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FG Münster, Urteil vom 12. August 2022 – 4 K 1469/20 U

Freitag, 12. August 2022

Haftet die nominelle Geschäftsführerin, die lediglich Strohfrau des faktischen Geschäftsführers ist, nach § 69 AO?

Tatbestand

Die Klägerin war – bis in das Jahr 2017 – alleinige Gesellschafterin und die alleinige nominelle Geschäftsführerin und später Liquidatorin der im Jahr 2007 gegründeten T GmbH (zunächst Handelsregister Amtsgericht B-Stadt HRB xxx, dann Amtsgericht K-Stadt HRB xxx; im Folgenden: T GmbH).Randnummer2

Die T GmbH betrieb einen Handel mit X-Produkten und diversen xxx Geräten, u.a. mit dem Kauf und Verkauf von X-Geräten. Den Geschäftsbetrieb hatte die Klägerin als Einzelfirma im Jahr 2005 in N-Stadt gegründet. Später wurde ein Onlineshop eröffnet und der Vertrieb über das Internet, eBay, Amazon, Yatego und andere Vertriebsportale begonnen. Im Jahr 2007 erfolgte die Gründung der T GmbH mit Sitz in K-Stadt, die den Geschäftsbetrieb fortführte. Herr U. K., der Ehemann der Klägerin, war – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – (alleiniger) faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der T GmbH; ihm wurde im Januar 2009 die fachliche Eignung nach § 30 Abs. 6 des Berufsbildungsgesetzes verliehen. Die steuerliche Beratung der T GmbH erfolgte durch die K1 GmbH.Randnummer3

Als die T GmbH keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2010 abgegeben hatte, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Umsatzsteuer 2010 für die T GmbH auf xxxx € fest. Im Rahmen des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens gab die T GmbH am 29.05.2012 eine von der Klägerin unterschriebene Umsatzsteuererklärung für 2010 ab, in der sie eine festzusetzende Umsatzsteuer in Höhe von yyyy € erklärte. Daraufhin änderte der Beklagte die Festsetzung mit Bescheid vom 29.06.2012 unter Beibehaltung des Nachprüfungsvorbehalts erklärungsgemäß ab.Randnummer4

Im April 2013 begann bei der T GmbH eine Betriebsprüfung betreffend die Umsatzsteuer 2008 bis 2013. Der Prüfer war der Auffassung, dass der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der F. Trading GmbH (F.) zu versagen sei, weil es sich um Scheinrechnungen gehandelt habe. Auf der Grundlage eines Zwischenberichts vom 22.04.2014 erließ der Beklagte einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 23.04.2014, mit dem er den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der F. in Höhe von insgesamt xy.xyx € versagte und die Umsatzsteuer 2010 auf yx.yxy € festsetzte. Die T GmbH focht den Bescheid an. Mit Schreiben vom 30.04.2014 forderte der Beklagte die T GmbH zur Zahlung von xy.xyx € für die Umsatzsteuer 2010 sowie zzzz € für Zinsen hierauf aus 25 Monaten im Zeitraum vom 01.04.2012 bis zum 30.04.2014 auf.Randnummer5

Mit hier streitgegenständlichem Haftungsbescheid nahm der Beklagte die Klägerin wegen einer Gesamthaftungssumme in Höhe von yy.yyy € in Anspruch, die sich aus der Haftung für Umsatzsteuer 2010 in Höhe von xy.xyx € und Nachzahlungszinsen hierzu in Höhe von zzzz € (bis zum 05.05.2014) zusammensetzt. Der Beklagte stützte den Haftungsbescheid auf § 69 AO, weil die Klägerin als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der T GmbH die Pflicht gehabt habe, zutreffende Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen abzugeben. Diese Pflicht habe die Klägerin mindestens grob fahrlässig aufgrund eines Vorsteuerabzugs aus Scheinrechnungen in Höhe von xy.xyx € verletzt. Der Beklagte verwies auf den Zwischenbericht der Betriebsprüfungsstelle vom 22.04.2014.Randnummer6

Den hiergegen eingelegten Einspruch begründete die Klägerin zunächst unter Verweis auf das Rechtsbehelfsverfahren gegen die Umsatzsteuerfestsetzung, woraufhin das Einspruchsverfahren ruhte.Randnummer7

Durch rechtskräftigen Beschluss vom 12.05.2015 (100 IN 43/15) lehnte das Amtsgericht I-Stadt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der T GmbH ab. Als Liquidatorin wurde die Klägerin in das Handelsregister eingetragen.Randnummer8

Der Beklagte erließ im Nachgang zur zwischenzeitlich fortgesetzten Betriebsprüfung, noch während des gegen den Umsatzsteueränderungsbescheid laufenden Einspruchsverfahrens, einen weiteren gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 26.10.2015, mit dem er Vorsteuern aus Rechnungen anderer Unternehmer (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes [UStG]) nur noch in Höhe von xyxy € berücksichtigte und die Umsatzsteuer 2010 auf xx.xxx € festsetzte. In dem gegen die abschlägige Einspruchsentscheidung geführten Klageverfahren entschied der 5. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 05.12.2019 5 K 247/16 U, dass die Umsatzsteueränderungsbescheide 2010 rechtmäßig seien und der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der F. zu Recht versagt worden sei, und zwar bereits deshalb, weil es in Bezug auf die leistende Person an der Ordnungsmäßigkeit der Rechnung gefehlt habe. Die Entscheidung, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, ist rechtskräftig geworden.Randnummer9

Anstelle der Klägerin bestellte die T GmbH im Jahr 2017 Herrn H. P., wohnhaft in Polen, zum Liquidator (Handelsregistereintragung vom 06.06.2017).Randnummer10

Anschließend an ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren und auf die Anklage vom 25.09.2018 stellte das Landgericht I-Stadt nach einer geständigen Einlassung des Ehemanns der Klägerin, Herrn U. K., ein gerichtliches Strafverfahren gegen die Klägerin nach § 153a der Strafprozessordnung ein und verurteilte den Ehemann der Klägerin im rechtskräftig gewordenen Urteil vom 18.03.2020 (xx KLs-x Js xxx/18) wegen (Umsatz-)Steuerhinterziehung. Dabei stellte es – u.a. aufgrund geständiger Einlassung – fest, dass der Ehemann der Klägerin diese insolvenzbedingt gebeten habe, für ihn zunächst als formelle Einzelkauffrau, ab 2007 dann als formelle Geschäftsführerin der neugegründeten T GmbH zu fungieren. Der Ehemann habe tatsächlich die Geschäfte geführt. Die Klägerin sei nur insoweit tätig geworden, als sie Unterschriften zu leisten hatte. Hierbei habe sie sich vollständig auf ihren Ehemann verlassen und habe keine Kenntnis von dem gehabt, was sie jeweils konkret unterschrieben habe. Der Ehemann als faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der T GmbH habe im steuerlichen Veranlagungsjahr 2010 26 Scheinrechnungen der F. in einem Gesamtumfang von aaa.aaa € zzgl. bb.bbb € ausgewiesener Umsatzsteuer gegenüber der T GmbH erstellt, denen seitens der F. keine tatsächlichen Lieferungen und auch keine Umsatzsteuerzahlungen zugrunde gelegen hätten. Diese Scheinrechnungen habe der Ehemann der Umsatzsteuererklärung 2010 zugrunde gelegt, wodurch sich eine erklärte Umsatzsteuerschuld von lediglich yyyy € ergeben habe. Die so vorbereitete Steuererklärung habe er seiner über die Vorgänge unwissenden Ehefrau vorgelegt, die diese am 23.05.2012 unterzeichnet und sodann beim Beklagten eingereicht habe.Randnummer11

Im Zusammenhang mit der geständigen Einlassung des Ehemanns der Klägerin im Strafverfahren erfolgte eine (Teil-)Zahlung in Höhe von xbxb € auf die Umsatzsteuerschuld der T GmbH für das Jahr 2010.Randnummer12

Der Beklagte nahm sodann das ruhende Einspruchsverfahren betreffend den streitgegenständlichen Haftungsbescheid im April 2020 wieder auf. Der Ehemann der Klägerin meldete sich beim Beklagten telefonisch mit dem Bestreben, die Angelegenheit zu erledigen. Eine (weitere) Stellungnahme zum Haftungsbescheid erfolgte nicht.Randnummer13

Mit der Einspruchsentscheidung vom 11.05.2020 setzte der Beklagte die Haftungssumme – unter Hinweis auf die Verminderung des Umsatzsteuerrückstands für das Jahr 2010 – um xbxb € von yy.yyy € auf zz.zzz € herab und wies den Einspruch im Übrigen zurück. Er ergänzte die Begründung des Haftungsbescheides dahingehend, dass die Geschäftsführer-Stellung auch die Pflicht zur ordnungsgemäßen, also fristgemäßen und inhaltlich zutreffenden Steuererklärung beinhalte und zur pünktlichen Steuerentrichtung. Die Frist für die Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2010 sei am 31.12.2011 abgelaufen, die Erklärung aber erst am 29.05.2012 eingereicht worden. Die Erklärung sei auch nicht zutreffend gewesen. Sowohl das Finanzgericht Münster als auch das Landgericht I-Stadt hätten festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin als faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Vorsteuerbeträge in Höhe von xy.xyx € aus Scheinrechnungen geltend gemacht habe, um die Umsatzsteuerschuld zu verringern. Die Klägerin habe dieses Vorgehen entweder gebilligt oder ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Überwachung versäumt. Wenn die Klägerin nicht in der Lage gewesen sein sollte, eine ordnungsgemäße Geschäftsführung durchzusetzen, wäre es ihre Pflicht gewesen, die Geschäftsführung niederzulegen. Die Duldung der Erstellung von Scheinrechnungen müsse auch zumindest als grob fahrlässig angesehen werden. Hierdurch sei der Haftungsschaden eingetreten. Die T GmbH habe ihre Gläubiger bis Mitte 2012 pünktlich bezahlt; nichts anderes ergebe sich aus der Bilanz zum 31.12.2010. Zahlungsschwierigkeiten seien nicht bekannt. Die erforderlichen Mittel seien aus den Verkäufen der X-Geräten auch vorhanden gewesen. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei von der Klägerin auch erst im Jahr 2015 gestellt worden. Die Haftung erstrecke sich auch auf steuerliche Nebenleistungen (Nachzahlungszinsen in Höhe von nz.zzz €). Vollstreckungsversuche gegenüber der T GmbH seien erfolglos geblieben, sodann sei das Insolvenzverfahren eröffnet worden, in dem eine Tilgung mangels Masse ausgeschlossen sei. Außergewöhnliche Umstände, die einer Haftungsinanspruchnahme (zum gegenwärtigen Zeitpunkt) entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Er, der Beklagte, beabsichtige, neben der Klägerin auch ihren Ehemann als faktischen Geschäftsführer in Haftung zu nehmen.Randnummer14

Die Klägerin hat Klage erhoben.Randnummer15

Zum Sachverhalt erläutert sie, dass – anders als es im landgerichtlichen Strafurteil anklinge – keine neue Entscheidung getroffen worden sei, die GmbH mit dem Geschäftsbetrieb zu gründen. Es sei darauf hinzuweisen, dass der Geschäftsbetrieb der T GmbH bereits zuvor in einer Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(GbR) zwischen ihrem Ehemann und einem anderen Geschäftspartner existiert habe, deren Insolvenz auf einer Straftat des Geschäftspartners beruht habe und nicht von ihrem Ehemann zu verantworten gewesen sei. Insofern habe es sich um eine Fortführung des zuvor erfolgreichen Geschäftsbetriebs gehandelt und der Familienunterhalt habe nur durch diese Einkunftsquelle sichergestellt werden können. Sie erläutert hierzu in der mündlichen Verhandlung, dass aus ihrer Sicht insolvenzrechtliche Beschränkungen einer (rechtlichen) Übernahme des Geschäftsführeramtes durch den Ehemann im Wege gestanden hätten und dass jedenfalls ein etwaiges Geschäftsführergehalt an den Insolvenzverwalter (des Ehemanns) bzw. an die Insolvenzmasse hätte abgeführt werden müssen. Insofern habe sie keine andere wahl gehabt, als das Unternehmen und die formelle Geschäftsführung zu übernehmen. Denn sie selbst habe ihre Ausbildung zur xxx abgebrochen und habe daher – und auch wegen der beiden 2004 und 2007 geborenen Kinder – keinen Beitrag zum Familienunterhalt leisten können. In der mündlichen Verhandlung gibt die Klägerin ergänzend an, dass sie aufgrund ihrer Mitarbeit im Unternehmen in der Zeit vor der Gründung der GmbH geschäftlich versiert sei.Randnummer16

Sie, die Klägerin, sei mit der Führung der T GmbH selbst nicht befasst gewesen. Hierfür sei allein ihr Ehemann zuständig gewesen. Es habe aber keinerlei Ansatzpunkt für Zweifel an der Eignung ihres Ehemanns als Geschäftsführer bestanden. Dies habe sich auch aus dem bisherigen Unternehmensverlauf ergeben, der erfolgreich gewesen sei und lediglich durch den äußeren Eingriff des vorherigen Geschäftspartners in die Schieflage geraten sei; hieraus könne ihr kein Vorhalt gemacht werden. Neben der fachlichen Kompetenz habe der Ehemann auch über die geschäftlichen Kontakte verfügt. Im Übrigen sei von der T GmbH auch ein Steuerberater eingeschaltet gewesen, der für die ordnungsgemäße Abwicklung der steuerlichen Belange zuständig gewesen sei. Aus ihrer, der Klägerin, Sicht habe auch vor diesem Hintergrund und angesichts des Erfolgs der Unternehmung kein Anlass zu einem Misstrauen bestanden. Es habe auch bei den Gesprächen mit ihrem Ehemann niemals einen Grund gegeben, dieses in Frage zu stellen. Überwachungsmaßnahmen seien, so führt die Klägerin weiter aus, in dem fraglichen Zeitraum 2009/2010 aber auch gar nicht möglich gewesen, da eine ihrer Töchter an Epilepsie erkrankt sei und sie, die Klägerin, in dieser Zeit sehr viel Zeit mit ihr im Krankenhaus habe verbringen müssen. Sie habe auch nie selbst „in die Bücher“ geschaut. Das hätte aber auch nichts geändert, weil nie herausgekommen wäre, dass ihr Ehemann Scheinrechnungen erstellt habe, wenn nicht die A-Bank eine Geldwäscheanzeige gemacht hätte. Ansonsten würde sie bis heute nicht wissen, was seinerzeit passiert sei. Sie habe das alles ohnehin erst im Gerichtsverfahren erfahren.Randnummer17

Sie wendet gegen die Haftungsinanspruchnahme ein, dass weder die objektiven noch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme vorlägen. Die verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärung könne ihr nicht vorgeworfen werden, weil die T GmbH steuerlich beraten gewesen sei und sie sich darauf habe verlassen dürfen, dass die Erklärung fristgemäß erstellt werde. Es könne ihr auch nicht vorgeworfen werden, die Führung der Geschäfte einem Dritten, ihrem Ehemann, überlassen zu haben; hierbei handele es sich um eine geschäftspolitische Entscheidung, die wertungsfrei zu akzeptieren sei. Die Annahme einer Überwachungspflicht bzw. die Billigung der Erstellung der Scheinrechnungen werde vom Beklagten lediglich pauschal behauptet. Es habe sich erst im Laufe der gerichtlichen Verfahren gezeigt, dass ihr Ehemann Scheinrechnungen erstellt habe. Sie, die Klägerin, habe keinen konkreten Anlass zu Misstrauen oder zu einer ins Einzelne gehenden Prüfung gehabt; solches habe der Beklagte auch nicht konkret dargetan. Hinsichtlich der Auswahl und Überwachung sei aber auch nicht auf ihre fehlende Qualifikation abzustellen, sondern auf die gute Qualifikation des Ehemanns als Geschäftsführer (wie sie in der Vergangenheit – GbR – zum Ausdruck gekommen sei). Auch zur Kausalität der behaupteten Pflichtverletzung mache der Beklagte lediglich pauschale Ausführungen. Richtig sei, dass ihr, der Klägerin, eine Überwachungspflichtverletzung nicht vorgehalten werden könne, wenn selbst unterstellte Überwachungsmaßnahmen die Unregelmäßigkeiten nicht zutage gefördert hätten; alles andere wäre reine Spekulation. Dies zeige auch der tatsächliche Geschehensablauf. Die Vorsteuerverkürzung durch den Ehemann habe auf fingierten Geschäftsbeziehungen mit der F. über (nicht existierende) X-Geräte beruht, die taggleich („Zug-um-Zug“) abgewickelt worden seien bzw. sein sollen; einen Lagerbestand habe es nicht gegeben. Aufgrund der Nichtexistenz der Vorgänge gehe der Vorhalt, ihr sei eine Überwachung möglich gewesen, ins Leere. Auch der K1 GmbH als steuerliche Fachleute seien keine Unregelmäßigkeiten aufgefallen.Randnummer18

Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 06.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.05.2020 aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.Randnummer19

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.Randnummer20

Er verweist auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Der Beklagte räumt zwar ein, dass die Klägerin die verspätete Erklärungsabgabe nicht zu vertreten habe. Allerdings müsse sich die Klägerin das Verschulden ihres Ehemannes, den sie als faktischen Geschäftsführer geduldet habe, zurechnen lassen. Auch sei eine mangelnde Überwachung grob fahrlässig. Der Beklagte tritt der klägerischen Darstellung entgegen, dass die Entscheidung zur Fortführung des Geschäftsbetriebs alternativlos gewesen sei. Der Klägerin sei ferner vorzuhalten, dass sie von vornherein nur als Geschäftsführerin auf dem Papier eingeplant gewesen sei und keine Fähigkeiten oder Kenntnisse gehabt habe, um die Tätigkeit des Geschäftsführers überhaupt zu überprüfen. Infolgedessen habe sie eine Verantwortung übernommen, der sie nicht habe gerecht werden können. In der mündlichen Verhandlung ergänzt der Beklagte, dass die Klägerin, soweit sie nunmehr geschäftliche Erfahrung behaupte, sich in Widerspruch zu ihren gesamten bisherigen Einlassungen setze. Der Beklagte geht zudem davon aus, dass eine ordnungsgemäße Überwachung des tatsächlichen Geschäftsbetriebs durchaus dazu hätte führen können, festzustellen, dass die in den Rechnungen enthaltenen X-Geräte tatsächlich gar nicht existiert hätten. Im Übrigen verweist der Beklagte darauf, dass der Grundsatz der anteiligen TilgungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Grundsatz
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nicht zur Anwendung komme, wenn es um die unberechtigte Auszahlung einer Steuervergütung – wie hier der Rückforderung der zu Unrecht ausgekehrten Vorsteuerbeträge – gehe.Randnummer21

Der Senat hat die Akten des Strafverfahrens xx KLs-x Js xxx/18 beigezogen. Der Berichterstatter hat die Streitsache mit den Beteiligten am 25.04.2022 erörtert; auf das Terminsprotokoll wird Bezug genommen.Randnummer22

Der Senat hat in der Sache am 12.08.2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.Randnummer24

Eine Rechtsverletzung der Klägerin liegt nicht vor (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Haftungsinanspruchnahme durch Bescheid vom 06.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.05.2020 ist rechtmäßig. Der Beklagte konnte die Haftung dem Grunde und der Höhe nach auf §§ 191 Abs. 1, 69 AO stützen, insbesondere liegt das hierzu erforderliche grobe Verschulden der Klägerin vor.Randnummer25

1. Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.Randnummer26

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig aufgebaut. Danach ist zunächst zu prüfen, ob in der Person, die das Finanzamt zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsnorm erfüllt sind; dies ist eine vom Finanzgericht in vollem Umfang zu überprüfende rechtlich gebundene Entscheidung. Erst danach, auf der zweiten Stufe, entscheidet die Finanzbehörde nach ihrem Ermessen (ständige Rechtsprechung s. z.B. BFH-Urteil vom 20.09.2016 X R 36/15, BFH/NV 2017, 593).Randnummer27

2. Die tatbestandlichen Haftungsvoraussetzungen des § 69 AO liegen im Streitfall vor.Randnummer28

a) Gemäß § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Zu den potentiellen Haftungsschuldnern gehören u.a. die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen (§ 34 Abs. 1 AO). Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist deren Geschäftsführer (§§ 6, 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung [GmbHG]). Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen.Randnummer29

b) Die Klägerin war als (einzige) nominelle Geschäftsführerin und spätere Liquidatorin der T GmbH deren gesetzliche Vertreterin im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 AO (vgl. §§ 35 Abs. 1, 69 f. GmbHG, BFH-Urteil vom 14.06.2016 VII R 20/14, BFH/NV 2016, 1672), und zwar von der Gründung der Gesellschaft im Jahr 2007 bis in das Jahr 2017. Inwieweit die Klägerin diese Aufgabe tatsächlich erfüllt hat, ist tatbestandlich ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, dass ihr Ehemann, Herr U. K., tatsächlich die Geschäfte der T GmbH geführt hat (vgl. BFH-Urteil vom 11.03.2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579). Da es den Eheleuten K. gerade auf die Bestellung der Klägerin als Geschäftsführerin ankam, liegt auch nicht etwa ein Scheingeschäft vor.Randnummer30

c) Die Klägerin hat die Erklärungs- und Entrichtungspflichten der T GmbH betreffend die Umsatzsteuer 2010, für deren Erfüllung sie als alleinige organschaftliche Geschäftsführerin gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO steuerrechtlich verantwortlich zeichnete, (objektiv) verletzt.Randnummer31

Zu den steuerlichen Pflichten der Geschäftsführer bzw. Liquidatoren einer GmbH gehört es insbesondere, rechtzeitig und ordnungsgemäß Steuererklärungen abzugeben (§ 149 AO) und die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) aus den von ihnen verwalteten Mitteln zu begleichen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO) oder zumindest für eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu sorgen (vgl. BFH-Urteil vom 14.06.2016 VII R 20/14, BFH/NV 2016, 1672).Randnummer32

Die T GmbH hat ihre Umsatzsteuererklärung für 2010 nicht fristgemäß und – was hier entscheidend ist – nicht ordnungsgemäß eingereicht (§ 149 AO, § 18 Abs. 3 UStG). Die Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2010, an die der Beklagte für die Haftung anknüpft, wäre – aufgrund der steuerlichen Beratung der T GmbH (gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 03.01.2011, BStBl I 2011, 44) – zum 31.12.2011 erforderlich gewesen. Die Klägerin hat sodann für die T GmbH am 29.05.2012 eine nicht ordnungsgemäße Umsatzsteuererklärung eingereicht. Darüber hinaus wies die Erklärung zu hohe Vorsteuern im Umfang von xy.xyx € aus. Letzteres ist zwischen den Beteiligten nicht kontrovers. Der Senat macht sich insoweit zudem die Feststellungen des – gegen den Ehemann der Klägerin ergangenen und auf dessen geständiger Einlassung fußenden – Strafurteils des Landgerichts I-Stadt vom 18.03.2020 xx KLs-x Js xxx/18, die zugleich zur strafrechtlichen Verfahrenseinstellung bezüglich der seinerzeit ebenfalls angeklagten Klägerin geführt haben, sowie die Feststellungen des gegenüber der T GmbH ergangenen Urteils des 5. Senats des Finanzgerichts Münster vom 05.12.2019 5 K 247/16 U zu eigen, über deren Richtigkeit auch in steuerlicher Hinsicht kein Streit besteht.Randnummer33

Dass die Klägerin in der T GmbH nicht tatsächlich die Geschäfte führte, sondern nur als Strohfrau fungierte, ändert an der objektiv vorliegenden Pflichtverletzung nichts. Denn die Verantwortlichkeit eines Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH ergibt sich allein aus der nominellen Bestellung zum GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(s. BFH-Beschluss vom 26.11.1997 I B 81/97, BFH/NV 1998, 559). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der prinzipiellen Möglichkeit der Aufgabenverteilung innerhalb einer (mehrköpfigen) Geschäftsführung und der Erwägung, dass die Klägerin diese Verantwortung auf ihren Ehemann (als faktischen Geschäftsführer) übertragen haben könnte. Denn auch wenn mehrere Geschäftsführer vorhanden sind, kann die Verteilung der Geschäfte nur begrenzt, aber nicht vollständig aufgehoben werden (ständige Rechtsprechung z.B. BFH-Urteil vom 17.09.2019 VII R 5/18, BFHE 266, 104 m. w. N.). Hier aber war die Klägerin als Strohfrau anzusehen, der in der Geschäftsführung keinerlei eigener Verantwortungsbereich verblieb. Dies ergibt sich in tatsächlicher Hinsicht bereits aus dem Vortrag der Klägerin selbst sowie aus den Feststellungen des landgerichtlichen Strafurteils vom 18.03.2020 (xx KLs-x Js xxx/18) und des Urteils des 5. Senats vom 05.12.2019 5 K 247/16 U. Den darüber hinaus bestehenden, erheblichen rechtlichen Zweifeln daran, ob diese interpersonelle Aufteilung der Geschäfte überhaupt auch im Verhältnis zu einem nur faktischen Geschäftsführer möglich wäre (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 12.05.2009 VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, BFH-Urteil vom 10.05.1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72, s. auch Jatzke in: Gosch, AO/FGO, § 69 AO Rz. 51; derartiges erwägend indessen Finanzgericht Münster, Urteil vom 30.04.2019 12 K 620/15EFG 2019, 1257 [Rev. anh. BFH VII R 23/19]), muss auch deshalb nicht nachgegangen werden, weil eine anzuerkennende Aufgabenteilung darüber hinaus eine vorweg getroffene, eindeutige schriftliche Festlegung darüber erfordert, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist (ständige Rechtsprechung z.B. BFH-Urteil vom 17.09.2019 VII R 5/18, BFHE 266, 104 m. w. N.), und für derartiges nichts ersichtlich ist.Randnummer34

d) Hinsichtlich dieser, der Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden Pflichtverletzungen hat die Klägerin – selbst unter der Prämisse, sie habe tatsächlich keine positive Kenntnis von den betreffenden Vorgängen in der Gesellschaft gehabt und deshalb nicht bereits vorsätzlich gehandelt – grob fahrlässig gehandelt.Randnummer35

Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt. Dazu gehört, dass er unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen oder die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt. Eine Haftung kommt demnach nur bei „gravierenden Sorgfaltspflichtverletzungen“ in Betracht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23.09.2008 VII R 27/07, juris; BFH-Beschluss vom 03.12.2004 VII B 178/04, juris).Randnummer36

Die objektive Pflichtwidrigkeit indiziert in der Regel einen solchen Schuldvorwurf (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.11.2008 VII R 19/08, BFHE 223, 303, BStBl II 2009, 342; vom 22.04.2015 XI R 43/11, BStBl II 2015, 755 und vom 27.09.2017 XI R 9/16, BStBl II 2018, 515).Randnummer37

Dies gilt auch im Streitfall, wobei darüber hinaus ein grobes Verschulden aber auch positiv festzustellen ist. Ein solches Verschulden liegt im Streitfall bereits darin, dass die Klägerin die Geschäftsführung der GmbH übernommen und nachfolgend nicht – zeitlich vor den haftungsrelevanten Pflichtverletzungen – niedergelegt hat („Übernahmeverschulden“), obwohl von der Gründung der GmbH im Jahr 2007 an klar war, dass sie die Geschäftsführung tatsächlich inhaltlich nicht übernehmen würde und dies während ihrer gesamten Amtszeit auch tatsächlich nicht tat. Vielmehr agierte der Ehemann der Klägerin plangemäß als „faktischer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Geschäftsführer
“, und zwar allein, umfassend, selbstständig und unkontrolliert. Dies steht in tatsächlicher Hinsicht nach Aktenlage und auch aufgrund der Einlassungen der Klägerin selbst fest; ergänzend verweist der Senat auf die landgerichtlichen Feststellungen im Strafurteil vom 18.03.2020 xx KLs-x Js xxx/18. Dass aber die Übernahme einer Geschäftsführer-Stellung nur „auf dem Papier“ und ohne irgendeine tatsächliche Einflussnahme auf die Führung der Geschäfte, mithin die vollumfängliche Überlassung und Duldung der Führung der Geschäfte an bzw. durch einen Dritten, eine gravierende Sorgfaltspflichtverletzung begründet, muss jedem der am Rechtsverkehr teilnimmt, einleuchten. Im Fall der Klägerin kommen zwei Dinge erschwerend hinzu: Zum einen diente die gewählte Gestaltung der Geschäftsführung der T GmbH – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nochmals deutlich gemacht hat – dem Zweck, (angenommene) insolvenzrechtliche Beschränkungen des Ehemannes zu umgehen. Zum anderen wäre die Klägerin, wie sie insbesondere im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter im Einzelnen geschildert hat, nach ihrer persönlichen Situation und ihren Lebensumständen – nicht zuletzt aufgrund der Krankheit ihrer Tochter – gar nicht imstande gewesen, auch nur dem Grunde nach die Geschäftsführungsfunktion oder auch nur eine Überwachungsfunktion tatsächlich auszuüben. In einer solchen Situation die Geschäftsführung als Strohfrau zu übernehmen, jahrelang zu behalten und einen faktischen (Hintergrund-)Geschäftsführer zu dulden, ist grob schuldhaft (vgl. auch Jatzke in: Gosch, AO/FGO, § 69 AO, Rz. 26). Eine nur nominell zum Geschäftsführer bestellte Person, wie die Klägerin, kann sich auch nicht damit entlasten, sie habe – aus welchen Gründen auch immer – keine Möglichkeit gehabt, innerhalb der Gesellschaft ihre rechtliche Stellung als Geschäftsführer zu verwirklichen und die steuerlichen Pflichten zu erfüllen; für diesen Fall muss sie ihr Amt unmittelbar niederlegen bzw. durfte es vorliegend erst gar nicht antreten (z.B. BFH-Beschluss vom 22.07.1997 I B 44/97, BFH/NV 1998, 11; BFH-Urteile vom 07.05.1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210 und vom 02.07.1987 VII R 104/84, BFH/NV 1988, 6; vgl. auch BFH-Beschluss vom 05.03.1985 VII B 52/84, BFH/NV 1987, 459). Eine Ausnahme kann allenfalls in äußersten Zwangslagen anerkannt werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22.07.1997 I B 44/97, BFH/NV 1998, 11). Der Hinweis, sie sei zur Übernahme der Geschäftsführung der T GmbH „gezwungen“ gewesen, um den (angemessenen) Unterhalt ihrer Familie zu sichern, genügt hierzu – und auch sonst zur Exkulpation – erkennbar nicht. Der Beklagte verweist insoweit zutreffend darauf, dass die Möglichkeit, den familiären Lebensunterhalt zu sichern, auch anderweitig möglich gewesen sei. Die Aufrechterhaltung eines bestimmten Lebensstandards kann jedenfalls nicht durch die Täuschung des Rechtsverkehrs über die tatsächlichen Verhältnisse in der T GmbH erreicht werden. Das liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Ob die Klägerin, wie sie zuletzt – ohne nähere Substantiierung – behauptet hat, geschäftlich hinreichend versiert gewesen wäre, ist bei dieser Sachlage nicht mehr von Bedeutung.Randnummer38

Hieraus ergibt sich unmittelbar, dass sich die Klägerin nicht damit entlasten kann, dass sie berechtigt gewesen sei, einen (faktischen) Geschäftsführer einzusetzen und dass dessen Verschulden ihr nicht zugerechnet werden könne. Es kommt dabei auch nicht darauf an, dass, wie die Klägerin meint, sich ein ihr allenfalls vorzuwerfendes Überwachungsverschulden nicht (kausal) auf die Entstehung des Haftungsschadens ausgewirkt habe. Denn diese Überlegungen verkennen den Charakter des Übernahmeverschuldens (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 08.09.2015 1 K 71/14, ZInsO 2016, 531) und gehen schon im Ausgangspunkt fehl, weil das Übernahmeverschulden der Klägerin – vorgelagert – für sämtliche Vorgänge in der Geschäftsführung kausal geworden ist. Eine Geschäftsführerin, wie die Klägerin, darf die Führung der Geschäfte durch einen anderen nicht dulden (BFH-Beschluss vom 12.10.1999 VII B 54/99, GmbHR 2000, 395). Die Klägerin hat zudem vorsätzlich von vornherein von einer Einflussnahme auf die Geschäftsführung sowie von jedweder Überwachungsmaßnahme abgesehen und gegenüber dem Rechtsverkehr den falschen Eindruck erweckt, dass sie für eine ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte sorge (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 16.02.2006 VII B 122/05, BFH/NV 2006, 1051). Bei einer solchen Sachlage durfte die Klägerin auch nicht auf die ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH durch ihren Ehemann vertrauen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22.07.1997 I B 44/97, BFH/NV 1998, 11; vom 05.03.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325). Denn fehlt es gänzlich an einer Überwachung der (faktischen) Geschäftsführung und wird diese – wie hier – vollständig und vorsätzlich aus der Hand gegeben, muss sich der Geschäftsführer den Vorwurf schweren Verschuldens entgegenhalten lassen; ein Vertrauen in die beauftragte Person entschuldigt nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 25.04.1989 VII S 15/89, BFH/NV 1989, 757; BFH-Urteil vom 10.05.1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72). Danach stellt sich die Frage, ob eine etwaige ordnungsgemäße Überwachung eines faktischen Geschäftsführers die Steuerhinterziehung zutage gefördert hätte, im Fall eines Strohmanns (bzw. einer Strohfrau) schon aus Rechtsgründen nicht, wenn und weil der Geschäftsführer in jedem Fall die ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzt, wenn er Mitarbeitern – oder wie hier sogar dem alleinigen faktischen Geschäftsführer – freie Hand lässt und praktisch seine Aufsichtspflicht weder ausübt noch organisatorische Vorkehrungen für eine geeignete Überwachung trifft (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72, sowie BFH-Beschluss vom 12.05.2009 VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589).Randnummer39

Aber selbst wenn man – entgegen der Einschätzung des Senats – auch in der hiesigen Konstellation einer Strohfrau als Geschäftsführerin und bei Vorliegen eines Übernahmeverschuldens für eine Haftungsinanspruchnahme darüber hinaus noch im Sinne einer (hypothetischen) Kausalität die Effektivität einer gebotenen Überwachungsmaßnahme voraussetzen würde, wie dies bei der Übertragung einzelner Aufgaben, wie insbesondere die Erledigung steuerlicher Pflichten auf Mitarbeiter oder Dritte mitunter gefordert wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30.08.1994 VII R 101/92, BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278; vom 27.11.1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284; anders möglicherweise BFH-Urteil vom 10.05.1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72; BFH-Beschluss vom 31.10.2005 VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246), wäre von einem groben Verschulden der Klägerin auszugehen. Denn ein haftungsbegründendes grob fahrlässiges Verhalten läge auch dann bereits vor, wenn die Überwachungsmaßnahmen, zu deren Vornahme im Einzelfall Anlass bestand, geeignet gewesen wären, die Beanstandungen zu verhindern (vgl. BFH-Urteile vom 27.11.1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284 und vom 30.08.1994 VII R 101/92, BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278; BFH-Beschluss vom 18.08.1999 VII B 106/99, BFH/NV 2000, 541). Welche Überwachungsmaßnahmen im Einzelfall hätten getroffen werden müssen, hängt dabei weitgehend von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. statt vieler BFH-Urteil vom 10.05.1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72). Der Senat hält angesichts dessen darüber hinaus dafür, dass ein nomineller Geschäftsführer, der tatsächlich nicht an der Geschäftsführung teilnimmt, sich umfassend über den Geschäftsgang unterrichten muss, und zwar nicht lediglich in Gestalt von Auskünften der überwachten Person, sondern durch eingehende Einsichtnahme in Vorgänge und Unterlagen (ggf. auch durch Beauftragung fachkundiger, dritter Personen). Er muss nämlich eine Basis dafür schaffen, dass bei normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte gerechnet werden kann. Bereits hieran fehlt es im Streitfall. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Geschäftsführung über hinreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um die Vorgänge in der Gesellschaft nachzuvollziehen. Die Klägerin gibt zuletzt selbst an, „geschäftlich versiert“ gewesen zu sein. Davon abgesehen kann sich auf sein eigenes UnvermögenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
eigenes Unvermögen
Unvermögen
, seinen Aufgaben als Geschäftsführer nachzukommen, niemand berufen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 05.03.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325, vom 07.03.1995 VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941). Hätte die Klägerin indessen pflichtgemäß an der Geschäftsführung teilgenommen und ihren faktischen Geschäftsführer überwacht, indem sie sich selbst mit der erforderlichen Intensität über den Geschäftsgang in der T GmbH im Einzelnen unterrichtet hätte, hätte nach der Überzeugung des Senats die ernsthafte Möglichkeit bestanden, den Sachverhalt betreffend die (Schein-)Rechnungen zur Sprache und Aufklärung zu bringen. Bereits der Umstand, dass die Klägerin hiervon nichts mitbekommen haben will, zeigt die grobe Pflichtwidrigkeit ihres Handelns. Immerhin handelte es sich um Eingangsrechnungen in Höhe von über aaa.bbb €, die – wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben – den normalen Umsatz der T GmbH bei weitem überstiegen. Zudem war immer das gleiche Unternehmen als Zulieferer (F.) betroffen. Unüblich war auch die immer gleiche Abwicklung der Ausgangsumsätze (taggleiche Bargeschäfte). Im Rahmen einer Gesamtschau besteht für den Senat kein Zweifel daran, dass solche Geschäftsvorfälle einer pflichtgemäß handelnden Geschäftsführung bekannt geworden wären. Dies hätte in Ansehung der auch im Rahmen der Betriebsprüfung und der strafrechtlichen Ermittlungen aufgegriffenen Indizien (Gestaltung der Rechnungen, reine Barabwicklung etc.) zu einer Aufklärung führen können. Dass es hierdurch zwingend zur Entdeckung gekommen wäre, ist für ein haftungsrelevantes Verschulden im Rahmen des § 69 AO nicht erforderlich; dieses Risiko trägt die Klägerin, die von der Überwachung der Geschäftsführung gänzlich Abstand genommen hat. Denn erforderlich, aber auch ausreichend ist bereits die Eignung der angezeigten Überwachungsmaßnahmen für die Entdeckung der Unregelmäßigkeiten. Die Klägerin kann insoweit auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass auch die steuerliche Beratung der T GmbH die Scheinrechnungen nicht als solche erkannt habe und die (Finanz-)Behörden von der Umsatzsteuerhinterziehung erst, wie die Kläger meint, zufällig und durch eingehende Ermittlungen Kenntnis erlangt haben. Anders als ein Geschäftsführer haben diese hingegen keinen unbeschränkten „Inneneinblick“ in den praktischen Ablauf der täglichen Geschäfte, der hier für die Steuerhinterziehung ursächlich war und zu deren Überwachung die Klägerin gerade verpflichtet war.Randnummer40

Die Klägerin kann sich bei diesem Verschuldensvorwurf aus mehreren Gründen schließlich auch nicht damit entlasten, die T GmbH habe für steuerliche Belange einen Steuerberater eingeschaltet, wie es einer pflichtgemäßen Geschäftsführung entspreche (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 30.08.1994 VII R 101/92, BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278). Die Beauftragung eines Steuerberaters reicht für sich besehen ferner zur Entschuldigung auch nicht aus, weil ein Geschäftsführer dafür sorgen muss, dass der Steuerberater auch tatsächlich tätig wird (vgl. BFH-Beschluss vom 26.07.1994 VII B 142/92, juris). Bereits dies kann die Klägerin, die an der Geschäftsführung tatsächlich nicht teilgenommen hat, nicht für sich in Anspruch nehmen. Darüber hinaus betrifft der Vorwurf des Übernahmeverschuldens aber bereits die vorgelagerte Übernahme des Geschäftsführeramtes als solche. An der tatsächlichen Geschäftsführung, zu der auch die Beauftragung eines Steuerberaters gehört, hat die Klägerin nicht teilgenommen. Wiederum abgesehen davon wird die konkrete Haftungsursache im Streitfall nicht durch die Steuerberatung, sondern, wie dargelegt, durch den von der Klägerin eingesetzten und geduldeten faktischen Geschäftsführer gesetzt. Diese Ursache liegt hier im Kern auch nicht in umsatzsteuerspezifischen Einzelheiten, derentwegen ein Steuerberater die Alleinverantwortung tragen würde. Vielmehr betrifft er die tatsächlichen Grundlagen des Geschäfts der T GmbH und die Handlungen des faktischen Geschäftsführers, der die inkriminierten Scheinrechnungen erstellt hat, die wiederum Eingang in die umsatzsteuerlichen Erklärungen der T GmbH gefunden haben. Auch das ist kein Umstand, durch den sich die Klägerin durch die Einschaltung eines Steuerberaters entlasten könnte.Randnummer41

e) Der Beklagte geht bei der Haftungsinanspruchnahme auch zutreffend und in richtiger Höhe von einem kausalen Haftungsschaden aus.Randnummer42

aa) Im Fall eines unberechtigten Vorsteuerabzugs besteht der Schaden in der Begründung eines Umsatzsteuervergütungsanspruchs, der im Ergebnis zu einer entsprechenden Minderung der Steuerschuld und zu einem nicht angemeldeten nominalen Steuerbetrag führt (vgl. BFH-Beschluss vom 12.09.2014 VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161). Zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt muss ein Verursachungszusammenhang in dem Sinne bestehen, dass der Haftungsschaden ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100 m. w. N.). Zur Begründung der Kausalität bedarf es auch der Feststellung, ob der Steuerschuldner, nachdem die Steuer entstanden war, überhaupt in der Lage gewesen war, diese zu bezahlen, ihm mithin ausreichende Mittel zur Verfügung standen (BFH-Urteil vom 06.03.2001 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100).Randnummer43

bb) Der zuletzt noch vom Beklagten angesetzte Gesamthaftungsbetrag von zz.zzz € ist nicht zu beanstanden.Randnummer44

Aus der Umsatzsteuer 2010 verbleibt insoweit ein haftungsbefangener Rückstand in Höhe von rr.rrr €. Der ursprüngliche Verkürzungsbetrag bei der Umsatzsteuer der T GmbH für das Jahr 2010 in Höhe von bb.bbb € ist im Ausgangspunkt nicht streitig und durch das Finanzgericht Münster im Urteil vom 05.12.2019 5 K 247/16 U sowie durch das Landgericht I-Stadt im Urteil vom 18.03.2020 (xx KLs-x Js xxx/18) festgestellt. Dies bedarf keiner weiteren Erörterung. Der Haftungsbescheid bezog hiervon zunächst einen Betrag in Höhe von xy.xyx € ein und die Einspruchsentscheidung berücksichtigt zutreffend die Zahlung auf die Umsatzsteuerschuld der T GmbH in Höhe von xbxb €.Randnummer45

Die Haftung erstreckt sich daneben – rechtlich zulässig – auf die angefallenen Zinsen (§ 233 AO), und zwar in Höhe von zzzz € (Zinslauf bis 05.05.2014), der bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung unverändert blieb. Fehler in diesem Bereich sind weder geltend gemacht noch drängen sich solche auf. Fragen der Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes sind für den hier in Rede stehenden Verzinsungszeitraum nicht aufgeworfen; der Zinsanspruch wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282), nicht berührt. Danach ist die Vollverzinsung nach § 233a AO zwar ab 2014 als verfassungswidrig anzusehen, die alte Rechtslage bleibt aber bis zum Jahr 2018 weiterhin anwendbar. Dies gilt auch für eine Haftungsinanspruchnahme.Randnummer46

cc) Die (schuldhafte) Pflichtverletzung in Gestalt der unzutreffenden Umsatzsteuererklärungen bzw. -voranmeldungen ist für den Haftungsschaden ersichtlich auch ursächlich gewesen, da sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Steuerschaden entfiele. Der Beklagte hat die Haftung der Klägerin insbesondere zu Recht nicht der Höhe nach aufgrund des Grundsatzes der anteiligen Tilgung beschränkt. Substantielle Einwände hat die Klägerin hierzu nicht vorgebracht und sind für den Senat auch nicht ersichtlich, zumal es bei der Umsatzsteuer für die Frage des Vorhandenseins der für die Tilgung der Steuerrückstände erforderlichen Liquidität nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses von Nachforderungsbescheiden, sondern auf denjenigen der Fälligkeiten der Steuerschulden, hier der nicht ordnungsgemäß erbrachten Umsatzsteuervorauszahlungen ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 07.05.1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210).Randnummer47

3. Ein Ermessensfehler bei der Haftungsinanspruchnahme ist nicht erkennbar.Randnummer48

Nach § 102 Satz 1 FGO ist die gerichtliche Prüfung einer finanzbehördlichen Ermessensentscheidung darauf beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind (sog. Ermessensüberschreitung), ob das Finanzamt von seinem Ermessen in einer dem Zweck der (Ermessens-)Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (sog. Ermessensfehlgebrauch) bzw. ein ihm zustehendes Ermessen nicht ausgeübt hat (sog. Ermessensunterschreitung) oder ob die Behörde die verfassungsrechtlichen Schranken der Ermessensbetätigung, insbesondere also den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz missachtet hat (z.B. BFH-Urteil vom 24.04.2014 IV R 25/11, BFHE 245, 499, BStBl II 2014, 819). Kommen mehrere Haftungsschuldner in Betracht, genügt es, dies zu erkennen zu geben und die Inanspruchnahme des oder der weiteren Haftungsschuldner zu erwägen (vgl. BFH-Urteil vom 11.03.2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579). Maßgebend für die gerichtliche Überprüfung einer Ermessensentscheidung sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letztinstanzlichen Verwaltungsentscheidung, hier der Einspruchsentscheidung (BFH-Urteil vom 22.05.2001 VII R 79/00).Randnummer49

Nach diesen Maßgaben ist die Haftungsinanspruchnahme nicht zu beanstanden. Der Beklagte geht bei seiner Entscheidung vom zutreffenden Sachverhalt aus und hat sowohl zum Entschließungs- als auch zum Auswahlermessen nachvollziehbare Ausführungen gemacht. Er hat insbesondere auch die Inanspruchnahme des faktischen Geschäftsführers berücksichtigt. Gegen diese Erwägungen gibt es nichts zu erinnern. Es handelt sich um ein mögliches, mithin rechtmäßiges Ergebnis der Ermessensausübung; das Gericht ist nicht befugt, eigenes Ermessen anstelle des Ermessens der Finanzverwaltung auszuüben.Randnummer50

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nach Maßgabe des § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen. Hieran ändert die beim BFH anhängige Revision zum Aktenzeichen VII R 23/19 nichts. Anlass der Entscheidung des 12. Senats im zugrunde liegenden Urteil vom 30.04.2019 12 K 620/15 (EFG 2019, 1257) die Revision zuzulassen, war die Höhe des auf 6 % festgelegten Zinssatzes (§ 238 AO). Die in der Entscheidung des 12. Senats die Haftung begründenden Fragen sind in der Rechtsprechung des BFH geklärt und werden hier auf den Einzelfall angewendet.

Schlagworte: AO § 69, faktischer Geschäftsführer, Geschäftsführerhaftung, Geschäftsführerhaftung bei GmbH, Geschäftsführerhaftung GmbH, GmbH-Geschäftsführerhaftung, Grundsätze über die faktische Organstellung, Haftung des Geschäftsführers, Haftung Geschäftsführer

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LG Essen, Urteil vom 11.08.2022 – 6 O 83/22 

Donnerstag, 11. August 2022

Gesellschafterliste

§ 16 Abs 2 GmbHG, § 21 GmbHG, § 22 Abs 1 GmbHG, § 24 GmbHG   

Für die nicht erfüllte Einlageverpflichtung eines ausgeschlossenen Gesellschafters haftet gegenüber der Gesellschaft auch der letzte sowie jeder frühere Rechtsvorgänger des ausgeschlossenen Gesellschafters, der im Verhältnis zur Gesellschaft als Inhaber des Geschäftsanteils gilt.

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.02.2021 sowie 29,90 Euro außergerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.07.2022 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte zu 40 % und der Kläger zu 60 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Es bleibt dem Kläger nachgelassen, die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Entscheidungsgründe

Schlagworte: Angaben in der Gesellschafterliste, Bareinlage, Bareinlagen, Befugnis zur Einreichung der Gesellschafterliste, Bei inhaltlichen Fehlern der Gesellschafterliste, Einforderung der restlichen Stammeinlage, Einlage, Einlagegegenstand, Einreichung einer neuen Gesellschafterliste zur Aufnahme in das Handelsregister, Einreichungspflicht einer geänderten Gesellschafterliste durch Geschäftsführer, Einstweiliger Rechtsschutz und Gesellschafterliste, Formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG, Gesellschafterliste, Gesellschafterliste bei Ausschlussvorgängen, Gesellschafterliste bei Übertragungsvorgängen, Gesellschafterliste Verpflichtung zur Leistung der Einlage, Gesellschafterlisten, GmbhG § 16, GmbhG § 16 Abs. 1, GmbHG 16, Korrektur der Gesellschafterliste, Legitimationswirkung der Gesellschafterliste, Liste der Gesellschafter, Nach Veröffentlichung der geänderten Gesellschafterliste im Handelsregister – Listenkorrektur, negative Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, Rechtsscheinwirkung der Gesellschafterliste, Sämtliche Gesellschafter im Sinne des § 16 Abs. 1 GmbHG

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LG Hannover, Urteil vom 16.08.2022 – 32 O 116/22 

Mittwoch, 3. August 2022

Abberufung Geschäftsführer einstweilige Verfügung Verfügungsanspruch und -grund

§ 940 ZPO, § 46 Nr 8 GmbHG

1. Ein Geschäftsführer kann gegen seine Abberufung vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen und den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragen, die es ihm ermöglicht, zeitlich oder sachlich beschränkt, seine Tätigkeit als Geschäftsführer bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache fortzuführen.

2. Gesellschaft und deren Geschäftspartner benötigen Klarheit, ob der Geschäftsführer (als Verfügungskläger) bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin die Geschäfte der Gesellschaft führen und diese vertreten kann.

3. Abberufungsbeschluss eines Geschäftsführers und Bestellung eines Notgeschäftsführers haben Dauerwirkung. Eine dadurch bewirkte zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung ist unwirksam, wenn der Beschluss nicht gleichzeitig in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wird.

Tenor

1. Dem Verfügungskläger wird einstweilen gestattet, das Amt des Geschäftsführers weiterhin auszuüben. Diese Entscheidung gilt bis zur Entscheidung in der Hauptsache über die Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung der Verfügungsbeklagten vom 25. Juli 2022 (Rechtsstreit 32 O XXX/XX Landgericht Hannover), es sei denn, der Aufsichtsrat der Verfügungsbeklagten beschließt zwischenzeitlich die Abberufung des Verfügungsklägers als Geschäftsführer oder die Gesellschafterversammlung zieht die Zuständigkeit für die Abberufung durch Änderung des Gesellschaftsvertrags an sich und beschließt ihrerseits erneut die Abberufung des Verfügungsklägers.

2. Der Verfügungsbeklagten wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, bis zur Entscheidung in der Hauptsache über die Wirksamkeit des in Ziffer 1 genannten Abberufungsbeschlusses auf der Grundlage jenes Beschlusses Handlungen vorzunehmen, die darauf gerichtet sind, dass im Handelsregister eingetragen wird, der Verfügungskläger sei nicht mehr Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten.

