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BGH, Urteil vom 29. Juni 1987 – II ZR 242/86

§ 101 Abs 3 S 2 AktG vom 04.05.1976, § 103 Abs 1 AktG, § 133 Abs 1 AktG, § 241 Nr 3 Alt 2 AktG

1. Falls die Satzung keine abweichende Regelung enthält, ist ein Ersatzmitglied regelmäßig nur für den Fall bestellt, daß das ordentliche Mitglied des Aufsichtsrats ausscheidet und die zeitlich vorausgehende wahl eines Nachfolgers unterbleibt.

2. Soll das gesetzliche Erfordernis qualifizierter Mehrheiten für Beschlüsse der Hauptversammlung gemildert und durch die einfache Mehrheit ersetzt werden, so muß dieser Wille in der Satzung eindeutig zum Ausdruck kommen.

3. Zur Frage der Nichtigkeit satzungsändernder Beschlüsse, die gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen.

Tatbestand

Am 28. Juli 1983 beschloß die Hauptversammlung der verklagten Aktiengesellschaft, § 8 der Satzung neu zu fassen; danach lautete dessen Absatz 3 wie folgt: Randnummer2

Wird ein Aufsichtsratsmitglied anstelle eines ausgeschiedenen Mitglieds gewählt, so besteht sein Amt für den Rest der Amtsdauer des ausgeschiedenen Mitglieds. Tritt ein Ersatzmitglied an die Stelle eines Ausgeschiedenen, so erlischt sein Amt, falls in der nächsten oder übernächsten Hauptversammlung nach Eintritt des Ersatzfalles eine Neuwahl für den Ausgeschiedenen stattfindet, mit Beendigung dieser Hauptversammlung, andernfalls mit Ablauf der restlichen Amtszeit des Ausgeschiedenen. Randnummer3

Gleichzeitig wählte die Hauptversammlung die acht Vertreter der Anteilseigner für den Aufsichtsrat neu und bestellte für jedes der acht Mitglieder Dr. L. und Dr. R. zu Ersatzmitgliedern mit der Maßgabe, daß Dr. R. nur nachrücken sollte, falls Dr. L. dafür nicht in Frage kam. Randnummer4

Mit Schreiben vom 13. Mai 1985 teilte das Aufsichtsratsmitglied Dr. H. mit, daß er mit Ablauf der Hauptversammlung vom 28. August 1985 sein Amt niederlegen werde. Die Gesellschafter bestellten daraufhin am 28. August 1985 Georg K. für den Rest der Amtszeit Dr. H. zum Aufsichtsratsmitglied sowie Dr. L. und Dr. R. – in dieser Reihenfolge – auch zu seinen Ersatzmitgliedern. Randnummer5

Der Kläger hält die Wahlen vom 28. August 1985 für fehlerhaft; er hat den Beschluß angefochten und will hilfsweise festgestellt wissen, daß Dr. L. und Dr. R. nicht mehr Ersatzmitglieder für die 1983 bestellten Aufsichtsratsmitglieder sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zusätzlich beantragt, die am 28. Juli 1983 beschlossene Änderung des § 8 Abs. 3 Satz 2 der Satzung für nichtig zu erklären. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet, soweit sie die Satzungsänderung betrifft; im übrigen ist sie unbegründet. Randnummer7

