoßen wird. Eine materielle Beschlusskontrolle durchzuführen, lehnt der Bundesgerichtshof ab (Noack/Zetzsche, Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 243, Rn. 337). Bspw. bedarf ein mit der nötigen Mehrheit gefasster Auflösungsbeschluss keiner sachlichen Rechtfertigung; er trägt seine Rechtfertigung in sich (vgl. BGH, Urteil vom 28 Januar 1980 – II ZR 124/78, juris Rn. 6). Der Bundesgerichtshof hat es also selbst für einen Beschluss über die Auflösung einer Kapitalgesellschaft abgelehnt, diesen einer derartigen Kontrolle zu unterziehen. Soweit der Gesellschaftsvertrag die Auflösung nicht an weitere Erfordernisse bindet, bedarf ein solcher Beschluss nur der nach dem Gesetz vorgeschriebenen Beschlussmehrheit. An weitergehende Voraussetzungen ist seine Wirksamkeit nicht gebunden, insbesondere bedarf der Beschluss keiner sachlichen Rechtfertigung da er seine Rechtfertigung in sich trägt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 1988 – II ZR 75/87, juris Rn. 13). Eine über die konkret normierten Vorgaben hinausgehende allgemeine Inhaltskontrolle findet danach nur bei solchen Hauptversammlungsbeschlüssen statt, die besonders tief in die Mitgliedschaft der Minderheitsaktionäre eingreifen, was vom Bundesgerichtshof (allein) für den Bezugsrechtsausschluss bei einer Kapitalerhöhung bzw. Beschaffung eines genehmigten Kapitals anerkannt ist. Der Entzug des Vorrechts, Kapital in „seinem“ Unternehmen investieren zu können, bedeutet im allgemeinen einen schweren Eingriff in die Mitgliedschaft; die Entscheidung muss sich daher darauf erstrecken, dass das mit der Kapitalerhöhung verfolgte Ziel auf dem normalen gesetzlichen Weg, d. h. mit einem Bezugsrecht für alle Aktionäre, nicht erreichbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. März – II ZR 142/76, juris Rn. 9). Im Übrigen ist anerkannt, dass eine Inhaltskontrolle dann Ausscheiden muss, wenn das Gesetz selbst einen Eingriff in die Mitgliedschaft vorsieht, ohne gleichzeitig eine sachliche Rechtfertigung zu fordern, oder wenn es eine normative Abwägung gegen die betroffenen Mitgliedsinteressen enthält (Schäfer im Münchener Kommentar, Aktiengesetz, 5. Aufl., § 243, Rn. 57). Dies ist in Bezug auf Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG der Fall, weil die durch den Gesetzgeber vorgesehene Einschaltung der Hauptversammlung dem Zweck der Regelung entspricht, dem Schutz des Gesellschaftsvermögens und der Minderheitsaktionäre zu dienen. Das Vermögen der Gesellschaft steht wirtschaftlich nicht dem Aufsichtsrat, sondern den Aktionären zu, weshalb diese berufen sind, eine solche Selbstschädigung – auch deren Umfang – zu beschließen. An einem Eingriff in die Mitgliedschaft der Minderheitsaktionäre fehlt es, weil durch den Zustimmungsbeschluss zu einer Vergleichs-/Verzichtsvereinbarung alle Aktionäre gleichermaßen betroffen sind. Hinzu kommt, dass das Gesetz mit der Vetomöglichkeit für Aktionäre mit Anteilen von zusammen 10 % des Grundkapitals schon einen institutionalisierten Minderheitenschutz vorsieht. Für eine darüberhinausgehende allgemeine Inhaltskontrolle des Zustimmungsbeschlusses bleibt danach kein Raum. Die Hauptversammlung unterliegt daher bei der Beschlussfassung über einen Verzicht oder Vergleich gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG keinen inhaltlichen Bindungen (vgl. LG Frankfurt, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 3-05 O 154/16, juris Rn. 116; bestätigt durch OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Urteil vom 28. November 2019 – 5 U 6/17, juris Rn. 158). Nachdem der Gesetzgeber das Widerspruchsquorum als einziges Abwägungskriterium für den Schutz der interessen der Minderheitsaktionäre vorsieht, unterliegen die von der Hauptversammlung gefassten Zustimmungsbeschlüsse keiner Inhaltskontrolle, sondern tragen ihre Rechtfertigung in sich. Im Rahmen des in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG geregelten Systems müssen sowohl Minderheits- als auch Mehrheitsinteressen zurücktreten. In einer solchen Konstellation darf das Gericht einen Beschluss nicht deshalb beanstanden, weil er unzweckmäßig oder nicht im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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erscheint. Umgekehrt kann auch die Ablehnung eines Beschlussantrags nicht allein deshalb beanstandet werden, weil der Beschluss zweckmäßig erscheint und im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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liegt (BGH, Urteil vom 12. April 2016 – II ZR 275/14, juris Rn. 15).Randnummer216

Entgegen der Auffassung der Kläger sind die Zustimmungsbeschlüsse zu den Vergleichen auch nicht im Rahmen einer inhaltlichen Missbrauchskontrolle daraufhin zu überprüfen, ob diese sachlich gerechtfertigt oder zweckmäßig sind. Vielmehr betrifft eine im Einzelfall vorzunehmende Missbrauchskontrolle das Abstimmungsverhalten einzelner Aktionäre, also den „individuellen“ Rechtsmissbrauch, der vorliegen kann, wenn ein Aktionär seine Stimmrechte unter Verletzung seiner individuellen Treuepflicht ausgeübt hat und das Beschlussergebnis hierdurch beeinflusst worden ist (Noack/Zetzsche in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 243, Rn. 286, 432). Darauf, ob die Zustimmungsbeschlüsse zu den Vergleichsvereinbarungen „nach ihrem Inhalt rechtsmissbräuchlich“ sind und „offenkundig nicht im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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liegen“, kommt es deshalb bereits im Ausgangspunkt nicht an. Wie bereits dargelegt, darf das Gericht sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle des – inhaltlich nicht eingeschränkten – Ermessens der Hauptversammlungsmehrheit setzen (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2016 – II ZR 275/14, juris Rn. 15).Randnummer217

(2) Die Zustimmungsbeschlüsse sind nicht wegen individuellen Rechtsmissbrauchs, also einer rechtsmissbräuchlichen bzw. treuwidrigen Stimmrechtsausübung eines Aktionärs anfechtbar, die vorliegen kann, wenn ein Aktionär seine Stimmrechte unter Verletzung seiner individuellen Treuepflicht ausgeübt hat und das Beschlussergebnis hierdurch zum Nachteil der Gesellschaft oder anderer Aktionäre beeinflusst worden ist. Bei Hauptversammlungsbeschlüssen über die Zustimmung zu Vergleichen oder Verzichten gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG kommt bereits ansatzweise kein individueller Rechtsmissbrauch einzelner Aktionäre in Betracht, weil – wie bereits dargelegt – von Vergleichs- oder Verzichtsvereinbarung mit Organmitgliedern grundsätzlich alle Aktionäre gleichermaßen betroffen sind. Wenn also keine Bevorzugung oder Benachteiligung von Aktionären denkbar ist, kommt eine Treuepflichtverletzung von vornherein nicht in Betracht. Für den Fall, dass das (ehemalige) Organmitglied, mit dem die Vergleichs- oder Verzichtsvereinbarung abgeschlossen wird, zugleich Aktionär der Gesellschaft ist und damit bei der Abstimmung durch Eigeninteressen beeinflusst sein kann, regelt § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG, dass für den Aktionär eine Stimmverbot eingreift. Damit hat der Gesetzgeber für diesen Interessenkonflikt eine abschließende Regelung getroffen (Koch, AktG,16. Aufl., § 136, Rn. 21). Hier greift – entgegen der Auffassung der Kläger – auch kein Stimmrechtsverbot der …E ein, weil die Vergleichsvereinbarungen weder Verbindlichkeiten der …  noch Verbindlichkeiten anderer Aktionäre der Gesellschaft, die an der Abstimmung teilgenommen haben, betreffen. Soweit sich die Kläger auf „mittelbare Sonderinteressen“ der …  beziehen, reicht dies für ein Stimmrechtsverbot nach § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht aus. Dass Aktionäre der Beklagten bei der Beschlussfassung über die Tagesordnungspunkte 10 und 11 mitgestimmt haben, die durch die Haftungsvergleiche und den Deckungsvergleich von Verbindlichkeiten befreit wurden, legen die Kläger bereits nicht dar. Entsprechendes gilt für ein sich aus „Sonderinteressen“ ergebendes Stimmrechtsverbot der Beteiligungsgesellschaft des … und der …, zu dem die Kläger bereits keinerlei Sachvortrag halten und bei dem nicht ersichtlich ist, woraus sich dieses ergeben soll. Im Ergebnis kann das Vorliegen sowohl eines Stimmrechtsverbots nach § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG als auch eines individuellen Rechtsmissbrauchs aber dahingestellt bleiben, weil die erforderliche Relevanz fehlt. Eine rechtsmissbräuchliches bzw. treuwidriges Stimmverhalten eines Aktionärs kann die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses lediglich dann begründen, wenn der Beschluss ohne die Stimmen des Aktionärs nicht die erforderliche Mehrheit erreicht hätte oder die Teilnahme des Aktionärs für das Beschlussergebnis kausal geworden ist (BGH, Urteil vom 24. April 2006 – II ZR 30/05; Urteil vom 8. Oktober 2018 – II ZR 87/17). Wie bereits dargelegt, ist dies vorliegend nicht der Fall, weil die auf den Streubesitz entfallenden stimmberechtigten (Minderheits-)Aktionäre (rund 9,7 % des stimmberechtigten Grundkapitals) den Haftungsvergleichen mit einer Mehrheit von 99,62 % und dem Deckungsvergleich mit einer Mehrheit von 99,93 % zugestimmt haben. Daraus wird deutlich, dass das Abstimmungsverhalten der Mehrheitsaktionäre (deren „Sonderinteressen“ die Kläger behaupten) für das Ergebnis ohne Relevanz war.Randnummer218

(3) Unabhängig von der fehlenden Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse wegen Rechtsmissbrauchs legen die – darlegungs- und beweisbelasteten (vgl. Noack/Zetzsche in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 243, Rn. 344; Koch, AktG, 16. Aufl., § 243, Rn. 59) – Kläger ein rechtsmissbräuchliches Stimmverhalten von Aktionären auch nicht schlüssig dar. Der Sachvortrag der Kläger, der im Kern darauf abzielt, dass die Vergleichsvereinbarungen nicht im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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lägen, sondern dieser Schaden zufügten, bezieht sich bereits nicht auf eine rechtsmissbräuchliches Stimmverhalten von Aktionären, sondern auf angeblich inhaltliche Mängel der Zustimmungsbeschlüsse, die indessen – wie bereits dargelegt – keinen individuellen Rechtsmissbrauch begründen. Soweit die Kläger darüber hinaus behaupten, das Abstimmungsverhalten der … , der … und (zuletzt auch) der … sei rechtsmissbräuchlich bzw. treuwidrig, fehlt substantiierter Sachvortrag, der geeignet wäre, auf dieser Grundlage eine rechtsmissbräuchliches Stimmrechtsausübung anzunehmen.Randnummer219

(a) Die inhaltliche Mängel der Zustimmungsbeschlüsse betreffenden Einwände der Kläger, die sich auf die Zulässigkeit, Üblichkeit und Vorbereitung der Vergleiche, die angemessene Höhe der Vergleichsbeträge, die Sachverhaltsaufklärung (namentlich mit Blick auf die Haftung von weiteren Vorstandsmitgliedern wegen Compliance-Verstößen sowie von Aufsichtsratsmitgliedern), die Angemessenheit der Verzichtsregelung im Deckungsvergleich, die Angemessenheit der Freistellungsregelung in den Haftungsvergleichen, den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses, ein widersprüchliches Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat, eine „Selbstbetroffenheit“ von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, ein kollusives Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat bzw. der …  und eine unzureichende Informationsgrundlage für die Vergleichsvereinbarungen beziehen, also nicht das für eine Anfechtung maßgebliche Abstimmungsverhalten der Aktionäre betreffen, gehen darüber hinaus auch in der Sache fehl.Randnummer220

(aa) Vergleiche mit Organmitgliedern sind nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zulässig, wenn die Hauptversammlungsmehrheit nach Ablauf der Dreijahresfrist zustimmt und das Widerspruchsquorum des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht erreicht ist, was hier – wie bereits dargelegt – der Fall ist. Vergleiche mit Organmitgliedern entsprechen auch der üblichen Praxis (J. Koch in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 7, 6. Aufl., § 30, Rn. 57), was die Beklagte überdies durch Vorlage von im Bundesanzeiger veröffentlichten Hauptversammlungseinladungen diverser Aktiengesellschaften, mit denen Vergleiche mit Organmitgliedern vorgelegt wurden, belegt hat (Anlagen B 5 bis B 14). Eine unzureichende Vorbereitung der der Hauptversammlung vorgelegten Haftungsvergleiche und des Deckungsvergleichs, legen die Kläger nur ohne die erforderliche Substanz dar. Den Sachvortrag der Beklagten, dass die den Vergleichsverhandlungen zugrunde gelegten Feststellungen, wonach Herrn … und Herrn … der Vorwurf fahrlässiger Sorgfaltspflichtverletzungen treffe, während Pflichtverletzungen anderer Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats nicht vorlägen, auf umfänglichen Untersuchungen durch … und … sowie … beruhten, haben die Kläger nicht durch Sachvortrag entkräftet, der die Annahme einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts begründen würde. Konkreter Sachvortrag dazu, welchem Organmitglied auf der Grundlage fehlerhaft nicht herangezogenen Sachverhalts, welche Pflichtverletzung vorzuwerfen sei, wird von den Klägern nicht gehalten.Randnummer221

(bb) Die von den Klägern gegen die Höhe der vereinbarten Vergleichsbeträge erhobenen Einwände, die sich im Kern darauf beziehen, dass diese in Ansehung des Schadensumfangs zu gering seien und die Gesellschaft deshalb schädigten, sind – unabhängig davon, dass sie zur Begründung eines treuwidrigen Abstimmungsverhaltens von Aktionären nicht geeignet sind (s. o.)  – auch in der Sache ohne Grundlage. Vielmehr hat die Beklagte ungeachtet einer schwierigen Ausgangslage in Vergleichsverhandlungen mit Herrn … und Herrn … sowie den …-Versicherern ein respektables Ergebnis erzielt, welches für die Beklagte vorteilhaft ist, was die Hauptversammlung ersichtlich ebenso beurteilt hat, weil die Aktionäre der Beklagten anderenfalls den Vergleichsvereinbarungen nicht mit einer so großen Mehrheit der Stimmen zugestimmt hätten (für die Haftungsvergleiche 99,91 % und für den Deckungsvergleich 99,98 % der abgegebenen Stimmen).Randnummer222

