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BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvR 748/05

Art 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 17 Abs 1 S 4 EStG vom 24.03.1999, § 52 Abs 1 S 1 EStG vom 24.03.1999, § 255 HGB, StEntlG 1999/2000/2002

Die Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen durch § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 war mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden, die zum Teil den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen.

1a. Die nachträgliche, belastende Änderung der Rechtsfolge eines in der Vergangenheit liegenden Verhaltens bedarf einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des GG (vgl BVerfG, 03.12.1997, 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 <78 f>; BVerfG, 27.09.2005, 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258 <300 f>). (Rn.44)

1b. Eine „echte“ Rückwirkung, also eine Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen auf Tatbestände, die bereits vor dem Zeitpunkt der Normverkündung abgeschlossen sind, ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig (vgl BVerfGE 97, 67 <78 f>). (Rn.45)

1c. Nicht grundsätzlich unzulässig ist hingegen eine „unechte“ Rückwirkung, in deren Rahmen die Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, jedoch tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“ – vgl BVerfG, 05.02.2002, 2 BvR 305/93, BVerfGE 105, 17 <37 f>). Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl BVerfG, 08.12.2009, 2 BvR 758/07, BVerfGE 125, 104 <135>). (Rn.46)

1d. Um mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar zu sein, muss die unechten Rückwirkung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich sein; zudem müssen bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben. (Rn.47)

2. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist (vgl § 38 AO iVm § 36 Abs 1 EStG). An dieser Rspr wird auch angesichts der im Schrifttum geäußerten Kritik festgehalten (vgl BVerfG, 07.07.2010, 2 BvL 14/02, NJW 2010, 3629 <3631; Rn 59>). (Rn.48)

3. Zu Ls 1: (Rn.53)

3a. Ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf entstand insoweit, als der Steuerpflichtige durch zwischenzeitliche Wertzuwächse von Beteiligungen, die die 25 %-Grenze nicht überschritten, einen konkret vorhandenen Vermögensbestand erworben hatte und eine solche konkret verfestigte Vermögensposition nachträglich entwertet wurde. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Wertzuwachs „latent steuerverhaftet“ blieb, da der Steuerpflichtige „in die Wesentlichkeit hineinwachsen“ konnte. (Rn.54)

3b. Soweit eine nach Maßgabe alten Rechts unwesentliche Beteiligung bereits bis Ende des Jahres 1998 bestanden hat, bewirkt die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist zudem eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung (vgl BVerfG, 09.12.2008, 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 <231> mwN). Die Besteuerung von Wertsteigerungen zielt auf eine liquiditätsschonende Besteuerung zum Zeitpunkt der Realisierung der Wertsteigerung; dies geschieht nicht deshalb, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs entstünde, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstanden ist (vgl BVerfG, 2 BvL 14/02, aaO <3632; Rn 70 ff>). (Rn.56)

3c. Rechtfertigende Gründe von hinreichendem Gewicht sind nicht ersichtlich. Eine bessere Verwirklichung der Steuergerechtigkeit dadurch, dass die Neuregelung den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit umsetze, ist kein spezifischer, den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene Wertsteigerungen legitimierender Grund. Gegenfinanzierungseffekte durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage sind ebenso wenig ausreichend wie Gesichtspunkte der Praktikabilität (wird ausgeführt; vgl auch BVerfG, 2 BvL 14/02, aaO <3633; Rn 73 ff>). (Rn.58)

3d. Insbesondere kann auch der Aspekt der Missbrauchsbekämpfung den Zugriff auf bereits eingetretene steuerfreie Wertsteigerungen nicht rechtfertigen. Insoweit ist in erster Linie ein in die Zukunft gerichtetes Änderungsinteresse betroffen. Zudem ist die Erschwerung missbräuchlicher Gestaltungen nur ein Nebeneffekt; die steuerfreie Veräußerung einer Beteiligung ist regelmäßig nicht rechtsmissbräuchlich. (Rn.61)

4. Die unterschiedliche Besteuerung von Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Sie folgt aus der das Einkommensteuerrecht prägenden Grundkonzeption des sog. Dualismus der Einkunftsarten, der innerhalb Gestaltungspielraum des Gesetzgebers liegt (vgl BVerfGE 122, 210 <230>). Ob Gewinne aus der Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens besteuert werden, ist eine Frage politischer Gestaltung. (Rn.64)

5. Die Änderung der Beteiligungsgrenze begegnet schließlich insofern keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit sie Fälle betrifft, in denen Wertsteigerungen erst nach der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 eintraten. Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, ist nicht vertrauensrechtlich geschützt. (Rn.51)

6. Zur Feststellung des Gegenstandswertes im vorliegenden Verfahren vgl Beschluss des 2. Senats vom 05.05.2011, 2 BvR 748/05.