3. Die Kosten des Verfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.

Tatbestand

Der Verfügungskläger begehrt einstweiligen Rechtsschutz im Zusammenhang mit einem – seiner Ansicht nach unwirksamen – Beschluss der Gesellschafterversammlung über seine Abberufung als Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten.Randnummer2

Die Verfügungsbeklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
. Ihr alleiniger Gesellschafter ist der Verein XXX (nachfolgend kurz: Verein). Zu den Organen der Verfügungsbeklagten gehört ein Aufsichtsrat mit vier Mitgliedern.Randnummer3

Gemäß § 6 des – auch als Satzung bezeichneten – Gesellschaftsvertrags der Verfügungsbeklagten (Fassung Stand 18.10.2006: Anlage ASt 6, Anlagenband ASt.) hat die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer. Derzeit ist im Handelsregister als (alleiniger) Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten der Verfügungskläger eingetragen [4]. Der Verfügungskläger war bis zu seiner Abwahl im Jahr 2019 auch Vorstand des Vereins.Randnummer4

Die Verfügungsbeklagte ist die persönlich haftende Gesellschafterin der XXX (nachfolgend kurz: KGaA). Die KGaA wiederum unterhält die am XXX/XXX-Ligabetrieb teilnehmende XXXmannschaft „XXX“. Kommanditaktionärin der KGaA ist die XXX (nachfolgend kurz: XXX KG). Zu den Organen der KGaA gehört ein Aufsichtsrat, dessen Mitglieder überwiegend von der Hauptversammlung der KGaA mit einfacher Mehrheit bestimmt werden.Randnummer5

In § 7 des Gesellschaftsvertrags der Verfügungsbeklagten ist festgelegt, dass Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer dem Aufsichtsrat der Verfügungsbeklagten obliegen. Gemäß § 10 der Satzungüberwacht [der Aufsichtsrat] die Geschäftsführung und nimmt die sonstigen ihm nach Gesetz und Satzung obliegenden Aufgaben wahr“. Von den vier Mitgliedern des Aufsichtsrats werden zwei vom Verein entsandt; die beiden weiteren Mitglieder des Aufsichtsrats der Verfügungsbeklagten bestimmt der Aufsichtsrat der KGaA (§ 8 der Satzung).Randnummer6

Im Jahr 2019 schlossen der Verein, die KGaA und die S&S KG einen als „XXX-Vertrag“ bezeichneten Vertrag (Anlage ASt 4). Durch den XXX-Vertrag hat sich der Verein verpflichtet, die Satzung der Verfügungsbeklagten nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der XXX KG zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen. Es ist ausdrücklich angegeben, dass dies insbesondere für die „Funktion“ des Aufsichtsrats, den oder die Geschäftsführer zu bestellen, gelte.Randnummer7

Zudem trafen der Verein und die XXX KG am 23. August 2019 eine Fördervereinbarung (Anlage ASt 5). Sie enthält die Zusage der XXX KG, zur Unterstützung des Breitensports jährlich € 300.000,00 zu spenden.Randnummer8

Zu einem nicht näher angegebenen Zeitpunkt lud der Verfügungskläger den Verein als alleinigen Gesellschafter der Verfügungsbeklagten zur Durchführung einer Gesellschafterversammlung. Den Zeitpunkt der Versammlung legte er dabei auf den 27. Juli 2022.Randnummer9

Zwei Tage vor dem vom Geschäftsführer bestimmten Termin, am 25. Juli 2022, suchten Mitglieder des Vorstands des Vereins einen Notar auf. Der durch die Vorstandsmitglieder vertretene Verein hielt unter Verzicht auf Einhaltung der Form- und Fristvorschriften eine notariell protokollierte (Anlage ASt 9) außerordentliche Gesellschafterversammlung ab. Als alleiniger Gesellschafter der Verfügungsbeklagten fasste der Verein den Beschluss, den Verfügungskläger „mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund im Wege eines satzungsdurchbrechenden Beschlusses als Geschäftsführer der [Verfügungsbeklagten] ab[zu]berufen“.Randnummer10

Am 27. Juli 2022 fand dann die zuvor vom Verfügungskläger einberufene ordentliche GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafterversammlung
ordentliche Gesellschafterversammlung
der Verfügungsbeklagten statt. Zu Beginn jener Versammlung wusste der Verfügungskläger noch nicht, dass der Verein bereits zwei Tage zuvor eine außerordentliche Gesellschafterversammlung abgehalten und einen Beschluss mit dem Inhalt der sofortigen Abberufung gefasst hatte. Der (vom Verein in den Aufsichtsrat der Verfügungsbeklagten entsandte) Aufsichtsratsvorsitzende XXX schlug dem Verfügungskläger zunächst vor, das Amt als Geschäftsführer mit Wirkung zum 31.12.2022 niederzulegen. (Erst) als der Verfügungskläger jenem Vorschlag nicht zustimmte, übergab Rechtsanwalt XXX als Bevollmächtigter des Vereins dem Verfügungskläger das Protokoll der Versammlung vom 25. Juli 2022.Randnummer11

Der Verfügungskläger meint unter Hinweis auf § 7 des Gesellschaftsvertrags, der Abberufungsbeschluss vom 25.07.2022 sei unwirksam, da allein der Aufsichtsrat die Bestellung und die Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung des Geschäftsführers
vornehmen könne, nicht aber die Gesellschafterversammlung. Zudem verstoße der Verein als alleiniger Gesellschafter der GmbH gegen den XXX-Vertrag vom 23. August 2019.Randnummer12

Der Beschluss sei kein zulässiger satzungsdurchbrechender BeschlussBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschluss
satzungsdurchbrechender Beschluss
im Sinne der Rechtsprechung, da er nicht lediglich punktuell (einmalig für den Einzelfall), sondern strukturell in die Gesellschaft eingreife. Ein „zustandsbegründender“ Beschluss erfordere die Einhaltung der für eine Satzungsänderung erforderlichen Formvorschriften, was vorliegend nicht gegeben sei. Der Beschluss habe eine dauerhafte, zustandsbegründende Änderung des Gesellschaftsvertrags zur Folge, denn im Aufsichtsrat herrsche ein „Pattsituation“, was auch dadurch deutlich werde, dass noch kein neuer Geschäftsführer bestellt worden sei. Die Bestellung eines neuen Geschäftsführers durch Organe der Gesellschaft bedürfe, da der Aufsichtsrat uneinig sei, einer weiteren Satzungsdurchbrechung seitens des Vereins.Randnummer13

Einer Satzungsänderung durch den Verein wiederum stehe der XXX-Vertrag entgegen.Randnummer14

Soweit es dem Verein zufolge für die Abberufung einen wichtigen Grund gegeben haben soll, was jedoch nicht zutreffe, und soweit im Abberufungsbeschluss angedeutet sei, dass er, der Verfügungskläger, Weisungen des Vereins nicht beachtet habe, gehe der Vorwurf schon deshalb ins Leere, weil nicht der Verein als Gesellschafter, sondern nur der Aufsichtsrat berechtigt sei, dem Geschäftsführer Weisungen zu erteilen. Ein Weisungsrecht des alleinigen Gesellschafters würde, so der Verfügungskläger, dem Aufgabenkreis des Aufsichtsrats, den Geschäftsführer zu bestellen, dessen Geschäftsführung zu überwachen und ihn abzuberufen, zuwiderlaufen.Randnummer15

Der Verfügungskläger beantragt,Randnummer16

1. dem Verfügungskläger zu gestatten, das Amts des Geschäftsführers einstweilen, bis zur Entscheidung in der Hauptsache über die Wirksamkeit des Beschlusses der Gesellschafterversammlung der Verfügungsbeklagten vom 25. Juli 2022 über die Abberufung des Verfügungsklägers als Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten, weiterhin auszuüben.Randnummer17

2. der Verfügungsbeklagten es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu untersagen, Anmeldungen zum Handelsregister weiter zu betreiben, die die Löschung des Antragsstellers als Geschäftsführer der Antragsgegnerin zum Gegenstand haben.Randnummer18

Die Verfügungsbeklagte beantragt,Randnummer19

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.Randnummer20

Sie macht unter Hinweis auf § 37 Abs. 1 GmbHG sowie auf § 6 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags geltend, der Verein habe gegenüber dem jeweiligen Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten – hier also gegenüber dem Verfügungskläger – ein Weisungsrecht. Das Weisungsrecht werde weder durch Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag noch durch den XXX-Vertrag verdrängt. Zu bedenken sei dabei, dass im Fall der gesellschaftsrechtlichen Ausgliederung der Profiabteilung der sog. Mutterverein nach den verbandsrechtlichen Bestimmungen des XXX e.V., zu denen die 50+1-Regel gehöre, ein uneingeschränktes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung haben müsse.Randnummer21

Die Verfügungsbeklagte behauptet, der Verfügungskläger habe im Zusammenhang mit Personalentscheidungen gegen am 1. Juni 2021 und am 7. Juni 2021 erteilte Weisungen des Vereins verstoßen. Sie meint, es habe deshalb ein wichtiger Grund für seine Abberufung vorgelegen. In einem solchen Fall stehe der Gesellschafterversammlung, hier also dem Verein, eine Abberufungskompetenz unabhängig von der im Gesellschaftsvertrag festgelegten Kompetenzverteilung zu.Randnummer22

Unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes sei der Abberufungsbeschluss vom 25. Juli 2022 aber auch deshalb wirksam, weil es sich bei der Beschlussfassung vom 25. Juli 2022 um einen einmaligen Vorgang gehandelt habe. Es liege ein lediglich punktuell satzungsdurchbrechender BeschlussBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschluss
satzungsdurchbrechender Beschluss
vor. Der Beschluss sei wirksam, zumal er – insoweit unstreitig – notariell beurkundet wurde.Randnummer23

Die Satzungsdurchbrechung sei nicht als zustandsbegründend einzustufen. Der Aufsichtsrat der Verfügungsbeklagten sei weiterhin befugt, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen. Bei entsprechender Einigkeit hätte er dies bereits tun können. Ob der Aufsichtsrat dafür aktuell eine Mehrheit findet, sei unerheblich. Die Einstufung des Abberufungsbeschlusses als punktuell oder zustandsbegründend könne nicht davon abhängen, wie sich andere Organe der Gesellschaft später verhalten.Randnummer24

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vortrag der Parteien wird auf ihre vorbereitenden anwaltlichen Schriftsätze Bezug genommen. Die Verfügungsbeklagte hat dabei ihrerseits auf die im Namen des Vereins eingereichte Schutzschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Diese Entscheidung ergeht weder im Wege des Versäumnisurteils (§ 331 ZPO), noch als Entscheidung nach Lage der Akten im Sinne von § 331a ZPO, sondern durch Schlussurteil. Die Verfügungsbeklagte ist durch die für sie in der mündlichen Verhandlung auftretende Rechtsanwaltsgesellschaft XXX anwaltlich vertreten. Die Rechtsanwaltsgesellschaft ist wirksam als Verfahrensbevollmächtigte bestellt worden, obgleich Herr XXX bei der Auftragserteilung nicht im Namen des Aufsichtsrats gehandelt hat, sondern als vom alleinigen Gesellschafter bestimmter besonderer Vertreter.Randnummer26

1. Die Kammer lässt offen, ob die Verfügungsbeklagte im Zeitpunkt des Eingangs der Antragsschrift bei Gericht und im Zeitpunkt der Zustellung der Antragsschrift nebst Terminladung durch ihren Aufsichtsrat vertreten wurde.Randnummer27

Sollte das zu bejahen sein, wozu die Kammer neigt, folgt das allerdings nicht unmittelbar aus § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 112 AktG, denn nach § 8 Abs. 6 der Satzung finden die in § 52 GmbHG angegebenen Vorschriften des AktG (zu denen § 112 AktG gehört) auf den Aufsichtsrat nur insoweit Anwendung, als sie im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich aufgeführt sind. Eine § 112 AktG entsprechende Regelung enthält der Gesellschaftsvertrag jedoch nicht.Randnummer28

Die Satzung der Verfügungsbeklagten dürfte aber unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs (Annexkompetenz) gleichwohl dahingehend auszulegen sein, dass die Gesellschaft in die Geschäftsführung betreffenden Angelegenheiten von ihrem Aufsichtsrat jedenfalls solange vertreten wird, wie die Gesellschafterversammlung nichts Abweichendes beschlossen hat.Randnummer29

2. Eine abschließende Entscheidung zu diesem Punkt ist entbehrlich. Denn seit der Bestellung des Herrn XXX als besonderen Vertreter im Sinne des § 46 Nr. 8 GmbHG wird die Verfügungsbeklagte jetzt durch ihn vertreten, so dass er bestimmen konnte, welche Rechtsanwälte die Verfügungsbeklagte vertreten. Er nimmt insoweit – für das vorliegende Verfahren – den Platz des gesetzlichen Vertreters ein. Auf die Formulierung im Beschluss der Gesellschafterversammlung kommt es dabei nicht an. Mag die Formulierung auch missverständlich sein, ist dem Beschluss deutlich zu entnehmen, dass Herr XXX besonderer Vertreter der Verfügungsbeklagten im vorliegenden Verfahren sein soll.Randnummer30

Der Gesellschafterbeschluss über die Bestellung eines besonderen Vertreters ist wirksam. § 46 Nr. 8 Halbsatz 2 GmbHG ist durch die Satzung bei verständiger Auslegung des Gesellschaftsvertrags jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn aus Sicht eines verständigen Beobachters anzunehmen ist, dass der Aufsichtsrat selbst außerstande ist, im Rahmen der Vertretung gebotene Entscheidungen – beispielsweise zu den Fragen, wer als anwaltlicher Verfahrensbevollmächtigter beauftragt werden soll und welches Ziel angestrebt wird – zu fällen. Ob die Gesellschafterversammlung darüber hinaus stets einen besonderen Vertreter bestimmen darf, kann hier offenbleiben.Randnummer31

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet. Soweit die Urteilsformel vom Wortlaut des Klageantrags abweicht, ist darin keine Teilabweisung des Antrags zu sehen, sondern nur eine dem Willen des Verfügungsklägers entsprechende Klarstellung des Wirkungszeitraums.Randnummer32

1. Der Antrag des Verfügungsklägers ist zulässig.Randnummer33

Der Verfügungskläger begehrt in einem Hauptsacheverfahren (LG Hannover, 32 O XXX/XX) die Feststellung, dass ein Abberufungsbeschluss der Gesellschafterversammlung nichtig ist. Für die Zeit bis zum Abschluss jenes Verfahrens besteht ein Rechtsschutzbedürfnis (auch) des Verfügungsklägers. Es erstreckt sich zum einen auf die Frage, ob er einstweilen weiterhin befugt ist, als Geschäftsführer zu handeln. Zum anderen hat er ein rechtliches Interesse, dass eine seiner Ansicht nach unwirksame Abberufung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht in das Handelsregister eingetragen wird.Randnummer34

2. Der Antrag ist auch begründet.Randnummer35

a) Der Verfügungskläger ist antragsbefugt. Ein Geschäftsführer kann gegen seine Abberufung vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen und den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragen, die es ihm ermöglicht, zeitlich oder sachlich beschränkt, seine Tätigkeit als Geschäftsführer bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache fortzuführen (OLG Celle, 01.04.1981 – 9 U 195/80, juris-OS 2, GmbHR 1981, 264).Randnummer36

b) Der Abberufungsbeschluss der Gesellschafterversammlung vom 25. Juli 2022 ist nichtig.Randnummer37

(1) Ein unter § 241 AktG fallender Nichtigkeitsgrund ist vorliegend allerdings nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht. Ob und in welchem Umfang § 241 Nr. 1 AktG auf Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH entsprechend Anwendung findet, bedarf somit keiner Entscheidung.Randnummer38

(2) Offenbleiben kann auch, ob der Abberufungsbeschluss vom 25. Juli 2022 deshalb nichtig ist, weil das Verhalten des Vorstands des alleinigen Gesellschafters unmittelbar nach der Beschlussfassung im Widerspruch zum Inhalt des Beschlusses steht, so dass sich die Frage stellt, ob dem Beschluss im Zeitpunkt der Beschlussfassung überhaupt ein Rechtsbindungswille zugrunde gelegen hat. Es könnte sich um einen Scheinbeschluss handeln. Denn obgleich die Abberufung des Verfügungsklägers dem Wortlaut des Beschlusses zufolge „mit sofortiger Wirkung“ erfolgen sollte, ist der Beschluss dem Verfügungskläger nicht unverzüglich bekanntgegeben worden. Vielmehr hat der Verein den Verfügungskläger am Folgetag und noch zu Beginn der ordentlichen Mitgliederversammlung so behandelt, als sei die Abberufung nicht beschlossen worden, und hat eine Vereinbarung angestrebt, nach der der Verfügungskläger noch bis zum Jahresende hätte Geschäftsführer bleiben können. Erst als er auf der Gesellschafterversammlung am 27. Juli 2022 eine einvernehmliche Beendigung der Geschäftsführertätigkeit ablehnte, wurde ihm der Beschluss bekanntgegeben.Randnummer39

(3) Der Abberufungsbeschluss ist – ausgehend vom Sachvortrag der Parteien im vorliegenden Verfahren – jedenfalls deshalb nichtig, weil er von der Gesellschafterversammlung getroffen wurde, ohne dass er nach dem Willen des Vereins zugleich als Änderung des Gesellschaftsvertrags behandelt werden sollte.Randnummer40

Soweit die Verfügungsbeklagte die Ansicht vertritt, es handele sich um eine bloße punktuelle Satzungsdurchbrechung, vermag die Kammer dem nicht zu folgen.Randnummer41

(a) „Punktuelle Satzungsdurchbrechungen“ sind solche, deren Wirkung sich in der betreffenden Maßnahme erschöpft; sie sind – sofern kein Nichtigkeitsgrund analog § 241 AktG vorliegt – nicht nichtig, sondern allenfalls anfechtbar (vgl. BGH, 25.11.2002 – II ZR 69/01, juris-Rn. 16). Das Anfechtungsrecht steht dann solchen Mitgesellschaftern zu, die gegen die Maßnahme gestimmt oder an der Versammlung nicht teilgenommen haben.Randnummer42

(b) Hier erschöpft sich die Wirkung der Abberufung des Verfügungsklägers aber nicht auf die Maßnahme vom 25. Juli 2022. Der Abberufungsbeschluss hat insoweit weitergehende satzungsrelevante Auswirkungen, als er die Bestellung eines oder mehrerer neuer Geschäftsführer erforderlich macht. Der dazu berufene Aufsichtsrat setzt sich nach dem glaubhaften Vortrag des Verfügungsklägers aus zwei gleichgewichtigen, widerstreitenden Interessengruppen zusammen. Wegen der sog. „Pattsituation“ ist nicht zu erwarten, dass sich innerhalb des Aufsichtsrats für Entscheidungen, die die Geschäftsführung betreffen, eine Mehrheit findet. Bereits der Umstand, dass sich der Verein gehalten sah, einen Beschluss zu fassen, der in die satzungsmäßige Kompetenz des Aufsichtsrats fällt, spricht für die Richtigkeit des Vortrags des Verfügungsklägers, dass eine einvernehmliche Bestellung eines anderen Geschäftsführers derzeit kaum vorstellbar sei. Sollte anstelle des Aufsichtsrats deshalb die Gesellschafterversammlung einen neuen Geschäftsführer bestellen, ginge dies wiederum mit einer Satzungsdurchbrechung einher. Die Bestellung eines Notgeschäftsführers durch das Amtsgericht (§ 29 BGB analog) wäre gleichermaßen als Satzungsdurchbrechung einzustufen. Unter solchen Umständen kann die mit der Abberufung einhergehende Satzungsdurchbrechung nicht als „punktuell“ angesehen werden. Vielmehr hat der Abberufungsbeschluss eine Dauerwirkung. Eine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung ist unwirksam, wenn der Beschluss nicht gleichzeitig in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wird (vgl. OLG Köln, 24.08.2018 – 4 Wx 4/18, juris-Rn. 15, 17).Randnummer43

Soweit die Verfügungsbeklagte meint, die Wirksamkeit eines Beschlusses könne nicht von späteren Handlungen anderer Organe der Gesellschaft abhängen, ist dem insoweit entgegenzutreten, als satzungsrelevante Folgewirkungen eines Beschlusses durchaus zu berücksichtigen sind, jedenfalls soweit sie im Zeitpunkt der Beschlussfassung – wie hier – als zumindest sehr wahrscheinlich zu erwarten gewesen sind.Randnummer44

(c) Nach Ansicht der Kammer spricht für die Nichtigkeit des AbberufungsbeschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses
auch, dass eine Abberufung durch den alleinigen Gesellschafter dem „Geist“ des Gesellschaftsvertrags in seiner bisherigen Fassung widerspricht. Aus den Bestimmungen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Verfügungsbeklagten (§ 8 des Gesellschaftsvertrags) und damit unmittelbar aus der Satzung selbst folgt, dass Bestellung und Abberufung eines Geschäftsführers nicht gegen den (durch entsprechende Stimmabgabe erklärten) Widerspruch beider vom Verein entsandten Aufsichtsratsmitglieder, aber auch nicht gegen den Widerspruch beider von der KGaA bestimmten Aufsichtsratsmitglieder möglich sein soll. Der Gesellschaftsvertrag enthält keine Klausel, nach der die Stimme des Vorsitzenden des Aufsichtsrats den Ausschlag gibt, wenn es bei einer Abstimmung zu einer sog. Pattsituation kommt. Unter Berücksichtigung des Gegenstands des Unternehmens (Übernahme der persönlichen Haftung, der Vertretung und der Geschäftsführung der KGaA, die ihrerseits die Unterhaltung einer Profimannschaft zur Teilnahme an den Lizenzligen der Bundesliga und der 2. Bundesliga zum Gegenstand hat) kommt der Kompetenzverlagerung in § 7 des Gesellschaftsvertrags eine gesellschaftsrechtlich zentrale Bedeutung zu.Randnummer45

Ob die Kompetenzverteilung im Gesellschaftsvertrag mit der 50+1-Regel der XXX im Einklang steht oder diese verletzt, ist vorliegend nicht entscheidend. Wie auch der XXX-Vertrag, ist die 50+1-Regel gegenüber den sich aus Gesetz und dem Gesellschaftsvertrag ergebenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen nachrangig.Randnummer46

(d) Die Gesellschafterversammlung hat im Rahmen des Abberufungsbeschlusses ausweislich der Formulierung gerade keine Satzungsänderung gewollt. Auch trägt die Verfügungsbeklagte nicht vor, dass der Notar beauftragt worden sei, den Beschluss als satzungsändernden Beschluss dem Registergericht vorzulegen.Randnummer47

(4) Ob für die Abberufung ein wichtiger Grund vorgelegen hat, kann offenbleiben. Die Kammer teilt nicht die Ansicht der Verfügungsbeklagten, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes könne die Gesellschafterversammlung einen Geschäftsführer stets auch dann abberufen, wenn die Satzung die Abberufungszuständigkeit auf ein anderes Organ (hier: Aufsichtsrat) übertragen hat (so aber z.B. Noack/Servatius/Haas, GmbH, 23. Aufl., § 38 Rn. 29 m.w.N. auch zur Gegenmeinung).Randnummer48

Aus § 38 Abs. 2 GmbHG lässt sich eine solche „Sonderkompetenz“ nicht ableiten. Bedeutsam ist an dieser Stelle, dass die Gesellschafter dann, wenn sie die Abberufungskompetenz im Gesellschaftsvertrag einem anderen Gesellschaftsorgan zuweisen, sich zugleich die Zuständigkeit für die Abberufung aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vorbehalten können. Das ist vorliegend nicht geschehen. Einer Gesellschafterversammlung ist es unbenommen, den Gesellschaftsvertrag nachträglich zu ändern. Das spricht gegen eine allgemeine Befugnis der Gesellschafterversammlung, einen Geschäftsführer abweichend von den Reglungen im Gesellschaftervertrag dann abberufen zu können, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Auch an dieser Stelle ist zu berücksichtigen, dass der Verein nur einen Teil der Aufsichtsratsmitglieder benennt und dieser Teil alleine keine Mehrheitsentscheidung treffen kann. Dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder eine gerade Zahl ist, dass die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats im Ergebnis von der Kapitalgeberseite benannt werden und dass beide „Lager“ gleichgewichtig sind, wird kein Zufall sein. Dem der Satzung zu entnehmenden Grundgedanken, dass die Kapitalgeberseite bei der Bestellung und Abberufung von GeschäftsführernBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gleichgewichtig mitbestimmen kann, wird nicht hinreichend Rechnung getragen, wenn dem alleinigen Gesellschafter eine ungeschriebene Kompetenz für die Abberufung aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zugesprochen wird. Es ist Sache der Gesellschaftsversammlung, das in der Satzung verankerte Gleichgewicht durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags zu beenden.Randnummer49

c) Es liegt ein Verfügungsgrund im Sinne des § 940 ZPO vor. Der Verfügungskläger, aber auch die Gesellschaft und deren Geschäftspartner, benötigen Klarheit, ob der Verfügungskläger bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin die Geschäfte der Verfügungsbeklagten führen und diese vertreten kann. Eine mildere Maßnahme zur vorläufigen Regelung der Geschäftsführung und Vertretung der Verfügungsbeklagten ist nicht ersichtlich.Randnummer50

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.Randnummer51

IV. Diese einstweilige Verfügung ist vollstreckbar, ohne dass es eines Ausspruchs in der Urteilsformel bedarf.

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Schlagworte: Abberufung, Abberufung Aufsichtsrat, Abberufung aus wichtigem Grund Abberufung außerhalb des gesetzlichen Sofortvollzugs, Abberufung des Alleingeschäftsführers, Abberufung des Fremdgeschäftsführers Abberufung des Geschäftsführers, Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund, Abberufung des Geschäftsführers zu gesellschaftsvertragswidrigem Zweck; Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, Abberufung des Versammlungsleiters Abberufung des Vorstandsmitglieds, Abberufung durch Aufsichtsrat, Abberufung durch Gesellschafterversammlung, Abberufung durch Minderheitsgesellschafter, Abberufung eines Geschäftsführers in der Zwei-Personen-GmbH, Abberufung Fremdgeschäftsführer, Abberufung Geschäftsführer GmbH, Abberufung in den Fällen des gesetzlichen Sofortvollzugs, Abberufung ohne Grund, Abberufung von der Geschäftsführung Abberufung von Fremdgeschäftsführern, Abberufung von Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer, Abberufung von Organmitgliedern, Abberufung Vorstand Abberufungsbeschluss, Abberufungsgrund, Abberufungsorgan, Ausweitung der Abberufungsmöglichkeiten, Durchführung der Abberufung, einstweilige Verfügung, Einstweiliger Rechtsschutz gegen drohenden Vollzug der Gesellschafterbeschlüsse, Einstweiliger Rechtsschutz gegen Geschäftsführungsmaßnahmen, Einstweiliger Rechtsschutz im Abberufungsstreit, einstweiliger Verfügung zur Sicherung der Geschäftsführerstellung, gravierende Mängel des Abberufungsbeschlusses, Keine Übereinstimmung von wichtiger Grund für Abberufung und für Beendigung des Anstellungsvertrags, Klageverfahren bei Abberufung, meist wechselseitige Anträge auf Abberufung, Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses, ordentliche Abberufung, rechtliche Auswirkungen des Abberufungsbeschlusses, Vorläufiger Rechtsschutz, Wirkungen der Abberufung, zunächst keine Wirkung des Abberufungsbeschlusses

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LG Stuttgart, Urteil vom 02.08.2022 – 31 O 135/21 KfH 

Dienstag, 2. August 2022

§ 16 Abs 4 AktG, § 20 Abs 1 AktG, § 20 Abs 4 AktG, § 20 Abs 7 AktG, § 240 S 1 AktG, § 244 S 1 AktG, Art 103 Abs 1 GG, § 148 Abs 1 ZPO

1. Steht zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung über eine aktienrechtliche Nichtigkeits- und hilfsweise Anfechtungsklage lediglich fest, dass eine weitere Hauptversammlung einberufen wurde, die zu einem Zeitpunkt nach Schluss der mündlichen Verhandlung Bestätigungsbeschlüsse gem. § 244 AktG zu den streitgegenständlichen Beschlüssen fassen soll, so bietet dieser Sachverhalt keinen Anlass und keine tragfähige Grundlage für eine Entscheidung, das entscheidungsreife Verfahren auf Antrag der Gesellschaft gem. § 148 Abs. 1 ZPO wegen „Vorgreiflichkeit“ auszusetzen. In einer solchen Konstellation liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach dieser Norm nicht vor, und auch unter Berücksichtigung aktienrechtlicher Besonderheiten, insbesondere des § 244 AktG, ist die Verfahrensaussetzung nicht obligatorisch.

2. Die Entscheidung über eine Verfahrensaussetzung nach § 148 Abs. 1 ZPO liegt im Ermessen des Gerichts. Ein prozessuales Gebot, das Verfahren über die gegen den Erstbeschluss gerichtete Anfechtungsklage auszusetzen, sobald die Hauptversammlung einen Bestätigungsbeschluss fasst, selbst wenn dieser noch nicht bestandskräftig ist, lässt sich weder dem Normwortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 244 Satz 1 AktG entnehmen. Erst Recht ergibt sich aus § 244 Satz 1 AktG kein prozessuales Gebot, das Verfahren über die gegen den Erstbeschluss gerichtete Anfechtungsklage bereits im Vorgriff auf einen noch nicht einmal gefassten Hauptversammlungsbeschluss auszusetzen. Der bloßen Absicht zur Fassung eines Bestätigungsbeschlusses kommt nach § 244 AktG materiell-rechtlich keine Wirkung zu, erst Recht keine Heilungswirkung. Sie ist schlicht unerheblich. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch Zurückweisung eines gleichwohl gestellten unbegründeten Aussetzungsantrags scheidet in dieser Konstellation aus. Gegenteiliges folgt auch nicht aus BGH, Beschluss vom 11. August 2010 – II ZR 24/10, Rn. 1, juris; BGH, Beschluss vom 1. Februar 2010 – II ZR 262/08, Rn. 1, juris oder BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 – II ZR 253/03, Rn. 4, juris).

3. Für eine Verfahrensaussetzung ist bei aktienrechtlichen Beschlussmängelklagen im Übrigen kein Raum, wenn es bereits zu einer „Kaskade“ von Bestätigungsbeschlüssen gekommen ist, und wenn der Aussetzungsantrag rechtsmissbräuchlich in Verschleppungsabsicht gestellt wird.

4. Auch natürliche Personen können bei direktem oder indirektem Beteiligungserwerb gemäß § 20 Abs. 1, 4 AktG, ggf. in Verbindung mit § 16 Abs. 4 AktG, gegenüber der Gesellschaft zur Mitteilung verpflichtet sein, denn auch sie können die für eine solche Mitteilungspflicht erforderliche Unternehmenseigenschaft besitzen.

5. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Stimmrechtsverlusts nach § 20 Abs. 7 AktG liegt beim klagenden Aktionär. Legt der Aktionär jedoch im Rahmen einer auf die Missachtung eines Stimmrechtsverbots gestützten Anfechtungsklage die Unternehmenseigenschaft einer nach seiner Auffassung meldepflichtigen natürlichen oder juristischen Person substantiiert dar, die unstreitig vor der Beschlussfassung keine Meldung abgegeben hat, so liegt es an der beklagten Aktiengesellschaft, dem Vortrag substantiiert entgegenzutreten, wenn sie behauptet, der Dritte sei nicht meldepflichtig gewesen. Das gilt insbesondere dann, wenn der aus Sicht des Klägers schon vor der Beschlussfassung meldepflichtige Dritte die Stimmrechtsmitteilung an die Gesellschaft später tatsächlich nachgeholt hat und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Dritte erst nach BeschlussfassungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschlussfassung
nach Beschlussfassung
(zum Zeitpunkt der Nachmeldung) zum Unternehmen i.S.d. §§ 20 Abs. 1, 16 Abs. 4 AktG geworden sein könnte.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kläger beantragt, die Nichtigkeit von Beschlüssen festzustellen, die die Hauptversammlung der Beklagten am 31. August 2021 gefasst hat.

II.

Auf den Hilfsantrag des Klägers werden folgende Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 31. August 2021 für nichtig erklärt:

1. Tagesordnungspunkt 2 „Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns“ mit dem Inhalt:

„Der im Jahresabschluss der Gesellschaft zum 31. Dezember 2020 ausgewiesene Bilanzgewinn in Höhe von EUR 96.239.656,54 wird vollständig auf neue Rechnung vorgetragen.“

2. Tagesordnungspunkt 3 „Entlastung der Mitglieder des Vorstands für das Geschäftsjahr 2020“ mit dem Inhalt:

„Den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Vorstands wird für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung erteilt.“

3. Tagesordnungspunkt 4 „Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2020“ mit dem Inhalt:

„Den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats wird für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung erteilt.“

4. Tagesordnungspunkt 6 „Bestätigungsbeschlüsse gemäß § 244 Satz 1 AktG betreffend mehrere von der Hauptversammlung am 27. August 2020 gefasste Beschlüsse“ mit dem Inhalt:

a) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 3 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt:

‚Den im Geschäftsjahr 2019 amtierenden Mitgliedern des Vorstands wird für dieses Geschäftsjahr Entlastung erteilt.‘

wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“

b) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 8 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt:

‚Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der A AG vom 19. Dezember 2019, der mit nachfolgendem Inhalt bekanntgemacht worden ist:

„2. Änderung der Ziffer 8.1 der Satzung der Gesellschaft: Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus 4 Mitgliedern.“

wird aufgehoben.‘

wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“

c) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 9 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt:

‚Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der A AG vom 19. Dezember 2019, der mit nachfolgendem Inhalt bekanntgemacht worden ist:

„3. Wahl zum Aufsichtsrat: Aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt, der der Eintragung der unter TOP 2 beschlossenen Satzungsänderung im Handelsregister unmittelbar nachfolgt, wird Herr B., Unternehmer, in Köln, zum Mitglied des Aufsichtsrats gewählt, und zwar bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung des AufsichtsratsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Entlastung
Entlastung des Aufsichtsrats
für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt. Das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet.“

wird aufgehoben.‘

wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“

d) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 10 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt:

‚Herr N., Diplom-Volkswirt, Brüssel (Belgien), wird zum Mitglied des Aufsichtsrats gewählt, und zwar mit Wirkung ab Beendigung der Hauptversammlung am 27. August 2020 bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung des AufsichtsratsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Entlastung
Entlastung des Aufsichtsrats
für das Geschäftsjahr 2022 beschließt.‘

wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“

III.

Die Beklagte trägt die Gerichtskosten. Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

IV.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.

Streitwert: 200.000 EUR

Tatbestand

Der Kläger geht im Wege der Nichtigkeitsfeststellungsklage und der hilfsweise erhobenen Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 31. August 2021 vor.Randnummer2

Die Beklagte, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in NN., unterliegt als Waffenhersteller dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung. Der Kläger ist an ihr als Aktionär beteiligt.Randnummer3

Das Grundkapital der A. AG beträgt 27.640.920 EUR und ist in 27.640.920 Inhaberaktien eingeteilt. Es existieren verschiedene Sammelurkunden, u.a. fünf Sammelurkunden über jeweils 2.140.110 Aktien und eine Sammelurkunde über 4.300.237 Aktien (Bl. 10 f. d.A.; Anl. K 4).Randnummer4

Ziff. 16.1 der Satzung der Beklagten verlangt für die Beschlussfähigkeit einer ersten Hauptversammlung, dass mehr als die Hälfte des Grundkapitals vertreten sind (Bl. 9 d.A.).Randnummer5

Jedenfalls bei der außerordentlichen Hauptversammlung am 19. Dezember 2019 war der Kläger noch Mehrheitsaktionär der Beklagten. Seit 2015 hatte er jedoch Aktien auf der Grundlage verschiedener Darlehens- und Anteilsverpfändungsverträge an die „C. S.A.“, eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg (nachfolgend C.), verpfändet. Die C. hatte dem Kläger verschiedene Darlehen gewährt.Randnummer6

Ende 2019 erschienen Medienberichte darüber, dass die Gesellschaft angeblich vor dem Verkauf stehe. Am 09. November 2019 veröffentlichte der Kläger bezugnehmend auf diese Medienberichte einen Text, in dem er klarstellte, dass es „bis heute“ keinen Wechsel des Mehrheitsaktionärs gebe. In dem Text heißt es aber auch:Randnummer7

„… 3. Dem Bundesministerium für wirtschaft und Energie liegt ein Antrag einer Mit-Aktionärin vor, weitere Anteile von mir zu erwerben. Wird der Antrag positiv beschieden, würde die Aktionärin über die Aktienmehrheit verfügen.Randnummer8

4. Auch bei positiver Bescheidung durch das Ministerium bliebe ich als Aktionär beteiligt und dem Unternehmen verbunden. Für den Fall, dass dem Antrag nicht stattgegeben wird, bliebe ich weiterhin Mehrheitsaktionär der A AG. …“Randnummer9

Am 19. Dezember 2019 beschloss die Hauptversammlung u.a. die Erhöhung der satzungsmäßigen Zahl der Aufsichtsratsmitglieder auf vier und die aufschiebend bedingte Wahl des Klägers in den Aufsichtsrat. Die C., die mit der beschlossenen Satzungsänderung und Wahl des Klägers in den Aufsichtsrat nicht einverstanden war, und eine weitere Aktionärin erhoben Anfechtungsklage gegen die damaligen Hauptversammlungsbeschlüsse. Die Klagen wurden mit Urteil vom 18. Mai 2021 erstinstanzlich abgewiesen (Landgericht Stuttgart, 31 O 3/20 KfH). Zum Wirksamwerden der Satzungsänderung kam es jedoch in der Folgezeit mangels Handelsregistereintragung nicht.Randnummer10

Mit Schreiben vom 16. Juli 2020, vor der Hauptversammlung 2020, teilten die C. und die D. Kapital Ltd., C. C., Barbados, der Beklagten schriftlich mit, dass ihnen (der C. unmittelbar, der D. Ltd. mittelbar kraft Zurechnung über die C.) mehr als der vierte Teil der Aktien an der Gesellschaft und gleichzeitig eine Mehrheitsbeteiligung gehöre (Anl. K 11 und K 12).Randnummer11

Zwischen dem Kläger und der C. herrscht Streit über die Frage, ob und ggf. wann es zu einer Übertragung des Eigentums an 15.000.787 Aktien auf die C. gekommen ist (vgl. Anl. K 13 – Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 25. Februar 2022 – 2-02 O 213/21 zu weiteren Einzelheiten).Randnummer12

Im Juli 2020 lud der Vorstand der Beklagten zur Hauptversammlung am 27. August 2020 ein. Auf Betreiben der C. wurde die Tagesordnung um mehrere Tagesordnungspunkte ergänzt: u.a. unter TOP 8 um die Aufhebung des bereits erwähnten Beschlusses vom 19. Dezember 2019 über die Satzungsänderung zur Erhöhung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder von drei auf vier, unter TOP 9 um die Aufhebung des Beschlusses vom 19. Dezember 2019 über die Wahl des Klägers in den Aufsichtsrat, sowie unter TOP 10 um die Wahl des Herrn N. in den Aufsichtsrat anstelle des durch Amtsniederlegung ausscheidenden Herrn G.Randnummer13

Eine Minderheitsaktionärin, die M.-GmbH, erhob Anfechtungsklage gegen diese drei laut Niederschrift gefassten Beschlüsse sowie gegen den unter TOP 3 gefassten Beschluss über die Entlastung des Vorstands. Der Kläger des vorliegenden Verfahrens beteiligte sich als Nebenintervenient auf Klägerseite. Streitig war in dem Verfahren u.a., ob die C. vor der Hauptversammlung 2020 einen ordnungsgemäßen Bestandsnachweis erbracht hatte. Das Landgericht wies diese Klage erstinstanzlich durch Urteil vom 31. Mai 2021 (31 O 67/20 KfH) ab. Das von der unterlegenen Minderheitsaktionärin und vom Kläger als Nebenintervenient angestrengte Berufungsverfahren gegen dieses Urteil ist unter 20 U 45/21 beim Oberlandesgericht Stuttgart anhängig, das am 06. April 2022 einen Hinweisbeschluss erlassen und für Herbst 2022 einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hat (Anl. K 14; Bl. 265 d.A.). Die am 27. August 2020 gefassten Aufhebungsbeschlüsse der Hauptversammlung sind noch nicht bestandskräftig.Randnummer14

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Beschlüsse der Hauptversammlung vom 31. August 2021. Auf der Tagesordnung der Hauptversammlung am 31. August 2021 (vgl. Anl. B 1 und B 2) stand u.a. ein Bestätigungsbeschluss, durch den die oben erwähnten, angefochtenen vier Beschlüsse der Hauptversammlung vom 27. August 2020 bestätigt werden sollten (TOP 6 lit. a: Bestätigung des Beschlusses über die Entlastung des Vorstands für 2019; lit. b: Bestätigung des Beschlusses über die Aufhebung der 2019 beschlossenen Satzungsänderung; lit. c: Bestätigung des Beschlusses über die Aufhebung der 2019 aufschiebend bedingt beschlossenen Wahl des Klägers in den Aufsichtsrat; lit. d: Bestätigung des Beschlusses über die Wahl des Herrn N. in den Aufsichtsrat). Unter TOP 2 stand die Gewinnverwendung auf der Tagesordnung (Vortrag des Bilanzgewinns auf neue Rechnung), unter TOP 3 bzw. TOP 4 die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für 2020. Der Kläger meldete sich zur Hauptversammlung mit insgesamt 743.187 Aktien an, die C. mit insgesamt 14.280.902 Aktien (Bl. 34, 94, 164 d.A.), wobei die Ordnungsmäßigkeit der Anmeldung der C. zwischen den Parteien streitig ist (Bl. 165 d.A.).Randnummer15

Der Versammlungsleiter stellte fest, dass das Grundkapital zu 92,23% vertreten und die Hauptversammlung damit beschlussfähig sei (Bl. 95 d.A.). Die Zahl der vom Versammlungsleiter bei jedem Beschluss als gültig behandelten Stimmen betrug jeweils rund 25.493.000 Stimmen (mit kleineren Abweichungen im dreistelligen Bereich). Der Versammlungsleiter stellte fest, dass die Beschlüsse, die Gegenstand der vorliegenden Nichtigkeits- und AnfechtungsklageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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sind, jeweils mit Mehrheit angenommen worden seien (TOP 2 bei 18.899.406 Ja-Stimmen und 6.393.389 Nein-Stimmen; TOP 3 bei 18.899.404 Ja-Stimmen und 6.593.395 Nein-Stimmen; TOP 4 bei 18.899.404 Ja-Stimmen und 6.593.395 Nein-Stimmen; TOP 6 a bei 18.899.232 Ja-Stimmen und 6.593.392 Nein-Stimmen; TOP 6 b, TOP 6 c und TOP 6 d bei jeweils 18.899.212 Ja-Stimmen und 6.593.390 Nein-Stimmen). Der Kläger erklärte Widerspruch zur Niederschrift des Notars gegen die Wirksamkeit der o.g. Beschlüsse. Wegen der Einzelheiten wird auf das Hauptversammlungsprotokoll Bezug genommen (Anl. B 2).Randnummer16

Vor der streitgegenständlichen Hauptversammlung vom 31. August 2021, und zwar wie bereits erwähnt im Sommer 2020, hatten nur die C. sowie die D., C. C., Barbados, Mitteilungen über den Beteiligungserwerb nach § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG gemacht (die D. Ltd. i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG) (Anl. K 11, K 12).Randnummer17

Am 30. September 2021 ging die Nichtigkeits- und AnfechtungsklageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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des Klägers gegen die vorgenannten Beschlüsse der Hauptversammlung vom 31. August 2021 beim Landgericht Stuttgart ein. Die umgehend nach Vorschussanforderung und Mitteilung des Vorschusseingangs (Kostenheft Bl. 3) veranlasste Zustellung der Klage erfolgte am 20. Oktober 2021 (Bl. 79, 84 d.A.).Randnummer18

In der ersten mündlichen Verhandlung am 05. April 2022 wurden die Parteien angehört (Bl. 183 ff. d.A.). Die Kammer verkündete den Beschluss, den vom Kläger in der Klageschrift benannten Zeugen E. im Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 19. Juli 2022 zu vernehmen (Bl. 191 d.A.). Der ordnungsgemäß geladene Zeuge erschien jedoch nicht zum Termin am 19. Juli 2022.Randnummer19

Zwischenzeitlich hatte der Kläger mit Schriftsätzen vom 26. April 2022 und 24. Mai 2022 seinen Vortrag jedoch ergänzt, insbesondere durch Vorlage von Unterlagen im Hinblick auf die Eigenschaft des Zeugen E. als „Unternehmen“ im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG (Bl. 197 ff., 203 ff. d.A.; vgl. auch Bl. 24 d.A.).Randnummer20

Außerdem gaben im Sommer 2022 auch der Zeuge E., der vom Kläger benannte weitere Zeuge F. und die K. Bank Ltd. Stimmrechtsmitteilungen nach § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG (teils i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG) ab, die auf den 08., den 03. bzw. den 14. Juni 2022 datiert sind (Anl. B 18, B 19, B 20). Die Mitteilungen gingen am 23. Juni 2022 bzw. 24. Juni 2022 bei der Beklagten ein (Bl. 251 d.A.). Die Beklagte machte die Mitteilungen am 28. Juni 2022 im Bundesanzeiger bekannt (Bl. 251 d.A.; Anl. B 17) und teilte diesen Sachverhalt schriftsätzlich am 13. Juli 2022 bzw. 14. Juli 2022 (bezüglich des Eingangsdatums, auf Nachfrage) dem Gericht mit (Bl. 251, 255, 259 d.A.).Randnummer21

Im Juni 2022 berief der Vorstand für den 03. August 2022 die ordentliche Hauptversammlung ein und machte die Einberufung am 21. Juni 2022 im Bundesanzeiger bekannt. Die Beklagte legte dies schriftsätzlich am 13. Juli 2022 offen (Bl. 249 d.A.), wenige Tage vor dem bereits im April 2022 anberaumten Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme am 19. Juli 2022. Auf der dem Gericht schriftsätzlich am 13. Juli 2022 mitgeteilten Tagesordnung stehen unter TOP 8 unter anderem Beschlüsse, durch die die im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Beschlüsse vom 31. August 2021 gemäß § 244 AktG bestätigt werden sollen (Anl. B 16). Die Beklagte nahm dies zum Anlass, im Schriftsatz vom 13. Juli 2022 die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen (Bl. 248 ff. d.A.). Der Kläger trat dem Aussetzungsantrag entgegen (Bl. 265 d.A.).Randnummer22

Nach weiterer Anhörung verkündete die Kammer im Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2022 die Aufhebung des Beweisbeschlusses über die Vernehmung des nicht erschienenen Zeugen E. (Bl. 265 d.A.).Randnummer23

Der Kläger trägt vor,Randnummer24

er bestreite mit Nichtwissen, dass sich die C. zur Hauptversammlung 2021 unter Vorlage ordnungsgemäßer Bestandsnachweise angemeldet habe (Bl. 165 d.A.). Er gehe mangels anderweitiger Kenntnis davon aus, dass Frau Dr. Z „auch in diesem Jahr“ (gemeint: 2021) für die C. einen unrichtigen Nachweis über den Besitz von bis zu 15.000.787 Aktien ausgestellt habe, der im Wortlaut der im Verfahren 31 O 67/20 KfH beim Landgericht Stuttgart als Anl. B 7 vorgelegten Bestätigung entspreche (Bl. 8 d.A.). Wahrscheinlich seien von der C. nur 12.860.677 Aktien zur Hauptversammlung angemeldet worden (Bl. 9 d.A.), wie von der Beklagten vorgetragen (Bl. 94 d.A.; vgl. klägerischer Vortrag Bl. 164 f. d.A.). Der Nachweis des angeblichen Aktienbesitzes der C. sei offensichtlich unrichtig gewesen (Bl. 9 d.A.). Wie die Aktienurkunden, die jahrelang im Besitz des französischen Anwalts Y. waren, in den Besitz von Frau Dr. Z. gelangt seien, könne er mangels Kenntnis nicht beurteilen (Bl. 165 d.A.). Die Hauptversammlung sei mangels ordnungsgemäßem Besitznachweis der C. wegen Unterschreitung des Mindestquorums nicht beschlussfähig gewesen (Bl. 9 d.A.).Randnummer25

Wenn die C. entgegen klägerischem Vortrag einen ausreichenden Nachweis über 12.860.677 Aktien erbracht und sich ordnungsgemäß angemeldet habe, dann sei jedenfalls die am 25. August 2020 veröffentlichte Stimmrechtsmitteilung unrichtig, mit der Folge, dass die C. dann kein Stimmrecht gehabt habe und die Hauptversammlungsbeschlüsse dann anfechtbar seien (Bl. 10 d.A.). Nach dem im Rechtsstreit zwischen der C. und ihm ergangenen Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2022 stehe fest, dass die Stimmrechtsmitteilungen der C. und der D. Ltd. vom 16. Juli 2020 (Anl. K 11 und K 12) unrichtig seien (Bl. 164 d.A.). Selbst wenn man der von ihm für unzutreffend gehaltenen Rechtsauffassung des Landgerichts Frankfurt am Main folge, sei die C. frühestens am 11. August 2020 (und nicht schon am 16. Juli 2020) Eigentümerin von 13.102.248 Aktien der Beklagten geworden (Bl. 167 d.A.). Die Stimmrechtsmitteilungen wären dann jedenfalls zu einem falschen Zeitpunkt abgegeben worden; die Nennung eines falschen Datums im Zusammenhang mit der Schwellenberührung bzw. -überschreitung sei ein gravierender Mangel der Stimmrechtsmitteilung. Um ein Stimmrechtsverbot zu vermeiden, hätten zum richtigen Zeitpunkt erneut Stimmrechtsmitteilungen abgegeben werden müssen (Bl. 186, 219 ff. d.A.). Mangels weiterer Stimmrechtsmitteilung der C. unterliege sie nach § 20 Abs. 7 AktG einem Stimmrechtsverbot, das auch bei der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung am 31. August 2021 noch bestanden habe (Bl. 167 d.A.).Randnummer26

Im Übrigen sei der Zeuge E. zu 100% an der D. Ltd. beteiligt und damit mittelbar auch mit 100% an der C. beteiligt. Der Zeuge E. halte die mittelbare Beteiligung an der C. als unternehmerische Beteiligung und nicht nur im Rahmen einer vermögensverwaltenden Tätigkeit (Bl. 23, 25, 37 d.A.). Er habe selbst eine Stimmrechtsmitteilung nach § 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG (i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG) gegenüber der Gesellschaft machen müssen. Die unstreitig unterbliebene Mitteilung führe zu einem konzernweiten Rechtsverlust, so dass die Stimmen der C. zu Unrecht gezählt worden seien, wenn sie (überhaupt) einen wirksamen Nachweis über den Aktienbesitz erbracht habe. Andernfalls fehle es an der Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung (Bl. 38 d.A.).Randnummer27

Wegen weiterer vom Kläger geltend gemachter Beschlussmängel wird auf den schriftsätzlichen Vortrag des Klägers Bezug genommen.Randnummer28

Der Kläger beantragt (Bl. 2, 190 d.A. – dort mit Wortlautkorrektur; Bl. 265 d.A.):Randnummer29

„I. Es wird festgestellt, dass die Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 31. August 2021 zu nachfolgenden Tagesordnungspunkten nichtig sind:Randnummer30

1. Tagesordnungspunkt 2 „Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns“ mit dem Inhalt „Der im Jahresabschluss der Gesellschaft zum 31. Dezember 2020 ausgewiesene Bilanzgewinn in Höhe von EUR 96.239.656,54 wird vollständig auf neue Rechnung vorgetragen.“Randnummer31

2. Tagesordnungspunkt 3 „Entlastung der Mitglieder des Vorstands für das Geschäftsjahr 2020“ mit dem Inhalt: „Den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Vorstands wird für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung erteilt.“Randnummer32

3. Tagesordnungspunkt 4 „Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2020“ mit dem Inhalt: „Den im Geschäftsjahr 2020 amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats wird für das Geschäftsjahr 2020 Entlastung erteilt.“Randnummer33

4. Tagesordnungspunkt 6 „Bestätigungsbeschlüsse gemäß § 244 Satz 1 AktG betreffend mehrere von der Hauptversammlung am 27. August 2020 gefasste Beschlüsse“ mit dem Inhalt:Randnummer34

a) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 3 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt: „Den im Geschäftsjahr 2019 amtierenden Mitgliedern des Vorstands wird für dieses Geschäftsjahr Entlastung erteilt.“ wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“Randnummer35

b) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 8 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt: „Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der A AG vom 19. Dezember 2019, der mit nachfolgendem Inhalt bekanntgemacht worden ist: „2. Änderung der Ziffer 8.1 der Satzung der Gesellschaft „Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus 4 Mitgliedern.““ wird aufgehoben.“ wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“Randnummer36

c) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 9 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt: „Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der A AG vom 19. Dezember 2019, der mit nachfolgendem Inhalt bekanntgemacht worden ist: „3. Wahl zum Aufsichtsrat „Aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt, der der Eintragung der unter TOP 2 beschlossenen Satzungsänderung im Handelsregister unmittelbar nachfolgt, wird Herr Andreas B., Unternehmer, in Köln, zum Mitglied des Aufsichtsrats gewählt, und zwar bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung des AufsichtsratsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Entlastung
Entlastung des Aufsichtsrats
für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt. Das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet.““ wird aufgehoben.“ wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“Randnummer37

d) „Der am 27. August 2020 unter Tagesordnungspunkt 10 von der Hauptversammlung gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt: „Herr N. N., Diplom-Volkswirt, Brüssel (Belgien), wird zum Mitglied des Aufsichtsrats gewählt, und zwar mit Wirkung ab Beendigung der Hauptversammlung am 27. August 2020 bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung des AufsichtsratsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Entlastung
Entlastung des Aufsichtsrats
für das Geschäftsjahr 2022 beschließt.“ wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“Randnummer38

II. Hilfsweise für den Fall, dass die vorgenannten Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 31. August 2021 gem. Antrag I. nicht nichtig, sondern anfechtbar sind, werden die vorgenannten Beschlüsse für nichtig erklärt.“Randnummer39

Die Beklagte beantragt (Bl. 86 d.A.),Randnummer40

die Klage abzuweisen.Randnummer41

Sie trägt vor,Randnummer42

aus dem Tatsachenvortrag des Klägers bzw. aus seinen Mutmaßungen zur Anmeldung der C. ergebe sich keine schlüssige Begründung der Beschlussunfähigkeit der Hauptversammlung, sondern im Gegenteil deren Beschlussfähigkeit; daran ändere die unzutreffende rechtliche Bewertung der Tatsachen durch den Kläger nichts (Bl. 97 d.A.). Aus der Sicht der Beklagten sei es bereits 2020 – insbesondere aufgrund der eigenen Veröffentlichung des Klägers vom 09. November 2019 und nach der Freigabe eines Mehrheitserwerbs der C. durch das Bundesministerium für wirtschaft und Energie im Sommer 2020 – ohne Weiteres plausibel gewesen, dass die Mehrheitsbeteiligung an der Beklagten auf die C. übergegangen sei (Bl. 112 d.A.).Randnummer43

Der vom Kläger benannte Zeuge E. sei Treuhänder verschiedener Fonds (Bl. 188 d.A.). Er sei aus Sicht der Gesellschaft kein Unternehmer i.S.d. § 20 AktG. Bereits Treuhandabreden schlössen die Annahme einer unternehmerischen Beteiligung des Treuhänders aus (Bl. 189 d.A.). Herr F. agiere als Treugeber, hinter ihm stehe die D. (Ltd.), man wisse aber nicht, ob die Treugeberstellung hier sein Privatvermögen betreffe oder ob dahinter verschiedene Kapitalgeber stünden (Bl. 188 f. d.A.).Randnummer44

Die Kammer habe in der Entscheidung zum Verfahren 31 O 67/20 KfH, an dem sich der jetzige Kläger nur als Nebenintervenient beteiligt hatte und das Beschlüsse der Hauptversammlung 2020 zum Gegenstand hatte, zu Recht eine Pflicht des Zeugen E. aus § 20 Abs. 1, 4 AktG verneint. Die Stellung des Zeugen E. als Treuhänder, die sich aus dem neueren, von ihr vorgelegten Auszug aus dem luxemburgischen Unternehmensregister ergebe, unterstreiche noch, dass er nicht als Unternehmer anzusehen sein dürfte, weil eine Treuhandabrede eine unternehmerische Entfaltungsmöglichkeit ausschließe. Der Kläger habe eine Verletzung von dessen Mitteilungspflicht nicht schlüssig dargelegt (Bl. 100 d.A.).Randnummer45

Die Beklagte vertritt die Rechtsauffassung, dass das Gericht das Verfahren angesichts der geplanten Bestätigungsbeschlüsse der Hauptversammlung am 03. August 2022 nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwingend auszusetzen habe (Bl. 248 ff. d.A.).Randnummer46

Der Kläger ist hingegen der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung lägen offensichtlich nicht vor (Bl. 262 d.A.).Randnummer47

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die gerichtlichen Verfügungen und Beschlüsse sowie die Protokolle zu den mündlichen Verhandlungen am 05. April 2022 (Bl. 183 d.A.) und 19. Juli 2022 (Bl. 261 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Entgegen der im Schriftsatz der Beklagten vom 13. Juli 2022 vertretenen Rechtsauffassung (Bl. 249 d.A.) war das vorliegende Verfahren nicht gem. § 244 Satz 1 AktG i.V.m. § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen. Die erst wenige Tage vor Schluss der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich beantragte Aussetzung des Verfahrens ist abzulehnen.Randnummer49

Die Entscheidung über den Aussetzungsantrag war nicht zwingend vorab im Beschlusswege zu treffen. § 248 Abs. 2 ZPO lässt zwar eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu, weshalb i.d.R. durch Beschluss entschieden wird, der gem. § 252 ZPO der sofortigen Beschwerde unterliegt. Das schließt jedoch nicht aus, die Entscheidung über den Aussetzungsantrag – wie vorliegend – in den Entscheidungsgründen des vorliegenden Urteils zu treffen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 09. Dezember 1993 – 11 U 50/91, NJW 1995, 1296, 1297, Juris Rn. 14 unter Hinweis auf BGH, LM § 252 ZPO Nr. 1; vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 01. April 1954 – III ZR 296/52, BeckRS 1954, 31206228, beck-online).Randnummer50

Steht zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung über eine aktienrechtliche Nichtigkeits- und hilfsweise Anfechtungsklage lediglich fest, dass eine weitere Hauptversammlung einberufen wurde, die zu einem Zeitpunkt nach Schluss der mündlichen Verhandlung Bestätigungsbeschlüsse gem. § 244 AktG zu den streitgegenständlichen Beschlüssen fassen soll, so bietet dieser Sachverhalt keinen Anlass und keine tragfähige Grundlage für eine Entscheidung, das entscheidungsreife Verfahren auf Antrag der Gesellschaft gem. § 148 Abs. 1 ZPO wegen „Vorgreiflichkeit“ auszusetzen. In einer solchen Konstellation liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach dieser Norm nicht vor, und auch unter Berücksichtigung aktienrechtlicher Besonderheiten ist die Verfahrensaussetzung nicht obligatorisch. Für eine Verfahrensaussetzung ist im Übrigen kein Raum, wenn es bereits zu einer „Kaskade“ von Bestätigungsbeschlüssen gekommen ist und der Aussetzungsantrag rechtsmissbräuchlich in Verschleppungsabsicht gestellt wird.

1.

Im vorliegenden Fall spricht Vieles dafür, dass der Aussetzungsantrag der Beklagten verspätet gestellt wurde und der missbräuchlichen Verfahrensverzögerung dient.

a.

Drescher führt für den seltenen Fall einer „ewigen Kaskade“ von Bestätigungsbeschlüssen im Aktienrecht im Zusammenhang mit der Frage der Verfahrensaussetzung aus, in einem solchen Fall „läge der Verdacht nahe, dass eine Entscheidung bewusst hinausgezögert werden soll und es wäre dann wegen Rechtsmissbrauch das Ausgangsverfahren fortzusetzen“ (BeckOGK/Drescher, 1.2.2022, AktG § 244 Rn. 45).Randnummer53

Im vorliegenden Fall existiert bereits eine solche „Kaskade von Bestätigungsbeschlüssen“, zu der nun weitere hinzukommen sollen. Denn bereits die hier verfahrensgegenständlichen Beschlüsse von 2021 sind teilweise selbst schon Bestätigungsbeschlüsse gem. § 244 Satz 1 AktG. Nun sollen am 03. August 2022 laut Tagesordnung nochmals Bestätigungsbeschlüsse gefasst werden, und zwar „betreffend mehrere von den Hauptversammlungen am 27. August 2020 sowie am 31. August 2021 gefasste Beschlüsse“ (vgl. Anl. B 16, TOP 8). Letztlich geht es dem Kläger einerseits und der C. andererseits immer darum, dass überprüft wird, ob die 2019 beschlossene Satzungsänderung zur Erhöhung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder und die ebenfalls 2019 beschlossene aufschiebend bedingte Wahl des Klägers in den Aufsichtsrat in Bestandskraft erwachsen wird, oder ob die hierzu mit den Stimmen der C. gefassten Aufhebungsbeschlüsse von 2020 zum Tragen kommen.Randnummer54

Zu den hier verfahrensgegenständlichen Beschlüssen (vgl. Antrag Ziff. 4) gehören unter anderem Beschlüsse, mit denen die Hauptversammlung vom 31. August 2021 Bestätigungsbeschlüsse nach § 244 Satz 1 AktG hinsichtlich bereits am 27. August 2020 gefasster, aber angefochtener Beschlüsse gefasst hat. Die Kammer war mit den Beschlüssen vom 27. August 2020 vorbefasst und hat die gegen die Beschlüsse vom 27. August 2020 gerichtete Beschlussmängelklage durch Urteil vom 18. Mai 2021 abgewiesen (31 O 67/20 KfH). Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Der Rechtsstreit über die Bestätigungsbeschlüsse vom 27. August 2020 ist in der Berufungsinstanz beim OLG Stuttgart anhängig (20 U 45/21). Das OLG Stuttgart hat im dortigen Verfahren am 06. April 2022 einen Hinweisbeschluss erlassen (Bl. 198 d.A.; Anl. K 14). Das OLG Stuttgart hat darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Senats die Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung davon abhänge, ob die C. im Zeitpunkt der Anmeldung Eigentümerin der von ihr angemeldeten Aktien war (Bl. 198 d.A.). Diese Streitfrage ist derzeit im Verhältnis zwischen der C. und dem Kläger noch immer nicht geklärt, soll aber voraussichtlich im Rechtsstreit zwischen den beiden Aktionären, der jetzt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. anhängig ist, geklärt werden.Randnummer55

Es zeichnet sich deshalb bereits ab, dass die Frage der Beschlussfähigkeit auch bei und im Anschluss an die für den 03. August 2022 anberaumte Hauptversammlung erneut thematisiert werden wird. Dementsprechend hat der Klägervertreter im Termin am 19. Juli 2022 erklärt, es sei höchst ungewiss, ob die bevorstehende Hauptversammlung die Bestätigungsbeschlüsse fassen wird (Bl. 262 d.A.). Da der Kläger unstreitig noch an der Beklagten beteiligt ist (lediglich sein Beteiligungsumfang ist streitig), also auch an der geplanten Hauptversammlung am 03. August 2022 teilnehmen kann, ist absehbar, dass gegen die von der Beklagten als Grund für den Aussetzungsantrag angeführten, angeblich bevorstehenden Bestätigungsbeschlüsse – so sie denn zustande kommen – erneut Klagen erhoben werden wird, und zwar zumindest so lange, bis die Eigentumsfrage im Verhältnis zwischen dem Kläger und der C. geklärt ist.Randnummer56

Die Eigentumsfrage soll letztlich nicht durch Verfahren vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht Stuttgart, sondern voraussichtlich im Rechtsstreit zwischen der C. und dem Kläger vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. geklärt werden, an dem die Beklagte nicht mitwirkt. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren ist keine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt ergangen und noch kein Termin bestimmt worden (Bl. 265 d.A.).Randnummer57

Trotz ungeklärter Ausgangslage haben Vorstand und Aufsichtsrat der Hauptversammlung 2022 in der Einberufung vorgeschlagen, nunmehr erneut Bestätigungsbeschlüsse zu fassen. Als „Hintergrund“ nennen Vorstand und Aufsichtsrat dabei ausdrücklich und ausschließlich die beim Landgericht Stuttgart unter dem Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens (31 O 135/21 KfH) anhängige Beschlussmängelklage (vgl. Anl. B 16). Ob dadurch den Aktionären gegenüber der Eindruck erweckt wird, die vorgeschlagenen nochmaligen Bestätigungsbeschlüsse seien notwendig, weil das Landgericht Stuttgart noch nicht über die vorliegende Beschlussmängelklage entschieden habe, kann dahingestellt bleiben.Randnummer58

Die geplanten Bestätigungsbeschlüsse (TOP 8 der Hauptversammlung am 03. August 2022) werden jedenfalls die bestehende „Kaskade“ von Bestätigungsbeschlüssen noch um eine weitere Ebene erhöhen.

b.

