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OLG München, Beschluss vom 01.12.2022 – 8 U 2112/22

§ 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG, § 32 Abs. 1 KWG

1. Für die Frage, ob eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften gem. § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob das beteiligte Kredit- oder Finanzinstitut über eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 KWG verfügt (Abweichung von KG, Beschluss vom 10.12.2018, Gz. 2 AR 58/18; Anschluss an BFH, Urteil vom 29.9.2020 – VIII R 17/17, Rn. 34).

2. Im Hinblick auf die Entscheidung des BGH vom 26. Juli 2022 (Gz. X ARZ 3/22), wonach gerichtsinterne Verweisungen an einen anderen Spruchkörper desselben Gerichts entsprechend § 281 II 4 ZPO für den anderen Spruchkörper bindend sind, dürfte eine Zuständigkeitsbestimmung in analoger Anwendung von § 36 I Nr. 6 ZPO zukünftig grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommen.

Tenor

Der 8. Zivilsenat verneint seine Zuständigkeit als Kapitalanlagesenat und legt die Sache dem 5. Zivilsenat als Banksenat zur Übernahme vor.

Tatbestand

Begründung:

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a) Den Feststellungen des Landgerichts zufolge macht die Klägerin hier gegen die Beklagte Ansprüche aus Darlehensvertrag geltend.

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Die Parteien haben am 20./24.07.2018 den „Nachrangdarlehensvertrag zum Private Placement Mezzanine – Darlehen – Angebot der T. GmbH (K 1) über ein Nachrangdarlehen in Höhe von 50.000,- € geschlossen. Im Zusammenhang mit der Finanzierung einer Grundstücksbebauung in G. hatte die Firma T. am 17.04.2018 ein Kreditvertrag mit der V. Bank in Höhe von 9,7 Mio. Euro abgeschlossen. Zur Besicherung dieses Kreditvertrages wurde u.a. ein Bardepot in Höhe von 1 Mio. Euro vereinbart. Zur Finanzierung dieses Bardepots hat die Beklagte als Emittentin und Darlehensnehmerin 1 Mio. Euro Mezzanine-Kapital in Form von nachrangigen Darlehen u.a. von der Klägerin als Darlehensgeberin aufgenommen, um sie sodann einem Gesellschafter der T. GmbH für die Erbringung des Bardepots wiederum als Darlehen zur Verfügung zu stellen.

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Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage von der Beklagten nach Fristablauf Rückzahlung des Darlehens und weitere Zinsen, was die Beklagte unter Berufung auf die Nachrangvereinbarung verweigert. Das Landgericht hat den Nachrang für unwirksam gehalten (vgl. LGU S. 6) und der Klage deshalb stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

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b) Das Verfahren wurde dem 8. Zivilsenat von der Einlaufstelle des OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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als Kapitalanlagesache zugewiesen (Bl. 141 d.A.).

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(1) Mit Verfügung vom 19.05.2022 leitete der Vorsitzende des 8. Zivilsenats die Akte der Einlaufstelle zu, mit der Bitte um Zuteilung des Verfahrens im Bankturnus und Übernahme durch den Vorsitzenden des zu bestimmenden Banksenats, weil es sich nicht um eine Kapitalanlagesache handele, sondern um eine Banksache. Es liege ein Einlagengeschäft i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG vor. Das Vorliegen gewerbsmäßigen Handelns ergebe sich schon aus dem Finanzierungszweck und aus dem Umfang. Eine Erlaubnis nach § 32 KWG sei nach der Entscheidung des Präsidiums vom 16.03.2020, Az. 8 U 4518/19, nicht Voraussetzung dafür, dass eine Banksache i.S.d. Geschäftsverteilungsplans vorliege.

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(2) Die Einlaufstelle leitete sodann das Verfahren im Sonderturnus für Banksachen dem 5. Zivilsenat zu. Mit Verfügung vom 01.06.2022 lehnte der Vorsitzende des 5. Zivilsenats die Übernahme des Verfahrens als Banksache ab, da keine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften nach § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG vorliege. Die Auslegung des § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG obliege nicht länger dem Präsidium, sondern der Rechtsprechung, weshalb eine Vorlage nach § 36 ZPO geboten sei.

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(3) Im Hinblick auf die entsprechende Änderung der Spruchpraxis des Präsidiums in der Entscheidung vom 05.08.2022 vertrat der Vorsitzende des 8. Zivilsenats in der Verfügung vom 22.08.2022 nunmehr die Auffassung, dass jedenfalls keine Kapitalanlagesache im Sinne des Geschäftsverteilungsplans vorliege, weshalb die Sache daher in den allgemeinen Turnus abzugeben sei. Die Einlaufstelle leitete sodann das Verfahren im allgemeinen Turnus dem 15. Zivilsenat zu. Dieser lehnte mit Beschluss vom 11.10.2022 die Übernahme des Verfahrens ab. Es sei Sache des 8. Zivilsenats, eine Entscheidung des BayObLG nach § 36 ZPO zur Frage herbeizuführen, ob eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften nach § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG vorliegt.

