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EuGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – C-126/16

Art 267 AEUV, EGRL 23/2001 Art 3 Abs 1, EGRL 23/2001 Art 4 Abs 1, EGRL 23/2001 Art 5 Abs 1

Tenor

Die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen – und insbesondere ihr Art. 5 Abs. 1 – ist dahin auszulegen, dass der in den Art. 3 und 4 dieser Richtlinie gewährleistete Schutz der Arbeitnehmer in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens aufrechterhalten wird, in der der Übergang eines Unternehmens im Anschluss an eine Konkurseröffnung im Zusammenhang mit einem Pre-pack stattfindet, das vor der Konkurseröffnung vorbereitet und unmittelbar danach vollzogen wird und in dessen Rahmen u. a. ein von einem Gericht bestellter Verwalter in spe die Möglichkeiten für eine etwaige Fortführung der Tätigkeiten dieses Unternehmens durch einen Dritten prüft und sich darauf vorbereitet, kurz nach der Konkurseröffnung Handlungen vorzunehmen, um diese Fortführung zu verwirklichen, und dass es insoweit im Übrigen nicht darauf ankommt, dass dieses Pre-pack auch die Maximierung des Erlöses aus der Übertragung für die Gesamtheit der Gläubiger des in Rede stehenden Unternehmens zum Ziel hat.

Gründe

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 bis 5 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 2001, L 82, S. 16).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Federatie Nederlandse Vakvereniging (im Folgenden: FNV), einer niederländischen Gewerkschaftsvereinigung, sowie Frau Karin van den Burg-Vergeer, Frau Lyoba Tanja Alida Kukupessy, Frau Danielle Paase-Teeuwen und Frau Astrid Johanna Geertruda Petronelle Schenk auf der einen und der Smallsteps BV auf der anderen Seite wegen der Feststellung eines Übergangs von Arbeitsverhältnissen auf diese Gesellschaft.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Die Richtlinie 2001/23 kodifiziert die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 1977, L 61, S. 26) in der durch die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. 1998, L 201, S. 88) geänderten Fassung.

Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 lautet:

„Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten.“

Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 bestimmt:

„Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.“

In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 heißt es:

„Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.“

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 sieht vor:

„Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.“

In Art. 5 der Richtlinie 2001/23 heißt es:

„1.      Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, gelten die Artikel 3 und 4 nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde.

2.      Wenn die Artikel 3 und 4 für einen Übergang während eines Insolvenzverfahrens gegen den Veräußerer (unabhängig davon, ob dieses Verfahren zur Auflösung seines Vermögens eingeleitet wurde) gelten und dieses Verfahren unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein nach dem innerstaatlichen Recht bestimmter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) steht, kann ein Mitgliedstaat vorsehen, dass

a)      ungeachtet des Artikels 3 Absatz 1 die vor dem Übergang bzw. vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fälligen Verbindlichkeiten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen nicht auf den Erwerber übergehen, sofern dieses Verfahren nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats einen Schutz gewährt, der dem von der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers [ABl. 1980, L 283, S. 23] vorgesehenen Schutz zumindest gleichwertig ist, und/oder

b)      der Erwerber, der Veräußerer oder die seine Befugnisse ausübenden Personen auf der einen Seite und die Vertreter der Arbeitnehmer auf der anderen Seite Änderungen der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, insoweit das geltende Recht oder die geltende Praxis dies zulassen, vereinbaren können, die den Fortbestand des Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils sichern und dadurch der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen.

3.      Die Mitgliedstaaten können Absatz 2 Buchstabe b) auf Übergänge anwenden, bei denen sich der Veräußerer nach dem einzelstaatlichen Recht in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet, sofern das Bestehen einer solchen Notlage von einer zuständigen öffentlichen Stelle bescheinigt wird und die Möglichkeit einer gerichtlichen Aufsicht gegeben ist, falls das innerstaatliche Recht solche Bestimmungen am 17. Juli 1998 bereits enthielt.

4.      Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit Insolvenzverfahren nicht in missbräuchlicher Weise in Anspruch genommen werden, um den Arbeitnehmern die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte vorzuenthalten.“

Niederländisches Recht

        Im niederländischen Recht sind die Rechte der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen in den Art. 7:662 bis 7:666 und in Art. 7:670 Abs. 8 des Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches Gesetzbuch, im Folgenden: BW) geregelt.

