§ 1004 Abs 1 BGB, § 935 ZPO, § 940 ZPO, § 16 GmbHG, § 823 Abs 1 BGB
1. Der einstweilige Rechtsschutz kann sich ausnahmsweise auf die Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste zum Handelsregister erstrecken, wenn das Vorgehen einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
erkennbar darauf ausgerichtet ist, den präventiven Rechtsschutz eines Gesellschafters zu vereiteln.
2. Die Rechtsordnung hat einem Gesellschafter maximalen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, wenn die anderen Gesellschafter die Geschäftsanteile des betroffenen Gesellschafters auf einer nicht ordnungsgemäß einberufenen Gesellschafterversammlung entgegen einer früheren richterlichen Anordnung eingezogen haben und die Gesellschaft dem betroffenen Gesellschafter kein Protokoll über die Gesellschafterversammlung übersandt und die geänderte Gesellschafterliste ohne Anhörung des betroffenen Gesellschafters heimlich zum Handelsregister eingereicht hat und im Nachgang jeden Kontaktversuch des betroffenen Gesellschafters ablehnt. In einem solchen Ausnahmefall ist der einstweilige Rechtsschutz nicht auf die Erhaltung des status quo beschränkt (Zuordnung eines Widerspruchs gegen die geänderte Gesellschafterliste und Verpflichtung zur Behandlung als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten), sondern umfasst auch die Wiederherstellung des ursprünglichen Handelsregisters (Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste), um die Regelungssystematik des § 16 GmbHG wiederherzustellen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 13.06.2024 wird der Beschluss des Landgerichts Münster vom 13.06.2024 (Az.: 24 O 23/24) unter Aufrechterhaltung des stattgebenden Verfügungsantrags zu 2 teilweise abgeändert und wie folgt ergänzt:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, eine korrigierte und den Stand bis zum 05.06.2024 wiedergebende Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
zum Handelsregister einzureichen, aus der die Gesellschafterstellung des Antragstellers bei der Antragsgegnerin als Inhaber der Geschäftsanteile mit den lfd. Nrn. N02 bis N03 hervorgeht.
Der Antragsgegnerin wird bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der am 05.06.2024 gefassten Beschlüsse untersagt, diese ganz oder teilweise umzusetzen, insbesondere registerrechtlich zu vollziehen.
Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken gegen die Geschäftsführer, angedroht.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Erlass- und des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 100.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz nach Einziehung seiner Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
. Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen des Antragstellers ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:Randnummer2
Der Antragsteller war Gründer und früherer GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
früherer Geschäftsführer
Geschäftsführer
der Antragsgegnerin und ist Gesellschafter mit einem Geschäftsanteil von zuletzt 29 % (lfd. Nr. N02 bis N03). Weitere Gesellschafter sind die I. AG mit einem Geschäftsanteil von 51 % (lfd. Nr. N04 bis N05) und die Herren O. und Y. mit jeweils einem Geschäftsanteil von 10 %. Der Antragsteller vermietete eine Immobilie an die Antragsgegnerin und stand mit ihr in einem Arbeitsverhältnis.Randnummer3
Im Dezember 2023 deutete die Mehrheitsgesellschafterin gegenüber dem Antragsteller an, eine Übernahme aller Gesellschafteranteile, eine Kündigung des Mietverhältnisses und eine Freistellung vom Arbeitsverhältnis anzustreben. In der Folgezeit kündigte sie das Mietverhältnis und machte dem Antragsteller ein Angebot zur Übernahme seiner Geschäftsanteile, das der Antragsteller zurückwies.Randnummer4
