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FG Münster, Urteil vom 14.05.2020 – 5 K 256/18 U

§ 191 Abs 1 S 1 AO, § 5 AO, § 44 AO, § 128 HGB

1. Es ist ermessensfehlerfrei, alle Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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für Steuerschulden der Gesellschaft in Haftung zu nehmen, wenn neben der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung gegenüber der Gesellschaft es insbesondere als ungewiss erscheint, ob einer der Gesamtschuldner die Haftungsschuld wird allein begleichen können (hier: Inanspruchnahme der Ehefrau für Umsatzsteuerschulden des mit ihrem -über kein pfändbares Einkommen bzw. Vermögen verfügenden- Ehemann in Rechtsform einer GbR geführten Getränkehandels in im Alleineigentum der Ehefrau stehenden Räumen).

2. Grundsätzlich gibt es keine Rangordnung für die vorrangige Inanspruchnahme eines Gesellschafters, wenn mehrere Gesellschafter aufgrund desselben Haftungstatbestandes haften. Anders als bei der Geschäftsführerhaftung nach § 69 AO ist die Haftung nach § 128 HGB verschuldensunabhängig. Bei Inanspruchnahme einzelner Gesellschafter ist eine Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens möglich, aber nicht verpflichtend (vgl. Schrifttum und FG-Rechtsprechung).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Klägerin zu Recht für Umsatzsteuerschulden der E GbR in Anspruch genommen hat.

Die Klägerin und ihr Ehemann, Herr F E, betrieben in den Jahren 2011 und 2012 die E GbR, eine Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, die im Bereich des Getränkehandels (insbesondere des Spirituosenhandels) tätig war. Hauptkundin der E GbR war die Firma K GmbH. Die E GbR übte ihre Tätigkeit in den Streitjahren in den Räumlichkeiten in der …Straße in T aus, die zugleich den Wohnsitz der Eheleute darstellen. Alleineigentümerin des Objekts ist die Klägerin.

Der Beklagte hat die Umsatzsteuer 2011 mit geändertem Umsatzsteuerbescheid vom 16.04.2015 gegenüber der E GbR in Höhe von 28.287,48 € bestandskräftig festgesetzt. Vorangegangen war dieser Festsetzung ein von der E GbR geführtes Klageverfahren beim 15. Senat des FG Münster (Az: 15 K 4121/13 U), welches in Anbetracht des während des Klageverfahrens erlassenen Änderungsbescheides in der Hauptsache für erledigt erklärt worden war. Der ursprünglich von der E GbR angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2011 vom 13.02.2013 (Steuerfestsetzung: 28.680,88 €) war der Klägerin einzeln bekanntgegeben worden (siehe Seite 15 der Klageschrift im Verfahren 15 K 4121/13 U).

Mit Umsatzsteuerbescheid vom 27.06.2013 hat der Beklagte die Umsatzsteuer 2012 in Höhe von 3.002,00 € festgesetzt und gegenüber der Sozietät S als Empfangsbevollmächtigte der E GbR bekanntgegeben. Den hiergegen eingelegten Einspruch hat der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 02.12.2013 als unbegründet zurückgewiesen. Eine Klage hiergegen wurde nicht erhoben.Randnummer5

Mit Haftungsbescheid vom 18.04.2016 nahm der Beklagte die Klägerin für offene Umsatzsteuerschulden der E GbR in folgender Höhe in Anspruch:

SteuerartZeitraumFälligBetragSZ    B-Datum
USt     2011   09.02.201226.865,15 €10.339,00 €        
Zinsen zur USt2011   19.11.20151.836,00 €                
USt     2012   01.08.20133.002,00 €810,00 €27.06.2013
Zinsen zur USt2012   19.11.201575,00 €                
Summe                 31.778,15 €11.149,00 €        
Gesamt                42.927,15 €                

Gegen diesen Haftungsbescheid legte die Klägerin am 29.04.2016 Einspruch ein (Bl. 14 der Haftungsakte). Eine Begründung des Einspruchs erfolgte nicht.

