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KG Berlin, Beschluss vom 12. März 2020 – 22 W 73/19

§ 122 Abs. 1 AktG

1. Eine gerichtliche ErmächtigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Ermächtigung
gerichtliche Ermächtigung
zur Einberufung der HauptversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Hauptversammlung
Hauptversammlung
einer AG ist auch möglich, wenn sich die Gesellschaft in Insolvenz befindet, soweit sich die zu behandelnden Beschlussgegenstände auf insolvenzfreie Bereiche beziehen.

2. Eine Ermächtigung zur Durchführung einer sog. beschlusslosen Hauptversammlung kommt nur dann in Betracht, soweit das Gesetz überhaupt solche Fälle vorsieht. Das Bedürfnis, über die Gründe und Ursachen der Insolvenz informiert zu werden, ist dabei kein gesetzlich vorgesehener Fall.

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 08. November 2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 30. September 2019, Az. HRB 190354 B, wird zurückgewiesen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist ein Antrag auf Ermächtigung der Beteiligten zu 1) vom 01. August 2019, eine Hauptversammlung zu bestimmten Tagesordnungspunkten gemäß § 122 AktG einzuberufen.

Die Beteiligte zu 1) ist Gesellschafterin der Beteiligten zu 2), einer Aktiengesellschaft, deren Grundkapital sich auf 1.000.000,00 Euro beläuft und in 1.000.000 Stückaktien eingeteilt ist. Die Beteiligte zu 2) hat seit September 2019 keinen Vorstand mehr.

Über das Vermögen der Beteiligten zu 2) ist durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg am 03. Juni 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden, nachdem die Beteiligte zu 2) am 20. Mai 2019 einen Eigenantrag gestellt hatte.

Mit Schreiben vom 07. Juni 2019 hat die Beteiligte zu 1) vom einzigen Vorstand der Beteiligten zu 2), Frau E., vergeblich die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung begehrt. Das Schreiben ist zum einen an die Privatanschrift des Vorstands, zum anderen an die inländische Geschäftsanschrift der Beteiligten zu 2) gerichtet gewesen.

Mit Schreiben vom 01. August 2019 hat die Beteiligte zu 1) beantragt,

sie gemäß § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG zu ermächtigen, eine außerordentliche Hauptversammlung der Beteiligten zu 2) einzuberufen, auf welcher der folgende Tagesordnungspunkt behandelt werden soll:

Bericht des Vorstands zu den Geschehnissen und Ursachen, welche den Vorstand der Beteiligten zu 2) zur Stellung eines Insolvenzantrages über das Vermögen der Beteiligten zu 2) bewogen haben sowie Beantwortung von Fragen der Aktionäre der Beteiligten zu 2) hierzu.

Sie hat ferner angeregt, einen neutralen Versammlungsleiter zu bestimmen nach § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG und diesbezüglich vorgebracht, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrates, dem gem. § 16 der Satzung der Vorsitz in der Hauptversammlung obliegt, nichts gegen das Vorstandsmitglied E. unternommen habe, das sich ihrer Auffassung nach einer Untreuehandlung nach § 266 StGB strafbar gemacht habe. Der Aufsichtsratsvorsitzende habe es zudem gebilligt, dass der Aufsichtsrat Frau R. zum weiteren Vorstand der Beteiligten zu 2) bestellt habe und diese kurz vor der Insolvenz ihr Amt wieder niedergelegt habe. Diese sei in erheblicher Weise vergütet worden.

Ferner habe der Vorstand die Aktionäre über den Insolvenzantrag und deren Hintergründe nicht informiert, es sei daher wichtig, dass der Vorstand die Hauptversammlung unterrichte, aus welchen Gründen es zur vorläufigen Insolenz gekommen sei und wie sich die laufende Situation der Gesellschaft darstelle, ob die Gesellschaft weitergeführt werden könne oder zerschlagen werde.

Am 16. September 2019 ist das Vorstandsmitglied E. aus dem Handelsregister nach dessen Amtsniederlegung gelöscht worden.