In Art. 7:662 Abs. 2 Buchst. a BW heißt es:

„Für die Zwecke dieses Abschnitts bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Übergang‘ den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit, die ihre Identität bewahrt, infolge einer Vereinbarung, einer Verschmelzung oder einer Spaltung;

…“

Im Einzelnen bestimmt Art. 7:663 BW:

„Durch den Übergang eines Unternehmens gehen die Rechte und Pflichten, die sich zu diesem Zeitpunkt für den Arbeitgeber in diesem Unternehmen aus einem Arbeitsvertrag zwischen ihm und einem dort beschäftigten Arbeitnehmer ergeben, von Rechts wegen auf den Erwerber über. Der Arbeitgeber haftet jedoch nach dem Übergang noch ein Jahr lang gesamtschuldnerisch neben dem Erwerber für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind.“

Art. 7:666 BW sieht vor:

„Die Art. 7:662 bis 7:665 und Art. 7:670 Abs. 8 finden auf den Übergang eines Unternehmens keine Anwendung, wenn

a)      über das Vermögen des Arbeitgebers der Konkurs eröffnet worden ist und das Unternehmen in die Konkursmasse fällt …“

In Art. 7:670 BW heißt es:

„…

8.      Der Arbeitgeber kann den Arbeitsvertrag mit einem in seinem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen des Übergangs dieses Unternehmens im Sinne von Art. 7:662 Abs. 2 Buchst. a kündigen;

…“

Seit 2012 greifen mehrere niederländische Gerichte auf das Pre-pack zurück. Es handelt sich dabei um ein Geschäft über das Aktivvermögen, das vor der Konkurseröffnung zusammen mit dem von einem Gericht bestellten Verwalter in spe („beoogd curator“, „in Aussicht genommener Verwalter“) vorbereitet und von diesem unmittelbar nach der Konkurseröffnung vollzogen wird. Im Rahmen dieses Pre-pack wird von dem Gericht auch ein Konkursrichter in spe bestellt.

Bisher sind weder die Vorbereitungsphase noch das Pre-pack als solches in den Niederlanden Gegenstand einer gesetzlichen Regelung; sie haben sich gleichwohl in der Praxis herausgebildet.

Ausgangsverfahren und Vorlageverfahren

Bis zu ihrem Konkurs war die Estro Groep BV (im Folgenden: Estro-Gruppe) das größte Unternehmen für Kinderbetreuung in den Niederlanden. Sie unterhielt etwa 380 Einrichtungen in den gesamten Niederlanden und beschäftigte rund 3 600 Arbeitnehmer.

Ab November 2013 war absehbar, dass die Estro-Gruppe ohne zusätzliche Finanzierung ihren Zahlungsverpflichtungen im Sommer 2014 nicht mehr würde nachkommen können.

Auf der Suche nach einer solchen Finanzierung führte die Estro-Gruppe zunächst mit ihren größten Geldgebern und Anteilseignern sowie mit weiteren Geldgebern oder möglichen weiteren Investoren Gespräche, um neue Finanzmittel zu erhalten. Diese von der Estro-Gruppe als „Plan A“ bezeichneten Gespräche blieben jedoch erfolglos.

Parallel zu den Verhandlungen im Rahmen des Plans A arbeitete die Estro-Gruppe einen alternativen, „Projekt Butterfly“ genannten Plan aus. Dieser sah einen Neustart eines wesentlichen Teils der Estro-Gruppe im Anschluss an ein Pre-pack vor. Dieser Neustart sollte auf der Grundlage erfolgen, dass 243 Einrichtungen von 380 wiedereröffnet, etwa 2 500 Arbeitsplätze von insgesamt rund 3 600 erhalten und die Dienstleistungen in allen Einrichtungen im Juli 2014 fortgeführt werden.

Bei der Durchführung des Projekts Butterfly nahm die Estro-Gruppe nur mit H.I.G. Capital, der Schwestergesellschaft ihres Hauptgesellschafters Bayside Capital, als potenziellem Erwerber Kontakt auf. Eine andere Option wurde nicht ins Auge gefasst.

Am 5. Juni 2014 beantragte die Estro-Gruppe bei der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande) die Bestellung eines Verwalters in spe. Dieser wurde am 10. Juni 2014 bestellt.