Daraufhin kündigte die Antragsgegnerin das Arbeitsverhältnis und lud die Gesellschafter zu einer Gesellschafterversammlung am 06.02.2024 ein, um u.a. über die Einziehung der Geschäftsanteile des Antragstellers aus wichtigem Grund zu beschließen. Die Gesellschafter beschlossen auf der Gesellschafterversammlung u.a. mehrheitlich gegen die Stimme des Antragstellers die Einziehung seiner Geschäftsanteile, die Beauftragung des Geschäftsführers zur Ermittlung und Auszahlung einer Einziehungsvergütung und die Bildung neuer Geschäftsanteile zur Zuordnung an die Mehrheitsgesellschafterin.Randnummer5
Der Antragsteller erhob gegen die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Klage vor dem Arbeitsgericht Rheine (Az.: 2 Ca 65/24). Dieses stellte mit Urteil vom 27.05.2024 die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses fest.Randnummer6
Außerdem erwirkte der Antragsteller vor dem Landgericht Münster eine einstweilige Verfügung vom 14.02.2024 (Az.: 26 O 3/24), wonach der Antragsgegnerin vorläufig untersagt wurde, eine geänderte Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
zum Handelsregister einzureichen, und diese vorläufig verpflichtet wurde, den Antragsteller als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten zu behandeln. Außerdem erhob der Antragsteller gegen die Gesellschafterbeschlüsse vom 06.02.2024 eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage vor dem Landgericht Münster (Az.: 26 O 5/24).Randnummer7
Auf einer weiteren Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin am 05.06.2024 wurde u.a. erneut die Einziehung der Gesellschaftsanteile des Antragstellers und die Bildung neuer Gesellschaftsanteile und deren Zuordnung an die Mehrheitsgesellschafterin beschlossen. Der Antragsteller wurde zu dieser Gesellschafterversammlung nicht eingeladen. Er erhielt auch kein Protokoll über die Gesellschafterversammlung. Die Antragsgegnerin veranlasste ohne Anhörung des Antragstellers am 07.06.2024 die Einreichung einer geänderten Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
zum Handelsregister, wonach aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom 05.06.2024 die Geschäftsanteile des Antragstellers aufgelöst, neue Gesellschafteranteile (lfd. Nr. N06 bis N07) gebildet und diese der Antragsgegnerin zugeordnet wurden. Am 10.06.2024 veranlasste die Antragsgegnerin erneut ohne Anhörung des Antragstellers die Einreichung einer weiteren geänderten Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
, wonach aufgrund einer notariellen Urkunde des Notars S. (UR-Nr. N01) die neuen Geschäftsanteile statt der Antragsgegnerin der Mehrheitsgesellschafterin zugeordnet wurden.Randnummer8
Der Antragsteller erfuhr hiervon erstmalig am 12.06.2024, nachdem er das Handelsregister eingesehen hatte. Er versuchte Kontakt zur Antragsgegnerin aufzunehmen, worauf diese nicht reagierte. Daraufhin erwirkte er in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht Münster im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzes die Zuordnung eines Widerspruchs zu den im Handelsregister veröffentlichten Gesellschafterlisten vom 07.06.2024 und 10.06.2024 (Az.: 23 O 24/24).Randnummer9
Der Antragsteller hat eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen die Gesellschafterbeschlüsse vom 05.06.2024 erhoben und im hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahren mit Schriftsatz vom 12.06.2024 vor dem Landgericht Münster beantragt:Randnummer10
„1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, eine korrigierte und den Stand bis zum 05.06.2024 wiedergebende Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
zum Handelsregister einzureichen, aus der die Gesellschafterstellung des Antragstellers bei der Antragsgegnerin als Inhaber der Geschäftsanteile mit den lfd. Nrn. N02 bis N03 hervorgeht.Randnummer11
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung der Antragsgegnerin vom 05.06.2024 weiterhin als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten zu behandeln.Randnummer12
3. Der Antragsgegnerin wird es bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der mutmaßlich am 05.06.2024 gefassten Beschlüsse untersagt, diese ganz oder teilweise umzusetzen, insbesondere registerrechtlich zu vollziehen.Randnummer13
4. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 2 bezeichneten Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken gegen die Geschäftsführer, angedroht.“Randnummer14
Das Landgericht Münster hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 13.06.2024 dem Verfügungsantrag zu 2 stattgeben und die Verfügungsanträge zu 1 und 3 abgewiesen. Die Abweisung des Verfügungsantrags zu 1 hat es damit begründet, dass der Antragsteller kein Rechtsschutzbedürfnis habe, weil er durch die Zuordnung des Widerspruchs im Parallelverfahren und durch die Stattgabe des Verfügungsantrags zu 2 ausreichend geschützt sei. Der Verfügungsantrag zu 3 sei abzulehnen, weil der Antragsteller einen Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe. Es sei unklar, ob auf der Gesellschafterversammlung am 05.06.2024 über den Einziehungsbeschluss hinaus weitere Gesellschafterbeschlüsse gefasst worden seien. Der Antragsteller sei auf sein Auskunftsrecht zu verweisen. Über den Verfügungsantrag zu 4 hat das Landgericht Münster nicht entschieden.Randnummer15
Gegen die Zurückweisung der Verfügungsanträge zu 1 und 3 sowie der Nichtentscheidung über den Verfügungsantrag zu 4 hat der Antragsteller Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt, mit der er unter Aufrechterhaltung des stattgegebenen Verfügungsantrags zu 2 beantragt:Randnummer16
„1. Unter Abänderung des Angefochtenen Beschlusses Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, eine korrigierte und den Stand bis zum 05.06.2024 wiedergebende Liste der GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafter
Liste der Gesellschafter
zum Handelsregister einzureichen, aus der die Gesellschafterstellung des Antragstellers bei der Antragsgegnerin als Inhaber der Geschäftsanteile mit den lfd. Nrn. N02 bis N03 hervorgeht.Randnummer17
2. Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird es der Antragsgegnerin bis zur rechtskräftigen Feststellung der Wirksamkeit der mutmaßlich am 05.06.2024 gefassten Beschlüsse untersagt, diese ganz oder teilweise umzusetzen, insbesondere registerrechtlich zu vollziehen.Randnummer18
3. Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 2 bezeichneten Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken gegen die Geschäftsführer, angedroht.Randnummer19
Das Landgericht hat keine Abhilfeentscheidung getroffen und die Akten dem Oberlandesgericht auf dessen Anforderung hin übersandt.Randnummer20
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss und die Schriftsätze des Antragstellers nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.Randnummer22
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.Randnummer23
Der Antragsteller hat das statthafte Rechtsmittel (§ 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) form- und fristgerecht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen beim zuständigen Beschwerdegericht eingelegt (§ 569 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO). Das Oberlandesgericht Hamm ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde nach den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen berufen (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG). Das Abhilfeverfahren war entbehrlich. Da die sofortige Beschwerde unmittelbar beim Beschwerdegericht eingelegt wurde und das Abhilfeverfahren der Prozessökonomie dient, ist es angesichts der Eilbedürftigkeit der Sache keine Voraussetzung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. Feskorn in Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 572 Rn. 4 mwN).Randnummer24
2. Die sofortige Beschwerde ist begründet.Randnummer25
a) Der Antragsteller kann im einstweiligen Rechtsschutz als Rechtsschutzziel die Anordnung, eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen, und die Untersagung, die in der Gesellschafterversammlung vom 05.06.2024 getroffenen Beschlüsse umzusetzen, verfolgen.Randnummer26