Hinzu kommen folgende Umstände:

aa.

Der Aussetzungsantrag ist unter Verstoß gegen § 282 Abs. 2 ZPO sowie gegen § 132 Abs. 1 ZPO gestellt worden.Randnummer61

Nach § 282 Abs. 2 ZPO sind Anträge, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorherige Erkundigungen keine Erklärung abgeben kann, vor der mündlichen Verhandlung so rechtzeitig mitzuteilen, dass der Gegner die erforderliche Erkundigung noch einzuziehen vermag. Der Fortsetzungstermin am 19. Juli 2022, in dem im vorliegenden Rechtsstreit eine Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung vorgesehen war, ist bereits in der ersten mündlichen Verhandlung am 05. April 2022 angeordnet worden (Bl. 191 d.A.). Die Beklagte hat den Aussetzungsantrag erst im Schriftsatz vom 13. Juli 2022 schriftsätzlich gestellt und begründet (Bl. 248 d.A.), also erst wenige Tage vor dem Fortsetzungstermin. Der Schriftsatz enthält zahlreiche Rechtsprechungs- und Literaturzitate zur Begründung der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung, dass bereits die Aussicht auf einen künftigen Bestätigungsbeschluss einer weiteren Hauptversammlung eine Verpflichtung des Gerichts begründe, das laufende – und entscheidungsreife – Verfahren auszusetzen. Allein aufgrund der zwingenden Auseinandersetzung mit diesen Zitaten (dazu noch unten) war weder eine sofortige Einlassung des Gegners noch eine umgehende Verbescheidung durch die Kammer zu erwarten.Randnummer62

Die tatsächliche Begründung des Aussetzungsantrags, es sei eine ordentliche Hauptversammlung für den 03. August 2022 einberufen worden, die Bestätigungsbeschlüsse fassen werde, ist zudem neuer Vortrag, der unter Missachtung der Wochenfrist des § 132 Abs. 1 ZPO für die Einreichung vorbereitender Schriftsätze mit neuem Vorbringen gehalten wurde.Randnummer63

Aus den Ausführungen der Beklagten selbst im Schriftsatz vom 13. Juli 2022 ergibt sich, dass der Vorstand die ordentliche Hauptversammlung bereits am 21. Juni 2022 einberufen und im Bundesanzeiger bekannt gemacht hat (Bl. 249 d.A.; Anl. B 16). Die Tagesordnung wird schon vor dem 21. Juni 2022 konzipiert worden sein. Es fehlt jegliche Erklärung, weshalb das Vorhaben der erneuten Bestätigungsbeschlüsse erst wenige Tage vor dem Fortsetzungstermin vorgetragen und als Begründung für einen Aussetzungsantrag herangezogen wurde. Es fehlt auch jegliche nachvollziehbare Erklärung, warum der anwaltliche Bevollmächtigte der Beklagten Rechtsanwalt Dr. L. die Information über die angeblich bevorstehenden Bestätigungsbeschlüsse und die Terminierung der Hauptversammlung bei dem Telefonanruf beim Kammervorsitzenden am 28. Juni 2022 verschwieg, obwohl der Beklagten sowohl der Hauptversammlungstermin als auch das Vorhaben des Bestätigungsbeschlusses seinerzeit längst bekannt war. Es fehlt auch jegliche Erklärung, weshalb am 28. Juni 2022 verschwiegen wurde, man sei der Auffassung, dass bereits im Vorgriff auf einen noch nicht gefassten Bestätigungsbeschluss auszusetzen sei. Gegenstand des ersten Telefonatanrufs beim Kammervorsitzenden (vgl. Bl. 244 d.A.) war vielmehr die Information gewesen, es seien neue – im Übrigen auch erst mit dem Schriftsatz vom 13. Juli 2022 vorgelegte (!) – Stimmrechtsmitteilungen eingegangen und man tue sich nun schwer, die Unternehmereigenschaft des Herrn E. noch substantiiert zu Bestreiten. Vor diesem Hintergrund hatte der Kammervorsitzende auch angeregt, ein Anerkenntnis in Erwägung zu ziehen, und war aufgrund der Reaktion des Gesprächspartners davon ausgegangen, dass ggf. nach interner Beratung der Gremien zeitnah ein entsprechender Schriftsatz eingereicht werde. Das geschah dann allerdings nicht, auch nicht im zweiten Termin am 19. Juli 2022 nach erneuter Anregung (Bl. 264 ff. d.A.).Randnummer64

Erstmals am 06. Juli 2022 war der Kammervorsitzende dann in einem weiteren Telefonat überraschend darüber informiert worden, dass für die Hauptversammlung, die im August stattfinden werde (ein Datum war nicht genannt worden), Bestätigungsbeschlüsse geplant seien. Erstmals in diesem zweiten Telefonat war auch das Ansinnen der Verfahrensaussetzung mündlich an den Kammervorsitzenden herangetragen worden, freilich ohne dass diesem Anruf der zu erwartende zeitnahe schriftsätzliche Antrag mit Begründung gefolgt wäre. Die mündliche Information bei dem zweiten Telefonat war verbunden mit der nicht prozessordnungsgemäßen Mitteilung per E-Mail, man habe versucht, mit dem Klägervertreter in Kontakt zu treten (Bl. 240 d.A.), der daraufhin vom Kammervorsitzenden (nicht etwa von den Beklagtenvertretern) über die Existenz erwähnter neuer Stimmrechtsmitteilungen und das – zum damaligen Zeitpunkt noch immer nicht schriftsätzlich begründete – Ansinnen der Verfahrensaussetzung informiert worden war (Bl. 244 d.A.).Randnummer65

Dass die Beklagte der Rechtsauffassung war, dass das vorliegende Verfahren schon vor der geplanten Hauptversammlung am 03. August 2022 im Hinblick auf einen noch nicht gefassten Bestätigungsbeschluss auszusetzen war, erfuhr das Gericht erst aus dem Schriftsatz vom 13. Juli 2022.

bb.

Man hätte das Verfahren einvernehmlich, d.h. mit Zustimmung des Klägers, gem. § 251 ZPO zum Ruhen bringen können. Aus Sicht der Kammer nachvollziehbar ist allerdings die Verärgerung des Klägervertreters, dem der Beklagtenvertreter am 06. Juli 2022 die Information über das Vorliegen weiterer Stimmrechtsmitteilungen vorenthalten hatte, und der davon lediglich durch die E-Mail des Kammervorsitzenden (Bl. 244 d.A.) erfuhr.

cc.

Die Kammer hält fest: Zwischen der sicheren internen Kenntnis der Beklagten über den Termin der nächsten Hauptversammlung am 03. August 2022 sowie über den Inhalt der TagesordnungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Inhalt der Tagesordnung
Tagesordnung
(einschließlich der geplanten Bestätigungsbeschlüsse) einerseits und der schriftsätzlichen Offenlegung verbunden mit dem Antrag auf Verfahrensaussetzung liegen mehr als drei Wochen. Auch dieser zeitliche Ablauf spricht für eine rechtsmissbräuchliche Stellung des Antrags auf Verfahrensaussetzung in Verschleppungsabsicht.

2.

Die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung liegen offensichtlich nicht vor.

a.

Der von der Beklagten bemühte § 244 AktG verhält sich nicht zur Frage der Aussetzung eines Verfahrens über eine Anfechtungsklage im Falle eines späteren Bestätigungsbeschlusses. § 244 Satz 1 AktG regelt, dass die Anfechtung nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn die Hauptversammlung den anfechtbaren Beschluss durch einen neuen Beschluss bestätigt hat und dieser Beschluss innerhalb der Anfechtungsfrist nicht angefochten oder die Anfechtung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. § 244 Satz 2 AktG regelt, dass der Kläger, der den Erstbeschluss angefochten hat, nach einem Bestätigungsbeschluss die Anfechtbarkeit weiterhin mit dem Ziel geltend machen kann, den anfechtbaren Beschluss für diese Zeit für nichtig zu erklären, sofern er ein entsprechendes rechtliches Interesse daran hat.Randnummer70

Die Norm ermöglicht es, einen – möglicherweise – anfechtbaren Hauptversammlungsbeschluss durch einen inhaltlich identischen, in einer Folgeversammlung gefassten Bestätigungsbeschluss materiell-rechtlich zu heilen. Sobald der Bestätigungsbeschluss bestandskräftig (also unanfechtbar) wird, entfällt die tatsächliche oder behauptete Anfechtbarkeit des Erstbeschlusses. Drescher formuliert die prozessuale Wirkung des wirksamen, unanfechtbar gewordenen Bestätigungsbeschlusses wie folgt: „Eine diesbezüglich bereits laufende Anfechtungsklage wird unbegründet und einer etwa mit ihr verbundenen positiven Beschlussfeststellungsklage der Boden entzogen. Sie muss ggf. zur Vermeidung von Kostennachteilen vom Kläger für erledigt erklärt werden“ (BeckOGK/Drescher, 1.2.2022, AktG § 244 Rn. 5). Dass ein wirksamer Bestätigungsbeschluss nicht nur die Anfechtbarkeit des Erstbeschlusses beseitige, sondern auch einer im Erstprozess mit der Anfechtung des Erstbeschlusses verbundenen, noch rechtshängigen positiven Beschlussfeststellungsklage den Boden entziehe, entspricht auch der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 – II ZR 253/03 –, juris, 3. Leitsatz).Randnummer71

Die in § 244 Satz 1 AktG geregelte Bestätigungswirkung tritt, wie bereits ausgeführt, nicht bereits mit Beschlussfassung der Hauptversammlung ein, sondern erst mit Ablauf der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG, wenn keine Klage erhoben wird (Koch, Aktiengesetz, AktG 16. Aufl. 2022, § 244 Rn. 3, beck-online), sonst erst mit rechtskräftiger Klageabweisung oder Rücknahme der gegen den Bestätigungsbeschluss erhobenen Anfechtungsklage (Grigoleit/Ehmann, 2. Aufl. 2020, AktG § 244 Rn. 3). Das Erfordernis der Bestandskraft des Bestätigungsbeschlusses ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 244 Satz 1 AktG.Randnummer72

Im Übrigen setzt die Heilung eines nicht nichtigen, sondern lediglich anfechtbaren Hauptversammlungsbeschlusses voraus, „dass der Bestätigungsbeschluss die behaupteten oder tatsächlich bestehenden Mängel beseitigt und seinerseits nicht an Fehlern leidet. Inhaltlich erklärt er, dass die Gesellschaft das seinerzeit Beschlossene als gültige Regelung anerkennt.“ (Goette, DStR 2005, 603, 606). Als heilbare Verfahrensfehler hat der BGH u.a. angesehen, „wenn das Abstimmungsergebnis hinsichtlich des Erstbeschlusses – infolge von Zählfehlern, Mitzählung von unter Verletzung eines Stimmverbots abgegebenen Stimmen oder ähnlichen Irrtümern – fehlerhaft festgestellt worden ist“ (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 – II ZR 253/03 –, juris, Leitsatz 2).Randnummer73

Hat die Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluss Erfolg, wird ihr also rechtskräftig stattgegeben, dann steht die Nichtigkeit des Erstbeschlusses fest. „Der Bestätigungsbeschluss geht dann ins Leere und kann keine Heilung mehr bewirken. Der gegen ihn gerichteten Klage ist daher mit der Folge der Kostenauflegung zu Lasten der beklagten Gesellschaft stattzugeben, denn ihr Versuch, die Mängel des Erstbeschlusses zu heilen, ist gescheitert. Dies ist unabhängig davon, ob der Bestätigungsbeschluss als solcher anfechtbar war oder ob er, wäre nicht zuerst über den Erstbeschluss entschieden worden, geeignet gewesen wäre, die Beschlussbestätigung herbeizuführen.“ (BeckOGK/Drescher, 1.2.2022, AktG § 244 Rn. 52).Randnummer74

Wenn die Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluss rechtskräftig abgewiesen wird, ist dem Bestätigungsbeschluss ebenfalls der Boden entzogen, weil es seiner heilenden Wirkung dann nicht mehr bedarf. Wird bei rechtskräftiger Zurückweisung der gegen den Erstbeschluss gerichteten Anfechtungsklage der Bestätigungsbeschluss (zusätzlich) angefochten, dann bleibt auch diese Klage im Ergebnis ohne Erfolg, weil das Ziel, das der Anfechtungskläger mit der Klage gegen den Bestätigungsbeschluss verfolgt, nämlich das Wirksamwerden bzw. die Heilung des Erstbeschlusses noch zu verhindern, schon daran scheitert, dass nun endgültig feststeht, dass der Erstbeschluss wirksam ist und war (vgl. BeckOGK/Drescher, 1.2.2022, AktG § 244 Rn. 53).Randnummer75

Ein prozessuales Gebot, das Verfahren über die gegen den Erstbeschluss gerichtete Anfechtungsklage auszusetzen, sobald die Hauptversammlung einen Bestätigungsbeschluss fasst, selbst wenn dieser noch nicht bestandskräftig ist, lässt sich weder dem Normwortlaut noch dem Sinn und Zweck des § 244 Satz 1 AktG entnehmen.Randnummer76

Erst Recht ergibt sich aus § 244 Satz 1 AktG kein prozessuales Gebot, das Verfahren über die gegen den Erstbeschluss gerichtete Anfechtungsklage bereits im Vorgriff auf einen noch nicht einmal gefassten Hauptversammlungsbeschluss auszusetzen. So liegt es hier: Nach Darstellung der Beklagten sei zu erwarten, dass die nächste Hauptversammlung am 03. August 2022 die im vorliegenden Rechtsstreit angefochtenen Beschlüsse bestätige. Angesichts des weiterhin schwelenden Konflikts zwischen dem Kläger und der C. über die Aktionärsstellung ist fraglich, ob ein etwaiger, am 03. August 2022 zur Abstimmung gestellter Bestätigungsbeschluss eine Mehrheit finden und wirksam werden wird. Der Kläger, der der Auffassung ist, nach wie vor Mehrheitsaktionär zu sein und die Stimmrechtsmehrheit zu haben, ist mit den von ihm angefochtenen Beschlüssen nicht einverstanden, und es ist umstritten, ob der C. die von ihr geltend gemachten Stimmrechte zustehen. Selbst wenn ein solcher Bestätigungsbeschluss gefasst werden sollte, steht derzeit nicht fest, ob und wann er bestandskräftig werden wird. Wenn beispielsweise der Kläger den vorgesehenen Bestätigungsbeschluss anficht (Konstellation der „Doppelanfechtung“, vgl. Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, AktG 5. Aufl. § 244 Rn. 12), werden die Voraussetzungen des § 244 Satz 1 AktG (Bestandskraft des Bestätigungsbeschlusses) auf absehbare Zeit nicht eintreten. Im Übrigen steht fest, dass die Voraussetzungen des § 244 Satz 1 AktG zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (am 19. Juli 2022) nicht vorlagen.

b.

Nach § 148 Abs. 1 ZPO, der zweiten von der Beklagten angeführten Rechtsgrundlage zur begehrten Verfahrensaussetzung, kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.Randnummer78

Die Voraussetzungen dieser von der Beklagten angeführten Norm liegen nicht vor. Denn es ist (noch) kein Rechtsstreit über die Wirksamkeit des Bestätigungsbeschlusses anhängig, der nach den Vorstellungen der Beklagten von der Hauptversammlung am 03. August 2022 erst gefasst werden soll. Es ist auch kein Zusammenhang zu einem Verwaltungsverfahren erkennbar, das bei einer Behörde anhängig wäre.Randnummer79

Erstens ist in Rechtsprechung und Literatur einhellige Auffassung zu § 148 ZPO, dass das in der Norm angesprochene „vorgreifliche Rechtsverhältnis“ Gegenstand eines vor einem anderen Gericht bereits anhängigen, nicht notwendigerweise rechtshängigen Rechtsstreits sein muss, damit die Norm unmittelbar anwendbar ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 09. Dezember 1993 – 11 U 50/91, NJW 1995, 1296, 1297, Juris Rn. 14; BeckOK ZPO/Wendtlandt 44. Ed. 1.3.2022, § 148 Rn. 9; Musielak/Voit/Stadler, 19. Aufl. 2022, ZPO § 148 Rn. 6; MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, ZPO § 148 Rn. 4). Schon daran fehlt es hier. Eine Verfahrensaussetzung ist unzulässig, wenn sie zu dem Zweck erfolgt, die Klärung eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses durch die Beteiligten in einem erst anhängig zu machenden Verfahren herbeizuführen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. August 2020 – 20 W 9/20 zu § 21 FamFG, soweit er die Aussetzung wegen eines anderen Verfahrens ermöglicht; die Norm geht sogar weiter als § 148 ZPO, indem sie anders als die ZPO auch eine Aussetzung aus wichtigem Grund ermöglicht). Wollen die Parteien ein weiteres Verfahren einleiten und das bereits anhängige einvernehmlich vorerst nicht fortsetzen, haben sie die Möglichkeit, übereinstimmend einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens gem. § 251 ZPO zu stellen, und zwar unabhängig von der Einleitung eines etwaigen weiteren Gerichtsverfahrens; dies führt dann zur obligatorischen Anordnung des Ruhens des Verfahrens. Ein solcher übereinstimmender Antrag auf Ruhen des Verfahrens liegt aber nicht vor. Der Kläger ist dem Ansinnen der Beklagten vielmehr entgegengetreten.Randnummer80

Zweitens liegt eine Entscheidung über die Aussetzung nach dem Wortlaut und Sinn und Zweck des § 148 ZPO grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, sofern ein vorgreifliches Verfahren anhängig ist (MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, ZPO § 148 Rn. 14; Musielak/Voit/Stadler, 19. Aufl. 2022, ZPO § 148 Rn. 8). Dieses Ermessen kann sich lediglich im Einzelfall auf eine Verpflichtung zur Aussetzung reduzieren. Das wird angenommen, wenn eine Sachentscheidung schlicht nicht möglich ist, weil deren Voraussetzungen im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden können (BGH, Urteil vom 19. Februar 1986 – VIII ZR 91/85 –, BGHZ 97, 135-146, Rn. 29: Aussetzung aus prozessualen Gründen in Leasingfällen; allgemein: BeckOK ZPO a.a.O. § 148 Rn. 13 m.w.N.). Auch an einer solchen Unmöglichkeit der Sachentscheidung fehlt es hier. Eine Entscheidung über die Wirksamkeit der angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse vom 31. August 2021 ist durchaus möglich und wird nicht erst durch die seitens der Beklagten erwarteten Bestätigungsbeschlüsse ermöglicht. Es mag sein, dass es bei fehlendem Eintritt von Rechtsfrieden durch die vorliegende Entscheidung, d.h. bei Einlegung von Rechtsmitteln, nach § 244 AktG möglicherweise nicht ohne Auswirkungen auf das weitere Verfahren bleibt, falls die Hauptversammlung am 03. August 2022 tatsächlich einen Bestätigungsbeschluss fassen sollte und falls dieser Bestätigungsbeschluss zu einem späteren Zeitpunkt bestandskräftig werden sollte, bevor das vorliegende Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wird. Dieser Umstand führt jedoch nicht zur Unmöglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt.Randnummer81

Drittens: Selbst wenn ein vorgreifliches anderes Verfahren bereits anhängig wäre, so dass § 148 Abs. 1 ZPO eine im Ermessen des Gerichts stehende Aussetzung des vorliegenden Verfahrens zulassen würde (an dieser Voraussetzung fehlt es derzeit, wie dargelegt), wären bei der dann zu treffenden Ermessensausübung für und gegen die Aussetzung sprechende Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. Zu diesen in die Abwägung einzubeziehenden Gesichtspunkte gehören der Zweck der Verfahrensaussetzung, die prozessökonomie, die Interessen der Parteien, die Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und die mit der Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung sowie die Gefahr der Prozessverschleppung (Musielak/Voit/Stadler, 19. Aufl. 2022, ZPO § 148 Rn. 8; BeckOK ZPO/Wendtland, a.a.O. § 148 Rn. 13).

c.

Aktienrechtliche Besonderheiten zwingen im vorliegenden Fall nicht zur Verfahrensaussetzung.

aa.

Der Beklagten ist allerdings einzuräumen, dass der BGH im Jahr 2010 in zwei Fällen ein Verfahren über eine aktienrechtliche Anfechtungsklage bis zum Abschluss eines jeweils anderen Verfahrens, das die Anfechtung eines später gefassten Bestätigungsbeschlusses zum Gegenstand hatte, ausgesetzt hat. In den Entscheidungen von 2010 hat der BGH die in der dortigen Konstellation getroffene Aussetzungsentscheidung jeweils damit begründet, dass andernfalls eine etwaige heilende Wirkung der später gefassten Bestätigungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten nicht mehr berücksichtigt werden könne (BGH, Beschluss vom 11. August 2010 – II ZR 24/10 –, Rn. 1, juris; BGH, Beschluss vom 01. Februar 2010 – II ZR 262/08 –, Rn. 1, juris). Im ersten in juris veröffentlichten Orientierungssatz zu der Entscheidung vom 11. August 2010 wird ausgeführt, dass auszusetzen sei, die Aussetzung also vermeintlich obligatorisch sein soll (abweichend von § 148 Abs. 1 ZPO, der eine Ermessensentscheidung vorsieht). Das wird jedoch in den Entscheidungsgründen (abgesehen vom Hinweis auf die Rechtswirkungen des § 244 AktG) nicht erläutert und ist nicht Bestandteil der Entscheidung. Insbesondere findet sich kein Hinweis auf Art. 103 Abs. 1 GG zur Begründung. Weder in der Entscheidungsformel noch in den Entscheidungsgründen kommt zum Ausdruck, dass ein Zwang zur Verfahrensaussetzung bestehe. Die Aussetzung entsprach in den beiden Fällen offenkundig der Verfahrensökonomie. Das muss aber nicht immer so sein.Randnummer84

In einer weiteren Entscheidung von 2005, die einen Bestätigungsbeschluss betraf, findet sich der Hinweis darauf, dass der BGH bereits 2003 auf die Nichtzulassungsbeschwerde den Rechtsstreit um den Erstbeschluss nach § 148 ZPO ausgesetzt habe (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 – II ZR 253/03 –, Rn. 4, juris). Auch das ist jedoch nur ein Hinweis darauf, dass in solchen Konstellationen eine Verfahrensaussetzung vom BGH bereits praktiziert wurde.Randnummer85

Die von der Kammer im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Konstellation unterscheidet sich von derjenigen in den BGH-Entscheidungen von 2005 und 2010 in mehrfacher Hinsicht: Zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife existiert im vorliegenden Verfahren weder ein Bestätigungsbeschluss noch steht dessen Bestandskraft fest, noch ist ein anderes Gerichtsverfahren anhängig. Klar ist nur, dass in keinem Fall die Anfechtbarkeit des Bestätigungsbeschlusses inzident im prozess gegen den Erstbeschluss geprüft werden darf (Schwab in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 244 AktG, Rn. 17). Das geschieht mit der vorliegenden Entscheidung jedoch auch nicht.Randnummer86

Die Beklagte bezieht sich auch auf eine weitere Entscheidung aus dem Jahr 2021 zum GmbH-Recht und zur dortigen analogen Anwendung des § 244 AktG auf Bestätigungsbeschlüsse. Darin deutet der BGH die in Bezug genommene, zitierte Entscheidungen von 2010 wie folgt: „Steht die Anfechtung der Bestätigung gleichzeitig mit der Anfechtung des Ausgangsbeschlusses zur Entscheidung, ist regelmäßig vorrangig über die Anfechtung der Bestätigung zu entscheiden“ (BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 – II ZR 391/18 –, Rn. 56, juris). Von einem Zwang zur Aussetzung des Verfahrens gegen den Erstbeschluss ist hier nicht die Rede.Randnummer87

In tatsächlicher Hinsicht ist festzuhalten: Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um eine gleichzeitig anstehende gerichtliche Entscheidung über einen Bestätigungsbeschluss (nämlich denjenigen, der am 03. August 2022 womöglich gefasst wird) und über die Anfechtung des Ausgangsbeschlusses (die hier verfahrensgegenständlichen Beschlüsse der Hauptversammlung von 2021). Die zitierte BGH-Entscheidung von 2021 ist somit derzeit ebenfalls nicht einschlägig.

bb.

Die schriftsätzliche Behauptung der Beklagten, dass angeblich „nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs“ bereits die Aussicht auf einen geplanten, noch nicht gefassten künftigen Bestätigungsbeschluss im Aktienrecht zur Aussetzung des Anfechtungsprozesses um den Ausgangsbeschluss zwinge (Bl. 248 d.A.), ist nach alledem nicht belegt.

cc.

In der Literatur ist umstritten, wie nach einem Bestätigungsbeschluss der Hauptversammlung im Falle einer auch dagegen gerichteten Anfechtungsklage in Bezug auf das gegen den Erstbeschluss gerichtete Verfahren prozessual vorzugehen ist.Randnummer90

In der Tat vertreten manche Stimmen in der Literatur die Auffassung, dass – abweichend von den allgemeinen, zu § 148 ZPO entwickelten Grundsätzen (vgl. oben 2.) – das Gericht, bei dem die Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluss anhängig ist, den Anfechtungsprozess aussetzen müsse, wenn die Gesellschaft den Bestätigungsbeschluss vortrage.Randnummer91

Goette, der als Senatsvorsitzender an der zitierten Entscheidung von 2010 mitgewirkt hat, hat die Auffassung vertreten, der Bestätigungsbeschluss und der etwa über seine Wirksamkeit geführte Rechtsstreit sei vorgreiflich gegenüber dem Ausgangsverfahren. Er hat formuliert, dass sich daraus „die Notwendigkeit einer Aussetzung des ersten Verfahrens“ ergebe (DStR 2005, 603, 606). Auch andere Autoren sprechen sich dafür aus, dass die Aussetzung des Anfechtungsprozesses gegen den Erstbeschluss auf der Grundlage von § 148 ZPO wegen der Wirkungen des § 244 AktG obligatorisch sei (etwa Schwab in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 244 AktG, Rn. 17).Randnummer92

Die Vorgreiflichkeit ist jedoch nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Verfahrensaussetzung; um zu einer für das Gericht obligatorischen Aussetzung zu kommen, bedürfte es einer Begründung für die Reduktion des durch § 148 ZPO eingeräumten Ermessens auf Null.Randnummer93

Manche sehen eine solche Ermessensreduktion auf Null und wollen diese mit Art. 103 Abs. 1 GG begründen. Wenn das materielle Recht die Möglichkeit der Bestätigung vorsehe, sei das Verfahren so zu gestalten, dass die Gesellschaft mit der Bestätigung vor Gericht Gehör finden kann. Bei Nichtbeachtung des vorgetragenen Bestätigungsbeschlusses sei das rechtliche Gehör verletzt. Zur Berücksichtigung von Amts wegen sei das Gericht nicht verpflichtet (Schwab in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 244 AktG, Rn. 17).Randnummer94

Andere Stimmen in der Literatur sind dem vermeintlichen Gebot der Verfahrensaussetzung entgegengetreten. Heidel etwa meint, dass das Gericht, bei dem ein Verfahren über eine Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluss anhängig ist, im Falle einer gegen einen Bestätigungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage verschiedene prozessuale Möglichkeiten habe. Er nennt erstens die Möglichkeit, die anhängigen Klagen gegen den Erst- und den Bestätigungsbeschluss gem. § 147 ZPO zu verbinden (aber eben nicht: auszusetzen). Er nennt zweitens die Möglichkeit, das Verfahren über den Erstbeschluss auszusetzen, bis über die Klage gegen den Bestätigungsbeschluss entschieden ist (was jedoch die Anhängigkeit einer solchen Klage voraussetzt). Drittens bestehe theoretisch sogar die „regelmäßig fernliegende“ Möglichkeit, den prozess über den Bestätigungsbeschluss auszusetzen. Diese Auffassung wendet sich explizit gegen die vermeintliche, hier auch von der Beklagten gesehene „Notwendigkeit“ einer Aussetzung des ersten Verfahrens, mit dem Hinweis, dass das Gericht selbst bei „Vorgreiflichkeit“ auch nach § 148 ZPO Ermessen ausüben müsse, ob es aussetzt. Vielfach werde pflichtgemäßes Ermessen zur Ablehnung der Aussetzung führen, weil häufig die mit § 244 AktG verfolgten Zwecke der Beschleunigung und der Rechtssicherheit dadurch nicht erfüllt werden. Gegen die Aussetzung des Erstprozesses könne z.B. auch das Erfordernis einer Zeugenvernehmung sprechen. Darüber hinaus hätten die Aktionäre ein berechtigtes Interesse, dass die Nichtigerklärung zeitnah ausgesprochen werde. Das prozessual gebotene Mittel sei regelmäßig die Prozessverbindung nach § 147 ZPO, die Unmöglichkeit der Verbindung sei Voraussetzung für die Aussetzung (Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, AktG § 244 Rn. 12).Randnummer95

Auch andere Autoren gehen – für den Fall eines bereits gefassten Bestätigungsbeschlusses, der noch nicht bestandskräftig ist – von einem Vorrang der Verfahrensverbindung nach § 147 ZPO vor der Verfahrensaussetzung aus und weisen auch auf die Möglichkeit des Anfechtungsklägers hin, seine gegen den Erstbeschluss gerichtete Klage im selben Verfahren zu gegebener Zeit auf Anträge gegen den Bestätigungsbeschluss zu erweitern, etwa wenn er der Meinung ist, dass der Bestätigungsbeschluss am selben Mangel leide (Hölters/Weber/Englisch, 4. Aufl. 2022, AktG § 244 Rn. 14). Das betrifft jedoch nur den Fall der noch fehlenden Entscheidungsreife.Randnummer96

Die Argumente von Heidel überzeugen. Soweit versucht wird, einen Zwang zur Verfahrensaussetzung mit Art. 103 Abs. 1 GG zu begründen, ist zu differenzieren: Eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt vor, wenn das Gericht verfahrensrechtlich zu berücksichtigenden entscheidungserheblichen Sachvortrag einer Partei ignoriert. Aus § 244 Satz 1 AktG und dem oben Gesagten folgt, dass rechtzeitig gehaltener Vortrag zur Existenz eines bestandskräftigen Bestätigungsbeschlusses im Verfahren über die Anfechtung des Erstbeschlusses entscheidungserheblich ist, weil der bestandskräftige Bestätigungsbeschluss in diesem Fall heilende Wirkung hat. Aus § 244 Satz 2 AktG ergibt sich, dass der Anfechtungskläger dann allenfalls noch die Nichtigerklärung auf Zeit bis zum Bestätigungsbeschluss erreichen kann. Daraus ergibt sich aber umgekehrt auch, dass Vortrag zum wahrscheinlichen Bevorstehen eines noch nicht gefassten Bestätigungsbeschlusses keine unmittelbare Entscheidungsrelevanz im Verfahren gegen den Erstbeschluss hat. Der bloßen Absicht zur Fassung eines Bestätigungsbeschlusses kommt nach § 244 AktG materiell-rechtlich keine Wirkung zu, erst Recht keine Heilungswirkung. Sie ist schlicht unerheblich. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs scheidet in dieser Konstellation aus.Randnummer97

Gegen einen generellen oder gar vom potentiellen Prozessergebnis abhängigen Zwang zur Verfahrensaussetzung spricht auch, dass sich namhafte Stimmen in der Literatur gegen eine Aussetzung und für eine Entscheidung im Verfahren gegen den Erstbeschluss aussprechen, wenn das Gericht des ersten oder zweiten Rechtszugs die Anfechtungsklage ohnehin für unzulässig oder unbegründet hält. Dann soll die Klage gegen den Erstbeschluss abgewiesen werden (MüKoAktG/Schäfer, 5. Aufl. 2021, AktG § 244 Rn. 22). Wird diese Entscheidung rechtskräftig, steht damit auch die Bestandskraft des Erstbeschlusses fest. Dadurch liegt dann zugleich ein erledigendes Ereignis im Klageverfahren gegen den Bestätigungsbeschluss (MüKoAktG/Schäfer, 5. Aufl. 2021, AktG § 244 Rn. 22). Selbst diejenigen Autoren, die einen Zwang zur Verfahrensaussetzung bei gefasstem Bestätigungsbeschluss bejahen, nehmen eine Einschränkung vor: So soll die Aussetzung ausnahmsweise unterbleiben, wenn die Klage gegen den Erstbeschluss ohne Rücksicht auf die Bestätigung abweisungsreif ist (Schwab in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 244 AktG, Rn. 17).Randnummer98

Weshalb die Entscheidung über einen Aussetzungsantrag nach § 148 ZPO bei bereits vorliegender Entscheidungsreife vom Ergebnis der Sachentscheidung des befassten Gerichts abhängen soll, leuchtet der Kammer jedoch nicht ein. Sie geht davon aus, unter den – hier ohnehin nicht vorliegenden – Voraussetzungen des § 148 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden zu dürfen.Randnummer99

Unabhängig davon kann – etwa im Falle einer Klageerweiterung, wenn etwa zum Zeitpunkt des Bestätigungsbeschlusses noch nicht über die Klage gegen den Erstbeschluss entschieden ist – durchaus im gleichen prozess und gleichzeitig über die Klage gegen den Erst- und den Bestätigungsbeschluss entschieden werden. Dabei kann bei der Prüfung des Erstbeschlusses der Bestätigungsbeschluss mitberücksichtigt werden, da ohnehin erst mit der Rechtskraft die entscheidenden Wirkungen eintreten (BeckOGK/Drescher, 1.2.2022, AktG § 244 Rn. 42). Drescher spricht sich nur bei unklarer Anfechtbarkeit des Erstbeschlusses für eine Verfahrensaussetzung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs aus. Auch er plädiert nicht dafür, bereits mit Blick auf einen lediglich in Aussicht genommenen, noch nicht gefassten künftigen Bestätigungsbeschluss das Verfahren gegen den Erstbeschluss auszusetzen. Bei einer „ewigen Kaskade von Bestätigungsbeschlüssen“ sieht er vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass (durch einen Aussetzungsantrag) eine Entscheidung rechtsmissbräuchlich bewusst hinausgezögert werden soll. Es sei dann wegen Rechtsmissbrauch das Ausgangsverfahren fortzusetzen (BeckOGK/Drescher, a.a.O. § 244 Rn. 45).

dd.

Nicht nachvollziehbar ist die unter Heranziehung von § 148 Abs. 1 Var. 2 ZPO aufgestellte Rechtsbehauptung der Beklagten, ein hier noch nicht gefasster Bestätigungsbeschluss sei einem „durch bestandskräftigen Verwaltungsakt festgestellten Rechtsverhältnis“ gleichgestellt (Bl. 250 d.A.). Weder stellt ein Hauptversammlungsbeschluss einen Verwaltungsakt dar, noch steht die Einberufung der HauptversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Hauptversammlung
Hauptversammlung
der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens gleich, noch stünde mit Protokollierung eines Bestätigungsbeschlusses bereits bestandskräftig die Heilungswirkung in Bezug auf die hier angefochtenen Beschlüsse fest. Die Heilungswirkung richtet sich nach § 244 Satz 1 AktG. Im Falle der – hier wahrscheinlichen – Anfechtung der für den 03. August 2022 geplanten Bestätigungsbeschlüsse wird erst nach rechtskräftigem Abschluss neuer Gerichtsverfahren feststehen, ob die noch nicht gefassten Bestätigungsbeschlüsse wirksam sind.Randnummer101

Die von der Beklagten zitierten Kommentarstellen zur vermeintlich möglichen Verfahrensaussetzung schon vor einer „erwarteten Verwaltungsentscheidung“ im Verwaltungsverfahren (Bl. 251 d.A.) sind somit nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar.Randnummer102

Im Übrigen hat das Oberlandesgericht Stuttgart in einer Entscheidung zu einem aktienrechtlichen Statusverfahren, an dem die Beklagtenvertreter ebenfalls mitgewirkt haben und die ihnen deshalb bekannt ist, bereits die Auffassung der 31. Kammer für Handelssachen bestätigt, dass kein Raum für eine Verfahrensaussetzung ist, wenn das andere in den Blick genommene (mögliche) Gerichtsverfahren, bis zu dessen Abschluss die Aussetzung beantragt wurde, noch nicht einmal anhängig ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. August 2020 – 20 W 9/20 zu § 21 FamFG, der vergleichbar § 148 ZPO die Aussetzung wegen eines anderen, bereits anhängigen Verfahrens ermöglicht). Die Ausführungen des Senats lassen erkennen, dass allein die Möglichkeit, ein anderes Gerichtsverfahren einzuleiten, auch keine Aussetzung des Verfahrens aus sonstigem wichtigem Grund legitimiert, den § 21 FamFG im Unterschied zu § 148 ZPO neben einem vorgreiflichen, bereits anhängigen Verfahren als Aussetzungsgrund akzeptiert. Selbst wenn die Entscheidung des Rechtsstreits vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhänge, das nur vom Gericht eines anderen Rechtswegs festgestellt werden könne, komme eine Verfahrensaussetzung vor der Anhängigkeit des entsprechenden Verfahrens nicht in Betracht. Daran ist auch für den vorliegenden Sachverhalt festzuhalten.

ee.

Gegen die Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf nach dem Vortrag der Beklagten geplante, aber eben noch nicht zustande gekommene Bestätigungsbeschlüsse der Hauptversammlung am 03. August 2022 spricht neben dem derzeitigen Fehlen der Voraussetzungen des § 148 ZPO hier insbesondere, dass der Konflikt zwischen der C. und dem Kläger über die Frage, wer Mehrheitsaktionär der Beklagten ist, und ob die C. über ordnungsgemäße Besitznachweise verfügt, nach wie vor weiterschwelt und im Verhältnis zwischen beiden Aktionären noch nicht abschließend geklärt ist. Ob die C. zu Recht die Stimmrechtsmehrheit ausübt, und wer tatsächlich Eigentümer der Aktien ist, ist und bleibt in dem Verhältnis streitig. Absehbar werden daher auch etwaige von der Hauptversammlung am 03. August 2022 mit den Stimmen der C. gefasste Bestätigungsbeschlüsse nicht zeitnah bestandskräftig werden; es ist vielmehr mit erneuten Anfechtungsklagen gegen die geplanten Bestätigungsbeschlüsse zu rechnen. Rechtsfrieden könnte eine Entscheidung für die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens also derzeit nicht schaffen.Randnummer104

Die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse führen zur Entscheidungsreife des vorliegenden Rechtsstreits (dazu unten III.). Es entspricht der prozessökonomie, die gewonnenen Erkenntnisse der Kammer in ihrer jetzigen Besetzung einer zeitnahen Entscheidung zuzuführen. Die zeitnahe Entscheidung wirkt einer möglichen Verfahrensverschleppung entgegen und dient der Schaffung von Rechtsklarheit über die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der angefochtenen Beschlüsse vom 31. August 2021.Randnummer105

Der Fassung von Bestätigungsbeschlüssen durch die Hauptversammlung am 03. August 2022 steht die vorliegende Entscheidung ohnehin nicht im Wege. Ob sie trotz unklarer Beteiligungsverhältnisse zum jetzigen Zeitpunkt zweckmäßig sind, hat die Kammer nicht zu beurteilen.

II.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, soweit der Kläger mit dem Hauptantrag die Feststellung der Nichtigkeit der streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse vom 31. August 2022 begehrt. Denn Nichtigkeitsgründe i.S.d. § 241 AktG sind bereits nicht schlüssig dargetan.Randnummer107

Das Aktienrecht unterscheidet zwischen Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen (dazu und zum Folgenden BeckOGK/Drescher, 1.2.2022, AktG § 243 Rn. 4 ff.; Koch, Aktiengesetz, AktG § 241 Rn. 4 ff.; 5). Enumerativ aufgezählte, besonders gravierende Verfahrensmängel oder besonders eklatante inhaltliche Beschlussmängel führen zur Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen, die u.a. mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 249 AktG) geltend gemacht werden kann. Leidet ein Beschluss an einem sonstigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß i.S.d. § 243 Abs. 1 AktG, so ist er nur anfechtbar und wird auf fristgerecht (§ 246 Abs. 1 AktG) von anfechtungsbefugten Klägern (§ 245 AktG) erhobene Anfechtungsklage für nichtig erklärt. Die Anfechtungsklage ist eine Gestaltungsklage (BeckOGK/Vatter, 1.2.2022, AktG § 246 Rn. 4).Randnummer108

Der klägerische Haupteinwand, die fehlende Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung, führt nicht zur geltend gemachten Nichtigkeit des Beschlusses, denn die Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter trotz Beschlussunfähigkeit ist in § 241 AktG nicht als Nichtigkeitsgrund aufgezählt. Dasselbe gilt für die Einwände des Klägers gegen den Gewinnverwendungsbeschluss; unterstellt, es wäre die gesetzliche Mindestdividende auszuschütten gewesen, läge darin nach § 254 Abs. 1 AktG kein Nichtigkeits-, sondern ein Anfechtungsgrund. Auch ein Verstoß gegen ein Stimmrechtsverbot nach § 20 Abs. 7 AktG, wie er vom Kläger hilfsweise geltend gemacht wird, führt nicht zur Nichtigkeit der streitgegenständlichen Beschlüsse. Der Vortrag zu angeblich mangelnden Angaben in der Einberufung bezüglich der Möglichkeiten zur Bevollmächtigung Dritter enthält ebenfalls keinen schlüssigen Vortrag zu Nichtigkeitsgründen i.S.d. § 241 Nr. 1 AktG.

III.

Die Klage hat jedoch Erfolg, soweit der Kläger mit dem hilfsweise gestellten Antrag begehrt, dass die streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse vom 31. August 2022 für nichtig erklärt werden.Randnummer110

Dabei bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Aufklärung, ob und wann die C. im Jahr 2020 das Eigentum an den ursprünglich dem Kläger gehörenden Aktien und damit zusammen mit den bereits zuvor gehaltenen eigenen Aktien die Aktienmehrheit an der Beklagten erlangt hat, oder ob es an diesem (dinglichen) Mehrheitserwerb fehlte.Randnummer111

Denn wenn die C. im Jahr 2020 die Aktienmehrheit erlangt haben sollte (was letztlich im Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der C. nunmehr vor dem Oberlandesgericht Frankfurt geklärt werden soll), war die Hauptversammlung zwar beschlussfähig. Die C. war in diesem Fall aber infolge der Missachtung der §§ 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG durch mittelbare Aktionäre und infolge eines daraus resultierenden konzernweiten Stimmrechtsverbots gem. § 20 Abs. 7 AktG gehindert, bei der streitgegenständlichen Hauptversammlung ihr Stimmrecht auszuüben. Die Missachtung des Stimmrechtsverbots, auf der die Beschlussfeststellung beruhte, führt in diesem Fall zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse (dazu unten 1.).Randnummer112

Sollte die C. hingegen das Eigentum an der Aktienmehrheit im Jahr 2020 nicht erlangt haben, war die Hauptversammlung auf der Grundlage des Hinweisbeschlusses des Oberlandesgerichts Stuttgart im Verfahren 20 U 45/21 vom 06. April 2022 (Anl. K 14) nicht beschlussfähig. Dann führt die Missachtung der fehlenden Beschlussfähigkeit, auf der die Beschlussfeststellung dann beruhte, zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse (dazu unten 2.).Randnummer113

An diesem Ergebnis, dem Erfolg des klägerischen Hilfsantrags, ändert sich auch nichts, wenn man für das Teilnahmerecht der C. an der Hauptversammlung abweichend vom bereits erwähnten Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart zum Vorprozess nicht auf die Eigentumslage an den streitbefangenen Aktien abstellt, sondern unterstellen würde, dass ungeachtet der Eigentumslage ein ordnungsgemäßer Besitznachweis der C. vorgelegen habe. Denn bei fehlendem Eigentumserwerb hätte zumindest seit 11. August 2020 ein Übereignungsanspruch bestanden, der eine Mitteilungspflicht der C. nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG ausgelöst hätte. Auch hier hätte gemäß § 20 Abs. 7 AktG ein Stimmrechtsverbot bestanden (dazu unten 3.).

1.

Hat die C. im Jahr 2020 die Aktienmehrheit erworben, unterlag sie wegen unzureichender Mitteilungen weiterer mitteilungspflichtiger Personen gem. § 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG (i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG) auch zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung am 31. August 2021 noch einem Stimmrechtsverbot nach § 20 Abs. 7 AktG.

a.

Ein gem. § 20 Abs. 7 AktG zum Stimmrechtsausschluss führender Sachverhalt liegt vor, wenn ein Unternehmen vor der Hauptversammlung das Eigentum an Aktien der Gesellschaft erwirbt, jedoch entgegen § 20 Abs. 1 oder Abs. 4 AktG nicht unverzüglich die geforderte Mitteilung an die Gesellschaft macht und diese Mitteilung auch nicht bis zum Beginn der Abstimmung nachholt. Mitteilungspflichtig ist dabei der Erwerb von mehr als einem Viertel der Aktien oder der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung.Randnummer116

Der Zweck der Mitteilungspflicht liegt darin, Aktionäre, Gläubiger und die Öffentlichkeit über bestehende oder entstehende Konzernbildungen zu informieren und zugleich Rechtssicherheit über die Beteiligungsquoten zu schaffen (BGH, Urteil vom 5. April 2016 – II ZR 268/14 –, Rn. 17, juris).

Die Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG wird grundsätzlich nur bei einem Beteiligungserwerb („Sobald … gehört …“) ausgelöst. Das erfordert einen Wechsel der Rechtsinhaberschaft, wobei die Art des Erwerbs irrelevant ist. Anknüpfungspunkt ist der Erwerb des Eigentums an den Aktien durch ein Unternehmen (BeckOGK/Petersen, 1.2.2022, AktG § 20 Rn. 38), wenn und sobald durch diesen Erwerb die genannten Beteiligungsschwellen überschritten werden.Randnummer118

Die Mitteilung muss hinreichend klar sein. Dies bedeutet, dass der Gesellschafter seiner Mitteilungspflicht nur genügt, „wenn die Gesellschaft nicht korrigierend eingreifen muss, vielmehr die Beteiligung und deren Inhaber, wie sie ihr mitgeteilt worden sind, bekannt machen kann, ohne dass in der Öffentlichkeit Zweifel entstehen, welche Art Beteiligung gemeint ist und wem sie zuzurechnen ist“ (BGH, Urteil vom 5. April 2016 – II ZR 268/14 –, Rn. 17, juris).Randnummer119

Vom Rechtsverlust erfasst wird nicht nur das mitteilungspflichtige Unternehmen; vielmehr können auch die Unternehmen, deren Aktien gem. §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 16 Abs. 4 AktG zugerechnet werden, hieraus ihre Rechte nicht mehr ausüben. Selbst wenn ein meldepflichtiges, seinerseits abhängiges Unternehmen seiner Mitteilungspflicht nachgekommen ist, darf es seine Rechte aus den Aktien dann nicht geltend machen, wenn und solange das beherrschende Unternehmen der Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist. In solchen Fällen kommt es also – als Sanktion für das Fehlverhalten des beherrschenden Unternehmens – zu einem konzernweiten Rechtsverlust (BGH, Urteil vom 5. April 2016 – II ZR 268/14 –, Rn. 47, juris; MüKoAktG/Bayer, 5. Aufl. 2019, AktG § 20 Rn. 50).Randnummer120

Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Stimmrechtsverlusts liegt beim klagenden Aktionär. Eine Informationsbeschaffungspflicht der Gesellschaft besteht in diesem Zusammenhang nicht (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Dezember 2012 – 20 AktG 1/12 –, Rn. 159, 162 m.w.N.). Freilich gelten daneben die allgemeinen Substantiierungsanforderungen für das prozessuale Bestreiten (dazu noch unten).

b.

Normadressat sind Unternehmen. Der in § 20 AktG verwendete Unternehmensbegriff ist rechtsformneutral (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1977 – II ZR 123/76 –, BGHZ 69, 334-337, Rn. 11). Nach der Zurechnungsregel des § 16 Abs. 4 AktG gelten auch die Anteile, die einem abhängigen Unternehmen gehören und, wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist, auch die Anteile, die sonstiges Vermögen des Inhabers sind, als Anteile, die einem Unternehmen im Rechtssinne „gehören“. Die Zurechnungsregelung des § 16 Abs. 4 AktG, auf die § 20 Abs. 1 Satz 2 AktG verweist, setzt freilich die Eigenschaft des Normadressaten als Unternehmen voraus, vermag sie jedoch nicht zu begründen (BGH, Urteil vom 18. Juni 2001 – II ZR 212/99 –, BGHZ 148, 123-129, Rn. 14).Randnummer122

Auch natürliche Personen können die Unternehmenseigenschaft haben und bei direktem oder indirektem Beteiligungserwerb gemäß § 20 Abs. 1, 4 AktG, ggf. in Verbindung mit § 16 Abs. 4 AktG, gegenüber der Gesellschaft zur Mitteilung verpflichtet sein (BeckOGK/Petersen, 1.2.2022, AktG § 20 Rn. 31). Die diesbezüglich notwendige Abgrenzung zwischen einer „unternehmerisch“ beteiligten natürlichen Person und einem „Privataktionär“ oder „Privatgesellschafter“ ist nach überwiegender Auffassung anhand einer am Normzweck orientierten Auslegung der Norm vorzunehmen. Der BGH hat dazu ausgeführt: „Für die Anwendung besonderer konzernrechtlicher Rechtssätze ist ausschlaggebend, dass es für ein abhängiges Unternehmen mit Gefahren verbunden sein kann, wenn der herrschende Gesellschafter außerhalb der Gesellschaft unternehmerische Interessen verfolgt. Der Grund für solche besonderen Gefahren liegt darin, dass es für den Gesellschafter wirtschaftlich vorteilhaft sein kann, den anderweitigen Interessen zu Lasten der Belange der von ihm abhängigen Gesellschaft den Vorzug zu geben“ (BGH, Urteil vom 19. September 1994 – II ZR 237/93 –, Rn. 24, juris; kritisch zur normzweckorientierten Auslegung allerdings Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 8 ff.). In erster Linie soll es bei der Abgrenzung nach dem Willen des Gesetzgebers darum gehen, diejenigen Fälle auszunehmen, bei denen im Regelfall nicht der konzerntypische Interessenkonflikt („die Konzerngefahr“) besteht (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 6a, 9a).Randnummer123

Zu den konzernrechtlichen Vorschriften der §§ 311 ff. AktG i.V.m. §§ 15 bis 19 AktG, also etwa zur Frage, ob die Voraussetzungen für die Einbeziehung eines Mehrheitsaktionärs in den zu erstattenden Abhängigkeitsbericht einzubeziehen ist, hat der BGH entschieden, dass es bei natürlichen Personen, die sich unmittelbar oder mittelbar an der Aktiengesellschaft beteiligen, entscheidend darauf ankomme, ob die betreffende Person auch außerhalb der Gesellschaft unternehmerisch tätig ist und so ein konzernrechtlich relevanter Interessenkonflikt entstehen kann. Neben der Beteiligung an der Aktiengesellschaft müssen „anderweitige wirtschaftliche Interessenbindungen“ bestehen, „die nach Art und Intensität die ernsthafte Sorge begründen, er (der Aktionär) könne wegen dieser Bindung seinen aus der Mitgliedschaft folgenden Einfluss auf die Aktiengesellschaft zu deren Nachteil ausüben“ (BGH, Urteil vom 18. Juni 2001 – II ZR 212/99 –, BGHZ 148, 123-129, Rn. 8). Dabei nimmt der BGH Rückgriff auf die VEBA/Gelsenberg-Entscheidung von 1977, in der er ausgeführt hatte, dass selbst „eine noch so hohe Beteiligung an einer Gesellschaft“ den Inhaber allein noch nicht zum herrschenden Unternehmen mache (BGH, Urteil vom 13. Oktober 1977 – II ZR 123/76 –, BGHZ 69, 334-337, Rn. 10). Dass ein Mehrheitsaktionär zugleich Vorstandsvorsitzender der Aktiengesellschaft ist und zudem selbst direkt an ihren Tochtergesellschaften beteiligt ist, soll nach der Rechtsprechung des BGH nicht genügen, um eine Pflicht zur Erstattung eines Abhängigkeitsberichts nach § 312 AktG zu begründen, denn etwaige Konflikte aus unterschiedlich gelagerten Interessenbindungen ließen sich in dieser Konstellation mit konzerninternen Mitteln lösen (BGH, Urteil vom 18. Juni 2001 – II ZR 212/99 –, BGHZ 148, 123-129, Rn. 13; a.A. noch OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Juni 1999 – 1 U 288/98 –, juris). Ausreichend für die Begründung einer Unternehmenseigenschaft einer natürlichen Person bei der Anwendung konzernrechtlicher Normen ist hingegen eine „maßgebliche“ Beteiligung an einer anderen Gesellschaft und die „Möglichkeit, sich unter Ausübung von Leitungsmacht auch in anderen Gesellschaften unternehmerisch zu betätigen“ (BGH, Urteil vom 18. Juni 2001 – II ZR 212/99 –, BGHZ 148, 123-129, Rn. 8; OLG Hamm, Urteil vom 2. November 2000 – 27 U 1/00 –, Rn. 45, juris; vgl. schon BGH, Urteil vom 16. September 1985 – II ZR 275/84 –, BGHZ 95, 330-349, Rn. 20 „Autokran“). Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung, wonach bei weiteren Beteiligungen gerade die Unternehmereigenschaft fehle (dazu MüKoAktG/Bayer, 5. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 17 m.w.N.), konnte sich nicht durchsetzen.Randnummer124

Diese zu anderen konzernrechtlichen Normen entwickelten Grundsätze sind auch bei der Prüfung heranzuziehen, ob eine natürliche Person als (mittelbarer) Aktionär einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland gem. § 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG (ggf. i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG) mitteilungspflichtig ist.Randnummer125

Zu prüfen ist demnach jeweils, ob die Gefahr eines Interessenkonflikts im konzernrechtlichen Sinne besteht. Leitlinie bei der Abgrenzung soll sein, „ob die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ihrer Art nach zur Bewältigung etwa auftretender Interessenkonflikte ausreichen oder ob dafür zusätzlich die Anwendung der konzernrechtlichen Vorschriften innerhalb und außerhalb des AktG erforderlich ist“ (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, § 15 AktG Rn. 11a).Randnummer126

Als „Privataktionär“ angesehen wird eine natürliche Person, die keine weiteren Beteiligungen als die an der Aktiengesellschaft hat (KG Berlin, Urteil vom 18. Mai 2010 – 14 AktG 1/10 –, Rn. 39, juris). Ob der Aktionär von außen Einfluss auf die Aktiengesellschaft nimmt, soll ebenfalls keine Rolle spielen, weil das nicht ausreiche, um eine „Konzerngefahr“ zu begründen. Bayer hat dafür den Begriff des „privilegierten Privataktionärs“ verwendet (MüKoAktG/Bayer, 5. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 14), Emmerich spricht (offener) vom Bild des Privataktionärs als „Rentier“, der sich auf die Verwaltung seines Privatvermögens beschränke (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 20 Rn. 14). Eine auf eine einzige, nämlich die konzernrechtlich in Frage stehende Gesellschaft konzentrierte besondere Anteilshöhe, intensive Einflussnahme bzw. Beherrschung durch einen Gesellschafter qualifiziert diesen nicht schon als Unternehmer im konzernrechtlichen Sinne (Grigoleit/Grigoleit, 2. Aufl. 2020, AktG § 15 Rn. 29). Irrelevant ist, ob der Aktionär seine Aktienbeteiligung mithilfe eines geschäftsbetriebsartigen Apparats verwaltet. Die bloße vermögensverwaltende, gemeinnützige oder karitative Tätigkeit außerhalb der Gesellschaft reicht nicht, um die Unternehmenseigenschaft einer natürlichen Person als Aktionär zu begründen (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 11b).Randnummer127

Auch einem „Privataktionär“, der neben der reinen Kapitalbeteiligung an der Aktiengesellschaft „keine andere (wesentliche) wirtschaftliche Interessenbindung“ hat, soll die Unternehmenseigenschaft fehlen mit der Folge, dass er nicht den Mitteilungspflichten nach § 20 AktG unterliegt (BeckOGK/Petersen, 1.2.2022, AktG § 20 Rn. 31; MüKoAktG/Bayer, 5. Aufl. 2019, AktG § 20 Rn. 6). Die Prüfung, ob eine „wesentliche“ anderweitige wirtschaftliche Interessenbindung vorliegt, führt jedoch zu Abgrenzungsproblemen und wirft in der Praxis Schwierigkeiten auf.Randnummer128

Für die unternehmerische Betätigung außerhalb der Aktiengesellschaft, die nach dem vorstehend Gesagten zur Bejahung der Unternehmereigenschaft einer natürlichen Person im konzernrechtlichen Sinne führt, reicht in jedem Fall aus, wenn der fragliche Gesellschafter als Einzelkaufmann oder als persönlich haftender Gesellschafter einer unternehmerisch tätigen Gesellschaft aktiv ist (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 11a), weil der Aktionär in diesem Fall zusätzlich zur Kapitalbeteiligung Leitungsmacht bei einem anderen Unternehmen ausübt. Auch eine selbstständige freiberufliche Tätigkeit außerhalb der Gesellschaft kann für die Bejahung der Unternehmensqualität des betreffenden Aktionärs ausreichen (BGH, Urteil vom 19. September 1994 – II ZR 237/93 –, Rn. 24, juris; BGH, Urteil vom 27. März 1995 – II ZR 136/94 –, Rn. 12, juris; Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 11b). Umstritten ist hingegen, ob schon die „bloße“ maßgebliche Beteiligung an mindestens einer anderen Gesellschaft genügt, um die Unternehmenseigenschaft des fraglichen Aktionärs zu begründen (sog. „Aktionär mit multiplem Beteiligungsbesitz) (dazu Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 11a und 12), oder ob in solchen Fällen die Möglichkeit der Ausübung von Leitungsmacht bei dem anderen Unternehmen hinzutreten muss (dazu BGH, Urteil vom 18. Juni 2001 – II ZR 212/99 –, BGHZ 148, 123-129, Rn. 8).Randnummer129

Nicht unproblematisch ist die Behandlung von Treuhandverhältnissen im Rahmen des § 20 Abs. 1, 4 AktG. Einerseits wird in der Literatur vertreten, dass bei Treuhandverhältnissen sowohl der Treugeber als auch der Treuhänder als Unternehmer im konzernrechtlichen Sinne anzusehen sei; beide seien als wirtschaftliche Einheit anzusehen, das Weisungsrecht des Treugebers (§§ 675 Abs. 1, 665 BGB) rechtfertige generell die Zurechnung des Anteilsbesitzes des Treuhänders zum Treugeber, und solche Treugeber seien konzernrechtlich eben nicht mit einem „einfachen Privataktionär“ auf eine Stufe zu stellen (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 15 Rn. 19). Andererseits hatte der BGH 1991 ein Verfahren vorliegen, bei dem es um die Mitteilungspflicht einer BGB-Gesellschaft nach § 20 AktG ging, deren einziger Zweck die Stellung als Treuhänderin war. Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, es sei anerkannt, dass sowohl Treugeber wie Treuhänder mitteilungspflichtig im Sinne des § 20 AktG seien. Der BGH führte jedoch aus, dass diese Beurteilung „in ihrer Allgemeinheit rechtlich nicht haltbar“ sei. Wenn sich der Gesellschaftszweck auf das bloße anteilige Halten der Aktien beschränke, also keine weiteren Beteiligungen bestünden, und wenn die Gesellschafter ihre unternehmerischen Interessen nicht über die BGB-Gesellschaft koordinieren, fehle es an der Unternehmereigenschaft der BGB-Gesellschaft als Treuhänderin (BGH, Urteil vom 22. April 1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, Rn. 17 f.).

c.