Am 20. Juni 2014 wurde Smallsteps gegründet, die im Rahmen des Projekts Butterfly einen Großteil der Kindertagesstätten der Estro-Gruppe im Auftrag von H.I.G. Capital zum Neustart übernehmen sollte.

Am 3. Juli 2014 erhielt das gesamte Personal der Estro-Gruppe eine E-Mail, in der darauf hingewiesen wurde, dass am 4. Juli 2014 ein Antrag auf Konkurseröffnung eingereicht werde und dass das Personal vor der Stellung dieses Antrags möglicherweise zu einer Versammlung einberufen werde.

Am 4. Juli 2014 stellte die Estro-Gruppe bei der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam) einen Antrag auf Zahlungsaufschub. Am 5. Juli 2014 wurde dieser Antrag in einen Antrag auf Eröffnung des Konkurses umgewandelt, der am selben Tag eröffnet wurde.

Ebenfalls am 5. Juli 2014 wurde ein Pre-pack zwischen dem Verwalter und Smallsteps unterzeichnet, wonach Letztere rund 250 Einrichtungen erwarb und sich verpflichtete, etwa 2 600 Beschäftigten der Estro-Gruppe am Tag der Konkurseröffnung einen Arbeitsplatz anzubieten.

Am 7. Juli 2014 entließ der Verwalter alle Arbeitnehmer der Estro-Gruppe. Rund 2 600 Arbeitnehmern, die zuvor bei der Estro-Gruppe beschäftigt waren, wurde von Smallsteps ein neuer Arbeitsvertrag angeboten, während mehr als 1 000 letztlich entlassen wurden.

Die FNV und vier weitere Mitklägerinnen, die in von Smallsteps übernommenen Einrichtungen tätig waren, denen jedoch nach der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Estro-Gruppe keine neuen Arbeitsverträge angeboten wurden, erhoben bei dem vorlegenden Gericht Klage, in erster Linie auf Feststellung, dass die Richtlinie 2001/23 auf das zwischen der Estro-Gruppe und Smallsteps vereinbarte Pre-pack anwendbar und somit davon auszugehen sei, dass die erwähnten vier Mitklägerinnen nun von Rechts wegen zu unveränderten Arbeitsbedingungen für Smallsteps arbeiteten. Hilfsweise war ihre Klage auf die Feststellung gerichtet, dass die Art. 7:662 ff. BW anwendbar seien, da der Unternehmensübergang vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Estro-Gruppe stattgefunden habe. Smallsteps tritt dem entgegen.

Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Midden-Nederland (Gericht der zentralen Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.       Steht das niederländische Konkursverfahren im Fall der Übertragung des insolventen Unternehmens, wobei dem Konkurs ein durch den Richter kontrolliertes, explizit auf den Fortbestand (von Teilen) des Unternehmens gerichtetes Pre-pack vorausging, mit Sinn und Zweck der Richtlinie 2001/23 im Einklang, und ist Art. 7:666 Abs. 1 Buchst. a BW angesichts dessen (noch) richtlinienkonform?

2.      Ist die Richtlinie 2001/23 auf den Fall anwendbar, dass sich ein vom Gericht bestellter Verwalter in spe schon vor Beginn des Konkurses über die Situation des Schuldners informiert und die Möglichkeiten für einen etwaigen Neustart der Unternehmenstätigkeiten durch einen Dritten prüft und sich zugleich auf Handlungen vorbereitet, die kurz nach dem Konkurs erfolgen müssen, um den Neustart mittels einer Übertragung von Vermögenswerten zu verwirklichen, durch die das Unternehmen des Schuldners oder ein Teil davon zum Zeitpunkt des Konkurses oder kurz danach übertragen wird und die Tätigkeiten ganz oder teilweise (nahezu) ohne Unterbrechung fortgesetzt werden?