aa) Die Regelungssystematik des § 16 Abs. 3 GmbHG, die im Parallelverfahren erwirkte Zuordnung der Widersprüche gegen die geänderten Gesellschafterlisten vom 07.06.2024 und 10.06.2024 (Az.: 23 O 24/24) sowie die Stattgabe des Verfügungsantrags zu 2 auf Behandlung des Antragstellers als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten bieten im vorliegenden Fall keinen ausreichenden effektiven Rechtsschutz, weil die Antragsgegnerin die Mitgliedschaftsrechte des Antragstellers als Gesellschafter gezielt und heimlich unterlaufen hat.Randnummer27
Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass nach einer Einziehung eines Geschäftsanteils im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste untersagt werden kann. Dem von einer möglicherweise fehlerhaften Einziehung seines Geschäftsanteils betroffenen Gesellschafter muss ein effektives Mittel zur Verfügung gestellt werden, seine Entrechtung in der Gesellschaft während der Dauer des Rechtsstreits über die Einziehung zu verhindern bzw. seine streitige materiell-rechtliche Gesellschafterstellung bis zur Klärung der Wirksamkeit der Einziehung zu sichern. Begleitend zur Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen den Einziehungsbeschluss kann der Gesellschafter bei Vorliegen der Voraussetzungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die insoweit passivlegitimierte Gesellschaft das Verbot erwirken, eine neue Gesellschafterliste, in der er nicht mehr aufgeführt ist, bei dem Registergericht einzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 02.07.2019, II ZR 406/17, juris Rn. 39).Randnummer28
Darüber hinaus kann sich der einstweilige Rechtsschutz ausnahmsweise auch auf die Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste erstrecken, wenn das Vorgehen der Gesellschaft erkennbar darauf ausgerichtet ist, den präventiven Rechtsschutz des Gesellschafters zu vereiteln. Das gilt insbesondere dann, wenn der betroffene Gesellschafter mangels Einladung und Anhörung keine Kenntnis vom Einziehungsbeschluss und der Einreichung der geänderten Gesellschafterliste zum Handelsregister hat. Andernfalls hinge die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes von zeitlichen Zufällen ab und benachteiligt gerade den Gesellschafter, der auf rechtswidrige Weise keine Kenntnis von der Einziehung seiner Geschäftsanteile hat (vgl. KG, Urteil vom 17.05.2023, 23 U 14/23, juris Rn. 33 ff.; OLG München, Beschluss vom 18.05.2021, 7 W 718/21, juris Rn. 59).Randnummer29
Ein solcher Fall liegt hier vor, weil die Antragsgegnerin heimlich vorgegangen ist, den Einziehungsbeschluss ohne ordnungsgemäße Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
beschlossen hat, kein Protokoll der Gesellschafterversammlung übersandt hat, die geänderte Gesellschafterliste ohne Anhörung des betroffenen Gesellschafters zum Handelsregister eingereicht hat und im Nachgang jede Kontaktaufnahme abgelehnt hat.Randnummer30
In einem solchen Fall muss die Rechtsordnung dem betroffenen Gesellschafter vorläufig maximalen effektiven Rechtschutz gewähren. Dieser ist nicht auf die Erhaltung des status quo beschränkt (Zuordnung eines Widerspruchs gegen die geänderte Gesellschafterliste und Verpflichtung zur Behandlung als Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten), sondern umfasst auch die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands durch Korrektur des Handelsregisters (Verpflichtung zur Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste). Denn die Gesellschaft hat durch ihre Vorgehensweise gezeigt, dass sie den betroffenen Gesellschafter gerade nicht als solchen mit allen Rechten und Pflichten behandelt, weshalb eine solche Anordnung als milderes Mittel nicht genügt. Auch die Zuordnung des Widerspruchs reicht in einem solchen Fall nicht aus, weil dieser nur vor einem gutgläubigen Erwerb schützt, aber die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG unberührt lässt. Dagegen wird durch die Einreichung der ursprünglichen Gesellschafterliste die anfängliche Regelungssystematik des § 16 GmbHG wiederhergestellt.Randnummer31