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(4) Mit Verfügung vom 17.10.2022 leitete der Vorsitzende des 8. Zivilsenats die Akten dem Präsidium zu mit der Bitte, den gerichtsintern für die Zuständigkeitsbestimmung und ggf. Verweisung gem. § 119a GVG zuständigen Senat zu bestimmen. Es handele sich letztlich um einen Zuständigkeitskonflikt zwischen dem 5. Zivilsenat als Banksenat und dem 15. Zivilsenat als Turnussenat. Der 8. Zivilsenat sehe sich als sicher nicht zuständiger Kapitalanlagesenat nicht berufen, diesen Streit durch bindende Verweisung gem. § 119a GVG i.V.m. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022, Gz. X ARZ 3/22) zu entscheiden.

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(5) Das Präsidium hat mit Beschluss vom 27.10.2022 entschieden, dass es dem 8. Zivilsenat obliege, ein die Zuständigkeit bestimmendes Verfahren in Gang zu setzen.

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(6) Im Hinblick darauf hat der Vorsitzende des 8. Zivilsenats die Beteiligten mit Verfügung vom 08.11.2022 zu einer beabsichtigten Verneinung seiner Zuständigkeit als Kapitalanlagesenat und Vorlage der Sache an den 5. Zivilsenat als Banksache angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Klägerin hat sich der Auffassung des Senats angeschlossen, die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert.

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c) Um eine Kapitalanlagesache gem. Ziff. II.A.9 GVP OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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2022 handelt es sich jedenfalls nicht, da die Klägerin weitere Zahlungen aus dem Darlehensvertrag verlangt und sie nicht Ansprüche anlässlich des Abschlusses dieses Darlehensvertrags (also nicht “Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb“, wie in der Geschäftsverteilung vorgesehen) verfolgt.

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d) Nach Auffassung des 8. Zivilsenats handelt es sich vielmehr um eine vorrangige (vgl. Ziff. II.A.9 GVP OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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2022) Banksache gem. § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG:

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Gem. § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG sind für Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften die bei den Oberlandesgerichten gebildeten sog. „Banksenate“ zuständig. Diese gesetzliche Zuweisung soll nach dem Willen des Gesetzgebers die unter § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG-E genannten Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften umfassen, an denen eine Bank, eine Sparkasse, ein Kredit- oder ein Finanzinstitut beteiligt ist“ (BT-Drs. 18/11437 S. 45; vgl. BeckOK GVG/Feldmann, 16. Ed. 15.8.2022, GVG § 72a Rn. 13).

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(1) Vorliegend hat die Beklagte Bankgeschäfte in Form von Einlagegeschäften gem. §1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG getätigt.

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Kennzeichen eines Einlagengeschäfts gem. § 1 I S. 2 Nr. 1 KWG ist die unbedingte Rückzahlbarkeit der Gelder. Unbedingt ist die Rückzahlung aber nur dann, wenn die Verlustteilnahme ausgeschlossen ist. Nimmt die Einlage am Verlust teil, handelt es sich um eine bedingte Rückzahlbarkeit. Es liegt dann keine Einlage iSd Nr. 1 vor. Das gilt entsprechend für partiarische Darlehen, Genussrechte und Nachrangdarlehen, wenn die Rückzahlung vom Erfolg des Unternehmens abhängt. Selbstverständlich begründen nur wirksame Nachrangklauseln eine bedingte Rückzahlbarkeit der Gelder. Häufig sind Nachrangklauseln jedoch wegen Verstößen gegen §§ 305 ff. BGB nicht wirksam einbezogen oder nichtig oder intransparent iSv § 307 Abs. 1 S. 2 BGB (Boos/Fischer/Schulte-Mattler/Schäfer, 5. Aufl. 2016, KWG § 1 Rz. 46).

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Das hat das Landgericht hier angenommen, indem es den Nachrang für unwirksam gehalten (LGU S. 6) und der Klage deshalb stattgegeben hat. Die Annahme der fremden Gelder stellte somit ein Einlagengeschäft i.S.d. KWG und somit auch ein Bankgeschäft i.S.v. § 119a Abs. 1 Nr. 1 GVG dar. Jedenfalls kommt dies ernsthaft in Betracht, was zur Zuständigkeitsbegründung ausreichend wäre (vgl. Entscheidungen des Präsidiums des OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vom 12.5.2015 zu 19 U 4743/14 und vom 16. März 2020 zu 8 U 4518/19).

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(2) Dabei ist die Beklagte gem. § 1 Abs. 1 S. 1 KWG als „Kreditinstitut“ tätig geworden.

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Kreditinstitute sind gem. § 1 Abs. 1 S. 1 KWG Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Dass die Beklagte hier bei der Einwerbung der Darlehen gewerbsmäßig gehandelt hat, ergibt sich schon aus dem Finanzierungszweck, den zahlreichen Darlehensnehmern und aus deren Umfang.

