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FG Düsseldorf, Urteil vom 18.02.2010 – 8 K 4290/06 H

§ 70 AO, § 34 AO, § 35 AO, § 20 EStG, § 370 AO

1. § 70 AO kommt als Haftungsnorm auch bei der Einkommensteuer in Betracht.

Die Rechtswidrigkeit folgt allerdings nicht – wie die Klägerin meint – daraus, dass das FA die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin zu Unrecht auf § 70 AO gestützt haben könnte. § 70 AO kommt als Haftungsnorm auch bei der Einkommensteuer in Betracht (a.A. wohl Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 AO Tz. 2). Nach § 70 Abs. 1 AO haftet der Vertretene u.a., soweit er nicht Steuerschuldner ist, für verkürzte Steuern, wenn die ihn vertretenden und in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch (selbst) Haftende werden. Eine Begrenzung der Haftung des Vertretenen auf bestimmte Steuern, z.B. auf Zölle und Verbrauchssteuern, sieht § 70 AO nicht vor. Auch die im AEAO zu § 70 AO in der Fassung des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 15. Juli 1998 (BStBl I 1998, 630, 685) enthaltene Anweisung an die Finanzämter, § 70 AO im Bereich der Besitz- und Verkehrssteuern „nur bei Abzugssteuern“ anzuwenden, vermag die Anwendung des § 70 AO im angefochtenen Haftungsbescheid nicht auszuschließen. Selbst wenn dem AEAO zu § 70 AO – entsprechend der Ansicht der Klägerin – ermessenslenkende Wirkung zukommen sollte, wäre nicht auf die Fassung des AEAO im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids am 22. Dezember 2004 abzustellen, sondern auf die Fassung des AEAO zu § 70 AO im Zeitpunkt der für die Ausübung eines Ermessens maßgeblichen letzten Verwaltungsentscheidung, hier in der Einspruchsentscheidung vom 29. September 2006. Durch das BMF-Schreiben vom 04. August 2005 IV A 4 – S 0062 – 4/05 (BStBl I 2005, 838) ist der AEAO zu § 70 AO jedoch dahingehend geändert worden, dass § 70 AO im Bereich der Besitz- und Verkehrssteuern „insbesondere“ bei Abzugssteuern anzuwenden sei.

2. Eine Bank haftet nicht nach § 70 AO wegen der vom FA lediglich vermuteten Hinterziehung von Kapitaleinkünften im Falle von 1.149 nicht identifizierten Kunden, die Bargeld oder Wertpapiere über die Bank ohne Legitimationsprüfung anonym zu den Auslandstöchtern der Bank transferiert haben. Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Einzelfall lässt sich nicht mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsaussagen begründen. Bei der Feststellung einer Haupttat im Rahmen der Haftung wegen strafrechtlicher Teilnahme ist stets ein individueller und nicht ein statistischer Maßstab anzulegen (Anschluss an BFH-Urteil vom 16.7.2009 VIII B 64/09).

Die Feststellungen zu den 1.149 Kunden, die das STRAFA-FA nicht identifizieren konnte, reichen für eine Überzeugungsbildung, dass sie eine Steuerhinterziehung begangen haben, nicht aus. Das FA hat zu diesen Kunden lediglich festgestellt, dass sie Bargeld und/oder Wertpapiere über die Klägerin ohne Legitimationsprüfung anonym zu den Auslandstöchtern A-Bank transferiert haben. Ob sie aber – wie der ganz überwiegende Teil der enttarnten Kunden – die Erträge aus dem anonym ins Ausland transferierten Kapital in ihren Einkommensteuererklärungen 1993 nicht angegeben und dadurch Steuern verkürzt haben, hat das STRAFA-FA    für keinen einzigen der in Rede stehenden 1.149 Kunden feststellen können.

Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Einzelfall lässt sich nach Ansicht des Senats nicht mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsaussagen begründen. Die nach mathematischen Grundsätzen zu beurteilende Wahrscheinlichkeit kann zur Überzeugungsbildung nur herangezogen werden, wenn es um zufällige Ereignisse geht (BFH in BStBl II 2010, 8, unter II.3.b der Gründe). Das ist nach der Rechtsprechung des BFH bei dem im Streitfall zu beurteilenden willensgesteuerten Verhalten zurechnungsfähiger Personen generell nicht der Fall. Wie sich eine Person in einer konkreten Situation entscheide, hänge – so der BFH – nicht vom Zufall ab, sondern von einer autonomen Willensentscheidung, die im Grundsatz einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung nicht zugänglich sei (BStBl II 2010, 8, unter II.3.b der Gründe). Dies spricht nach Ansicht des BFH – der sich der Senat anschließt – dafür, bei der Feststellung einer Haupttat im Rahmen der Haftung wegen strafrechtlicher Teilnahme stets einen individuellen und nicht einen statistischen Maßstab anzulegen (vgl. auch: Moritz, Neue Wirtschaftsbriefe – Beraterbrief Erben und Vermögen 2009, 413, 416; Frank, Praxis Steuerstrafrecht 2009, 236, 238; Beyer, AO-Steuerberater 2009, 262).

Schlagworte: Außenhaftung, Haftung des Geschäftsführers, Haftung für Steuerschulden