Mit Beschluss vom 30. September 2019, der Beteiligten zu 1) am 08. Oktober 2019 zugestellt, hat das Amtsgericht Charlottenburg den Antrag der Beteiligten zu 1) vom 01. August 2019 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrer Beschwerde vom 08. November 2019, am selben Tage bei Gericht eingegangen. Das Amtsgericht Charlottenburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft gem. § 122 Abs. 3 Satz 4 AktG und innerhalb der Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 375 Nr. 3 FamFG beim Amtsgericht eingelegt worden. Die Beteiligte zu 1) ist als durch ihren Antrag auf Einberufung einer Hauptversammlung zurückweisenden Beschluss unmittelbar beschwert im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG.

2. Die Beschwerde ist unbegründet.

a) Die formellen Voraussetzungen nach § 122 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AktG für das Einberufungsverlangen der Beteiligten zu 1) sind allerdings erfüllt. Die Beteiligte zu 1) erreicht die erforderliche Mindestbeteiligung von 5 % des Grundkapitals, die Mindestbesitzzeit ist gewahrt. Der Antrag entspricht inhaltlich den Anforderungen des § 122 Abs. 1 AktG, er nennt Zweck und Gründe des Ermächtigungsantrags. Dies stimmt auch mit dem Verlangen überein, das dem Vorstand mit Schreiben vom 07. Juni 2019 zugesandt worden ist. Der Vorstand hat dem Schreiben nicht entsprochen.

b) Auch steht das laufende Insolvenzverfahren der Ermächtigung der Einberufung zur Hauptversammlung nicht grundsätzlich entgegen (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 11. April 2013, I-3 Wx 36/13, juris Rn 36 f; Keidel-Heinemann, FamFG, 20. Aufl., § 375 Rn 54; Schmidt/Lutter-Ziemons, AktG, 3. Aufl., § 122 Rn 19). Die Befugnis des Einberufungsverlangens durch die Minderheit nach § 122 AktG gilt aber nur dann fort, sofern sich das Einberufungsverlangen auf Beschlussgegenstände bezieht, für welche die Hauptversammlung trotz Insolvenz der Gesellschaft zuständig bleibt, wie etwa die Abberufung und Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, Vertrauensentzug gegenüber dem Vorstand, Satzungsänderungen über Mehrheitserfordernisse oder Kapitalerhöhungen sowie Sonderprüfungsanträge (Oberlandesgericht Düsseldorf, aaO, juris Rn 35; Spindler/Stilz-Rieckers, AktG, 4. Aufl. § 122 Rn 48a).

c) Im vorliegenden Falle scheidet aber der beabsichtigte Tagesordnungspunkt der Berichterstattung des Vorstands aus, da niemand mehr berichten kann und der Tagesordnungspunkt damit ins Leere läuft. Der Vorstand der Beteiligten zu 2) ist seit dem 16. September 2019 vollständig aus dem Handelsregister gelöscht. Bei fehlendem Vorstand besteht auch keine Ersatzzuständigkeit des Aufsichtsrats, vielmehr muss zunächst der Mangel in der Vorstandsbestellung – notfalls in dem Verfahren nach § 85 AktG – behoben werden, ehe die Einberufung der HauptversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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durch den Vorstand betrieben werden kann (Hirte/Mülbert/Roth-Butzke, AktG, 5. Aufl., § 122 Rn 20; Hüffer/Koch-Koch, AktG, 14. Aufl., § 122 Rn 5).

d) Der begehrte Tagesordnungspunkt ist zudem unzulässig, da er nicht auf eine Beschlussfassung der Hauptversammlung gerichtet ist, sondern lediglich einen Bericht des Vorstands zu den Geschehnissen und Ursachen bezüglich des Insolvenzantrags mit Fragen der Aktionäre diesbezüglich vorsieht.