Nach den vorstehenden Grundsätzen und aufgrund des der Kammer präsentierten Sachverhalts ist davon auszugehen, dass die D. Ltd. jedenfalls zum hier (für die Prüfung eines Stimmrechtsverbots aus § 20 Abs. 7 AktG) maßgeblichen Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung am 31. August 2021 ein vom Zeugen E. abhängiges Unternehmen war (unten aa.) und dass Herr E. als Unternehmen bzw. Unternehmer im Rechtssinne gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 4 i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG ebenfalls mitteilungspflichtig war (unten bb.).

aa.

Zu den Beteiligungs- und Beherrschungsverhältnissen und zu den Zeitpunkten von Mitteilungen nach § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG (ggf. i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG) stellt die Kammer fest:Randnummer132

aaa.

Es liegt eine für die C. abgegebene, auf den 16. Juli 2020 datierte Mitteilung gem. § 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG vor, wonach diese mehr als den vierten Teil der Aktien und zugleich eine Mehrheitsbeteiligung an der Beklagten erworben habe (Anl. K 11).Randnummer134

bbb.

Die Anteile an der C. (Luxemburg) gehörten damals und gehören heute noch zu 100% der „D. Ltd.“ (C. C., Barbados) (Bl. 23, 208 d.A.), die im Sommer 2020, ebenfalls unter dem Datum des 16. Juli 2020, ihre mittelbare Beteiligung an der A AG gemäß § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG „kraft Zurechnung gemäß § 16 Abs. 4 AktG“ mitgeteilt hat (Anl. K 12).Randnummer136

Die C. war und ist ein im Mehrheitsbesitz der D. Ltd. stehendes Unternehmen i.S.d. § 16 Abs. 1 AktG, so dass nach § 17 Abs. 2 AktG die – hier nicht widerlegte – Abhängigkeitsvermutung greift. Die D. Ltd. ist somit herrschendes Unternehmen, die C. abhängiges Unternehmen gem. § 17 Abs. 1 AktG. Hat die C. einen nach § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 AktG meldepflichtigen Erwerb von Aktien an der Beklagten getätigt, so gilt die von der C. erworbene Beteiligung an der Beklagten gem. § 16 Abs. 4 AktG auch als eine solche der D. Ltd. Dieser Zurechnungstatbestand löst gem. § 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG dann auch eine Mitteilungspflicht der D. Ltd. aus. Die Mitteilung der „D. Ltd.“ vom 16. Juli 2020 ist vom Zeugen E. unterzeichnet (Anl. K 12), der einem vom Kläger zitierten Artikel des „Focus“ zufolge „Direktor“ unter anderem der „D. Ltd.“ ist (Anl. K 8).Randnummer137

Die vom Zeugen E. für die „D. Ltd.“ im Sommer 2020 abgegebene Meldung und die für die C. abgegebene Meldung führten wiederum zu der Bekanntmachung durch die Beklagte vom 25. August 2020 (Anl. K 6), die demnach ebenfalls vom Bestehen der mittelbaren Beteiligung ausgeht.Randnummer138

ccc.

Nach dem Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 24. Mai 2022 auf Seite 6, auf den die Beklagte nicht erwidert hat, gehört die „D. Ltd.“ zu 100% dem Zeugen E. (Bl. 208 d.A.). Auf eine unmittelbare Beteiligung des Zeugen E. an der „D. Ltd.“ deutet auch der Inhalt der jetzt, im Juni 2022 abgegebenen eigenen Stimmrechtsmitteilung des Zeugen E. hin, wonach er „über die D. Ltd.“ und die C. mittelbar eine Mehrheitsbeteiligung an der A AG halte (Anl. B 18).Randnummer140

Freilich ist hier die Frage relevant, ob die C. wegen unterlassener oder unzutreffender Mitteilungen nach § 20 Abs. 1, 4 AktG nach § 20 Abs. 7 AktG bei der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung 2021 einem Stimmrechtsverbot unterlag; wurde dieses Stimmrechtsverbot bei der Stimmauszählung in der Hauptversammlung missachtet, liegt ein Beschlussmangel vor. Für die Frage des Bestehens eines Stimmrechtsverbots wegen unterbliebener oder unrichtiger Stimmrechtsmitteilungen nach § 20 AktG (ggf. i.V.m. § 16 Abs. 4 AktG) kommt es auf die Verhältnisse zur bzw. vor der Hauptversammlung am 31. August 2021 an, nicht auf die heutigen Beteiligungsverhältnisse.Randnummer141

Im Auszug aus dem luxemburgischen Transparenzregister zur C. vom 31. Juli 2020 (Abrufdatum, mithin vor der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung 2021) ist der Zeuge E. als „actionnaire indirect“ eingetragen, wobei dies dem Registerauszug zufolge auf einer zuletzt am 02. September 2019 abgegebenen Erklärung beruht (Anl. K 7). In dem weiteren, jüngeren Auszug aus dem luxemburgischen Transparenzregister zur C. vom 07. Dezember 2021, der auf eine zuletzt abgegebene Erklärung vom 17. März 2021 Bezug nimmt (Anl. B 3), sind unter „wirtschaftlich Berechtigten“ („bénéficiaires effectifs“) sowohl der Zeuge E. als auch der als Zeuge benannte F. genannt. Dabei wird der Zeuge E. nunmehr mit dem Hinweis auf „parts sociales en trust“ aufgeführt, wobei „parts sociales“ Gesellschaftsanteil bedeutet und „en trust“ entweder auf einen Konzern oder einen „Trust“ hindeuten kann. Als Umfang („étendue“) der wirtschaftlichen Berechtigung sind 100% angegeben. Herr F. ist als „constituant (settlor) d’un trust“, also als „Besitzmittler“ eines „Trusts“ genannt. Die unterschiedlichen Eintragungen im luxemburgischen Transparenzregister zur C. zum Stand 31. Juli 2020 einerseits und zum Stand seit dem 17. März 2021 andererseits erklärt die Beklagte damit, der Kläger habe einen „veralteten Auszug“ vorgelegt. Aus dem jüngeren Auszug ergebe sich, dass der Zeuge E. die Anteile an der C. nur treuhänderisch halte (Bl. 100 d.A.). Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich jedoch keine Erklärung dafür, was hinter der zwischen 2020 und 2021 geänderten Eintragung steckt.Randnummer142

Tatsächlich sprechen die vorgelegten Auszüge aus dem Transparenzregister zur C. dafür, dass es entweder zwischen dem 31. Juli 2020 und dem 17. März 2021 zu einer Änderung der Beteiligungsverhältnisse oder der wirtschaftlichen Berechtigung an der C. gekommen ist, oder dass die ursprüngliche Meldung an das Transparenzregister unzutreffend war und später korrigiert wurde.Randnummer143

Die Beklagte war nicht in der Lage, die Unterschiede bezüglich der Eintragungen im Transparenzregister zur C. nachvollziehbar zu erklären, obwohl ihr Vorstand schon in der ersten mündlichen Verhandlung mit Blick auf die üblichen „KYC-Prozesse“ (“know your customer“) zu ihren Erkenntnissen bezüglich der hinter der (angeblich) neuen Mehrheitsaktionärin stehenden wirtschaftlichen Berechtigten befragt worden ist (Bl. 188 d.A.).Randnummer144

Ausgehend vom klägerischen Vortrag im Schriftsatz vom 24. Mai 2022 auf Seite 6, gehörten der zu 100% vom Zeugen E. kontrollierten „D. Ltd.“ (Barbados) 100% der Anteile an der C. (Luxemburg) (Bl. 208 d.A.), wie bereits erwähnt. Auf Seite 10 des Schriftsatzes vom 24. Mai 2022 trägt der Kläger zwar vor, dass gemäß Schedule B des SEC Filings einer O. LLP (Anl. K 15) eine gewisse „P. LTD“ an einer „D1. Ltd.“ beteiligt sei (Bl. 212 d.A.). Die „D1. Ltd.“ ist freilich nicht mit der vorgenannten Alleingesellschafterin der C., der „D. Ltd.“ identisch (Bl. 264 d.A.). Die Informationen aus dem SEC Filing widersprechen somit nicht dem klägerischen Vortrag zur 100%-Beteiligung des Zeugen E. an der D. Ltd. als mittelbarer Aktionärin der Beklagten (vermittelt über die C.). Der diesbezügliche klägerische Vortrag ist gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.Randnummer145

Nach alledem ist die D. Ltd. als ein im Mehrheitsbesitz des Zeugen E. stehendes, von ihm konzernrechtlich abhängiges Unternehmen anzusehen.Randnummer146

ddd.

Der Kläger hat bereits in der Klageschrift vorgetragen und durch Benennung des Zeugen E. unter Beweis gestellt, dass der Zeuge E. über weitere Beteiligungen neben derjenigen an der D. Ltd. verfüge, sich dort teilweise auch unternehmerisch bzw. als Unternehmensleiter betätige und dass er seine mittelbare Beteiligung an der C. (vermittelt über die D. Ltd.) als unternehmerische Beteiligung betrachte und es sich nicht nur um eine vermögensverwaltende Tätigkeit handele (Bl. 25 d.A.). Der Vorstand der Beklagten, Herr Dr. V., hat bei der Anhörung im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 05. April 2022 behauptet, der Zeuge E. sei Treuhänder verschiedener Fonds. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat vorgetragen, aus Sicht der Gesellschaft sei Herr E. kein Unternehmer im Sinne des § 20 AktG (Bl. 188, 189 d.A.). Die Unternehmenseigenschaft des Zeugen E. war und ist somit streitig.Randnummer148

Die Kammer ist den unklaren mittelbaren Beteiligungsverhältnisse und der Rolle des vom Kläger benannten Zeugen E. nachgegangen, soweit dies möglich war. Im Ausgangspunkt hatte der Kläger die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Stimmrechtsverbot nach § 20 Abs. 7 AktG darzulegen und zu beweisen. Dazu gehörten auch die Umstände, aus denen sich eine eigene Mitteilungspflicht des Zeugen E. ergaben (vgl. bereits oben und OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Dezember 2012 – 20 AktG 1/12 –, Rn. 158, 162, juris). Der klägerische Vortrag hierzu ist jedoch hinreichend substantiiert und zudem belegt. Im Gegensatz dazu fehlt es an substantiiertem Tatsachenvortrag der Beklagten (dazu näher im Folgenden).Randnummer149

Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass über den Zurechnungstatbestand des § 16 Abs. 4 AktG auch der Zeuge E. als „Unternehmen“ im Rechtssinne einer eigenen Mitteilungspflicht unterlag, der er jedoch vor der Hauptversammlung am 31. August 2021 nicht nachgekommen ist.

(1)

Es ist davon auszugehen, dass der Zeuge am hier maßgeblichen Stichtag (31. August 2021) über die Beteiligung an der D. Ltd. hinaus an mehreren weiteren Gesellschaften maßgeblich beteiligt war und bei diesen Gesellschaften teils auch Leitungsmacht ausüben konnte.Randnummer151

Als bewiesen anzusehen ist der Vortrag des Klägers zu weiteren maßgeblichen Beteiligungen des Zeugen E., etwa an der P. Ltd. (zu mindestens 75%) und an der Q. Finance Ltd. (ebenfalls zu mindestens 75%) (vgl. Anl. K 15 ff.).Randnummer152

Angaben im SEC-Filing zur O. LLP von 1993 zufolge, war der Zeuge E. mit 75% oder mehr als Gesellschafter an der P. Limited beteiligt und als solcher „control person“ (Anl. K 15, Anl.band Bl. 127). Der Klägervertreter hat im Termin am 19. Juli 2022 die Aktualität dieser Angaben bestätigt. Der klägerische Vortrag zur Aktualität ist unstreitig geblieben (Bl. 263 d.A.); die sich aus dem SEC-Filing ergebenden Fakten hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten.Randnummer153

Laut Auszug des Companies House vom 24. April 2022 war der Zeuge E. bereits seit 2006 aktiver „Director“, also Geschäftsführer der Q. FINANCE Limited (Anl. K 18 Seite 1). Im vorgelegten Auszug ist als einzige „person with significant control“ der Zeuge E. genannt, zur Rechtsnatur dieser ausgeübten Kontrolle finden sich Hinweise auf eine Beteiligung an Kapital und Stimmrechten von mindestens 75% sowie auf das Recht, Geschäftsführer der Gesellschaft zu ernennen und abzuberufen (Anl. K 18 Seite 3). Der Zeuge E. kontrolliert damit nicht nur die D. Ltd., sondern auch die Q. FINANCE Limited. Die Aktualität des diesbezüglichen klägerischen Vortrags ist in der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2022 vom Klägervertreter bestätigt (Bl. 263 d.A.) und von der Beklagten nicht bestritten worden.Randnummer154

In einem vom Kläger vorgelegten „Annual Return“ der R. Limited von 2016 an das Companies House sowie in einem Auszug des Companies House zur Q. FINANCE Limited vom 24. April 2022 wird als Berufsbezeichnung für den Zeugen E. „lawyer“, also Rechtsanwalt, angegeben (Anl. K 16 Seite 2; Anl. K 18 Seite 1). Das spricht für das Bestehen einer zusätzlichen freiberuflichen Tätigkeit des Zeugen E.

(2)

Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass die Beklagte ihren Vortrag zur angeblich am 31. August 2021 (Tag der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung) fehlenden Unternehmenseigenschaft des Zeugen E. (der über bloßes Bestreiten mit Nichtwissen hinausgeht, vgl. Bl. 188, 189 d.A.) auch noch aufrecht erhalten hat, nachdem sie am 24. Juni 2022 eine auf § 16 Abs. 4 AktG gestützte Stimmrechtsmitteilung des Zeugen E. erhalten hatte (Anl. B 18), die sie am 28. Juni 2022 im Bundesanzeiger veröffentlicht hatte (Bl. 251 d.A.; Anl. B 17), was sie jedoch dem Gericht schriftsätzlich erst am 13. Juli 2022, wenige Tage vor dem zweiten Termin zur mündlichen Verhandlung mitteilte (Bl. 248 ff. d.A.).Randnummer156

Dass der Zeuge E. am 31. August 2021 seine mittelbare Beteiligung an der Beklagten noch nicht als Unternehmen im Sinne der §§ 16 Abs. 4, 20 Abs. 1 Satz 2 AktG gehalten haben könnte, und dass er erst in der Zwischenzeit zum Unternehmen im Sinne dieser Normen geworden sein könnte, wäre jedenfalls ohne weitere Erklärungen kaum nachvollziehbar. Der Vortrag der Beklagten lässt jeden nachvollziehbaren Erklärungsversuch zu diesem Vorgang vermissen. Der Beklagtenvertreter konnte auch im Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2022 auf Nachfrage keine tatsächlichen Anhaltspunkte nennen, die dafür sprechen könnten, dass der Zeuge E. erst jetzt, im Juni 2022, die Unternehmenseigenschaft im Sinne von § 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG erworben hat, dass er aber am 31. August 2021 noch kein Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne gewesen sein könnte. Er hat lediglich erklärt, dass Herr E. „offenbar“ zu dem Ergebnis gelangt sei, dass er Unternehmen i.S.d. § 20 AktG sei (Bl. 263 d.A.).

(3)

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2022 kam u.a. auch § 22 AktG zur Sprache (Bl. 262 d.A.). Die Beklagte, die seit Eingang der Stimmrechtsmitteilungen von 2020 der C. und der D. Ltd. nun hinreichend Zeit für eigene Recherchen hatte, nutzt offensichtlich auch nicht die Möglichkeiten des § 22 AktG, wonach eine Aktiengesellschaft nach Eingang von Stimmrechtsmitteilungen jederzeit verlangen kann, dass ihr das Bestehen der Beteiligung nachgewiesen wird. Zweck der Regelung ist es, der Gesellschaft die Möglichkeit zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit dieser Mitteilung zu verschaffen; sie soll mithilfe des Anspruchs auf den Nachweis der ihr mitgeteilten Beteiligung die Richtigkeit der Mitteilung überprüfen können (BeckOGK/Petersen, 1.2.2022, AktG § 22 Rn. 2; Koch, Aktiengesetz, AktG § 22 Rn. 1). Dem Zweck entsprechend, gehört dazu nach Eingang von Stimmrechtsmitteilungen, die auf Zurechnungstatbestände (etwa § 16 Abs. 4 AktG, wie hier bei der D. Ltd.) gestützt werden, auch ein Anspruch auf Nachweise der Sachverhalte, aus denen sich die Voraussetzungen der Stimmrechtszurechnung ergeben sollen (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 22 Rn. 5).Randnummer158

Im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 05. April 2022 hat die Beklagte nach dem Eindruck der Kammer Spekulationen zu einem möglichen Treuhandverhältnis zwischen dem vom Kläger benannten Zeugen E. und dem weiteren vom Kläger benannten Zeugen F. angestellt. Der Zeuge E. sei, „wenn es denn eine Treuhandabrede zwischen Herrn F. und Herrn E. gebe“, kein Unternehmer (Bl. 189 d.A.). Ob überhaupt eine Treuhandabrede zwischen Herrn F. und Herrn E. besteht, ist jedoch unklar. Der Vorstand der Beklagten, Herr Dr. V., hat erklärt, er wisse nicht, ob die Treugeberstellung des Herrn F. sein Privatvermögen betreffe (Bl. 189 d.A.). Unklar blieb, um welches Treugut es dabei gehen soll. Die Unternehmenseigenschaft des Herrn E. hat die Beklagte in diesem Termin dezidiert bestritten, ohne konkrete Tatsachen präsentieren zu können. Der Kläger hat wiederum hat bereits im Termin am 05. April 2022 auf den „spekulativen“ Charakter des Beklagtenvortrags hingewiesen (Bl. 190 d.A.).Randnummer159

Der Kläger stellte angesichts des Verteidigungsvorbringens der Beklagten im Anschluss an die erste mündliche Verhandlung weitere Recherchen an, was er bereits im ersten Termin durch Beantragung eines dann auch gewährten Schriftsatzrechtes (Bl. 189 d.A.) angekündigt hatte und auch im Schriftsatz vom 26. April 2022 erwähnte (Bl. 198 d.A.). Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 (Bl. 203 ff. d.A.) unterbreitete der Kläger seine Rechercheergebnisse, u.a. unter Vorlage eines SEC Filings der O. LLP (Anl. K 15), von Auszügen aus dem Company House (Anl. K 16 und K 18) und einer Übersicht der „Offshore Leaks Database“ (Anl. K 17).Randnummer160

Die Beklagte, die Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Rechercheergebnissen des Klägers erhielt, erklärte sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlungen nicht dazu. Der klägerische Vortrag im Schriftsatz vom 24. Mai 2022 blieb unstreitig (Bl. 264 d.A.). Im Termin am 19. Juli 2022 erklärte der Beklagtenvertreter, es gebe da „ein Geflecht unter Beteiligung von Herrn F. und von Fonds“; die Details kenne man aber nicht (Bl. 262 d.A.). Gleichwohl räumte die Beklagte nicht ein, dass ihr zuvor gehaltener, spekulativ anmutender Vortrag zur Frage der Unternehmenseigenschaft des Zeugen E., und der Vortrag, auf den sie die von ihr behauptete, vermeintlich fehlende Mitteilungspflicht des Zeugen E. stützen möchte, unrichtig und unvollständig war. Durch das gleichzeitige Aufrechterhalten der eigenen Mutmaßungen in tatsächlicher Hinsicht, etwa in Bezug darauf, dass die (angebliche) Treugeberstellung des Herrn F. möglicherweise sein Privatvermögen betreffe, und zur in den Raum gestellten, aber nicht vorliegenden Treuhandabrede zwischen Herrn F. und Herrn E. (vgl. Bl. 188 f. d.A.) hat die Beklagte gegen ihre prozessuale Pflicht verstoßen, sich vollständig und wahrheitsgemäß über tatsächliche Umstände zu erklären (§ 138 Abs. 1 ZPO).Randnummer161

Die erklärungsbelastete Partei hat auf die Behauptungen des Prozessgegners grundsätzlich substantiiert, d.h. mit näheren positiven Angaben zu erwidern; sie muss erläutern, von welchem Sachverhalt sie ausgeht. Substantiiertes Bestreiten heißt, eine Gegendarstellung abzugeben. Um die notwendigen Informationen hat sich die erklärungsbelastete Partei selbst zu bemühen. Dazu hat sie ihr zugängliche Informationen in ihrem Unternehmen oder von denjenigen Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig waren, und kann sich nicht mit Nichtwissen erklären (MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, ZPO § 138 Rn. 22, 23).Randnummer162

Nach diesen Maßstäben hätte die Beklagte jedenfalls nach dem konkretisierten Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 24. Mai 2022 konkret darlegen müssen, welche tatsächlichen für die Unternehmenseigenschaft des Herrn E. relevanten Umstände sie ggf. weiterhin bestreitet und auf welche Tatsachen sie die im Termin am 05. April 2022 aufgestellte Behauptung, ihm fehle die Unternehmenseigenschaft (Bl. 189 d.A.), nun konkret stützen möchte. Sie hätte als eigenen Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung u.a. den Nachweisanspruch gem. § 22 AktG bemühen und darüber hinaus direkte Erkundigungen beim Zeugen E. und seinen anwaltlichen Bevollmächtigten (T.) einholen können, mit dem die Beklagtenvertreter vorterminlich in Kontakt standen (Bl. 261 ff., Bl. 266 ff.). Die Beklagte hat jedoch weder die in den Raum gestellte Treuhandabrede zwischen dem Zeugen E. und dem Zeugen F. noch Nachweise über deren mögliche Geldgeber, Financiers oder sonstige hinter der mittelbaren Beteiligung steckende Fonds vorgelegt noch konkretere Informationen dazu vorgetragen. Ein bloßes Bestreiten der Unternehmenseigenschaft des Zeugen E. (Bl. 189 d.A.) mit Nichtwissen war prozessual unzulässig und irrelevant. Einen positiven Beitrag der Beklagten zur Aufarbeitung des Sachverhalts vermag die Kammer diesbezüglich nicht zu erkennen.Randnummer163

Hinzu kommt, dass die Beklagte trotz Nachfrage des Gerichts (Bl. 188 d.A.) nicht dargelegt hat, ob und welche unternehmensinternen Kenntnisse sie in Bezug auf die hinter der C. und der D. Ltd. stehenden Personen aus üblichen „KYC“-Prozessen (vgl. §§ 10 ff. GWG) hat, die etwa bei Eröffnung von Bankkonten, aber auch bei Bestandskunden von Banken in Form regelmäßiger Kundendatenaktualisierung ablaufen und die sich auch auf „wirtschaftlich Berechtigte“ der Beklagten erstrecken (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3a Nr. 1 GWG).

(4)

Nach alledem steht auch und bereits ohne Vernehmung des Zeugen E. zur Überzeugung der Kammer fest, dass dieser bereits vor und zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung am 31. August 2021 nicht nur mittelbar an der Beklagten beteiligt war, sondern sich auch anderweitig unternehmerisch betätigte, maßgebliche Beteiligungen an anderen Unternehmen besaß und bei ihnen auch die Leitungsmacht ausübte. Die typische „Konzerngefahr“, aus der sich, wie oben bereits erläutert, die Mitteilungspflicht natürlicher Personen bei Anwendung des § 20 AktG rechtfertigt, bestand und besteht auch in seiner Person.

cc.

Ob und welche weiteren Personen in einem Beherrschungsverhältnis zur D. Ltd. und zur C. standen, und wie die weiteren Stimmrechtsmitteilungen vom Juni 2022 zu erklären sind, kann die Kammer an dieser Stelle offenlassen.Randnummer166

Wegen der im Vorfeld der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung vom 31. August 2021 versäumten pflichtgemäßen Stimmrechtsmitteilung des Zeugen E. trat bezogen auf den jedenfalls durch Herrn E., die D. Ltd. und die C. gebildeten Konzern ein konzernweiter Rechtsverlust ein. Die C. unterlag damals gemäß § 20 Abs. 7 AktG einem Stimmrechtsverbot.

d.

Die Missachtung des aus dem vorstehenden Sachverhalt resultierenden Stimmrechtsverbots gem. § 20 Abs. 7 AktG bei der Auszählung der Stimmen war für die Beschlussfeststellung ursächlich.Randnummer168

Dem Stimmrechtsverbot unterlagen sämtliche von der C. ausgeübten Stimmrechte, nicht nur ihre Stimmrechte aus den vom Kläger für sich beanspruchten Aktien, bei denen die Eigentumsverhältnisse streitig sind. Rechnet man sämtliche 14.280.902 von der C. angemeldeten und ausgeübten Stimmrechte (Bl. 94 d.A.) aus dem Abstimmungsergebnis heraus, so hätte sich bei verbleibenden rund 11 Mio. abgegebenen gültigen Stimmen jeweils eine Mehrheit für „Nein“ ausgesprochen (bei TOP 2: 6.393.389 Nein-Stimmen; bei TOP 3: 6.593.395 Nein-Stimmen; bei den übrigen Beschlüssen 6.593.390 Nein-Stimmen, vgl. Bl. 35 d.A.). Schon deshalb beruhte die Beschlussfeststellung auf einem Fehler.Randnummer169

Hinzu kommt, dass es bei Berücksichtigung des Stimmrechtsverbots auch an der Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung fehlte.Randnummer170

Ziff. 16.1 der Satzung der Beklagten verlangt für die Beschlussfähigkeit einer ersten Hauptversammlung, dass mehr als die Hälfte des Grundkapitals vertreten sind. Eine satzungsmäßig festgelegte Mindestpräsenz bzw. ein Mindestquorum als Voraussetzung der Beschlussfähigkeit ist bei der Aktiengesellschaft nicht zwingend und bei Publikumsgesellschaften unüblich, aber nach § 133 Abs. 1 AktG zulässig (Koch, Aktiengesetz, AktG 16. Aufl. 2022, § 133 Rn. 8, 15; BeckOGK/Rieckers, 1.2.2022, AktG § 133 Rn. 11; MüKoAktG/Arnold, 5. Aufl. 2022, AktG § 133 Rn. 22; Grigoleit/Herrler, 2. Aufl. 2020, AktG § 133 Rn. 20).Randnummer171

Stellt die Satzung wie hier ein Kapitalquorum auf, sind hierfür nur die stimmberechtigten Aktien zu zählen. Aktien, die einem Stimmrechtsverbot unterliegen, dürfen somit nicht mitgezählt werden, und zwar weder bei der Referenzzahl noch bei der Präsenzfeststellung (vgl. BeckOGK, AktG § 133 Rn. 11, beck-online; MüKoAktG/Arnold, 5. Aufl. 2022, AktG § 133 Rn. 23; vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991 – II ZR 31/91 –, BGHZ 116, 353-359, Rn. 12).

e.

Hat die C. im Jahr 2020 das Eigentum an der Aktienmehrheit erlangt, so sind die hilfsweise angefochtenen Beschlüsse der Hauptversammlung vom 31. August 2021 nach alledem für nichtig zu erklären.

2.

Kein anderes Ergebnis ergibt sich, wenn die C. im Jahr 2020 nicht das Eigentum an der Aktienmehrheit erlangt haben sollte.Randnummer174

Denn in diesem Fall hätte sie auf der Grundlage der vorgelegten Bestandsnachweise nicht für 14.280.902 Aktien zur streitgegenständlichen Hauptversammlung zugelassen werden dürfen, sondern allenfalls für die 1.420.225 Aktien, die sie ohne den (zwischen ihr und dem Kläger) streitigen Übertragungsvorgang bereits hielt (vgl. Bl. 34 d.A.). Die Hauptversammlung wäre auch in diesem Fall nach Ziff. 16.1 der Satzung nicht beschlussfähig gewesen (vgl. Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 06. April 2022 – 20 U 45/21, hier vorgelegt als Anl. K 14). Denn für die Präsenz hätten dann bezüglich des von der C. angemeldeten Bestandes maximal 1.420.225 Aktien gerechnet werden dürfen, sofern man vernachlässigt, dass auch diese Aktien dann wegen § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG einem Stimmrechtsverbot unterlagen (dazu unten 3.). Die Präsenz hätte bei allen Beschlüssen unter 12.700.000 Aktien (aufgerundet) gelegen. Ausgehend von der höchsten, im Protokoll (Anl. B 2) vermerkten Präsenz, dokumentiert zu TOP 3, hätte sich dort günstigstenfalls eine Präsenz von 25.492.799 – 14.280.902 + 1.420.225 Aktien = 12.632.122 Aktien ergeben. Bei keinem der als gefasst gewerteten Beschlüsse wäre die satzungsmäßige Mindestpräsenz von 13.820.460 Aktien erreicht worden (vgl. Anl. B 2).

3.

Selbst wenn man für die ordnungsmäßige Anmeldung zur Hauptversammlung und dafür erforderlichen Bestandsnachweis entgegen dem Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart zum Vorprozess nicht auf die Eigentumslage abstellen würde, sondern eine Plausibilität vorgelegter Besitznachweise Dritter ausreichen ließe, und selbst wenn man unterstellte, dass die C. bis zum 31. August 2021 zwar den Besitz, nicht aber das Eigentum an der Aktienmehrheit erlangt hätte, führte dies im vorliegenden Fall nicht zu einem anderen Ausgang des Rechtsstreits.

a.

Denn in diesem Fall wäre zu berücksichtigen, dass gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG dem mitteilungspflichtigen Unternehmen auch Aktien zuzurechnen sind, deren Übereignung das Unternehmen verlangen kann. § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG regelt den Fall, dass ein entsprechender Anspruch z.B. aufgrund eines Kauf-, Tausch-, Sachdarlehens- oder Schenkungsvertrages besteht. Grundsätzlich genügt der Abschluss des Kausalgeschäfts. Die Mitteilungspflicht entsteht, sobald ein fälliger Anspruch auf Übereignung der Aktien besteht (Emmerich/Habersack/Emmerich, 9. Aufl. 2019, AktG § 20 Rn. 23). Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift werden auch Optionsrechte und unwiderrufliche Angebote umfasst (Grigoleit/Rachlitz, 2. Aufl. 2020, AktG § 20 Rn. 17; Koch, Aktiengesetz, AktG § 20 Rn. 4), so dass beispielsweise auch die Ausübung einer Option genügt, eine Darlehensrückzahlung in Form von Aktien verlangen zu können.Randnummer177

Umstritten ist, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen aufschiebend bedingte Ansprüche die Mitteilungspflicht bereits auslösen. Teilweise wird darauf abgestellt, es komme darauf an, ob der Bedingungseintritt vom meldepflichtigen Unternehmen allein herbeigeführt werden kann (so wohl BeckOGK/Petersen, 1.2.2022, AktG § 20 Rn. 42). Andere meinen, auf etwaige aufschiebende Bedingungen sei keine Rücksicht zu nehmen; weitere Differenzierungen vorzunehmen, führe zu Rechtsunsicherheit (Windbichler in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2017, § 20 Rn. 31). Die kapitalmarktrechtliche Meldepflicht nach § 33 Abs. 1 WpHG enthält mit § 33 Abs. 3 WpHG eine Klarstellung, wonach bereits „das Bestehen eines auf die Übertragung von Aktien gerichteten unbedingten und ohne zeitliche Verzögerung zu erfüllenden Anspruchs oder einer entsprechenden Verpflichtung“ die Meldepflicht auslöst (zur Normhistorie Schwark/Zimmer/v. Hein, 5. Aufl. 2020, WpHG § 33 Rn. 25 ff.). Diese gesetzgeberische Wertung sollte auch bei der Anwendung von § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG zum Tragen kommen. Richtigerweise wird man bei schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäften zur Übereignung von Aktien unter aufschiebenden Bedingungen eine Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG i.V.m. § 20 Abs. 1 AktG spätestens zu dem Zeitpunkt annehmen müssen, zu dem der Veräußerer den Bedingungseintritt für die Entstehung und Fälligkeit des AnspruchsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs
Fälligkeit
auf dingliche Übertragung der Aktien nicht mehr einseitig verhindern kann und zu dem sämtliche nicht in der Hand des Erwerbers liegende Voraussetzungen (etwa behördliche Genehmigungen oder Freigabeentscheidungen) vorliegen. Im Übrigen bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob die Mitteilung bereits zu einem noch früheren Zeitpunkt (etwa schon bei Einräumung, oder schon bei Ausübung des Optionsrechts unabhängig von weiteren zu erfüllenden Bedingungen oder Fälligkeitsvoraussetzungen) gemacht werden muss.

b.

Selbst wenn das Eigentum an dem Aktienpaket im Jahr 2020 (und bis 31. August 2021, dem Tag der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung) noch nicht übergegangen wäre, weil es hierzu noch einer Erklärung des Klägers zur Besitzübergabe bedurft hätte, so hätte nach den allerdings nur bruchstückhaft mitgeteilten vertraglichen Regelungen und den mitgeteilten, von den Parteien insbesondere unter Verweis auf die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt dargelegten Erklärungen des Klägers und der C. ein schuldrechtlicher Übereignungsanspruch der C. gegen den Kläger bestanden.Randnummer179

Folgt man dem Tatbestand des vom Kläger vorgelegten Urteils des LG Frankfurt vom 25. Februar 2022 (Anl. K 13), so ist zwischen der C. und dem Kläger unstreitig: Ziff. 6.1 der Darlehensverträge zwischen der C. und dem Kläger enthielt die Vereinbarung, dass der Kläger als Darlehensnehmer die Möglichkeit haben sollte, das Darlehen an die C. als Darlehensgeberin entweder in bar oder in Form der Übertragung einer bestimmten Zahl von Aktien zurückzuzahlen. Ziff. 6.3 der Darlehensverträge enthielt jeweils die Regelung, dass die C. als Darlehensgeberin eine vollständige oder teilweise Rückzahlung vor Endfälligkeit (“Right to make early repayment“) der Darlehen verlangen konnte, wobei die Rückzahlung nach Wahl der C. durch eine Geldzahlung oder durch die Übertragung von Aktien erfolgen sollte. Der Kläger hat selbst einen entsprechenden an das LG Frankfurt gerichteten Schriftsatz vorgelegt, in dem er die Vereinbarung des der C. zustehenden „Right to make early repayment“ ebenfalls dargelegt, jedoch auf Unterschiede zwischen den Darlehensverträgen I, II und III hinweist (Anl. K 3 Seite 16 ff.).Randnummer180

Der Kläger vertritt allerdings in dem an das LG Frankfurt gerichteten Schriftsatz, mit dem er auf die Klage der C. erwidert hat, die Rechtsauffassung, die C. habe das „Early Repayment Right“ nicht wirksam ausgeübt (Anl. K 3 Seite 6); die von der C. am 12. Dezember 2019 abgegebenen Erklärungen seien für die Ausübung des Rechts unzureichend, weil die Benennung des Empfängers der Aktien gefehlt habe, die dann auch bis zum Ablauf der vereinbarten Frist von 90 Bankarbeitstagen nicht nachgeholt worden sei (Anl. K 3 Seite 27 ff.).Randnummer181

Nach den Feststellungen des LG Frankfurt a.M. ist im Verhältnis zwischen dem Kläger und der C. unstreitig, dass die C. beabsichtigte, von ihrem Recht auf frühzeitige Rückzahlung der Darlehen vor Endfälligkeit am 30. Juni 2022 in Form der Übertragung der 15.000.787 an sie verpfändeten Aktien Gebrauch zu machen (Anl. K 13 Seite 5 ff.). Dieses Verlangen der Darlehensrückzahlung in Form von Aktien war Gegenstand dreier Schreiben der C. an den Kläger vom 12. Dezember 2019 (Anl. K 13 Seite 7; so auch der hiesige Kläger selbst in Anl. K 3 Seite 28) und erklärt erst die Befassung des Bundesministeriums für wirtschaft und Energie (BMWi) nach § 60 Abs. 3 AWV und den an das Ministerium gerichteten Freigabeantrag gem. § 61 Abs. 1 Satz 1 AWV. Wäre es (noch) um eine Rückzahlung in bar gegangen, wäre das kein nach der genannten Bestimmung meldepflichtiger Vorgang des Erwerbs eines inländischen Unternehmens gewesen. Das BMWi gab am 15. Juli 2020 den Erwerb von 61,149% der Aktien frei (vgl. Anl. K 13 Seite 7), darunter auch den Erwerb von 13.102.248 Aktien als Teilrückzahlung der von der C. an den Kläger gewährten Darlehen (auf den sich der Antrag auch bezog, gemäß eigener Darstellung des Klägers gegenüber dem LG Frankfurt, Anl. K 3 Seite 30 Rz. 68).Randnummer182

Dem BMWi muss spätestens zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, an wen die Aktien übertragen werden sollten (nämlich: an die C.). Infolge der Übersendung des Genehmigungsbescheides an den hiesigen Kläger am 23. Juli 2020 wusste dieser, dass das BMWi den Erwerb des Aktienpakets durch die C. freigegeben hatte, dass Übertragungsempfänger also die C. selbst sein sollte und nicht etwa ein von der C. benannter Dritter (Anl. K 3 Seite 30 Tz. 70).Randnummer183

Der Kläger und sein anwaltlicher Bevollmächtigter haben bei der Anhörung am 05. April 2022 im vorliegenden Verfahren bestätigt, dass die weiteren aus dem vorgelegten Urteil ersichtlichen Sachverhaltsangaben zu den in der Folge am 23. Juli 2020, 30. Juli 2020 und 11. August 2020 abgegebenen Erklärungen im Verhältnis Kläger/C., wie sie sich aus dem von ihm selbst vorgelegten Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main ergeben, zutreffend geschildert sind und dass hierzu von den Prozessparteien keine Tatbestandsberichtigungsanträge gestellt worden sind (Bl. 186 f. d.A.). Die Beklagte des vorliegenden Verfahrens hat hierzu auch nichts Gegenteiliges vorgebracht. Der sich aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Urteil ergebende Sachverhalt kann daher insoweit zugrunde gelegt werden.Randnummer184

Demnach forderte die C. den Kläger infolge der Genehmigungsentscheidung des BMWi vom 15. Juli 2020 mit Schreiben vom 23. Juli 2020 auf, den Eigentumsübergang bis 30. Juli 2020 zu bestätigen (Anl. K 13 Seite 8). Die C. ging also nach Ausübung ihres Verlangens davon aus, dass sie nicht nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung von 15.000.787 Aktien an der Beklagten habe, sondern (wohl infolge der schon im Zuge der Verpfändung erfolgten Besitzverschaffung) bereits Eigentümerin der 15.000.787 Aktien geworden zu sein. Nachdem Letzteres (die Frage der bereits erfolgten Übereignung) jedoch im Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt streitig war, trug die C. dort vor, dass nach ihrer Auffassung jedenfalls ein Bestand von 13.102.248 Aktien am 30. Juli 2020 übertragen worden sei, und dass hinsichtlich der restlichen 1.898.539 Aktien (die sich aus 823.250 Aktien gemäß Darlehensvertrag II und 1.075.289 Aktien gemäß Darlehensvertrag III zusammensetzen, so die eigene Angabe des Klägers gegenüber dem LG Frankfurt, vgl. Anl. K 3 Seite 30 Tz. 69) zumindest ein Anspruch der C. auf Übertragung bestehe (Anl. K 13 Seite 10).Randnummer185

Sollte es allerdings bis 30. Juli 2020 oder im Jahr 2020 (oder, hier relevant, bis 31. August 2021) tatsächlich nicht zur Verschaffung des unmittelbaren oder mittelbaren Eigenbesitzes an den verpfändeten 13.102.248 Aktien an die C. gekommen sein (vgl. Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 06. April 2022 – 20 U 45/21, hier vorgelegt als Anl. K 14), so wäre bei konsequenter Fortsetzung der Argumentation zumindest von einem bestehenden schuldrechtlichen Übereignungsanspruch auf die dann noch nicht übereigneten 13.102.248 Aktien (und nach Auffassung der C. auch auf die weiteren 1.898.539 Aktien) auszugehen.Randnummer186

Der hiesige Kläger reagierte auf die Aufforderung der C. vom 23. Juli 2020, den aus ihrer Sicht bereits im Umfang von 15.000.787 Aktien erfolgten Eigentumsübergang zum 30. Juli 2020 zu bestätigen, mit E-Mail vom 30. Juli 2020 – innerhalb der von der C. gesetzten Frist – , indem er bestätigte (vgl. hierzu auch die klägerische Sachverhaltsdarstellung in Anl. K 3 Seite 33 Tz. 76 ff.):Randnummer187

„Hiermit bestätige ich, dass ich der Übertragung der 15.000.787 Inhaberaktien der A. AG abzüglich der 1.898.539 Aktien aus den Darlehensverträgen II und III zustimme. Unter Bezugnahme auf unsere heutige Diskussion zu den beiden Darlehensverträgen II und III, die Rückzahlungsoptionen in bar enthalten, verweise ich auf die zuvor von Herrn Dr. XXX versandte E-Mail. …“Randnummer188

Zieht man von den genannten insgesamt 15.000.787 Aktien die 1.898.539 Aktien aus den Darlehensverträgen II und III ab, deren Übertragung der Kläger nicht bestätigt hatte, so verbleiben exakt 13.102.248 Aktien, deren Übertragung der Kläger im ersten Satz der E-Mail bestätigt hatte.Randnummer189

Die Nachricht des hiesigen Klägers enthält allerdings weitere Vorschläge im Zusammenhang mit der 90-Tages-Frist und im Zusammenhang mit Formalien. Seiner Auffassung nach habe die 90-Tages-Frist noch nicht begonnen. Er schlage jedoch vor, für die Ausübung der Rückzahlungsoption darauf zu verzichten und festzulegen, dass sie nur für die Rückzahlungsoptionen in bar relevant sei, was den Vorteil habe, dass es keine „Überschneidung“ mit der Hauptversammlung gebe und die C. bereits die Mehrheit in der Hauptversammlung hätte (Anl. K 3 Seite 34 Tz. 77). Das bezog sich erkennbar auf die damals bevorstehende Hauptversammlung am 27. August 2020. Die Bereitschaft, von seines Erachtens nicht eingehaltenen Formalien bezüglich der Ausübung des Rechts der C. (Early Repayment) in den Erklärungen vom 12. Dezember 2019 abzusehen, unterstrich der Kläger in der E-Mail vom 30. Juli 2020 noch dadurch, dass er sinngemäß aufzeigte, dass bei einer formal erneuten Ausübung des Rechts die 90-Tages-Frist erst „um den 21. Oktober herum“ ende, die C. die Kontrolle über die Aktienmehrheit dementsprechend erst nach der Hauptversammlung vom 27. August 2020 bekäme. Die Zielrichtung, der C. die Gelegenheit zu geben, die Aktieninhaberschaft und Stimmberechtigung noch rechtzeitig vor der Hauptversammlung am 27. August 2020 zu verschaffen, räumt der Kläger selbst im von ihm vorgelegten Schriftsatz an das Landgericht Frankfurt ein (Anl. K 3 Seite 45 Tz. 114).Randnummer190

Am 11. August 2020 antwortete die C. nach den Feststellungen des Landgerichts Frankfurt im unstreitigen Tatbestand des Urteils des Landgerichts Frankfurt per E-Mail (Anlage K11) unter Angabe der Betreffzeile „RE: B. consent of transfer“ auf die vorausgehende E-Mail vom 30. Juli 2020 und führte aus, dass sie den Eigentumsübergang bestätige. Die Nachricht wird dort u.a. wie folgt zitiert (LG Frankfurt, Urteil vom 25. Februar 2022 – 2-02 O 213/21 Rn. 41 bis 51 juris; Anl. K 13):Randnummer191

„Wir bestätigen, dass wir uns beide einig sind, dass mindestens 13.102.248 Inhaberaktien der A AG effektiv auf C. übertragen wurden. …“Randnummer192

Die Kammer versteht die vorstehend genannten Erklärungen des Klägers und der C. dahingehend, dass man sich im Sommer zumindest einig war, dass die C. 13.102.248 Aktien bekommen sollte, dass es insoweit also nicht mehr um eine Darlehensrückzahlung in bar oder um die Einhaltung von Formalien ging, beispielsweise die Wahrung der 90-Tages-Frist oder die rechtzeitige Benennung des Empfängers der Aktien.Randnummer193

Ob der C. durch die oder im Zusammenhang mit der Erklärung des Klägers vom 30. Juli 2020 tatsächlich der Eigenbesitz an den 13.102.248 Aktien verschafft wurde, und ob die Erklärungen den Anforderungen an eine dingliche Einigung und insbesondere dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen, problematisiert der Kläger zwar ausführlich. Diese Fragen bedürfen aber keiner Entscheidung in diesem Verfahren, denn das beträfe nur das Erfüllungsgeschäft.Randnummer194

Spätestens durch die oben wiedergegebenen Erklärungen war nach dem Verständnis der Kammer für beide Seiten mindestens in Bezug auf 13.102.248 Aktien an der Beklagten die Rückzahlungsoption „in bar“ vom Tisch. Erledigt war damit für die C. auch die Notwendigkeit, vorsorglich die vorzeitige Rückzahlungsoption „in Aktien“ unter Benennung der C. nochmals auszuüben, um wenigstens ab 21. Oktober 2020 die Aktienmehrheit an der Beklagten beanspruchen und auszuüben zu können. Der Kläger hatte mit der E-Mail-Korrespondenz gegenüber der C. eine Verpflichtung zur Übereignung der 13.102.248 Aktien anerkannt – erklärtermaßen im Hinblick darauf, dass die damals bevorstehende Hauptversammlung vom August 2020 „für C. und die angestrebte Änderung der Unternehmensführung wichtig“ sei (vgl. Anl. K 3 Seite 34 Tz. 77).Randnummer195

Diese Deutung passt auch in den historischen Kontext: Bei der damals bevorstehenden Hauptversammlung am 27. August 2020 ging es der C. um die Rückgängigmachung der zuvor mit den Stimmen des Klägers am 19. Dezember 2019 beschlossenen Satzungsänderung zur Vergrößerung des Aufsichtsrats und der aufschiebend bedingten Wahl des Klägers in den Aufsichtsrat. Die C. hatte gegen die Beschlüsse vom 19. Dezember 2019 Anfechtungsklage erhoben (LG Stuttgart, 31 O 3/20 KfH) und wollte offensichtlich durch die auf der Tagesordnung stehenden Aufhebungsbeschlüsse rasch und schon vor einer rechtskräftigen Entscheidung Rechtsklarheit schaffen. Auf dieses Anliegen ging der Kläger ersichtlich mit den Formulierungen vom 30. Juli 2020 ein, indem er sinngemäß zum Ausdruck brachte, dass er das Ziel klarer Mehrheitsverhältnisse bei der bevorstehenden Hauptversammlung am 27. August 2020 verstehe.Randnummer196

Die Erklärung des Klägers vom 30. Juli 2020 lässt sich bei Auslegung vom Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) bezüglich der 13.102.248 Aktien nicht als Erklärung unter Vorbehalten, Bedingungen oder Einschränkungen verstehen. Lediglich für die weiteren 1.898.539 Aktien „aus den Darlehensverträgen II und III“ behielt sich der Kläger durch die E-Mail vom 30. Juli 2020 Optionen offen, einschließlich der Berufung auf formale Einwendungen wegen der seines Erachtens unzureichenden Angaben in den Erklärungen der C. vom 12. Dezember 2019 zur Ausübung des „Right of Early Repayment“ in Form von Aktien, und einschließlich des Einwandes, er könne bezüglich dieser beiden Tranchen die Rückzahlung in Aktien nach vertraglichen Vereinbarungen verweigern.Randnummer197

Durch die E-Mail vom 11. August 2020 nahm die C. das Angebot des Klägers an. Denn in der Bestätigung, dass man sich einig sei, dass mindestens 13.102.248 Inhaberaktien bereits übertragen wurden, steckt zugleich die Erklärung, dass man den bezüglich dieser „Tranche“ zuvor vom Kläger am 30. Juli 2020 angebotenen Verzicht auf aus seiner Sicht nicht gewahrte Formalien (90-Tages-Frist, Benennung des Empfängers) annehme und mit seinem Vorschlag im E-Mail vom 30. Juli 2020, zur Teilerfüllung des Darlehensrückzahlungsanspruchs zunächst jedenfalls die rund 13,1 Millionen Aktien auf die C. zu übertragen, einverstanden sei.Randnummer198

Eine ausdrückliche Annahmefrist (§ 148 BGB) hatte der Kläger der C. bei seinem Angebot vom 30. Juli 2020 nicht unterbreitet. Insbesondere hatte er es nicht bis 06. August 2020 (Record Date der Hauptversammlung 2020) befristet. Die angestrebte Schaffung von Rechtssicherheit vor der Hauptversammlung am 27. August 2020, dass der Kläger nach der Entscheidung des BMWi nunmehr jedenfalls zur Übertragung von 13.102.248 Aktien verpflichtet sei, war aus der Perspektive beider Seiten auch noch nach Ablauf des Record Date sinnvoll – unabhängig vom dinglichen Vollzug des schuldrechtlichen Geschäfts. Ohnehin vertrat die C. erklärtermaßen den Standpunkt, zu Recht bereits im Besitz der 13.102.248 Aktien zu sein, so dass sie sich zur Hauptversammlung anmelden konnte. Das Angebot des Klägers konnte daher von der C. am 11. August 2020 noch angenommen werden (§ 147 Abs. 2 BGB) (entgegen Anl. K 3 Seite 45 Tz. 113f.).Randnummer199

Der zwischen dem Kläger und der C. schwelende Konflikt um die Wirksamkeit der Rechtsausübung vom 12. Dezember 2019 durch die C. wurde dadurch am 11. August 2020 im Wege des Teilvergleichs (§ 779 BGB) bezüglich 13.102.248 Aktien einer Teileinigung zugeführt.Randnummer200

Bezüglich der restlichen 1.898.539 Aktien gab es neben formalen Gesichtspunkten weitere Streitpunkte zwischen dem Kläger und der C. Der Kläger war der Auffassung, dass er in Bezug auf die Darlehensverträge II und III ein Wahlrecht habe, die Rückzahlung in Form von Aktien zu verweigern. Aus Sicht der C. waren auch insoweit die Aktien sogar bereits übertragen. Konsequenterweise betonten beide Seiten im Rahmen der Teileinigung in ihren jeweiligen Erklärungen die eigene Sichtweise. Die Erklärungen vom 30. Juli 2020 und vom 11. August 2020 können gerade nicht dahingehend eingeordnet werden, dass auch die Übertragung der 13.102.248 Aktien unter dem Vorbehalt einer Gesamteinigung stehe, und die Erklärung der C. ist insoweit auch nicht als Ablehnung des klägerischen Angebots zur Teileinigung anzusehen. Das zeigt schon die Bestätigung, dass man sich über die „effektive“ Übertragung der 13.102.248 Aktien einig sei.Randnummer201

Zum Zeitpunkt der Teileinigung am 11. August 2020, die im Wege der Auslegung jedenfalls einen schuldrechtlichen Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an den 13.102.248 Aktien beinhaltete, hing die spätestens dadurch begründete, nunmehr rechtssichere Verpflichtung des Klägers zur Übereignung der 13.102.248 Aktien an die C. auch nicht mehr von der Einhaltung des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes und der AWV ab. Denn das BMWi hatte am 15. Juli 2020 die Übereignung an die C. mit Blick auf diese Vorschriften freigegeben.Randnummer202

In dem im Frankfurter Verfahren eingereichten, hier als Anl. K 3 vorgelegten Schriftsatz behauptet der Kläger u.a., er habe der C. in der E-Mail vom 30. Juli 2020 lediglich ein Angebot für Rahmenbedingungen einer Einigung unterbreitet (Anl. K 3 Rn. 111). Diese Argumentation ist jedoch nicht nachvollziehbar: Hatte die C. bereits aufgrund von Darlehens- oder Verpfändungsverträgen einen Anspruch auf Übereignung der Aktien, und waren diese Aktien wegen der Verpfändung bereits in ihrem (Fremd-)Besitz, so bedurfte es zur Begründung und Erfüllung des Übereignungsanspruchs seitens des Klägers lediglich noch der Mitwirkung an der dinglichen Einigung und an der Verschaffung des Eigenbesitzes der C., um den Eigentumsübergang zu bewerkstelligen. Eine Einigung über Konditionen oder erneute Vertragsverhandlungen waren – soweit ersichtlich – nach den im unstreitigen Tatbestand des Urteils des Landgerichts Frankfurt enthaltenen Informationen zur Bewerkstelligung des Eigentumsübergangs nicht erforderlich. Hatte die C. hingegen – etwa wegen der klägerseits behaupteten formalen Mängel der von ihr am 12. Dezember 2019 abgegebenen Erklärungen – das „Right of Early Repayment“ noch nicht wirksam ausgeübt, so konnte sie das durch eine neue Erklärung korrigieren; auch in diesem Fall hätte es zur Begründung eines Übereignungsanspruchs der C. nach (erneuter) Ausübung des Rechts auf Darlehensrückzahlung in Form von Aktien keiner weiteren Verhandlungen über Konditionen oder dergleichen bedurft. Der einzige Nachteil für die C. wäre gewesen, dass sie bei einer vorsorglich erneuten Erklärung, die vorzeitige Rückzahlungsoption „in Aktien“ auszuüben, und bei einer Fristsetzung von 90 Bankarbeitstagen zur Erfüllung für den Kläger am Stichtag der damals bevorstehenden Hauptversammlung (27. August 2020) die Aktienmehrheit noch nicht sicher gehabt hätte. Trotz seines Vortrags vor dem LG Frankfurt, er habe nur ein „Angebot für Rahmenbedingungen einer Einigung“ unterbreitet, soll dem Kläger an dieser Stelle nicht unterstellt werden, er habe mit oder im Zusammenhang mit der E-Mail vom 30. Juli 2020 versucht, unter Berufung auf formale Mängel der Rechtsausübung vom 12. Dezember 2019 im Interesse eines frühzeitigen rechtssicheren Mehrheitserwerbs Forderungen gegen die C. durchzusetzen, auf die er keinen Anspruch hatte. Ein solches Ansinnen, selbst wenn es dem Willen des Klägers entsprochen haben sollte, kommt in der E-Mail vom 30. Juli 2020 jedenfalls nicht verständlich zum Ausdruck.Randnummer203

Wie der Kläger im hier als Anl. K 3 vorgelegten Schriftsatz an das Landgericht Frankfurt zu der Auslegung kommt, die C. habe am 11. August 2020 seinen Vorschlag abgelehnt, wird weder in der Klageschrift zum vorliegenden Verfahren noch in dem als Anl. K 3 vorgelegten Schriftsatz verständlich erläutert. Die folgenden Ausführungen im Schriftsatz Anl. K 3 beziehen sich nicht auf die Frage der Annahmeerklärung, sondern auf die Bestimmtheit des Angebots (Anl. K 3, Rn. 112), die aber nur den dinglichen Aspekt der Eigentumsverschaffung betreffen kann und die das Bestehen eines schuldrechtlichen Übereignungsanspruchs nicht berührt.Randnummer204

Nach alledem bestand spätestens am 11. August 2020 aufgrund des an diesem Tage zustande gekommenen Teilvergleichs zwischen der C. und dem Kläger ein fälliger schuldrechtlicher Anspruch der C. gegen den Kläger auf Übereignung von 13.102.248 Aktien an der Beklagten.

c.

