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BGH, Urteil vom 29. März 1996 – II ZR 263/94

Ergebnisverwendung

HGB §§ 119, 161, 238, 243, 249, 252, 253

a) Die Aufstellung der Jahresbilanz fällt in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der geschäftsführenden Gesellschafter. Ihre Feststellung ist ein Grundlagengeschäft, das vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung im Gesellschaftsvertrag des Einverständnisses aller Gesellschafter – bei der KG auch der Kommanditisten – bedarf. Ist dieses Recht der Kommanditisten nach dem Gesellschaftsvertrag einem aus ihnen gebildeten Beirat übertragen, bedarf die Bilanzfeststellung der Zustimmung der geschäftsführenden Gesellschafter und des Beirates, der seinen Willen mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelung nach dem Mehrheitsprinzip bildet.

b) Bilanzierungsmaßnahmen, die der Darstellung der Lage des Vermögens des Unternehmens im Sinne des § 238 Abs. 1 S. 2 HGB dienen, können von den geschäftsführenden Gesellschaftern durchgeführt werden. Sie haben dabei die Grenzen, die sich aus den gesetzlichen Regeln einschließlich der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ergeben, zu beachten. Den übrigen Gesellschaftern steht das Recht auf Prüfung zu, ob diese Grenzen eingehalten worden sind.

c) Bilanzierungsentscheidungen, die der Sache nach Ergebnisverwendungen sind, wie die Bilanz offener Rücklagen, die Bildung zusätzlicher Abschreibungen nach § 253 Abs. 4 HGB, die Bildung von Aufwandsrückstellungen nach §§ 249 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 HGB sowie die Bildung steuerlicher Sonderabschreibungen, können grundsätzlich nur durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich getroffen werden, soweit der Gesellschaftsvertrag keine anderweitige Regelung enthält. Die Entscheidung über die Ergebnisverwendung steht nicht im Belieben eines jeden Gesellschafters. Vielmehr sind die Ausschüttungsinteressen der einzelnen Gesellschafter gegenüber dem Bedürfnis der Selbstfinanzierung und Zukunftssicherung der Gesellschaft abzuwägen.

Zu der Ergebnisverwendung sind die nach dem Gesellschaftsvertrag oder einem entsprechenden Gesellschafterbeschluß vorgesehenen offenen Rücklagen zu rechnen. Für ihre Einstellung in die Bilanz sind grundsätzlich sämtliche Gesellschafter zuständig (Priester in FS Quack aaO, S. 386; BeckBilKomm/Budde/Raff aaO, § 268 HGB Rdn. 2; Schlegelberger/Martens, HGB, 5. Aufl., § 120 Rdn. 17; Woltmann, WPg 1985, 275, 277). Für die Bildung notwendiger offener Rücklagen reicht jedoch, wie der Senat bereits entschieden hat, ein Gesellschafterbeschluß mit vertragsändernder Mehrheit aus (BGH, Urt. v. 10. Mai 1976 – II ZR 180/74, BB 1976, 948, 949). Des weiteren gehören zur Ergebnisverwendung die zusätzlichen Abschreibungen nach § 253 Abs. 4 HGB – sog. stille Reserven – (vgl. Priester in FS Quack aaO, S. 386; wohl auch Baumbach/Hopt aaO, § 164 Rdn. 3; vgl. auch Schulze-Osterloh, ZHR 150 1986 , 403, 417 m.w.N.). Auch die Bildung stiller Reserven setzt als bilanzrechtliches Grundlagengeschäft mangels einer abweichenden Regelung im Gesellschaftsvertrag die Zustimmung aller Gesellschafter voraus (Heymann/Emmerich aaO, § 120 Rdn. 18; Priester in FS Quack aaO, S. 385 f.; wohl auch Woltmann, WPg 1985, 275, 276; offengelassen in BGH, Urt. v. 10. Mai 1976 – II ZR 180/74, BB 1976, 948, 949). Die Bildung von Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 HGB ist der Ergebnisverwendung ebenfalls zuzurechnen. Diese der Vorsorge für künftige Aufwendungen (vgl. Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh aaO, § 42 Rdn. 196; Mayer-Wegelin in Küting/Weber aaO, § 249 HGB Rdn. 70; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl., § 29 Rdn. 13 f.; Scholz/Crezelius, GmbHG, 8. Aufl., Anh. § 42 a Rdn. 204) dienenden Rückstellungen haben die Funktion offener Rücklagen (vgl. Schulze-Osterloh, ZHR 150 <1986>, 403, 424; ähnl. Adler/Düring/Schmaltz aaO, 5. Aufl., § 249 Rdn. 137: Nähe zur Rücklagenbildung als Gewinnverwendungsmaßnahme; Welf Müller, ZGR 1981, 126, 142: Bildung von Aufwandsrückstellungen reicht „weit in dem Bereich der Gewinnverwendung hinüber“; Siegel, BB 1986, 841, 843: „Inhaltlich eine Gewinnverwendung“). Steuerliche Abschreibungen, die als Sonderabschreibungen oder als erhöhte Abschreibungen über die handelsrechtlich zulässigen hinausgehen, sind ebenfalls als Ergebnisverwendungen anzusehen. Sowohl wegen der Steuerfolgen für die einzelnen Gesellschafter als auch wegen des Haftungsrisikos muß es der Gesamtheit der Gesellschafter vorbehalten bleiben, über die Ausübung steuerlicher Wahlrechte mit Wirkung für die Handelsbilanz zu entscheiden.

