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OLG Hamburg, Urteil vom 16.09.2019 – 11 U 233/18

§ 15 Abs 3 GmbHG, § 15 Abs 4 S 1 GmbHG

Fraglich ist, ob eine Verpflichtung zur dauerhaften Nichtausübung sämtlicher Gesellschafterrechte – wie der Informations-, Stimm- oder Gewinnbezugsrechte – überhaupt wirksam erklärt werden kann. Zumindest wäre eine entsprechende privatschriftliche Vereinbarung eine unzulässige Umgehung der Formanforderungen des § 15 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 GmbHG.

Tenor

Das Versäumnisurteil vom 24. Juni 2019 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass sich seine vorläufige Vollstreckbarkeit nach diesem Urteil bemisst.

Die Klägerin hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Dieses Urteil und das Versäumnisurteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.Randnummer2

Ergänzend hierzu wird festgestellt:Randnummer3

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit einer Beteiligung der Klägerin an einer GmbH über Ansprüche der Klägerin aus einer privatschriftlichen Vereinbarung.Randnummer4

Die Parteien sind mit zwei weiteren Mitgesellschaftern Gesellschafter der im Jahr 2012 mit einem Stammkapital von € 25.000,00 gegründeten S… S… G…-L… GmbH. Vor dem Hintergrund von Streitigkeiten im Kreis der Gesellschafter und dem seit geraumer Zeit bestehenden Wunsch der Klägerin, aus der Gesellschaft auszutreten, trafen unter Hinzuziehung eines pakistanischen Streitschlichters der hinsichtlich der Gesellschaftsbeteiligung von der Klägerin bevollmächtigte Ehemann der Klägerin, der Beklagte sowie der Vater S… B… des weiteren Mitgesellschafters Q… B… am 21. April 2016 eine privatschriftliche, auf Urdu verfasste Vereinbarung (Anlage K 1, nebst beglaubigter Übersetzung der Übersetzerin I… vom 17. Oktober 2016) mit unter anderem dem folgenden Inhalt:Randnummer5

„Wir werden in Zukunft nicht mehr darüber debattieren und niemand wird dafür verantwortlich sein. Jegliche Belange sind mit diesem Schriftstück beendet.Randnummer6

Die Verbindlichkeiten sind auch schriftlich erwähnt.Randnummer7

Der festgelegte Betrag von 28.000,00 € werden Herr S… B… und A… an M… K… komplett bezahlen.Randnummer8

Die Zahlung muss bis zum 30.08.2016 beglichen werden.Randnummer9

Herr S… B… und Herr M… A… B… sind allein für das Unternehmen verantwortlich, und sobald M… K… den Betrag erhält und diesen Vertrag unterzeichnet, ist er von der Unternehmung ausgeschieden.“Randnummer10

Im Januar 2017 ist die S… S… G…-L… GmbH wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Handelsregister gelöscht worden.Randnummer11

Die Klägerin hat am 4. August 2017 gegen den Beklagten Klage erhoben, mit der sie ihren vermeintlichen Zahlungsanspruch aus der Vereinbarung vom 21. April 2016 geltend macht. Sie hat behauptet, es seien aufgrund dieser Vereinbarung keinerlei Zahlungen an sie erfolgt. In dieser Vereinbarung sei die Zahlung einer hinsichtlich Höhe und Fälligkeit verbindlichen Abfindung für ihr Ausscheiden aus der Gesellschaft geregelt worden, einer notariellen Beurkundung habe dies nach ihrem Verständnis nicht bedurft.Randnummer12

Die Klägerin hat beantragt,Randnummer13

den Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie € 28.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 31. August 2016 sowie vorgerichtliche anwaltliche Kosten in Höhe von € 1.564,26 zu zahlen.Randnummer14

Der Beklagte hat beantragt,Randnummer15

die Klage abzuweisen.Randnummer16

Er hat geltend gemacht, dass die Vereinbarung vom 21. April 2016 gemäß § 15 Abs. 3 GmbHG formbedürftig gewesen wäre und deshalb nichtig sei. Im Übrigen habe die Klägerin sich nicht an getroffene Nebenabreden gehalten, auch deshalb sei die Vereinbarung nichtig.Randnummer17