Tenor

§ 17 Absatz 1 Satz 4 in Verbindung mit § 52 Absatz 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I Seite 402) verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.

Die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 1. März 2005 – VIII R 25/02 -, vom 1. März 2005 – VIII R 92/03 – und vom 10. August 2005 – VIII R 22/05 – werden aufgehoben. Die Verfahren werden an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.

Gründe

A.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbarist, dass Gewinne aus der privaten Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften nach § 17 Abs. 1 in Verbindung mit§ 52 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz – EStG – in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März1999 (BGBl I S. 402) der Einkommensteuer unterworfen sind, insbesondere soweit sich die damit einhergehende Absenkung derBeteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 % auch auf nach altem Recht bestehende Beteiligungsverhältnisse bezieht.

I.

1. Das Einkommensteuergesetz unterscheidet nach § 2 Abs. 2 EStG zwischen Gewinneinkunftsarten und Überschusseinkunftsarten.Im Rahmen der Gewinneinkunftsarten, zu denen die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständigerArbeit zählen, unterliegt der Wertzuwachs bei den zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern der Besteuerung zum Zeitpunktihrer Realisierung insbesondere in Gestalt eines Veräußerungsgewinns. Bei den Überschusseinkunftsarten, zu denen die Einkünfteaus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung sowie „sonstige Einkünfte“ gehören,gilt das für die Einkünfteerzielung eingesetzte Vermögen als Privatvermögen. Wertsteigerungen des Privatvermögens bleibengrundsätzlich auch im Fall einer Veräußerung einkommensteuerfrei, wenn nicht das Einkommensteuergesetz die Besteuerung „privater“Veräußerungsgewinne besonders vorsieht. Nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechtslage war das für die Gewinne ausder Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft der Fall, die nach § 17 Abs. 1 Satz1 und 4 EStG a.F. als Einkünfte aus GewerbebetriebBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
Gewerbebetrieb
der Einkommensteuer unterlagen, wenn der Steuerpflichtige innerhalb derletzten fünf Jahre vor der Veräußerung – das heißt zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraums – zu mehr als 25 %beteiligt war.Randnummer3

2. Diese Regelung geht auf das Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925 (RGBl I S. 189) zurück, nach dessen § 30 Abs. 3 dieVeräußerung von Anteilen an einer „Erwerbsgesellschaft“ der Veräußerung eines Gewerbebetriebs oder Teilbetriebs gleichgestelltwar und deshalb der Einkommensteuer unterlag, wenn der Veräußernde innerhalb der letzten zehn Jahre zu mehr als 25 % beteiligtwar. § 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 1005) übernahm diese Regelung, verkürzte allerdingsden maßgeblichen Zeitraum auf die letzten fünf Jahre vor der Veräußerung. Diese Fassung blieb trotz verschiedener Reforminitiativenbis Ende des Jahres 1998 im Kern unverändert. Der Vorschlag der Steuerreformkommission 1971, die Beteiligungsgrenze auf 10% zu senken (vgl. Bundesministerium der Finanzen <Hrsg.>, Gutachten der Steuerreformkommission 1971, S. 88), mündete zwarin einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 7/1470, S. 33, 264), wurde aber nicht Gesetz. DerBundesrat sprach sich im Jahr 1993 ebenfalls erfolglos für eine Beteiligungsgrenze von 10 % aus (vgl. BTDrucks 12/5940, S.4, 28). Zuletzt sahen die von einer Regierungskommission im Jahr 1997 unterbreiteten „Petersberger Steuervorschläge“ einezehnprozentige Beteiligungsgrenze vor (vgl. NJW 1997, Beilage zu Heft 13, S. 5 <8>). Der darauf zurückgehende Entwurf einesSteuerreformgesetzes 1999 (vgl. BTDrucks 13/7480, S. 38, 199) fand jedoch nicht die Zustimmung des Bundesrates (vgl. BTDrucks13/8177).Randnummer4

3. Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 wurde die Beteiligungsgrenze durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 schließlichdoch auf 10 % gesenkt.Randnummer5

a) Der zugrundeliegende Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN datiert vom 9. November 1998. In der Begründungheißt es, durch die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze solle die Besteuerungsgrundlage verbreitert werden. Außerdem dienedie Neuregelung der Missbrauchsbegrenzung. Der Anwendungsbereich des § 50c Abs. 11 EStG, der vielfach deshalb Kritik erfahre,weil er die steuerlichen Folgen beim Erwerber und nicht beim Veräußerer der Beteiligung ansetze, werde zurückgedrängt. Esbestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass auch solche Wertzuwächse der Besteuerung unterlägen, die bis zur Änderungnicht steuerverhaftet gewesen seien. Deren Ausklammerung durch gesonderte Feststellung des Werts der bereits bestehenden Beteiligungengehe mit einem unzumutbaren Aufwand einher. Das Feststellungsverfahren sei sehr streitanfällig und würde zu langwierigen Rechtsbehelfsverfahrenführen (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178).Randnummer6

b) Mit Beschluss vom 13. November 1998 überwies der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf an den Finanzausschuss, der am 2.März 1999 seine Beschlussempfehlung fasste (vgl. BTDrucks 14/442). Im dazugehörigen Bericht wird die Herabsetzung der Beteiligungsgrenzeals Teil eines Katalogs von Maßnahmen zur Gegenfinanzierung der im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vorgesehenen Steuererleichterungenaufgeführt (vgl. BTDrucks 14/443, S. 2 ff., S. 4, linke Spalte, letzter Spiegelstrich). Der Bundestag fasste in der Sitzungam 4. März 1999 in namentlicher Abstimmung den endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BT-Plenarprotokoll 14/25, S. 1956 ff.).Der Bundesrat stimmte in seiner Sitzung am 19. März 1999 zu (vgl. BRDrucks 129/99). Nach Ausfertigung durch den Bundespräsidentenam 24. März 1999 wurde das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 am 31. März 1999 verkündet (BGBl I S. 402).Randnummer7

c) In der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung lauten die einschlägigen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes:Randnummer8

§ 2

Umfang der Besteuerung, BegriffsbestimmungenRandnummer10

(1) Der Einkommensteuer unterliegenRandnummer11

(…)Randnummer12

2. Einkünfte aus GewerbebetriebBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
Gewerbebetrieb
,Randnummer13

(…)Randnummer14

die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seinerbeschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. (…)Randnummer15

(…)Randnummer16

§ 17Randnummer17

Veräußerung von Anteilen an KapitalgesellschaftenRandnummer18

(1) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft,wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. (…) Anteile aneiner Kapitalgesellschaft sind Aktien, Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
, Kuxe, Genussscheine oder ähnlicheBeteiligungen und Anwartschaften auf solche Beteiligungen. Eine wesentliche BeteiligungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beteiligung
wesentliche Beteiligung
ist gegeben, wenn der Veräußerer zumindestens 10 vom Hundert unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. (…)Randnummer19

(2) Veräußerungsgewinn im Sinne des Absatzes 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskostendie Anschaffungskosten übersteigt. (…)Randnummer20

(…)Randnummer21

§ 52Randnummer22

AnwendungsvorschriftenRandnummer23

(1) Diese Fassung des Gesetzes ist, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist, erstmals für den Veranlagungszeitraum1999 anzuwenden. (…)Randnummer24

(…)

II.

1. a) Die Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 748/05, zusammen veranlagte Eheleute, hielten Beteiligungen an einer GmbHin Höhe von insgesamt 70 %, wobei auf den Beschwerdeführer 60 % und auf die Beschwerdeführerin 10 % entfielen. Mit Vertragvom 29. Dezember 1998 übertrug die Beschwerdeführerin mit sofortiger Wirkung einen Teil zu einem Preis von 600 DM auf denBeschwerdeführer, wodurch sich ihre Beteiligung auf 9,92 % verringerte, die sie mit Vertrag vom 28. Juni 1999 zu einem Preisvon 992.000 DM an einen Dritten veräußerte. Aufgrund der Rechtsänderungen durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002ging das Finanzamt von einer Beteiligungsgrenze von mindestens 10 % innerhalb der fünf Jahre vor der Veräußerung aus und rechneteden Gewinn in Höhe von 916.356 DM dem zu versteuernden Einkommen zu.Randnummer26

Nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens änderte das Finanzgericht Baden-Württemberg den Einkommensteuerbescheidmit Urteil vom 19. März 2002 – 1 K 63/00 – (EFG 2002, S. 701 ff.) insoweit ab. Die Neufassung der Beteiligungsgrenze durchdas Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 müsse, damit sie nicht zu einer unzulässigen Rückwirkung führe, verfassungskonformso ausgelegt werden, dass sie erst ab dem Jahr 1999 gelte und für die davorliegenden Jahre die alte Beteiligungsgrenze maßgeblichsei. Danach habe die Beschwerdeführerin die Besteuerung durch die Verringerung ihres Anteils von 10 % auf 9,92 % noch vordem Jahreswechsel vermeiden können. Auf die Revision des Finanzamts hob der Bundesfinanzhof diese Entscheidung mit dem mitder Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil vom 1. März 2005 – VIII R 25/02 – auf (BStBl II S. 436 ff. = BFHE 209, 275ff.).Randnummer27

b) Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 753/05 war mit Anteilen zu 20.000 DM an einer GmbH beteiligt, deren Stammkapitalsich auf 150.000 DM belief. Mit Vertrag vom 11. März 1999 veräußerte er einen Teil seiner Beteiligung zu einem Preis von 1.510.000DM. Den Gewinn rechnete das Finanzamt dem zu versteuernden Einkommen zu. Die dagegen erhobene Klage wies das FinanzgerichtNürnberg mit Urteil vom 15. September 2003 – IV 229/2002 – ab (EFG 2004, S. 105 ff.). Soweit die geänderte Beteiligungsgrenzeauch für solche Beteiligungen gelte, die bereits bei der Rechtsänderung bestanden hätten, sei dies verfassungsrechtlich nichtzu beanstanden. Die dagegen gerichtete Revision des Beschwerdeführers wies der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 1. März 2005- VIII R 92/03 – zurück (BStBl II S. 398 ff. = BFHE 209, 285 ff.).Randnummer28

c) Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 1738/05 hielt seit dem Jahr 1993 einen GmbH-Anteil von 24,02 % und veräußertediese Beteiligung mit Vertrag vom 23. Juli 2001 für 100.000 DM. Den Gewinn rechnete das Finanzamt dem zu versteuernden Einkommenzu. Die dagegen erhobene Klage wies das Niedersächsische Finanzgericht mit Urteil vom 14. Februar 2005 – 3 K 679/04 – ab (EFG2005, S. 1041 ff.). Zwar müsse § 17 Abs. 1 EStG in verfassungskonformer Weise so verstanden werden, dass es bei der Betrachtungdes zurückliegenden Zeitraums auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum gültige Beteiligungsgrenze ankomme. Im Fall des Beschwerdeführersändere dies aber nichts, weil dieser die ab dem Jahr 1999 gültige Beteiligungsgrenze von 10 % überschritten habe. Dass aufgrunddessen der gesamte Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterliege, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegengerichtete Revision wies der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 10. August 2005 – VIII R 22/05 – zurück (BFH/NV 2005, S. 2188).Randnummer29

2. a) Nach Auffassung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs ist für eine Auslegung, nach der es für die Steuerbarkeit aufdie im jeweiligen Veranlagungszeitraum gültige Beteiligungsgrenze ankommt, kein Raum. Nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichtekönne § 17 Abs. 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 nur so verstanden werden, dass der Gewinnder Besteuerung unterliege, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung zu mindestens 10% beteiligt gewesen sei. Für ein anderes Verständnis bestehe auch keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Soweit die geänderteBeteiligungsgrenze den Zeitraum vor der Rechtsänderung tatbestandlich einbeziehe, überwiege das Änderungsinteresse das Vertrauensschutzinteresseder Betroffenen. Die Erwartung des Einzelnen, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen, sei verfassungsrechtlich nichtgeschützt, was grundsätzlich auch dann gelte, wenn er auf der Grundlage der bisher geltenden steuerlichen Lage disponierthabe. Der Gesetzgeber sei durch den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz nicht gehindert gewesen, die Rahmenbedingungenfür die Erfassung von Veräußerungsgewinnen im Sinne des § 17 EStG zum Nachteil der betroffenen Steuerpflichtigen zu ändern.Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Gesetzgeber die Besteuerungsgrundlage für Veräußerungsgewinne verbreitern undMissbräuche eindämmen wollen. Das seien sachliche Gründe, die eine belastende Rechtsänderung rechtfertigten.Randnummer30