In diesem Kontext kann keine Rede davon sein, dass die Beklagte die Prozessrisiken einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Herrn … und Herrn …, die die gegen sie gerichteten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach in Abrede genommen haben, sowie mit den …-Versicherern falsch eingeschätzt habe. Im Ausgangspunkt zutreffend ist zwar, dass gegenüber dem haftenden Vorstandsmitglied zugunsten der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG eine Beweislastumkehr eingreift. Danach muss die Aktiengesellschaft den Eintritt und die Höhe des Schadens beweisen, ferner die Handlung des beklagten Vorstandsmitglieds sowie die adäquate Kausalität zwischen Handlung und Schaden, während für die fehlende Pflichtwidrigkeit und das fehlende Verschulden die Beweislast beim Vorstandsmitglied liegt (Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 93, Rn. 103 ff.). Damit verbleibt bei der Gesellschaft indes die volle Beweislast für die dem Vorwurf einer Pflichtverletzung zugrundeliegenden Tatsachen, was per SE mit Unwägbarkeiten verbunden ist, weil im Vorfeld nie abschließend abgesehen werden kann, wie Zeugen in einem gerichtlichen Verfahren aussagen. Hier kommt hinzu, dass es sich um ein komplexes Geschehen handelt, das sich über mehrere Jahre erstreckte, wodurch die Unwägbarkeiten noch erhöht werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Einschätzung, dass ein Unterliegen der Beklagten gegenüber Herrn … und Herrn … in einem gerichtlichen Verfahren möglich wäre, durchaus realistisch. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass der maßgebliche Anteil an der der Beklagten auf der Grundlage der Vergleichsvereinbarungen zufließenden Schadensersatzleistungen in Höhe von rd. 285,3 Mio. € von den …-Versicherern stammt, deren Inanspruchnahme weiteren Unwägbarkeiten unterliegt. Die Beklagte weist insoweit zu Recht darauf hin, dass zunächst der Haftpflichtprozess gegen Herrn … und Herrn … mit Erfolg hätte geführt werden müssen, um sodann die …-Versicherer in einem Deckungsprozess in Anspruch zu nehmen. In diesem prozess hätten die …-Versicherer versicherungsrechtliche Einwände erheben können, etwa den Ausschluss des Versicherungsschutzes dadurch, dass Herr … und Herr … ihre Pflichten vorsätzlich verletzt haben (worauf die Kläger selbst rekurrieren), oder dass geltend gemachte Ersatzansprüche vom Versicherungsschutz nicht abgedeckt sind, was in Bezug auf die Herrn … ab September 2016 vorgeworfene Pflichtverletzung fraglich ist, weil die …-Versicherung der Beklagten ab der Versicherungsperiode 2016 einen Deckungsausschuss für „Abgaswertmanipulationen“ vorsieht. Dass die Beklagte im Rahmen der Vergleichsverhandlungen nicht „den Deckungshöchstbetrag durchgesetzt“ hat, ergibt sich bereits aus dem Wesen des Vergleichs, der nach § 779 Abs. 1 BGB in einem gegenseitigen Nachgeben besteht und erschließt sich aus der vorstehend dargestellten Ausgangslage ohne Weiteres. Als weitere Aspekte, die für die Vorteilhaftigkeit der Vergleiche sprechen, sind die mutmaßliche Dauer und die Kosten der Durchführung der vorstehend skizzierten Prozesse. Die mutmaßlich jeweils über drei Instanzen geführten Verfahren würden nicht nur einen langen Zeitraum beanspruchen und erhebliche Kosten verursachen, sondern könnten sich durch eine (wiederkehrende) Befassung der Öffentlichkeit mit dem Dieselskandal und einer Bindung personeller Ressourcen auch in weiterer Hinsicht negativ auf die Beklagte auswirken.Randnummer223

Entgegen der Auffassung der Kläger ist der von Herrn … und Herr … verursachte Schaden bei der Festlegung der zu leistenden Eigenbeträge angemessen berücksichtigt, sodass sich aus deren Höhe kein Nachteil für die Gesellschaft ableiten lässt. Substantiierten Sachvortrag aus dem sich ergibt, dass die von der Beklagten auf der Grundlage der Untersuchungen von … gewonnenen Erkenntnisse, wonach durch die Sorgfaltspflichtverletzungen von Herrn … ein Schaden von rund 2,5 Mrd. € und durch die Pflichtverletzungen von Herrn … ein Schaden von rund 300 Mio. € entstanden sei, unzutreffend sind, weil ein weitaus größerer zurechenbarer Schaden vorliege, halten die Kläger nicht. Soweit sie auf Presseverlautbarungen abheben, aus denen sich eine frühere Kenntniserlangung von Herrn … von Abgasmanipulationen ergeben soll (Anlage NI 4), sind Meinungsäußerungen von Pressevertretern als Beleg von vornherein ungeeignet. Die von den Klägern aufgestellte Behauptung, Herr … habe bereits im Mai 2014 aufgrund seiner sogenannten „Wochenendpost“ von Abgasmanipulationen gewusst, würde eine Kenntnisnahme der darin enthaltenen Informationen durch Herrn … voraussetzen, die indessen seitens der Kläger bereits nicht näher dargelegt wird und in einem prozess bewiesen werden müsste. Die Kläger verkennen mit ihrer Auffassung, die mit den Haftungsvergleichen vereinbarten Eigenbeträge von Herrn … und Herrn … seien zu gering, bereits im Ausgangspunkt, dass eine vereinbarte Vergleichssumme stets das Ergebnis von Verhandlungen ist und sich an zahlreichen Faktoren orientiert. Will man ungeachtet dessen die Höhe der Vergleichssumme einer Angemessenheitsprüfung unterziehen, bietet sich als Maßstab der obligatorische Selbstbehalt von Vorstandsmitgliedern in der …-Versicherung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG an, wonach der Selbstbehalt mindestens 10 % des verursachten Schadens und maximal das eineinhalbfache der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds beträgt. Danach läge der Selbstbehalt im Sinne von § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG – wie von der Beklagten unwidersprochen vorgetragen – für … bei 2,4 Mio. € und bei Herrn … bei 1,6 Mio. €. Dies zeigt, dass die vereinbarten Eigenbeträge in Höhe von 11,2 Mio. € (mit Herrn …) und 4,1 Mio. € (mit Herrn …), deutlich über dem gesetzlich vorgeschriebenen maximalen Eigenbetrag von Vorstandsmitgliedern liegen, diese also keinesfalls unangemessen sein können.Randnummer224

(cc) Ein rechtsmissbräuchliches Stimmverhalten von Aktionären ergibt sich nicht aus einer – von den Klägern nur substanzlos behaupteten – unzureichenden, unvollständigen Sachverhaltsermittlung. Der im Kern darauf abzielenden Behauptung der Kläger, dass die Haftung von (ehemaligen) Aufsichtsratsmitgliedern der Beklagten unentdeckt geblieben sei, weil die vom Vorstand in Auftrag gegebene Untersuchung durch … in zeitlicher und sachlicher Hinsicht unzureichend gewesen sei, fehlt bereits jede tatsächliche Grundlage. Aus welchen tatsächlichen Umständen sich ergeben soll, dass (konkret benannte) Mitglieder des Aufsichtsrats vor dem Erlass der ersten Notice of Violation durch die EPA am 18. September 2015 Kenntnis von Abgasmanipulationen in den von … entwickelten 2,0 l Dieselmotoren des Typs EA 189 erlangt haben sollen, wird von den Klägern ebenso wenig dargelegt, wie eine sich daraus ergebende Annahme von Aufsichtsratsmitgliedern, dass die durch die ICCT-Studie festgestellten Überschreitungen von Emissionsgrenzwerten über ein operatives Problem hinausgingen. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Anhaltspunkte und werden von den Klägern auch nicht aufgezeigt, dass vor Mai 2014 überhaupt (Überwachungs-)Pflichtverletzungen durch Aufsichtsratsmitglieder in Betracht kamen, weshalb der Zeitraum der Überprüfung durch … ab Mai 2014 nicht zu beanstanden ist. Entsprechendes gilt für den sachlichen Prüfungsumfang und -aufwand. Nachdem die Prüfung keine Anhaltspunkte für Ansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder ergeben hat, geht der Einwand der Kläger, die Verjährung von (solchen) Ansprüchen sei nicht geprüft worden, von vornherein fehl. Die unterbliebene Untersuchung von Organisationspflichtverletzungen durch Vorstandsmitglieder als Ursache für die Abgasmanipulationen behaupten die Kläger ohne die erforderliche Substanz. Soweit sie vom Auftreten der Manipulation an Dieselmotoren auf die fehlende Existenz eines geeigneten Compliance-Systems bei der Beklagten schließen, kann für sich genommen aus der Nichtaufdeckung eines Geschehens nicht auf eine Ungeeignetheit des Systems geschlossen werden (Landgericht … , Urteil vom 14. September 2017 – 21 O 24/16, Seite 38; bestätigt durch OLG … , Urteil vom 27. Juni 2018 – 9 U 78/17; BGH, Beschluss vom 16. Juli 2019 – II ZR 273/18 NZB zurückgewiesen). Eindeutige und schwerwiegende Mängel des Risikomanagementsystems bei der Beklagten, die im Falle einer angemessenen Untersuchung offenbar geworden wären, zeigen die Kläger darüber hinaus nicht auf. Der weitere Sachvortrag der Kläger zur Heranziehung von Parteivorbringen in einem Musterfeststellungsklageverfahren vor dem Oberlandesgericht … und weiteren (im Einzelnen nicht näher bezeichneten) Dokumenten ist ebenso wenig wie der von … eingesetzte Zeitaufwand und die für die Tätigkeit abgerechneten Gebühren geeignet, die Annahme zu begründen, der Prüfungsumfang sei nicht angemessen gewesen. Letztlich lässt sich ein Organisationsverschulden nicht aus einem vom Oberlandesgericht Braunschweig in einem Kapitalanleger-Musterklageverfahren am 18. November 2021 erteilten Hinweis ableiten, wonach unter Berücksichtigung des – ergänzungsbedürftigen – Musterklägervorbringens das Unterlassen der im Jahr 2008 gebotenen Kapitalmarktinformation, den Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht haben könne, während der objektive Tatbestand des § 37b Abs. 1 WpHG a.F. vorliege und sich die Darlegung der Musterbeklagten dazu, dass die Unterlassung der Veröffentlichung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhe, auf Mitglieder des Konzernvorstandes beschränken könne (Hinweisbeschluss vom 18. November 2021 – 3 Kap 1/16, juris Rn. 23, 89 ff.). Daraus wird lediglich deutlich, dass sich das Oberlandesgericht Braunschweig auf der Grundlage des im dortigen Verfahren gehaltenen Sachvortrags zur Beurteilung einer Pflichtverletzung von Mitgliedern des Konzernvorstands (bislang) nicht in der Lage sieht, sondern – unter Berücksichtigung weiteren Sachvortrags – eine Beweisaufnahme für erforderlich hält. Damit steht gerade nicht fest, dass Mitglieder des Vorstands der Beklagten 2008 ihre Veröffentlichungspflicht verletzt haben.Randnummer225

(dd) Aus den Verzichtsregelungen im Deckungsvergleich ergibt sich ebenfalls kein rechtsmissbräuchliches Stimmverhalten der Aktionäre. Der von den Klägern im Kern dahin erhobene Vorwurf, Umfang und Gegenstand des Verzichts auf Ansprüche gegen die amtierenden und ehemaligen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (mit Ausnahme von Herrn … und Herrn …) sei für die Aktionäre nicht hinreichend deutlich geworden und schädige die Beklagte, ist ohne Grundlage. Dass die Beklagte mit dem Deckungsvergleich auf Ansprüche verzichtet, ergibt sich aus Ziffer 3 des im Wortlaut vorgelegten Deckungsvergleichs, dessen Überschrift „Abgeltungs- und Erledigungswirkung“ lautet, woraus für den durchschnittlichen Aktionär bereits deutlich wird, dass damit auf Ansprüche verzichtet wird. Ferner wird aus Ziffer 3.7 bis 3.9 des Deckungsvergleichs der Umfang des Verzichts deutlich, der nämlich lediglich im Zusammenhang mit der Dieselthematik umfassend ist, während hinsichtlich des relevanten Sachverhalts „die Erledigung nicht [gilt], soweit feststeht, dass für die betreffenden Ansprüche ein Versicherungsschutz unter der … … – gleichgültig in welcher Versicherungsperiode – nicht besteht […].“ Damit ist klar, dass für nicht dem Versicherungsschutz unterliegende Ansprüche gegen versicherte Personen im Zusammenhang mit dem relevanten Sachverhalt seitens der Beklagten nicht verzichtet wurde, während im Übrigen der Verzicht eingreift. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf der Kläger, der (die Aspekte „Abgaskartell“ und „Thermofenster“ umfassende) „relevante Sachverhalt“ werde abgegolten, ohne die sich daraus ergebenden Ansprüche zu prüfen, ersichtlich ohne Grundlage. In diesem Kontext ist der Vorwurf, „sich im Bereich von Elektrofahrzeugen manifestierende Risiken“ ebenfalls abgegolten zu haben, von Vorneherein irrelevant, weil solche Risiken (unter Bezugnahme auf die Anlage NI 7 und NI 8) nicht aufgezeigt werden. Die Kläger verkennen, dass es insoweit um Aufklärungspflichten von Fahrzeugverkäufern in Bezug auf die Reichweite geht und nicht um solche des Fahrzeugherstellers. Ferner war die Verzichtsregelung im Deckungsvergleich Gegenstand der Erläuterungen im HV-Bericht (Abschnitt D. II Spiegelstrich 6, Abschnitt E und F) und in der Hauptversammlung wurde explizit angesprochen, dass in der Vergleichsvereinbarung mit den …-Versicherern auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit der Dieselthematik gegen sonstige versicherte Personen verzichtet wurde (Seite 14 f der Anlage B4). Vor diesem Hintergrund kann von einer unzureichenden Information der Aktionäre über den Inhalt des Deckungsvergleichs keine Rede sein. Regressansprüche gegen (anwaltliche) Berater der Beklagten, namentlich gegen die Kanzlei … , zu deren Bestehen die Kläger unter Bezugnahme auf Parteivorbringen in einem anderen Verfahren (Anlage K2.7) bereits keinen substantiierten Sachvortrag halten, mussten in diesem Zusammenhang nicht angesprochen werden, weil der Deckungsvergleich („…-Versicherte“) Organhaftungsansprüche betrifft und keine Schadensersatzansprüche gegen (berufshaftpflichtversicherte) anwaltliche Berater. Die von den Klägern geforderte sachliche Rechtfertigung für den Verzicht ergibt sich bereits aus der – von den Beklagten unwidersprochen vorgetragenen und uneingeschränkt plausiblen, weil dem üblichen Vorgehen von Versicherern entsprechenden – Forderung der …-Versicherer nach der umfassenden Erledigung aller im Zusammenhang mit der Dieselthematik in Betracht kommenden Ansprüche. Die von den Klägern beanstandete Differenzierung zwischen dem (umfassenden) Verzicht auf Ansprüche betreffend die Dieselthematik einerseits und dem (eingeschränkten) Verzicht auf Ansprüche betreffend den relevanten Sachverhalt andererseits ist für die Beklagte weder wirtschaftlich nachteilig noch ergibt sich daraus der Vorwurf eines individuellen Rechtsmissbrauchs. Grund hierfür ist vielmehr, dass alle Ansprüche im Zusammenhang mit Abgaswertemanipulationen, die nicht vor 2016 gemeldet wurden, bereits seit 2016 vom Deckungsschutz der …-Versicherung ausgeschlossen sind, auch wenn etwaige Pflichtverletzungen schon vor 2016 begangen wurden. Daraus folgt, dass mögliche Ansprüche im Zusammenhang mit Abgaswertemanipulationen, die nicht vor 2016 gemeldet worden sind, nicht dem Versicherungsschutz unterliegen und daher auch nicht durch den Deckungsvergleich erledigt wurden, was sowohl im Deckungsvergleich (Absatz (E) der Präambel), im HV-Bericht (unter Abschnitt C) als auch in der Hauptversammlung angesprochen wurde, sodass auch insoweit eine angemessene Information der Aktionäre stattgefunden hat.Randnummer226