bb) Das Rechtsschutzziel im einstweiligen Rechtsschutz kann sich zur Sicherung der Hauptsache auch auf die Untersagung der Umsetzung formell rechtswidriger und nichtiger Gesellschafterbeschlüsse wegen fehlerhafter Einberufung zur Gesellschafterversammlung erstrecken.Randnummer32
b) Der Antragsteller hat einen Verfügungsanspruch für beide vom Landgericht abgewiesenen Verfügungsanträge i.S.d. §§ 935, 940, 920 Abs. 2, 936, 294 ZPO glaubhaft gemacht.Randnummer33
Er hat gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Beseitigung rechtswidriger Eingriffe in sein Mitgliedschaftsrecht als Gesellschafter gemäß §§ 935, 940 ZPO i.V.m. §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB.Randnummer34
Die auf der Gesellschafterversammlung am 05.06.2024 beschlossenen Gesellschafterbeschlüsse sind formell rechtswidrig und nichtig, weil der Antragsteller zu der Gesellschafterversammlung entgegen § 51 GmbHG nicht eingeladen wurde und nicht anwesend war (vgl. bereits BGH, Urteil vom 14.12.1961, II ZR 97/59, juris [Ls.]. Hierbei handelt es sich ausweislich der vorgelegten geänderten Gesellschafterlisten vom 07.06.2024 und 10.06.2024 um die Einziehung der Gesellschafteranteile des Antragstellers, die Bildung neuer Gesellschafteranteile, deren Zuordnungen an die Antragsgegnerin und die Mehrheitsgesellschafterin sowie die Einreichung der geänderten Gesellschafterlisten beim Handelsregister.Randnummer35
Die Nichtigkeit bezieht sich auch auf alle weiteren Gesellschafterbeschlüsse vom 05.06.2024. Der Antragsteller hat entgegen dem angefochtenen Beschluss glaubhaft gemacht, dass weitere naheliegende Gesellschafterbeschlüsse ergangen sind, die mangels ordnungsgemäßer Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
in die Mitgliedschaftsrechte des Antragstellers eingreifen, etwa die Beauftragung des Geschäftsführers zur Ermittlung und Auszahlung einer Einziehungsvergütung, wie es die Gesellschafter auf der vorangegangenen Gesellschafterversammlung am 14.02.2024 beschlossen haben. Entgegen dem angefochtenen Beschluss ist der Antragsteller bei Beachtung des Wahrheitsgrundsatzes gemäß § 138 Abs. 1 ZPO nicht in der Lage, die weiteren Gesellschafterbeschlüsse näher zu konkretisieren, weil die Antragsgegnerin kein Protokoll über die Gesellschafterversammlung übersandt und jede Kontaktaufnahme verweigert hat. Schon aus diesem Grund kann der Antragsteller zur Konkretisierung der Gesellschafterbeschlüsse auch nicht auf ein offenkundig nicht erfolgsversprechendes Auskunftsrecht verwiesen werden, zumal die Sache eilbedürftig ist.Randnummer36
Schließlich sind die unter diesen Umständen erstellten und zum Handelsregister eingereichten geänderten Gesellschafterlisten weitere Eingriffe in die Mitgliedschaftsrechte des Antragstellers als Gesellschafter.Randnummer37
c) Der Antragsteller hat auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.Randnummer38
aa) Die Begründetheit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt neben dem Bestehen eines streitigen Rechtsverhältnisses (Verfügungsanspruchs) die Notwendigkeit einer Sicherung oder Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile voraus (Verfügungsgrund). Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes setzt nach ständiger Rechtsprechung des Senats in Konstellationen wie der vorliegenden eine Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit voraus, die nicht schon aufgrund bloßer abstrakter Erwägungen angenommen werden kann, sondern konkret im Einzelfall begründet werden muss. Sie kommt nur in Betracht, wenn eine Existenzgefährdung oder die Gefahr eines endgültigen Rechtsverlusts drohen (vgl. u.a. Senat, Urteil vom 10.03.2021, 8 U 151/20, juris Rn. 6).Randnummer39
bb) Diese strengen Voraussetzungen an den Verfügungsgrund sind hier erfüllt.Randnummer40
