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Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Februar 2017 – 9 K 9259/13

§ 69 AO, § 34 Abs 1 AO, § 43 Abs 1 GmbHG, § 90 Abs 1 AO, § 162 AO

1. Verletzt ein Geschäftsführer einer GmbH als gesetzlicher Vertreter seine Pflicht, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuern der GmbH bereitzuhalten, obwohl er bereits vor Erlass entsprechender Steuerbescheide für die GmbH positive Kenntnis von der Existenz entsprechender Abgabenverbindlichkeiten der GmbH hatte (hier: keine Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 2 KStG für einen Gewinn aus einem Anteilsverkauf aufgrund einer Betriebsprüfung bei der GmbH), wirkt die Verletzung dieser sog. Vermögensvorsorgepflicht, unabhängig von der Fälligkeit der Steuern, haftungsbegründend.

2. Ein Haftungsschuldner, der als Geschäftsführer einer GmbH gem. § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO in Anspruch genommen wird, hat eine besonders intensive Mitwirkung bei der Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit der von ihm als alleinigen gesetzlichen Vertreters zu leitenden Kapitalgesellschaft zu leisten. Eine mangelnde Mitwirkung geht zu seinen Lasten, so dass bei Ermittlung der Tilgungsquote im Haftungszeitraum im Schätzungswege das Maß der Verletzung der dem Haftungsschuldner nach § 90 Abs. 1 AO obliegenden Mitwirkungspflicht zu berücksichtigen ist.

Der Kläger hat als alleiniger Geschäftsführer der vorgenannten Kapitalgesellschaft sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand einer Haftung nach § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO dadurch verwirklicht, dass er zumindest grob fahrlässig nicht für eine Tilgung der Körperschaftsteuer 2007 nebst Zinsen und Solidaritätszuschlag hierzu im Zeitpunkt der tatsächlichen Fälligkeit dieser Abgabenverbindlichkeiten (11. Juli 2012) gesorgt hat.

Grund und Höhe der Körperschaftsteuer 2007 nebst Zinsen und Solidaritätszuschlag hierzu sind zwischen den Prozessbeteiligten unstreitig. Im Übrigen wären Einwendungen hiergegen gemäß § 166 AO ausgeschlossen, weil der Kläger als alleiniger gesetzlicher Vertreter der B… GmbH gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 2007 vom 6. Juni 2012 keinen Einspruch eingelegt hat. Grund und Höhe der von der B… GmbH verwirkten Säumniszuschläge zu den vorgenannten Steuern, für die der Kläger nach § 69 Satz 2 AO ebenfalls haftet, sind vom Kläger nicht substantiiert in Frage gestellt worden und auch nach Aktenlage nicht zweifelhaft.

Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es für die Frage einer Haftungsinanspruchnahme nach § 69 i. V. m. § 34 AO in einem Fall wie dem vorliegenden nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BFH nicht auf die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit der GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgabenverbindlichkeiten (hier: 11. Juli 2012), sondern auf deren finanzielle Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der positiven Kenntnis des GmbH-Geschäftsführers von der Existenz der betreffenden Abgabenverbindlichkeiten an. Die Pflicht eines GmbH-Geschäftsführer, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuern bereitzuhalten, besteht nämlich unabhängig von der Fälligkeit der Steuern. Sie setzt voraus, dass dem gesetzlichen Vertreter Umstände bekannt sind, die auf eine bevorstehende Entstehung von Steuern schließen lassen. Haftungsbegründend ist die Verletzung dieser sog. Vermögensvorsorgepflicht (vgl. zu diesem Begriff: Rüsken, in: Klein, AO, 13. Aufl., § 69 Rz. 55 m. zahlr. Nachweisen), wenn der GmbH-Geschäftsführer in der Lage gewesen wäre, die zur Begleichung sämtlicher Verbindlichkeiten der GmbH erforderlichen Beträge vollständig vorzuhalten, und dies schuldhaft unterlässt (BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776, vom 5. Februar 1985 VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2, vom 11. Juni 1996 I B 60/95, BFH/NV 1997, 7, vom 16. Dezember 2003 VII R 77/00, BStBl II 2005, 249, vom 30. Dezember 2004 VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665, vom 28. Juni 2005 I R 2/04, GmbH-Rundschau – GmbHR – 2006, 48, vom 11. März 2004 VII R 19/02, BStBl II 2004, 967 und vom 20. Mai 2014 VII R 12/12, BFH/NV 2014, 1353; BFH-Beschlüsse vom 25. April 2013 VII B 245/12, BFH/NV  2013, 1063 und vom 11. November 2015 VII B 74/15, BFH/NV 2016, 370; Loose, in. Tipke/Kruse, AO-FGO, 16. Aufl., § 69 AO Rz. 37; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-FGO, § 69 AO Rz. 14a; Jatzke, in: Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO, Rz. 27 ff.; jeweils m. w. N.).