(ee) Ein rechtsmissbräuchliches Stimmverhalten von Aktionären aufgrund einer unbegrenzten Freistellung von Herrn … und Herrn … von Drittansprüchen mit den Haftungsvergleichen, legen die Kläger bereits nicht dar. Freistellungszusagen in Vergleichen mit Organmitgliedern sind – wie schon gesagt – zulässig und in der Praxis üblich. Die hier in Rede stehende Zusage weist keine Besonderheiten auf, aus denen sich ein Rechtsmissbrauch ableiten ließe. Sie unterliegt nach Ziffer 3.1 und 3.2 – anders als von den Klägern dargestellt – Einschränkungen dahin, dass die Freistellung nur anzuwenden ist, soweit Herr … und Herr … einerseits keine Leistungen aus der …-Versicherung erhalten oder erhalten haben und andererseits eine Deckung nach den Versicherungsbedingungen der …-Versicherung nicht ausgeschlossen ist oder die Deckungssumme nicht ausgeschöpft wurde, sodass das maximale Risiko der Beklagten aus den Freistellungen bei ca. 240 Mio. € liegt. Soweit die Freistellungszusagen für Kosten zur Abwehr von Ansprüchen und sonstigen Rechtsverteidigungskosten uneingeschränkt gewährt werden, hat die Beklagte ein nachvollziehbares Interesse daran, dass sich Herr … und Herr … von fachlich spezialisierten Rechtsanwälten vertreten lassen. Außerdem stehen aus Ziffer 2 des Deckungsvergleichs 50 Mio. € für die Erstattung von Kosten zur Abwehr von Ansprüchen und sonstigen Rechtsverteidigungskosten zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund erscheint das mit den Freistellungszusagen eingegangene Risiko beherrschbar.Randnummer227

(ff) Die Vergleichsvereinbarungen verstoßen – wie bereits dargelegt – nicht gegen die Dreijahresfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, der für den Zeitpunkt der Zustimmung der Hauptversammlung zu Vergleichsvereinbarungen allein maßgeblichen Vorschrift, die dem Schutz vor übereilten Vergleichsschlüssen dient, weshalb die zum GmbH-Recht ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach eine vorschnelle Entlastung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Entlastung
Entlastung des Geschäftsführers
treuwidrig sein kann, bereits im Ausgangspunkt nicht einschlägig ist (Beschluss vom 4. Mai 2009 – II ZR 169/07, juris Rn. 20). Zudem unterscheidet sich der hier in Rede stehende Sachverhalt von demjenigen, der dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorlag dadurch, dass die Gesellschafter „erst unmittelbar vor der Gesellschafterversammlung“ von der Pflichtverletzung erfahren hatten (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2009, aaO), während Abgasmanipulationen an Dieselmotoren der Beklagten seit dem Jahr 2015 Gegenstand umfangreicher Presseberichterstattung sowie der Erörterungen (zumindest) in den Hauptversammlungen betreffend die Geschäftsjahre 2015 und 2016 waren (Landgericht Hannover, Urteil vom 14. September 2017 – 21 O 24/16 und Urteil vom 31. Juli 2018 – 32 O 34/17). Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die Aktionäre der Beklagten erst unmittelbar vor der Hauptversammlung von Pflichtverletzungen erfahren hätten. Die weiteren seitens der Kläger gegen den Zeitpunkt der Vergleichsabschlüsse erhobenen Einwendungen sind nicht nur unerheblich, weil – wie bereits mehrfach dargelegt – Zustimmungsbeschlüsse gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nicht dahin zu überprüfen sind, ob sie zweckmäßig sind oder im Interesse des Unternehmens liegen, sondern auch unsubstantiiert. Die Beklagte hat im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen sie die Vergleichsschlüsse zum gegenwärtigen Zeitpunkt als im Interesse der Beklagten liegend erachtet. Ferner hat sie umfassend zu den (weltweit) noch laufenden Verfahren im Zusammenhang mit der Dieselthematik sowie den daraus – nach den von ihr angestellten Ermittlungen – zu erwartenden Ergebnissen, Stellung genommen. Demgegenüber halten die Kläger keinen Sachvortrag, aus dem zu schließen wäre, dass aus dem (rechtskräftigen) Abschluss laufender Verfahren gegen Herrn … und Herrn … Informationen hervorgehen werden, die geeignet sind, die Verhandlungsposition der Beklagten in Vergleichsverhandlungen mit Herrn … und Herrn … sowie den …- Versicherern nachhaltig zu stärken. Im Gegenteil ergibt sich aus dem in staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren und in Strafverfahren erhobenen Vorwurf einer Vorsatztat, auf den die Kläger rekurrieren, das Risiko, dass sich die …-Versicherer mit Erfolg auf den Ausschluss des Versicherungsschutzes für wissentlich oder absichtlich begangene Pflichtverletzungen berufen. Damit stünde die Beklagte ersichtlich schlechter da. Was den Vorwurf eines treuwidrigen Ausschlusses des Klagezulassungsverfahrens gemäß § 148 AktG anbelangt, ist dieser bereits deshalb ohne Grundlage, weil das Klagezulassungsverfahren (ebenso wie das Sonderprüfungsverfahren) keinem Selbstzweck dient, sondern der Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen. Wurde über Organhaftungsansprüche ein Vergleich geschlossen und hat die Hauptversammlung dem – wie hier – zugestimmt, ist eine Klagezulassungsverfahren überflüssig, woraus sich keine Treuwidrigkeit ergibt.Randnummer228

(gg) Auch daraus, dass die angeordnete Sonderprüfung infolge der Zustimmung der Hauptversammlung zu den Vergleichsvereinbarungen überflüssig wird, ergibt sich keine Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse. Unabhängig davon, dass – wie mehrfach dargelegt – nur ein individueller Rechtsmissbrauch eines Aktionärs der Beklagten zur Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse führen könnte, stellt die Sonderprüfung keinen Selbstzweck dar, weshalb es nicht treuwidrig ist, wenn die Beklagte eine Einigung über Organhaftungsansprüche auf andere Weise erzielt, sodass ein laufendes Sonderprüfungsverfahren nicht mehr fortgeführt werden muss.Randnummer229

(hh) Eine persönliche Begünstigung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats durch den im Deckungsvergleich enthaltenen Verzicht legen die Kläger bereits nicht mit Substanz dar. Eine Begünstigung würde voraussetzen, dass Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Dieselskandal eine Haftung wegen zumindest fahrlässiger Pflichtverletzung träfe, wozu die Kläger indes keinen detaillierten Sachvortrag halten. Welchem (ehemaligen oder amtierenden) Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Beklagten auf der Grundlage welcher Tatsachen welche konkrete Pflichtverletzung zur Last zu legen sei, tragen die Kläger nicht vor. Dem Sachvortrag der Beklagten, wonach Vorstand und Aufsichtsrat die gesetzliche Kompetenzverteilung streng eingehalten hätten, indem ausschließlich der Aufsichtsrat die Verantwortlichkeit amtierender und ehemaliger Vorstandsmitglieder und der Vorstand die Verantwortlichkeit amtierender und ehemaliger Mitglieder des Aufsichtsrats jeweils der Beklagten, im Zusammenhang mit der Dieselthematik geprüft hätten, sind die Kläger nicht entgegengetreten. Entsprechendes gilt in Bezug auf den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Beklagten, Herrn …, der als ehemaliges Vorstandsmitglied nicht an den Prüfungen der Verantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern durch den Aufsichtsrat teilgenommen hat. Gegenteiliges legen die Kläger jedenfalls nicht mit Substanz dar und stellen ihr Vorbringen auch nicht unter Beweis. Zudem verkennen die Kläger auch hier, dass die von Ihnen behauptete wechselseitige Selbstenthaftung, die ohnedies bereits durch die Zustimmung der Hauptversammlung gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ausgeschlossen wird (Koch Aktiengesetz 16. Aufl., § 93 Rn. 158), keinen individuellen Rechtsmissbrauch von Aktionären darstellt. Soweit eine treuwidrige bzw. rechtsmissbräuchliche Ausübung von Stimmrechten denkbar wäre, soweit ehemaligen oder amtierenden Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder, die von den Verzichtsregelungen in den Vergleichsvereinbarungen betroffen sind, zugleich Aktionäre der Beklagten waren, hat dieses die Hinterlegung des sich daraus gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG ergebenden Stimmrechtsverbots im Auszählungssystem der Hauptversammlung, verhindert (vgl. Anlage B4).Randnummer230

(ii) Das behauptete „kollusive“ Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat sowie mit der …  im Rahmen der Untersuchung des Dieselskandals legen die Kläger nur ohne Substanz dar und verkennen wiederum, dass es für das Vorliegen eines individuellen Rechtsmissbrauchs maßgeblich auf ein treuwidriges Abstimmungsverhalten der …  ankäme. Dass Herr … Aufsichtsratsvorsitzender der Beklagten und zugleich Vorstandsvorsitzender der …  ist, deutet für sich genommen nicht auf eine Einflussnahme auf Untersuchungshandlungen hin, die die Kläger auch nicht darlegen. Soweit sie darauf abheben, das Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden sei Ansprechpartner von … gewesen, die die Untersuchung durchgeführt hätten, hat die Beklagte im Einzelnen dargelegt, mit welchen Maßnahmen eine Einflussnahme durch Herrn … verhindert worden sei, der nicht Mitglied des vom Aufsichtsrats speziell für die Aufklärung eingesetzten Sonderausschusses Dieselmotoren gewesen sei. Gegenteiliges ist von den Klägern weder dargelegt noch unter Beweis gestellt. Entsprechendes gilt in Bezug auf Herrn …, der als Chefjustiziar der Beklagten Ansprechpartner für … war, nach dem – unwiderlegten – Vorbringen der Beklagten aber seine Tätigkeit als Mitglied des Vorstands der …  hiervon strikt getrennt habe.Randnummer231

(jj) Die Behauptung einer Treuepflichtverletzung wegen einer unzureichenden Informationsgrundlage bei der Abstimmung verkennt, dass eine (wie hier tatsächlich nicht) unzureichende Unterrichtung der Aktionäre über den Beschlussgegenstand keinen individuellen Rechtsmissbrauch von Aktionären zu begründen vermag.Randnummer232

(b) Die Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse zu den Vergleichen ergibt sich nicht gemäß § 243 Abs. 2 AktG aus Sondervorteilen der … , der … oder der …. Gemäß § 243 Abs. 2 AktG kann die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen darauf gestützt werden, dass ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen versucht und der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zu dienen. Die Regelung ist eine speziell normierte Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Treuepflicht gemäß § 243 Abs. 1 AktG (OLG …, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 7 U 1584/10, juris Rn. 91), weshalb die Anfechtung von Zustimmungsbeschlüssen gemäß § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG nach § 243 Abs. 2 AktG ebenso ausscheidet, wie eine Anfechtung wegen individuellen Rechtsmissbrauchs nach § 243 Abs. 1 AktG. Ferner ist eine Anfechtung auch gemäß § 243 Abs. 2 AktG aufgrund der fehlenden Relevanz ausgeschlossen, weil – wie bereits dargelegt – nahezu die gesamten Streubesitzaktionäre den Vergleichen zugestimmt haben.Randnummer233

Darüber hinaus fehlt dem Vorbringen der Kläger zu Sondervorteilen der … , der … und der … die erforderliche Substanz. Soweit sich die Kläger für behauptete Schadensersatzansprüche nach §§ 117, 317 AktG auf (nicht näher dargestellten) Sachvortrag in einem vor dem Oberlandesgericht … geführten KapMuG-Verfahren beziehen, aus dem sich ergebe, dass die … SE „den Grundstein für den Dieselskandal“ gesetzt habe, fehlt ihrem Vorbringen – wie bereits dargelegt – die erforderliche Substanz. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, dass sich aus dem Vorbringen der Kläger nicht erschließt und auch nicht ersichtlich ist, weshalb die Zustimmungsbeschlüsse zu den Vergleichen einen Sondervorteil der …  begründen sollen, wenngleich von den Vergleichen Ansprüche nach §§ 117, 317 AktG nicht erfasst sind. Sondervorteile der …  durch den im Deckungsvergleich und in den Haftungsvergleichen enthaltenen Verzicht legen die Kläger nicht nachvollziehbar dar. Die Beklagte weist zurecht darauf hin, dass die …  selbst von dem im Deckungsvergleich enthaltenen Verzicht gegenüber allen (ehemaligen und amtierenden) Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern – mit Ausnahme von Herrn … und Herrn … – nicht erfasst ist, weshalb die Ausübung des Stimmrechts durch die … keinen Sondervorteil für sie zu bewirken vermag. Soweit die Kläger auf Mitglieder der Familien … und … abstellen, fehlt es an der Darlegung jeglicher Voraussetzung für einen Sondervorteil. Welches Mitglied der vorgenannten Familien begünstigt sein soll, weil tatsächlich eine Haftung im Kontext mit dem Dieselskandal in Betracht käme, legen die Kläger ebenso wenig dar wie einen sich daraus ergebenden Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre. Ferner fehlen Anhaltspunkte für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands nach § 243 Abs. 2 AktG. Soweit die Kläger darauf abstellen, dass mit der Zustimmung zu den Haftungsvergleichen, die einen Verzicht gegenüber Herrn … und Herrn … enthalten, durch die … SE angestrebt werde, Herrn … und Herrn … davon abzuhalten, künftig gegen Mitglieder der Familien … und … auszusagen, worin ein Sondervorteil liege, ist ihr Vorbringen ohne greifbare Anhaltspunkte für ein solches Bestreben. Es ist – wie schon gesagt – bereits nicht ersichtlich, welche Personen ein Interesse an einem Stillschweigen von Herrn … und Herrn … haben sollten. Dafür, dass die …  bei ihrer Abstimmung in einem entsprechenden Bewusstsein gehandelt hätte, fehlen außerdem jegliche Anhaltspunkte. Letztlich bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte seitens der …  zu einem Abschluss der „für sie nachteiligen Vergleiche“ veranlasst worden wäre, die sich auch nicht daraus ergeben, dass Herr … im Zeitraum 2009 bis 2015 (auch) Vorstandsvorsitzender der …  war.Randnummer234

In Bezug auf die … und die … fehlt bereits jeder Sachvortrag der Kläger, woraus sich ein Sondervorteil ergeben soll.Randnummer235

gg) Die Zustimmungsbeschlüsse sind nicht gemäß § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG nichtig, weil sie weder mit dem Wesen der Aktiengesellschaft unvereinbar noch Sittenwidrig sind.Randnummer236

(1) Entgegen der Auffassung der Kläger sind die Zustimmungsbeschlüsse zu den Vergleichsvereinbarungen nicht deshalb mit dem Wesen der Aktiengesellschaft unvereinbar und damit nichtig, weil bestimmte Aktionärsgruppen bevorzugt werden. Unabhängig davon, dass die Bevorzugung bestimmter Aktionärsgruppen von den Klägern nicht dargelegt ist, führt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 53 a AktG nicht zur Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 3 AktG, sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit (Schäfer in Münchener Kommentar Aktiengesetz, 5. Aufl., § 243, Rn. 68). Die Nichtigkeit der Zustimmungsbeschlüsse nach § 241 Nr. 3 AktG ergibt sich auch – anders als die Kläger meinen – nicht aus der Nichtigkeit eines Vertrages, durch den sich ein Aktionär verpflichtet, für die jeweiligen Vorschläge des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu stimmen, § 136 Abs. 2 Satz 2 AktG in Verbindung mit § 134 BGB. Eine solche Verpflichtung im Deckungsvergleich legen die Kläger nicht dar und diese ist auch nicht ersichtlich.Randnummer237