3.      Macht es dabei einen Unterschied, ob die Fortführung des Unternehmens das primäre Ziel des Pre-pack ist oder ob der Verwalter (in spe) mit dem Pre-pack und der Veräußerung der Vermögenswerte in Form eines laufenden Betriebs („going concern“) unmittelbar nach dem Konkurs in erster Linie auf eine Maximierung des Erlöses für die Gesamtheit der Gläubiger abzielt oder ob im Rahmen des Pre-pack vor dem Konkurs eine Willensübereinstimmung über die Vermögensübertragung (Fortführung des Unternehmens) erreicht wird, deren Umsetzung nach dem Konkurs formalisiert und/oder realisiert wird? Und wie ist dies zu beurteilen, wenn sowohl die Unternehmensfortführung als auch die Erlösmaximierung bezweckt werden?

4.      Wird der Zeitpunkt des Unternehmensübergangs für die Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23 und der darauf beruhenden Art. 7:662 ff. BW im Rahmen eines dem Konkurs des Unternehmens vorausgehenden Pre-pack durch die vor der Insolvenz erzielte tatsächliche Willensübereinstimmung über die Übertragung des Unternehmens bestimmt, oder ist für diesen Zeitpunkt maßgebend, wann die Inhaberschaft, mit der die Verantwortung für den Betrieb der betreffenden Einheit verbunden ist, tatsächlich vom Veräußerer auf den Erwerber übergeht?

Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

Im Anschluss an die Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts hat Smallsteps mit Schriftsatz, der am 25. April 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, beantragt, sich zu diesen – bei Bedarf nach Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens – äußern zu dürfen. Smallsteps macht zur Stützung dieses Antrags im Wesentlichen geltend, dass die Schlussanträge des Generalanwalts Missverständnisse hinsichtlich des Pre-pack-Verfahrens enthielten.

Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (vgl. u. a. Urteil vom 4. September 2014, Vnuk, C-162/13, EU:C:2014:2146, Rn. 30).

Nach Art. 252 Abs. 2 AEUV stellt der Generalanwalt öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Die Schlussanträge des Generalanwalts oder ihre Begründung binden den Gerichtshof nicht (Urteil vom 3. Dezember 2015, Banif Plus Bank, C-312/14, EU:C:2015:794, Rn. 33).

Dass ein Beteiligter mit den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C-33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 26).

Der Gerichtshof kann jedoch gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn ein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist (vgl. Urteil vom 9. Juni 2016, Pesce u. a., C-78/16 und C-79/16, EU:C:2016:428, Rn. 27).

In der vorliegenden Rechtssache ist der Gerichtshof indessen nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen verfügt.

In Anbetracht dieser Erwägungen ist der Gerichtshof der Ansicht, dass das mündliche Verfahren nicht wiederzueröffnen ist.

Zu den Vorlagefragen

Zu den ersten drei Fragen

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C-144/16, EU:C:2017:76, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall sind die ersten drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, so zu verstehen, dass sie auf die Klärung der Frage abzielen, ob die Richtlinie 2001/23 – und insbesondere ihr Art. 5 Abs. 1 – dahin auszulegen ist, dass der in den Art. 3 und 4 dieser Richtlinie gewährleistete Schutz der Arbeitnehmer in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens aufrechterhalten wird, in der der Übergang eines Unternehmens im Anschluss an eine Konkurseröffnung im Zusammenhang mit einem Pre-pack stattfindet, das vor der Konkurseröffnung vorbereitet und unmittelbar danach vollzogen wird und in dessen Rahmen u. a. ein von einem Gericht bestellter Verwalter in spe die Möglichkeiten für eine etwaige Fortführung der Tätigkeiten dieses Unternehmens durch einen Dritten prüft und sich darauf vorbereitet, kurz nach der Konkurseröffnung Handlungen vorzunehmen, um diese Fortführung zu verwirklichen, und ob es insoweit im Übrigen darauf ankommt, dass das Pre-pack sowohl auf die Fortführung der Geschäftstätigkeit des in Rede stehenden Unternehmens als auch auf die Maximierung des Erlöses aus der Übertragung für die Gesamtheit der Gläubiger dieses Unternehmens abzielt.

Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie 2001/23, wie sich aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, auf den Schutz der Arbeitnehmer abzielt, insbesondere dadurch, dass sie die Wahrung ihrer Ansprüche bei einem Inhaberwechsel gewährleistet.

Zu diesem Zweck sieht Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie vor, dass die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs eines Unternehmens bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber übergehen. Was Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie angeht, so schützt dieser die Arbeitnehmer vor jeder Kündigung, die vom Veräußerer oder vom Erwerber allein aufgrund des Übergangs vorgenommen wird.