Auch die Entscheidung über die Ergebnisverwendung steht nicht im Belieben eines jeden Gesellschafters. Vielmehr sind die Ausschüttungsinteressen der einzelnen Gesellschafter gegenüber den Bedürfnissen der Selbstfinanzierung und Zukunftssicherung der Gesellschaft abzuwägen (Großfeld, WPg 1987, 698, 707; BeckBilKomm/Ellrott/Schramm/Bail aaO, § 253 HGB Rdn. 654). Ein allgemeiner Vorrang der Thesaurierungsinteressen der Gesellschaft vor den Ausschüttungs- und Entnahmeinteressen der Gesellschafter besteht nicht (vgl. für die Bildung stiller Reserven Heymann/Emmerich aaO, § 120 Rdn. 4; Baumbach/Hopt aaO, § 253 Rdn. 32, 34; Großfeld, NJW 1985, 255, 258; abweichend Priester in FS Quack aaO, S. 391: § 253 Abs. 4 HGB könne die gesetzgeberische Wertung entnommen werden, daß den Thesaurierungsinteressen der Gesellschaft der Vorrang vor den Ausschüttungs- und Entnahmeinteressen der Gesellschafter zukomme). Das Gesetz geht vielmehr generell von einem Vollausschüttungsanspruch des Gesellschafters aus. Eine Pflicht der Gesellschafter, stillen Reserven zuzustimmen, besteht grundsätzlich nicht (Priester in FS Quack aaO, S. 395 f.).

e) Ein allgemeiner Vorrang der Thesaurierungsinteressen der Gesellschaft vor den Ausschüttungs- und Entnahmeinteressen der Gesellschafter besteht nicht. Eine Grenze für die Ablehnung einer Thesaurierung besteht dort, wo sich die Bildung von Rücklagen als erforderlich erweist, um das Unternehmen für die Zukunft lebens- und widerstandsfähig zu erhalten (vgl. RGZ 116, 119, 133; BGH, Urteil vom 10. Mai 1976 – II ZR 180/74, BB 1976, 948, 949; Urteil vom 14. Mai 1973 – II ZR 144/71, WM 1973, 844, 846).