(2) Die Zustimmungsbeschlüsse sind nicht gemäß § 241 Nr. 4 AktG Sittenwidrig. Soweit sich die Kläger darauf berufen, es verstoße gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, in Anbetracht der Dimension des Dieselskandals unter nicht ausreichend aufgearbeitete Vorgänge einen Schlussstrich ziehen zu wollen, wiederholen sie lediglich die Definition der Rechtsprechung für Sittenwidrigkeit (vgl. Grüneberg-Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 138, Rn. 2), ohne ihre Auffassung näher zu begründen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Umfang eines verursachten Schadens und der Grad der Sachaufklärung maßgeblich für das Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden sind. Im Gegenteil kann es gerade bei einem umfangreichen Schaden und einem komplexen, nicht vollständig aufgeklärten Sachverhalt sinnvoll sein, einen Schlussstrich zu ziehen, indem Vergleiche geschlossen werden, die unter den in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG genannten Voraussetzungen, die hier vorliegen, zulässig sind. Soweit die Kläger für die behauptete Sittenwidrigkeit weiter anführen, dass sich die Beklagte im Vergleich zum Schaden mit einer minimalen Zahlung zufriedengebe und die Verantwortlichen des Dieselskandals den „Schlussstrich“ initiiert hätten, sind ihre Behauptungen bereits ohne jede Grundlage. Die Kammer hat bereits oben dargelegt, dass die Beklagte mit den Vergleichsvereinbarungen in Ansehung der schwierigen Ausgangslage ein durchaus respektables Ergebnis erzielt hat, woraus zugleich deutlich wird, dass sie sich gerade nicht mit „minimalen Zahlungen“ zufriedengegeben hat. Anhaltspunkte dafür, dass diejenigen die an den Vergleichsvereinbarungen beteiligt sind – mit Ausnahme von Herrn … und Herrn … – für den Dieselskandal verantwortlich waren, legen die Kläger nicht dar und sind auch nicht ersichtlich. Letztlich zeigt der hohe Grad der Zustimmung der Aktionäre zu den Vergleichsvereinbarungen, dass die Aktionäre der Beklagten den abgeschlossenen Deckungsvergleich und die Haftungsvergleiche, als billig und gerecht ansehen.Randnummer238

2. Die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4 der Hauptversammlung 2021, mit denen den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat Entlastung für das Geschäftsjahr 2020 erteilt wurde, sind weder anfechtbar noch nichtig.Randnummer239

a) Die Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse ergibt sich – entgegen der Auffassung der Kläger – weder aus den von den Klägern für die Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse herangezogenen Rechtsverletzungen noch aus einer Untätigkeit der entlasteten Organmitglieder bei der Aufklärung des Dieselskandals.Randnummer240

(1) Mit dem Entlastungsbeschluss erklärt die Hauptversammlung, sie billige die Verwaltung im abgelaufenen Geschäftsjahr als im Großen und Ganzen gesetz- und satzungsgemäß. Die Entlastungsentscheidung steht im freien Ermessen der Hauptversammlung (Koch, Aktiengesetz, 16. Aufl., § 120, Rn. 2, 11 f.) und unterliegt allein im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltung einer Kontrolle durch das Gericht (OLG Stuttgart, Urteil vom 29. Februar 2012 – 20 U 3/11, juris Rn. 147), die darauf gerichtet ist, ob die Hauptversammlung ihr breites Entlastungsermessen in einer Weise überschritten hat, dass sich die Entlastung als Treuepflichtverletzung der Hauptversammlungsmehrheit gegenüber der gegen die Entlastung stimmenden Hauptversammlungsminderheit darstellt (OLG Stuttgart, aaO). Eine die Anfechtbarkeit begründet treuepflichtwidrige Ermessensüberschreitung durch die Hauptversammlungsmehrheit ist nur gegeben, wenn die Hauptversammlung die Entlastung beschließt, obwohl ein eindeutiger und schwerwiegender Pflichtverstoß der zu entlastenden Organmitglieder festgestellt ist (BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01 –, BGHZ 153, 47, juris Rn. 15).Randnummer241

(2) Eine schwere und eindeutige Pflichtverletzung der entlasteten Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder legen die Kläger bereits nicht dar. Soweit sie auf die zur Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse herangezogenen Rechtsverletzungen rekurrieren, sind diese – wie den vorstehenden Darlegungen zu entnehmen ist – bereits nicht geeignet die Anfechtbarkeit der Zustimmungsbeschlüsse zu begründen, weshalb sich daraus erst Recht keine „schweren und eindeutigen Gesetzesverstöße“ des Vorstands und des Aufsichtsrats entnehmen lassen, aus denen sich die Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse ergäbe. Es kommt hinzu, dass die Kläger keinerlei Sachvortrag dazu halten, woraus sich ergeben soll, dass der Hauptversammlung die von den Klägern (nur ohne Substanz) behaupteten „offenkundigen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen“ von Mitgliedern der Verwaltung der Beklagten, bekannt gewesen wären. Letztlich ist von den Klägern auch nicht dargetan oder ersichtlich, dass die von Ihnen herangezogenen Verletzungen von Pflichten der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der Beklagten in den Entlastungszeitraum fielen. Nachdem das Geschäftsjahr der Beklagten dem Kalenderjahr entspricht (vgl. § 26 Abs. 1 der Satzung der Beklagten), können nur Pflichtverletzungen aus dem Jahr 2020 herangezogen werden. Dass die Bekanntmachungs- und Informationspflichten in diesem Zeitraum fielen, ist bereits von vornherein ausgeschlossen, weil diese erst im Vorfeld der am 22. Juli 2021 durchgeführten ordentlichen Hauptversammlung bestanden haben. Soweit die Kläger eine schwerwiegende Pflichtverletzung in der behaupteten Untätigkeit bei der Aufklärung des Dieselskandals sehen, fehlt – unabhängig davon, dass die Beklagte sehr umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen ergriffen hat (s. o.) – jeder Anhaltspunkt für die Annahme, die Hauptversammlung habe bei ihrer Entscheidung über die Entlastung die Art und Weise der von der Beklagten betriebenen Aufklärung als pflichtwidrig angesehen.Randnummer242

b) Die Entlastungsbeschlüsse sind auch nicht nichtig. Entgegen der Auffassung der Kläger verstoßen Entlastungsbeschlüsse nicht gegen das Wesen einer Aktiengesellschaft (§ 241 Nr. 3 AktG), sondern sind gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG jährlich in den ersten 8 Monaten des Geschäftsjahres vorgesehen. Gründe die für eine Sittenwidrigkeit der Entlastungsbeschlüsse gemäß § 241 Nr. 4 AktG sprächen, sind von den Klägern nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO. Über die vorläufige Vollstreckbarkeit wurde gemäß §§ 709, 108 ZPO entschieden.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I Gesellschafterversammlung I M&A I Unternehmenskauf I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Anfechtbarkeit von Beschlüssen nach § 241 Nr. 5 AktG analog, Anfechtungsgründe, Anfechtungsklage, Anfechtungsklage im Sinne der §§ 243 ff AktG, Auskunfts-/Einsichts-/Informations-/Kontrollrechte, Hauptversammlung, Hauptversammlungsbeschluss, Informationsanspruch nach § 51 a GmbHG, Informationserzwingungsverfahren, Informationspflicht, Informationspflichten, Informationsrechte des ausscheidenden Gesellschafters, Informationsrechte des Gesellschafters, Informationsrechte des Nebenintervenienten Prüfpflicht des Gerichts, Nichtigkeits- und Anfechtungsklage, Verletzung von Informationsrechten nach § 51 a GmbHG

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LG Hannover, Urteil vom 11. Oktober 2022 – 32 O 119/22

Dienstag, 11. Oktober 2022

Abberufung sittenwidrig

§ 138 BGB, § 35 Abs 1 S 1 GmbHG, § 38 GmbHG, § 241 Nr 4 AktG

1. Da die Führungslosigkeit der Gesellschaft nicht nur dem Gesetz (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) widerspricht, sondern auch die Gläubiger der Gesellschaft benachteiligt, ist es überlegenswert, einen Beschluss über die Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung des Geschäftsführers
, der mit einer möglicherweise längerdauernden Führungslosigkeit der GmbH einhergeht, als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen.

2. Im vorliegenden Fall stellt sich der Abberufungsbeschluss nicht als sittenwidrig dar, weil das Verhalten des Vereins nicht darauf abzielte, die GmbH führungslos zu machen. Die zu erwartende Führungslosigkeit war vielmehr eine sich aus den besonderen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags ergebende, aus Vereinssicht als „notwendiges Übel“ einzustufende Folge. Ein Abberufungsbeschluss kann insbesondere dann, wenn die Gesellschafterversammlung davon überzeugt ist, es liege ein wichtiger Grund vor, selbst bei voraussehbareren Schwierigkeiten bei der Bestellung eines Nachfolgers nicht als sittenwidrig eingestuft werden.

3. Eine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung ist unwirksam, wenn der Beschluss nicht gleichzeitig in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wird.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der von der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 25.07.2022 gefasste Gesellschafterbeschluss, wonach der Geschäftsführer …, …, wohnhaft in …, mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer der … abberufen worden ist, nichtig ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist bezogen auf die Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 25. Juli 2022 über seine Abberufung als Geschäftsführer nichtig ist.Randnummer2

Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
. Ihr alleiniger Gesellschafter ist der Verein (nachfolgend kurz: Verein). Der Kläger, gehörte früher (bis zum Jahr 2019) dem Vorstand des Vereins an.Randnummer3

Gemäß § 6 des – nachfolgend auch als Satzung bezeichneten – Gesellschaftsvertrags der Beklagten (Anlage K 14) hat die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer. Derzeit ist im Handelsregister als (alleiniger) Geschäftsführer der Beklagten der Kläger eingetragen. Der Kläger erhält für seine Tätigkeit keine Vergütung.Randnummer4

Die Beklagte ist die persönlich haftende Gesellschafterin der (nachfolgend kurz: KGaA). Die KGaA wiederum unterhält die am … teilnehmende …. Kommanditaktionärin der KGaA ist die (nachfolgend kurz: X & X KG). Mehrheitskommanditistin der X & X KG ist die …. Ausweislich des Handelsregisters (AG … HRB …) – und damit gerichtsbekannt – ist der Kläger der alleinige in der Gesellschafterliste eingetragene Gesellschafter der ….Randnummer5

Zu den Organen der Beklagten gehört ein Aufsichtsrat. In § 7 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten ist festgelegt, dass Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer dem Aufsichtsrat obliegen. Dem Aufsichtsrat gehören nach der Satzung vier Personen an. Zwei von ihnen werden vom Verein entsandt; die beiden weiteren Mitglieder des Aufsichtsrats der Beklagten bestimmt der Aufsichtsrat der KGaA (§ 8 der Satzung).Randnummer6

Am 23. September 2014 schlossen der Verein, die KGaA und die X & X KG einen Vertrag zur Regelung der Grundlagen der weiteren Zusammenarbeit und Kooperation (nachfolgend auch „Grundlagenvertrag“; Anlage B 3).Randnummer7

Im Jahr 2019 – zu einem Zeitpunkt, als der Kläger nicht mehr dem Vorstand des Vereins angehörte – schlossen der Verein, die KGaA und die X & X KG einen als „…-Vertrag“ bezeichneten Vertrag (Anlage K 12). Durch den …-Vertrag verpflichtete sich der Verein, die Satzung der Beklagten nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der X & X KG zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen. Es ist ausdrücklich angegeben, dass dies insbesondere für die „Funktion“ des Aufsichtsrats, den oder die Geschäftsführer zu bestellen, gelte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Ziffer 3 des …-Vertrags Bezug genommen.Randnummer8

Zudem trafen der Verein und die X & X KG am 23. August 2019 eine Fördervereinbarung (Anlage K 13). Sie enthält unter anderem die Zusage der X & X KG, zur Unterstützung des … jährlich € 300.000,00 zu spenden.Randnummer9

Am 1. Juni 2021 beschloss der Verein als alleiniger Gesellschafter der Beklagten, dem Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Beklagten Weisungen zu erteilen. Unter anderem beschloss der Verein, dass der Abschluss, die Änderung oder Beendigung von Anstellungsverträgen mit Arbeitnehmern der Beklagten oder der KGaA der Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung der Beklagten bedürfe, wenn das jährliche Grundgehalt 100.000 Euro übersteigt.Randnummer10

Wenige Tage später, am 7. Juni 2021, wies der Verein den Kläger als Geschäftsführer der Beklagten durch Beschluss der Gesellschafterversammlung an, ihm umgehend einen umfassenden Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse der KGaA zu geben und die Finanzunterlagen zu erläutern.Randnummer11

Zu einem nicht näher angegebenen Zeitpunkt lud der Kläger den Verein als alleinigen Gesellschafter der Beklagten zur Durchführung einer Gesellschafterversammlung. Den Zeitpunkt der Versammlung legte er dabei auf den 27. Juli 2022.Randnummer12

Am 25. Juli 2022 suchten Mitglieder des Vorstands des Vereins einen Notar auf. Der durch die Vorstandsmitglieder vertretene Verein hielt unter Verzicht auf Einhaltung der Form- und Fristvorschriften eine notariell protokollierte (Anlage K 16) außerordentliche Gesellschafterversammlung ab. Als alleiniger Gesellschafter der Beklagten fasste der Verein den Beschluss, den Kläger „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer der [Beklagten] ab[zu]berufen“.Randnummer13

Zwei Tage später, am 27. Juli 2022, fand dann die zuvor vom Kläger einberufene (weitere) Gesellschafterversammlung der Beklagten statt. Zu Beginn jener Versammlung wusste der Kläger noch nicht, dass der Verein bereits zwei Tage zuvor eine außerordentliche Gesellschafterversammlung abgehalten und einen Abberufungsbeschluss gefasst hatte. Der (vom Verein in den Aufsichtsrat der Beklagten entsandte) Aufsichtsratsvorsitzende … fragte den Kläger zunächst, ob er das Amt als Geschäftsführer mit Wirkung zum 31.12.2022 niederlege. Als der Kläger jenem Vorschlag nicht zustimmte, übergab Rechtsanwalt … als Bevollmächtigter des Vereins dem Kläger das den Abberufungsbeschluss enthaltende Protokoll der Versammlung vom 25. Juli 2022.Randnummer14

Der Kläger meint unter Hinweis auf § 7 des Gesellschaftsvertrags, der Abberufungsbeschluss vom 25.07.2022 sei nichtig, da allein der Aufsichtsrat die Bestellung und die Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung des Geschäftsführers
vornehmen könne, nicht aber die Gesellschafterversammlung. Zudem verstoße der Verein gegen den …-Vertrag.Randnummer15

Der Beschluss vom 25.07.2022 sei schon deshalb kein zulässiger satzungsdurchbrechender BeschlussBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschluss
satzungsdurchbrechender Beschluss
im Sinne der Rechtsprechung, weil er nicht lediglich punktuell (einmalig für den Einzelfall), sondern strukturell in die Gesellschaft eingreife. Der Beschluss sei zustandsbegründend, denn im Aufsichtsrat herrsche eine Pattsituation. Die Bestellung eines neuen Geschäftsführers durch Organe der Gesellschaft bedürfe, da der Aufsichtsrat uneinig sei, einer weiteren Satzungsdurchbrechung seitens des Vereins. Die Wirksamkeit eines zustandsbegründenden Beschlusses setze die Einhaltung der für eine Satzungsänderung erforderlichen Formvorschriften voraus, was vorliegend nicht gegeben sei.Randnummer16

Zudem sei es dem Verein wegen des …-Vertrags untersagt, die Satzung ohne Zustimmung der X & X KG zu ändern oder einzelne satzungsdurchbrechende Beschlüsse zu fassen.Randnummer17

Entgegen der Ansicht der Beklagten habe die Gesellschafterversammlung auch keine Abberufungs-Sonderkompetenz im Fall des Vorliegens eines wichtigen Grundes. Davon, dass die Gesellschafter im Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrags eine solche Sonderkompetenz gewollt hätten, dürfe nicht ausgegangen werden. Die Kompetenzordnung im Gesellschaftsvertrag und die gleichgewichtige Zusammensetzung des Aufsichtsrats sprächen dagegen. Im Übrigen habe gar kein wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers vorgelegen.Randnummer18

Der Kläger beantragt,Randnummer19

festzustellen, dass der von der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 25.07.2022 gefasste Gesellschafterbeschluss, wonach der Geschäftsführer …, geb. …, wohnhaft in …, mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer der … abberufen worden ist, nichtig ist.Randnummer20