Als Ausnahme hiervon bestimmt Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23, dass die Schutzregelung in den Art. 3 und 4 nicht für Übergänge von Unternehmen gilt, die unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen stattfinden, sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen.

Angesichts dessen, dass Art. 5 Abs. 1 grundsätzlich zur Unanwendbarkeit der Regelung zum Schutz der Arbeitnehmer im Fall bestimmter Unternehmensübergänge führt und damit vom der Richtlinie 2001/23 zugrunde liegenden Hauptziel abweicht, ist er jedoch zwangsläufig eng auszulegen (vgl. zu Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 77/187 in der durch die Richtlinie 98/50 geänderten Fassung Urteil vom 4. Juni 2002, Beckmann, C-164/00, EU:C:2002:330, Rn. 29).

Aus dem Wortlaut des ersten Satzteils von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 geht zwar hervor, dass die Mitgliedstaaten unter den Voraussetzungen, die die Anwendung dieser Bestimmung rechtfertigen, die Möglichkeit haben, die Schutzregelung für Arbeitnehmer nach den Art. 3 und 4 dieser Richtlinie anzuwenden, im Ausgangsverfahren hat jedoch der betreffende Mitgliedstaat, wie die niederländische Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

Folglich ist Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23, soweit er eine Abweichung von der Schutzregelung für Arbeitnehmer erlaubt, auf einen Fall wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar, jedoch nur unter der Bedingung, dass das betreffende Verfahren die in dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen erfüllt.

In diesem Zusammenhang ist in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 kumulativ vorgesehen, dass gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes (Insolvenz-)Verfahren eröffnet worden sein muss. Außerdem muss dieses Verfahren unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle zum Zweck der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet worden sein.

Was erstens die Voraussetzung betrifft, dass gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes (Insolvenz-)Verfahren eröffnet worden sein muss, kann sich diese in Anbetracht des in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernisses einer engen Auslegung nicht auf einen Vorgang erstrecken, der den Konkurs vorbereitet, zu dem es aber nicht kommt, wie es der Generalanwalt in Nr. 76 seiner Schlussanträge ins Auge gefasst hat.

Im vorliegenden Fall ist jedoch, wie aus Rn. 14 des vorliegenden Urteils hervorgeht, das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Pre-pack zwar vor der Konkurseröffnung vorbereitet, aber erst danach vollzogen worden. Ein solcher Vorgang, der tatsächlich einen Konkurs impliziert, kann daher unter den Begriff „Konkursverfahren“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 fallen.

Zweitens verlangt Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23, dass das Konkursverfahren oder das entsprechende (Insolvenz-)Verfahren zum Zweck der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde. In diesem Zusammenhang wird, wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, davon ausgegangen, dass ein Verfahren, das auf die Fortführung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens abzielt, diese Voraussetzung nicht erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Juli 1991, d’Urso u. a., C-362/89, EU:C:1991:326, Rn. 31 und 32, sowie vom 7. Dezember 1995, Spano u. a., C-472/93, EU:C:1995:421, Rn. 25).

Was die Unterschiede zwischen diesen beiden Verfahrensarten betrifft, so zielt ein Verfahren auf die Fortführung der Geschäftstätigkeit ab, wenn es auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Unternehmens oder der bestandsfähigen Unternehmenseinheiten gerichtet ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 57 und 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat. Dagegen zielt ein Verfahren auf Auflösung des Vermögens darauf ab, eine möglichst hohe kollektive Befriedigung der Gläubiger zu erreichen. Auch wenn gewisse Überschneidungen zwischen diesen beiden mit einem bestimmten Verfahren verfolgten Zielen nicht ausgeschlossen werden können, bleibt das primäre Ziel eines auf die Fortführung der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens abzielenden Verfahrens jedenfalls die Erhaltung des betreffenden Unternehmens.

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass ein Pre-pack wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Übertragung des Unternehmens im Detail vorbereiten soll, um einen schnellen Neustart bestandsfähiger Unternehmenseinheiten nach der Konkurseröffnung zu ermöglichen, in dem Bestreben, so den Bruch, der sich aus einer abrupten Beendigung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung ergäbe, zu verhindern, damit der Unternehmenswert und die Arbeitsplätze erhalten werden.