Während des laufenden Einspruchsverfahrens hat die E GbR einen Betrag in Höhe von 3.031,62 € auf die Steuerschulden gezahlt.

Mit Einspruchsentscheidung vom 02.01.2018 reduzierte der Beklagte die Haftungsschuld unter Änderung des Haftungsbescheides vom 18.04.2016 wegen zwischenzeitlich erhaltener Zahlungen auf 35.989,14 €. Der Beklagte habe die Klägerin zu Recht für die Umsatzsteuerschulden der Gesellschaft in Anspruch genommen. Insbesondere sei die Haftungsinanspruchnahme ermessensgerecht erfolgt, denn die Vollstreckung der Rückstände bei der E GbR sei erfolglos verlaufen. Zudem sei Herr FE als weiterer Gesellschafter ebenfalls mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden.

Mit ihrer am 26.01.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren gerichtlich weiter.

Der Beklagte habe sein Auswahlermessen in der Einspruchsentscheidung nicht ausreichend begründet. Im Rahmen des Auswahlermessens sei der Grad des Verschuldens des einzelnen Haftungsschuldners wesentliches Kriterium. Die Klägerin habe nicht nach außen hin erkennbar für die E GbR gehandelt. Sie sei zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Hauptkunden der E GbR, der Firma K GmbH, als Vertreterin der Gesellschaft aufgetreten und habe dort keinerlei Verträge unterzeichnet. Diese Aufgaben habe allein ihr Ehemann und Mitgesellschafter, Herrn F E, wahrgenommen. Auch auf der Einkaufseite, insbesondere gegenüber dem Lieferanten Y, sei die Klägerin nicht in Erscheinung getreten.

Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 18.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2018 ersatzlos aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Der Senat hat die Gerichtsakten der Verfahren 9 K 4221/13 F, 5 K 1812/16 U und 15 K 4121/13 U beigezogen.

In der Sache hat am 14.05.2020 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der angefochtene Haftungsbescheid vom 18.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.01.2018 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Es liegen keine Ermessensfehler i. S. v. § 102 FGO vor.

Gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) kann derjenige durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.

Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zweigliedrig. Das Finanzamt hat auf der ersten Stufe zunächst zu prüfen, ob in der Person, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine durch das Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob (Entschließungsermessen) und ggf. wen (Auswahlermessen) es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar (BFH, Urt. vom 13.04.1978 – V R 109/75, BStBl. II 1978, 508; BFH, Urt. vom 20.09.2016 – X R 36/15, BFH/NV 2017, 593).

1. Die Voraussetzungen der Haftungsvorschrift des § 128 Handelsgesetzbuch (HGB) liegen vor.

Nach der Rechtsprechung des BGH und des BFH haften die Gesellschafter einer GbR für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 128 HGB den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich.

a) Die noch bestehenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten in Höhe von 35.989,14 € (Umsatzsteuer 2011 und 2012 zzgl. Zinsen und Säumniszuschläge) beruhen auf bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der E GbR für die Jahre 2011 und 2012. Für das Jahr 2011 hat die E GbR eine zunächst erhobene Klage im Klageverfahren für erledigt erklärt, gegen die Einspruchsentscheidung für das Jahr 2012 ist keine Klage mehr erhoben worden. Die Klägerin hat auch im vorliegenden Verfahren keine (substantiierten) Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen geltend gemacht.

b) Im nach der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides maßgeblichen Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (BFH, Urt. vom 17.10.1980 – VI R 136/77, BStBl. II 1981, 138; BFH, Urt. vom 26.02.1985 – VII R 134/81, BFH/NV 1987, 205; BFH, Beschluss vom 20.11.2007 – VII B 52/07, juris; a.A. Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 191 Rdn. 107: Berücksichtigung auch von Zahlungen auf die Erstschuld während des Klageverfahrens) bestanden die Steuerrückstände auch in Höhe der vom Beklagten festgesetzten Haftungsschuld. Insofern besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Im Übrigen haben die Beteiligten auch nicht vorgetragen, dass die Erstschuld später (durch Zahlung während des Klageverfahrens) ganz oder teilweise erloschen ist, so dass auch unter Zugrundelegung der Gegenauffassung keine Zweifel an der Existenz der Erstschuld bestehen.