Die Beklagte beantragt,Randnummer21

die Klage abzuweisen.Randnummer22

Sie meint, ein Feststellungsinteresse des Klägers im Sinne von § 256 ZPO liege nicht vor. Dem Kläger gehe es ausschließlich um die Frage eines Verstoßes des Vereins gegen den …-Vertrag. Da weder der Kläger noch die beklagte GmbH zu den Parteien jenes Vertrags gehörten, könne er einen solchen Verstoß nicht im vorliegenden Rechtsstreit klären lassen.Randnummer23

Der angegriffene Beschluss sei keinesfalls nichtig, sondern allenfalls anfechtbar. Ein Anfechtungsrecht stehe dem Kläger jedoch schon deshalb nicht zu, weil er – unstreitig – kein Gesellschafter der Beklagten ist.Randnummer24

Im Übrigen sei der Abberufungsbeschluss rechtmäßig ergangen, obgleich er nicht vom Aufsichtsrat, sondern von der Gesellschafterversammlung gefasst wurde.Randnummer25

Die Beklagte macht geltend, es habe ein wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers vorgelegen. In einem solchen Fall stehe der Gesellschafterversammlung, hier also dem Verein, eine Abberufungskompetenz unabhängig von der im Gesellschaftsvertrag festgelegten Kompetenzverteilung zu. Ein wichtiger Grund liege zum einen deshalb vor, weil der Kläger als Geschäftsführer „beharrlich“ gegen Weisungen des alleinigen Gesellschafters (des Vereins) verstoßen habe. Wegen der Einzelheiten zum diesbezüglichen Vortrag der Beklagten wird auf ihre Ausführungen in der Klageerwiderung unter Ziffer 5 (Seite 13-24; Bl. 63 f. d.A.) verwiesen.Randnummer26

Zudem wirft die Beklagte dem Kläger vor, als Geschäftsführer der Vermögensbetreuungspflichten verletzt und dadurch dem Verein – der einer von zwei Mitgesellschaftern jener GmbH ist – Schaden zugefügt zu haben. Ferner habe der Kläger als mittelbarer Geschäftsführer der X & X KG, der KGaA und der GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
(nachfolgend kurz: … KG) vielfach gegen den im September 2014 zwischen dem Verein, der KGaA und der X & X KG geschlossenen Grundlagenvertrag verstoßen. Er habe den Verein durch Ausstellen von Rechnungen der X & X KG und der … KG, die vertragswidrig seien, finanziell unter Druck gesetzt. Auch habe der Verein im …-Vertrag vereinbarte Förderbeträge wiederholt nicht fristgerecht oder gar nicht erhalten.Randnummer27

Unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes sei der Abberufungsbeschluss vom 25. Juli 2022 aber auch deshalb wirksam, weil es sich bei der Beschlussfassung vom 25. Juli 2022 um einen einmaligen Vorgang gehandelt habe. Es liege ein lediglich punktuell satzungsdurchbrechender BeschlussBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschluss
satzungsdurchbrechender Beschluss
vor. Ein solcher sei wirksam.Randnummer28

Die Satzungsdurchbrechung sei nicht als zustandsbegründend einzustufen. Der Aufsichtsrat der Beklagten sei weiterhin befugt, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen; bei entsprechender Einigkeit des Aufsichtsrats könne das sogar der Kläger selbst sein. Aus der Uneinigkeit des Aufsichtsrats über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer sei keine Uneinigkeit bei der Bestellung eines neuen Geschäftsführers zu folgern.Randnummer29

Die Beklagte meint, selbst wenn die Satzungsdurchbrechung als zustandsbegründend anzusehen sei, wäre der Beschluss – da notariell beurkundet und weil die Eintragung im Handelsregister immer noch möglich sei – nicht nichtig.Randnummer30

Da der Abberufungsbeschluss zur Wahrung des Unternehmensgegenstands, welche wiederum die Wahrung der 50+1-Regel erfordere, erforderlich gewesen sei, könne die Nichtigkeit des Beschlusses nicht mit der Kompetenzverteilung in § 7 des Gesellschaftsvertrags begründet werden.Randnummer31

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vortrag der Parteien wird auf ihre anwaltlichen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Randnummer32

I. Die Klage ist zulässig und begründet.Randnummer33

1. Die Klage ist zulässig. Macht ein Fremdgeschäftsführer die Nichtigkeit des AbberufungsbeschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Nichtigkeit
Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses
geltend, ist die von ihm eingereichte allgemeine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) zulässig (vgl. BGH, 11.02.2008 – II ZR 187/06, juris-Rn. 34; OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2022 – 9 U 72/22 [Anlage K 22] unter II.1).Randnummer34

2. Die Klage ist auch begründet. Der Abberufungsbeschluss vom 25. Juli 2022 ist nichtig.Randnummer35

a) Die Nichtigkeit kann allerdings nicht in entsprechender Anwendung von § 241 Nr. 4 AktG darauf gestützt werden, der Inhalt des Beschlusses der Gesellschafterversammlung verstoße gegen die guten Sitten.Randnummer36

Sehr problematisch erscheint zwar, dass die Gesellschafterversammlung die Abberufung beschloss, ohne davon ausgehen zu können, der Aufsichtsrat werde zügig einen oder mehrere neue Geschäftsführer bestellen. Die Gesellschafterversammlung musste vielmehr davon ausgehen, dass der Aufsichtsrat wegen der Pattsituation – jedenfalls bis zur rechtskräftigen Klärung der Wirksamkeit des Beschlusses und damit wahrscheinlich über einen längeren Zeitraum – weder für die erneute Bestellung des Klägers noch für die Bestellung eines oder mehrerer neuer Geschäftsführer eine Mehrheit finden wird. Die Abberufung ging somit mit der Erwartung einer möglicherweise längerdauernden Führungslosigkeit der beklagten GmbH einher, sofern keine satzungsfremde Geschäftsführerbestellung (wie die Bestellung eines Notgeschäftsführers analog § 29 BGB durch das zuständige Amtsgericht) erfolgen sollte. Da die Führungslosigkeit der Gesellschaft nicht nur der Satzung und dem Gesetz (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) widerspricht, sondern – da eine GmbH ohne Geschäftsführer nicht prozessfähig ist (BGH, 25.10.2010 – II ZR 115/09, juris-Rn. 12) – auch die Gläubiger der Gesellschaft benachteiligt, ist es durchaus überlegenswert, den Abberufungsbeschluss unter den hier gegebenen Umständen als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen. Denn Rechtsgeschäfte, die grundlegende Prinzipien der Rechtsordnung verletzen, sind gem. § 138 BGB nichtig (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 138 Rn. 3). Zu den grundlegenden Prinzipien im Gesellschaftsrecht gehört, dass eine Gesellschaft einen gesetzlichen Vertreter hat.Randnummer37

Gleichwohl stuft die Kammer den Abberufungsbeschluss nicht als sittenwidrig ein, denn das Verhalten des Vereins zielte nicht darauf ab, die Beklagte führungslos zu machen. Die zu erwartende Führungslosigkeit war vielmehr eine sich aus den besonderen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags ergebende, aus Vereinssicht als „notwendiges Übel“ einzustufende Folge. Nach § 38 GmbHG ist die Bestellung eines Geschäftsführers jedenfalls dann jederzeit – auch ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt – „widerruflich“, wenn der Gesellschaftsvertrag (wie hier) keine Einschränkung enthält. Deshalb kann ein Abberufungsbeschluss insbesondere dann, wenn die Gesellschafterversammlung davon überzeugt ist, es liege ein wichtiger Grund vor, selbst bei voraussehbareren Schwierigkeiten bei der Bestellung eines Nachfolgers nicht als sittenwidrig eingestuft werden.Randnummer38

b) Der Abberufungsbeschluss der Gesellschafterversammlung ist jedoch wegen Verstoßes gegen die im Gesellschaftsvertrag geregelte Kompetenzverteilung nichtig, und zwar sowohl bei Einbeziehung des …-Vertrags als auch bei dessen Außerachtlassung.Randnummer39

(1) Der Abberufungsbeschluss steht im klaren Widerspruch zu den Bestimmungen unter Ziffer 3 des …-Vertrags. Der Verein als Alleingesellschafter hat sich gegenüber der KGaA und der X & X KG verpflichtet, die Satzung nicht ohne Zustimmung der X & X KG zu ändern. Die organschaftliche Kompetenz des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung zu bestimmen, ist dabei besonders betont. Bei verständiger Auslegung der Bestimmungen in Ziffer 3 des …-Vertrags gehört zu den vertraglichen Pflichten des Vereins auch die Verpflichtung, nicht durch satzungsdurchbrechende Beschlüsse in die Kompetenz des Aufsichtsrats einzugreifen. Da der Verein Alleingesellschafter ist, muss er die gegenüber der KGaA und der X & X KG eingegangene Bindung im Streit über die Wirksamkeit des Beschlusses unmittelbar gegen sich gelten lassen. Die vertragliche Stimmrechtsbindung führt zur Unwirksamkeit der Stimmabgabe bei der Beschlussfassung jedenfalls dann, wenn der Alleingesellschafter bewusst versucht, die satzungsmäßige Kompetenzordnung ohne Änderung des Gesellschaftsvertrags zu unterlaufen (OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2022 – 9 U 72/22 [Anlage K 22], unter II.2).Randnummer40

(2) Die Nichtigkeit des AbberufungsbeschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Nichtigkeit
Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses
wäre nach Ansicht der Kammer vorliegend aber auch dann zu bejahen, wenn vertragliche Vereinbarungen mit Nichtgesellschaftern, die darauf gerichtet sind, das Recht der Gesellschafterversammlung auf Änderung des Gesellschaftsvertrags zu beschränken, gesellschaftsrechtlich unerheblich wären.Randnummer41

(a) Allerdings ist anerkannt, dass satzungsdurchbrechende Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH – sofern kein Nichtigkeitsgrund analog § 241 AktG vorliegt – regelmäßig dann nicht nichtig (sondern allenfalls anfechtbar) sind, wenn der Verstoß gegen bestimmte Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags eine lediglich punktuelle Satzungsdurchbrechung darstellt (vgl. BGH, 25.11.2002 – II ZR 69/01, juris-Rn. 16).Randnummer42

(b) Es ist aber zweifelhaft, ob die Wirksamkeit lediglich punktueller Satzungsdurchbrechung auch dann zu bejahen ist, wenn der Verstoß die satzungsmäßige Kompetenzordnung betrifft, wenn dem Gesellschaftsvertrag selbst entnommen werden kann, dass die vom gesetzlichen Regelfall abweichende Kompetenzordnung einem Dritten, der nicht zum Kreis der Gesellschafter gehört, ein gleichgewichtiges Mitbestimmungsrecht einräumen soll und wenn in das im Gesellschaftsvertrag verankerte gleichgewichtige Mitbestimmungsrecht des Dritten übergangen wird, ohne dass zugleich die Satzung geändert wird. Ein solcher Fall liegt hier vor, denn aus den Bestimmungen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Verfügungsbeklagten (§ 8 des Gesellschaftsvertrags) – und damit unmittelbar aus der Satzung selbst – folgt, dass die Abberufung eines Geschäftsführers nicht gegen den (durch entsprechende Stimmabgabe erklärten) Widerspruch beider vom Verein entsandten Aufsichtsratsmitglieder, aber auch nicht gegen den Widerspruch beider von der KGaA bestimmten Aufsichtsratsmitglieder möglich sein soll. Unter Berücksichtigung des Gegenstands des Unternehmens (Übernahme der persönlichen Haftung, der Vertretung und der Geschäftsführung der KGaA, die ihrerseits die Unterhaltung einer Profimannschaft zur Teilnahme an den Lizenzligen der Bundesliga und der 2. Bundesliga zum Gegenstand hat) kommt der Kompetenzverlagerung in § 7 des Gesellschaftsvertrags eine gesellschaftsrechtlich zentrale Bedeutung zu.Randnummer43

(c) Ob der Grundsatz der Wirksamkeit satzungsdurchbrechender Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bei lediglich punktueller Satzungsdurchbrechungen in einem Fall wie dem vorliegenden eingeschränkt ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn die Satzungsdurchbrechung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Abberufungsbeschluss ist nicht lediglich punktuell.Randnummer44

Die Wirkung der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten geht in die Satzung berührender Weise über die Maßnahme vom 25. Juli 2022 hinaus. Der Abberufungsbeschluss hat insoweit weitergehende satzungsrelevante Auswirkungen, als er die Bestellung eines neuen Geschäftsführers erforderlich macht. Vorliegend ist eine zügige Bestellung eines neuen Geschäftsführers durch den Aufsichtsrat nicht zu erwarten, weil es im Aufsichtsrat zwei widerstreitende Interessengruppen („Vereinsseite“ und „Kapitalgeberseite“) gibt, die gleich stark sind, so dass eine Pattsituation herrscht. Um die Führungslosigkeit ohne Satzungsänderung zu beenden, wird entweder die Gesellschafterversammlung einen weiteren satzungsdurchbrechenden Beschluss fassen und selbst einen Geschäftsführer bestimmen müssen oder das Amtsgericht muss einen Notgeschäftsführer bestellen. In beiden Varianten würde die Bestellung eines Geschäftsführers nicht durch das satzungsmäßig dafür vorgesehene Organ der Beklagten erfolgen.Randnummer45

Unter solchen Umständen kann die mit der Abberufung einhergehende Satzungsdurchbrechung nicht als „punktuell“ angesehen werden. Vielmehr hätte der Abberufungsbeschluss im Fall seiner Wirksamkeit eine Dauerwirkung; er wäre zustandsbegründend. Eine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung ist jedoch unwirksam, wenn der Beschluss nicht gleichzeitig in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wird (vgl. OLG Köln, 24.08.2018 – 4 Wx 4/18, juris-Rn. 15, 17). Eine Satzungsänderung will der Verein, der den Beschluss ausdrücklich als „satzungsdurchbrechend“ bezeichnet, aber gerade nicht.Randnummer46

(3) Soweit die Beklagte geltend macht, für die Abberufung habe ein wichtiger Grund vorgelegen, ist dies für die Frage der Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses im vorliegenden Rechtsstreit ohne Belang. Deshalb ist es unerheblich, ob tatsächlich ein wichtiger Grund vorliegt.Randnummer47

Die Kammer teilt nicht die Ansicht der Beklagten, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes könne die Gesellschafterversammlung einen Geschäftsführer stets auch dann abberufen, wenn die Abberufungszuständigkeit der Satzung nach ausschließlich einem anderen Organ (hier: Aufsichtsrat) zusteht (so aber z.B. Noack/Servatius/Haas, GmbH, 23. Aufl., § 38 Rn. 29 m.w.N. auch zur Gegenmeinung).Randnummer48

Aus § 38 Abs. 2 GmbHG lässt sich eine solche „Sonderkompetenz“ nicht ableiten. Bedeutsam ist an dieser Stelle, dass die Gesellschafter dann, wenn sie die Abberufungskompetenz im Gesellschaftsvertrag einem anderen Gesellschaftsorgan zuweisen, sich zugleich die Zuständigkeit für die Abberufung aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung aus wichtigem Grund
vorbehalten können. Das ist vorliegend nicht geschehen.Randnummer49

Auch an dieser Stelle ist zu berücksichtigen, dass im Gesellschaftsvertrag festgelegt ist, dass die Kapitalgeberseite bei der Bestellung und Abberufung von GeschäftsführernBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern
gleichgewichtig mitbestimmen kann. Jenem Grundgedanken wäre nicht hinreichend Rechnung getragen, wenn dem alleinigen Gesellschafter eine ungeschriebene Kompetenz für die Abberufung aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung aus wichtigem Grund
zugesprochen würde.Randnummer50

(4) Ob der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe schwerwiegend gegen die Statuten des … e.V., damit zugleich gegen die Satzung der KGaA, gegen den Grundlagenvertrag und gegen den …-Vertrag verstoßen, berechtigt und geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bejahen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Ein wichtiger Grund steht der Nichtigkeit des AbberufungsbeschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Nichtigkeit
Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses
, wie ausgeführt, nicht entgegen.Randnummer51

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Schlagworte: Abberufung, formungültige Satzungsdurchbrechungen mit Dauerwirkung, Führungslosigkeit, Gesellschafterliste Pflichten bei Führungslosigkeit der Gesellschaft, satzungsdurchbrechender Beschluss, Satzungsdurchbrechung

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Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 19.08.2022 – 102 SchH 99/21

Montag, 22. August 2022

§ 1031 ZPO, § 1032 Abs 2 ZPO

1. Für den der Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
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beitretenden Gesellschafter kann eine Schiedsklausel im Gesellschaftsvertrag bzw. eine Schiedsabrede nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn eine dem Gesetz entsprechende formgerechte Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern vorliegt; lediglich in Fallkonstellationen, in denen der Eintretende im Wege der Gesamt- oder Sonderrechtsnachfolge oder durch Ausübung eines rechtsgeschäftlichen Eintrittsrechts die Position eines anderen Gesellschafters übernimmt, bindet eine bestehende, rechtswirksam begründete Schiedsvereinbarung den neuen Gesellschafter, ohne dass es eines gesonderten Beitritts zum Schiedsvertrag in der Form des § 1031 ZPO bedarf.