Mit Urteil vom 17. September 2018 hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vereinbarung vom 21. April 2016 über das Ausscheiden der Klägerin aus der S… S… G…-L… GmbH wirksam sei, einer notariellen Beurkundung habe diese Vereinbarung, die nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme abschließend und endgültig hätte sein sollen, deshalb nicht bedurft, weil sie sich zu einer Rückübertragung der Gesellschaftsanteile inhaltlich nicht verhalten habe.Randnummer18

Gegen dieses ihm am 20. September 2018 zugestellte Urteil hat der Beklagte am Montag, dem 22. Oktober 2018 Berufung eingelegt und diese nachfolgend mit am 20. November 2018 eingegangener Berufungsbegründung begründet.Randnummer19

Er meint, bei der in Rede stehenden Vereinbarung, deren zutreffende Übersetzung er entgegen der Auffassung des Landgerichts im Übrigen von vornherein bestritten habe, habe es sich um einen konnexen Vertrag gehandelt, durch den gegen Zahlung des Betrags von € 28.000,00 das Ausscheiden der Klägerin aus der Gesellschaft vereinbart werden sollte. Dieser Vertrag sei indes überhaupt nicht durchführbar, weil die Vereinbarung unter anderem nicht berücksichtigt habe, dass etwa der weitere Mitgesellschafter A… I… bei der Beschlussfassung gar nicht beteiligt gewesen sei. Im Übrigen könne mit Blick auf die zwischenzeitliche Liquidation der S… S… G…-L… GmbH die Klägerin ihre konnexe Verpflichtung zur Übertragung ihrer Gesellschaftsanteile gar nicht mehr erfüllen, weshalb auch die Geschäftsgrundlage weggefallen sei. In diesem Zusammenhang habe das Landgericht zugleich übersehen, dass auch die Verpflichtung eines Gesellschafters zur Abtretung seines Gesellschaftsanteils der notariellen Beurkundung bedürfe, weil diese Verpflichtung gerade das Synallagma für das Zahlungsversprechen dargestellt habe.Randnummer20

Darüber hinaus erklärt der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit ihm gegenüber der Klägerin zustehenden Gegenforderungen. Die mit der Berufungsbegründung insoweit zugleich in Höhe von € 1.000,00 erhobene Widerklage hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 29. April 2019 wieder zurückgenommen.Randnummer21

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2019 ist die Klägerin säumig gewesen, weswegen auf Antrag des Beklagten auf dessen Berufung ein die Klage abweisendes Versäumnisurteil ergangen ist. Gegen dieses ihr am 1. Juli 2019 zugestellte Versäumnisurteil hat die Klägerin mit am 15. Juli 2019 eingegangener Einspruchsschrift Einspruch erhoben.Randnummer22

Die Klägerin hält daran fest, dass mit Blick auf ihre bereits seit längerer Zeit bestehende Absicht, aus der Gesellschaft auszuscheiden, die Vereinbarung vom 21. April 2016 „das letzte Wort darstellen“ sollte und sie mit dem weiteren Geschäft nichts mehr zu tun haben wollte. Eine Verpflichtung zur Abtretung der Gesellschaftsanteile sei mit dieser Vereinbarung gleichwohl nicht begründet worden, es sei von ihr vielmehr im Gegenzug zur Zahlung der vergleichsweisen Abfindungssumme der Rückzug aus dem operativen Geschäft zugesagt worden, womit die Wortlautgrenze der Vereinbarung erreicht sei. In gleicher Weise sei zuvor auch bereits mit dem weiteren Gründungsgesellschafter A… I… verfahren worden, der zu Gunsten der Mitgesellschafter auf seine Gesellschafterrechte verzichtet habe, ohne seine Gesellschafterstellung formal aufgegeben zu haben.Randnummer23

Die Klägerin beantragt,Randnummer24

das Versäumnisurteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 24. Juni 2019, Az. 11 U 233/18, aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.Randnummer25

Der Beklagte beantragt,Randnummer26

das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

II.