1. Das Berufungsgericht hält es für rechtlich unbedenklich, daß nach dem von den Gesellschaftern am 28. Juli 1983 beschlossenen § 8 Abs. 3 Satz 2 der Satzung das Amt des in den Aufsichtsrat nachgerückten Ersatzmitglieds enden soll, wenn anstelle des Mitglieds, dem es nachgefolgt ist, ein neues gewählt wird. Hieran ist richtig, daß die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds aus Rechtsgründen nicht stets ausdrücklich beschlossen werden muß, vielmehr in der Satzung auch in der Weise geregelt werden kann, daß das Mitglied ausscheidet, wenn die Hauptversammlung an seiner Stelle ein neues wählt, wenn – mit anderen Worten – die Amtsdauer durch die Neuwahl auflösend bedingt ist. Das Berufungsgericht hat aber übersehen, daß die mittelbare Abberufung eines Aufsichtsratsmitgliedes durch Neuwahl eines anderen rechtlich nur möglich ist, wenn die Satzung abweichend von den §§ 101 Abs. 1, 133 Abs. 1 und 103 Abs. 1 AktG allgemein für Bestellung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern dieselben Mehrheiten vorsieht. Der Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder schließt es aus, daß die als Ersatzmitglieder nachgerückten Aufsichtsratsmitglieder mit der für die Neuwahl ausreichenden einfachen Stimmenmehrheit abberufen werden, während es hinsichtlich der übrigen Aufsichtsratsmitglieder bei dem gesetzlichen Mehrheitserfordernis von mindestens 3/4 der abgegebenen Stimmen verbleibt. Soll die Hauptversammlung Aufsichtsratsmitglieder mit einer anderen als der gesetzlichen Mehrheit abberufen können, so kann dieses Mehrheitserfordernis nur einheitlich für alle von der Hauptversammlung bestellten Mitglieder angeordnet und nicht auf bestimmte Mitglieder beschränkt werden (vgl. Sen.Urt. v. 15. Dezember 1986 – II ZR 18/86, WM 1987, 206, 207). Diesem Erfordernis wird die Satzung der Beklagten nicht gerecht. Nach deren § 21 beschließt die Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit, soweit nicht das Gesetz Abweichendes vorschreibt. § 103 Abs. 1 AktG sieht mit seiner 3/4-Mehrheit ein hiervon abweichendes Mehrheitserfordernis vor. Daß es nicht zwingend ist, vielmehr abbedungen werden kann, ist unerheblich; denn durch § 21 der Satzung wird die qualifizierte Mehrheit nicht abbedungen, sondern für Fälle, in denen das Gesetz sie vorschreibt, ausdrücklich bestätigt. Der Wille, gesetzliche Mehrheitserfordernisse zu mildern und statt ihrer die einfache Mehrheit genügen zu lassen, muß in der Satzung eindeutig zum Ausdruck kommen (vgl. Sen. Urt. v. 28. November 1974 – II ZR 176/72, WM 1975, 9). Einen derart sicheren Hinweis auf eine gewollte Erleichterung – etwa in dem Sinne, daß sie eingreift, soweit das Gesetz nicht „zwingend“ Abweichendes vorschreibt – enthält die Satzung nicht; das Wort „zwingend“ fehlt, so daß die qualifizierten Mehrheiten des Gesetzes auch maßgebend sind, wo sie hätten abbedungen werden können. § 21 gibt dann zwar seinem Wortlaut nach nur wieder, was kraft Gesetzes ohnehin gilt; hierauf ausdrücklich hinzuweisen, ist aber insofern sinnvoll, als dadurch allgemein klargestellt wird, daß für Beschlüsse der Hauptversammlung an den gesetzlichen Mehrheitserfordernissen festgehalten werden soll. Randnummer8

Der Mangel, der dem satzungsändernden Beschluß anhaftet, macht diesen nicht anfechtbar, sondern nichtig, so daß der Kläger ihn mit der Berufungsbegründung innerhalb der Dreijahresfrist des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG noch rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht hat. Auf die in der Literatur umstrittene Frage, ob satzungsändernde Beschlüsse, die gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstoßen, stets nichtig im Sinne der zweiten Alternative des § 241 Nr. 3 AktG sind oder ob es Fälle gibt, in denen das Gesetz die Anfechtbarkeit genügen läßt (vgl. Zöllner in KK, § 241 Rdnr. 114f.; Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckhardt/Kropff, AktG, § 241 Rdnr. 49ff.), braucht an dieser Stelle nicht eingegangen zu werden. Selbst wenn man satzungsändernde Beschlüsse, die entgegen § 23 Abs. 5 AktG von der gesetzlichen Regelung abweichen, nicht stets für nichtig im Sinne der zweiten Alternative des § 241 Nr. 3 AktG hält, sondern den Anwendungsbereich dieser Bestimmung enger zieht, ändert das nichts an der Nichtigkeit des Beschlusses vom 28. Juli 1983. Denn der Grundsatz der für alle Aufsichtsratsmitglieder gleichen Rechtsstellung besteht im öffentlichen Interesse und ist deshalb unverzichtbar, so daß der Beschluß selbst dann nichtig wäre, wenn man die Nichtigkeit zugunsten der Anfechtbarkeit beschränken würde. Das Erfordernis der Gleichbehandlung soll unter anderem ausschließen, daß das Aufsichtsratsmitglied bei seiner Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen, Maßnahmen, die im Interesse der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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geboten sind, nicht ergreift oder nicht für sie stimmt, weil in dem Falle seine im Vergleich zu den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern schwächere Rechtsstellung gefährdet wäre. Es geht – mit anderen Worten – um die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats. Randnummer9

Der Senat kann den Beschluß allerdings nicht für nichtig erklären, weil das Berufungsgericht zur Aktionärsstellung des Klägers nichts festgestellt hat. Damit die hierzu erforderlichen Feststellungen nachgeholt werden können, wird die Sache zurückverwiesen. Randnummer10

2. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Beschluß der Hauptversammlung vom 28. August 1985 wendet. Die Nichtigkeit der Satzungsänderung von 1983 ist auf diesen Beschluß ohne Einfluß, da die Hauptversammlung durch Neuwahl des Aufsichtsratsmitglieds K. kein Aufsichtsratsmitglied abberufen hat; das gilt sowohl für das Mitglied Dr. H., der sein Amt niedergelegt hat, wie für die Ersatzmitglieder, die nicht Mitglieder des Aufsichtsrats geworden sind, weil die Hauptversammlung durch die rechtzeitige Neuwahl verhindert hat, daß eine Vakanz im Aufsichtsrat und damit die für den Beginn ihres Amtes maßgebende aufschiebende Bedingung eingetreten ist. Randnummer11

Die Revision ist zu Unrecht der Ansicht, Georg K. sei nicht wirksam in den Aufsichtsrat gewählt worden, weil die Hauptversammlung nicht zuvor die Ersatzmitglieder abberufen habe und deshalb eines von ihnen anstelle des ausgeschiedenen Dr. H. als ordentliches Mitglied nachgerückt sei. Hierbei wird verkannt, daß das Ersatzmitglied nur dann nachfolgen kann, wenn das Aufsichtsratsmitglied, für das es bestellt ist, nicht nur vor Ablauf der Amtszeit ausscheidet, sondern dadurch zugleich eine Lücke im Aufsichtsrat hinterläßt. Zu einer solchen Lücke kommt es nicht, wenn die Hauptversammlung im Hinblick auf das vorzeitige Ende der Amtszeit für den Ausgeschiedenen einen Nachfolger wählt. Hieran ist sie aus Rechtsgründen nicht deshalb gehindert, weil für die Nachfolge des Ausscheidenden ein Ersatzmitglied zur Verfügung steht und ohne weiteres nachrücken könnte. Falls die Satzung keine abweichende Regelung enthält, ist ein Ersatzmitglied regelmäßig nur für den Fall bestellt, daß das ordentliche Mitglied ausscheidet und die zeitlich vorausgehende wahl eines Nachfolgers – aus welchen Gründen auch immer – unterblieben ist. Da im vorliegenden Falle der Nachfolger gewählt war, bevor Dr. H. ausschied, ist diesem keines der beiden Ersatzmitglieder nachgefolgt, so daß es auch nicht als ordentliches Mitglied abberufen werden mußte. Ebensowenig war es erforderlich, es als Ersatzmitglied Dr. H.s abzuberufen, da sich dieses Amt mit dessen Ausscheiden von selbst erledigte. Im Amt blieben Dr. L. und Dr. R. jedoch als Ersatzmitglieder der übrigen am 28. Juli 1983 gewählten und nicht vorzeitig ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieder. Den Antrag, hilfsweise festzustellen, daß ihre Ämter insoweit erloschen seien, haben die Vorinstanzen deshalb mit Recht abgewiesen. Randnummer12

Rechtlich unbedenklich konnte die Hauptversammlung am 28. August 1985 Dr. L. und Dr. R. zu Ersatzmitgliedern des neugewählten Mitglieds Georg K. bestellen. Wie der Senat in seinem Urteil vom 15. Dezember 1986 (aaO) ausgeführt hat, können – wie das hier geschehen ist – für ein Aufsichtsratsmitglied mehrere Ersatzmitglieder mit der Maßgabe gewählt werden, daß sie ihm in einer festgelegten Reihenfolge nachfolgen. Randnummer13

Mit ihrer Ansicht, daß der Beschluß der Hauptversammlung wegen eines Mangels der Beurkundung nach § 241 Nr. 2 AktG i. V. m. § 130 Abs. 2 AktG nichtig sei, dringt die Revision schon deshalb nicht durch, weil der Kläger die behaupteten Mängel nicht schon in den Tatsacheninstanzen, sondern erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht hat (§ 561 Abs. 1 ZPO).

Schlagworte: AktG § 241, Analoge Anwendung der §§ 241 ff AktG, analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG, Analoge Anwendung von §§ 241, Analoge Anwendung von §§ 241 242 und 249 AktG, Nichtigkeit neben § 241 AktG analog, Nichtigkeit von Beschlüssen nach § 241 AktG analog, Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen nach § 241 AktG analog und nach GmbHG, Verletzung von Bestimmungen über den Schutz öffentlicher Interessen nach § 241 Nr. 3 Alt. 3 AktG analog, Verletzung von Bestimmungen über den Schutz von Gläubigern nach § 241 Nr. 3 Alt. 2 AktG analog