2. Im Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO ist derjenige darlegungs- und beweispflichtig für das wirksame Zustandekommen einer formgültigen Schiedsvereinbarung, der sich darauf beruft. Verbleibende Zweifel gehen – unabhängig von den jeweiligen Parteirollen – zu Lasten derjenigen Partei, die einen wirksamen Abschluss behauptet.

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass ein schiedsrichterliches Verfahren für eine Klage der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin auf Feststellung der Nichtigkeit folgender Gesellschafterbeschlüsse unzulässig ist:

1. Beschluss zur Änderung der Transportabwicklung der L. GbR (Beschlussantrag gemäß Stimmzettel vom 30. Juni 2020):

Der Änderung der Transportabwicklung der L. GbR wird zugestimmt. Ab der Kampagne 2020 soll der Zuckerrübentransport zur Fabrik nicht mehr auf eigene Rechnung des Mitglieds der GbR erfolgen, sondern direkt durch Auftragsabwicklung zwischen S. und Transportgemeinschaft durchgeführt werden (gewerblicher Rübentransport). Die Vorstandschaft der L. GbR wird beauftragt, die notwendigen Umstellungsmaßnahmen vorzunehmen und diese werden anerkannt.

2. Beschluss zur Änderung des „Gesellschaftsvertrages 2010“ der L. GbR (Beschlussantrag gemäß Stimmzettel vom 11. August 2020):

Der Gesellschaftsvertrag 2010 wird geändert. Es gilt fortan der Gesellschaftsvertrag in der Version 08/2020.

II. Es wird festgestellt, dass ein schiedsrichterliches Verfahren für eine Feststellungsklage der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin mit folgendem Inhalt unzulässig ist:

1. Es wird festgestellt, dass die Geschäftsführung der Antragsgegnerin, also der erste, zweite und dritte Vorstand, nicht berechtigt waren, einen Treuhandvertrag mit dem Treuhänder J. W. hinsichtlich der Kommanditbeteiligung der Antragsgegnerin an der L. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
(Amtsgericht R., HRA …) abzuschließen.

2. Es wird festgestellt, dass die Geschäftsführung der Antragsgegnerin, also der erste, zweite und dritte Vorstand, nicht berechtigt waren, Teile des Geschäftsbetriebs der Antragsgegnerin auf die L. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
auszugliedern und in Vertretung der Antragsgegnerin Verträge mit der L. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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abzuschließen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Beirats der Antragsgegnerin vom 10. September 2020 über eine Einlagepflicht der Gesellschafter der Antragsgegnerin in Höhe von 1,00 € je Tonne Basisrübenmenge unwirksam ist und eine Einlageverpflichtung der Antragsteller nicht besteht.

III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller sind Landwirte und Gesellschafter der Antragsgegnerin, einer in Form einer Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft bürgerlichen Rechts
organisierten landwirtschaftlichen Maschinengemeinschaft mit derzeit ca. 600 Gesellschaftern. Die im Jahr 1983 oder 1989 als „L. GdbR“ gegründete Antragsgegnerin erledigt für ihre Gesellschafter den Transport von Zuckerrüben von der Anbaufläche zu den Zuckerfabriken.Randnummer2

Die Antragsteller halten eine im Gesellschaftsvertrag vom 1. Juni 2004 (in der Fassung gemäß Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 22. Juni 2010) enthaltene Schiedsklausel für unwirksam und begehren die Feststellung der Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens für bestimmte, von ihnen beabsichtigte Streitigkeiten.Randnummer3

Hintergrund der Streitigkeiten sind Umstrukturierungsmaßnahmen des ersten Vorstands der Antragsgegnerin, die die Antragsteller ablehnen, sowie nach Ansicht der Antragsteller unwirksame Beschlussfassungen der Gesellschafterversammlung, die mit Hilfe von „Stimmzetteln“ vom 30. Juni 2020 und 11. August 2020 in einem schriftlichen Umlaufverfahren erfolgt sind.Randnummer4

Der Antragsteller zu 8) ist der Gesellschaft am 28. Februar 1993 beigetreten; nähere Umstände zum Gesellschafterbeitritt der übrigen Antragsteller haben die Parteien nicht vorgetragen. Grundlage des Beitritts des Antragstellers zu 8) ist folgende, von ihm handschriftlich unterzeichnete Erklärung, die er an die Antragsgegnerin übersandt hat:Randnummer5

„Erklärung zur Mitgliedschaft bei der l. GdbRRandnummer6

1. Hiermit erkläre ich den Eintritt in die oben aufgeführte Gesellschaft. Von der Gesellschaft wurden mir folgende Verträge ausgehändigt:Randnummer7

Gesellschaftsvertrag
Schiedsvertrag
Rahmenmietvertrag
Vereinbarung über ein TreuhandkontoRandnummer8

Ich bin über den Inhalt dieser Verträge informiert und erkenne die Vereinbarungen dieser Verträge an.Randnummer9

2. (…)“Randnummer10

Der in Bezug genommene Schiedsvertrag „03/1989“ ist nicht gesondert unterschrieben worden. Der damals gültige Gesellschaftsvertrag ist von den Parteien nicht vorgelegt worden.Randnummer11

Außerdem hat der Antragsteller zu 8) im Jahr 2004 folgende Bestätigung zur Änderung des Gesellschaftsvertrags bei der „L. GdbR“ unterzeichnet und der Antragsgegnerin übersandt:Randnummer12

„BESTÄTIGUNG zur Änderung des Gesellschaftsvertrages bei der „L. GdbR“Randnummer13

1. Ich erkläre die Zustimmung zur Änderung des Gesellschaftsvertrages der oben aufgeführten Gesellschaft.Randnummer14

Von der Gesellschaft wurden mir folgende Verträge ausgehändigt:Randnummer15

Gesellschaftsvertrag
– Rahmenmietvertrag (Anlage 1)
– Schiedsvertrag (Anlage 2)
– Vereinbarung über Treuhandkonto (Anlage 3)
– Lade- und Abfuhrordnung (Anlage 4)Randnummer16

2. Ich bin über den Inhalt dieser Verträge informiert und erkenne die Vereinbarung dieser Verträge an.Randnummer17

3. (…)Randnummer18

4. Die Änderung des Gesellschaftsvertrages der L. GdbR wird zum 01.07.2004 wirksam.“Randnummer19

Beigefügt waren der Gesellschaftsvertrag und der Schiedsvertrag in der Fassung 03/2004, von den Antragstellern vorgelegt als Anlagen AS1 und AS2. Weder der Gesellschaftsvertrag (03/2004) noch der Schiedsvertrag (03/2004) weisen Unterschriften auf.Randnummer20

In § 23 des Gesellschaftsvertrags (03/2004) ist unter der Überschrift „Schiedsgericht“ geregelt:Randnummer21

(1) Zur Entscheidung über alle Streitigkeiten, die sich zwischen der Gesellschaft auf der einen Seite und den Gesellschaftern auf der anderen Seite oder zwischen Gesellschaftern untereinander aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses – auch über die Rechtswirksamkeit des Gesellschaftsvertrages oder einzelne seiner Bestimmungen – ergeben, ist unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges ein Schiedsgericht zu berufen.Randnummer22

(2) Das Schiedsgericht besteht aus zwei von den Parteien zu benennenden Schiedsrichtern (Beisitzern) und einem Obmann (Vorsitzender).Randnummer23

(3) Jede Partei benennt einen Beisitzer. Der Vorsitzende wird auf Antrag der betreibenden Partei vom Vorsitzenden des Zuckerrübenanbauerverbandes benannt. Er muss die Fähigkeit zum Richteramt haben.Randnummer24

(4) Der Schiedsvertrag ist in einer besonderen Urkunde schriftlich niedergelegt (Anlage 2). Der Schiedsvertrag ist Bestandteil des Gesellschaftsvertrages.Randnummer25

Der in § 23 Abs. 4 genannte Schiedsvertrag (03/2004) enthält u.a. folgende Bestimmungen:Randnummer26

„Die in der Anlage aufgeführten Gesellschafter der l. GdbR schließen folgenden Vertrag:Randnummer27

§ 1 – VertragsinhaltRandnummer28

Die Vertragsparteien vereinbaren, dass über alle Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsvertrag – soweit gesetzlich zulässig – unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges ein Schiedsgericht entscheiden soll.Randnummer29

(…)Randnummer30

§ 6 – ZuständigkeitRandnummer31

(1) Zuständig ist das Schiedsgericht für Streitigkeiten, die sich zwischen der Gesellschaft auf der einen Seite und den Gesellschaftern auf der anderen Seite oder zwischen den Gesellschaftern untereinander aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses – auch über die Rechtswirksamkeit des Gesellschaftsvertrages oder einzelne seiner Bestimmungen – ergeben.Randnummer32

(2) Eine Vereinbarung über die Zuständigkeit ergibt sich auch aus dem Gesellschaftsvertrag.Randnummer33

(…)“Randnummer34

Eine Anlage zum Schiedsvertrag (03/2004) mit den Namen der Gesellschafter liegt nicht vor. Die Gesellschafterversammlung hat am 22. Juni 2010 zu dem ursprünglich mit Wirkung zum 1. Juli 2004 geschlossenen Gesellschaftsvertrag (03/2004) einen Beschluss gefasst, ohne dass sich inhaltliche Abweichungen zu § 23 des Gesellschaftsvertrags oder zum Schiedsvertrag ergeben hätten.Randnummer35

Im Jahr 2020 hat der erste Vorstand der Antragsgegnerin eine Umstrukturierung des Rübentransports in die Wege geleitet; er hat die hierfür erforderlichen Gesellschaftsgründungen vorgenommen und die entsprechenden Verträge abgeschlossen. Der operative Geschäftsbetrieb ist in die L. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
ausgegliedert worden, die als Einheitsgesellschaft konzipiert ist, bei der die Geschäftsanteile an der Komplementärin von der Kommanditgesellschaft gehalten werden. Die Kommanditanteile an der GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
hält der erste Vorstand der Antragsgegnerin treuhänderisch für diese. Er ist auch Geschäftsführer der Komplementärin, der L. Verwaltungs GmbH. Sitz der GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
und Sitz der Komplementärin ist der Wohnsitz des ersten Vorstands.Randnummer36

Der Vorstand der Antragsgegnerin versandte mit Schreiben vom 30. Juni 2020 und 11. August 2020 an die Gesellschafter zwei „Stimmzettel“. Auf diese Weise sollte eine Beschlussfassung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschlussfassung
Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
in einem schriftlichen Umlaufverfahren erfolgen. Der Stimmzettel vom 30. Juni 2020 – vorgelegt als Anlage AS 9 – betraf die Änderung der Transportabwicklung der Antragsgegnerin. Zur Abstimmung mit „Ja“ oder „Nein“ wurde gestellt, dass der Zuckerrübentransport zur Fabrik ab der Kampagne 2020 nicht mehr auf eigene Rechnung des Mitgliedes der GbR erfolgen soll, sondern direkt durch Auftragsabwicklung zwischen der Zuckerfabrik und der Transportgemeinschaft (gewerblicher Rübentransport).Randnummer37

Im August 2020 wurde den Gesellschaftern ein Entwurf eines Gesellschaftsvertrags übermittelt (Version 08/2020), der eine Reihe von Änderungen gegenüber dem Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 2004/2010 enthielt. Mit dem Stimmzettel vom 11. August 2020, vorgelegt als Anlage AS10, wurde die Zustimmung zu den vorgeschlagenen Änderungen zur Abstimmung mit „Ja“ oder „Nein“ gestellt.Randnummer38

Mit Schreiben vom 16. November 2020 forderte der Vorstand der Antragsgegnerin die Gesellschafter auf, bis 1. Dezember 2020 zu erklären, ob sie weiterhin Mitglied bei der Antragsgegnerin bleiben und der am 10. September 2020 vom Beirat beschlossenen Einlage in Höhe von 1,00 € je Tonne Basisrübenmenge zustimmen oder ob sie den vertraglichen Änderungen nicht zustimmen und ihre Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung kündigen.Randnummer39

Die Antragsteller halten die mit Stimmzetteln vom 30. Juni 2020 und 11. August 2020 gefassten Gesellschafterbeschlüsse für nichtig. Sie meinen, es fehle schon an formwirksamen Beschlussfassungen, zudem seien die Gesellschafter nur unzureichend und missverständlich über die Umstrukturierungsmaßnahmen informiert worden. Darüber hinaus lägen materielle Beschlussmängel vor. Auch sei die Antragsgegnerin nicht befugt, von ihnen eine zusätzliche Einlage zu fordern. Der zugrundeliegende Beschluss sei ebenfalls nichtig, ebenso wenig könne von den Gesellschaftern, die nicht zur Zahlung bereit seien, verlangt werden, dass sie aus der Gesellschaft ausscheiden.Randnummer40

Da die Antragsgegnerin vorgerichtlich nicht bereit gewesen sei, die Nichtigkeit der Beschlüsse und den mangelnden Anspruch auf Einlagenzahlung anzuerkennen, sondern einen weiteren Stimmzettel zur Genehmigung einer Investition für das Jahr 2021 übersandt habe, sei gegen sie ein Klageverfahren zur Wahrung der Mitgliedschaftsrechte notwendig. Ziel der Klage sei zum einen die Feststellung der Nichtigkeit der Gesellschafterbeschlüsse vom 30. Juni 2020 und 11. August 2020, zum anderen die Feststellung der mangelnden Berechtigung des Vorstands zu ergriffenen Umstrukturierungsmaßnahmen. Außerdem sei beabsichtigt, die Nichtigkeit des Beschlusses des Beirats vom 10. September 2020 und die Unzulässigkeit der Einforderung einer weiteren Einlage gerichtlich gegenüber der Antragsgegnerin feststellen zu lassen.Randnummer41