Aufgrund des zulässigen Einspruchs der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 24. Juni 2019 ist der Rechtsstreit gemäß §§ 342, 525 Satz 1 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand.Randnummer28

Die danach erneut vorzunehmende Entscheidung über die ihrerseits zulässige Berufung des Beklagten führt dazu, dass das die Klage abweisende Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten ist, §§ 343 Satz 1, 525 Satz 1 ZPO.Randnummer29

1. Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten aufgrund der Vereinbarung vom 21. April 2016 ein Zahlungsanspruch nicht zu.Randnummer30

a) Ausgehend von dem klagebegründenden Vorbringen der Klägerin, sie habe gegen Zahlung des Betrags in Höhe von € 28.000,00 aus der S… S… G…-L… GmbH Ausscheiden sollen, stellt sich die Vereinbarung vom 21. April 2016 als gemäß § 15 Abs. 3 bzw. Abs. 4 Satz 1 GmbHG formbedürftig dar.Randnummer31

Die der Vereinbarung vom 21. April 2016 ersichtlich zu Grunde liegende Vorstellung der Beteiligten, die Klägerin könne aus der S… S… G…-L… GmbH durch privatschriftliche Vereinbarung schlicht Ausscheiden, findet weder in der Satzung der S… S… G…-L… GmbH noch im GmbHG eine Grundlage.Randnummer32

Die Satzung der S… S… G…-L… GmbH (Anlage K 3) sieht in ihrem § 5 Nr. 3 lediglich die Kündigung eines Gesellschafters bei gleichzeitigem Angebot zur Übertragung der Geschäftsanteile an die verbleibenden Gesellschafter und für den Fall, dass dieses Angebot nicht angenommen wird, die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vor. Diese Regelung weicht von der dem seitens der Klägerin in Bezug genommenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 2003 (- II ZR 326/01 -, ZIP 2003, 1544 ff.) zu Grunde liegenden Fallgestaltung, in der für den Fall der Kündigung eines Gesellschafters die unmittelbare Anwachsung dessen Geschäftsanteils zu Gunsten der verbleibenden Gesellschafter statutarisch vorgesehen war, ersichtlich ab.Randnummer33

Dem in § 7 Nr. 1 der Satzung der S… S… G… L… GmbH vorgesehenen Verlust der Gesellschafterstellung aufgrund eines Einziehungsbeschlusses steht vorliegend schon der Umstand entgegen, dass hiernach die freiwillige Einziehung eines Geschäftsanteils nicht vorgesehen und überdies der Gesellschafter A… I… an einer entsprechenden Beschlussfassung nicht beteiligt gewesen ist. Da die Voraussetzungen für eine Beschlussfassung über die Ausschließung der Klägerin als Gesellschafterin der S… S… G…-L… GmbH vorliegend ebenfalls nicht zu erkennen sind, hätte das von den Beteiligten der Vereinbarung vom 21. April 2016 beabsichtigte Ausscheiden der Klägerin aus der S… S… G…-L… GmbH hiernach aber lediglich im Wege der gemäß § 15 Abs. 3 GmbHG formbedürftigen Abtretung des von der Klägerin gehaltenen Geschäftsanteils erreicht werden können.Randnummer34

b) Soweit die Klägerin dem in Ansehung des gerichtlichen Hinweises in der Terminsverfügung vom 15. April 2019 und in Abweichung von ihrem bisherigen Vorbringen nunmehr entgegenhält, die Vereinbarung vom 21. April 2019 habe gar nicht auf die formelle Beendigung ihrer Stellung als Mitgesellschafterin gezielt, sondern sich vielmehr darin erschöpft, dass sie und ihr Ehemann sich aus der aktiven Beteiligung und aus dem operativen Geschäft der S… S… G…-L… GmbH zurückzögen und auf die Gesellschafterrechte dauerhaft verzichteten, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung.Randnummer35

Es bestehen insoweit schon durchgreifende Bedenken dagegen, dass die Verpflichtung zur dauerhaften Nichtausübung sämtlicher Gesellschafterrechte, also beispielsweise der Informations-, Stimm- oder Gewinnbezugsrechte, überhaupt wirksam erklärt werden kann. Soweit sie, wie die Klägerin dies mit Blick auf die Vereinbarung vom 21. April 2016 geltend macht, als endgültige Regelung zu verstehen sein sollte, wäre eine solche privatschriftlich getroffene Verständigung, die dem Verlust der Gesellschafterstellung wirtschaftlich entspricht, aber jedenfalls als unzulässige Umgehung der Formanforderungen des § 15 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 GmbHG zu beurteilen.Randnummer36

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Durch die seitens des Beklagten im Berufungsrechtszug erhobene Widerklage sind Mehrkosten nicht entstanden.Randnummer37

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO.Randnummer38

Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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