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(3) Darauf, ob die Beklagte über die nach § 32 Abs. 1 KWG notwendige Erlaubnis verfügte, kommt es nach dem Gesetzeswortlaut und dem Willen des Gesetzgebers für die Zuständigkeitsbestimmung nicht an:

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Nach § 32 Abs. 1 KWG bedarf der schriftlichen Erlaubnis der Aufsichtsbehörde, wer im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik ist das Erfordernis einer sog. „Bankerlaubnis“ somit nicht Tatbestandsvoraussetzung für ein Bankgeschäft, sondern dessen Rechtsfolge. Das Fehlen der aufsichtsrechtlichen Genehmigung nach § 32 KWG steht der Qualifikation eines Unternehmens als Finanzdienstleistungsinstitut somit nicht entgegen. Denn das Vorliegen einer derartigen Erlaubnis begründet nicht die Eigenschaft als Finanzdienstleistungsinstitut. Hierfür ist allein die Erfüllung der Merkmale des § 1 I a KWG maßgebend (BFH, Urteil vom 29.9.2020 – VIII R 17/17, Rn. 34).

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Mit der Auslegung des § 119a GVG a. F. wird eine Entscheidung über den gesetzlichen Richter getroffen. Die Auslegung hat sich daher möglichst nah am Wortlaut und am Willen des Gesetzgebers zu orientieren (BayObLG Beschluss vom 21.3.2022 – 102 AR 196/21, NJW 2022, 2849, beck-online; BayObLG, Beschluss vom 15. September 2020, 101 AR 99/20, juris Rn. 32; vgl. Fischer in BeckOK ZPO, § 348 Rn. 16).

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Das verkennt z.B. das Kammergericht, wenn es annimmt, dass nach der gebotenen formalen Abgrenzung ausschlaggebend sei, ob die betreffende Partei über eine nach § 32 Abs. 1 KWG notwendige Erlaubnis verfüge (Beschluss vom 10.12.2018, Gz. 2 AR 58/18, Rz. 10, BeckRS 2018, 41035). Es mag sein, dass sich i.d.R durch Einsicht in das von der BaFin gem. § 32 Abs. 5 KWG zu führende Institutsregister einfach und schnell feststellen lässt, ob einem Beteiligten eine Bankerlaubnis erteilt wurde. Das ändert allerdings nichts daran, dass nach dem KWG dieses Erlaubnis gerade nicht konstitutiv für das Vorliegen eines Kreditinstituts ist (s.o.) und nach dem Willen des Gesetzgebers auch nicht sein sollte (vgl. BT-Drs. 18/11437, 45, wonach „Die unter §72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GVG-E genannten Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften Streitigkeiten umfassen, an denen eine Bank, eine Sparkasse, ein Kredit- oder ein Finanzinstitut beteiligt ist“, und nicht etwa eine Bank etc., der auch eine entsprechende Erlaubnis erteilt wurde).

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e) Damit wäre bisher – falls der 5. Zivilsenat weiterhin anderer Ansicht sein sollte und sich ebenfalls förmlich für unzuständig erklären sollte – eine Zuständigkeitsbestimmung durch das BayObLG gem. § 36 ZPO erforderlich geworden.

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Denn § 36 ZPO gilt nicht nur für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, sondern ist entsprechend auf die Bestimmung der gesetzlich festgelegten funktionellen Zuständigkeit anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen zwei Spruchkörper eines Gerichts unterschiedlicher Auffassung darüber sind, ob die Voraussetzungen des § 72a GVG oder des § 119a GVG vorliegen (z.B. BayObLG, Beschluss vom 24.10.2019 – 1 AR 118/19).

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Dieser Weg dürfte aber nach neuester Rspr. des BGH nunmehr versperrt sein: Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Spruchkörpern desselben Gerichts ist der zuständige Spruchkörper in analoger Anwendung von § 36 I Nr. 6 ZPO zu bestimmen, wenn die Zuständigkeit zumindest eines an einem Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörpers auf einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung (hier: § 119a I GVG) beruht und die Entscheidung des Konflikts von deren Reichweite und nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans abhängt. Hat ein Spruchkörper in einer solchen Konstellation seine Zuständigkeit durch einen den Parteien bekanntgegebenen Beschluss verneint und die Sache dem nach seiner Auffassung zuständigen Spruchkörper zur Übernahme vorgelegt, ist diese Entscheidung entsprechend § 281 II 4 ZPO für den anderen Spruchkörper bindend (BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022, Gz. X ARZ 3/22, NJW 2022, 2936 m. – zu Recht – abl. Anm. Vossler). Eine Zuständigkeitsbestimmung durch das übergeordnete Gericht dürfte dann aufgrund dieser Bindungswirkung wohl nicht mehr in Betracht kommen.

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Daher musste der Senat nunmehr den vom BGH vorgezeichneten Weg einschlagen, seine Zuständigkeit als Kapitalanlagesenat durch förmlichen Beschluss nach Anhörung der Parteien verneinen und die Sache dem 5. Zivilsenat als Banksenat zur Übernahme vorlegen.

Löffler I www.K1.de I Gesellschaftsrecht I Gesellschafterversammlung I M&A I Unternehmenskauf I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2022

Schlagworte: Bank, Erlaubnispflicht § 32 Abs. 1 KWG