Der Senat kann offenlassen, ob sich der Verfügungsgrund bei einem gezielten Unterlaufen von Gesellschafterrechten bereits aus der Streichung des Antragstellers aus der Gesellschafterliste ergibt (so KG, Urteil vom 17.05.2023, 23 U 14/23, juris Rn. 69). Der Verfügungsgrund liegt jedenfalls in der vom Antragsteller glaubhaft gemachten konkreten Gefahr einer Umgestaltung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter und der damit verbundenen Gefahr eines endgültigen Rechtsverlusts für den Antragsteller.Randnummer41
Die Streichung von der Gesellschafterliste ist ein wesentlicher Nachteil für den Antragsteller. Die übrigen Gesellschafter können das Unternehmen nach ihrem Belieben umgestalten. Aufgrund der Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG blieben die von den übrigen Gesellschaftern gefassten Beschlüsse auch dann wirksam, wenn der Gesellschafter mit seiner Klage gegen den Einziehungsbeschluss Erfolg hätte. Insbesondere wenn wie vorliegend der Anteil eines Minderheitengesellschafters eingezogen und dieser aus der Gesellschafterliste entfernt wird, kommt es zu einem unmittelbaren Kontrollwechsel. Die veränderten Machtverhältnisse ermöglichen weitreichende Geschäftsführungsentscheidungen sowie die Fassung und Umsetzung satzungs- und strukturändernder Beschlüsse, die der Mehrheitsgesellschafter nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens entweder überhaupt nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand rückgängig machen kann (vgl. KG, Urteil vom 17.05.2023, 23 U 14/23, juris Rn. 69).Randnummer42
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass für ihn nicht nur eine abstrakte, sondern die konkrete Gefahr eines endgültigen Rechtsverlusts besteht. Die gesamte Vorgehensweise der Antragsgegnerin spricht dafür, dass die Mehrheitsgesellschafterin die Gesellschaft unter Missachtung der Gesellschafterrechte des Antragstellers nach ihrem Belieben umgestalten möchte. Nachdem eine Umsetzung der auf der ordnungsgemäß einberufenen Gesellschafterversammlung am 06.02.2024 beschlossenen Einziehung der Geschäftsanteile des Antragstellers gescheitert war, hat die Antragsgegnerin entgegen den gesetzlichen Vorgaben in § 51 GmbHG und trotz der gerichtlichen Anordnung des Landgerichts Münster vom 14.02.2024 (Az.: 26 O 3/24) erneut eine Einziehung der Geschäftsanteile des Antragstellers beschlossen und die geänderten Gesellschafterlisten vom 07.06.2024 und 10.06.2024 zum Handelsregister eingereicht, ohne den Antragsteller zur Gesellschafterversammlung einzuladen und ihn über diese Vorgehensweise im Nachgang zu informieren. Damit hat sie offenbart, dass sie sich weder an gesetzliche Vorgaben noch gerichtliche Anordnungen hält, um eigene Interessen durchzusetzen. Außerdem hat sie die Einziehung der Geschäftsanteile und die Einreichung der geänderten Gesellschafterlisten vor dem Antragsteller verheimlicht und eine Kontaktaufnahme des Antragstellers verweigert. Hinzu kommt das im Dezember 2023 zum Ausdruck gebrachte Bestreben der Mehrheitsgesellschafterin, alle Gesellschaftsanteile zu übernehmen und die bereits getroffenen Umgestaltungen der Gesellschaft wie die Kündigung des Arbeits- und Mietverhältnisses mit dem Antragsteller. Der Senat geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass eine konkrete Gefahr, weiterer Geschäftsführungsmaßnahmen sowie die Fassung und Umsetzung satzungs- und strukturändernder Beschlüsse zum Nachteil des Antragstellers besteht.
III.
Die Androhung der Ordnungsmittel beruht auf § 890 ZPO.Randnummer44
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.Randnummer45
Der Senat setzt den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf 100.000 EUR fest.
Schlagworte: Befugnis zur Einreichung der Gesellschafterliste, Einstweiliger Rechtsschutz auf Änderung der Gesellschafterliste, Einstweiliger Rechtsschutz gegen Gesellschafterliste, Einstweiliger Rechtsschutz und Gesellschafterliste, Gesellschafterliste, Liste der Gesellschafter