Im Hinblick auf die im Gesellschaftsvertrag 2004/2010 in § 23 enthaltene Schiedsklausel begehren die Antragsteller die Feststellung, dass für die beabsichtigten Klageanträge ein schiedsrichterliches Verfahren unzulässig sei. Die Antragsgegnerin sei für die beabsichtigte Klage passivlegitimiert. Dies folge aus dem Gesellschaftsvertrag, der dahingehend auszulegen sei, dass Beschlussmängelklagen auch gegen die Gesellschaft gerichtet werden könnten. Auch wenn die Schiedsklausel, durch die der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen werde, unwirksam sei, werde die Passivlegitimation hiervon nicht berührt. In der Sache stehe die Schiedsklausel nicht in Einklang mit den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an Schiedsvereinbarungen. Beschlussmängelstreitigkeiten, um die es im Antrag zu I gehe, seien bei Personengesellschaften nur unter bestimmten Voraussetzungen schiedsfähig, die hier nicht gegeben seien. So müssten alle Gesellschafter über die Einleitung und den Verlauf des Schiedsverfahrens informiert und dadurch in die Lage versetzt werden, dem Verfahren zumindest als Nebenintervenient beizutreten. Auch sei als Kompensation des „Verlustes“ des staatlichen Richters eine Mitwirkung aller Gesellschafter an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter notwendig. Die Schiedsklausel im Gesellschaftsvertrag 2004/2010 werde diesen Anforderungen nicht gerecht und sei deshalb nach § 138 BGB unwirksam.Randnummer42

Die Nichtigkeit der Schiedsklausel, soweit es um Beschlussmängelstreitigkeiten gehe, führe gemäß § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit der Klausel, so dass auch für die im Antrag zu II genannten Streitgegenstände ein schiedsrichterliches Verfahren nicht zulässig sei. Andernfalls käme es zu einer von den Parteien nicht gewollten Aufsplitterung des Rechtswegs.Randnummer43

Die Antragsteller beantragen,Randnummer44

I. Es wird gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO festgestellt, dass ein schiedsrichterliches Verfahren für die Klage der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin auf Feststellung der Nichtigkeit folgender Gesellschafterbeschlüsse unzulässig ist:Randnummer45

1. Beschlussantrag gemäß Stimmzettel vom 30. Juni 2020 („Beschluss zur Änderung der Transportabwicklung der L. GbR“):Randnummer46

Der Änderung der Transportabwicklung der L. GbR wird zugestimmt. Ab der Kampagne 2020 soll der Zuckerrübentransport zur Fabrik nicht mehr auf eigene Rechnung des Mitglieds der GbR erfolgen, sondern direkt durch Auftragsabwicklung zwischen S. und Transportgemeinschaft durchgeführt werden (gewerblicher Rübentransport). Die Vorstandschaft der L. GbR wird beauftragt, die notwendigen Umstellungsmaßnahmen vorzunehmen und diese werden anerkannt.Randnummer47

2. Beschlussantrag gemäß Stimmzettel vom 11. August 2020 („Beschluss zur Änderung des „Gesellschaftsvertrages 2010“ der L. GbR“):Randnummer48

Der Gesellschaftsvertrag 2010 wird geändert. Es gilt fortan der Gesellschaftsvertrag in der Version 08/2020.Randnummer49

II. Es wird gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO festgestellt, dass ein schiedsrichterliches Verfahren für die folgende Feststellungsklage der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin unzulässig ist:Randnummer50

1. Es wird festgestellt, dass die Geschäftsführung der Antragsgegnerin, also der erste, zweite und dritte Vorstand, nicht berechtigt waren, einen Treuhandvertrag mit dem Treuhänder J. W. hinsichtlich der Kommanditbeteiligung der Antragsgegnerin an der L. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
(Amtsgericht R., HRA …) abzuschließen.Randnummer51

2. Es wird festgestellt, dass die Geschäftsführung der Antragsgegnerin, also der erste, zweite und dritte Vorstand, nicht berechtigt waren, Teile des Geschäftsbetriebs der Antragsgegnerin auf die L. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
auszugliedern und in Vertretung der Antragsgegnerin Verträge mit der L. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
abzuschließen.Randnummer52

3. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Beirats der Antragsgegnerin vom 10. September 2020 über eine Einlagepflicht der Gesellschafter der Antragsgegnerin in Höhe von 1,00 € je Tonne Basisrübenmenge unwirksam ist und eine Einlageverpflichtung der Antragsteller nicht besteht.Randnummer53

Mit Beschluss vom 17. Februar 2022 hat der Senat u.a. darauf hingewiesen, dass ein zulässiges schiedsrichterliches Verfahren eine wirksame Schiedsvereinbarung voraussetze. Aus dem Vortrag der Parteien erschließe sich nicht, ob die Form des § 1031 ZPO beachtet worden sei. Sei dies nicht der Fall, fehle es schon an einer wirksamen Abrede, sich einer schiedsrichterlichen Entscheidung unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs zu unterwerfen.Randnummer54

Die Antragsteller haben ergänzend vorgetragen, dass der Antragsteller zu 8) nur seine Beitrittserklärung von 1993 und eine Bestätigung zur Änderung des Gesellschaftsvertrags im Jahr 2004 unterzeichnet habe. Es sei zu vermuten, dass entsprechende Erklärungen inhaltsgleich von allen Gesellschaftern seit Gründung und bis 2004 unterzeichnet worden seien. Ob dies tatsächlich der Fall sei, sei den Antragstellern nicht bekannt, da die Erklärungen jeweils nur an die Antragsgegnerin und nicht an die Mitgesellschafter übersandt worden seien. Ein Austausch schriftlicher Urkunden sei nicht erfolgt. Eine formwirksame Schiedsabrede existiere damit nicht. Es gebe weder eine von allen Gesellschaftern noch von der Antragsgegnerin unterzeichnete Schiedsvereinbarung, noch habe ein Urkundenaustausch zwischen den Gesellschaftern stattgefunden. Weder die Gesellschafter noch die Gesellschaft hätten auf das Erfordernis der Unterschrift bzw. auf jegliche Körperlichkeit der Schiedsvereinbarung verzichtet. Über die Frage der Passivlegitimation der Antragsgegnerin sei im Hauptsacheverfahren zu entscheiden.Randnummer55

Die Antragsgegnerin meint dagegen, die streitgegenständliche Schiedsvereinbarung sei formwirksam geschlossen. Die Antragsteller hätten nach ihrem eigenen Vortrag mit ihrer Eintrittserklärung zur Antragsgegnerin den Gesellschaftsvertrag und Schiedsvertrag erhalten und sich mit der Geltung der Vereinbarungen einverstanden erklärt. Damit seien sie Gesellschafter der Antragsgegnerin geworden. Der Eintritt der übrigen Antragsteller in die Antragsgegnerin sei ebenso erfolgt wie der Eintritt des Antragstellers zu 8). Durch die jeweilige Bestätigung seitens der Antragsgegnerin und die Aufnahme der Antragsteller in die Gesellschaft seien die Vereinbarungen wirksam zustande gekommen. Es gelte gemäß § 1031 Abs. 2, § 1031 Abs. 1 ZPO die Form als erfüllt.Randnummer56

Da die Antragsgegnerin weder in dem hiesigen Verfahren noch in den durch die Antragsteller beabsichtigten (Hauptsache-) Verfahren passivlegitimiert sei, sei der Antrag der Antragsteller bereits aus diesem Grund zurückzuweisen. Eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen sei grundsätzlich gegen die Mitgesellschafter zu erheben, außer der Gesellschaftsvertrag regele abweichend hiervon, dass solche Streitigkeiten mit der Gesellschaft auszutragen seien. Eine solche Zuständigkeitsverlagerung sei hier nicht vorgenommen worden. Der Wortlaut von § 23 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags sei in der Gesellschafterversammlung vom 19. August 2021 nochmals mit qualifizierter Mehrheit bestätigt worden. Dies müsse im Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO, das als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet sei, Berücksichtigung finden. Zumindest bei der Kostenentscheidung sei zu beachten, dass die Antragsteller die falsche Antragsgegnerin in Anspruch nähmen.

II.

1. Die beiden Feststellungsanträge sind nach § 1025 Abs. 1, § 1032 Abs. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.Randnummer58

a) Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1 ZPO i. V. m. § 7 BayGZVJu in der seit 1. Mai 2020 geltenden Fassung zur Entscheidung zuständig, weil der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1043 ZPO) nach den Regelungen, die die Antragsteller heranziehen und auf deren Gültigkeit es in diesem Zusammenhang nicht ankommt, in Bayern liegt. In § 2 des streitgegenständlichen Schiedsvertrags (2004/2010) ist festgelegt, dass das Schiedsgericht am Ort des Sitzes der Gesellschaft tagt. Unabhängig davon, ob sich der Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aktuell noch in … B. (§ 1 Ziffer 3 des Gesellschaftsvertrags 2004/2010) oder am Wohnort des ersten Vorstands in … P. befindet, ist die Gesellschaft im Landkreis R., mithin in Bayern ansässig. Nichts anderes gilt, wenn man auf § 2 des Schiedsvertrags aus dem Jahr 1989 abstellen würde, in dem geregelt ist, dass das Schiedsgericht am Sitz der damals noch im oberpfälzischen M. ansässigen Gesellschaft tagt.Randnummer59

b) Der Antrag ist rechtzeitig gestellt und auch seinem Inhalt nach statthaft. Nach § 1032 Abs. 2 ZPO kann bis zur Bildung des Schiedsgerichts Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden. Im Rahmen eines Antrags nach § 1032 Abs. 2 ZPO prüft das staatliche Gericht, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung besteht, diese durchführbar ist und der Gegenstand des Schiedsverfahrens der Schiedsvereinbarung unterfällt. Eine gezielte Zulässigkeitsprüfung auch im Hinblick auf den Streitgegenstand folgt aus dem einheitlichen Prüfungsumfang von § 1032 Abs. 2 ZPO und entspricht der prozessökonomie; sie ist daher zulässig (BGH, Beschl. v. 19. September 2019, I ZB 4/19, SchiedsVZ 2020, 50 Rn. 11; Beschl. v. 19. Juli 2012, III ZB 66/11, SchiedsVZ 2012, 281 Rn. 4; BayObLG, Beschl. v. 21. Januar 2021, 101 SchH 115/20, SchiedsVZ 2021, 240 Rn. 20 [juris Rn. 28] m. w. N.; Geimer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 1032 Rn. 23; Voit in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 1032 Rn. 10; Wolf/Eslami in BeckOK ZPO, 45. Ed. Stand: 1. Juli 2022, § 1032 Rn. 27).Randnummer60

2. Den Feststellungsanträgen ist stattzugeben, da eine formwirksame Schiedsvereinbarung nicht dargetan ist. Ob die Auslegung von § 23 des Gesellschaftsvertrags (2004/2010) ergeben würde, dass die Klausel in ihrer Reichweite die beabsichtigten Klageanträge erfasst, kann ebenso offenbleiben, wie die im Verfahren kontrovers diskutierte Frage, ob die Schiedsklausel nach § 138 i. V. m. § 139 BGB ganz oder teilweise nichtig ist.Randnummer61

a) Da der Antrag der Antragsteller der Klärung dient, ob die gegen die Antragsgegnerin beabsichtigte Klage vor einem Schiedsgericht oder den ordentlichen Gerichten zu erheben ist, ist die Antragsgegnerin vorliegend passivlegitimiert. Ob sie im Falle der Klage die richtige Beklagte ist, ist für das streitgegenständliche Verfahren unerheblich.Randnummer62

b) Ein zulässiges schiedsrichterliches Verfahren setzt eine wirksame Schiedsvereinbarung (§ 1029 ZPO) voraus. Vorliegend kommt nach dem Vortrag der Parteien nur eine mit Beitritt oder zu einem späteren Zeitpunkt geschlossene Schiedsvereinbarung zwischen den Gesellschaftern in Betracht, die Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft mitumfasst.Randnummer63

aa) Anders als bei Kapitalgesellschaften ist nach der herrschenden Meinung bei Personengesellschaften, bei denen Bildung und Beitritt auf vertraglicher Grundlage beruhen, für Schiedsabreden die Formvorschrift des § 1031 ZPO (bzw. § 1027 a. F.) zu beachten und § 1066 ZPO (bzw. § 1048 ZPO a. F.) nicht anwendbar (vgl. BGH, Urt. v. 11. Oktober 1979, III ZR 184/78, NJW 1980, 1049 zu § 1027 a. F.; Wolf/Eslami in BeckOK ZPO, § 1066 Rn. 8 m. w. N.; Thümmel in Schütze/Thümmel, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 7. Aufl. 2021, § 22 Rn. 5; Münch in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1066 Rn. 24 m. w. N.; a.A. Geimer in Zöller, ZPO, § 1066 Rn. 13). Der Beitritt zu einer Personengesellschaft vollzieht sich durch Vertrag mit sämtlichen schon vorhandenen Gesellschaftern, und zwar auch dann, wenn es sich um eine Publikumsgesellschaft handelt, weswegen die Übernahme eines bei Gründung der Gesellschaft abgeschlossenen Schiedsvertrags nicht selbstverständlich ist (BGH NJW 1980, 1049 [juris Rn. 24]). Zwar wird der Beitritt insbesondere bei mitgliederstarken Gesellschaften bzw. Publikumsgesellschaften häufig dadurch erleichtert und vereinfacht, dass zum einen ein Mehrheitsbeschluss für die Aufnahme eines Gesellschafters genügt und zum anderen der oder die geschäftsführende(n) Gesellschafter ermächtigt werden, mit Wirkung für alle Gesellschafter den Beitritt zu vereinbaren. Der Sache nach ändert dies jedoch nichts daran, dass alle Gesellschafter, ggf. eine nach dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene Mehrheit, dem Beitritt eines weiteren Gesellschafters zustimmen müssen. Möglich ist auch, dass die Gesellschafter den oder die geschäftsführenden Gesellschafter bevollmächtigen, sie bei Aufnahme eines neuen Gesellschafters zu vertreten (vgl. Gummert in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 5, 5. Aufl. 2021, § 11 Rn. 22).Randnummer64