Ausgehend von einem spätestens seit 11. August 2020 jedenfalls rechtssicher bestehenden schuldrechtlichen Übertragungsanspruch der C., unterlagen nicht nur die C., sondern auch die D. Ltd. und der Zeuge E. gem. § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 4 AktG (teils über § 16 Abs. 4 AktG) zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Hauptversammlung am 31. August 2021 einer Mitteilungspflicht, selbst wenn es bis dahin nicht zur Eigentumsübertragung an den streitigen Aktien gekommen sein sollte.Randnummer206

Dieser Mitteilungspflicht ist der Zeuge E. bis zum 31. August 2021 nicht nachgekommen, was einen konzernweiten Rechtsverlust gem. § 20 Abs. 7 AktG nach sich zog (wie bei Annahme eines bereits verwirklichten dinglichen Erwerbs, vgl. oben III. 1.).Randnummer207

Auch die C. musste unter diesen Prämissen (noch kein dinglicher Eigentumserwerb zum Zeitpunkt der tatsächlichen Mitteilung am 15. Juli 2020, aber Begründung eines schuldrechtlichen Übereignungsanspruchs am 11. August 2020) gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 AktG am 11. August 2020 eine Stimmrechtsmitteilung machen, die sie versäumt hat. Ihre tatsächlich schon früher, am 15. Juli 2020, abgegebene Mitteilung (Anl. K 11) reicht (unter der hier untersuchten Prämisse eines noch nicht am 15. Juli 2020 erfolgten Eigentumsübergangs) nicht.Randnummer208

Zum einen hat der BGH bereits entschieden, dass eine bereits vor dem Erwerb erfolgte Mitteilung zur Erfüllung der Mitteilungspflicht grundsätzlich nicht geeignet sei (BGH, Urteil vom 5. April 2016 – II ZR 268/14 –, Rn. 23, juris).Randnummer209

Zum andern erwähnte die C. in ihrer Mitteilung vom 15. Juli 2020 nur § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG verbunden mit der Angabe, ihr gehöre mehr als ein Viertel und zugleich eine Mehrheit der Aktien der Beklagten (Anl. K 11). Das war unrichtig, wenn man vom fehlenden Eigentumsübergang und lediglich von einem schuldrechtlichen Übereignungsanspruch ausgeht, der eine Mitteilungspflicht nicht nach § 20 Abs. 1 AktG, sondern nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG auslöst. Den ab 11. August 2020 zutreffenden Zurechnungstatbestand des § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG erwähnte die C. in ihrer Mitteilung nicht. Aus der Mitteilung ergab sich auch nicht, dass von einer Überschreitung der Meldeschwelle aufgrund von „§ 20 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG“ auszugehen war (vgl. Veil in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 20 AktG, Rn. 8).Randnummer210

Ob ein inhaltlicher Fehler die Feststellung rechtfertigt, eine Mitteilung sei unterlassen worden, muss am Informationszweck gemessen werden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Dezember 2012 – 20 AktG 1/12 –, Rn. 155, juris). Wie bereits erwähnt, dürfen die Mitteilungen der Meldepflichtigen und die Bekanntgabe dieser Mitteilungen durch die Gesellschaft nach § 20 Abs. 6 AktG in der Öffentlichkeit keine Zweifel darüber entstehen lassen, welche Art der Beteiligung gemeint ist. Deshalb muss auf die einschlägigen Absätze des § 20 AktG verwiesen werden (BGH, Urteil vom 5. April 2016 – II ZR 268/14 –, Rn. 18, juris; Veil in: Schmidt, K./Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 20 AktG, Rn. 8: ggf. „§ 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 AktG“; BeckOGK/Petersen, 1.2.2022, AktG § 20 Rn. 56, allerdings auch mit Hinweis auf eine anderslautende Entscheidung des OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
). Für den Kapitalmarkt und die übrigen Aktionäre kann, gerade mit Blick auf das Teilnahmerecht des Großaktionärs, von entscheidender Bedeutung sein, ob das mitteilungspflichtige Unternehmen die Mehrheitsbeteiligung oder das Aktienpaket, durch das die 25%-Schwelle überschritten wird, bereits dinglich erworben hat (§ 20 Abs. 1, Abs. 4 AktG) oder ob lediglich ein (noch nicht erfüllter) schuldrechtlicher Übereignungsanspruch besteht (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG), der Veräußerer also noch Eigentümer der Aktien ist. Eine Meldung durch den Erwerber bereits bei Begründung des schuldrechtlichen Anspruchs, jedoch ohne Verweis auf § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG, und eine zwangsläufig spätere Mitteilung des Veräußerers gem. § 20 Abs. 5 AktG erst nach Verlust des Eigentums würden in der Öffentlichkeit als auseinanderfallende Vorgänge eingeordnet, was Irritationen am Kapitalmarkt auslösen würde, wer in der Zwischenzeit als Mehrheitsaktionär anzusehen ist. Erst die Bekanntgabe einer zunächst erfolgenden Mitteilung der Schwellenüberschreitung nach § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 AktG des Erwerbers und – zu einem späteren Zeitpunkt – die Bekanntgabe einer weiteren Mitteilung des Erwerbers nach § 20 Abs. 1 AktG verbunden mit einer solchen des Veräußerers (sofern meldepflichtiges Unternehmen) nach § 20 Abs. 5 AktG schaffen die notwendige Transparenz (vgl. Windbichler in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2017, § 20 Rn. 47).Randnummer211

Auch bei dieser Betrachtung ist also ein Beschlussmangel festzustellen und beruht die Beschlussfeststellung auf der Missachtung des eingetretenen Stimmrechtsverlusts.

4.

Die streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse vom 31. August 2021 waren daher auf die hilfsweise erhobene Anfechtungsklage des Klägers aufzuheben, der die vorstehenden Beschlussmängel in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG gerügt hat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1 ZPO. Das Teilunterliegen des Klägers mit Blick auf die von ihm in der Hauptsache begehrte Nichtigkeitsfeststellung war bei der Kostenentscheidung angemessen zu berücksichtigen.Randnummer214

Es ist nicht unbillig, der Beklagten die Gerichtskosten in vollem Umfang aufzuerlegen, denn der Kläger hat mit der hilfsweise erhobenen Anfechtungsklage, bei der er obsiegt, letztlich sein Ziel (Verhinderung des Eintritts der Bestandskraft der streitgegenständlichen Beschlüsse vom 31. August 2021) im Wesentlichen erreicht. Die Beklagte hat erheblich zur Komplikation des Rechtsstreits durch spekulativ wirkende Erklärungen beigetragen und zuletzt durch einen erfolglosen, unbegründeten Aussetzungsantrag noch versucht, die Entscheidung hinauszuzögern; das hat bei Gericht erheblichen zusätzlichen Aufwand verursacht.Randnummer215

Nicht zuletzt hat die Beklagte durch ihren Vortrag im ersten Termin, dem Zeugen E. habe (am 31. August 2022) die Unternehmenseigenschaft i.S.d. § 20 AktG gefehlt, die Vorbereitung einer potentiell aufwendigen Beweisaufnahme mit vorgesehener Zeugenvernehmung verursacht. Durch spätere prozessuale Erklärungen hätte sie dies noch rückgängig machen können, zu denen sie nach den Schriftsätzen des Klägers vom 26. April 2022 und vom 24. Mai 2022 sowie nach Eingang der Stimmrechtsmitteilungen u.a. des Zeugen E. im Juni 2022 durchaus Anlass gehabt hätte. Die Beklagte hatte ferner die Möglichkeit, die Gerichtskosten durch ein Anerkenntnis zu reduzieren; auch davon hat sie keinen Gebrauch gemacht.Randnummer216

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1, 2 ZPO.Randnummer217

Der Streitwert wurde gem. § 247 Abs. 1 Satz 1 AktG nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung von § 247 Abs. 1 Satz 2 AktG festgesetzt.

Schlagworte: Beschlussmängel, Beschlussmängelklage, Beschlussmängelstreitigkeiten, Bestätigungsbeschluss, Bestätigungsbeschluss nach § 244 Satz 1 AktG, Gewinnverwendung, Gewinnverwendungsbeschluss, Stimmrechtsverlust, Verfahrensaussetzung

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LG Hamburg, Urteil vom 01.07.2022 – 418 HKO 83/21

Freitag, 1. Juli 2022

§ 48 GmbHG

Tenor

1. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß “Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:

„Der den Gesellschaftern bereits übersandte und mit Hilfe der R. P. Steuerberatungsgesellschaft mbH erstellte Jahresabschluss der Gesellschaft für das Jahr 2020 wird festgestellt.“

wird für nichtig erklärt.

2. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 2 gemäß „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:

„Das Jahresergebnis der Gesellschaft in Höhe von 761.016,30 Euro wird für das Jahr 2020 auf neue Rechnung vorgetragen.“

wird für nichtig erklärt.

3. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 3 gemäß “Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:

„Der Geschäftsführer der Gesellschaft wird ermächtigt und hiermit beauftragt, den in Höhe von 1,875 Millionen Euro bislang offenen, hiermit durch die Gesellschafterversammlung angeforderten Stammkapitalbetrag des Gesellschafters J. R. einzufordern und, sollte binnen 2 Wochen keine freiwillige Zahlung erfolgen, gegen Herrn R. mit anwaltlicher Hilfe auch geltend zu machen.“

wird für nichtig erklärt.

4. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 4 gemäß „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:

„Der Geschäftsführer wird ermächtigt und hiermit beauftragt, von Herrn J. R. alle im Zusammenhang stehenden Kosten und Aufwendungen der N. für E. v. W. und M. A. in voller Höhe und die Kosten und Aufwendungen der N. für T. W. und J. T. in anteiliger Höhe im Wege des Schadensersatzes zu verlangen und diese Inanspruchnahme gegen Herrn R., sollte es keine einvernehmliche Lösung, [sic!] geben mit anwaltlicher Hilfe sodann auch gerichtlich geltend zu machen (Geschäftsführerhaftung)“

wird für nichtig erklärt.

5. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 5 gemäß “Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:

„Der Geschäftsführer wird ermächtigt und hiermit beauftragt, von Herrn J. R. alle im Zusammenhang mit dem Objekt F. …, H., stehenden Kosten und Aufwendungen der N. im Wege des Schadensersatzes zu verlangen und diese Inanspruchnahme gegen Herrn R., sollte es hier keine einvernehmliche Lösung geben, mit anwaltlicher Hilfe sodann auch gerichtlich geltend zu machen (Geschäftsführerhaftung)“

wird für nichtig erklärt.

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

7. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

8. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

9. Der Streitwert beträgt EUR 100.000,-.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine im Umlaufverfahren zustande gekommene Beschlussfassung der Gesellschafter der beklagten GmbH über verschiedene Beschlussgegenstände.Randnummer2

Gesellschafter der Beklagten sind zu je 50% der Kläger und Herr H.-J. H.. Herr H. ist auch alleiniger Geschäftsführer.Randnummer3

Gegenstand des Unternehmens ist der Erwerb, die Verwaltung und Veräußerung von Grundbesitz, insbesondere in Norddeutschland.Randnummer4

Dieser Rechtsstreit ist Teil einer größeren Auseinandersetzung zwischen den beiden Herren, die auch Gegenstand weiterer Prozesse ist.Randnummer5

Herr H. war vor Gründung der Beklagten seit mehreren Jahrzehnten in H. als Unternehmer im Bereich Backwaren tätig. Herr H. war eng mit dem Unternehmer C. R. befreundet und kannte daher auch den Kläger als dessen Sohn.Randnummer6

Der Kläger hatte seit 2013 zusammen mit dem Hamburger Kaufmann F. N. verschiedene Immobilienprojekte verwirklicht und war mit der I. GmbH erfolgreich.Randnummer7

Herr H. und der Kläger kamen 2016 überein, ein gemeinsames Unternehmen, nämlich die Beklagte, zu gründen. Herr H. und der Kläger sollten jeweils zur Alleinvertretung berechtigte Geschäftsführer sein, der Kläger sollte dabei operativ tätig sein.Randnummer8

Hinsichtlich des Grundkapitals erbrachte Herr H. die auf ihn entfallenden 2,5 Millionen Euro sofort, den in Höhe von 625.000 Euro vom Kläger zu erbringenden Mindestkapitalbetrag zur Einlage des Klägers bekam dieser durch Herrn H. darlehensweise zur Verfügung gestellt. Der Beklagten wurde zur Kapitalstärkung durch Herrn H. ein Darlehen über 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.Randnummer9

§ 7 Abs. 2 der Satzung (Anlage K 2) sieht Folgendes vor:Randnummer10

„Die Einberufung erfolgt durch die Geschäftsführer in vertretungsberechtigter Zahl unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen und Mitteilung der Tagesordnung.“Randnummer11

§ 7 Abs. 3 der Satzung sieht Folgendes vor:Randnummer12

„Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens drei Viertel des gesamten Stammkapitals vertreten sind. Ist das nicht der Fall, so ist unverzüglich gemäß Abs. 2 eine neue Gesellschafterversammlung zu berufen, die dann ohne Rücksicht auf das vertretene Stammkapital beschließen kann. Darauf ist in der Ladung hinzuweisen.“Randnummer13

§ 7 Abs. 5 der Satzung sieht Folgendes vor:Randnummer14

„Mit Zustimmung aller Gesellschafter können Beschlüsse auch ohne Einhaltung von Abs. 2 und darüber hinaus auch schriftlich oder fernmündlich gefasst werden.“Randnummer15

Der Kläger und Herr H. wurden unentgeltlich als Geschäftsführer tätig (Geschäftsführeranstellungsvertrages des Klägers Anlage B 1).Randnummer16

Nach ihrer Gründung wuchs die Beklagte rasant, Geschäftsanteile an anderen Immobiliengesellschaften (B. I. GmbH und M. I. GmbH) wurden durch die Beklagte erworben, neue Tochtergesellschaften gegründet und auch dort Immobilien eingekauft. Der Erwerb erfolgte zum Teil durch Gesellschafterdarlehen des Herrn H. und zum anderen Teil in jedem Einzelfall durch Kreditaufnahmen bei verschiedenen Kreditinstituten. Das Gesamtkreditvolumen der N.-Gruppe im Zusammenhang mit den Immobilienkäufen beläuft sich zwischenzeitlich auf einen dreistelligen Millionenbetrag.Randnummer17

Anfang 2019 kam es zu einem Treffen des Klägers mit Herrn H.. Unter anderem ging es bei diesem Treffen um den Wunsch des Klägers, ein Geschäftsführergehalt von der Beklagten zu beziehen. Herr H. war bereit, den Gehaltsforderungen des Klägers im Zusammenhang mit anderen Regelungen zuzustimmen.Randnummer18

Bei dem Treffen wurde der sog. „Zettel Holly“ (Anlage K 13) erstellt, auf dem in Kurzform festgehalten ist:Randnummer19

Geschäftsführergehalt des Klägers in Höhe von 360 T€ brutto p.a. beginnend ab dem 1.7.2019, im Gegenzug Zinserhöhung für die Gesellschafterdarlehen von Herrn H. auf 3% p.a. (bis dahin 2% p.a.)Randnummer20

– Dividendenausschüttung von 500.000 Euro zum 1.12.19 gem. Zusage des KlägersRandnummer21

Rückzahlung Darlehen Stammkapital 625.000 Euro an Herrn H. durch den Kläger bis zum 1.4.2020Randnummer22

– Resteinzahlung des ausstehenden Stammkapitals (EK = Einlagekapital) durch den Kläger in Höhe von 1,875 Mio. Euro bis 31.12.2020.Randnummer23

In einem Rechtsstreit zwischen einer Tochtergesellschaft der Beklagten, der N. B. GmbH, und dem Kläger (LG Hamburg, 317 O 158/21) ließ der Kläger Folgendes vortragen:Randnummer24

Hierzu legen wir die handschriftlichen Notizen von Herrn H. auf seinem Briefpapier mit seiner Hand als Foto bei ….Randnummer25

Hierbei handelte es sich um einen Vorschlag von Herrn H., den der Beklagte zwei Tage später (per Whatsapp) angenommen hat. Hier hat Herr H. für den Beklagten ein Geschäftsführer-Jahresgehalt in Höhe von EUR 360.000,- jeweils für die Jahre 2019, 2020 und 2021 vermerkt. […] Obwohl diese Absprache auf dem Papier von Herrn H. fixiert wurde, wird diese nunmehr bestritten. Außerdem verneint Herr H. auch die vereinbarte Dividendenzahlung aus 2019, welche ebenfalls auf diesem Papier festgehalten wurde.“Randnummer26

Der Kläger ließ sich beginnend ab Februar 2019 u.a. den Betrag von 15.000 Euro brutto monatlich auszahlen, ab Juli 2020 dann 20.000 Euro brutto monatlich.Randnummer27

Am 29. Oktober 2020 kam es zu einem Treffen zwischen dem Kläger und Herrn H.. Bei diesem Treffen ging es u.a. um einen Betrag von 800.000,00 EUR, der nach Auffassung der Beklagten unzulässiger Weise im Zusammenhang mit Aufwendungen des Klägers für ein privat genutztes Haus des Klägers stand.Randnummer28

Der Kläger stimmte seiner sofortigen Abberufung als Geschäftsführer zu. Seine Abberufung als Geschäftsführer wurde im Handelsregister eingetragen.Randnummer29

Einen Tag später, am 30. Oktober 2020 schrieb der von Herrn H. eingeschaltete Berliner Rechtsanwalt U. folgende E-Mail an den Kläger (Anlage B 7):Randnummer30

„Sehr geehrter Herr R.,Randnummer31

nachstehend einige Punkte die als erstes abzuarbeiten sind:

1.

Ich gehe davon aus, dass die 800 TEUR heute noch auf dem Konto der N. eingehen. Bitte tragen Sie dafür in Ihrem ureigenen Interesse Sorge. Wir werden den Geldeingang heute Mittag bei der Bank erfragen.

2.

Herrn StB P. haben wir gestern von der neuen Sachlage informiert und gebeten, die Buchhaltung zu aktualisieren und die Verrechnungskonten zwischen den Gesellschaften der N.-Gruppe (einschließlich der R.&H. GbR) und Ihren Gesellschaften zu erstellen. Er teilte hierzu u.a. mit, dass er die Kontoauszüge der N.-Gesellschaften benötigt. Diese liegen offenbar Ihnen vor, da sie anscheinend nicht ins Büro sondern zu Ihnen übersandt worden sind. Bitte überreichen Sie am Montag alle Kontoauszüge für alle Konten an Herrn B..

3.

Die Arbeitsverträge mit Ihnen und Ihrer Frau werden heute im Auftrag von Herrn H. fristlos durch Herrn B. gekündigt. Bitte teilen Sie mit, an welche Anschrift wir die Kündigung (und auch künftige Korrespondenz) übersenden können. Sie sind offenbar alle in der M.str. gemeldet.Randnummer35

Hier muss zeitnah eine Ummeldung erfolgen.Randnummer36

Bitte bestätigen Sie mir kurz, dass Sie und Ihre Frau der fristlosen Kündigung zustimmen. In diesem Zusammenhang eine Bemerkung: Sie hätten Ihre Frau naheliegend in Ihrer eigenen Gesellschaft anmelden können, dann hätte Sie alleine die Kosten getragen. Indem Sie sie in der N. angemeldet haben, haben Sie Herrn H. mit 50% an den Kosten für Ihre Frau beteiligt, ebenso wie an den Kosten für Frau A., für Ihren Geburtstag, den Umbau Ihrer Villa und an allen möglichen weiteren Kosten. Jedes Mal, wenn Sie solche Kosten über die N. abgerechnet haben, haben Sie bei Herrn H. in die Tasche gegriffen, das scheint Ihnen nicht klar zu sein.

4.

Frau A. wird ebenfalls fristlos gekündigt. Sie können sie dann direkt bei sich anstellen.Randnummer38

Bitte geben Sie alle Arbeitsmittel, Ihre Schlüssel sowie den Range Rover mit Papieren am Montag in der Fa. ab. Sollte Ihr Laptop der N. gehören und Sie ihn weiter nutzen wollen, klären wir, ob Sie ihn der N. zum Buchwert abkaufen können. Den Range Rover werden wir bewerten lassen und dann verkaufen. Sie können ihn dann natürlich auch erwerben.Randnummer39

Mit freundlichen Grüßen
U.
RechtsanwaltRandnummer40

Noch am gleichen Tag teilte der Kläger Herrn Rechtsanwalt U. per E-Mail Folgendes mit (Anlage B 7):Randnummer41

„Sehr geehrter Herr U.,
hiermit bestätige ich ihnen alles. Gerne ins F. … alles.
Besten Gruß J. R.“Randnummer42

Etwa 1 Jahr später forderte der Geschäftsführer, Herr H., die Gesellschafter mit Schreiben vom 11. Oktober 2021 (Anlage K 4) zur Teilnahme an einer Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren auf. Er wies darauf hin, dass die Durchführung des Umlaufverfahrens abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG wegen § 2 COVMG nicht von der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter abhängig sei.Randnummer43

Als Frist für die Stimmabgabe bestimmte der Geschäftsführer zunächst den 25. Oktober 2021.Randnummer44

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2021 verlängerte Herr H. die Frist zur Abgabe der Stimmen im Umlaufverfahren bis zum 8. November 2021 (Anlage K 6).Randnummer45

Mit Schreiben vom 8. November 2021 (Anlage K 8) widersprach der Kläger einer Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren. Er teilte Folgendes mit:Randnummer46

In meiner Eigenschaft als 50 %-Gesellschafter der N. widerspreche ich hiermit der von Ihnen initiierten Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren. Dementsprechend habe ich in dem von ihnen beigefügten Abstimmungsbogen das Feld „nein“ angekreuzt, weil ich mit dem „vorstehend genannten Verfahren“, also einer Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren, nicht einverstanden bin.Randnummer47

Aufgrund meiner „Nein-„Stimmen ist eine Abstimmung und Beschlussfassung der N.- Gesellschafter im schriftlichen Umlaufverfahren unzulässig und ausgeschlossen, weil Ihr Vorschlag zur Durchführung einer Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren bei den Gesellschaftern keine Mehrheit gefunden hat und deshalb abgelehnt worden ist. Abgesehen davon können gemäß § 7 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrags der N. Beschlüsse im schriftlichen Umlaufverfahren ohnehin nur dann gefasst werden, wenn alle Gesellschafter dieser Form der Beschlussfassung zugestimmt haben.“Randnummer48

Herr H.-J. H. stimmte in seiner Eigenschaft als Gesellschafter in diesem Umlaufverfahren zu sämtlichen Beschlussvorschlägen jeweils mit „Ja“ ab.Randnummer49

In seiner Eigenschaft als Geschäftsführer stellte Herr H. zu den in Tagesordnungspunkt 1 bis Tagesordnungspunkt 5 angekündigten Beschlussvorschlägen fest, dass diese gefasst worden seien. Der Widerspruch des Klägers gegen eine Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren sei ebenso unbeachtlich wie seine „Nein“-Stimmen (Protokoll der Beschlussfassungen vom 9. November 2021: Anlage K 11).Randnummer50

Der Kläger bestreitet die von der Beklagten vorgetragenen Einzelheiten des Gesellschafterstreits zwischen dem Kläger und Herrn H.. Dieser Sachvortrag treffe in weiten Teilen nicht zu. Tatsächlich sei es so, dass der Kläger die Beklagte in den Jahren seit ihrer Gründung operativ geleitet und dabei nicht nur mehrfach in erheblichem Umfang für die Gesellschaftsverbindlichkeiten gebürgt, sondern die geschäftsleitende Tätigkeit in den ersten Jahren ohne angemessene Vergütung erbracht habe. Es sei der Kläger gewesen, der in seiner damaligen Eigenschaft als Geschäftsführer maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg der Beklagten beigetragen habe. Die Beklagte habe unter der Leitung des Klägers seit ihrer Gründung im Jahr 2016 eine erhebliche Wertentwicklung generiert, die sich nicht nur in Form eines umfangreichen Immobilienportfolios, sondern auch durch die Bildung signifikanter stiller Reserven in den erworbenen und entwickelten Objekten zeige. Diese positive Entwicklung drohe Herr H. durch Untätigkeit und schwerwiegende Fehlentscheidungen in der Geschäftsführung zunichtezumachen. Seit der alleinigen Übernahme der Geschäftsführung durch Herrn H. Ende 2020 seien eine Vielzahl von Geschäftsführungsmaßnahmen getroffen (und unterlassen) worden, die für die Beklagte schädlich gewesen seien.Randnummer51

Es werde bestritten, dass der Kläger zu Lasten von Herrn H. ein eigenes Immobilienvermögen aufgebaut habe.Randnummer52

Die Echtheit des anonymen Schreibens (Anlage B 4), die nicht unterschrieben sei, werde bestritten.Randnummer53

Eine gütliche Einigung mit Herrn H. sei nicht wegen „weit überzogener Forderungen“ des Klägers gescheitert. Im Gegenteil: Herr H. habe den Immobilienbestand der Beklagten durch einen befreundeten Gutachter bewerten lassen. Es liege nahe, dass dabei die Verkehrswerte bewusst und rechtswidrig beeinflusst worden seien, um Herrn H. einen unter Wert Ankauf der Geschäftsanteile des Klägers zu ermöglichen. Der Kläger habe durch die Täuschung über den wahren Wert seiner Geschäftsanteile ohne einen entsprechenden Gegenwert aus der Gesellschaft herausgedrängt werden sollen. Es dränge sich der Verdacht auf, dass Herr H.-J. H. tatsächlich selbst nicht an die „gefundenen“ Verkehrswerte der Grundstücke glaube, weil sich die daraus vermeintlich ergebenden Werte zu einer handelsrechtlich maßgeblichen Wertminderung verglichen mit dem jeweiligen Bilanzansatz führen würden, die eine Pflicht zur außerplanmäßigen Abschreibung begründeten. Tatsächlich habe Herr H.-J. H. eine derartige Abschreibung aber nicht durchgeführt.Randnummer54

Der Kläger sei von der Initiierung eines Umlaufverfahrens überrascht gewesen, weil die Gesellschafter zu diesem Zeitpunkt Gespräche über eine einvernehmliche Beilegung mehrerer offener Streitpunkte geführt hätten.Randnummer55

Die Durchführung des Umlaufverfahrens trotz des Widerspruchs des Klägers verstoße gegen die Satzung und das Gesetz und sei aus diesem Grund als besonders gravierender Mangel zu bewerten, der zur Nichtigkeit der Gesellschafterbeschlüsse führe. Beschlüsse, die außerhalb einer Gesellschafterversammlung gefasst wurden, seien nichtig, wenn die verfahrensrechtlichen Bestimmungen laut Gesetz oder Satzung verletzt wurden.Randnummer56

Wegen des Vorrangs der Satzung sei der sachliche Anwendungsbereich von § 2 COVMG nicht eröffnet. Wegen des Widerspruchs des Klägers sei die Durchführung eines schriftlichen Umlaufverfahrens nicht zulässig gewesen. Die Durchführung eines schriftlichen Umlaufverfahrens gegen den Widerspruch des Klägers als 50%-Gesellschafter sei treuwidrig. Herr H. habe das schriftliche Umlaufverfahren initiiert, obwohl die Gesellschafter seinerzeit Gespräche über eine einvernehmliche Beilegung ihrer Differenzen geführt hätten.Randnummer57

Weil der Kläger der Beschlussfassung im Umlaufverfahren widersprochen und mit „Nein“ gestimmt habe, fehle es an der erforderlichen Mehrheit, die der Durchführung eines schriftlichen Umlaufverfahrens zustimmen müsse.Randnummer58

Auch die ¾-Mehrheit nach § 7 Abs. 3 der Satzung sei nicht erreicht worden. Unabhängig von der formellen Lage seien die Beschlüsse auch nicht mit der erforderlichen Beschlussmehrheit zustande gekommen, weil der Kläger gegen sämtliche Beschlussvorschläge mit „Nein“ gestimmt habe. Sein Nein sei jeweils zu berücksichtigen und nicht als treuwidrig zu bewerten gewesen.Randnummer59

Der Kläger beantragt,Randnummer60

l. Es wird festgestellt, dassRandnummer61

1.1. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 1Randnummer62

unter dem Tagesordnungspunkt gemäß dem „ProtokollRandnummer63

der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer64

„Der den Gesellschaftern bereits übersandte und mit Hilfe der R. P. Steuerberatungsgesellschaft mbH erstellte Jahresabschluss der Gesellschaft für das Jahr 2020 wird festgestellt.“Randnummer65

nichtig ist.Randnummer66

1.2. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021Randnummer67

unter dem Tagesordnungspunkt gemäß dem „ProtokollRandnummer68

der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer69

„Das Jahresergebnis der Gesellschaft in Höhe von 761.016,30 Euro wird für das Jahr 2020 auf neue Rechnung vorgetragen.“Randnummer70

nichtig ist.Randnummer71

1.3. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021Randnummer72

unter dem Tagesordnungspunkt 3 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer73

„Der Geschäftsführer der Gesellschaft wird ermächtigt und hiermit beauftragt, den in Höhe von 1,875 Millionen Euro bislang offenen, hiermit durch die Gesellschafterversammlung angeforderten Stammkapitalbetrag des Gesellschafters J. R. einzufordern und, sollte binnen 2 Wochen keine freiwillige Zahlung erfolgen, gegen Herrn R. mit anwaltlicher Hilfe auch geltend zu machen.“Randnummer74

nichtig ist.Randnummer75

1.4. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 4 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer76

„Der Geschäftsführer wird ermächtigt und hiermit beauftragt, von Herrn J. R. alle im Zusammenhang stehenden Kosten und Aufwendungen der N. für E. v. W. und M. A. in voller Höhe und die Kosten und Aufwendungen der N. für T. W. und J. T. in anteiliger Höhe im Wege des Schadensersatzes zu verlangen und diese Inanspruchnahme gegen Herrn R., sollte es keine einvernehmliche Lösung, [sic!] geben mit anwaltlicher Hilfe sodann auch gerichtlich geltend zu machen (Geschäftsführerhaftung)“Randnummer77

nichtig ist.Randnummer78

1.5. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 4 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer79

„Der Geschäftsführer wird ermächtigt und hiermit beauftragt, von Herrn J. R. alle im Zusammenhang mit dem Objekt F. …, H., stehenden Kosten und Aufwendungen der N. im Wege des Schadensersatzes zu verlangen und diese Inanspruchnahme gegen Herrn R., sollte es hier keine einvernehmliche Lösung geben, mit anwaltlicher Hilfe sodann auch gerichtlich geltend zu machen (Geschäftsführerhaftung).“Randnummer80

nichtig ist.Randnummer81

2. Hilfsweise beantragt der Kläger:Randnummer82

2.1. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß “Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:Randnummer83

„Der den Gesellschaftern bereits übersandte und mit Hilfe der R. P.Randnummer84

Steuerberatungsgesellschaft mbH erstellte Jahresabschluss der Gesellschaft für das Jahr 2020 wird festgestellt.“Randnummer85

wird für nichtig erklärt.Randnummer86

2.2. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter demRandnummer87

Tagesordnungspunkt 2 gemäß „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:Randnummer88

„Das Jahresergebnis der Gesellschaft in Höhe von 761.016,30 Euro wird für das Jahr 2020 auf neue Rechnung vorgetragen.“Randnummer89

wird für nichtig erklärt.Randnummer90

2.3. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter demRandnummer91

Tagesordnungspunkt 3 gemäß “Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:Randnummer92

„Der Geschäftsführer der Gesellschaft wird ermächtigt und hiermit beauftragt, den in Höhe von 1,875 Millionen Euro bislang offenen, hiermit durch dieRandnummer93

Gesellschafterversammlung angeforderten Stammkapitalbetrag des Gesellschafters J. R. einzufordern und, sollte binnen 2 Wochen keine freiwillige Zahlung erfolgen, gegen Herrn R. mit anwaltlicher Hilfe auch geltend zu machen.“Randnummer94

wird für nichtig erklärt.Randnummer95

2.4. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter demRandnummer96

Tagesordnungspunkt 4 gemäß „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:Randnummer97

„Der Geschäftsführer wird ermächtigt und hiermit beauftragt, von Herrn J. R. alle im Zusammenhang stehenden Kosten und Aufwendungen der N. für E. v. W. und M. A. in voller Höhe und die Kosten und Aufwendungen der N. für T. W. und J. T. in anteiliger Höhe im Wege des Schadensersatzes zu verlangen und diese Inanspruchnahme gegen Herrn R., sollte es keine einvernehmliche Lösung, [sic!] geben mit anwaltlicher Hilfe sodann auch gerichtlich geltend zu machen (Geschäftsführerhaftung)“Randnummer98

wird für nichtig erklärt.Randnummer99

2.5. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 5 gemäß “Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut gefassten Beschluss:Randnummer100

„Der Geschäftsführer wird ermächtigt und hiermit beauftragt, von Herrn J. R. alle im Zusammenhang mit dem Objekt F. …, H., stehenden Kosten und Aufwendungen der N. im Wege des Schadensersatzes zu verlangen und diese Inanspruchnahme gegen Herrn R., sollte es hier keine einvernehmliche LösungRandnummer101

geben, mit anwaltlicher Hilfe sodann auch gerichtlich geltend zu machen (Geschäftsführerhaftung)“Randnummer102

wird für nichtig erklärt.Randnummer103

3. Hilfsweise beantragt der Kläger:Randnummer104

3.1. Es wird festgestellt, dass ein Beschluss im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November2021 mit folgendem Wortlaut:Randnummer105

„Der den Gesellschaftern bereits übersandte und mit Hilfe der R. P. Steuerberatungsgesellschaft mbH erstellte Jahresabschluss der Gesellschaft für das Jahr 2020 wird festgestellt“Randnummer106

nicht gefasst worden ist.Randnummer107

3.2. Es wird festgestellt, dass ein Beschluss im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 2 gemäß “Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut:Randnummer108

„Das Jahresergebnis der Gesellschaft in Höhe von 761.016,30 Euro wird für das Jahr 2020 auf neue Rechnung vorgetragen.“Randnummer109

nicht gefasst worden ist.Randnummer110

3.3. Es wird festgestellt, dass ein Beschluss im Umlaufverfahren der Beklagten am 9. November 2021 unter dem Tagesordnungspunkt 3 gemäß „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 9. November 2021 mit folgendem Wortlaut:Randnummer111

„Der Geschäftsführer der Gesellschaft wird ermächtigt und hiermit beauftragt, den in Höhe von 1,875 Millionen Euro bislang offenen, hiermit durch die Gesellschafterversammlung angeforderten Stammkapitalbetrag des Gesellschafters J. R. einzufordern und, sollte binnen 2 Wochen keine freiwillige Zahlung erfolgen, gegen Herrn R. mit anwaltlicher Hilfe auch geltend zu machen.“Randnummer112

nicht gefasst worden ist.Randnummer113

Mit Schriftsatz vom 10.3.2022 hat der Kläger seine Klage erweitert, er beantragt festzustellen, dassRandnummer114

4.1. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 28. Februar 2022 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 28. Februar 2022 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer115

„Dem Abschluss des als Anlage 2 vorliegenden Arbeitsvertrags zwischen der Gesellschaft und Frau S. F. durch die Geschäftsführung wird zugestimmt.“Randnummer116

nichtig ist.Randnummer117

4.2. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 28. Februar 2022 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 28. Februar 2022 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer118

„Dem Abschluss des als Anlage 4 vorliegenden Arbeitsvertrags zwischen der Gesellschaft und Frau C. L. durch die Geschäftsführung wird zugestimmt.“Randnummer119

nichtig ist.Randnummer120

5. Hilfsweise:Randnummer121

5.1. Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 28. Februar 2022 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 28. Februar 2022 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer122

„Dem Abschluss des als Anlage 2 vorliegenden Arbeitsvertrags zwischen der Gesellschaft und Frau S. F. durch die Geschäftsführung wird zugestimmt.“Randnummer123

wird für nichtig erklärt.Randnummer124

5.2. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 28. Februar 2022 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 28. Februar 2022 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer125

„Dem Abschluss des als Anlage 4 vorliegenden Arbeitsvertrags zwischen der Gesellschaft und Frau C. L. durch die Geschäftsführung wird zugestimmt.“Randnummer126

wird für nichtig erklärt.Randnummer127

5.3. Hilfsweise
Der im Umlaufverfahren der Beklagten am 28. Februar 2022 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 28. Februar 2022 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer128

„Dem Abschluss des als Anlage 2 vorliegenden Arbeitsvertrags zwischen der Gesellschaft und Frau S. F. durch die Geschäftsführung wird zugestimmt.“Randnummer129

nicht gefasst worden ist.Randnummer130

5.4. der im Umlaufverfahren der Beklagten am 28. Februar 2022 unter dem Tagesordnungspunkt 1 gemäß dem „Protokoll der Beschlussfassungen im Umlaufverfahren“ vom 28. Februar 2022 mit folgendem Wortlaut gefasste Beschluss:Randnummer131

„Dem Abschluss des als Anlage 4 vorliegenden Arbeitsvertrags zwischen der Gesellschaft und Frau C. L. durch die Geschäftsführung wird zugestimmt.“Randnummer132

nicht gefasst worden ist.Randnummer133

Die Beklagte beantragt,Randnummer134

die Klage abzuweisen.Randnummer135

Die Beklagte erhebt Widerklage und beantragt,Randnummer136

den Widerbeklagten zu verurteilen, an die Widerklägerin EUR 1.875.000,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2021 zu zahlen,Randnummer137

hilfsweise für den Fall der Klagabweisung zu TOP 3,Randnummer138

den Widerbeklagten zu verurteilen, der Einforderung seiner restlichen Stammeinlage i.H.v. EUR 1.875.000,00 durch die Beklagte zuzustimmen.Randnummer139

Mit Beschluss vom heutigen Tage, dem 1.7.2022, hat die Kammer das Verfahren in Bezug auf die Anträge im Rahmen der Klagerweiterung gemäß Schriftsatz vom 10.3.2022 sowie in Bezug auf die Widerklage-Anträge abgetrennt.Randnummer140

Die Beklagte ist der Auffassung, es sei das Verhalten des Klägers gewesen, das nach seiner Entdeckung die Ursache für die gerichtlichen Auseinandersetzungen sei. Mit dem Immobilienbereich habe sich Herr H. nicht näher ausgekannt.Randnummer141

Anstatt sich abredegemäß auf die Beklagte zu konzentrieren und diese wie angekündigt ertragreich zu machen, habe der Kläger schon Ende Januar 2019 eine neue Gesellschaft, die J. R. Immobiliengesellschaft mbH gegründet (heute: I1 GmbH). Diese Gesellschaft habe in der Folgezeit selbst Immobilien gekauft und sich dabei nicht nur Immobilien bedient, die der Beklagten bzw. deren Tochtergesellschaften selbst zum Kauf angeboten worden seien, sondern auch zur Erbringung von Eigenkapital und Kosten aus Mitteln der N.-Gruppe. Für verschiedene der Ankäufe zu Gunsten der heutigen I1 GmbH habe die Beklagte, hierbei vertreten allein durch den Kläger, ohne Wissen und Zustimmung des Mitgeschäftsführers Herrn H. Bürgschaften übernommen oder gar die Mithaftung im insgesamt zweistelligen Millionenbereich. Der Kläger habe sich so zu Lasten der Beklagten und des unwissenden Herrn H. ein beachtliches eigenes Immobilienvermögen aufgebaut.Randnummer142

Die I1 GmbH habe ein Haus in bester Lage H. an der Adresse F. … gekauft und unter Federführung des Klägers begonnen, dieses hochwertig als privates Wohnhaus des Klägers auszubauen. Unstrittig habe der Kläger (ungeachtet des hiesigen Sachverhaltes) sodann u.a. über die N. Z. Immobiliengesellschaft mbH insgesamt 1.123.602,44 Euro an Baukosten durch Scheinrechnungen der Handwerker abrechnen und bezahlen lassen. Das alles sei Herrn H. bis in den Herbst 2020 hinein genauso unbekannt gewesen wie andere Verfehlungen des Klägers, der erhebliche Privataufwendungen, bis hin zu Urlaubsflügen und privaten Hotelübernachtungen, in großem Umfang vor allem über die Beklagte habe bezahlen lassen.Randnummer143

Der als Anlage B 3 beigefügte Vertrag zu der Gehaltssumme des Klägers in Höhe von 360.000 Euro brutto (lediglich vom Kläger unterzeichnet) sei Herrn H. wohl angesichts der Abweichungen zum Besprochenen durch den Kläger nicht zur Gegenzeichnung vorgelegt worden.Randnummer144

Im Oktober 2020 hätten Herrn H. und seine Frau warnende Hinweise zum „Wirken“ des Klägers bei der Beklagten aus dem Umfeld des Klägers erreicht, wobei dem Umfeld auch nicht entgangen sei, dass der Kläger nur so mit Geld um sich geschmissen habe.Randnummer145

Noch vor einem Treffen mit dem Prokuristen, Herrn B., seien Herrn H. in Gestalt eines anonymen Schreibens (Anlage B 4) erhebliche Missstände berichtet worden. Herr B., der bis dahin angesichts von unwahren Aussagen des Klägers noch davon ausgegangen sei, dass Herr H. das Treiben kenne und – warum auch immer – billige, habe verschiedene problematische Sachverhalte bestätigt und zugesagt, sich um die rasche Aufklärung und inhaltliche Aufarbeitung der Situation zu kümmern. Da der Kläger zur Finanzierung seiner eigenen Immobiliengesellschaft aus der N.-Gruppe laufend Geld transferiert habe (E-Mail Anlage B 5 vom 28. Oktober 2020), sei hier ganz schnelles Handeln geboten gewesen.Randnummer146

Der Kläger sei mit seinen Verfehlungen konfrontiert und unter Androhung der Erstattung einer Strafanzeige vor die Wahl gestellt worden, seiner sofortigen Abberufung als Geschäftsführer zuzustimmen. Der Kläger habe die vorgehaltenen Sachverhalte daraufhin eingeräumt.Randnummer147

Aus Kreditkartenabrechnungen der Beklagten ohne Belege, die betriebliche Anlässe belegen würden, mache die Beklagte aktuell einen Betrag von über 1 Million Euro gegen den Kläger geltend, der die zugesagte Beschaffung von Belegen mit betrieblichen Nachweisen bis heute nicht vollbracht habe, weil es insoweit keine betrieblichen Anlässe gegeben habe. Hier behaupte der Kläger heute wahrheitswidrig, dass die Ehefrau von Herrn H. die angeblich einmal vorhandenen Belege vernichtet habe, um ihm, dem Kläger, zu Schaden.Randnummer148

Der ursprüngliche Plan zur Errichtung und Platzierung der N.-Gruppe am Markt in Gestalt der finanzierenden Rolle des Gesellschafters H. und der operativen Tätigkeit des Gesellschafters J. R. sei durch alleiniges Zutun des Klägers gescheitert. Hierdurch sei Herr H. in eine Rolle gedrängt worden, die für ihn bis dahin nicht vorgesehen gewesen sei, nämlich die operative Leitung der N.-Gruppe. Der Kläger habe sein Fehlverhalten im Oktober 2020 selbst eingestanden, indem er die Position des Geschäftsführers bei der Beklagten und auch deren Tochtergesellschaften aufgegeben und bereits zu einem (nur) kleinen Teil angefangen habe, die von ihm angerichteten finanziellen Schäden der N.-Gruppe wiedergutzumachen.Randnummer149

Der Kläger unterliege einer völlig verzerrten Selbstwahrnehmung, wenn er sich nach all dem, was bis Oktober 2020 vorgefallen sei, ernsthaft als überrascht und irritiert gebe, dass parallel zu laufenden Einigungsgesprächen durch den Geschäftsführer der Beklagten zu einer Gesellschafterversammlung der Beklagten im schriftlichen Umlaufverfahren eingeladen worden sei.Randnummer150

Ursache für den Entschluss des Herrn H., die Gesellschafterversammlung im schriftlichen Umlaufverfahren abzuhalten, sei nicht die Absicht gewesen, dem Kläger Nachteile zuzufügen. Im Gegenteil: Dem Kläger hätten überhaupt keine Nachteile gedroht, da in einer Präsenzversammlung schlichtweg dieselben Beschlüsse zustande gekommen wären, da der Kläger seine treuwidrige Blockadehaltung auch dort nicht aufgegeben hätte bzw. auch gar nicht erst wirksam hätte abstimmen dürfen.Randnummer151

Der maßgebliche Grund für Herrn H., die Gesellschafterversammlung im schriftlichen Umlaufverfahren abzuhalten, sei vielmehr auf die pandemische Lage wegen Covid-19 zurückzuführen. Mit seinem Alter von 65 Jahren zähle er hier schlicht zur Risikogruppe, der von einer Ansteckung besonders gefährdeten Personen und versucht daher, Infektionsrisiken weitestgehend zu minimieren. Rücksichtnahme sei dem Kläger schlichtweg fremd.Randnummer152

Inhaltliche Gründe für das Nein des Klägers zur mit TOP 1 erfolgten Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
Feststellung des Jahresabschlusses
2020 seien weder vor noch im Zuge der Abstimmung genannt worden. Dies, obwohl der Kläger durchweg vollen Einblick in die Buchhaltung und sonstige Datenlage der Beklagten gehabt habe. Wie vor seiner Niederlegung schon praktiziert hatte der Kläger nämlich durch einen Zugang zur Buchhaltung über DATEV jederzeit Zugriff auf die einzelnen Buchungen wie auch die dahinterstehenden und ebenfalls online abrufbaren, weil eingescannten Belege hierzu.Randnummer153

Die mit TOP 2 erfolgte Beschlussfassung über die Ergebnisverwendung sei gleichsam zwingend vorzunehmen gewesen. Eine alternativ denkbare Gewinnausschüttung sei aus Liquiditätsgesichtspunkten durch die Beklagte nicht realisierbar.Randnummer154

Die mit TOP 3 verfolgte Einforderung der restlichen StammeinlageBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einforderung der restlichen Stammeinlage
Stammeinlage
des Klägers sei keineswegs zum Selbstzweck erfolgt. Die Beklagte habe absehbar ab Dezember 2021 erheblichen Liquiditätsbedarf gehabt, da Herr H. mehrere der Gesellschaft gewährte Gesellschafterdarlehen wirksam zum 1. Dezember 2021 gekündigt hatte.Randnummer155

Die Vorwürfe des Klägers gegenüber Herrn H., dass dieser selbst durch unberechtigte Kündigungen von Gesellschafterdarlehen Druck auf den Kläger ausüben wolle, seien haltlos und dienten ersichtlich der negativen Stimmungsmache ohne jeglichen wahren Tatsachenkern. Vollkommen sinnlos sei das Abstreiten eines Liquiditätsengpasses durch Hinweis auf eine E-Mail vom 23. März 2021 – mithin acht Monate vor den hier interessierenden Fälligkeiten, als wohlgemerkt auch eine Kündigung der Gesellschafterdarlehen noch nicht erfolgt gewesen sei.Randnummer156

Bereits inhaltlich hindere § 7 Abs. 5 der Satzung nicht die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 2 COVMG. Denn § 7 Abs. 5 der Satzung sei im Zusammenhang mit § 7 Abs. 2 zu lesen. § 7 Abs. 5 der Satzung beziehe sich damit vordergründig auf eine Ausnahme von § 7 Abs. 2. Für diesen Fall (und nur für diesen), dass von § 7 Abs. 2 abgewichen werden soll, gebe § 7 Abs. 5 die Möglichkeit die allstimmig ohne Beachtung von § 7 Abs. 2 gefassten Beschlüsse „auch schriftlich oder fernmündlich“ zu fassen. Das Allstimmigkeitserfordernis des § 7 Abs. 5 gelte damit ausschließlich für den Fall einer Abweichung von § 7 Abs. 2. Denn ansonsten stünde in § 7 Abs. 5 der Satzung nicht „(…) auch ohne Einhaltung von Abs. 2 und darüber hinaus auch schriftlich oder fernmündlich (…)“, sondern ein „oder“. Mit der gewählten Formulierung sei die Ausnahme von § 7 Abs. 2 jedoch kumulativ mit der (nur dann möglichen) schriftlichen oder fernmündlichen Beschlussfassung verbunden, nicht jedoch alternativ. Letzteres sei jedoch erforderlich, um per se ein Allstimmigkeitserfordernis für Umlaufverfahren zu statuieren. Dies sehe die Satzung jedoch nicht vor.Randnummer157

Das Vorliegen einer zweigliedrigen Gesellschaft führe nicht dazu, dass einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren „plötzlich“ einstimmig durch die Gesellschafter zugestimmt werden müsse. Das Beschlussquorum für die Zustimmung zum Umlaufverfahren sei erreicht. Denn an der Abstimmung zum Vorgehen im Wege des Umlaufverfahrens habe sich der Kläger durch seinen Widerspruch im Sinne einer Neinstimme ja schließlich beteiligt. Zusammen mit der Ja-Stimme des Herrn H. seien damit die vollen 100% des Stammkapitals an dem Beschluss beteiligt gewesen.Randnummer158

Die Beschlüsse seien mit der erforderlichen Mehrheit rechtmäßig zustande gekommen. Bezüglich TOP 1 und 2 sei das Nein des Klägers treuwidrig und daher unbeachtlich, sodass der Beschluss mit der Stimme des Herrn H. zustande gekommen sei. Dass der Kläger den TOP 3-5 nicht zugestimmt habe, sei im Ergebnis wegen Bestehens eines Stimmverbots nach § 47 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 GmbHG unerheblich.Randnummer159

Zur Widerklage trägt die Beklagte vor, sie habe Anspruch auf Zahlung i.H.v. EUR 1.875.000,00. Ein entsprechender Gesellschafterbeschluss gem. § 46 Nr. 2 GmbHG, die restliche Stammeinlage fällig zu stellen, liege im Zusammenhang mit dem „Zettel Holly“ vor. Sie sei durch den Kläger bis zum Stichtag der Bilanz für das Jahr 2020 einzuzahlen gewesen, mithin zum 31. Dezember 2020.Randnummer160

Das Gericht hat mit Beschluss vom heutigen Tage, dem 1.7.2022, das Verfahren in Bezug auf die Anträge im Rahmen der Klagerweiterung gemäß Schriftsatz vom 10.3.2022 sowie in Bezug auf die Widerklage-Anträge abgetrennt.Randnummer161

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien, insbesondere hinsichtlich des weiteren materiellen Sachvortrags der Beklagten, wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist hinsichtlich ihres Hauptantrags zu Ziffer 1. (Nichtigkeitsklage) unbegründet, aber hinsichtlich des Hilfsantrags zu Ziffer 2. (Anfechtungsklage) begründet.Randnummer163

1. Die im Umlaufverfahren gefassten Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Beklagten sind nicht nach § 241 Nr. 1 AktG analog nichtig. Von einer Nichtigkeit auszugehen ist nur bei Ladungsmängeln, die die Teilnahme der Gesellschafter faktisch unmöglich machen: diese sind mit einer Nichtladung vergleichbar und kommen deshalb als Nichtigkeitsgrund in Betracht (BGH, ZIP 2016, 817 Rn. 21). Weniger schwerwiegende Ladungsmängel begründen nur die Anfechtbarkeit, z.B. ein Verstoß gegen besondere Einberufungsvorschriften kraft Satzung (Altmeppen, 10. Aufl. 2021, GmbHG § 51 Rn. 19, 20).Randnummer164

Die Durchführung eines Umlaufverfahrens trotz des Widerspruchs eines Gesellschafters ist nicht als so besonders gravierender Mangel zu bewerten, der zur Nichtigkeit der Gesellschafterbeschlüsse führt. Wird ein satzungsgemäßes Quorum zur Beschlussfähigkeit von Gesellschafterversammlungen im erleichterten Umlaufverfahren nicht erreicht, ist der Beschluss anfechtbar (Leinekugel, COVuR 2020, 622, beck-online).Randnummer165

Die Klage war damit hinsichtlich ihres Hauptantrags zu Ziffer 1. abzuweisen.Randnummer166

2. Die Beschlüsse waren aber auf die rechtzeitig (a) erhobene Anfechtungsklage (Hilfsantrag zu Ziffer 2.) für nichtig zu erklären, weil die Beschlussfassung gegen das Gesetz und gegen die Satzung der Beklagten verstießen (b).Randnummer167

a) Die Anfechtungsklage ist rechtzeitig gemäß § 246 Abs. 1 AktG analog binnen Monatsfrist erhoben worden. Die Frist begann am 9.11.2021 zu laufen. Der Eingang der Klageschrift vom 8.12.2021 per Fax beim Landgericht am gleichen Tag hat die Frist gewahrt, da die Zustellung der Klage demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist. Die Einreichung der Klage per Telefax war fristwahrend möglich (BGH, NJW 2004, 2228).Randnummer168

Eine dem Fristablauf nachfolgende Zustellung ist als demnächst im Sinn des § 167 ZPO und damit fristwahrend anzusehen, wenn eine Verzögerung einem Kläger nicht angelastet werden kann (BGH, NZG 2011, 506 Tz. 13). So liegen die Dinge hier. Dass die Klage hier der Beklagten (erst) am 29.12.2021 zugestellt worden ist, lag nicht in der Sphäre des Klägers. Der Kläger durfte die Gerichtskostenanforderung abwarten (BGH, NJW 2015, 3101 Tz. 19). Die Vorschussrechnung wurde am 10.12.2021 erstellt und der Vorschuss innerhalb einer Frist von 14 Tagen am 16.12.2021 eingezahlt. Daraufhin hat die Kammer am 22.12.2021 das schriftliche Vorverfahren angeordnet und die Klage der Beklagten zustellen lassen, die hier auch am 29.12.2021 zeitnah erfolgt ist.Randnummer169

b) Die Beschlussfassung im Umlaufverfahren verstieß gegen das Gesetz und gegen die Satzung der Beklagten (§ 243 AktG).Randnummer170

aa) § 48 Abs. 1 GmbHG sieht als Grundsatz vor, dass Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen, d.h. also in Präsenz, gefasst werden.Randnummer171

bb) Die in § 48 Abs. 2 GmbHG geregelten Ausnahmen, wonach es einer Versammlung dann nicht bedarf, wenn sämtliche Gesellschafter in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden sind, liegen nicht vor. Die Voraussetzungen der 1. Alt. des § 48 Abs. 2 GmbHG sind bereits deswegen nicht gegeben, weil der Kläger den durch schriftliche Stimmabgabe erfolgten Beschlüssen nicht zugestimmt hat. Auch die Voraussetzungen der 2. Alt. liegen nicht vor, weil der Kläger ausdrücklich der Beschlussfassung in Textform widersprochen hat. Daran ändert es auch nichts, dass die Satzung hier im Verhältnis zu der dispositiven Regelung des § 48 GmbHG Erleichterungen vorsieht, wonach Gesellschafterbeschlüsse auch schriftlich oder fernmündlich gefasst werden können, da auch diese Regelung nur gilt, sofern – wie hier nicht – alle Gesellschafter diesem Verfahren zustimmen.Randnummer172

cc) Auch aus § 2 des Artikelgesetzes zur Abmilderung der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (COVMG) vom 27.03.2020 folgt nichts Anderes. Hiernach konnten zum fraglichen Zeitpunkt der Beschlussfassung abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter „in Textform oder durch schriftliche Abgabe von Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden“ können.Randnummer173

In der Literatur und der Rechtsprechung werden verschiedene Auffassungen vertreten, ob eine Mehrheit der Gesellschafter (sog. Quorum) für die Entscheidung über eine Abstimmung in Text- oder Schriftform erforderlich ist. Diese Frage wird verschiedentlich mit beachtlichen Gründen – u.a. unter Hinweis auf die gesetzgeberische Zielrichtung von § 2 CovMG – verneint. Für eine wirksame Beschlussfassung im erleichterten Umlaufverfahren genügt es nach dieser Auffassung, dass sich nur ein einziger Gesellschafter, und sei er noch so gering beteiligt, an der Abstimmung beteiligt (Noack/Servatius/Haas GmbHG, 23. Aufl. 2022, Anh. § 48 Rn. 36; Seibt in; Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018 ff., § 48 GmbHG, Rn. 68e).Randnummer174

Andere Auffassungen halten für diese Frage eine Mehrheit der Gesellschafter für erforderlich (BeckOK GmbHG/Schindler, 49. Ed. 1.5.2021, GmbHG § 48 Rn. 95d: „Entgegen dieser Auffassung wird man aber davon ausgehen müssen, dass die einfache Mehrheit der Stimmen aller Gesellschafter einem solchen Verfahren zugestimmt haben muss“; Schindler/Schaffner; Virtuelle Beschlussfassung in Kapitalgesellschaften und Vereinen, § 3 Rn. 602; Wicke, NZG 2020, 501; Oppenländer/Trölitzsch GmbH-GF HdB, § 52 Rechtliche Besonderheiten anlässlich der COVID-19-Pandemie Rn. 2; Römermann, Leitfaden COVID-19-Pandemie, Teil 3. Gesellschaftsrecht (Art. 2: Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie) Rn. 104).Randnummer175

Auf diesen Meinungsstreit kommt es vorliegend allerdings nicht an.Randnummer176

Denn es besteht weitgehende Übereinstimmung der in der Literatur geäußerten Auffassungen darin, dass im Falle des Bestehens von Satzungsregelungen zur Beschlussfähigkeit in Gesellschafterversammlungen deren Inhalt zu berücksichtigen sind. Nach dieser Auffassung sind derartige gesellschaftsvertragliche Vorgaben für die Beschlussfähigkeit auf das erleichterte Umlaufverfahren „zu spiegeln“ bzw. zu übertragen (Leinekugel, BeckOK GmbHG, § 47 Anhang Beschlussanfechtung Rn. 329, beck-online; Noack/Servatius/Haas GmbHG, 23. Aufl. 2022, Anh. § 48 Rn. 37; Vetter/Thielmann NJW 2020, 1179). Sofern die Satzung ein Kapitalquorum für die Gesellschafterversammlung eingeführt hat, ist dieses entsprechend heranzuziehen (Baumbach/Hueck/Noack, 1. Aufl. 2020, COVMG § 2 Rn. 44, beck-online).Randnummer177

Das folgt nach dieser Auffassung aus der allgemeinen Auslegungsmaxime für § 2 CovMG, wonach Beschränkungen von Gesellschafterrechten nicht angestrebt und die jeweiligen Satzungsregelungen für Präsenzgesellschafterversammlungen weitestmöglich auf Beschlussfassungen im erleichterten Umlaufverfahren zu übertragen sind. Gesellschaftsvertragliche Beschlussfähigkeitsregelungen sollen Zufallsmehrheiten verhindern, die dadurch entstehen können, dass ein Gesellschafter unverschuldet (z.B. krankheits- oder urlaubsbedingt oder wegen einer anderweitigen Terminkollision) an einer Gesellschafterversammlung teilnehmen kann oder will. Die Beschlüsse sollen den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen in der GmbH entsprechen und ein Gesellschafter soll nicht gezwungen sein, seine komplette Zeitplanung an einem ihm vom Einladenden einseitig vorgesehenen Termin auszurichten.Randnummer178

Wird ein satzungsgemäßes Quorum zur Beschlussfähigkeit von Gesellschafterversammlungen im erleichterten Umlaufverfahren nicht erreicht, so ist der Beschluss unwirksam; wenn – wie hier – sein Zustandekommen gleichwohl festgestellt wird, ist der Beschluss anfechtbar (Leinekugel, BeckOK GmbHG, § 47 Anhang Beschlussanfechtung, Rn. 330, beck-online).Randnummer179

Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an.Randnummer180

dd) Aus der Entscheidung des Brandenburgischen OLG vom 13.4.2022 (4 U 123/21, Anlage B 18) ergibt sich nichts Anderes. Denn dieses Urteil betrifft den Fall einer sog. Wiederholungsversammlung, nicht – wie hier – den Fall einer Erstversammlung.Randnummer181

Das Brandenburgische OLG hat in Rz. 42 Mitte ausgeführt:Randnummer182

Soweit § 9.2 Satz 1 der Satzung vorsieht, dass Gesellschafterversammlungen nur beschlussfähig sind, wenn Gesellschafter anwesend oder vertreten sind, die mehr als 50% des Stammkapitals auf sich vereinen, könnte dies zwar grundsätzlich auch für die Beteiligung an dem erleichterten Umlaufverfahren gemäß § 2 COVMG Geltung beanspruchen.“Randnummer183

Im weiteren Verlauf seiner Argumentation hat das OLG BrandenburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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dann vor allem darauf abgestellt, dass es hier um den Fall einer Wiederholungsversammlung ging:Randnummer184

„Für die mit der Einberufung vom 04.04.2020 initiierte Abstimmung gilt jedoch nicht die Regelung in § 9.2 Satz 1, sondern diejenige in § 9.2 Satz 2, die wie folgt lautet: „Ist eine Versammlung nicht beschlussfähig, kann eine weitere Versammlung mit gleicher Tagesordnung einberufen werden, die unabhängig vom vertretenen Kapital beschlussfähig ist“. Um eine solche Wiederholungsversammlung handelt es sich bei dem mit der Einberufung vom 04.04.2020 initiierten Abstimmungsverfahren, da der Kläger zu der Gesellschafterversammlung am 03.03.2020, zu der die – dazu aufgrund der einstweiligen Verfügung vom 17.02.2020 des Landgerichts Potsdam ermächtigte – Minderheitsgesellschafterin mit Schreiben vom 17.02.2020 mit gleicher Tagesordnung eingeladen hatte, – unstreitig – nicht erschienen war.“Randnummer185

Im vorliegenden Fall ging es indes unstreitig nicht um den Fall einer wiederholten Versammlung, sondern um die erstmalige Initiierung der Beschlussfassung.Randnummer186

dd) Soweit der Gesellschaftsvertrag – wie hier – ein Mindestquorum für die Beschlussfassung in Präsenzgesellschafterversammlungen verlangt, ist dieses damit auf die Frage der Zulässigkeit einer erleichterten Beschlussfassung nach § 2 CovMG zu übertragen.Randnummer187

Da nach § 7 Abs. 3 Satz 1 der Satzung der Beklagten eine Gesellschafterversammlung nur beschlussfähig ist, „wenn mindestens drei Viertel des gesamten Stammkapitals vertreten sind“ und weil dieses Quorum auch bei der Entscheidung über eine erleichterte Beschlussfassung zu berücksichtigen ist, jedoch nicht erreicht war, lag hier ein Anfechtungsgrund vor.Randnummer188

c) Da somit ein Anfechtungsgrund in Gestalt des Nichterreichens des Quorums nach § 7 Abs. 3 der Satzung vorlag, können die weiteren von den Prozessbevollmächtigten – im Schrifttum und Rechtsprechung ebenfalls kontrovers – diskutierten Fragen offenbleiben. Dies gilt insbesondere für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der sachliche Anwendungsbereich von § 2 CovMG bei bestehenden Regelungen in der Satzung (hier: § 7 Abs. 5 der Satzung: Umlaufverfahren nur mit Zustimmung aller Gesellschafter zulässig) überhaupt eröffnet ist, weil § 2 CoVMG nach seinem Wortlaut lediglich § 48 Abs. 2 GmbHG ändert, nicht jedoch § 45 Abs. 2 GmbHG erwähnt.Randnummer189

Auch kann offenbleiben, ob in zweigliedrigen GmbHs besondere Treuepflichten in Bezug auf die Initiierung eines schriftlichen Umlaufverfahrens gelten.Randnummer190

Weiter kann auch offenbleiben, ob die Initiierung des schriftlichen Umlaufverfahren hier im konkreten Einzelfall bereits deshalb treuwidrig war, weil die Parteien offenbar zeitgleich bereits in – möglicherweise in persönlicher Anwesenheit geführten – Gesprächen über eine friedliche Lösung des Gesamtkomplexes waren.Randnummer191

Schließlich kann auch offenbleiben, ob die Beschlüsse aus materiellen Gründen (Bestehen einer Treuepflicht des Klägers zur zustimmenden Stimmabgabe bzw. Einschlägigkeit von § 47 IV GmbHG?) anfechtbar waren.Randnummer192

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Kläger ist zwar hinsichtlich seines Hauptantrags (Nichtigkeitsklage) unterlegen. Nach heute h. M. liegt jedoch der Anfechtungs- wie auch der Nichtigkeitsklage ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde (BGH, NZG 1999, 496, 497). Werden die Anträge – wie hier – als Haupt- und Hilfsantrag gestellt, liegt mithin kein echtes Eventualverhältnis, sondern ein einheitlicher Antrag vor (BGH, NJW 2004, 3561, 3562; OLG Stuttgart Urt. v. 27.4.2011 – 14 U 30/10, BeckRS 2013, 18646, beck-online)Randnummer193

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 ZPO.Randnummer194

BeschlussRandnummer195

Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I Gesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

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Raucherpause nach Landesarbeitsgericht Arbeitszeitbetrug?

