Einträge nach Montat filtern

FG Münster, Urteil vom 10.12.2013 – 2 K 4490/12

§ 70 AO, § 191 Abs 1 AO, § 34 AO, § 370 Abs 1 Nr 1 AO

1. Auch wenn die Haftungsnorm des § 70 AO für bestimmte Fälle des Zollrechts und Verbrauchssteuerrechts geschaffen wurde, besteht keine Beschränkung auf diese Fälle oder auf Abzugssteuern.

Der Auffassung der Klägerin, § 70 AO erfasse nur besondere Konstellationen (z. B. im Zollrecht, Verbrauchsteuerrecht), in denen für die GmbH keine Steuerschuld entstehe, kann nicht gefolgt werden. Zwar wurde § 70 AO insbesondere für bestimmte Fälle des Zoll- und Verbrauchssteuerrechts geschaffen (vgl. BFH-Urteil vom 30.08.1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler (HHS) AO/FGO § 70 AO Rdnr. 7; BT-Drucks. VI/1982, 119). Eine Beschränkung auf diese Fälle oder auf Abzugssteuern sieht die Vorschrift aber weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Zweck vor (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 18.02.2010 8 K 4290/06 H, EFG 2010, 998). Die Haftung wird auch nicht durch spezialgesetzliche Regelungen verdrängt. Denn insbesondere im Fall der Steuerhinterziehung kann eine Haftung nach § 70 AO in Betracht kommen, da sich in diesen Fällen die Festsetzungsfrist gem. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO auf 10 Jahre verlängert (vgl. Boeker in HHS aaO § 70 AO Rdnr. Tz. 10).

2. Initiieren die Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH ein sog. Rechnungssplitting und leisten damit vorsätzlich Beihilfe zur Steuerhinterziehung ihres Kunden, kann die GmbH für Steuerschulden (hier: Einkommensteuer und Umsatzsteuer) des Kunden gem. § 70 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Voraussetzungen eines Haftungsausschlusses nach Abs. 2 der Vorschrift bestehen nicht, wenn die GmbH durch ihre Rechnungsmanipulation den Vermögensvorteil einer Kundenbindung erreicht und eine Exkulpation bei einem die Steuerhinterziehung befördernden Gesellschaftergeschäftsführer ausgeschlossen ist.

Nach § 70 AO haften die Vertretenen, soweit sie nicht Steuerschuldner sind, für die durch eine Steuerhinterziehung verkürzten Steuern, wenn die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftende werden. Dadurch soll verhindert werden, dass Steuerausfälle dadurch eintreten, dass hinterzogene oder leichtfertig verkürzte Beträge von dem Steuerschuldner oder den in § 70 AO genannten Vertretern nicht hereingeholt werden können. § 70 AO ist deshalb in allen Fällen anwendbar, in denen die genannten Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, sei es bei der Umsatzsteuer oder auch bei der Einkommensteuer (vgl. FG Düsseldorf Urteil vom 18.02.2010 8 K 4290/06 H aaO).

Im Streitfall hat die GmbH einen Vermögensvorteil in diesem Sinne erlangt. Denn dafür reicht es nach Auffassung des Senates aus, dass die Art der Rechnungserteilungen die Geschäftsbeziehungen zu den Kunden vorliegend sicherte. Die Kunden, die die Steuern verkürzen wollten, hatten nicht nur keinen Anlass, den Lieferanten zu wechseln. Im Gegenteil, sie hätten entweder einen neuen Lieferanten mit einem vergleichbaren System finden oder u.U. einen auffallend hohen Umsatz erklären müssen. In jedem Fall liefen die Kunden der GmbH bei einem Lieferantenwechsel Gefahr, dass ihre Steuerhinterziehung entdeckt würde.  Angesichts dieser Risiken konnte die GmbH sicher sein, dass ihre Kunden ihr lange Zeit treu blieben. Einer Bezifferung oder einer weiteren Konkretisierung dieses Vorteils bzw. des unterbliebenen Nachteils bedarf es nicht.

Vorliegend war jedenfalls Herr TE nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter der GmbH. Er war damit sowohl die Person, die als (zivilrechtlicher) Geschäftsführer handelte als auch die Person, die den Geschäftsführer für die GmbH auswählte und überwachte. In derartigen Fällen kommt eine Exkulpation nach Auffassung des erkennenden Senats nicht in Betracht. Denn die Person, die als Geschäftsführer unstreitig Beihilfe zur Steuerhinterziehung der Kunden leistet, kann die GmbH nicht gleichzeitig in ihrer Eigenschaft als überwachender Gesellschafter entlasten.

Schlagworte: Außenhaftung, Haftung des Geschäftsführers, Haftung für Steuerschulden, Haftung für vom Kunden hinterzogene Steuern, Rechnungssplitting