Auf der anderen Seite wird den Gesellschaftern insoweit ein beachtliches Interesse an der Gewinnausschüttung zugebilligt, als sie einbehaltene Gewinne zu versteuern haben. Demgemäß wird den Kommanditisten das Recht eingeräumt, Ausschüttungsansprüche zumindest in Höhe der von ihnen zu zahlenden Ertragssteuern geltend zu machen (OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, DB 1994, 1465, 1466; Ganßmüller, Das Steuerentnahmerecht der Gesellschafter der oHG und KG, S. 38 ff.; Göllert/ Ringling, Bilanzrichtliniengesetz, 1986 S. 15; Großfeld, NJW 1986, 955, 958; Baumbach/Hopt aaO, § 120 Rdn. 17; Priester in FS Quack aaO, S. 394; Buck, DB 1995, 35; vorsichtig zustimmend Adler/Düring/Schmaltz aaO, 5. Aufl., § 253 HGB Rdn. 580). Ein solches Recht wird zum Teil aus der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht hergeleitet (Großfeld, NJW 1986, 955, 958; ders. WPg 1987, 698, 707; Binz, Die GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, 8. Aufl., § 7 Rdn. 68; Ganßmüller aaO, S. 38; Schlegelberger/Martens aaO, § 122 Rdn. 11). Dem ist entgegenzuhalten, daß das Gesetz kein Steuerentnahmerecht neben dem Anspruch aus § 122 HGB kennt (vgl. Baumbach/Hopt aaO, § 122 Rdn. 17). Nach zutreffender Ansicht bedarf die Zubilligung eines solchen Anspruchs grundsätzlich einer besonderen Regelung im Gesellschaftsvertrag (Goerdeler in FS Werner, 1984, S. 153, 162 Fn. 29; H.P. Westermann aaO, Rdn. I/901; wohl auch Staub/Schilling aaO, § 169 Rdn. 8; vgl. auch BGH, Urt. v. 26. März 1990 – II ZR 123/89, ZIP 1990, 1327, 1328: im Gesellschaftsvertrag müsse Vorsorge dafür getroffen werden, daß die Gesellschafter ihren Steuerpflichten nachkommen könnten). Ob den Gesellschaftern auch ohne eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag ein Anspruch in Höhe der aus thesaurierten Gewinnen anfallenden Steuern zuerkannt werden kann, muß somit der Entscheidung des Einzelfalles durch den Tatrichter vorbehalten bleiben.

f) Die Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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hat auch bei der Personengesellschaft die Bedeutung einer Verbindlicherklärung der Bilanz jedenfalls im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft und auch zwischen den Gesellschaftern untereinander.

g) Die langjährige Übung einer bestimmten Gesellschafterpraxis kann zu einer stillschweigenden Änderung des Gesellschaftsvertrages führen (BGHZ 70, 331, 332; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 3 II 2, S. 171 f.; Schlegelberger/K. Schmidt aaO, § 105 Rdn. 141; Staub/ Ulmer aaO, § 105 Rdn. 191). Zumindest besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine lang andauernde tatsächliche Abweichung vom Gesellschaftsvertrag dessen einvernehmliche Änderung bewirkt hat (BGH, Urteil vom 17. Januar 1966 – II ZR 8/64, NJW 1966, 826, 827; Urteil vom 19. Dezember 1977 – II ZR 10/76, WM 1978, 300, 301; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, DB 1994, 1465; Baumbach/Hopt aaO, § 105 Rdn. 62; Wiedemann, Gesellschaftsrecht aaO, § 3 II 2, S. 171 f.). Dem steht auch eine Regelung des Gesellschaftsvertrages über die Formbedürftigkeit einer stillschweigenden formlosen Abänderung nicht entgegen; denn die konkludente Vertragsänderung erfaßt auch eine Schriftformklausel (BGHZ 58, 115, 119; 71, 162, 164; BGH, Urteil vom 26. November 1964 – VII ZR 111/63, WM 1965, 175; Urteil vom 7. Februar 1972 – II ZR 169/69, WM 1972, 311, 312; Schlegelberger/K. Schmidt, HGB, 5. Aufl., § 105 Rdn. 140).

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