Dienstag, 3. Mai 2022

Thüringer LAG, Urteil vom 03.05.2022 – 1 Sa 18/21

1. Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs 1 BGB. Dasselbe gilt für den Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren.(Rn.65)

2. Auch die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, ist geeignet eine außerordentliche Kündigung zu begründen.(Rn.65)

3. Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann im Rahmen der Interessenabwägung dann zu Gunsten eines Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit bei bestimmten Pflichtverletzungen stets und nicht nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalls keine kündigungsrechtlichen Konsequenzen gezogen hat oder wenn der Arbeitgeber bei gleichgelagerten Pflichtverletzungen willkürlich einen von mehreren vergleichbar beteiligten Arbeitnehmern herausgreift.(Rn.77)

4. Der Arbeitnehmer hat die gleichgelagerten Pflichtverletzungen, die trotz Kenntnis des Arbeitgebers von diesem nicht zur Grundlage kündigungsrechtlicher Konsequenzen gegenüber den übrigen Mitarbeitern gemacht werden konkret darzulegen.(Rn.78)

5. Eine Nikotinsucht mag allenfalls die Anzahl der Raucherpausen erklären, nicht jedoch die Verletzung der Pflichten zu deren ordnungsgemäßer Dokumentation.(Rn.80)

6. Bei bewusst falschen Angaben hinsichtlich der Arbeitszeit oder bei mehrfachen nicht unerheblichen Falschaufzeichnungen bedarf es in der Regel nicht noch einer vergeblichen Abmahnung.(Rn.83)

7. Aus dem Familienstand „geschieden“ ergibt sich nicht zwingend eine erhöhte Schutzbedürftigkeit als aus dem Familienstand „verheiratet“. Entscheidend ist nicht der Familienstand selbst, sondern die aus ihm resultierenden Unterhaltsverpflichtungen.(Rn.103)

8. Eine fehlerhafte Angabe zur Betriebszugehörigkeit gegenüber dem Personalrat im Rahmen der Anhörung führt dann nicht zur Kündigung, wenn die Abweichung zwischen der richtigen und der fehlerhaft mitgeteilten Betriebszugehörigkeit für die Ermittlung der Schutzbedürftigkeit des zu kündigenden Arbeitnehmers nicht entscheidend ins Gewicht fällt.(Rn.105)

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 29.07.2020 – Az. 6 Ca 248/19 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 05.02.2019 sowie um Weiterbeschäftigung, wobei in der Berufungsinstanz nur noch die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung im Streit steht. Randnummer2

Die am 21.02.1962 geborene, geschiedene Klägerin war zunächst ab 05.02.1986 beim Rat des Kreises A… beschäftigt. Mit Wirkung ab dem 14.05.1990 nahm die Klägerin auf Basis des Überleitungsvertrags vom 14./15.05.1990 (Bl. 7/8 d.A.) ihre Tätigkeit in den Diensten der Beklagten als Mitarbeiterin im Arbeitsamt auf. Mit Schreiben der Beklagten vom 28.08.2015 (Bl. 16/17 d.A.) wurde die Klägerin mit Wirkung ab dem 01.01.2016 gemäß § 44g SGB II auf Dauer als Arbeitsvermittlerin dem Jobcenter des Landkreises B… zugewiesen. Das Schreiben enthält den Hinweis, dass die Rechtsstellung der Klägerin als Arbeitnehmerin der Beklagten von dieser Zuweisung unberührt bleibe. Die Klägerin erhielt zuletzt ein monatliches Festgehalt von 4.297,21 € brutto. Randnummer3

Zwischen dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit C… und dem dortigen Personalrat wurde am 23.04.2010 eine Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit in der Agentur für Arbeit C… (Bl. 139 ff. d.A.) abgeschlossen, die unter Ziffer 8 auszugsweise die nachfolgenden Regelungen enthält: Randnummer4

„Es werden grundsätzlich für alle Mitarbeiter Arbeitszeitkonten geführt, in denen alle für die Arbeitszeitaufzeichnung notwendigen Daten für den Abrechnungsabschnitt unter Beachtung des personenbezogenen Datenschutzes erfasst werden. Randnummer5

Die Arbeitszeit ist bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen. Dies gilt ferner für das Erfassen der Pausen (Raucherpausen, Pausen in der Kantine sowie in den Sozialräumen oder am Arbeitsplatz).“ Randnummer6

Im Jobcenter des Landkreises B… gilt eine zwischen dem Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung und dem Personalrat des Jobcenters abgeschlossene Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit vom 18.01.2012 (Bl. 160 ff. d.A.). Diese Dienstvereinbarung regelt in § 9 zur Zeiterfassung auszugsweise: Randnummer7

„(2) Es werden für alle Mitarbeiter Arbeitszeitkonten geführt, in denen alle für die Arbeitszeitaufzeichnung notwendigen Buchungen und Daten für den Abrechnungsabschnitt unter Beachtung des personenbezogenen Datenschutzes erfasst werden. Randnummer8

(3) Die Arbeitszeit ist bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen. Dies gilt ebenso für das Erfassen der Pausen (Raucherpausen, Pausen in der Kantine sowie in den Sozialräumen oder am Arbeitsplatz).“ Randnummer9

Bei der Beklagten gibt es ein „Handbuch Personalrecht/Gremien“, das sich mit der Delegation von dienst- und arbeitsrechtlichen Vertretungsbefugnissen des Vorstands der Beklagten befasst (Bl. 69-76 d.A.). In diesem Handbuch wird in Ziffer 1 Abs. 1 Satz 1 hinsichtlich der Zuständigkeit für Entscheidungen in Personalangelegenheiten auf die Anlage A verwiesen, in dessen Abschnitt I Ziffer 1 die Zuständigkeit zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Mitarbeiter der Tätigkeitsebene III oder niedriger dem „VG der AA“ (Laut Legende Vorsitzende/Vorsitzender der Geschäftsführung einer Agentur für Arbeit oder alleiniger Geschäftsführer der Agentur für Arbeit) zugewiesen ist. Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit C… war im hier interessierenden Zeitraum Herr D…. Randnummer10

Anfang Januar 2019 stellte die Vorgesetzte der Klägerin Unregelmäßigkeiten bei den Arbeitszeitbuchungen der Klägerin fest. Die Feststellungen betrafen folgende Raucherpausen: Randnummer11

09.01.201909:20 Uhr
10.01.201908:50 Uhr
        09:55 Uhr – 10:09 Uhr
        10:25 Uhr
        13:55 Uhr
14.01.201907:50 Uhr
        09:55 Uhr
        10:27 Uhr
        15:00 Uhr
16.01.201909:50 Uhr

Randnummer12

Ausweislich des Buchungsjournals aus dem Arbeitszeitkonto der Klägerin für den Zeitraum 01.01.2019 – 21.01.2019 (Bl. 61 d.A.) hatte die Klägerin die obigen Pausenzeiten nicht gebucht. Randnummer13

Aus Anlass einer weitergehenden Überprüfung wurde anhand der Buchungen am Personaleingang (Bl. 62/62 d.A.) ermittelt, dass die Klägerin ihre digitale Dienstkarte zu folgenden Zeiten benutzt hatte, um das Dienstgebäude über den Personaleingang zu betreten: Randnummer14

17.01.201908:01 Uhr
        09:04 Uhr
        11:33 Uhr
        13:54 Uhr
        15:00 Uhr
        15:52 Uhr
        16:27 Uhr
18.01.201908:24 Uhr
        09:45 Uhr
        10:38 Uhr
        11:25 Uhr
        13:05 Uhr
21.01.201907:59 Uhr
        09:00 Uhr
        10:29 Uhr
        12:12 Uhr
        13:51 Uhr
        16:13 Uhr

Randnummer15

Ein Abgleich mit dem betreffenden Buchungsjournal der Arbeitszeiterfassung (Bl. 61 d.A.) ergab, dass die Klägerin an den vorgenannten 3 Tagen keine einzige Pause, sondern lediglich Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit gebucht hatte. Randnummer16

Mit Schreiben vom 22.01.2019 (Bl. 18 d.A.) forderte die Beklagte die Klägerin auf, zu den unterlassenen Arbeitszeitbuchungen Stellung zu nehmen. Es entstehe der Eindruck der Arbeitszeitmanipulation. Schließlich habe die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt, dass sie am 26.02.2018 durch ihre Teamleiterin zur Erfassung der Arbeitszeit bei Dienstreisen und der Buchung von Pausenzeiten belehrt worden sei. Die Pflicht zur Buchung von Raucherpausen ergebe sich ferner aus § 9 Abs. 3 der Dienstvereinbarung vom 18.01.2012 des Jobcenters B…. Mit E-Mail vom 28.01.2019 (Bl. 87 d.A.) sowie mit nahezu inhaltsgleichem Schreiben vom 29.01.2019 (Bl. 20 d.A.) nahm die Klägerin Stellung. Sie führte aus, die genannten Zeiten zwischen dem 09.01. und 16.01.2019 könnten richtig sein. Als Raucherin benötige sie die entsprechenden Zigarettenpausen. Auch die Zeiten vom 17. bis 21.01.2019 würden nicht in Abrede gestellt. Wörtlich schrieb die Klägerin: „Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es mir sehr leid tut, dass ein solcher nachlässiger „Schludrian“ bei mir eingerissen ist. Ich habe Ihre Mitteilung deshalb sehr ernst genommen und seither jede einzelne Raucherpause ganz genau und minutiös aufgezeichnet. Ein derartiges Verhalten wird sich mit Sicherheit nicht mehr wiederholen, hiervon können Sie ausgehen.“ Randnummer17

Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit C… D… wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 31.01.2019 nebst Anlage I (Bl. 89 u. 77-79 d.A.) an den Personalrat der Agentur für Arbeit C… und teilte unter Mitteilung des Sachverhalts die Absicht zum Ausspruch einer fristlosen hilfsweise fristgerechten Kündigung mit. Das Schreiben enthält bei den Daten zur Person unter anderem die folgende Informationen: Randnummer18

Familienstand:verheiratet
Kinder:zwei, erwachsen
beschäftigt seit:14.05.1990

Randnummer19

Mit Schreiben vom 04.02.2019 (Bl. 89 d.A.) erklärte der Personalrat seine Zustimmung zu der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des klägerischen Arbeitsverhältnisses. Randnummer20

Die Gleichstellungsbeauftragte ließ mit Schreiben vom 01.02.2019 (Bl. 90 d.A.) mitteilen, keine Einwände gegen die streitgegenständlichen Maßnahmen zu erheben. Der Personalrat des Jobcenters Landkreis B… stimmte erst mit Schreiben vom 14.02.2019 (Bl. 91 d.A.) den Maßnahmen zu. Randnummer21

Mit einem von Herrn D… unterzeichneten Schreiben vom 05.02.2019 (Bl. 21-23 d.A.) sprach die Beklagte die streitgegenständliche fristlose Kündigung, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.09.2019 aus. Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin noch am 05.02.2019 überreicht. Randnummer22

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 11.02.2019 (Bl. 27 d.A.) ließ die Klägerin die Kündigung nach § 174 BGB zurückweisen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kündigung lediglich vom Vorsitzenden der Geschäftsführung D… unterschrieben sei, nicht jedoch vom weiteren Mitglied E…. Auch der Leiter des Jobcenters habe die Kündigung nicht unterzeichnet. Randnummer23

Mit ihrer am 26.02.2019 beim Arbeitsgericht Suhl eingegangenen und der Beklagten am 11.03.2019 zugestellten Klage hat die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben. Randnummer24

Die Klägerin hat erstinstanzlich angeführt, sie sei bereits seit Jahrzehnten Raucherin. Ursprünglich sei es auch nicht üblich gewesen, bei Pausen ein- und wieder auszustempeln. Diese Praxis habe sich erst in den letzten zwei Jahren entwickelt. Ihrer Auffassung nach sei mit der Duldung „wilder Raucherpausen“ eine betriebliche Übung zugunsten der Mitarbeiter entstanden. Die Klägerin hat ferner bestritten, dass der Personalrat hinsichtlich der Verpflichtung zum Ein- und Ausstempeln bei jeder Abwesenheit vom Arbeitsplatz wirksam beteiligt worden sei. Randnummer25

Die Klägerin hat weiter angeführt, dass sie bei der Dienstberatung zur Belehrung über die Erfassung von Arbeitszeiten und der Buchung von Pausenzeiten am 21.02.2018 – insoweit unbestritten – nicht anwesend gewesen sei. Am 26.02.2018 sei ihr nur die „Belehrung“ (Bl. 60 d.A.) vorgelegt worden mit dem Hinweis, sie müsse ihre Unterschrift leisten. Mit ihr persönlich sei die Pausenproblematik nicht besprochen worden. Ferner hat die Klägerin darauf verwiesen, es sei bekannt gewesen, dass sie nie alleine, sondern stets in kleineren Grüppchen Raucherpausen gemacht habe. Alleine die Klägerin sei sanktioniert worden. Die Beklagte messe mit zweierlei Maß. Die Klägerin habe allenfalls nachlässig gehandelt. Randnummer26

Die Klägerin hat die Kündigung für unverhältnismäßig gehalten. Sie hat angeführt, kein einziges Mal abgemahnt worden zu sein. Vor dem Hintergrund der bestehenden Nikotinsucht habe allenfalls eine krankheitsbedingte, nicht jedoch eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommen können. Randnummer27

Ferner hat sie die Ordnungsgemäßheit der Personalratsbeteiligung gerügt. Hierzu hat sie angeführt, einzelne Daten zur Person der Klägerin seien unzutreffend mitgeteilt worden. So sei wegen der Anerkennung der Vorbeschäftigungszeit beim Rat des Kreises A… eine falsche Beschäftigungsdauer mitgeteilt worden. Der Umstand, dass die Klägerin ihrer studierenden Tochter Unterhalt zahle, sei auch nicht erwähnt worden. Zur Akte gereicht worden sei ferner lediglich ein „Entwurf“ der Anhörung. Der genaue Inhalt der Mitteilungen an den Personalrat und der zeitliche Ablauf der Zustimmungserteilungen seien nicht klar erkennbar. Und der Personalrat des Jobcenters habe erst nach Ausspruch der Kündigung zugestimmt. Randnummer28

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt: Randnummer29

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 05.02.2019 nicht aufgelöst worden ist und auch nicht aufgelöst werden wird; Randnummer30

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als Arbeitsvermittlerin im Bereich SGB II zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Randnummer31

Die Beklagte hat beantragt, Randnummer32

die Klage abzuweisen. Randnummer33

Die Beklagte hat erstinstanzlich angeführt, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit C… sei aufgrund interner Delegation für die Kündigung zuständig gewesen. Durch die schwerwiegenden Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten sei das Vertrauensverhältnis zu der Klägerin unwiederbringlich zerstört. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang behauptet, der Klägerin sei die Verpflichtung zur Erfassung der Raucherpausen aus der mit dem Personalrat der Arbeitsagentur abgeschlossenen Dienstvereinbarung vom 23.04.2010 durch verschiedene Rundbriefe und Dienstbesprechungen bekannt gewesen. Die für das Jobcenter des Landkreises B… abgeschlossene eigene Dienstvereinbarung vom 18.01.2012 enthalte an der entscheidenden Stelle eine inhaltsgleiche Regelung zur Erfassung der Raucherpausen. Zwar sei es richtig, dass die Klägerin, wie einige andere Mitarbeiter, zu der Dienstbesprechung am 21.02.2018 nicht anwesend gewesen sei. Allerdings sei das Protokoll der Besprechung an die Mitarbeiter versandt worden. Mit ihrer Unterschrift auf dem Belehrungsbogen zur Erfassung der Arbeitszeiten habe die Klägerin dann auch bestätigt, dass ihr die Verpflichtung zur Buchung sämtlicher Raucherpausen bekannt war. Randnummer34

Mit Urteil vom 29.07.2020 (Bl. 278 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht Suhl dem Kündigungsschutzantrag mit Blick auf die außerordentliche Kündigung stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Randnummer35

Zur Begründung hat es ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei wegen der von der Klägerin gezeigten Einsicht in ihre Verfehlungen deshalb unwirksam, weil es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen sei, die Kündigungsfrist einzuhalten. Das Arbeitsverhältnis sei jedoch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung beendet worden. Der Unterzeichner des Kündigungsschreibens Herr D… habe mit entsprechender Vertretungsmacht gehandelt. Eine ordnungsgemäße Zurückweisung des Kündigungsschreibens mangels Vollmachtsurkunde könne im anwaltlichen Schreiben der Klägerin vom 11.02.2019 nicht erblickt werden. Dort sei nicht die fehlende Vorlage einer Originalvollmacht, sondern einzig die alleinige Unterzeichnung des Kündigungsschreibens gerügt worden. Auch die Personalratsbeteiligung müsse als ordnungsgemäß angesehen werden. Der entsprechende Vortrag der Beklagten werde als zugestanden angesehen. Die Beschäftigungszeiten der Klägerin stelle kein Sozialdatum dar, das im Rahmen der Personalratsbeteiligung hätte Bedeutung erlangen können. Auch die behauptete Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber ihrer Tochter sei nicht zwingend mitzuteilen gewesen. Es sei nicht erkennbar, dass der Beklagten eine solche Unterhaltspflicht bekannt war. Die ordentliche Kündigung rechtfertige sich wegen der beharrlichen Verletzung von Dokumentationspflichten und des sich dadurch verschafften Arbeitsentgelts für Zeiten, für die keine Entgeltpflichtigkeit bestand. Ein Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsätze oder der Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung stehe der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Auch der Verweis der Klägerin auf den Krankheitswert ihres Nikotinkonsums helfe ihr nicht weiter. Denn Kündigungsgrund sei der Verstoß gegen Dokumentationspflichten. Dass die Klägerin wegen ihres Nikotingenusses nicht in der Lage gewesen wäre, die Pausen ordnungsgemäß zu stempeln, sei nicht ersichtlich. Die die Klägerin treffende Dokumentationspflicht ergebe sich unmittelbar aus der Dienstvereinbarung. Gegen die ihr obliegende Dokumentationspflicht habe die Klägerin mit großer Beharrlichkeit verstoßen und sich dadurch in nennenswerter Weise Vermögensvorteile verschafft. Einer vorherigen Abmahnung habe es nicht bedurft. Wie die eigenen Stellungnahmen der Klägerin zeigten, sei es der Klägerin durchaus bewusst gewesen, dass sie Unrecht begeht. Mit Blick auf die Beharrlichkeit der Pflichtverletzungen und den nicht geringen Vermögensschaden habe sie auch nicht damit rechnen können, dass die Beklagte nicht sogleich kündigen werde. Da das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung beendet worden sei, sei für eine Weiterbeschäftigung kein Raum. Randnummer36

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin per Telefax-EB am 23.12.2020 zugesandt. Das Empfangsbekenntnis wurde vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28.12.2020 unterschrieben (Bl. 290 d.A.). Randnummer37

Mit beim Landesarbeitsgericht am 28.01.2021 eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 28.03.2021 mit am 29.03.2021 (einem Montag) eingegangenem Schriftsatz begründet. Randnummer38

Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.02.2019 aufgelöst worden ist. Ferner verfolgt sie ihren Weiterbeschäftigungsantrag weiter. Sie rügt, es sei sehr wohl bestritten gewesen, dass der Personalrat ordnungsgemäß und rechtzeitig unterrichtet worden sei. Anhaltspunkte für ein prozessuales Zugeständnis gemäß § 138 Abs. 3 ZPO hätten nicht bestanden. Erneut weist sie auf objektiv falsche Angaben in der Personalrat Anhörung hin. Insbesondere der aktuelle Familienstand der Klägerin „geschieden“ sei wegen der Steuerklasse bekannt gewesen. Nach wie vor seien die zeitlichen Abläufe der Personalratsbeteiligung und der Einbindung der Gleichstellungsbeauftragten nicht transparent. Die Rüge nach § 174 BGB sei sehr wohl rechtlich bedeutsam. Im Zurückweisungsschreiben sei die Gesetzesnorm ausdrücklich genannt gewesen verbunden mit dem Hinweis, dass ein weiteres Mitglied der Geschäftsführung hätte unterschreiben müssen. Vor Ausspruch der Kündigung hätte eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Die Beklagte habe Pflichtverletzungen „gesammelt“, anstatt frühzeitig einzugreifen. Die Klägerin beruft sich zur Begründung der Unverhältnismäßigkeit der Kündigung auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 17. März 2011, Az. 8 Sa 1854/10. Die Nikotinsucht sei jedenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Zu Unrecht habe das Erstgericht den Umstand unberücksichtigt gelassen, dass auch andere Kollegen „wilde Raucherpausen“ gemacht hätten. Randnummer39

Die Klägerin beantragt sinngemäß, Randnummer40

1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Suhl vom 29.07.2020, Az. 6 Ca 248/19, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.02.2019 aufgelöst worden ist; Randnummer41

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als Arbeitsvermittlerin im Bereich SGB II zu den bisherigen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Randnummer42

Die Beklagte beantragt, Randnummer43

die Berufung zurückzuweisen. Randnummer44

Die Beklagte rügt die Unzulässigkeit der Berufung. Eine Zustellung des Urteils an die Klägerseite sei bereits mit Übersendung an den Bevollmächtigten der Klägerin per Telefax am 23.12.2020 erfolgt. Die Berufungseinlegung erst am 28.01.2021 sei daher verfristet. Randnummer45

Im Übrigen verteidigt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil. Randnummer46

Die Personalratsbeteiligung sei ordnungsgemäß erfolgt. Zwar sei dem Personalrat eine etwas zu geringe Betriebszugehörigkeit mitgeteilt worden. Dies fiele bei der Beurteilung der streitgegenständlichen Kündigung jedoch nicht entscheidend ins Gewicht. Gleiches gelte für den Familienstand der Klägerin. Die Rüge der Klägerin, die Beklagte habe den Personalrat insoweit falsch informiert, als dass sie die Fehlzeiten der Klägerin mit Einkaufspausen begründet hätte, sei unzutreffend. Eine solche Aussage sei im Rahmen der Personalratsanhörung ausweislich der zur Gerichtsakte gereichten Unterlagen nicht gemacht worden. Randnummer47

Der wesentliche Vorwurf gegenüber der Klägerin, sich in Summe pro Woche durch Nichterfassung von Pausenzeiten mehrere Stunden bezahlte Freizeit erschlichen zu haben, rechtfertige jedenfalls eine ordentliche Kündigung. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des LAG Hamm vom 17.03.2021 sei als Einzelfallentscheidung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Dort sei es um 11 Fälle unterlassener Ausbuchungen in einem Zeitraum von 6 Wochen gegangen. Demgegenüber habe die Klägerin bereits in einem Zeitraum von 3 Arbeitstagen bei mindestens 7 Gelegenheiten Raucherpausen nicht erfasst. Zudem sei der Klägerin die sie treffende Verpflichtung zur Erfassung von Raucherpausen bewusst gewesen. Dies habe sie auch durch ihre Unterschrift bestätigt. Der Klägerin sei daher stets bewusst gewesen, dass sie die Beklagte über ihre tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen täuscht und so rein formal einen strafbaren Arbeitszeitbetrug begeht. Vor diesem Hintergrund habe die Klägerin nicht erwarten können, dass die Beklagte sie vor Ausspruch einer Kündigung noch einmal verwarnt. Randnummer48

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der zweitinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 08.02.2022 (Bl. 385 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig.Randnummer50

Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 520 Abs. 3 ZPO.Randnummer51

Die Rüge der Beklagten zur nicht fristgerechten Berufungseinlegung greift nicht. Die Berufungseinlegung am 28.01.2021 erfolgte innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils. Zugestellt war das Urteil nicht bereits mit Eingang des Telefaxes bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 23.12.2020, sondern ausweislich des Empfangsbekenntnisses erst am 28.12.2020. Denn bei einer Zustellung durch Telekopie gegen Empfangsbekenntnis ist die Zustellung erst mit Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses nachgewiesen (§ 174 Abs. 2 und 4 ZPO in der bis 31.12.2021 geltenden Fassung). Das Empfangsbekenntnis erbringt grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (BGH 24.04.2001 – VI 258/00, Rn. 10). Zustellungsdatum bei der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist nicht das Datum des Eingangs der (elektronischen) Nachricht in der Kanzlei – hier am 23.12.2021 per Fax -, sondern der Zeitpunkt, zu dem der Anwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (BGH 27.05.2003 – VI ZB 77/02, Rn 6; Zöller-Schultzky, ZPO, 34. Auflage 2022, § 173 Rn. 15; § 175 Rn. 8). Dies war erst am 28.12.2020.Randnummer52

II. Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet.Randnummer53

Zu befinden war nur noch über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung, da das Arbeitsgericht – mittlerweile rechtskräftig – die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt hat.Randnummer54

Zu Recht hat das Arbeitsgericht die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.02.2019 zum 30.09.2019 als wirksam erachtet.Randnummer55

1. Die Kündigung ist nicht mangels Vertretungsmacht des Erklärenden unwirksam.Randnummer56

Entgegen der Darstellung der Klägerin in der Berufungsbegründung zur „Vollmachtsrüge“ hat das Erstgericht sehr wohl Ausführungen zur Alleinvertretungsberechtigung des die Kündigung unterzeichnenden Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit C… gemacht. Unter Ziffer I. 2. a) der Entscheidungsgründe führt das Arbeitsgericht zutreffend aus, dass der Unterzeichner der Kündigungserklärung D… kraft Delegation der Vertretungsbefugnis im Handbuch Personal/Gremien zur Unterzeichnung der streitgegenständlichen Kündigung befugt war, die Kündigungserklärung einer Unterschrift durch ein weiteres Mitglied der Geschäftsführung nicht bedurfte und die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin nach § 44d Abs. 4 SGB II trotz Zuweisung der Klägerin zum Jobcenter B… bei der Beklagten – und damit bei der Agentur für Arbeit C… – verblieben war.Randnummer57

Diesen überzeugenden Ausführungen, gegen die mit der Berufung keine Einwände vorgebracht wurden, schließt sich die erkennende Kammer an.Randnummer58

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt die Unwirksamkeit der Kündigung auch nicht aus § 174 BGB. Denn eine rechtzeitige Zurückweisung der Kündigung wegen fehlender Vollmachtsurkunde liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor.Randnummer59

a) Nach § 174 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung muss gerade „wegen“ der fehlenden Vollmachtsurkunde erklärt werden (BAG 18.02.1993 – 2 AZR 482/92, Rn. 14; BAG 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, Leitsatz 3; ErfK-Müller-Glöge, 22. Auflage 2022, § 620 Rn. 23a).Randnummer60

b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 11.02.2019 (Bl. 27 d.A.) die Kündigungserklärung zurückgewiesen. Wie die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung ausführt, ist in dem Rügeschreiben § 174 BGB auch ausdrücklich genannt. Dennoch hat sie mit ihrem Schreiben die Kündigung nicht „wegen“ der fehlenden Vollmachtsurkunde zurückgewiesen.Randnummer61

Dass die Zurückweisung gerade auf die Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde gestützt wird, kann sich zwar auch im Wege der Auslegung ergeben (vgl. BAG 18.02.1993 – 2 AZR 482/92, Rn. 14; BAG 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, Leitsatz 3; Maier-Reimer/Finkenauer in Erman, BGB, 16. Auflage 2020, § 174 Rn. 10). Dies muss sich aber aus der Begründung oder aus anderen Umständen eindeutig und für den Kündigenden zweifelsfrei erkennbar ergeben (BAG 18.02.1993 – 2 AZR 482/92, Rn. 14; BAG 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, Leitsatz 3). Macht der Arbeitnehmer geltend, dem Unterzeichner der Kündigung fehle die Kündigungsberechtigung, liegt allein hierin keine Zurückweisung nach § 174 BGB wegen Nichtvorlage einer Originalvollmacht (vgl. BAG 19.04.2007 – 2 AZR 180/06, Rn. 38; BAG 18.02.1993 – 2 AZR 482/92, Rn. 15; ErfK-Müller-Glöge, 22. Auflage 2022, § 620 BGB Rn. 26).Randnummer62

Das Schreiben der Klägerin enthält den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Zurückweisung nach § 174 BGB gerade deshalb erfolge, weil die Kündigung lediglich vom Vorsitzenden der Geschäftsführung D… unterschrieben worden sei und nicht vom weiteren Mitglied E…. Auch wird im Schreiben vom 11.02.2019 unter Verweis auf die „Überleitung“ der Klägerin zum Jobcenter die fehlende Unterschrift des Leiters des Jobcenters gerügt. Dies zeigt, dass ausschließlich die Kündigungsberechtigung, nicht jedoch die fehlende Vollmachtsurkunde gerügt werden sollte. Ein fehlender Nachweis wird mit keinem Wort erwähnt. Auch die Tatsache, dass die Zurückweisung durch einen Rechtsanwalt erfolgte, bei dem zu erwarten ist, dass er den Unterschied zwischen § 174 Satz 1 BGB und § 180 Satz 1 BGB kennt, verwehrt den Rückschluss, hier habe nicht – wie ausdrücklich erklärt – nur die (alleinige) Kündigungsbefugnis des Vorsitzenden der Geschäftsführung bestritten (§ 180 Satz 1 BGB), sondern auch die fehlende Vollmachtsvorlage (§ 174 Satz 1 BGB) gerügt werden sollen (so im Ergebnis auch BAG 18.02.1993 – 2 AZR 482/92, Rn. 15).Randnummer63

3. Die Wirksamkeit der angegriffenen ordentlichen Kündigung scheitert auch nicht an ihrer fehlenden sozialen Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG.Randnummer64

a) Vielmehr ist die Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung wegen beharrlicher Verstöße gegen Dokumentationspflichten und daraus folgenden Arbeitszeitbetrugs gerechtfertigt.Randnummer65

aa) Ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, stellt eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB (LAG Niedersachsen 09.06.2008 – 8 TaBV 10/08, Rn 38; KR-Fischermeier, 13. Auflage 2022, § 626 Rn. 461). Dasselbe gilt für den Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren (vgl. BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10, Rn. 16; BAG 24.11.2005 – 2 AZR 39/05, Rn. 18; LAG RP 15.11.2012 – 10 Sa 270/12; LAG Niedersachsen 09.06.2008 – 8 TaBV 10/08, Rn. 39; ErfK-Niemann, 22. Auflage 2022, § 626 Rn.116 mwN; KR-Fischermeier, 13. Auflage 2022, § 626 Rn. 461). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit von am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmern vertrauen können (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10, Rn. 14; ErfK-Niemann, 22. Auflage 2022, § 626 BGB Rn. 116). Auch dann, wenn der Arbeitnehmer wiederholt Pausen erheblich überzieht und seine Arbeitszeit falsch dokumentiert, ist wegen des damit verbundenen Vertrauensverlusts ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB an sich gegeben (HessLAG 24.11.2010 – 8 Sa 491/10, Rn. 48). Ebenso ist die hartnäckige Missachtung der Anweisung, bei Raucherpausen auszustempeln, geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen (KR-Fischermeier, 13. Auflage 2022, § 626 BGB Rn. 461).Randnummer66

Pflichtverletzungen, die an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, sind erst recht geeignet, eine ordentliche Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen (vgl. ErfK-Oetker, 22. Auflage 2022, § 1 KSchG Rn. 204).Randnummer67

bb) Die Klägerin hat unstreitig zu den genannten Zeiten im Januar 2019 Arbeitszeitbuchungen mittels Zeiterfassungskarte entgegen der sie treffenden Pflicht Unterlassen. Durch die unterlassenen Buchungen sind täglich bis zu sieben Raucherpausen als bezahlte Arbeitszeit erfasst worden.Randnummer68

Neben den Daten aus der Arbeitszeiterfassung sind auch die Daten aus dem Buchungssystem am Personaleingang verwertbar. Die Beklagte verweist hierzu auf ein aus § 8 der Dienstvereinbarung vom 11.09.2015 (Bl. 226 d.A.) ergebendes Verwertungsrecht. Ob diese Dienstvereinbarung die Verwertung im konkreten Fall erlaubt, kann allerdings dahinstehen. Denn es kann sich aus einem etwaigen Verstoß gegen personalvertretungsrechtliche Beteiligungsrechte bereits deshalb kein Beweisverwertungsverbot ergeben, weil die Personalratsseite der auf die Datenauswertung gestützten Kündigung ausdrücklich zugestimmt hat. Zuletzt sind die im Raum stehenden Zeiten auch unstreitig.Randnummer69

cc) Das Unterlassen der Buchung ist deshalb rechtserheblich, weil für die Klägerin eine Dokumentationspflicht aus der Dienstvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit im Jobcenter Landkreis B… vom 18.01.2012 (Bl. 164 d.A.) bestand. In § 9 Abs. 3 der Dienstvereinbarung ist niedergelegt, dass die Arbeitszeit bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen ist und dies auch für das Erfassen der Pausen inklusive Raucherpausen gilt.Randnummer70

Die vorgenannte, mit dem Personalrat des Jobcenters B… abgeschlossene Dienstvereinbarung vom 18.01.2012 galt auch für das Arbeitsverhältnis der Klägerin. Die Geschäftsführung des Jobcenters B… war nach § 44d Abs. 4 SGB II und der Personalrat des Jobcenters B… nach § 44h Abs. 3 SGB II iVm § 75 Abs. 3 Nr.1 BPersVG a.F. (Fassung bis 14.06.2021) für den Abschluss dieser die Arbeitszeit regelnden Dienstvereinbarung zuständig.Randnummer71

dd) Es liegt auch ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Dokumentationspflichten vor.Randnummer72

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist in diesem Zusammenhang nicht nur das bloß objektive Bestehen einer Dokumentationspflicht entscheidend. Für die Frage eines bewussten Pflichtenverstoßes und damit für die Frage des Vorsatzes ist auch entscheidend, ob der Klägerin die sie treffende Dokumentationspflicht bekannt war.Randnummer73

Zwar ist eine Kenntnis der Klägerin vom konkreten Inhalt der Dienstvereinbarung nicht belegt. Mit ihrer am 26.02.2018 geleisteten Unterschrift unter die Belehrung zur Erfassung der Arbeitszeit bei Dienstreisen und der Buchung von Pausenzeiten (Bl. 60 d.A.) hat die Klägerin jedoch bestätigt, über die Pflicht zur Buchung von Pausenzeiten belehrt worden zu sein. Dabei kommt es aus Sicht der Kammer nicht entscheidend darauf an, dass die Klägerin an der Dienstberatung am 21.02.2018 unstreitig nicht zugegen war. Denn in dem Belehrungspapier, das die Klägerin mit ihrer Unterschrift bestätigt hat, ist der Belehrungsinhalt wie folgt explizit noch einmal aufgeführt: „Alle Pausenzeiten sind zu buchen (auch der Besuch in der Kantine sowie Raucherpausen)“. Spätestens nach Unterzeichnung des Papiers am 26.02.2018 war die Klägerin daher – auch ohne eine individuelle Belehrung – über die Pflicht zur Buchung von Raucherpausen informiert.Randnummer74

Da die Klägerin Kenntnis von der Pflicht zur Buchung von Raucherpausen hatte, kann dahinstehen, ob sie diese Kenntnis auch im Zusammenhang mit der Dienstvereinbarung vom 23.04.2010 zur Flexibilisierung der Arbeitszeit – abgeschlossen zwischen der Geschäftsführung und dem Personalrat der Agentur für Arbeit C… (Bl. 139-148 d.A.) – hatte. Die Klägerin war am 17.05.2010 ausweislich des Besprechungsprotokolls (Bl. 205 ff. d.A.) in einer Besprechung unter anderem zu dieser Dienstvereinbarung anwesend. Und die Dienstvereinbarung vom 23.04.2010 sieht in Ziffer 8 Abs. 4 (Bl. 145 d.A.) eine mit § 9 Abs. 3 der Dienstvereinbarung vom 18.01.2012 (Jobcenter B…) inhaltsgleiche Regelung auf: Auch nach Ziffer 8 Abs. 4 der Dienstvereinbarung vom 23.04.2010 sind Raucherpausen zu erfassen. Die Klägerin hat behauptet, die Erfassung der Raucherpausen sei in den Besprechungen zur Dienstvereinbarung vom 23.04.2010 nicht gesondert thematisiert worden. Angesichts der oben dargestellten Kenntnis der Klägerin von ihren Dokumentationspflichten jedenfalls ab Februar 2018 muss nicht entschieden werden, ob die Dienstvereinbarung vom 23.04.2010 nach den zuvor zitierten Zuständigkeitsvorschriften der §§ 44g und 44h SGB II auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung fand und die Klägerin daher die Pflicht gehabt hätte, sich über den konkreten Besprechungsinhalt hinaus mit dem Inhalt der Dienstvereinbarung vertraut zu machen.Randnummer75

Dass der Klägerin ihre Pflicht zur Buchung von Pausenzeiten bekannt war, lässt sich letztlich auch aus ihrer Stellungnahme im Rahmen der Anhörung folgern. In ihrer Stellungnahme vom 29.01.2019 (Bl. 20 d.A.) räumt die Klägerin selbst ein, dass ein „nachlässiger Schlendrian“ bei ihr eingerissen sei.Randnummer76

ee) Erfolglos verweist die Klägerin darauf, die Beklagte messe mit zweierlei Maß. Zwar führt die Klägerin an, nur sie habe eine Kündigung erhalten, obwohl sie die Raucherpausen bekanntermaßen stets in einer Gruppe gemacht habe.Randnummer77

Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann im Rahmen der Interessenabwägung trotz der individuellen Ausgestaltung des Kündigungsschutzes dann zu Gunsten eines Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit bei bestimmten Pflichtverletzungen stets und nicht nur wegen der Besonderheiten des Einzelfalls keine kündigungsrechtlichen Konsequenzen gezogen hat oder wenn der Arbeitgeber bei gleichgelagerten Pflichtverletzungen willkürlich einen von mehreren vergleichbar beteiligten Arbeitnehmern herausgreift (dazu KR-Rachor, 13. Auflage 2022, § 1 KSchG Rn. 247).Randnummer78

Aus dem Vortrag der Klägerin ist jedoch schon nicht erkennbar, dass die anderen Mitarbeiter die Raucherpausen nicht erfasst und daher gleichgelagerte und auch nach der Anzahl vergleichbare Pflichtverletzungen begangen hätten. Ohne konkrete Darstellung gleichgelagerter Pflichtverletzungen, die von der Beklagten trotz Kenntnis nicht zur Grundlage kündigungsrechtlicher Konsequenzen gegenüber den übrigen Mitarbeitern gemacht wurden, ist der Kammer eine Berücksichtigung dieses Umstands zugunsten der Klägerin nicht möglich. Darauf, dass hierzu konkreter Vortrag der Klägerin fehlt, hat das Erstgericht bereits unter Ziffer I.2.d)aa)(1) der Entscheidungsgründe (Bl. 285 d.A.) hingewiesen. Gleichwohl hat die Klägerin hierzu keinen ergänzenden Vortrag gehalten.Randnummer79

ff) Zuzustimmen ist dem Erstgericht in seiner Bewertung, dass die Klägerin sich zur Begründung des Nichtbestehens von Dokumentationspflichten nicht auf eine betriebliche Übung in Bezug auf die Gestaltung von Raucherpausen in der Vergangenheit berufen kann. Auf die Ausführungen in Ziffer I.2.d)aa)(2) (Bl. 286) der Entscheidungsgründe im erstinstanzlichen Urteil wird verwiesen. Angriffe hiergegen sind der Berufungsbegründung nicht zu entnehmen.Randnummer80

gg) Auch der erneute Hinweis der Klägerin auf ihre Nikotinsucht verfängt nicht. Die Nikotinsucht kann allenfalls die Anzahl der Raucherpausen erklären. Wegen der Inanspruchnahme der Raucherpausen an sich wird der Klägerin jedoch gar kein Vorwurf gemacht. Der Vorwurf bezieht sich ausschließlich auf die im Rahmen der Durchführung von Raucherpausen verletzten Pflichten zur ordnungsgemäßen Dokumentation der Pausenzeiten. Dass die Klägerin durch ihre Nikotinsucht daran gehindert gewesen wäre, ordnungsgemäß ihre Arbeitszeit zu erfassen, trägt die Klägerin selbst nicht vor.Randnummer81

hh) Wegen der Schwere der Pflichtverletzung stellt sich die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung auch nach der durchzuführenden Interessenabwägung als sozial gerechtfertigt dar. Zwar ist die Klägerin bereits seit über 30 Jahren bei der Beklagten bzw. deren „Vorgängern“ beschäftigt. Zu beachten ist zulasten der Klägerin jedoch, dass ihre Pflichtverletzung unter dem Gesichtspunkt des Arbeitszeitbetrugs strafrechtliche Relevanz hat. Auch nach langjähriger Beschäftigungsdauer kann einem verständigen Arbeitgeber nicht zugemutet werden, durch das vorsätzliche Nichterfassen von Pausenzeiten betrogen zu werden. Durch die Möglichkeit, die Arbeitszeit im Rahmen des flexiblen Arbeitszeitmodells selbst zu erfassen, haben alle Arbeitnehmer und so auch die Klägerin einen Vertrauensvorschuss erhalten. Dieses Vertrauen hat die Klägerin missbraucht. Das wiederholte Nichtbuchen von Raucherpausen und das dadurch bedingte Erschleichen bezahlter Pausen durch die Klägerin stellen einen schwerwiegenden Vertrauensbruch dar, der auch nach langjähriger Beschäftigung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.Randnummer82

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Kündigung auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung hätte erfolglos abmahnen müssen.Randnummer83

aa) Eine Abmahnung ist dann nicht erforderlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, Rn. 16; BAG 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, Rn. 15; LAG RP 15.03.2021 – 3 Sa 397/17, Rn. 490; LAG Hessen 27.02.2012 – 16 Sa 1357/11, Rn. 59). Bei besonders schwerwiegenden Verstößen ist eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich, weil in diesen Fällen regelmäßig davon auszugehen ist, dass das pflichtwidrige Verhalten das für ein Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört hat (BAG 21.06.2001 – 2 AZR 30/00, Rn. 47). Bei bewusst falschen Angaben hinsichtlich der Arbeitszeit oder bei mehrfachen nicht unerheblichen Falschaufzeichnungen bedarf es in der Regel nicht noch einer vergeblichen Abmahnung (so LAG RP 15.11.2012 – 10 Sa 270/12; vgl. KR-Fischermeier/Krumbiegel, 13. Auflage 2022, § 626 Rn. 461).Randnummer84

bb) Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass sie nach erfolgter Anhörung durch die Beklagte ihr Verhalten umgestellt hat. Eine anzustellende Zukunftsprognose könnte daher ergeben, dass bei einer vorherigen Abmahnung weitere Pflichtverletzungen nicht zu erwarten gewesen wären. Allerdings übersieht die Klägerin, dass es bei Pflichtverletzungen wie der vorliegenden auf die Frage einer negativen Zukunftsprognose nicht entscheidend ankommt. Die Abmahnung ist vielmehr – wie dargestellt – auch in solchen Fällen entbehrlich, in denen der Arbeitnehmer schlechterdings nicht davon ausgehen durfte, der Arbeitgeber werde ein entsprechendes Fehlverhalten hinnehmen. Aus Sicht der Kammer liegt ein solcher Fall vor. Die Pflichtverletzung betrifft den Vertrauensbereich. Angesichts der Kenntnis der Klägerin von der sie treffenden Pflicht zur Buchung von Raucherpausen, angesichts der Schwere des Vertrauensbruchs und der auch strafrechtlichen Relevanz ihres Verhaltens konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Beklagte ihr Fehlverhalten hinnehmen und es nicht zum Anlass für eine Kündigung – auch ohne vorherige Abmahnung – nehmen würde.Randnummer85

cc) Erfolglos führt die Klägerin in diesem Zusammenhang die Entscheidung des LAG Hamm vom 17.03.2011 (8 Sa 1854/10) an. Zwar hat das Landesarbeitsgericht im Fall eines unterlassenen Ausbuchens von „Raucherpausen“ eine Abmahnung für erforderlich gehalten. Diese Entscheidung ist aber als Einzelfallentscheidung anzusehen und auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Der der dortigen Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem hiesigen nicht vergleichbar. Während dort 11 Fälle innerhalb von sechs Wochen durch gezieltes Beobachten „gesammelt“ wurden, waren im Fall der Klägerin innerhalb von nur wenigen Tagen mehr als 20 nicht gebuchte Pausen zu verzeichnen – teilweise bis zu 7 Pausen täglich. Die Erheblichkeit des Pflichtenverstoßes und damit der Unrechtsgehalt des Gesamtschadens zeigte sich vorliegend nicht erst nach längerer Zeitdauer. Vielmehr wäre es der Beklagten kaum möglich gewesen, den Schaden durch früheres Eingreifen geringer zu halten.Randnummer86

4. Auch eine fehlerhafte Beteiligung des Personalrats steht der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung nicht entgegen.Randnummer87

a) Zutreffend führt das Erstgericht aus, dass sich das Beteiligungsverfahren aus Anlass der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung nach § 79 Abs. 1 in Verbindung mit § 72 BPersVG in der bis 14.06.2021 geltenden Fassung richtet.Randnummer88

aa) Mit dem Erstgericht geht die erkennende Kammer davon aus, dass der Personalrat der Arbeitsagentur C… rechtzeitig und umfassend über die beabsichtigte Maßnahme unterrichtet wurde. Mit der Sitzungsvorlage vom 31.01.2019 (Bl. 89 d.A.) nebst „Anlage 1 zur Personalratssitzung vom 04.02.2019“ (Bl. 77 ff. d.A.) wurde der Personalrat der Agentur für Arbeit C… über die Gründe für die beabsichtigte außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung unterrichtet. Ausweislich des Vermerks in der rechten Spalte der Tabelle der Sitzungsvorlage erteilte der Personalrat am 04.02.2019 die Zustimmung zur streitgegenständlichen hilfsweisen ordentlichen Kündigung.Randnummer89

bb) Erfolglos rügt die Klägerin, das Erstgericht habe zu Unrecht die rechtzeitig erfolgte Unterrichtung des Personalrats nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen.Randnummer90

(1) Die Wertung des Erstgerichts, dass ein Bestreiten der rechtzeitigen Unterrichtung des Personalrats vor dem Hintergrund des Umstands, dass die Klägerin selbst auf die am 31.01.2019 erfolgte Unterrichtung schriftsätzlich Bezug nimmt, begegnet keinen Bedenken. Zu Unrecht stützt sich die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung auf ihre im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 20.07.2020 (Bl. 319, 320 d.A.) erfolgte Stellungnahme zur Personalratsanhörung. Zwar macht die Klägerin in diesem Schriftsatz Ausführungen zu den aus ihrer Sicht undurchsichtigen zeitlichen Abläufen der Beteiligung der Personalratsseite sowie der Gleichstellungsbeauftragten. Eingangs ihrer Stellungnahme tätigt die Klägerin jedoch die nachfolgende Aussage: „Am 31. 01.2019 wurde der Personalrat für seine Sitzung vom 06.02.2019 (Agentur für Arbeit C…!) unterrichtet“. Dies kann nur so verstanden werden, dass der Umstand der am 31.01.2019 erfolgten Unterrichtung des Personalrats der Agentur für Arbeit C… unstreitig gestellt wird.Randnummer91

(2) Angriffe der Klägerin wegen des aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbaren zeitlichen Ablaufs der Beteiligung der Personalratsseite und der Gleichstellungsbeauftragten können von der erkennenden Kammer nicht nachvollzogen werden.Randnummer92

Aus Sicht der Kammer stellen sich die Beteiligungsvorgänge nach Akteninhalt eindeutig wie folgt dar:Randnummer93

– Personalrat der Agentur für Arbeit C…: Sitzungsvorlage vom 31.01.2019 zur Sitzung am 04.02.2019 – Zustimmungserteilung am 04.02.2019 (Bl. 77 u. 89 d.A.)Randnummer94

– Personalrat des Jobcenters: Sitzungsvorlage vom 01.02.2019 zur Sitzung am 06.02.2019 – Zustimmungserteilung am 14.02.2019 (Bl. 91 d.A.)Randnummer95

– Gleichstellungsbeauftragte der Agentur für Arbeit C…: undatierte Sitzungsvorlage zur Sitzung am 04.02.2019 – „keine Einwände“ zu den mit „nein“ gekennzeichneten Maßnahmen (Bl. 80 u. 90 d.A.)Randnummer96

(3) Auch vor dem Hintergrund der erfolgten Zustimmung des Personalrats und der inhaltlichen Auseinandersetzung der Klägerin mit den von der Beklagten gegenüber dem Personalrat mitgeteilten Gründen hätte es nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast konkretere Ausführungen der Klägerin dazu bedurft, welche Informationen genau dem Personalrat aus ihrer Sicht nicht rechtzeitig vorgelegen haben sollen.Randnummer97

Zwar kann die fehlende oder fehlerhafte Unterrichtung des Betriebsrats (bzw. der Personalvertretung) grundsätzlich nicht dadurch geheilt werden, dass der Betriebsrat (bzw. die Personalvertretung) vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung erteilt (vgl. KR-Rinck, 13. Auflage 2022, § 102 BetrVG Rn. 154). Es gilt jedoch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Hat der Arbeitgeber eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats (bzw. der Personalvertretung) im Detail schlüssig dargelegt, muss der Arbeitnehmer deutlich machen, welche Angaben er aus welchem Grund weiterhin Bestreiten will (BAG 18.05.2006 – 2 AZR 245/05, Rn. 50; KR-Rinck, 13. Auflage 2022, § 102 BetrVG Rn. 253). Soweit es um Tatsachen außerhalb seiner eigenen Wahrnehmung geht, kann der Arbeitnehmer sich dabei gemäß § 138 Abs. 4 ZPO auf Nichtwissen berufen; ein pauschales Bestreiten des Arbeitnehmers ohne jede Begründung genügt dagegen nicht (BAG 16.03.2000 – 2 AZR 75/99, Leitsatz).Randnummer98

Vorliegend hat die Beklagte zum Beleg der erfolgten Unterrichtung die vom Personalrat am 04.02.2019 zustimmend gezeichnete Sitzungsvorlage (Bl. 89 d.A.) zur Akte gereicht. In der dortigen Tabelle ist bei den Erläuterungen der Hinweis enthalten, dass die Begründung für die beabsichtigte ordentliche Kündigung der Anlage entnommen werden kann. Als Zusatzunterlagen werden ferner die Anlagen 1 – 5 genannt. Dies deckt sich mit der zur Akte gereichten Anlage 1 zur Personalratssitzung vom 04.02.2019 (Bl. 77 d.A.), an deren Ende auf die Anlagen 2, 3, 4 und 5 Bezug genommen wird (Bl. 83-87 d.A.). Vor dem Hintergrund dieser schlüssigen Darlegungen wäre es an der Klägerin gewesen, nicht nur inhaltliche Unrichtigkeiten und die zeitlichen Abläufe der Unterrichtung des Personalrats zu rügen, sondern konkret darzustellen, aus welchem Grund sie weiterhin von einer nicht rechtzeitig erfolgten Unterrichtung des Personalrats ausgeht. Der bloße Hinweis darauf, dass die gezeichnete Sitzungsvorlage vom 31.01.2019 (Bl. 89 d.A.) den Aufdruck „Entwurf“ trägt, reicht nicht. Konkretere Ausführungen der Klägerin wären auch deshalb zu erwarten gewesen, weil der Personalrat gerade auf dem auf konkrete Anlagen Bezug nehmenden Papier seine Zustimmung erteilt hat. Es erscheint höchst unwahrscheinlich, dass ein Personalrat auf einem Formular, das auf Anlagen zur Begründung der beabsichtigten Personalmaßnahme explizit Bezug nimmt, zu eben dieser Personalmaßnahme seine Zustimmung erteilt, ohne diese Anlagen bei seiner Beschlussfassung vorliegen gehabt zu haben. Jedenfalls wäre es bei einem solchen als unwahrscheinlich anzusehenden Geschehensablauf Aufgabe der Klägerin gewesen, konkrete Anhaltspunkte dafür vorzubringen, warum gleichwohl von diesem sehr unwahrscheinlichen Fall ausgegangen werden muss. Solche Anhaltspunkte hat die Klägerin jedoch nicht dargetan.Randnummer99

cc) Die Kammer hält etwaige unvollständige bzw. fehlerhafte Angaben zu den Sozialdaten der Klägerin in der Personalratsanhörung für unschädlich.Randnummer100