(1) Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG ist die Hauptversammlung auf Verlangen von Aktionären, deren Mindestbeteiligung bei 5 % des Grundkapitals liegt, einzuberufen. Die Vorschrift bezweckt den Schutz der Minderheitsaktionäre und soll als Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts die Ausübung der an die Hauptversammlung gebundenen Rechte gewährleisten (Oberlandesgericht München, Beschluss vom 09. November 2009, 31 Wx 134/09, juris Rn 9; Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 25. November 2008, 8 W 370/08, juris Rn 11). Das Gericht hat in Bezug auf einen Antrag nach § 122 Abs. 1, 3 AktG dementsprechend zu prüfen, ob die Beschlussgegenstände zur Zuständigkeit der Hauptversammlung gehören, die beantragte Beschlussfassung inhaltlich zulässig ist und ob das Verlangen nicht rechtsmissbräuchlich gestellt ist (Kammergericht, Beschluss vom 25. August 2011, 25 W 63/11, juris Rn 19). Insbesondere darf daher das Einberufungsverlangen nur auf die Behandlung solcher Gegenstände durch die Hauptversammlung gerichtet sein, für die diese eine aktienrechtliche Zuständigkeit besitzt und die eine Beschlussfassung durch die Hauptversammlung erfordern (Oberlandesgericht München, aaO, juris Rn 10). Für beschlusslose Tagesordnungspunkte kann grundsätzlich der Aktionärsminderheit keine Ermächtigung zur Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung nach § 122 Abs. 1, 3 AktG erteilt werden. Hiergegen spricht auch nicht Art. 6 Abs. 1 lit. a) Aktionärsrechte-RL, denn diese regelt gerade nur das Ergänzungsverlangen gem. § 122 Abs. 2 AktG und nicht das hier relevante Einberufungsverlangen gem. § 122 Abs. 1 AktG. Eine Diskussion über beschlusslose Gegenstände auf einer ohnehin stattfindenden Hauptversammlung führt nur zu einem überschaubaren zeitlichen Mehraufwand, während die Einberufung einer Hauptversammlung ausschließlich zu Unterrichtungs- und/oder Erörterungszwecken einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand zur Folge hätte (Hirte/Mülbert/Roth-Butzke, aaO, § 122 Rn 23; Münchener Kommentar zum AktG-Kubis, aaO, § 122 Rn 16; Spindler/Stilz-Rieckers, aaO, § 122 Rn 21). Die begehrte Tagesordnung zu einem Bericht des Vorstandes zu Geschehnissen und Ursachen, die den Vorstand zur Stellung des Insolvenzantrages bewogen haben, umfasst keine Beschlussfassung und ist aus diesem Grunde nicht tauglicher Tagesordnungspunkt im Rahmen des § 122 Abs. 1 AktG.

(2) Eine Ausnahme vom Verbot der beschlusslosen Hauptversammlung ist nur in den gesetzlich geregelten Fällen der beschlusslosen Behandlung wie der Verlustanzeige und der Vorlage des Jahresabschlusses (§§ 92 Abs. 1, 175 Abs. 1 Satz 2 AktG ) möglich (Oberlandesgericht München, aaO, juris Rn 9; Oberlandesgericht Stuttgart, aaO, juris Rn 11; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
, Beschluss vom 15. Februar 2005, 20 W 1/05, juris Rn 7; Hirte/Mülbert/Roth-Butzke, aaO, § 122 Rn 23; Münchener Kommentar zum AktG-Kubis, aaO, § 122 Rn 16; Schmidt/Lutter-Ziemons, aaO, § 122 AktG Rn 18). Der von der Beteiligten zu 1) begehrte Tagesordnungspunkt ist entgegen der Beschwerdebegründung aber nicht von der Ausnahme des § 92 Abs. 1 AktG umfasst. Denn die in § 92 Abs 1 AktG statuierte Einberufungs- und Anzeigepflicht soll die rechtzeitige Information der Hauptversammlung über den Eintritt eines außergewöhnlichen Verlusts in Höhe der Hälfte des Grundkapitals und der damit verbundenen Gefahr einer Krise der Gesellschaft sicherstellen und es ihr ermöglichen, dieser Situation gegebenenfalls durch Kapitalmaßnahmen oder durch Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
zu begegnen (Hirte/Mülbert/Roth-Habersack/Foerster, aaO, § 92 Rn 2). Der Vorstand ist verpflichtet, unverzüglich und damit ohne schuldhaftes Zögern die Hauptversammlung einzuberufen und ihr den Verlust anzuzeigen (Hirte/Mülbert/Roth-Habersack/Foerster, aaO, § 92 Rn 25). Den Zweck des § 92 Abs. 1 AktG, gegebenenfalls Sanierungsmaßnahmen zu beschließen und eine mögliche Krise abzuwenden, kann eine Hauptversammlung vorliegend aber nicht (mehr) erfüllen, da die Hauptversammlung zum einen ohne Vorstand nicht beschlussfähig ist und zum anderen bereits Insolvenzantrag gestellt wurde. Die Hauptversammlung kann nach Stellung des Insolvenzantrags keine Entscheidungen über Maßnahmen der Krisenabwehr mehr treffen und der Informationszweck der Vorschrift wird in diesem Fall bereits durch den Insolvenzantrag erfüllt (Hüffer/Koch-Koch, aaO, § 92 Rn 5; Münchener Kommentar zum AktG-Spindler, § 92 Rn 6; Schmidt/Lutter-Krieger/Sailer-Coceani, aaO, § 92 Rn 10; Spindler/Stilz-Fleischer, aaO, § 92 Rn 11.).