c) Die Klägerin war auch Gesellschafterin der E GbR. Auch insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Die Klägerin hat im Rahmen des Rechtsstreits 9 K 4221/13 F zudem eingeräumt, ab dem Jahr 2011 Gesellschafterin der E GbR gewesen zu sein (Seite 7 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2017, Bl. 257 der Gerichtsakte des Verfahrens 9 K 4221/13F). Die Prozessbevollmächtigte und der Ehemann der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren am 14.05.2020 geschildert, dass die GbR unter Beteiligung der Klägerin seinerzeit deshalb gegründet worden sei, weil die Banken dies zur Voraussetzung für die Kreditgewährung gemacht hätten und weil die Klägerin aufgrund ihres beruflichen Bildungsabschlusses als Bürokauffrau eine positive Außenwirkung erzeugt habe.

d) Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass sie nicht nach außen erkennbar für die E GbR gehandelt habe, so ist dieser Umstand nicht entscheidungserheblich. Denn die Haftung nach § 128 HGB knüpft nicht an die Geschäftsführungstätigkeit, sondern an die Gesellschafterstellung an.

2. Der Beklagte hat auch sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Finanzamt hat sein Ermessen erkannt und von seinem Entschließungsermessen Gebrauch gemacht. Im Rahmen des ihm zustehenden Auswahlermessens hat das Finanzamt in Anbetracht der Aussichtslosigkeit der Vollstreckung gegenüber der E GbR ermessensfehlerfrei entschieden, alle Gesellschafter für die Steuerverbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch zu nehmen (vgl. FG Sachsen, Urt. vom 21.10.2010 – 6 K 1216/09, juris).

Haften mehrere Gesellschafter aufgrund desselben Haftungstatbestandes, so gibt es grundsätzlich keine Rangordnung für die vorrangige Inanspruchnahme eines Gesellschafters (Boeker, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 191 Rdn. 37; Intemann, in: Koenig, AO, § 191 Rdn. 48). Zwar darf die Finanzbehörde bei Inanspruchnahme nur einzelner Haftungsschuldner auch nach dem Grad des Verschuldens differenzieren (Intemann, in: Koenig, AO, § 191 Rdn. 48; Loose, in: Tipke/Kruse, AO, § 191 Rdn. 47). Eine Verpflichtung, nur denjenigen bzw. diejenigen Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, den bzw. denen der größte Verschuldensgrad zur Last gelegt werden kann, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Dies gilt insbesondere im Streitfall, da die Haftung nach § 128 HGB – anders als die Geschäftsführerhaftung nach § 69 AO – eine verschuldensunabhängige HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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verschuldensunabhängige Haftung
darstellt (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Urt. vom 22.05.2008 – 1 K 59/04, juris).

Die Finanzbehörde ist ferner insbesondere dann – unabhängig davon, ob (auch) die alleinige Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ermessensgerecht wäre – berechtigt alle Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, wenn es ungewiss erscheint, ob einer der Gesamtschuldner die Haftungsschuld wird allein begleichen können (BFH, Urt. vom 23.06.1998 – VII R 4/98, BStBl. II 1998, 761; BFH, Urt. vom 22.09.1992 – VII R 73–74/91, BFH/NV 1993, 215; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 191 Rdn. 41; Intemann, in: Koenig, AO, § 191 Rdn. 48).

Diese Voraussetzungen liegen vor, da der Mitgesellschafter und Ehemann der Klägerin über kein pfändbares Einkommen und Vermögen verfügt. Die Klägerin hingegen ist Alleineigentümerin des von den Eheleuten bewohnten Hauses … Straße in T (siehe FG Münster, Urt. vom 10.01.2019 – 5 K 1812/16 U, Rdn. 39, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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Schlagworte: BGB-Gesellschaft, Geschäftsführerhaftung Umsatzsteuer, Umsatzsteuer