(1) Zwar führt die fehlerhafte Unterrichtung des Personalrats nach § 79 Abs. 4 BPersVG in der bis 14.06.2021 geltenden Fassung zur Unwirksamkeit der Kündigung. Für die Anhörung des Personalrats gelten dabei dieselben Grundsätze wie für die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Eine Kündigung ist danach nicht erst unwirksam, wenn eine Unterrichtung ganz unterblieben ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachgekommen ist (vgl. BAG 26.09.2002 – 2 AZR 424/01, Rn. 44; BAG 21.06.2001 – 2 AZR 30/00, Rn. 28). Allerdings führt nicht jede Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit in der Unterrichtung zur Unwirksamkeit der Kündigung. Nach dem Grundsatz der „subjektiven Determinierung“ muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört dabei die Unterrichtung über Tatsachen, die dem Arbeitgeber bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind. Bei der verhaltensbedingten Kündigung kann auf die Mitteilung persönlicher Umstände nicht ganz verzichtet werden. Zwar handelt es sich bei den „Sozialdaten“ um Umstände, die nicht das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers selbst betreffen. Nach Sinn und Zweck der Anhörung darf der Arbeitgeber dem Betriebsrat aber keine persönlichen Umstände des Arbeitnehmers vorenthalten, die sich bei objektiver Betrachtung entscheidend zu seinen Gunsten auswirken und deshalb für die Stellungnahme des Betriebsrats bedeutsam sein können (BAG 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, Rn. 14; BAG 21.06.2001 – 2 AZR 30/00, Rn. 34). Zwar sind danach die Sozialdaten auch bei verhaltensbedingten Kündigungen regelmäßig mitzuteilen, weil die Sozialdaten im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG von Bedeutung sind (BAG 26.09.2002 – 2 AZR 424/01, Rn. 47; BAG 21.06.2001 – 2 AZR 30/00, Rn. 34; ErfK-Kania, 22. Auflage 2022, § 102 BetrVG Rn. 5). Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung aber dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen (BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, Rn. 45; BAG 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, Rn. 14, 15; BAG 21.06.2001 – 2 AZR 30/00, Rn. 34).Randnummer101

(2) Nach Auffassung der erkennenden Kammer sind gemessen an diesen Grundsätzen die fehlerhaften Angaben zu den Sozialdaten der Klägerin als unschädlich anzusehen:Randnummer102

(aa) Dies gilt zunächst für den mitgeteilten Familienstand „verheiratet“, obwohl die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nach ihren unbestritten gebliebenen Angaben bereits geschieden war.Randnummer103

Auf den Familienstand der Klägerin kam es angesichts der Schwere des Kündigungsvorwurfs nicht entscheidend an. Zudem belegt der Familienstand „geschieden“ nicht zwingend eine erhöhte Schutzbedürftigkeit. Der Blickwinkel der Klägerin, wonach der Status „verheiratet“ durch das Bestehen von eigenen Unterhaltsansprüchen gegen den Ehegatten eine soziale Absicherung suggeriert, ist nicht zwingend. Vielmehr bedeutet der Familienstand „verheiratet“ gleichzeitig, selbst dem Ehegatten gegenüber unterhaltsverpflichtet zu sein. Diese aus dem Familienstand resultierenden Unterhaltsverpflichtungen und nicht der Familienstand selbst sind auch der Grund, warum der Familienstand im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG zugunsten eines Arbeitnehmers Berücksichtigung findet (s. dazu ErfK-Oetker, 22. Auflage 2022, § 1 KSchG Rn. 333). Der Status „verheiratet“ hat dem Personalrat daher eine größere soziale Schutzbedürftigkeit der Klägerin suggeriert als dies tatsächlich der Fall ist. Schon aus diesem Grund ist nicht anzunehmen, dass die richtige Angabe des Familienstands „geschieden“ die Bewertung des Personalrats zugunsten der Klägerin hätte beeinflussen können.Randnummer104

(bb) Auch fehlende Angaben zu etwaigen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Kindern der Klägerin sind unschädlich. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die von der Klägerin erstinstanzlich angeführte Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrer erwachsenen Tochter der Beklagten bekannt war. Der in der Unterrichtung enthaltene Hinweis darauf, dass die Klägerin zwei erwachsene Kinder hat, wird den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung der Personalvertretung daher gerecht.Randnummer105

(cc) Zuletzt führt auch die fehlerhafte Angabe zur Betriebszugehörigkeit der Klägerin nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.Randnummer106

Zu Recht verweist die Klägerin allerdings darauf, dass sie nicht erst seit dem 14.05.1990 betriebszugehörig ist – wie im Unterrichtungsschreiben angegeben -, sondern sich ihre Betriebszugehörigkeit wegen des Überleitungsvertrags bereits ab 01.02.1986 errechnet. Der Klägerin ist auch zuzugeben, dass die Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Interessenabwägung zur Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich von Relevanz ist.Randnummer107

Wie ausgeführt wird von der Rechtsprechung jedoch dann eine Ausnahme gemacht, wenn dem Betriebsrat bzw. der Personalvertretung die ungefähren Daten bekannt sind und es dem Arbeitgeber auf diesen Umstand nicht entscheidend ankommt. Nichts anderes kann aus Sicht der Kammer dann gelten, wenn die Abweichung zwischen der richtigen und der fehlerhaft mitgeteilten Betriebszugehörigkeit für die Ermittlung der Schutzbedürftigkeit des zu kündigenden Arbeitnehmers nicht entscheidend ins Gewicht fällt. Entgegen der Darstellung der Klägerin in der Berufungsbegründung geht es vorliegend nicht um den Vergleich zwischen einem neu eingestellten Mitarbeiter, der nach 7 Monaten Beschäftigungsdauer Raucherpausen einlegt, und einem mehr als 30 Jahre Beschäftigten. Der Vergleich ist vielmehr zwischen der mitgeteilten Beschäftigungsdauer von rund 30 Jahren und der tatsächlichen Beschäftigungsdauer von rund 34 Jahren anzustellen.Randnummer108

Aus Sicht der Kammer bedeutet eine 34 Jahre dauernde Betriebszugehörigkeit gegenüber einer solchen von nur 30 Jahren bereits deshalb keine erhöhte Schutzbedürftigkeit, weil der Gesetzgeber selbst bei einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren keine weitere Abstufung in der Schutzbedürftigkeit vornimmt. Dies zeigt sich etwa bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen. In § 622 Abs. 2 BGB ist eine Staffelung der arbeitgeberseitigen Kündigungsfristen je nach Bestand des Arbeitsverhältnisses geregelt. Die einzuhaltenden Kündigungsfristen steigen kontinuierlich an. Die gesetzliche Maximalkündigungsfrist gilt für Arbeitsverhältnisse, die mindestens 20 Jahre bestanden haben. Eine weitere Verlängerung der Kündigungsfristen innerhalb der länger als 20 Jahre andauernden Arbeitsverhältnisse sieht der Gesetzgeber nicht vor. Auch bei den Höchstbeträgen für die Bemessung einer gerichtsseitig zuzusprechen Abfindung sieht der Gesetzgeber in § 10 Abs. 2 KSchG eine Staffelung je nach Bestand des Arbeitsverhältnisses vor. Der Höchstbetrag ist bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses von mindestens 20 Jahren vorgesehen. Jenseits der Grenze von 20 Jahren wird nicht mehr weiter unterschieden. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber ab einem Bestand des Arbeitsverhältnisses von 20 Jahren keinen entscheidenden weiteren Zuwachs an Schutzbedürftigkeit mehr vorsieht. Dann kann es auch im Rahmen der Interessenabwägung für die Prüfung der Sozialwidrigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung nicht entscheidend darauf ankommen, ob ein in diese höchste Stufe der Schutzbedürftigkeit hineinfallendes Arbeitsverhältnis von mehr als 20 Jahren 30 oder 34 Jahre bestanden hat.Randnummer109

Dafür, dass die um vier Jahre längere Betriebszugehörigkeit auch aus Sicht des Personalrats nicht entscheidend zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen war, spricht auch die im Vergleich zur Gesamtdauer nur geringfügige Abweichung. Die Abweichung beträgt nur etwas mehr als 10 % im Vergleich zur Gesamtdauer. Es wäre daher nicht abwegig, bei einer solch geringfügigen Abweichung von einer „Kenntnis der ungefähren Daten“ auf Seiten des Personalrats im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung zu sprechen.Randnummer110

dd) Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt die Unwirksamkeit der Kündigung auch nicht daraus, dass dem Personalrat unzutreffenderweise mitgeteilt worden wäre, die Kündigung erfolge, weil die Klägerin während der im Raum stehenden Pausen einkaufen gewesen wäre.Randnummer111

Zwar hat die Beklagte tatsächlich erstinstanzlich ausgeführt, Anfang 2019 sei aufgefallen, dass die Klägerin regelmäßig mit Jacke die Dienststelle verlassen habe und teilweise mit vollen Einkaufstaschen zurückgekehrt sei. Eine Kontrolle habe ergeben, dass keinerlei Buchungen zu Raucherpausen oder Einkaufspausen vorlagen (Seite 4 des Schriftsatzes vom 28. Mai 2019, Bl. 136 d.A.). Zu Recht verweist die Beklagte jedoch darauf, dass es für die rechtliche Bewertung der nicht gebuchten Pausen nicht entscheidend darauf ankommt, wie die Klägerin diese Pausen verbracht hat. Zudem ist nicht ersichtlich, dass dem Personalrat gerade dieser Umstand – das Einkaufen der Klägerin während der Pausenzeiten – als Grund für die Kündigung mitgeteilt worden wäre. Die zur Akte gereichte Unterrichtung des Personalrats (Bl. 77-79 d.A.) enthält hierzu jedenfalls keine Angaben.Randnummer112

b) Ausschließlich der Personalrat der Agentur für Arbeit C… war vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen. Darauf, dass der Personalrat des Jobcenters B… erst nach Ausspruch der Kündigung die Zustimmung erteilt hat, kommt es daher nicht an.Randnummer113

aa) Nach § 44h Abs. 3 SGB II stehen dem Personalrat des Jobcenters alle Rechte entsprechend den Regelungen des Bundes Personalvertretungsgesetzes zu, soweit die Geschäftsführung des Jobcenters Entscheidungsbefugnisse in personalrechtlichen Angelegenheiten hat. Nach § 44h Abs. 5 SGB II bleiben die Rechte der Personalvertretungen der abgebenden Dienstherren und Arbeitgeber unberührt, soweit die Entscheidungsbefugnisse bei den Trägern verbleiben. Nach § 44d Abs. 4 SGB II übt die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst-, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse sowie die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion aus mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung stehen der Geschäftsführerin oder dem Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung nicht die Befugnisse zur Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu. Diese Befugnisse verbleiben bei den jeweiligen Trägern, die weiterhin Dienstherren oder Arbeitgeber sind (vgl. BAG 15.10.2014 – 7 ABR 71/12, Rn. 32).Randnummer114

bb) Der Wortlaut und die systematische Gesamtschau der Regelungen zur personalvertretungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung bei der Zuweisung von Beamten und Angestellten an gemeinsame Einrichtungen zeigt, dass vorliegend nicht etwa beide Personalräte – der des Jobcenters und der der Arbeitsagentur – vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung zu beteiligen waren. Vielmehr ist die personalvertretungsrechtliche Zuständigkeit stets spiegelbildlich zu den Befugnissen des „Gegenübers“ zu lesen. Ist – wie hier – ausschließlich die Arbeitsagentur für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen der an das Jobcenter zugewiesenen Arbeitnehmer zuständig, ist auch nur die Personalvertretung dieser Einheit zur Ausübung der Beteiligungsrechte berufen.Randnummer115

Dies lässt sich dem Wort „soweit“ in den Absätzen 3 und 5 des § 44h SGB II entnehmen. Die Zuständigkeit der Personalvertretung ergibt sich nur, „soweit“ es korrespondierende Entscheidungsbefugnisse der jeweiligen Leitung gibt. Die Systematik der §§ 44d Abs. 4, 44h Abs. 3 und Abs. 5 SGB II führt so zu einer gespaltenen Zuständigkeit nicht nur in Bezug auf die arbeits- und dienstrechtlichen Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse auf Arbeitgeberseite, sondern auch in Bezug auf die damit korrespondierenden Zuständigkeiten der Personalvertretung (s. dazu Vogelsang ZTR 2015, 679, Ziffer 3).Randnummer116

cc) Dieses Ergebnis reiht sich ein in die vorgefundene Rechtsprechung zur Gewährleistung von Personalvertretungsrechten bei Spaltung der Arbeitgeberstellung. So hat das Bundesarbeitsgericht für den Fall einer Zuweisung von einem öffentlichen Arbeitgeber an eine privatrechtlich organisierte Arbeitsgemeinschaft gemäß § 44b SGB II aF entschieden, dass die Spaltung der Arbeitgeberstellung nicht zu einem Verlust des durch das Betriebsverfassungsgesetz und das Personalvertretungsgesetz gewährleisteten Schutzes führen darf. Vielmehr – so das BAG – hängt die Zuständigkeit des Personalrats oder des Betriebsrats für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten bezüglich der von einem öffentlichen Arbeitgeber an eine privatrechtlich organisierte Arbeitsgemeinschaft überlassenen Arbeitnehmer vom Gegenstand des Mitbestimmungsrechts und der darauf bezogenen Entscheidungsmacht ab. Verbleiben bei dem öffentlichen Arbeitgeber die den Bestand und den Inhalt des Arbeitsverhältnisses betreffenden materiellen Entscheidungsbefugnisse, hat dies zur Folge, dass der öffentliche Arbeitgeber (nur) den bei ihm errichteten Personalrat bei der Ausübung solcher Befugnisse zu beteiligen hat. Nur wenn materielle Arbeitgeberfunktionen von der privatrechtlich organisierten Arbeitsgemeinschaft wahrgenommen werden, ist der dort gebildete Betriebsrat zuständig (BAG 09.06.2011 – 6 AZR 132/10, Rn. 28).Randnummer117

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.Randnummer118

IV. Die Zulassung der Revision war wegen der sich stellenden grundsätzlichen Fragen im Zusammenhang mit der rechtlichen Erheblichkeit fehlerhafter Angaben bei der Unterrichtung des Personalrats vor Ausspruch einer Kündigung sowie zur Zuständigkeit der Personalvertretung nach § 44h Abs. 3 und Abs. 5 SGB II gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG angezeigt.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbHRecht I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

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LG Ingolstadt, Urteil vom 26.04.2022 – 1 HK O 1505/21

Dienstag, 26. April 2022

§ 256 ZPO

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.200,00 € vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Nichtigkeit von Beschlüssen der A. S. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
(im Folgenden: KG) zur Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
Feststellung des Jahresabschlusses
zum 31.12.2019, der Ergebnisverwendung, der Entlastung der Geschäftsführung sowie der Wahl des Wirtschaftsprüfers für das Geschäftsjahr 2020.Randnummer2

Die Parteien sind Geschwister und Kommanditisten der KG und Gesellschafter der Komplementär GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist. Die Kommanditbeteiligung der Klägerin und der Beklagten zu 1) betrug 25 %, die des Beklagten zu 2) 50 %. Die Parteien sind zu denselben Verhältnissen auch an der Komplementär-GmbH beteiligt. Die Komplementär GmbH ist am Kapital der KG nicht beteiligt.Randnummer3

Die Verhältnisse der KG werden durch den als Anlage K 2 vorgelegten Gesellschaftsvertrag der A. S. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
vom 10.01.1994 samt Nachtrag vom 30.01.1994 in der Fassung des Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 26.10.2005 (Anlage K 3) bestimmt.Randnummer4

Der Gesellschaftsvertrag enthält auszugsweise nachfolgende Bestimmungen:Randnummer5

§ 7 Gesellschafterversammlung, Gesellschafterbeschlüsse
Randnummer6

(6) Die Gesellschafterversammlung beschließt mit dem nach diesem Gesellschaftsvertrag versehenen Mehrheiten über die ihr zwingend durch Gesetz und nachfolgend oder an anderer Stelle des Gesellschaftsvertrags zugewiesenen Handlungen:
Randnummer7

b) Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
Feststellung des Jahresabschlusses
(§ 10)
Randnummer8

c) Gewinnverwendung § 9),
Randnummer9

h) Wahl des Abschlussprüfers,
Randnummer10

l) Entlastung der Geschäftsführung,
Randnummer11

(7) Je volle 100,00 Mark der Hafteinlage (§ 3 Abs. 2) gewährten eine Stimme. Gesellschafter sind auch in eigenen Angelegenheiten stimmberechtigt, soweit nicht das Gesetz (§ 47 Abs. 4 GmbHG gilt entsprechend) zwingend oder dieser Vertrag ausdrücklich etwas anderes bestimmen.Randnummer12

Die Komplementärin hat keine Stimme.Randnummer13

Die Kommanditisten üben ihre Rechte gemäß § 164 HGB ggf. durch Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung aus.Randnummer14

(8) Die Gesellschafterversammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens zwei Drittel der an der Gesellschaft beteiligten Stimmen anwesend sind. …Randnummer15

§ 8 Abstimmungsmehrheit in der GesellschafterversammlungRandnummer16

(1) Soweit der Gesellschaftsvertrag nicht ausdrücklich etwas anderes vorschreibt, werden Beschlüsse der Gesellschafter stets mit einer Mehrheit von 51 vom Hundert (in Worten: einundfünfzig) der abgegebenen Stimmen gefasst.
…Randnummer17

Hinsichtlich der sonstigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags wird auf die Anlagen K 2 und K 3 Bezug genommen.Randnummer18

Auf einer am 03.02.2021 in den Geschäftsräumen der A. S. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
durchgeführten Gesellschafterversammlung wurden mit den Stimmen der Beklagten gegen die Stimme der Klägerin Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 2 – 4 getroffen, wonach der Jahresabschluss zum 31.12.2019 mit einer Bilanzsumme von 12.165.976,41 € und einem Jahresüberschuss in Höhe von 1.961.272,00 € festgestellt wurde (TOP 2), der Gewinn in Höhe von 1.721.272,00 € mit einem Betrag von 1.500.000,00 € in die Kapitalrücklage II. in Höhe von 221.272,00 € zu Gunsten der Verrechnungskonten eingestellt wurde (TOP 3 Ergebnisverwendung) und der Geschäftsführung Entlastung erteilt wurde (TOP 4).Randnummer19

Zu TOP 5 Wahl des Abschlussprüfers kam bei Stimmengleichheit von Ja- und Neinstimmen zu Gunsten des Vorschlags des Geschäftsführers ein Beschluss nicht zustande.Randnummer20

Die zu Protokoll der Gesellschafterversammlung aufgenommenen Widersprüche der Klägerin gegen die zu TOP 2 – 4 gefassten Beschlüsse wurde im schriftlichen Umlaufverfahren mit Zustimmung aller Parteien mit den Stimmen der Beklagten gegen die Stimme der Klägerin zurückgewiesen. Auf das als Anlage K 10 vorgelegte außergerichtliche Schreiben der Komplementärin vom 05.05.2021, unterzeichnet durch den Beklagten zu 2), wird Bezug genommen.Randnummer21

In dem vorgenannten Schreiben findet sich unter Punkt 4 Beschlussantrag nachfolgender Text:Randnummer22

Der Widerspruch der Gesellschafterin … gegen den Beschluss der Gesellschafterversammlung der A. S. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
vom 03.02.2021 bzw. des im Nachgang im schriftlichen Verfahren gefassten Beschlusses (Schreiben vom 13.04.2021) zu TOP 5 (Wahl des Abschlussprüfers) wird zurückgewiesen:
Randnummer23

Ja-Stimmen: 75 %Randnummer24

Nein-Stimmen: 25 %Randnummer25

Der Jahresabschluss zum 31.12.2019 erhält in seinem Erläuterungsbericht (Anlage 8 des Jahresabschlusses der vorgelegten Anlage der Beklagtenseite) auf Seite 10 eine Darstellung der Kapitalanteile der Kommanditisten, derzufolge sich deren Kapitalanteile jeweils aus einem variablen Kapital und einem Festkapital zusammensetzen. Der Klägerin wird ein Festkapital von 127.822,97 € und ein variables Kapital von 800.000,00 €, insgesamt 927.822,97 €, zum 31.12.2018 zugewiesen.Randnummer26

In dem durch Gesellschafterbeschluss festgestellten Jahresabschluss zum 31.12.2018 bestehen die Kapitalanteile der Kommanditisten lediglich aus einem als „Kapital 1“ bezeichneten Anteil, der für die Klägerin einen Betrag von 127.822,97 € umfasst. Demgegenüber werden in derselben Anlage im Jahresabschluss zum 31.12.2019 unter C 3. auf Seite 14 Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern zum 31.12.2018 auf einem Verrechnungskonto der Klägerin mit einem Betrag von 242.131,29 € dargestellt.Randnummer27

Der entsprechende Eintrag in dem gebilligten Jahresabschlussstand 31.12.2018 macht für die Klägerin einen Betrag von 1.042.131,29 € aus. Die vorgenannten Darstellungen in den jeweiligen Jahresabschlüssen wurden mit der Klägerin nicht abgesprochen.Randnummer28

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Darstellung im Jahresabschluss zum 31.12.2019 unzutreffend sei. Die Umbuchung eines Betrags von 800.000,00 € von dem zu ihrer freien Verfügung stehenden Freistellungskonto auf das Kapitalkonto II, von dem Entnahmen nur mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter durchgeführt werden könnten, seien ohne Zustimmung der Klägerin und ohne Beschluss der Gesellschafter erfolgt. Ein sachgerechter Grund für die Vorgehensweise der Geschäftsführung sei nicht ersichtlich. Die Umbuchung sei allein mit dem Zweck erfolgt, der Klägerin die von ihr gewollte Auszahlung von ihrem Privatkonto zu verhindern. Mit der Umbuchung bestehe kein Einverständnis.Randnummer29

Der Feststellungsbeschluss führe im Falle seiner Wirksamkeit dazu, dass die darin festgestellten Verhältnisse perpetuiert werden und die Klägerin ihr Forderungsrecht gegen die Gesellschaft hinsichtlich der ihr zustehenden Forderungen auf dem Verrechnungskonto formal verlieren würde. Nach Auffassung der Klägerin ist auch ein Verstoß gegen die Bilanzkontinuität gegeben, da die Feststellungen zum 31.12.2018 im festgestellten Jahresabschluss zu diesem Zeitpunkt den nunmehrigen Feststellungen zum selben Zeitpunkt im Jahresabschlussstand 31.12.2019 entgegenstehen würden.Randnummer30

Der Beschluss sei auch deswegen nichtig, weil ihm kein Prüfungsbericht zugrunde liege. Dieser habe im Zeitpunkt der Beschlussfassung lediglich im Entwurfsstadium vorgelegen.Randnummer31

Die Unwirksamkeit der Feststellungen des Jahresabschlusses führe auch zur Unwirksamkeit der Ergebnisverwendung.Randnummer32

Mit der rechtsgrundlosen Umbuchung habe die Geschäftsführung gegen ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung verstoßen, weswegen ihr keine Entlastung erteilt werden könne. Der Beschluss zur Wahl des Abschlussprüfers für das Jahr 2020 könne keinen Bestand haben, da der Abschlussprüfer im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses 2019 die Vorgehensweise nicht beanstandet habe.Randnummer33

Mit der von ihr mit Schriftsatz vom 05.06.2021 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin die nachfolgenden Anträge:Randnummer34

I. Es wird festgestellt, dass die folgenden, in der Gesellschafterversammlung vom 03.02.2021 der A. S. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts … unter HRA … gefassten Beschlüsse nichtig sind:
Randnummer35

TOP 2 Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
Feststellung des Jahresabschlusses
zum 31.12.2019 mit einer Bilanzsumme von EUR 12.165.976,41 und einem Jahresüberschuss in Höhe von EUR 1.961.272;
Randnummer36

TOP 3 ErgebnisverwendungRandnummer37

Einstellung des Gewinns in Höhe von EUR 1.721.272,00 mit einem Betrag von EUR 1.500.000,00 in die Kapitalrücklage II und in Höhe von EUR 221.272,00 zugunsten der VerrechnungskontenRandnummer38

TOP 4 Entlastung der Geschäftsführung;Randnummer39

TOP 5 Wahl des Wirtschaftsprüfers … zum Abschlussprüfer für das Geschäftsjahr 2020.Randnummer40

II. Es wird festgestellt, dass der im Umlaufverfahren gefasste, mit Schreiben vom 05.05.2021 festgestellte Beschluss der Gesellschafterversammlung der A. S. GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts … unter HRA … – Wahl des Wirtschaftsprüfers … – nichtig ist.
Randnummer41

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.Randnummer42

Die Beklagte zu 1) vertritt die Auffassung, dass die von der Klägerin beanstandeten Beschlüsse korrekt gefasst worden seien. Sie entsprechen den Regularien des Gesellschaftsvertrags. Auch die Bestellung des Wirtschaftsprüfers … sei nicht zu beanstanden. Dies gelte selbst dann, wenn der klägerseitige Sachvortrag zutreffend sei.Randnummer43

Der Beklagte zu 2) trägt vor, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung ein fertiggestellter und unterzeichneter Prüfbericht vorgelegen habe.Randnummer44

Der Beklagte zu 2) wendet sich bereits gegen die Zulässigkeit der Klage. Er vertritt die Auffassung, dass die Beschlussanfechtungsklage gegen sämtliche Mitgesellschafter, und damit auch gegen die Komplementärin hätte erfolgen müssen, da eine lediglich im Verhältnis zwischen den Prozessparteien getroffene Entscheidung der Komplementärin gegenüber keine Wirkung entfalten würde. Im Hinblick auf die im Gesellschaftsvertrag enthaltenen Fristen zur Anfechtung von Beschlüssen sei eine Klageerhebung gegen die Komplementärin nicht mehr möglich.Randnummer45

Inhaltlich seien die gefassten Beschlüsse nicht zu beanstanden. Es handele sich lediglich um die Berichtigung einer bis dahin entgegen den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags geführten Kontenbezeichnung. Die Gesellschafter, und damit die Klägerin zu 1), seien aufgrund ihrer Treueverpflichtung verpflichtet gewesen, an der Bildung der notwendigen Rücklagen für das Unternehmen mitzuwirken. Entgegen der Auffassung der Klägerseite könne das als solche bezeichnete Verrechnungskonto nicht mit dem frei verfügbaren Kapitalkonto III gleichgesetzt werden.Randnummer46

Der nicht zu beanstandende Inhalt des Jahresabschlusses führe zur Wirksamkeit des hierüber gefassten Beschlusses ebenso wie auch der Verwendung und der Entlastung der Geschäftsführung.Randnummer47

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.Randnummer48

Das Gericht hat mündlich zur Sache verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.02.2022 (Bl. 102/105 d. A.) wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die von der Klägerseite erhobene Feststellungsklage erweist sich im vorliegenden Fall mangels Feststellungsinteresses der Klägerin nach § 256 Abs. 1 ZPO als unzulässig.Randnummer50

Die Klägerin hat die von ihr genannten, auf der Gesellschafterversammlung am 03.02.2021 gefassten Beschlüsse statthafterweise mit der von ihr erhobenen Feststellungsklage angegriffen. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung sind mangels entsprechender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarungen die für das Kapitalgesellschaftsrecht geltenden Grundsätze über die Geltendmachung von Beschlussmängeln im Personengesellschaftsrecht nicht anwendbar, sodass der Streit im Wege der Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO auszutragen ist, wobei Beschlüsse der Gesellschafter regelmäßig Rechtsverhältnisse i. S. d. § 256 Abs. 1 ZPO darstellen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 04.02.2013 – 8 U 21/12 Rz. 44 m.w.N. – juris).Randnummer51

Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist auch nicht verfristet. Im Personengesellschaftsrecht gibt es für die Geltendmachung von Beschlussmängeln – anders als im Recht der Kapitalgesellschaften – keine gesetzlichen oder am Leitbild des § 246 Abs. 1 AktG orientierten Klagefristen. Die demgegenüber mögliche Berufung darauf, die Geltendmachung eines Beschlussmangels sei nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt oder infolge materieller Ausschlussfristen für die Klageerhebung im Gesellschaftsvertrag nicht (mehr) möglich, stellen Fragen der Begründetheit des Anspruchs dar und sind im Rahmen der Zulässigkeit nicht zu klären (vgl. BGH, Urteil vom 07.06.1999 – II ZR 278/98 Rz. 4 – juris).Randnummer52

Entgegen der von der von der Klägerseite vertretenen Rechtsauffassung ist im vorliegenden Fall allerdings das für die Erhebung der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse nicht gegeben.Randnummer53

Zwar hat nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Gesellschafter einer Personengesellschaft grundsätzlich ein Feststellungsinteresse i. S. v. § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Unwirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses. Der Gesellschafterbeschluss stellt nämlich selbst ein Rechtsverhältnis i. S. d. § 256 Abs. 1 ZPO dar, über welches Rechtsunsicherheit und hieraus folgend Erklärungsbedarf besteht, sobald seine Wirksamkeit streitig ist (vgl. BGH Urteil vom 07.02.2012 – II ZR 230/09 Rz. 24 m.w.N. – Juris).Randnummer54

Nach Auffassung des Gerichts entfällt das grundsätzlich anzunehmende Feststellungsinteresse auf Klägerseite im vorliegenden Fall allerdings aufgrund der Tatsache, dass die Klägerseite die von ihr erhobene Feststellungsklage lediglich gegen die beiden Kommanditisten erhoben hat und die Komplementär-GmbH in das streitgegenständliche Verfahren nicht mit einbezogen hat.Randnummer55

Im Ausgangspunkt zutreffend hat sich die Klägerseite – zwischen den Parteien unstrittig – nicht gegen die KG, sondern gegen deren Gesellschafter gewandt. Die Gesellschafter haben im vorliegenden Fall mit dem Gesellschaftsvertrag der KG nicht das kapitalgesellschaftsrechtliche Beschlussmängelsystem analog §§ 246, 249 AktG einschließlich der Vereinbarung der Passivlegitimation der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Passivlegitimation
Passivlegitimation der Gesellschaft
übernommen.Randnummer56

Die Klägerseite hat allerdings unberücksichtigt gelassen, dass zwischen den die Wirksamkeit eines angefochtenen Beschlusses behauptenden Gesellschaftern keine notwendige Streitgenossenschaft besteht und sich die Rechtskraft des im Feststellungsprozess ergehenden Urteils nicht auf Dritte, insbesondere auf an dem Rechtsstreit nicht beteiligte Gesellschafter erstreckt. Die Klägerin hätte also, um eine ihr Feststellungsinteresse tragende endgültige Klärung der strittigen Rechtsfrage der Beschlusswirksamkeit herbeizuführen, ihre Klage gegen alle Mitgesellschafter richten müssen, die ihre Rechtsposition gefährden, indem sie der Unwirksamkeit des Beschlusses entgegentreten oder sich trotz Aufforderung insoweit nicht eindeutig artikulieren (BGH, Urteil vom 13.02.1995 – II ZR 15/94 Rn. 8, Juris; Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 40. Aufl., 2021, § 109 Rn. 40).Randnummer57

Entgegen der Auffassung der Klägerseite kann die fehlende Einbeziehung der Komplementär-GmbH in die Klage nicht damit gerechtfertigt werden, dass diese „alleine zum Zwecke der Geschäftsführung“ besteht (vgl. Schriftsatz vom 14.02.2022, dort Seite 2). Gerade die Tatsache, dass der Komplementär-GmbH die Geschäftsführung obliegt und sie damit auch in deren Rahmen zur Umsetzung der gefassten, ihr gegenüber bestandskräftig gewordenen Beschlüsse verpflichtet ist, spricht dafür, das allgemeine Feststellungsinteresse der Klägerseite nur dann zu bejahen, wenn auch die Komplementär-GmbH mit verklagt wird.Randnummer58

Aus demselben Grund kann die Notwendigkeit, die Komplementär-GmbH mit zu verklagen, auch nicht mit Berufung auf ihre fehlende Stimmberechtigung und damit fehlende Mitwirkung an der Beschlussfassung infrage gestellt werden.Randnummer59

Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Beklagtenseite in diesem Zusammenhang berechtigterweise auch darauf hinweist, dass auch der Inhalt der gefassten Beschlüsse und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Eigenkapitalausstattung der KG und damit mögliche Haftungsrisiken bis hin zur Haftung der Komplementär-GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin ergeben, dafür sprechen, die Wirksamkeit der genannten Beschlüsse auch im Verhältnis zur Komplementär-GmbH einer Überprüfung zu unterziehen.Randnummer60

Die Klage gegen die Komplementär-GmbH ist im vorliegenden Falle auch deswegen notwendig gewesen, weil aufgrund der insoweit mit der KG gleichlautenden Gesellschafterverhältnisse mit einer mit dem Beklagten und der KG gleichgerichteten Haltung zur Wirksamkeit der von der Beklagten infrage gestellten Gesellschaftsbeschlüsse zu erwarten war.Randnummer61

Soweit sich die Klägerseite auf Urteile des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13.02.1995 – II ZR 15/94 Tz. 6ff – juris) und des OLG Jena (Urteil vom 10.08.2016 – 2 U 500/14, Tz. 60ff – juris) beruft, nach denen sich die Feststellungsklage gegen die „bestreitenden Gesellschafter“ zu richten habe und die Komplementär-GmbH zu diesem Gesellschafterkreis nicht zählt, lässt sich den genannten Urteilen eine zulässige Beschränkung der Beklagten auf die Kommanditisten unter dem Gesichtspunkt des Feststellungsinteresses nach § 256 Abs. 1 ZPO nicht entnehmen. Auch die von der jeweiligen vorgenannten Rechtsprechung in Bezug genommenen Kommentarstellen tragen diese Ansicht nicht. Die entsprechenden Urteile und Kommentarstellen verhalten sich alleine bezüglich der Frage, inwieweit Feststellungsklagen gegen die Gesellschafter einerseits oder die Gesellschaft andererseits zu richten sind.Randnummer62

Kosten: § 91 Abs. 1 ZPORandnummer63

vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 1 ZPO

Löffler I www.K1.de I Gesellschaftsrecht I Gesellschafterversammlung I M&A I Unternehmenskauf I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

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LG Frankfurt, Urteil vom 25. Februar 2022 – 2-02 O 213/21

Freitag, 25. Februar 2022

§ 854 Abs 1 BGB, § 868 BGB, § 929 S 1 BGB, § 929 S 2 BGB, § 1205 BGB, § 1293 BGB

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte gemäß Darlehensvertrag (Loan Agreement) vom 12. Juni 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen (Amendment vom 6. November 2015, Amendment No. 2 vom 22. Juni 2016, Amendment No. 3 vom 22. Juli 2016 und Amendment No. 4 vom 12. Juli 2017), Darlehensvertrag (Second Loan Agreement) vom 6. November 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen (Amendment vom 13. Juli 2016 und Amendment No. 2 vom 12. Juli 2017), sowie Darlehensvertrag (A AG Loan Agreement) vom 2. Juli 2017, an die Klägerin … A Aktien übertragen hat.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 10 % und der Beklagte zu 90 % zu tragen.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Eigentumsübertragung von … Inhaberaktien der A AG.Randnummer2

Die Parteien sind Aktionäre der A AG. Die A AG ist Muttergesellschaft der B GmbH, welche unter anderem (…) herstellt.Randnummer3

Das Grundkapital der A AG beträgt X € und ist eingeteilt in X auf den Inhaber lautende Stammaktien ohne Nennbetrag (Stückaktien) mit einem rechnerischen Anteil von 1,00 € je Stückaktie (nachfolgend jeweils die „A-Aktie“ genannt).Randnummer4

Die Klägerin hält unmittelbar …A-Aktien, was einer Beteiligung von rund 5,14% am Grundkapital entspricht.Randnummer5

Die Parteien schlossen im Laufe der Jahre drei Darlehensverträge mit einer Darlehenssumme in Höhe von insgesamt … €:Randnummer6

Darlehensvertrag vom 12. Juni 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen vom 6. November 2015, vom 22. Juni 2016, vom 22. Juli 2016 und vom 12. Juli 2017 (nachfolgend insgesamt „Darlehensvertrag I“ genannt) über eine Darlehenssumme in Höhe von … € (Anlage K1),Randnummer7

Darlehensvertrag vom 6. November 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen vom 13. Juli 2016 und vom 12. Juli 2017 (nachfolgend insgesamt „Darlehensvertrag II“ genannt) über eine Darlehenssumme in Höhe von … € (Anlage K2),Randnummer8

Darlehensvertrag vom 2. Juli 2017 (nachfolgend „Darlehensvertrag III“ genannt) (Anlage K3) über eine Darlehenssumme in Höhe von … € aufgeteilt in zwei Tranchen von … € (nachfolgend „Tranche 1“) und … € (nachfolgend „Tranche 2“) (der Darlehensvertrag I, der Darlehensvertrag II und der Darlehensvertrag III, nachfolgend die „Darlehensverträge“ genannt).Randnummer9

Als Endfälligkeit der Rückzahlung der Darlehen vereinbarten die Parteien jeweils den 30.Juni 2022.Randnummer10

Zur Sicherung der Rückzahlung der Darlehen schlossen die Parteien drei Pfandverträge, welche die Verpfändung von insgesamt … A-Aktien des Beklagten zugunsten der Klägerin vorsahen (beispielhaft hierzu der Verpfändungsvertrag vom 12. Juli 2017 in Anlage K18).Randnummer11

Diese … A-Aktien sind in den nachfolgend aufgeführten sechs Sammelurkunden (insgesamt nachfolgend „die sechs Sammelurkunden“ genannt) verbrieft:Randnummer12

– Sammelurkunde über … auf den Inhaber lautende Stammaktien ohne Nennbetrag (Stückaktien) Nr. … – … (vgl. Anlage B 1 (1-6)),Randnummer13

– Sammelurkunde über … auf den Inhaber lautende Stammaktien ohne Nennbetrag (Stückaktien) Nr. … – … (vgl. Anlage B 1 (1-6)),Randnummer14

– Sammelurkunde über … auf den Inhaber lautende Stammaktien ohne Nennbetrag (Stückaktien) Nr. … – … (vgl. Anlage B 1 (1-6)),Randnummer15

– Sammelurkunde über … auf den Inhaber lautende Stammaktien ohne Nennbetrag (Stückaktien) Nr. … – … (vgl. Anlage B 1 (1-6)),Randnummer16

– Sammelurkunde über … auf den Inhaber lautende Stammaktien ohne Nennbetrag (Stückaktien) Nr. … – … (vgl. Anlage B 1 (1-6)),Randnummer17

Globalurkunde über … auf den Inhaber lautende Stammaktien in Form von Stückaktien, Stückenummern: … bis … (Anlage B 1(8)).Randnummer18

Für die Besicherung des Rückzahlungsanspruchs aus dem Darlehensvertrag I verpfändete der Beklagte an die Klägerin … A-Aktien.Randnummer19

Für die Besicherung des Rückzahlungsanspruchs aus dem Darlehensvertrag II verpfändete der Beklagte an die Klägerin … A-Aktien.Randnummer20

Für die Besicherung des Rückzahlungsanspruchs aus dem Darlehensvertrag III verpfändete der Beklagte an die Klägerin … A-Aktien.Randnummer21

In dem dritten Pfandvertrag (Anlage K18) vereinbarten die Parteien in Ziffer 3.3. folgendes:Randnummer22

„Since the Original Pledgee already has the Share Certificates in his possession, no further physical delivery of the Share Certificate is required for the creation of the Pledges. The Original Pledgee will continue to hold the Share Certificates in custody fort the Pledgor until an Event of Enforcement has occured. […]“Randnummer23

Auf den dritten Pfandvertrag sollte ebenfalls deutsches Recht Anwendung finden (vgl. Ziffer 20, Seite 26 des Pfandvertrages, Anlage K18).Randnummer24

Im Zuge der Verpfändungen gelangten die sechs Sammelurkunden, in denen … A-Aktien verbrieft sind, zunächst in den Besitz der Klägerin und dann in den Besitz der Prozessvertreter der Klägerin, wo sie sich auch weiterhin befinden. Die Prozessvertreter der Klägerin verwahren die sechs Sammelurkunden für die Klägerin.Randnummer25

Die Parteien vereinbarten jeweils in Ziffer 6.1 der Darlehensverträge, dass der Beklagte als Darlehensnehmer die Möglichkeit haben sollte, das Darlehen an die Klägerin als Darlehensgeberin entweder in bar oder in Form der Übertragung einer bestimmten Anzahl an Aktien zurückzuzahlen.Randnummer26

In Ziffer 6.3 der Darlehensverträge regelten die Parteien, dass die Klägerin als Darlehensgeberin eine vollständige oder teilweise Rückzahlung vor Endfälligkeit (Right to make early repayment) der Darlehen verlangen könne, wobei die Rückzahlung nach Wahl der Klägerin durch eine Geldzahlung oder durch die Übertragung von A Aktien erfolgten sollte.Randnummer27

In Ziffer 6.3 (a) der Darlehensverträge heißt es nach der zwischen den Parteien unstreitigen deutschen Übersetzung auszugsweise:Randnummer28

„Recht auf vorzeitige Rückzahlung. Der Darlehensgeber kann vom Darlehensnehmer vor dem Fälligkeitstag die teilweise oder vollständige Rückzahlung des Darlehens fordern […].“Randnummer29

Zur Ausübung des Rechts auf frühzeitige Rückzahlung (Right to make early repayment) vereinbarten die Parteien in Ziffer 6.3 (b) nach der unstreitigen deutschen Übersetzung der Darlehensverträge:Randnummer30

„Benachrichtigung. Eine vorzeitige Rückzahlung des Darlehens steht unter der Bedingung, dass der Darlehensgeber den Darlehensnehmer über eine solche vorzeitige Rückzahlung und die Art und Weise der Darlehensrückzahlung in Kenntnis setzt und dass eine solche Benachrichtigung nicht später als 90 Bankarbeitstage vor der beabsichtigten Übertragung der Aktien oder Rückzahlung in Geld, je nachdem, erfolgt. Die Benachrichtigung ist unwiderruflich. Im Falle einer Rückzahlung mit Aktien werden die Stimmrechte sofort an den Darlehensgeber übertragen.“Randnummer31

In den Darlehensverträgen II und III findet sich am Ende jeweils noch die Ergänzung:Randnummer32

„[…] vorbehaltlich, zur Vermeidung von Missverständnissen, der Einhaltung der Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes und darunter erlassener Reglungen.“Randnummer33

Die Klägerin beabsichtigte in der Folge von ihrem Recht auf frühzeitige Rückzahlung (Right to make early repayment) der Darlehen – das heißt vor Endfälligkeit am 30. Juni 2022 – in Form der Übertragung der … an sie verpfändeten A-Aktien Gebrauch zu machen.Randnummer34

Am 1. August 2018 teilte die Klägerin dem Bundesministerium für wirtschaft und Energie (nachfolgend „BMWi“ genannt) im Hinblick auf die Erfüllung der Meldepflicht nach § 60 Abs. 3 AWV mit, dass sie den zusätzlichen Erwerb von …% der A-Aktien, respektive … Stückaktien, beabsichtige (Anlage B8) und beantragte die Freigabe des beabsichtigten Erwerbs. Hierin heißt es auszugsweise:Randnummer35

„[…] … erwägt den Erwerb von insgesamt bis zu … Aktien der A AG. Dies erfolgt auf zwei unterschiedlichen Wegen. Zum einen erhält … durch Übertragung 3.800.000 Aktien der A AG als Rückzahlung der von der …. (ISIN Code: …) ausgegebenen Schuldverschreibungen. Zum anderen erhält … bis zu … Aktien als (teilweise) Rückzahlung des von … an Herrn ………..gewährten Darlehens (zurückzuzahlen durch Übertragung von Aktien der A AG). […]“Randnummer36

Mit drei Schreiben jeweils datierend auf den 12. Dezember 2019 (Anlage K4) teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie von ihrem vorzeitigen Rückzahlungsrecht hinsichtlich der Darlehensverträge Gebrauch mache und forderte ihn zur Übertragung von insgesamt … A-Aktien auf. Das Schreiben vom 12. Dezember 2019 betreffend den Darlehensvertrag I bezog sich mithin auf die Übertragung von … A-Aktien, das Schreiben vom selben Tag betreffend den Darlehensvertrag II bezog sich auf die Übertragung von … A-Aktien und das Schreiben vom selben Tag betreffend den Darlehensvertrag III bezog sich auf die Übertragung von … A-Aktien.Randnummer37

Mit Schreiben vom 15. Juli 2020 (Anlage B10) gab das BMWi den Erwerb von …% A-Aktien durch die Klägerin auf der Grundlage des zwischen der Klägerin, Herrn ………….. und der … geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages vom 14. Juli 2020 (Anlage B13) frei. In Ziffer 1 unter „Anlass und Regelungszweck“ (Anlage B13) heißt es auszugsweise:Randnummer38

„a) Mit Schreiben vom 01. August 2018 meldete … gemäß § 60 Abs. 3 AWV beim BMWi den beabsichtigten Erwerb von bis zu … Stück (entspricht bis zu … %) der Aktien an der A AG und beantragte die Freigabe des Erwerbs gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 AWV […]“Randnummer39

Mit Schreiben vom 15. Juli 2020 (Anlage K6) teilte die Klägerin dem Beklagten unter Bezugnahme auf die Darlehensverträge und die dazugehörigen Pfändungsverträge mit, dass sie ihrer Auffassung nach Eigentümerin der streitgegenständlichen … A-Aktien geworden sei.Randnummer40

Hierauf erwiderte der Beklagte mit Schreiben vom 16. Juli 2020 (Anlage K8) insbesondere, dass er der Auffassung sei, eine wirksame „notification of early repayment“ läge nicht vor und die Klägerin sei nicht Eigentümerin der streitgegenständlichen … A-Aktien geworden.Randnummer41

Mit Schreiben vom 23. Juli 2020 (Anlage K9) forderte die Klägerin den Beklagten zur Bestätigung des Eigentumsübergangs unter Verweis auf die Sammelurkunden auf. Hierin heißt es auf Seite 2 unten:Randnummer42

„Soweit Sie meinen, dass es für die Übertragung der Aktien an uns Ihrer Mitwirkung bedürfe, oder dass es für Sie hilfreich wäre, eine schriftliche Bestätigung des Übergangs der Aktienurkunden zu haben, fordern wir Sie vor dem oben geschilderten Hintergrund hiermit auf, unsRandnummer43

die Übereignung der insgesamt … AktienRandnummer44

Inhaberaktien gemäß den im Anhang zu unserem Schreiben vom 15. Juli 2020 aufgeführten Aktienurkunden (Sammelurkunden / Globalurkunden) –Randnummer45

auf die ……………………Randnummer46

bis zum 30. Juli 2020, 12:00 Uhr MESZ, schriftlich zu bestätigen. […]“Randnummer47

Mit Email vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) erwiderte der Beklagte unter Angabe der Betreffzeile „… consent of transfer“ entsprechend der zwischen den Parteien unstreitigen deutschen Übersetzung:Randnummer48

„Hiermit bestätige ich, dass ich der Übertragung der … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien aus den Darlehensverträgen II und III zustimme. Unter Bezugnahme auf unsere heutige Diskussion zu den beiden Darlehensverträgen II und III, die Rückzahlungsoptionen in bar enthalten, verweise ich auf die zuvor von Herrn …………… versandte E-Mail.Randnummer49

Nach dieser Analyse bin ich der Meinung, dass die 90 Tage nicht eingehalten wurden. Wie dem auch sei, ich wäre dafür, auf die 90-Tage-Frist zu verzichten, da sie sich mit der Hauptversammlung überschneidet, die für … und die angestrebte Änderung der Unternehmensführung wichtig ist, und daher festzulegen, dass die 90-Tage-Frist nur für die Rückzahlungsoptionen in bar gilt und nicht für das Recht, die Aktien in Besitz zu nehmen. Ich schlage daher vor, dass die … abzüglich der ungefähr …Aktien übertragen werden, oder eine annähernd ausreichende Zahl, die durch die von … gehaltenen Aktienzertifikate erlaubt ist. Damit hat … derzeit … Aktien, und wenn man die …, die Sie ohnehin halten, hinzurechnet, ergibt dies …, d.h. ..% des bestehenden Aktienkapitals. Damit hätten Sie die Mehrheit in der Hauptversammlung und mehr bei den anderen Aktionären Ihrer Gruppe. Bleiben wir also beim Handel und machen wir in der Zwischenzeit weiter. 90 Tage sind um den 21. Oktober herum. Würde das funktionieren?“Randnummer50

Am 11. August 2020 antwortete die Klägerin per E-Mail (Anlage K11) unter Angabe der Betreffzeile „RE: … consent of transfer“ auf die voranstehende E-Mail des Beklagten vom 30. Juli 2020 und führte aus, dass sie den Eigentumsübergang von … A-Aktien bestätige. Hierin heißt es nach unstreitiger deutscher Übersetzung auszugsweise wie folgt:Randnummer51

„Vielen Dank für die Email unten und Ihre Zustimmung zur Übertragung von … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien, die relevant für die Darlehensverträge II und III sind. Wir bestätigten, dass wir uns beide einig sind, dass mindestens … Inhaberaktien der A AG effektiv auf … übertragen wurde.Randnummer52

Hinsichtlich der restlichen … Aktien, die als Sicherheit für die im Rahmen der Darlehensverträge II und III gewährten Darlehen dienten, sind wir nach wie vor der Meinung, dass auch diese Aktien mit Zustimmung des Ministeriums bereits wirksam auf die … übertragen wurden und bitten Sie, dies zu bestätigen. […]“Randnummer53

Der Beklagte teilte der Klägerin gegenüber mit E-Mail vom 18. August 2020 (Anlage K12) unter Angabe der Betreffzeile „… consent of transfer“ u.a. folgendes mit:Randnummer54

„1. You did not accept my proposal of 30 July 2020, so we have no agreement on the way forward regarding the transfer of shares and voting rights with respect to the general meeting. […]“Randnummer55

Ausweislich eines Schreibens des BMWi, gerichtet an die Prozessvertreterin der Klägerin, vom 16. Dezember 2021 (Bl. 152 d.A.) gab das Bundeswirtschaftsministerium den Erwerb weiterer …% der Stimmrechte der A AG durch die Klägerin und mittelbar durch Herrn ……….. frei.Randnummer56

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich die Parteien bereits im Rahmen der Darlehensverträge aufschiebend bedingt auf einen unmittelbaren Eigentumsübergang der jeweiligen A-Aktien nach Ausübung des Wahlrechts durch die Klägerin geeinigt hätten und dass eine Übertragung der … A-Aktien am 15. Juli.2020 erfolgt sei, nachdem das BMWi den Erwerb von …% A-Aktien durch die Klägerin freigegeben habe und die Klägerin dem Beklagten hiervon ebenfalls mit Schreiben vom selben Tag Mitteilung gemacht habe.Randnummer57

Es sei jedenfalls ein Bestand von … A-Aktien am 30. Juli 2020 von dem Beklagten an die Klägerin übertragen worden, weil der Beklagte mit seiner E-Mail vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) das Angebot der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 23. Juli 2020 (Anlage K9) angenommen habe, … A-Aktien zu übereignen. Eine Übergabe sei nach § 929 Satz 2 BGB nicht erforderlich, weil die Klägerin im Zuge der Verpfändungen bereits im Besitz der Aktien gewesen sei. Andernfalls seien die Erklärungen der Parteien dahingehend auszulegen, dass jedenfalls eine Abtretung der Mitgliedschaft nach §§ 398, 413 BGB gewollt gewesen sei.Randnummer58

Hinsichtlich der restlichen … A-Aktien bestehe zumindest ein Anspruch der Klägerin auf Übertragung.Randnummer59

Die Klägerin beantragt,Randnummer60

1. es wird festgestellt, dass der Beklagte gemäß Darlehensvertrag (Loan Agreement) vom 12. Juni 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen (Amendment vom 6. November 2015, Amendment No. 2 vom 22. Juni 2016, Amendment No. 3 vom 22. Juli 2016 und Amendment No. 4 vom 12. Juli 2017), Darlehensvertrag (Second Loan Agreement) vom 6. November 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen (Amendment vom 13. Juli 2016 und Amendment No. 2 vom 12. Juli 2017), sowie Darlehensvertrag (A Loan Agreement) vom 2. Juli 2017, … A AG-Aktien an die Klägerin übertragen hat.Randnummer61

2. hilfsweise,Randnummer62

a) es wird festgestellt, dass der Beklagte gemäß Darlehensvertrag (Loan Agreement) vom 12. Juni 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen (Amendment vom 6. November 2015, Amendment No. 2 vom 22. Juni 2016, Amendment No. 3 vom 22. Juli 2016 und Amendment No. 4 vom 12. Juli 2017), Darlehensvertrag (Second Loan Agreement) vom 6. November 2015 mit Ergänzungsvereinbarungen (Amendment vom 13. Juli 2016 und Amendment No. 2 vom 12. Juli 2017), sowie Darlehensvertrag (A AG Loan Agreement) vom 2. Juli 2017, an die Klägerin … A AG-Aktien übertragen hat.Randnummer63

3. hilfs-hilfsweise, der Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin … A AG-Aktien zu übertragen.Randnummer64

Der Beklagte beantragt,Randnummer65

die Klage abzuweisen.Randnummer66

Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe weder Eigentum an … A AG-Aktien noch an … A AG-Aktien erworben und dies aus folgenden Gründen:Randnummer67

Eine aufschiebend bedingte Einigung zwischen den Parteien gemäß §§ 929 S.1, 158 BGB folge nicht bereits aus den Darlehensverträgen.Randnummer68

Eine Einigung zwischen den Parteien – zumindest hinsichtlich der Übertragung von … A Aktien – sei auch nicht durch eine vorgebliche Zustimmung des Beklagten in seinem Email-Schreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) als Erwiderung auf das Schreiben der Klägerin vom 23. Juli 2020 (Anlage K9) zu sehen. Denn hierin habe der Beklagte seine Zustimmung zur Übertragung von … Inhaberaktien der A AG abzüglich … Aktien in Bezug auf die Darlehensverträge II und III erklärt, sodass hierin eine Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag zu sehen sei. Dieser neue Antrag sei seitens der Klägerin mit Schreiben vom 11. August 2020 (Anlage K 11) nicht bzw. nicht rechtzeitig angenommen worden.Randnummer69

Ferner stünde das Emailschreiben des Beklagten vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) im Hinblick auf den hierin enthaltenen Absatz 2 unter rechtlichem Vorbehalt.Randnummer70

Ferner läge ein Verstoß gegen das sachenrechtliche Bestimmtheitsgebot vor, da zwischen den Parteien nicht klar gewesen sei, welches Darlehen in welcher Höhe in Aktien und in welcher Höhe in Geld zurückgezahlt werden müsse. Zudem hätten die A Aktien in den unterschiedlichen Darlehensverträgen unterschiedliche Bewertungen, sodass es für die Bestimmung der in Geld zu tilgenden Restforderung der jeweiligen Darlehen auf eine exakte Allokation der einzelnen A Aktien auf einen bestimmten Darlehensvertrag ankomme.Randnummer71

Für eine wirksame Übereignung nach §§ 929 ff. BGB sei die Übergabe der Aktienurkunde erforderlich; eine solche Übergabe sei unstreitig nicht erfolgt.Randnummer72

Ebenfalls komme eine Übereignung nach § 929 S. 2 BGB nicht in Betracht, da der Beklagte seiner Auffassung nach mittelbarer Eigenbesitzer der Sammelurkunden sei (Bl. 147 d. A.).Randnummer73

Zudem lägen die Voraussetzungen der vorzeitigen Darlehensrückzahlung (Right to make early repayment) im Hinblick auf die Darlehensverträge nicht vor, da die Voraussetzungen der jeweils in Ziffer 6.3 (b) der Darlehensverträge vorgesehenen „Notification“ aus folgenden Gründen nicht gegeben seien: Die Klägerin habe in ihren Schreiben vom 12. Dezember 2019 (Anlagenkonvolut K 4) weder den Empfänger der Aktien, noch die Aktien und das Rückzahlungsdatum konkret benannt, was jedoch für die Überprüfung eines unzulässigen Kontrollwechsels oder eines Verstoßes gegen Außenwirtschaftsrecht erforderlich sei (Bl. 72 d. A.).Randnummer74

Hinsichtlich des Darlehensvertrags III könne die Klägerin nur hinsichtlich der Tranche 2 eine Rückzahlung in Geld verweigern, hinsichtlich der Tranche 1 bestehe ein Wahlrecht des Beklagten (Bl. 71, 139 d. A.).Randnummer75

Einer vorzeitigen Rückzahlung der Darlehen aus dem Darlehensvertrag I und dem Darlehensvertrag II stehe die Kontrollwechsel-Klausel in Ziffer 6. entgegen, welche vorsehe, dass die klägerische Darlehensgeberin keinen Anteil von A-Aktien halten solle, der …% überschreite (Bl. 84 d. A.).Randnummer76

Darüber hinaus läge ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsrecht und somit gegen Ziff. 6.1 der Darlehensverträge vor, weil zum Zeitpunkt der vermeintlichen Ausübung des Rechts auf vorzeitige Rückzahlung die Genehmigung des BMWi noch nicht vorgelegen habe (Bl. 85 d.A.).Randnummer77