(3) Vorliegend greift auch keine andere Ausnahme. Zwar können beschlusslose Tagesordnungspunkte einer Ansicht zufolge auch die Voraussetzungen für gleichzeitig beantragte oder später zu treffende Beschlussfassungen klären, so etwa bei der Vorlage eines Sonderprüfungsberichts, der die Grundlage für die Entscheidung über die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern oder den Vertrauensentzug gegenüber dem Vorstand bildet (Hirte/Mülbert/Roth-Butzke, aaO, § 122 Rn 23). Vorliegend könnte – zumindest nach erforderlicher Umstellung des Antrags, der derzeit noch auf Auskunft des (nicht vorhandenen) Vorstandes gerichtet ist – aufgrund der erhobenen Vorwürfe der Beteiligten zu 1) gegenüber dem Vorstand möglicherweise eine Sonderprüfung nach § 147 AktG in Betracht kommen. Vorliegend ist aber schon nicht gleichzeitig eine begehrte Beschlussfassung der Hauptversammlung vom Antrag der Beteiligten zu 1) mitumfasst. Zweifelhaft ist weiter, ob das Begehren tatsächlich so konkret ist, dass eine später zu treffende Beschlussfassung zu erwarten wäre. Der Vorstand, der Insolvenzantrag gestellt hat, steht für den begehrten Informationsgewinn zudem nicht mehr zur Verfügung. Auch könnte ein entsprechender Beschluss der Hauptversammlung derzeit ohne Vorstand ohnehin nicht erfolgen. Ein entsprechendes Verfahren ist nach aktuellem Stand zudem weder beantragt noch beabsichtigt. Darüber hinaus ist von der Beteiligten zu 1) weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die begehrten „Informationen“ allein aus einer außerordentlichen Hauptversammlung zu gewinnen wären und nicht etwa aus einem zunächst veranlassten Vorgehen außerhalb dieser. Dass und welche Informationen, die über das Insolvenzverfahren hinaus gehen, konkret zu erwarten sind, ist nicht ersichtlich. Angesichts der vorgenannten Unsicherheiten erachtet der Senat es daher nicht als ausreichend, hier eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots der beschlusslosen Hauptversammlung zuzulassen und die begehrten Fragen in einer außerordentlichen Hauptversammlung klären zu lassen, zumal angesichts fehlenden Vorstands und behaupteter Involviertheit des Aufsichtsrates Erfolgsaussichten des Begehrens nicht einzuschätzen sind. Dies muss daher gegenüber einem zunächst veranlassten Vorgehen außerhalb der außerordentlichen Hauptversammlung – wie etwa der Akteneinsicht beim Insolvenzgericht und dem Verfahren nach § 85 AktG – zurücktreten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 4 AktG. Anlass, aus Billigkeitsgründen abzuweichen, besteht nicht. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 79 Abs. 1 Satz 1, 36 GNotKG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

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Schlagworte: AktG § 122, beschlusslose Hauptversammlung, Einberufung, Eingerufung Hauptversammlung