Zwar ist die Gründung ebenso wie der spätere Beitritt zu einer Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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auch formlos möglich, enthält der Gesellschaftsvertrag jedoch eine Schiedsvereinbarung, sind keine Gründe ersichtlich, weswegen die Wahrung des der Warnung dienenden Formerfordernisses des § 1031 ZPO bzw. § 1027 ZPO a. F. entbehrlich wäre (vgl. BGH NJW 1980, 1049 [juris Rn. 24]). Für den der Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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beitretenden Gesellschafter kann eine Schiedsklausel im Gesellschaftsvertrag bzw. eine Schiedsabrede damit nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn eine dem Gesetz entsprechende formgerechte Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern vorliegt (vgl. BGH, Urt. v. 19. Mai 2011, III ZR 16/11, juris Rn. 7). Lediglich in – hier nicht in Betracht kommenden – Fallkonstellationen, in denen der Eintretende im Wege der Gesamt- oder Sonderrechtsnachfolge (BGH, Urt. v. 2. Oktober 1997, III ZR 2/96, juris Rn. 9 m. w. N.) oder durch Ausübung eines rechtsgeschäftlichen Eintrittsrechts (BGH, Urt. v. 31. Januar 1980, III ZR 83/78, juris Rn. 37) die Position eines anderen Gesellschafters übernimmt, bindet eine bestehende, rechtswirksam begründete Schiedsvereinbarung den neuen Gesellschafter, ohne dass es eines gesonderten Beitritts zum Schiedsvertrag in der Form des § 1031 ZPO bedarf. Darlegungs- und beweispflichtig für das wirksame Zustandekommen einer formgültigen Schiedsvereinbarung ist derjenige, der sich darauf beruft (vgl. BayObLG, Beschl. v. 8. Mai 2001, 4Z SchH 2/01, juris Rn. 11). Jedenfalls für Verfahren nach § 1032 Abs. 1 ZPO ist diese Verteilung weitgehend anerkannt (vgl. BGH, Urt. v. 17. Mai 2011, XI ZR 352/08, juris Rn. 21 m. w. N.; Münch in Münchener Kommentar zur ZPO, § 1032 Rn. 8; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 1032 Rn. 3; Hammer, Überprüfung von Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte in Deutschland, 2018, Rn. 133 f.). Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist für Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO gleichermaßen sachgerecht. Der in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Justizgewähranspruch umfasst das Recht auf Zugang zu den staatlichen Gerichten (BVerfG, Beschl. v. 26. April 2004, 1 BvR 1819/00, juris Rn. 9). Voraussetzung für eine Vollstreckbarkeitserklärung eines Schiedsspruchs ist deshalb, dass sich der freie Wille der Parteien zur Unterwerfung unter den Spruch eines privaten Schiedsgerichts unter Verzicht auf die Entscheidung staatlicher Gerichte eindeutig feststellen lässt (vgl. BGH, Urt. v. 3. April 2000, II ZR 373/98, NZG 2000, 897 [juris Rn.9]). Diese Grundsätze haben Vorwirkung auf Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO, in denen die Zulässigkeit oder die Unzulässigkeit eines schiedsgerichtlichen Verfahrens festgestellt werden soll. Verbleiben Zweifel am wirksamen Abschluss einer Schiedsvereinbarung, geht dies – unabhängig von den jeweiligen Parteirollen – zu Lasten derjenigen Partei, die einen wirksamen Abschluss behauptet. Anderes mag gelten, wenn sich die Parteien einer Schiedsvereinbarung lediglich über die wirksame Beendigung derselben streiten (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 20. Januar 2005, 10 SchH 2/04, juris Rn. 14). Im Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO gilt insoweit keine andere Beweislastverteilung als im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs (vgl. zu Art. II, V Abs. 1 Buchst. a] UNÜ: BGH, Beschl. v. 21. Februar 2017, I ZB 115/15, juris Rn. 17; BayObLG, Beschl. v. 12. Dezember 2002, 4Z Sch 16/02, juris Rn. 16; OLG Celle, Beschl. v. 4. September 2003, 8 Sch 11/02, juris Rn. 16 ff.; offengelassen zu § 1059 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a] ZPO: BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2021, I ZB 31/21, juris Rn. 19; unklar: BGH, Urt. v. 22. März 1979, III ZR 17/78, WM 1979, 1006 [1007]), denn der nationale Gesetzgeber hat mit der Einführung von § 1032 Abs. 2 ZPO durch das Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz vom 22. Dezember 1997 (BGBl I S. 3224) eine zivilprozessuale Möglichkeit, die sich im nationalen Recht bewährt hatte, beibehalten, um die Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts bereits in einem frühen Verfahrensstadium (und ggf. parallel zum Schiedsverfahren) gerichtlich zu klären (vgl. auch OLG München, Beschl. v. 24. November 2016, 34 SchH 5/16, juris Rn. 23; BT-Drs. 13/5274 S. 38).Randnummer65

bb) Vorliegend kann der Senat anhand des – trotz richterlichen Hinweises nur lückenhaften – Vortrags der Parteien keine hinreichende Überzeugung dahingehend gewinnen, dass eine den gesetzlichen Formerfordernissen genügende Schiedsvereinbarung existiert, die den Antragstellern für die gegen die Antragsgegnerin beabsichtigten Klageanträge den Weg zu den ordentlichen Gerichten versperren würde.Randnummer66

(1) Der genaue Inhalt des Gesellschaftsvertrags zwischen den Gründungsgesellschaftern ist nicht bekannt, mag auch das vorgelegte Dokument „Schiedsvertrag (03/1989)“ dafürsprechen, dass bereits der damalige Gesellschaftsvertrag eine Schiedsklausel enthalten hat. Zum Zeitpunkt und den Umständen des Beitritts der Antragsteller zur Gesellschaft lässt sich dem Vortrag der Parteien nur entnehmen, dass der Antragsteller zu 8) am 28. Februar 1993 eine allein von ihm unterzeichnete schriftliche Beitrittserklärung an die Antragsgegnerin übersandt hat.Randnummer67

Zu diesem Zeitpunkt war noch § 1027 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der bis zum 31. Dezember 1997 gültigen Fassung in Kraft (im Folgenden § 1027 ZPO a. F.), wonach ein Schiedsvertrag ausdrücklich und schriftlich (§ 126 Abs. 2 BGB in der bis 31. Juli 2001 geltenden Fassung: von den Parteien unterzeichnete Vertragsurkunden) geschlossen werden musste und die Abrede keine weitere Vereinbarung enthalten durfte. Die schriftliche Beitrittserklärung des Antragstellers zu 8) vom 28. Februar 1993 erfüllt keine der beiden Anforderungen.Randnummer68

§ 1027 Abs. 2 ZPO a. F. befreite zwar Handelsschiedsverträge von der Formvorschrift des § 1027 Abs. 1 ZPO a. F., Voraussetzung war jedoch, dass auf beiden Seiten Vollkaufleute standen und es sich um ein beiderseitiges Handelsgeschäft (§ 343 HGB a. F.) handelte. Ein Land- und Forstwirt war damals (§ 3 HGB a. F.) und ist bis heute nach der gesetzlichen Konzeption kein Kaufmann, es besteht für ihn lediglich die Möglichkeit, sich unter einer Firma in das Handelsregister eintragen zu lassen und dadurch Kaufmann zu werden, wenn sein Betrieb nach Art und Umfang eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs bedarf (§ 3 Abs. 2 i. V. m. § 2 HGB [a. F.]). Anhaltspunkte dafür, dass der als Landwirt tätige Antragsteller zu 8) im Jahr 1993 als Kaufmann im Handelsregister eingetragen war, liegen nicht vor. Ebenso wenig kann dem Vortrag der Parteien entnommen werden, dass die damaligen Gesellschafter mit dem Antragsteller zu 8) einen gesonderten schriftlichen Schiedsvertrag geschlossen hätten.Randnummer69

(2) Auch die vom Antragsteller zu 8) im Jahr 2004 unterzeichnete und an die Antragsgegnerin übersandte Bestätigung zur Änderung des Gesellschaftsvertrags erfüllt weder die zu diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Formerfordernisse, noch kann deren Einhaltung aus den sonstigen Umständen geschlossen werden. Es kann offenbleiben, ob entsprechend der Eingangsformulierung im Gesellschaftsvertrag in der Fassung 03/2004 der bisherige Gesellschaftsvertrag wirksam aufgehoben wurde und mit ihm auch eine frühere Schiedsvereinbarung.Randnummer70

(a) Im Jahr 2004 war die Neufassung des 10. Buchs der ZPO bereits in Kraft getreten, es ist somit auf § 1031 ZPO abzustellen, der seit 2004 weitestgehend unverändert geblieben ist. Gemäß § 1031 Abs. 1 ZPO muss eine Schiedsabrede entweder in einem von den Parteien unterzeichneten Dokument (damals noch „Schriftstück“) oder in zwischen ihnen gewechselten Schreiben, Fernkopien, Telegrammen oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung, die einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellen, enthalten sein. Gemäß § 1031 Abs. 2 ZPO gilt die Form des Absatzes 1 auch dann als erfüllt, wenn die Schiedsvereinbarung in einem von der einen Partei der anderen Partei oder von einem Dritten beiden Parteien übermittelten Dokument enthalten ist und der Inhalt des Dokuments im Falle eines nicht rechtzeitig erfolgten Widerspruchs nach der Verkehrssitte als Vertragsinhalt angesehen wird. Nimmt ein den Formerfordernissen des Absatzes 1 oder 2 entsprechender Vertrag auf ein Dokument (damals „Schriftstück“) Bezug, das eine Schiedsklausel enthält, so begründet dies eine Schiedsvereinbarung, wenn die Bezugnahme dergestalt ist, dass sie diese Klausel zu einem Bestandteil des Vertrages macht, § 1031 Abs. 3 ZPO. Noch höhere Anforderungen stellt das Gesetz an Schiedsvereinbarungen, an denen ein Verbraucher beteiligt ist, wobei jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, gemäß § 13 BGB als Verbraucher anzusehen ist. Solche Vereinbarungen müssen in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein oder die elektronische Form nach § 126a BGB wahren, § 1031 Abs. 5 Satz 1 ZPO.Randnummer71

(b) Weder die Antragsteller noch die Antragsgegnerin haben vorgetragen, dass es eine von allen Gesellschaftern unterzeichnete Schiedsvereinbarung (§ 1031 Abs. 1 Alt. 1 ZPO) gebe. Ebenso wenig wurde von den Parteien ein den Anforderungen des § 1031 Abs. 1 Alt. 2 ZPO genügender Austausch von Nachrichten in Bezug auf den Abschluss einer Schiedsvereinbarung dargetan. Es ergibt sich aus dem Vortrag der Parteien weder, dass diesbezügliche Erklärungen unter den Gesellschaftern ausgetauscht worden sind, noch wann, in welcher Form und mit welchem Inhalt eine Kommunikation zwischen den Gesellschaftern stattgefunden hat.Randnummer72

(c) Unstreitig ist lediglich die Übersendung der allein vom Antragsteller zu 8) unterzeichneten „Bestätigung zur Änderung des Gesellschaftsvertrages“ an die Antragsgegnerin. Die Bestätigung nimmt auf den Gesellschaftsvertrag (AS 1), der eine Schiedsklausel enthält, sowie auf den Schiedsvertrag (AS 2) Bezug, womit über § 1031 Abs. 3 ZPO eine wirksame Schiedsvereinbarung geschlossen worden sein könnte. Dies wäre aber nur der Fall, wenn die Vereinbarung über die Änderung des Gesellschaftsvertrags ihrerseits die Anforderungen des § 1031 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO erfüllen würde, was die Antragsgegnerin nicht hinreichend dargelegt hat. Weder behauptet sie, dass die Bestätigung des Antragstellers zu 8) von den Gesellschaftern oder von einem Bevollmächtigten der Gesellschafter gegengezeichnet worden sei (§ 1031 Abs. 1 Alt. 1 ZPO), noch legt sie einen darauf bezogenen vorangegangenen oder nachfolgenden Nachrichtenaustausch im Sinne des § 1031 Abs. 1 Alt. 2 ZPO dar. Zwar behauptet sie, die Vereinbarungen seien durch „jeweilige Bestätigung seitens der Antragsgegnerin und die Aufnahme der Antragsteller zustande gekommen“, einen konkreten Sachverhalt schildert sie dazu aber nicht. Weder kann nachvollzogen werden, in welcher Form noch mit welchem Inhalt „Bestätigungen“ erfolgt sein sollen, noch trägt die Antragsgegnerin schlüssig ein Handeln als bevollmächtigte Vertreterin der übrigen Gesellschafter bei Abschluss der Vereinbarung vor. Auch der vorgelegte Gesellschaftsvertrag enthält keine Regelung, wonach die Antragsgegnerin oder der Vorstand zur Vertretung aller Gesellschafter bei Aufnahme eines neuen Mitglieds in die Gesellschaft oder Änderungen des Gesellschaftsvertrags befugt wäre.Randnummer73

Ebenso wenig genügt der Vortrag der Antragsgegnerin für die Annahme einer Vereinbarung im Wege einer widerspruchslosen Hinnahme nach § 1031 Abs. 2 ZPO. Die Form des § 1031 Abs. 2 ZPO gilt als gewahrt, wenn eine Partei der anderen ein Schriftstück mit einem Angebot zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung (oder einer Vereinbarung nach § 1031 Abs. 3 ZPO) übermittelt und das Schweigen der Gegenpartei oder der nicht rechtzeitige Widerspruch nach der Verkehrssitte als ihre Zustimmung zu dem schriftlichen Abschlussangebot anzusehen ist; das beurteilt sich nach materiellem Recht. § 1031 Abs. 2 ZPO erleichtert die Formpflicht durch Rücksichtnahme auf die Verkehrssitte, die eine nationale oder lokale sein kann, sofern sie einer geläufigen Übung entspricht, die Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten (Münch in Münchener Kommentar zur ZPO, § 1031 Rn. 35). Hauptfall ist das Schweigen bzw. der nicht rechtzeitige Widerspruch auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben im Handelsverkehr (Anders in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 1031 Rn. 6). Ein bloßer Handelsbrauch reicht nicht für die Annahme einer Schiedsvereinbarung aus (BGH, Beschl. v. 6. April 2017, I ZB 69/16, juris Rn. 21).Randnummer74

Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 1031 Abs. 2 ZPO schon deshalb nicht erfüllt, weil der Antragsteller zu 8) die von ihm unterzeichnete Bestätigung nicht an seine Vertragspartner, also an die übrigen Gesellschafter übersandt hat, sondern an die Antragsgegnerin, die weder ein Handeln als Stellvertreterin noch eine Bevollmächtigung aller Gesellschafter in gesellschaftsvertraglichen Belangen behauptet hat. Auch fehlt es an jeglicher Grundlage für die Annahme einer geläufigen und allgemein bekannten und beachteten Übung, das Schweigen der Gesellschafter einer landwirtschaftlichen Maschinengemeinschaft auf eine solche Bestätigung als Annahmeerklärung zu werten. Zudem ist unbekannt, wer zum damaligen Zeitpunkt Gesellschafter und damit Vertragspartner des Antragstellers zu 8) war, ebenso wenig lässt sich dem Parteivortrag entnehmen, ob sich alle weiteren damaligen und derzeitigen Gesellschafter formwirksam auf die streitgegenständliche Schiedsvereinbarung geeinigt haben. Es lässt sich damit nicht feststellen, dass zwischen dem Antragsteller zu 8) und den übrigen Gesellschaftern eine den Anforderungen des § 1031 ZPO entsprechende Abrede getroffen worden ist, durch die die in § 23 des Gesellschaftsvertrags (03/2004) enthaltene Schiedsklausel oder die Schiedsvereinbarung (03/2004) zur bindenden Vertragsgrundlage unter den Gesellschaftern gemacht wurde. Damit fehlt es auch in Bezug auf die Antragsgegnerin an einer wirksamen, die Klage vor den ordentlichen Gerichten ausschließenden Schiedsvereinbarung.Randnummer75

cc) Nichts anderes gilt für die übrigen Antragsteller, zu deren Beitritts- und etwaigen Bestätigungserklärungen die Parteien nichts Konkretes vorgetragen haben. Ob die Antragsteller den Gesellschaftsvertrag und/oder die Schiedsvereinbarung kannten, ist ebenso unerheblich wie eine mögliche bestätigende Beschlussfassung der Gesellschafter im Jahr 2010, da auch insoweit die Einhaltung der Form des § 1031 ZPO nicht dargelegt worden ist. Nichts anderes gilt für einen mit qualifizierter Mehrheit gefassten Gesellschafterbeschluss vom 19. August 2021, mit dem die Schiedsklausel im Gesellschaftsvertrag bestätigt worden sein soll. Abgesehen davon könnte durch einen solchen Beschluss nicht nachträglich zu Lasten der Antragsteller ohne deren Beteiligung eine Zuständigkeit eines Schiedsgerichts für Streitigkeiten festgelegt werden.

III.

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.Randnummer77

Hinsichtlich des festgesetzten Streitwerts teilt der Senat die Auffassung des Bundesgerichtshofs, wonach der Streitwert in Angelegenheiten nach § 1032 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in der Regel ein Fünftel der Hauptsache beträgt (BGH, Beschl. v. 29. März 2018, I ZB 12/17, juris Rn. 5). Zur Höhe des Streitwerts haben zwar die Antragsteller unwidersprochen einen Betrag von 15.000,00 € in den Raum gestellt, eine nachvollziehbare Begründung fehlt allerdings. Das von den Antragstellern mitgeteilte Bilanzergebnis der Antragsgegnerin im Jahre 2018 ermöglicht keine Bewertung der angekündigten Feststellungsanträge. Mangels hinreichender sonstiger Anhaltspunkte schätzt der Senat den Wert der Anträge im Rahmen einer Hauptsacheklage pauschal auf 25.000,00 € (5.000,00 € pro Antrag). Der Streitwert für das hiesige Verfahren war auf ein Fünftel hiervon, mithin auf 5.000,00 €, festzusetzen.

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