Jedenfalls habe das BMWi im Hinblick auf … A AG-Aktien nicht die erforderliche Genehmigung erteilt (Bl. 76, 85 d. A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage hat teilweise Erfolg.Randnummer79

Die Klage ist zulässig.Randnummer80

Das Landgericht Frankfurt am Main ist aufgrund der Gerichtsstandsvereinbarung in den jeweiligen Ziffern 17.2 der Darlehensverträge für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den Darlehensverträgen ausschließlich sachlich sowie örtlich zuständig, vgl. Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EuGVVO), der lex specialis zu § 38 ZPO ist.Randnummer81

Zudem besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin, weil Ungewissheit darüber besteht, ob die Klägerin die streitgegenständlichen … A-Aktien erworben hat und insofern befugt ist, ihre Aktionärsrechte auszuüben.Randnummer82

Die Klage ist teilweise begründet.Randnummer83

Die Klägerin hat eine Anzahl von … A-Aktien erworben, vgl. §§ 929 S. 1 und S. 2 BGB.Randnummer84

Diese Aktienanzahl ist in den sechs Sammelurkunden verbrieft (vgl. oben).Randnummer85

Die Übereignung einer Inhaberaktie und der in ihr verbrieften Rechte und Pflichten erfolgt grundsätzlich durch Einigung und Übergabe bzw. Vereinbarung eines Besitzkonstituts bzw. Abtretung des Herausgabeanspruchs nach §§ 929 ff. BGB, unabhängig von der Art der Verwahrung und der Verbriefung der Urkunde (vgl. Sudmeyer in Schüppen/Schaub, Münchener Anwaltshandbuch, Aktienrecht, 3. Auflage 2018, § 10 Rn. 157; Mentz, Fröhling: Die Formen der rechtsgeschäftlichen Übertragung von Aktien, NZG 2002, 201 ff.). Das Mitgliedschaftsrecht (das „Recht aus dem Papier“) folgt bei ihr dem „Recht am Papier“, also dem Eigentum an der Aktienurkunde (vgl. Mailänder, Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 6. Auflage 2019, Teil E Rn. 268; Solveen in Hölters/Weber, Aktiengesetz, § 10 AktG Rn. 14; 4. Auflage 2022). Die Unterscheidung zwischen der Inhaberaktie und der Namensaktie liegt gerade entscheidend darin, dass bei der Inhaberaktie derjenige legitimiert ist, wer sie besitzt und bei der Namensaktie als Aktionär nur derjenige gilt, wer als solcher im Aktienbuch steht; die Verbriefung der Aktie kann bei der Namensaktie auf Basis einer entsprechenden Satzungsbestimmung unterbleiben (vgl. Mailänder, Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 6. Auflage 2019, Teil E Rn. 269). Insofern ergibt sich für den Inhaber einer Aktienurkunde gegenüber der Aktiengemeinschaft und gegenüber Dritten die widerlegbare Vermutung, dass er auch Inhaber des verbrieften Mitgliedschaftsrecht ist (vgl. Wöstmann in Henssler/Strohn, § 10 AktG Rn. 7, Gesellschaftsrecht, 5. Auflage 2021).Randnummer86

Nach Auffassung der Kammer liegt eine aufschiebend bedingte Einigung zwischen den Parteien nicht bereits in Ziffer 6.3 iVm Ziffer 6.1 der Darlehensverträge vor.Randnummer87

Das Vorliegen einer dinglichen Einigung setzt voraus, dass sich Veräußerer und Erwerber darüber einig sind, dass das Eigentum vom Veräußerer auf den Erwerber übergehen soll d.h. die Einigung muss die Sache als auch die Person des Erwerbers hinreichend konkret bestimmen, vgl. § 929 S. 1 BGB.Randnummer88

Nichts anderes kann für eine aufschiebend bedingte dingliche Einigung gemäß §§ 929 S. 1, 158 BGB – die Bedingung liegt nach Auffassung der Klägerin in dem Recht der Ausübung der frühzeitigen Rückzahlung (Right to make early repayment) und dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Notification gemäß Ziffer 6.3 (b) der Darlehensverträge – gelten: Auch in diesem Fall müssen die Parteien trotz des noch bevorstehenden Bedingungseintritts die zu übereignende Sache und die Person des Erwerbers hinreichend bestimmt haben.Randnummer89

Das ist nach Auffassung der Kammer durch Ziffer 6.3 iVm. Ziffer 6.1 der Darlehensverträge inhaltlich nicht gegeben.Randnummer90

Denn ohne die erforderliche Notification des Darlehensgebers gemäß Ziffer 6.3 (b) kann der Umfang und die Form der Rückzahlung des jeweiligen Darlehens (ganz oder teilweise bzw. Rückzahlung in bar oder in Aktien) nicht bestimmt werden.Randnummer91

Nach Auffassung der Kammer gelangt man auch nicht zu einer anderen Auffassung unter Bezugnahme auf Ziffer 10.5 des Dritten Pfändungsvertrages (Anlage K18). Aus Ziffer 10.5 des Dritten Pfändungsvertrages, der mit „Absence of Consent Requirement“ überschrieben ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass das Vorliegen einer Einigung zwischen den Parteien nicht erforderlich sein sollte, zumal Ziffer 10.5 insofern keinen konkreten Bezug auf die Darlehensverträge nimmt.Randnummer92

Nach Überzeugung der Kammer hat der Beklagte das in dem Schreiben vom 23. Juli 2020 (Anlage K9) zu sehende Angebot der Klägerin gerichtet auf die Übereignung von insgesamt … A Aktien mit seinem Emailschreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K 10) nicht angenommen.Randnummer93

In dem Schreiben der Klägerin vom 23. Juli 2020 heißt es:Randnummer94

„Soweit Sie meinen, dass es für die Übertragung der Aktien an uns Ihrer Mitwirkung bedürfe, oder dass es für Sie hilfreich wäre, eine schriftliche Bestätigung des Übergangs der Aktienurkunden zu haben, fordern wir Sie vor dem oben geschilderten Hintergrund hiermit auf, unsRandnummer95

die Übereignung der insgesamt … AktienRandnummer96

Inhaberaktien gemäß den im Anhang zu unserem Schreiben vom 15. Juli 2020 aufgeführten Aktienurkunden (Sammelurkunden / Globalurkunden) –Randnummer97

auf die ………………….Randnummer98

bis zum 30. Juli 2020, 12:00 Uhr MESZ, schriftlich zu bestätigen. […]“Randnummer99

Zwar beinhaltet das Schreiben der Klägerin vom 23. Juli 2020 (Anlage K9) zunächst die für eine Einigung erforderlichen essentialia, allerdings hat der Beklagte mit Emailschreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) unter Angabe der Betreffzeile „… consent of transfer“ insbesondere entsprechend der zwischen den Parteien unstreitigen deutschen Übersetzung folgendes erwidert:Randnummer100

„Hiermit bestätige ich, dass ich der Übertragung der … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien aus den Darlehensverträgen II und III zustimme. Unter Bezugnahme auf unsere heutige Diskussion zu den beiden Darlehensverträgen II und III, die Rückzahlungsoptionen in bar enthalten, verweise ich auf die zuvor von Herrn ……… versandte E-Mail.Randnummer101

Nach dieser Analyse bin ich der Meinung, dass die 90 Tage nicht eingehalten wurden. Wie dem auch sei, ich wäre dafür, auf die 90-Tage-Frist zu verzichten, da sie sich mit der Hauptversammlung überschneidet, die für … und die angestrebte Änderung der Unternehmensführung wichtig ist, und daher festzulegen, dass die 90-Tage-Frist nur für die Rückzahlungsoptionen in bar gilt und nicht für das Recht, die Aktien in Besitz zu nehmen. Ich schlage daher vor, dass die … abzüglich der ungefähr … Aktien übertragen werden, oder eine annähernd ausreichende Zahl, die durch die von … gehaltenen Aktienzertifikate erlaubt ist. Damit hat … derzeit …. Aktien, und wenn man die …, die Sie ohnehin halten, hinzurechnet, ergibt dies …, d.h. …% des bestehenden Aktienkapitals. Damit hätten Sie die Mehrheit in der Hauptversammlung und mehr bei den anderen Aktionären Ihrer Gruppe. Bleiben wir also beim Handel und machen wir in der Zwischenzeit weiter. 90 Tage sind um den 21. Oktober herum. Würde das funktionieren? […]“Randnummer102

Nach Auffassung der Kammer ist in dem Emailschreiben des Beklagten vom 30. Juli 2020 eine Annahme unter Einschränkungen gemäß § 150 Abs. 2 BGB zu sehen.Randnummer103

Gemäß § 150 Abs. 2 BGB gilt eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag.Randnummer104

Dem Wortlaut des Emailschreibens vom 30. Juli 2020 lässt sich entnehmen, dass der Beklagte der Übertragung der … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien aus den Darlehensverträgen II und III zustimmte. Insofern stimmte der Beklagte der mit Schreiben der Klägerin vom 23. Juli 2020 (Anlage K9) geforderten Übereignung von … A Aktien nicht zu, sondern lediglich einschränkend der Übertragung einer Anzahl von … A-Aktien, wie sich aus dem Emailschreiben ergibt: „[…] „Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien aus den Darlehensverträgen II und III […]“.Randnummer105

Entgegen der Auffassung des Beklagten vermag die Kammer in dem Emailschreiben des Beklagten vom 30. Juli 2020 (Anlage K 10) kein bloßes Angebot für Rahmenbedingungen einer Einigung („proposal“) zu erkennen. Ausweislich des Wortlaut hat der Beklagte „der Übertragung der … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien aus den Darlehensverträgen II und III […]“ zugestimmt. In dem weiteren Absatz beginnend mit „Nach dieser Analyse bin ich der Meinung […]“ bringt der Beklagte sogar nochmals zum Ausdruck, dass er mit einer Übertragung von „… abzüglich der ungefähr … Aktien […] oder eine annähernd ausreichende Zahl, die durch die von … gehaltenen Aktienzertifikate erlaubt […]“ sei, einverstanden sei. Diese vorstehende Aussage des Beklagten bezieht sich auf die insgesamt streitgegenständlichen … A-Aktien abzüglich der … Aktien, die nach Auffassung des Beklagten seinen Wahlrechten aus den Darlehensverträgen II und III unterliegen, §§ 133, 157 BGB. Dass sich der Beklagte an dieser Stelle auf eine auf- bzw. abgerundete Anzahl an A-Aktien bezieht, führt zu keinem anderen Ergebnis.Randnummer106

Die Kammer vermag gerade vor dem Hintergrund, dass der Beklagte in dem weiteren Absatz beginnend mit „Nach dieser Analyse […]“ seine Zustimmung zur Übertragung der begrenzten Anzahl an Aktien („… abzüglich der ungefähr … Aktien […]“) nochmals bekräftigte, nicht zu erkennen, inwiefern sich dem Emailschreiben des Beklagten vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) entnehmen lassen soll, dass der Beklagte seine Zustimmung zur Übertragung einer Anzahl von „… Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien unter einen rechtlichen Vorbehalt gestellt haben soll, §§ 133, 157 BGB.Randnummer107

Es ist auch nicht erkennbar, dass der Beklagte mit seinem ausdrücklichen Verzicht auf die 90-Tages-Frist zum Ausdruck bringen wollte, dass er einer Übertragung von „Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktiennur unter bestimmten Bedingungen zustimmen wollte, §§ 133, 157 BGB. Im Gegenteil kommt in seiner Bereitschaft, auf die 90-Tages-Frist zu verzichten nach Auffassung der Kammer gerade sein Wille zur Bereitschaft der Übertragung der entsprechenden Aktienanzahl zum Ausdruck, §§ 133, 157 BGB. Denn der Beklagte unterbreitet der Klägerin an dieser Stelle lediglich eine praktische Abwicklungsmöglichkeit, ohne jedoch von seiner ursprünglichen Zustimmung zur Übertragung von „Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktienabzurücken, §§ 133, 157 BGB.Randnummer108

Die Parteien haben sich dennoch wirksam auf den Eigentumsübergang geeinigt.Randnummer109

Nach Auffassung der Kammer hat die Klägerin dieses Angebot des Beklagten vom 30. Juli 2020 (Anlage K 10) mit ihrem Schreiben vom 11. August (Anlage K 11) angenommen.Randnummer110

Am 11. August 2020 antwortete die Klägerin per E-Mail (Anlage K11) unter Angabe der Betreffzeile „RE: … consent of transfer“ auf das Emailschreiben des Beklagten vom 30. Juli 2020 und führte aus, dass sie den Eigentumsübergang von … A-Aktien bestätige. Hierin heißt es auszugsweise wie folgt:Randnummer111

„Vielen Dank für die Email unten und Ihre Zustimmung zur Übertragung von … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien, die relevant für die Darlehensverträge II und III sind. Wir bestätigten, dass wir uns beide einig sind, dass mindestens … Inhaberaktien der A AG effektiv auf … übertragen wurde.Randnummer112

Hinsichtlich der restlichen … Aktien, die als Sicherheit für die im Rahmen der Darlehensverträge II und III gewährten Darlehen dienten, sind wir nach wie vor der Meinung, dass auch diese Aktien mit Zustimmung des Ministeriums bereits wirksam auf die … übertragen wurden und bitten Sie, dies zu bestätigen.“[…].Randnummer113

Ausweislich des Wortlauts teilt die Klägerin mit, dass sie bestätige, dass sich die Parteien einig seien, dass mindestens … Inhaberaktien der A AG effektiv auf die Klägerin übertragen worden seien. Insofern weicht die Aussage der Klägerin inhaltlich nicht von der Aussage des Beklagten in seinem Emailschreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K10), dass er der „Übertragung der … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien aus den Darlehensverträgen II und III zustimme […]“ ab. Es herrscht insofern Einigkeit zwischen den Parteien hinsichtlich der Übertragung von … A Aktien auf die Klägerin.Randnummer114

Dass die Klägerin in dem weiteren Absatz ihres Emailschreiben vom 11. August 2020 dem Beklagten gegenüber mitteilte, dass sie hinsichtlich „der restlichen … Aktien, die als Sicherheit für die im Rahmen der Darlehensverträge II und III gewährten Darlehen dienten […]“ nach wie vor der Meinung seien, „[…] dass auch diese Aktien mit Zustimmung des Ministeriums bereits wirksam auf die … übertragen wurden […]“, führt nach Auffassung der Kammer nicht dazu, das Schreiben als eine Annahme unter Erweiterungen verbunden mit einem neuen Antrag zu sehen, vgl. § 150 Abs. 2 BGB.Randnummer115

Denn zum einen lässt sich bereits dem Wortlaut der vorstehend auszugsweise dargestellten Textpassagen des Schreibens der Klägerin vom 11. August 2020 (Anlage K11) entnehmen, dass die Klägerin gerade zum Ausdruck bringen wollte, dass zwischen den Parteien dahingehend Einigkeit bestehe, dass „mindestens … Inhaberaktien der A AG effektiv auf … übertragen wurde […]“, §§ 133, 157 BGB. Hiermit beabsichtigte die Klägerin wohl „mindestens“ hinsichtlich der Übertragung von … Inhaberaktien den dahingehenden Konsens der Parteien schriftlich festzuhalten, §§ 133, 157 BGB. Zum anderen lässt sich ebenfalls dem Aufbau des Schreibens der Klägerin entnehmen, dass die Klägerin das Angebot des Beklagten nicht unter der Erweiterung annahm, ebenfalls die restlichen … A-Aktien übertragen zu erhalten. Denn vielmehr ist das klägerische Schreiben in dem nachfolgenden Absatz als erneutes Angebot auf Übertragung der restlichen … A-Aktien zu verstehen, §§ 133, 157 BGB, was sich auch bereits insofern aus dem Wortlaut ergibt, als dass die Klägerin den Beklagten hierin bat, zu bestätigen, „[…] dass auch diese Aktien mit Zustimmung des Ministeriums bereits wirksam auf die … übertragen wurden und bitten Sie, dies zu bestätigen.[…]“, §§ 133, 157 BGB.Randnummer116

Ein Verstoß gegen den sachrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz vermag die Kammer vorliegend nicht zu erkennen.Randnummer117

Der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz besagt, dass die dingliche Einigung nach § 929 S. 1 BGB die zu übereignende Sache so konkret bezeichnen muss, dass diese allein aufgrund des Inhalts dieser Rechtsgeschäfte, ohne Hilfe des Veräußerers ermittelt werden kann (vgl. Oechsler in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 929 Rn. 6). So hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 20.03.1986, Az. IX ZR 88/85 (Düsseldorf) entschieden:Randnummer118

„Bei der Übereignung einer Sachgesamtheit mit wechselndem Bestand gilt: Für die nicht im Ursprungsbestand enthaltenen, sondern später hinzutretenden einzelnen Sachen muss infolge eines einfachen, nach außen erkennbaren Geschehens in dem für den Eigentumsübergang maßgeblichen Zeitpunkt für jeden dritten, der die Parteiabreden kennt, ohne weiteres ersichtlich sein, welche individuell bestimmten Sachen übereignet werden sollen.“Randnummer119

Zwar ist unstreitig, dass es weder eine Sammelurkunde gibt noch Sammelurkunden, in denen einzeln oder zusammen exakt eine Anzahl von … A Aktien verbrief sind (vgl. Anlage B1 (1-6)).Randnummer120

Allerdings befinden sich zum einen bereits sämtliche Sammelurkunden im Besitz der Prozessvertreter der Klägerin und insofern nahmen die Parteien in ihrer Korrespondenz auch Bezug auf die sich bei den Prozessvertretern der Klägerin befindlichen Sammelurkunden. Insofern sind die zu übertragenden … A Aktien hinreichend bestimmbar.Randnummer121

Denn der Beklagte nahm in seinem dem Emailschreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) auf die relevanten sechs Sammelurkunden Bezug. So heißt es unten in der Email: „Appendix: 6 Certificates Held by …“. Auf dieses Emailschreiben nahm die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 11. August 2020 (Anlage K11) ebenfalls ausdrücklich Bezug (vgl. zuvor oben).Randnummer122

Es bestand folglich zwischen den Parteien Einigkeit, dass sich die bestimmbare Anzahl von … A-Aktien auf die sechs Sammelurkunden bezog.Randnummer123

Zudem überzeugt die Auffassung des Beklagten, man habe ohne die konkrete Angabe der Aktiennummern der in den Sammelurkunden verbrieften Inhaberaktien die Kalkulation der Rückzahlung der verbleibenden Darlehensschulden aus den drei Darlehensverträgen in Geld nicht vornehmen können, nicht.Randnummer124

Denn der Beklagte bringt in seinem Emailschreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) selbst zum Ausdruck, dass er der Auffassung sei, dass er in Bezug auf den Darlehensvertrag II und III ein Wahlrecht habe und insofern eine Übertragung von … A-Aktien nicht erfolgt sei.Randnummer125

Insofern ergibt sich aus dem Darlehensvertrag III in Ziff. 6.1 (iii), dass der Beklagte ein Wahlrecht in Bezug auf die Tranche 1 hat.Randnummer126

Hierin heißt es:Randnummer127

„The Borrower is entitled to refuse the repayment by transfer of Share Loan (an all rights in the Capital Increase) with respect to the First Intalment; […]“Randnummer128

Aus Ziffer 6.1 (ii) des Darlehensvertrages III ergibt sich, dass die Tranche 1 in Höhe von 16,2 % der Aktien zurückgezahlt werden könne, was bei einem Gesamtbetrag von … A Aktien anlässlich des Darlehensvertrages III eine Anzahl von … Aktien ausmacht. Allein in dieser Höhe ergäbe sich die Möglichkeit des Beklagten, eine Rückzahlung der Tranche 1 in Aktien zu verweigern („to refuste the repayment by transfer of Share Loan“).Randnummer129

Insofern trägt der Beklagte vor, dass ihm ein weiteres Wahlrecht in Bezug auf weitere … Aktien aus dem Darlehensvertrag II zustünde, was durch Addition mit einer Anzahl von … Aktien die von ihm selbst in seinem Emailschreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) vorgetragene Anzahl von … A-Aktien ergibt.Randnummer130

Dass die A-Aktien in den unterschiedlichen Darlehensverträgen unterschiedliche Bewertungen hätten, sodass es für die Bestimmung der in Geld zu tilgenden Restforderung der jeweiligen Darlehen auf eine exakte Allokation der einzelnen A-Aktien auf einen bestimmten Darlehensvertrag ankomme, vermag die Kammer den Darlehensverträgen nicht zu entnehmen. In Ziffer 6.1 der Darlehensverträge ist jeweils von einer bestimmten Anzahl an Aktien die Rede, nicht hingegen ist der Anzahl der Aktien seitens der Parteien ein bestimmter Wert zugeordnet worden, vgl. §§ 133, 157 BGB.Randnummer131

Nach Auffassung der Kammer war eine Übergabe der Sammelurkunden wegen § 929 S. 2 BGB entbehrlich.Randnummer132

Nach § 929 S.2 BGB genügt die Einigung über die Übergabe des Eigentums, wenn der Erwerber im Besitz der Sache ist.Randnummer133

Es ist unstreitig, dass die Klägerin im Zuge der drei Pfändungsverträge zunächst den unmittelbaren Besitz an den sechs Sammelurkunden, in denen … A-Aktien verbrieft sind, erlangt hat, vgl. § 854 Abs. 1 BGB.Randnummer134

Die Sammelurkunden befinden sich zwischenzeitlich bei den Prozessvertretern der Klägerin, welche der Klägerin den Besitz an den Sammelurkunden mittelt, § 868 BGB.Randnummer135

§ 929 S. 2 BGB erfordert jedoch die vollständige Besitzaufgabe auf Seiten des Eigentümers.Randnummer136

Die Kammer ist der Auffassung, dass auf Seiten des Beklagten eine vollständige Besitzaufgabe erfolgt ist.Randnummer137

Zu dieser Auffassung gelangt die Kammer im Hinblick auf die zwischen den Parteien im Zuge der Darlehensverträge erfolgte Verpfändung der Aktien gemäß §§ §§ 1293, 1205 ff. BGB.Randnummer138

Verbriefte Inhaberaktien können grundsätzlich nach §§ 1293, 1205 ff. BGB verpfändet werden (vgl. BGH, Urteil vom 24.9.2015 − IX ZR 272/13; Sailer-Coceani/Kraft in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 5. Auflage 2020, § 14 Rn. 75).Randnummer139

Es heißt in Ziffer 3.3, Seite 9 des zwischen den Parteien geschlossenen dritten Pfändungsvertrages (Anlage K 18), auf den gemäß Ziffer 20, Seite 26 deutsches Recht Anwendung finden sollte:Randnummer140

„Since the Original Pledgee already has the Share Certificates in his possession, no further physical delivery oft the Share Certificate is required for the creation of the Pledges. The Original Pledgee will continue to hold the Share Certificates in custody fort the Pledgor until an Event of Enforcement has occured. […]“Randnummer141

Im Hinblick darauf, dass eine Verpfändung nach deutschem Recht für ihre Wirksamkeit die vollständige Besitzaufgabe des Eigentümers erfordert, vgl. §§ 1293, 1205 BGB, und die Parteien übereinstimmend von einer wirksamen Verpfändung der Aktien im Zuge des Abschlusses der Darlehensverträge ausgegangen sind, hat der Beklagte im Zeitpunkt des Abschlusses des dritten Pfändungsvertrages seinen vollständigen Besitz an den Aktienurkunden verloren, §§ 133, 157 BGB.Randnummer142

Insofern ist die Kammer der Auffassung, dass der in Ziffer 3.2 des dritten Pfändungsvertrages zum Vorschein getretene Wille der Parteien, dass die Klägerin die Aktienurkunden für den Beklagten hält, nicht dahingehend zu verstehen ist, dass die Parteien ein Besitzmittlungsverhältnis begründen wollten, §§ 133, 157 BGB.Randnummer143

Zudem liegen die Voraussetzungen für eine frühzeitige Rückforderung des Darlehens (Right to make early repayment) hinsichtlich der … A-Aktien gemäß Ziffer 6.3 iVm. 6.1 der Darlehensverträge vor.Randnummer144

Einen Verstoß gegen eine change of control-Klausel ausweislich der Darlehensverträge vermag die Kammer nicht zu erkennen. Im Hinblick auf den Darlehensvertrag und die hierin enthaltene Formulierung auf Seite 2 ist die Kammer der Auffassung, dass diese Klausel nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auf die Darlehensverträge keine Anwendung mehr finden sollte, §§ 133, 157 BGB.Randnummer145

Hierin heißt es entsprechend der zwischen den Parteien unstreitig gebliebenen deutschen Übersetzung:Randnummer146

„Kontrollwechsel: hat die Bedeutung, die in dem Anleihevertrag der von der B GmbH ausgegebenen … EUR … % Anleihe mit Fälligkeit 2018 zugewiesen wird. Zur Klarstellung: Sobald die EUR … … % Anleihe vollständig zurückgezahlt wird, gilt für das Darlehen keine Change of Control-Klausel mehr.“Randnummer147

Es ist unstreitig, dass die Anleihe (Anlage K18) zwischenzeitlich zurückgezahlt worden ist.Randnummer148

Ebenfalls erfolgte eine wirksame Notification gemäß Ziffer 6.3 (b) der Darlehensverträge.Randnummer149

Spätestens im Zeitpunkt der Klageerhebung lagen nach Auffassung der Kammer sämtliche Erfordernisse gemäß Ziffer 6.3 (b) der Darlehensverträge vor.Randnummer150

Mit Schreiben vom 15. Juli 2020 (Anlage B10) gab das BMWi den Erwerb von …% A-Aktien durch die Klägerin auf der Grundlage des zwischen der Klägerin, Herrn … und der … geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages vom 14. Juli 2020 (Anlage B13) frei.Randnummer151

Die dem Beklagten eingeräumte Frist zur Übertragung der … Aktien hat spätestens seit seiner Kenntnis von dem Genehmigungsschreiben des BMWI zu laufen begonnen. Ebenfalls – dies ergibt sich bereits aus seinem Emailschreiben vom 30. Juli 2020 (Anlage K10) – war ihm bekannt, dass die Übertragung der Aktien an die Klägerin erfolgen sollte, §§ 133, 157 BGB.Randnummer152

Eine Übertragung der streitgegenständlichen Aktien durch Abtretung der Mitgliedschaftsrechte gemäß §§ 398, 413 BGB erfolgte nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht.Randnummer153

Zwar wird in der herrschenden Literatur (vgl. Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit Aktiengesetz, 2. Auflage 2020, § 68 AktG Rn. 54) die Auffassung vertreten, dass Inhaberaktien auch durch Abtretung der Rechte aus der Mitgliedschaft gemäß §§ 398, 413 BGB übertragen werden können und dem „Recht aus dem Papier“ das Eigentum an der Urkunde als „Recht am Papier“ analog § 952 Abs. 1 S. 1 BGB folgt. Erfolgt die Übertragung der Anteile an einer Aktiengesellschaft durch Übertragung in Anknüpfung an das Mitgliedschaftsrecht, ist die Übergabe der Urkunde für den Eigentumsübergang nicht erforderlich (Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit Aktiengesetz, 2. Auflage 2020, § 68 AktG Rn. 54; Füller in Münchener Kommentar, 8. Auflage 2020, § 952 Rn. 9)Randnummer154

Nach Auffassung der Kammer liegt zwischen den Parteien keine Einigung hinsichtlich der Abtretung der Rechte aus der Mitgliedschaft gemäß §§ 398, 413 BGB vor.Randnummer155

Eine dahingehende Einigung ergibt sich nach Auffassung der Kammer weder eindeutig aus der zwischen den Parteien geführten Korrespondenz noch kann sie durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont der zwischen den Parteien geführten Korrespondenz entnommen werden, §§ 133, 157 BGB.Randnummer156

In dem Schreiben des Beklagten vom 30. Juli 2020 (Anlage K 10) spricht der Beklagte von „transfer of the … bearer shares in A AG less the … shares relevant to loan agreement II and III“. In der zwischen den Parteien unstreitigen deutschen Übersetzung heißt es: […] „Übertragung der … Inhaberaktien der A AG abzüglich der … Aktien aus den Darlehensverträgen II und III. […]“. Ferner heißt es weiter in dem Emailschreiben des Beklagten:Randnummer157

„My proposal therefore ist for the … less the … odd shares to be transferred or any near enough number allowed by the share certificates held by ….“Randnummer158

Die zwischen den Parteien unstreitige deutsche Übersetzung der vorstehenden Textpassage aus dem Emailschreiben des Beklagten vom 30.Juli 2020 lautet:Randnummer159

„Ich schlage daher vor, dass die … abzüglich der ungefähr … Aktien übertragen werden, oder eine annähernd ausreichende Zahl, die durch die von … gehaltenen Aktienzertifikate erlaubt ist.“Randnummer160

Insofern lässt sich dem Emailschreiben des Beklagten entnehmen, dass es ihm gerade auch auf die zu den Aktien gehörigen Sammelurkunden bei der Übertragung der Aktien ankam.Randnummer161

Dies wird ebenfalls durch die in dem Emailschreiben befindlichen Anhang „-ppendix 6 Certificates held by …“) bestätigt, in welchem die entsprechenden sechs Sammelurkunden aufgeführt sind.Randnummer162

Ebenfalls in dem Schreiben der Klägerin vom 11. August 2020 (Anlage K 11) ist von „transfer of the … bearer shares“ die Rede. Die Klägerin spricht hingegen ebenfalls nicht von der Abtretung von Mitgliedschaftsrechten, sondern von einer „Übertragung“ oder „Übereignung“ der Aktien.Randnummer163

Hingegen lässt sich dem zwischen den Parteien geführten Schriftverkehr nicht entnehmen, dass über die Abtretung der Mitgliedschaftsrechte gesprochen worden sei, §§ 133, 157 BGB.Randnummer164

Die Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs werden systematisch unterteilt in Vermögensrechte und Verwaltungsrechte. Zu den Verwaltungsrechten gehören insbesondere das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung gemäß §§ 188 Abs. 1 AktG, das Auskunftsrecht gemäß § 131 AktG und das Stimmrecht gemäß 133 ff. AktG (vgl. Rieckers in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4., 5. Auflage 2020, § 17 Rn. 3 ff.).Randnummer165

Gerade im Hinblick darauf, dass die Parteien von der betreffenden Anzahl der „bearer shares“ sprachen, von dem „transfer“ und Bezug nahmen auf die jeweiligen Sammelurkunden, geht die Kammer davon aus, dass es den Parteien gerade auch auf eine dingliche Übergabe der Sammelurkunden ankam und sie eine Übertragung der verbrieften Inhaberaktien gemäß §§ 929 ff. BGB gewollt haben, §§ 133, 157 BGB.Randnummer166

Ein Anspruch auf Übertragung weiterer … A-Aktien besteht seitens der Klägerin vorliegend nicht.Randnummer167

Hierfür müssten die Übertragungsvoraussetzungen entweder gemäß §§ 929 S. 1 und S. 2 BGB oder gemäß §§ 398, 413 BGB gegeben sein.Randnummer168

Im Hinblick darauf, dass die Kammer der Auffassung ist, dass sich aus den Darlehensverträgen direkt keine Einigung unter der aufschiebenden Bedingung ergibt (vgl. oben) fehlt es vorliegend bereits – unabhängig von der Frage, ob eine wirksame „Notification“ gemäß Ziffer 6.3 (b) der Darlehensverträge erfolgt ist –an einer insofern erfolgten Einigung der Parteien.Randnummer169

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.Randnummer170

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

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BAG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21

Donnerstag, 16. Dezember 2021

Kündigungs- und Auflösungsgrund

Der Arbeitgeber trägt auch dann die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund, wenn das betreffende Verhalten des Arbeitnehmers den Tatbestand der üblen Nachrede iSv. § 186 StGB erfüllen würde.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 10. Juni 2021 – 8 Sa 22/20 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten sowie über die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin.Randnummer2

Die Beklagte, bei der ein Betriebsrat gebildet ist, erbringt mit regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmern Dienstleistungen für ihre Alleingesellschafterin, ua. im Bereich Infopoints/Callcenter. Dort war die Klägerin eingesetzt.Randnummer3

Ende März 2019 entschied die Beklagte, die Funktion der Teamleiterin der Infopoints von Frau R auf Frau P zu übertragen. Am 8. April 2019 sandte die Klägerin eine mit „Die Mitarbeiter des Infopoints“ unterzeichnete E-Mail an den Vorstand der Alleingesellschafterin der Beklagten. Darin wurde verlangt, dass Frau R „in der Funktion unserer Teamleitung verbleibt“, unter Frau P gehe es „drunter und drunter“. Nachdem sie von der Geschäftsführung der Beklagten mehrfach aufgefordert worden war, die Vorwürfe zu erläutern und die Urheber der E-Mail zu benennen, nahm die Klägerin mit zwei auf den 28. Mai 2019 datierten Schreiben Stellung, die mit „Die Mitarbeiter des Infopoint“ bzw. „Mehrere Mitarbeiter des Infopoint“ unterzeichnet waren. Dort schilderte sie diverse Vorfälle, ihren Ausgang nehmend im Juni 2017 mit einer Durchsuchung des Infopoints durch den Sicherheitsdienst. In diesem Zusammenhang habe Frau P die Mitarbeiter wegen angeblicher Verstöße gegen das Datenschutzrecht beschimpft sowie dazu aufgefordert, den Vorfall „unter den Teppich zu kehren“ und „Stillschweigen zu bewahren“. Frau P wehre konsequent Meldungen über Fehlverhalten des Sicherheitsdienstes ab.Randnummer4

Die Beklagte kündigte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 27. Juni 2019 zum 30. November 2019.Randnummer5

Dagegen hat sich die Klägerin rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt und ua. die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung geltend gemacht.Randnummer6

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt

        1.    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung vom 27. Juni 2019 nicht aufgelöst worden ist,
        2.    die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen als Mitarbeiterin im Bereich Infopoints/Callcenter weiterzubeschäftigen.

In zweiter Instanz hat die Beklagte hilfsweise zu ihrem Klageabweisungsantrag beantragt,

        das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Festsetzung einer Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen.

Die Beklagte hat die Kündigung ua. damit verteidigt, die Klägerin habe sich mit ihrer Kritik nicht direkt an den Vorstand der Alleingesellschafterin wenden dürfen. Zudem habe sie in den Schreiben vom 28. Mai 2019 bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen ua. über Frau P aufgestellt. Überdies habe sie – wahrheitswidrig – den Eindruck zu erwecken versucht, sämtliche oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoints stünden hinter der E-Mail vom 8. April 2019 sowie den Schreiben vom 28. Mai 2019. Die feindselige Einstellung der Klägerin gegenüber Frau P werde durch einen Vorfall am 31. Mai 2019 verdeutlicht. An diesem Tag sei eine Besprechung für Mitarbeiter des Infopoints anberaumt gewesen. Die Klägerin und Frau R hätten sich bereits im Seminarraum befunden und die abgesperrte Tür trotz intensiven Klopfens durch Frau P nicht geöffnet. Der Auflösungsantrag werde ua. darauf gestützt, dass die Klägerin – als solches unstreitig – im ersten Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung angegeben habe, Frau K sei weitere Urheberin der E-Mail vom 8. April 2019. Überdies habe die Klägerin – als solches wiederum unstreitig – einem Geschäftsführer der Beklagten in einer Verhandlungspause mitgeteilt, sie könne sich zwar nicht mehr an konkrete Daten erinnern, sei jedoch bei Gesprächen dabei gewesen, in denen Frau R – wie von dieser in einem anderen Rechtsstreit behauptet – Frau P über sexuelle Belästigungen ihrer – der Frau R – Tochter durch einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes unterrichtet habe. Solche Gespräche hätten aber zu keiner Zeit stattgefunden.Randnummer9

Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurück- und ihren Auflösungsantrag abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungs- und hilfsweise ihren Auflösungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht weder ihre Berufung gegen das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil zurück- noch den zweitinstanzlich angebrachten Auflösungsantrag abweisen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. Juni 2019 aufgelöst worden ist, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Das führt zur Aufhebung des gesamten Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).Randnummer11

I. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag zu Unrecht mit der Begründung entsprochen, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt.Randnummer12

1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen. Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 75).Randnummer13

2. Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung, ob eine Kündigung durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin geprüft, ob es von den zutreffenden Rechtssätzen ausgegangen ist, bei der Unterordnung des Sachverhalts unter diese keine Denkgesetze oder allgemeinen Erfahrungssätze verletzt und alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 78).Randnummer14

3. Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.Randnummer15

a) Zwar hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei gemeint, der Versand der E-Mail vom 8. April 2019 an den Vorstand der Alleingesellschafterin der Beklagten rechtfertige – vorbehaltlich der darin enthaltenen falschen Angaben zur Urheberschaft – die streitbefangene Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht. Das Landesarbeitsgericht hat seine Annahme, es habe sich insofern nicht um eine so schwere Pflichtverletzung gehandelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die Beklagte nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen war, damit begründet, etwaige Tatsachenbehauptungen in der E-Mail seien derart substanzlos, dass eine für die Beklagte bzw. deren Geschäftsführung nachteilige Reaktion ihrer Alleingesellschafterin und Auftraggeberin – objektiv – nicht zu befürchten gewesen und demgemäß auch ausgeblieben sei. Diese auf die Art, das Ausmaß und die (möglichen) Folgen der Pflichtverletzung bezogenen Erwägungen sind von Rechts wegen nicht zu beanstanden (vgl. BAG 20. Mai 2021 – 2 AZR 596/20 – Rn. 27).Randnummer16

b) Jedoch ist das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft zu der Annahme gelangt, die Klägerin habe durch die von ihr verfassten Schreiben vom 28. Mai 2019 ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht „gravierend“ verletzt. Es hat verkannt, dass hinsichtlich der darin geschilderten Vorgänge nicht bloß die „Wahrnehmung und Bewertung“ durch die Parteien auseinandergeht. Vielmehr soll die Klägerin nach dem Vorbringen der Beklagten bewusst unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben. Das betrifft namentlich – aber nicht allein – ihre Behauptung, Frau P habe im Zusammenhang mit den Vorkommnissen im Juni 2017 Mitarbeiter des Infopoints aufgefordert, den Vorfall „unter den Teppich zu kehren“ und „Stillschweigen zu bewahren“.Randnummer17

c) Zudem fehlt es an jeder Begründung durch das Landesarbeitsgericht, warum in der wahrheitswidrigen Behauptung der Klägerin, es stünden alle oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoints hinter der E-Mail vom 8. April 2019 und den Schreiben vom 28. Mai 2019, keine besonders schwere, unmittelbar den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdende Pflichtverletzung lag. Das ist jedenfalls in Bezug auf die Schreiben vom 28. Mai 2019 nicht offenkundig. Denn diese enthalten konkrete, weiteren Verfassern zugeschriebene Tatsachenbehauptungen und wurden erst versandt, nachdem die Beklagte durch die Bitte um Konkretisierung klar gemacht hatte, dass es ihr auch auf die (Zahl der) Urheber ankomme.Randnummer18

d) Hinsichtlich des Vorfalls am 31. Mai 2019 geht das Berufungsgericht von einem allenfalls „unkollegialen“ Verhalten der Klägerin aus, das „eine Kündigung – erst recht ohne vorherige Abmahnung – nicht rechtfertigen könnte“. Dem lässt sich schon nicht entnehmen, ob das Landesarbeitsgericht das von der Beklagten behauptete Verhalten der Klägerin gar nicht als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung bewertet oder zwar eine Pflichtwidrigkeit annimmt, dieser aber nur ein geringes Gewicht beimisst. Jedenfalls lässt sich nicht ersehen, dass das Berufungsgericht die Behauptung der Beklagten – als unbestritten oder als wahr unterstellt – in seine Würdigung einbezogen hat, die Klägerin und Frau R hätten die Tür zum Seminarraum „abgesperrt“, also wohl von innen verschlossen, was ggf. als gezielte Obstruktion/Provokation und damit als eine – in ihrer Schwere zu würdigende – gemeinschaftlich begangene Pflichtverletzung zu verstehen gewesen sein dürfte.Randnummer19

e) Die vorstehend aufgezeigten Rechtsfehler setzen sich in der vom Landesarbeitsgericht abschließend vorgenommenen „Gesamtwürdigung“ fort. Soweit das Berufungsgericht dort auf den zuvor beanstandungsfreien Bestand des Arbeitsverhältnisses und dessen „Restlaufzeit“ (wohl) bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze durch die Klägerin abstellt, handelt es sich um Umstände, die bei der Prüfung der Entbehrlichkeit einer vorherigen Abmahnung unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Schwere der betreffenden Pflichtverletzung(en) außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BAG 20. Mai 2021 – 2 AZR 596/20 – Rn. 27).Randnummer20

II. Nach alledem stellt sich auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts als rechtsfehlerhaft dar, der Auflösungsantrag der Beklagten sei zur Entscheidung angefallen. Dessen ungeachtet hätte es ihn mit der gegebenen Begründung nicht abweisen dürfen.Randnummer21

1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Als Auflösungsgründe kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, Leistung oder Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet (BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 16, BAGE 163, 36).Randnummer22

2. Bei der Beurteilung des in § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG normierten Auflösungsgrundes geht es um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Die Wertung, ob es im Einzelfall gerechtfertigt ist, das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag verkannt und bei der Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 14, BAGE 163, 36).Randnummer23

3. Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab genügt das Urteil des Landesarbeitsgerichts in mehreren Punkten nicht.Randnummer24

a) Zwar ist seine Annahme frei von Rechtsfehlern, aus einem am 21. Juni 2019 geführten Telefonat der Klägerin mit einem Geschäftsführer der Beklagten ergebe sich kein Auflösungsgrund. Diese Würdigung wird auch von der Revision nicht angegriffen.Randnummer25

b) Doch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft gemeint, die Behauptung der Klägerin im Rechtsstreit, (einzige) Miturheberin der E-Mail vom 8. April 2019 sei Frau K, vermöge die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen, weil sie den möglichen Unrechtsgehalt der Pflichtverletzung nicht ausreichend erhöhe.Randnummer26

aa) Es ist schon nicht ersichtlich, dass das Landesarbeitsgericht bei dieser Bewertung von der Rechtsprechung des Senats ausgegangen ist, wonach bewusst wahrheitswidriger Prozessvortrag des Arbeitnehmers in einem Kündigungsrechtsstreit, den dieser hält, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den prozess zu verlieren, geeignet ist, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen (vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 25, BAGE 163, 36), und mögliche vorgerichtliche Lügen ihn nicht von der ihm im Rechtsstreit gemäß § 241 Abs. 2 BGB, § 138 Abs. 1 ZPO obliegenden Pflicht entbinden, wahrheitsgemäß vorzutragen (vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 27, aaO).Randnummer27

bb) Jedenfalls hat das Berufungsgericht verkannt, dass die Klägerin im prozess nicht „nur“ ihre unwahre vorgerichtliche Behauptung wiederholt hat, es hätten sämtliche Mitarbeiter des Infopoints hinter der E-Mail vom 8. April 2019 gestanden, sondern dass sie erstmals gezielt Frau K als weitere Urheberin angeführt hat. Damit hat die Klägerin nicht „bloß“ eine „pauschale Verfasserlüge“ aufrechterhalten, sondern sie an die Vorhalte der Beklagten im Rechtsstreit angepasst und auf Frau K konkretisiert (vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 34, BAGE 163, 36), die damit in den Fokus der Beklagten gerückt wurde. Zumindest darin läge ein Auflösungsgrund iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, wenn davon auszugehen sein sollte, Frau K sei an der E-Mail nicht beteiligt gewesen.Randnummer28

c) Außerdem hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft gemeint, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin wahrheitswidrig behauptet habe, bei mehreren Gesprächen zugegen gewesen zu sein, in denen Frau R die Frau P über (vermeintliche) sexuelle Belästigungen ihrer – der Frau R – Tochter durch einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes unterrichtet habe.Randnummer29

aa) Allerdings hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, die Beklagte trage die primäre Darlegungs- und die Beweislast dafür, dass eine entsprechende Information der Zeugin P nicht erfolgt ist.Randnummer30

(1) An dem Grundsatz, dass den Arbeitgeber nicht nur die primäre Darlegungs-, sondern ggf. auch die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund trifft, ändert es zum einen nichts, dass das fragliche Verhalten des Arbeitnehmers zugleich den Tatbestand der üblen Nachrede iSv. § 186 StGB erfüllen könnte (vgl. BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 28 und 43; ErfK/Niemann 22. Aufl. BGB § 626 Rn. 236; aA Ascheid Beweislastfragen im Kündigungsschutzprozess S. 140 ff.; ErfK/Oetker KSchG § 1 Rn. 208). Das gilt schon deshalb, weil die strafrechtliche Beurteilung des inkriminierten Verhaltens für die kündigungs- bzw. auflösungsrechtliche Bewertung nach § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 1 KSchG ohne Belang ist (vgl. BAG 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 75, BAGE 165, 255; 23. August 2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 44).Randnummer31

(2) Zum anderen verschiebt sich die Beweislast nicht deshalb, weil es um den Beweis einer negativen Tatsache geht. Eine solche Beweisführung unterliegt zwar für die beweisbelastete Partei im Allgemeinen besonderen Anforderungen. Doch ist den Schwierigkeiten, denen sich die Partei gegenübersieht, die das Negativum (das Nichtvorliegen einer Tatsache) beweisen muss, im Rahmen des Zumutbaren regelmäßig dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner auf die bloße Behauptung des Negativen durch den primär Darlegungs- und Beweispflichtigen seinerseits nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen darf, sondern im Rahmen einer sekundären Darlegungslast vortragen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprechen. Dem Beweispflichtigen obliegt sodann (nur) der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft (vgl. BAG 26. Juni 2019 – 5 AZR 178/18 – Rn. 15, BAGE 167, 144; BGH 15. August 2019 – III ZR 205/17 – Rn. 19; 7. März 2019 – IX ZR 221/18 – Rn. 31; 4. Oktober 2018 – III ZR 213/17 – Rn. 15; 24. Juli 2018 – II ZR 305/16 – Rn. 11). Dieser Nachweis kann von der beweisbelasteten Partei auch mithilfe von Indizien erbracht werden (vgl. OLG KoblenzBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Koblenz
14. Januar 2010 – 10 U 411/09 -; allgemein zum Indizienbeweis BAG 11. Juni 2020 – 2 AZR 442/19 – Rn. 63, BAGE 171, 66)
.Randnummer32

bb) Das Landesarbeitsgericht hat danach rechtsfehlerhaft angenommen, die Klägerin sei der sie treffenden sekundären Darlegungslast in ausreichendem Maß nachgekommen.Randnummer33

(1) Bei der sekundären Darlegungslast der Partei, die eine negative Tatsache bestreitet, handelt es sich um eine eigenständige prozessuale Rechtsfigur. Dem Prozessgegner ist es schlechterdings nur erlaubt, das Vorliegen einer negativen Tatsache zu Bestreiten, wenn er aus eigener Kenntnis oder aufgrund von Nachforschungen das von ihm behauptete Geschehen in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht substantiiert darlegen kann. Ist er dazu nicht in der Lage, trifft ihn die gleiche prozessuale Folge, die sonst einen Anspruchsteller trifft, der nicht alle Tatbestandsmerkmale einer einschlägigen Anspruchsgrundlage dartun kann: Zu seinem Nachteil ist dann davon auszugehen, dass die im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu schildernde (positive) Tatsache nicht vorliegt (vgl. BGH 8. Januar 2019 – II ZR 139/17 – Rn. 34; 10. Februar 2011 – IX ZR 45/08 – Rn. 2; OLG Celle 22. September 2016 – 11 U 13/16 – zu II 1 c dd (2) der Gründe; KG Berlin 13. Juli 2009 – 24 U 81/08 – zu II A 1 g der Gründe).Randnummer34

(2) Im Streitfall hat die Klägerin die angeblich in ihrem Beisein erfolgten Unterrichtungen der Zeugin P über Vorwürfe der sexuellen Belästigung nicht in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht und damit nicht ausreichend iSv. § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO substantiiert. Keiner Entscheidung bedarf es, ob das betreffende Vorbringen von Frau R in einem zwischen ihr und der Beklagten geführten Rechtsstreit ausreichend konkret war. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Vortrag verfahrensfehlerhaft zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gemacht. Die Klägerin hat sich den Vortrag von Frau R in „ihrem“ Verfahren gerade nicht zu eigen gemacht, sondern vielmehr bis zuletzt daran festgehalten, sie könne keine Einzelheiten angeben. In der Folge hätte das Landesarbeitsgericht nicht in eine Beweisaufnahme eintreten dürfen, sondern vielmehr das Vorbringen der Beklagten nach § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO als zugestanden ansehen müssen, die Zeugin P sei nie über die streitgegenständlichen Vorwürfe der sexuellen Belästigung informiert worden.Randnummer35

III. Aufgrund der bisher vom Landesarbeitsgericht nur unzureichend getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend über den vorrangigen Kündigungsschutzantrag entscheiden. Das führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch in Bezug auf den Auflösungsantrag der Beklagten und den Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.Randnummer36

IV. Für das fortgesetzte Berufungsverfahren sind folgende weitere Hinweise veranlasst:Randnummer37

1. Die streitbefangene Kündigung könnte vor allem dann aus Gründen im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein, wenn die Schreiben vom 28. Mai 2019 bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen ua. zulasten von Frau P enthielten und die Klägerin wahrheitswidrig vorgespiegelt haben sollte, alle oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoints stünden hinter diesen Behauptungen. Dabei könnte es auch bedeutsam sein, ob die Klägerin auf die Mitteilung der Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 6. Juni 2019, man sehe in der E-Mail vom 8. April 2019 einen „kündigungsrelevanten Sachverhalt“, das Schreiben vom 28. Mai 2019 nochmals mit der (einzigen) Änderung versandt hat, dass sie es statt mit „Die Mitarbeiter des Infopoint“ mit „Mehrere Mitarbeiter des Infopoint“ unterzeichnet hat. In diesem Fall dürfte die Klägerin ihr Bewusstsein offenbart haben, dass in einer – gleichwohl „abgeschwächt“ fortgesetzten – „Urheberlüge“ eine erhebliche Pflichtverletzung liegt.Randnummer38

2. Die Frage, ob eine unmittelbar kündigungsbegründende Pflichtverletzung vorlag, weil die Klägerin sich am 31. Mai 2019 gemeinsam mit Frau R im Seminarraum eingeschlossen und die Tür (selbst) auf ein Klopfen der Zeugin P nicht geöffnet hat, könnte dahinstehen, wenn die Beklagte diesen Sachverhalt gegenüber dem bei ihr gebildeten Betriebsrat nicht als „eigenen“ Grund für die beabsichtigte Kündigung iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG angeführt haben sollte. Dann könnte sie sich hierauf auch im vorliegenden Rechtsstreit nicht als solchen berufen.Randnummer39

3. Sollte die Kündigung sich aufgrund eines betriebsverfassungsrechtlich verwertbaren Sachverhalts als sozial gerechtfertigt erweisen, wird das Landesarbeitsgericht prüfen müssen, ob sie gleichwohl wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist (zur Unterscheidung vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 37, BAGE 163, 36).Randnummer40

4. Der Auflösungsantrag der Beklagten nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG fällt nur zur Entscheidung an, wenn das Berufungsgericht die Kündigung allein wegen ihrer mangelnden sozialen Rechtfertigung – und nicht auch gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG – für rechtsunwirksam befinden sollte. Andernfalls wäre der Auflösungsantrag schon „unstatthaft“ (vgl. BAG 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 25; 24. November 2011 – 2 AZR 429/10 – Rn. 19, BAGE 140, 47).Randnummer41

a) Nach dem bisherigen Vorbringen der Klägerin ist die Behauptung der Beklagten nach § 138 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, Frau R habe die Zeugin P nicht über Vorwürfe der sexuellen Belästigung unterrichtet (Rn. 34). Derzeit ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Klägerin die Unwahrheit ihrer gegenteiligen Behauptung nicht bewusst gewesen wäre (vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 30, BAGE 163, 36).Randnummer42

b) Des Weiteren wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit wahrheitswidrig Frau K als weitere Urheberin der E-Mail vom 8. April 2019 benannt hat. Über diese Behauptung der Beklagten wäre – nur – Beweis zu erheben, wenn die Klägerin im Rahmen einer sekundären Darlegungslast den „Urheberbeitrag“ von Frau K (als Positivum gegenüber dem von der Beklagten behaupteten Negativum) substantiiert darlegen sollte.Randnummer43

c) Falls die Beklagte den Vorfall am 31. Mai 2019 gegenüber dem Betriebsrat nicht als „eigenständigen“ Kündigungsgrund angeführt haben sollte, hinderte sie dies gleichwohl nicht, diesen Sachverhalt im Rahmen ihres Auflösungsantrags zu verwerten (vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 37, BAGE 163, 36; 10. Oktober 2002 – 2 AZR 240/01 – zu B III 1 b der Gründe, BAGE 103, 100).Randnummer44

d) Bei der Bemessung einer etwaig nach den Vorgaben von § 10 KSchG festzusetzenden Abfindung wird das Landesarbeitsgericht ua. zu berücksichtigen haben, dass die ordentliche Kündigung jedenfalls nicht grob sozialwidrig war und die Klägerin, sollte die Kammer annehmen, sie – die Klägerin – habe bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufgestellt, ein ganz erhebliches „Auflösungsverschulden“ träfe. Dieses wäre ggf. abfindungsmindernd zu berücksichtigen (vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 38, BAGE 163, 36).Randnummer45

e) Sollte das Landesarbeitsgericht hingegen nicht nach § 138 bzw. § 286 ZPO vom Vorliegen einer die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigenden „Tat“ der Klägerin ausgehen, hätte es auf eine Klarstellung hinzuwirken, inwieweit sich die Beklagte hilfsweise auf den dringenden Verdacht eines die Auflösung rechtfertigenden Verhaltens der Klägerin stützt (zu dieser Möglichkeit und den – hohen – Anforderungen vgl. BVerfG 15. Dezember 2008 – 1 BvR 347/08 – zu II 1 a der Gründe).Randnummer46

5. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt als unechter Hilfsantrag nur zur Entscheidung an, wenn dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben und der Auflösungsantrag abgewiesen werden sollte (vgl. BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 434/13 – Rn. 55).

Schlagworte: Auflösungsverschulden

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BAG, Urteil vom 30. November 2021 – 9 AZR 225/21

Dienstag, 30. November 2021

Kürzung des Urlaubsanspruchs wegen KurzarbeitUrlaubsberechnung bei Kurzarbeit

§ 3 Abs. 1 BUrlG

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. März 2021
– 6 Sa 824/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Gründe

Fallen aufgrund von Kurzarbeit einzelne Arbeitstage vollständig aus, ist dies bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist bei der Beklagten drei Tage wöchentlich als Verkaufshilfe mit Backtätigkeiten beschäftigt. Bei einer Sechstagewoche hätte ihr nach dem Arbeitsvertrag ein jährlicher Erholungsurlaub von 28 Werktagen zugestanden. Dies entsprach bei einer vereinbarten Dreitagewoche einem Urlaubsanspruch von 14 Arbeitstagen.

Aufgrund Arbeitsausfalls durch die Corona-Pandemie führte die Beklagte Kurzarbeit ein. Dazu trafen die Parteien Kurzarbeitsvereinbarungen, auf deren Grundlage die Klägerin ua. in den Monaten April, Mai und Oktober 2020 vollständig von der Arbeitspflicht befreit war und in den Monaten November und Dezember 2020 insgesamt nur an fünf Tagen arbeitete.

Aus Anlass der kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfälle nahm die Beklagte eine Neuberechnung des Urlaubs vor. Sie bezifferte den Jahresurlaub der Klägerin für das Jahr 2020 auf 11,5 Arbeitstage. Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. Sie hat den Standpunkt eingenommen, kurzarbeitsbedingt ausgefallene Arbeitstage müssten urlaubsrechtlich wie Arbeitstage gewertet werden. Die Beklagte sei daher nicht berechtigt gewesen, den Urlaub zu kürzen. Für das Jahr 2020 stünden ihr weitere 2,5 Urlaubstage zu.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere 2,5 Arbeitstage Erholungsurlaub für das Kalenderjahr 2020. Nach § 3 Abs. 1 BUrlG beläuft sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche auf 24 Werktage. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, ist die Anzahl der Urlaubstage grundsätzlich unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus zu berechnen, um für alle Arbeitnehmer eine gleichwertige Urlaubsdauer zu gewährleisten (24 Werktage x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).* Dies gilt entsprechend für den vertraglichen Mehrurlaub, wenn die Arbeitsvertragsparteien – wie im vorliegenden Fall – für die Berechnung des Urlaubsanspruchs keine von § 3 Abs. 1 BUrlG abweichende Vereinbarung getroffen haben.

Bei der vertraglichen Dreitagewoche der Klägerin errechnete sich zunächst ein Jahresurlaub von 14 Arbeitstagen (28 Werktage x 156 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage). Der kurzarbeitsbedingte Ausfall ganzer Arbeitstage rechtfertigte eine unterjährige Neuberechnung des Urlaubsanspruchs. Aufgrund einzelvertraglich vereinbarter Kurzarbeit ausgefallene Arbeitstage sind weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen. Der Urlaubsanspruch der Klägerin aus dem Kalenderjahr 2020 übersteigt deshalb nicht die von der Beklagten berechneten 11,5 Arbeitstage. Allein bei Zugrundelegung der drei Monate, in denen die Arbeit vollständig ausgefallen ist, hätte die Klägerin lediglich einen Urlaubsanspruch von 10,5 Arbeitstagen (28 Werktage x 117 Tage mit Arbeitspflicht geteilt durch 312 Werktage).

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I Kurzarbeit – Berechnung des Jahresurlaubs I Erfurt I Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, 2021

Schlagworte: Kurzarbeit - Berechnung des Jahresurlaubs, Kürzung Urlaubsanspruch

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