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger nach der Überzeugung des erkennenden Senats zumindest ab Anfang September 2011 positive Kenntnis davon, dass die B… GmbH für das Streitjahr 2007 Körperschaftsteuer in Höhe von 4 882,91 EUR zuzüglich Zinsen und Solidaritätszuschlag nachzuzahlen hatte. Am 30. August 2011 hat nämlich bei einer Schwestergesellschaft der B… GmbH, der C… GmbH, die Schlussbesprechung im Rahmen der Außenprüfung stattgefunden, an der für die C… GmbH u. a. ein Mitglied der Familie H…, Herr J…, teilgenommen hat. Außerdem hat an jener Schlussbesprechung Frau L…, die zu diesem Zeitpunkt Prokuristin in allen drei streitgegenständlichen GmbH’s gewesen ist, teilgenommen. Ferner hat an jener Schlussbesprechung Herr Wirtschaftsprüfer V…, der zu diesem Zeitpunkt steuerlicher Berater aller drei streitgegenständlichen GmbH’s gewesen ist, teilgenommen.

An jenem Tag wurden zwischen den Vertretern der C… GmbH sowie dem Außenprüfer des Beklagten, Herrn AB… (der alle drei streitgegenständlichen GmbH’s parallel geprüft hat), Einigkeit darüber erzielt, dass der Gewinn aus dem Anteilsverkauf  betreffend die Gesellschaftsanteile an der R… GmbH nicht nach § 8 b Abs. 2 KStG steuerbefreit, sondern in vollem Umfang körperschaftsteuerpflichtig ist. Es sind dem erkennenden Gericht keine Umstände bekannt, die gegen die Annahme sprechen, dass dem Kläger das Ergebnis dieser Schlussbesprechung von den Vertretern der C… GmbH umgehend mitgeteilt worden ist. Da in der B… GmbH und der D… GmbH die Gewinne aus ähnlichen Anteilsverkäufe in den Bilanzen jener Gesellschaften ebenfalls körperschaftsteuerfrei behandelt worden sind, war dem Kläger somit spätestens einige Tage nach dem 30. August 2011, also ab Anfang September 2011 positiv bekannt, dass auch jene bei der B… GmbH und der D… GmbH angefallenen Veräußerungsgewinne körperschaftsteuerpflichtig sind und in Kürze entsprechende Steuernachzahlungen auf alle drei streitgegenständlichen GmbH’s zukommen würden.

Zum Zeitpunkt Anfang September 2011 verfügte die B… GmbH ausweislich ihrer Bilanz zum 31. Dezember 2011 über ausreichende finanzielle Mittel, um die streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten vollständig tilgen zu können. In der Bilanz zum 31. Dezember 2011 sind als Aktiva ein Bankguthaben in Höhe von 368,59 EUR sowie als weiteres Aktivum „sonstige Vermögensgegenstände“ in Höhe von 36 468,36 EUR aufgeführt. Dabei handelt es sich um ein an den Kläger ausgereichtes Darlehen in nämlicher Höhe. Die Darlehenslaufzeit war bis zum 31. Dezember 2011 begrenzt. Die B… GmbH hätte somit die Darlehensvaluta vom Kläger einfordern und für die Bezahlung der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 5 810,44 EUR verwenden können mit der Folge, dass diese durch Erfüllung vollständig erloschen wären.