Unter diesen Umständen ist vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht davon auszugehen, dass sich mit dem wirtschaftlichen und sozialen Zweck eines solchen Vorgangs, da dieser letztlich nicht auf die Liquidation des Unternehmens abzielt, weder erklären noch rechtfertigen lässt, dass die Beschäftigten des betroffenen Unternehmens bei dessen völligem oder teilweisem Übergang die Rechte verlieren sollen, die ihnen die Richtlinie 2001/23 zuerkennt (vgl. entsprechend Urteil vom 7. Dezember 1995, Spano u. a., C-472/93, EU:C:1995:421, Rn. 28 und 30).

In Anbetracht der Feststellung in Rn. 48 des vorliegenden Urteils kann allein der Umstand, dass das Pre-pack auch auf die Maximierung der Befriedigung der Gläubiger abzielen kann, es nicht in ein zum Zweck der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnetes Verfahren im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 umwandeln.

Daraus folgt, dass davon auszugehen ist, dass ein solcher Vorgang das primäre Ziel hat, das insolvente Unternehmen zu erhalten, so dass er nach der in Rn. 47 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung nicht unter Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 fallen kann.

Drittens ist im Hinblick auf die Voraussetzung, dass das in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 genannte Verfahren unter der Aufsicht einer öffentlichen Stelle stehen muss, darauf hinzuweisen, dass die Phase eines Pre-pack wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die der Konkurseröffnung vorausgeht, keine Grundlage in den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften hat.

Insoweit wird dieser Vorgang daher nicht unter der Aufsicht des Gerichts, sondern, wie aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht, durch die Unternehmensleitung durchgeführt, die die Verhandlungen führt und die Entscheidungen zur Vorbereitung des Verkaufs des insolventen Unternehmens trifft.

Auch wenn der Verwalter in spe und der Konkursrichter in spe vom Gericht auf Antrag des insolventen Unternehmens bestellt werden, stehen ihnen nämlich formell keine Befugnisse zu. Daher unterliegen sie keiner Aufsicht durch eine öffentliche Stelle.

Da der Verwalter sehr schnell nach der Konkurseröffnung die Zustimmung des Konkursrichters zur Veräußerung des Unternehmens beantragt und erhält, muss Letzterer außerdem vor der Konkurseröffnung Informationen erhalten und dieser Veräußerung im Prinzip nicht widersprochen haben.

Wie der Generalanwalt in Nr. 82 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann durch diese Vorgehensweise aber jede etwaige durch eine zuständige öffentliche Stelle ausgeübte Aufsicht über das Konkursverfahren weitgehend ausgehöhlt werden; sie kann daher nicht der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 genannten Voraussetzung der Aufsicht durch eine solche Stelle genügen.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ein Pre-pack wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht alle in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt und dass daher von der Schutzregelung in den Art. 3 und 4 dieser Richtlinie nicht abgewichen werden kann.

Nach alledem ist auf die ersten drei Vorlagefragen zu antworten, dass die Richtlinie 2001/23 – und insbesondere ihr Art. 5 Abs. 1 – dahin auszulegen ist, dass der in den Art. 3 und 4 dieser Richtlinie gewährleistete Schutz der Arbeitnehmer in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens aufrechterhalten wird, in der der Übergang eines Unternehmens im Anschluss an eine Konkurseröffnung im Zusammenhang mit einem Pre-pack stattfindet, das vor der Konkurseröffnung vorbereitet und unmittelbar danach vollzogen wird und in dessen Rahmen u. a. ein von einem Gericht bestellter Verwalter in spe die Möglichkeiten für eine etwaige Fortführung der Tätigkeiten dieses Unternehmens durch einen Dritten prüft und sich darauf vorbereitet, kurz nach der Konkurseröffnung Handlungen vorzunehmen, um diese Fortführung zu verwirklichen, und dass es insoweit im Übrigen nicht darauf ankommt, dass dieses Pre-pack auch die Maximierung des Erlöses aus der Übertragung für die Gesamtheit der Gläubiger des in Rede stehenden Unternehmens zum Ziel hat.

Zur vierten Frage

In Anbetracht der Antworten auf die ersten drei Fragen ist die vierte Frage nicht zu beantworten.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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