Die vom Kläger angemahnte Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 82 FGO i. V. m. §§ 402 ff. ZPO) war mangels Vorliegens eines substantiierten Beweisantritts durch ihn vom Senat nicht durchzuführen.

Gemäß § 76 Abs. 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und wahrheitsgemäß abzugeben. Daraus folgt, dass Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlungen in einem zwingenden Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten stehen. Je weniger die Beteiligten ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen, umso weniger Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung hat in der Regel das Gericht und umso weniger ist dieses dementsprechend gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO zu weiterer Sachverhaltsaufklärung verpflichtet (BFH-Urteil vom 30. Juli 2003 X R 28/99, BFH/NV 2004, 201 und BFH-Beschluss vom 7. Februar 2007 I B 131/06, BFH/NV 2007, 962, jeweils m. w. N.).

Diese ganz generell im FG-prozess geltenden Verfahrensgrundsätze des BFH gelten umso mehr, wenn es in einem Klageverfahren betr. GmbH-Geschäftsführerhaftung nach § 69 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO um die Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit der vom Kläger als alleinigem gesetzlicher Vertreter mit der „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns“ (§ 43 Abs. 1 des Gesetzes betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG -) verantwortlich zu leitenden Kapitalgesellschaft geht. Der BFH erwartet vom Haftungsschuldner in diesem Bereich unter Hinweis auf § 90 Abs. 1 AO eine besonders intensive Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhaltes und mangelnde Mitwirkung des Haftungsschuldners geht prozessual zu seinen Lasten: So darf z. B. das Finanzamt oder im Anschluss das FG die sog. Tilgungsquote im sog. Haftungszeitraum ggf. im Schätzungswege ermitteln (§ 162 Abs. 1 AO) und bei der Schätzung der Höhe dieser Quote „das Maß der Verletzung der dem Haftungsschuldner nach § 90 Abs. 1 AO obliegenden Mitwirkungspflicht“ berücksichtigen (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2011 VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777; BFH-Beschluss vom 19. November 2012 VII B 126/12, BFH/NV 2013, 504; Rüsken, a.a.O., § 69 Rz. 63 f , jeweils m. w. N.).

Der Kläger hat durch seinen erst in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag lediglich geltend gemacht, zum Zeitpunkt 1. August 2011 hätten alle drei streitgegenständlichen GmbH’s nicht mehr über Vermögenswerte verfügt, mit Hilfe derer die drei GmbH’s die streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Fälligkeit hätten tilgen können. Als einziges Beweismittel zum Nachweis dieser Tatsachenbehauptung wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Der Kläger hat aber zur Erläuterung seines Beweisantrags weder bezeichnet, welche konkreten Vermögensgegenstände in den drei GmbH’s zum für ihn maßgeblichen Stichtag 1. August 2011 noch vorhanden gewesen sind noch deren Zustand am 1. August 2011 beschrieben.

Angesichts dieser unzureichenden Angaben waren für den erkennenden Senat keine hinreichenden tatsächlichen Grundlagen vorhanden, anhand derer ein Sachverständiger ein Gutachten hätte erstellen können (vgl. dazu allgemein: BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 962 m. w. N.).

Dieselben Erwägungen gelten auch für im Vorfeld der mündlichen Verhandlung vom Kläger schriftsätzlich gestellten Anträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das FG.

Schlagworte: Abführung der Steuer an das Finanzamt, Beachtung steuerrechtlicher Vorschriften, Haftung für Steuerschulden, Körperschaftsteuer, Mittelvorsorgepflicht, Nichterfüllung der Steuerschuld