Zwar habe der IX. Senat des Bundesfinanzhofs in seinem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht vom 16. Dezember 2003- IX R 46/02 – (BStBl II 2004, S. 284 ff. = BFHE 204, 228 ff.) die rückwirkende Verlängerung der zur Besteuerung führendenVeräußerungsfrist für Grundstücke von zwei Jahren auf zehn Jahre durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes1999/2000/2002 als verfassungswidrig beurteilt. Diese Einschätzung beruhe aber auf Gründen, die auf die Absenkung der Beteiligungsgrenzedurch das Steuerentlastungsgesetz nicht übertragbar seien. Wer eine Beteiligung halte, die nach Maßgabe alten Rechts unterhalbder Wesentlichkeitsgrenze gelegen habe, sei weniger schutzwürdig als derjenige, der über ein Grundstück verfüge, bei dem diealte, zweijährige Veräußerungsfrist bereits abgelaufen sei. Während die eingetretenen Wertzuwächse im letzteren Fall definitivsteuerfrei seien, bleibe der Wertzuwachs von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften stets „latent steuerverstrickt“. Schüttebeispielsweise die Gesellschaft Gewinne aus, unterlägen diese in jedem Fall der Einkommensteuer. Dasselbe gelte, wenn dieGesellschaft aufgelöst, ihre Unternehmen unter Aufdeckung der stillen Reserven veräußert und der Liquidationsüberschuss andie Gesellschafter verteilt würden. Auf diese Umstände habe auch ein im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG „wesentlich“ Beteiligterje nach Größe der Beteiligung keinen Einfluss. Ebenso sei denkbar, dass seine Beteiligung, ohne dass er dies verhindern könne,“in die Wesentlichkeit hineinwachse“ mit der Folge, dass der gesamte Wertzuwachs der Besteuerung unterliege. Das sei etwader Fall, wenn die Kapitalgesellschaft eigene Anteile erwerbe und hierdurch die Beteiligung des Steuerpflichtigen die Wesentlichkeitsgrenzeüberschreite, weil der Nennwert der eigenen Anteile der Kapitalgesellschaft vom Grund- oder Stammkapital abzuziehen sei. Vergleichbarsei die Lage, wenn der Steuerpflichtige an der Kapitalgesellschaft mittelbar über eine andere Kapitalgesellschaft beteiligtsei und diese weitere Anteile erwerbe, denn auch dadurch könne eine Beteiligung ohne Zutun des Steuerpflichtigen zu einerwesentlichen werden.Randnummer31

Schließlich sei das Vertrauen in den unveränderten Fortbestand des § 17 Abs. 1 EStG a.F. schon durch die Einfügung des Absatz11 in § 50c EStG durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2590) abgeschwächtgewesen. Damit habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, die Einmalbesteuerung ausgeschütteter Gewinne inländischer Kapitalgesellschaftenzu gewährleisten. Außerdem habe er verhindern wollen, dass durch die Veräußerung nicht wesentlicher Beteiligungen Ausschüttungenin nicht steuerbare Veräußerungsgewinne umgewandelt würden. § 50c Abs. 11 EStG sei entsprechenden Gestaltungen entgegengetreten,indem er die sogenannte ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung untersagt und auf diese Weise die Besteuerung der Erträgesichergestellt habe. Das sei als systemwidrig kritisiert worden, weil die Ausschüttung an sich beim Veräußerer der Beteiligungangefallen wäre. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Gesetzgeber dem zumindest teilweise durch die Absenkung der Beteiligungsgrenzein § 17 Abs. 1 EStG Rechnung tragen wollen, wodurch er den Anwendungsbereich des § 50c Abs. 11 EStG zurückgedrängt habe.Randnummer32

b) Im Übrigen ist die zehnprozentige Beteiligungsgrenze nach Auffassung des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs als solche verfassungsrechtlichnicht zu beanstanden. Es stehe mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Einklang, dass Gewinne aus der privaten Veräußerungeiner Beteiligung nur dann der Besteuerung unterlägen, wenn diese mehr als 10 % betrage. Für die alte Beteiligungsgrenze von25 % habe das Bundesverfassungsgericht dies in BVerfGE 27, 111 ff. wegen der „Nähe“ einer solchen Beteiligung zur Geschäftsführungder Gesellschaft und der Mitunternehmerähnlichen Stellung des Anteilseigners bereits ausgesprochen. Ob davon auch bei einerBeteiligung von 10 % die Rede sein könne, könne dahinstehen, denn der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht die höhereBeteiligungsgrenze für verfassungsgemäß befunden habe, könne nicht so verstanden werden, dass dem Gesetzgeber jede andereRegelung und damit eine Neugestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes verwehrt seien. Bezüglich der steuerlichenErfassung von Wertsteigerungen im Privatvermögen habe er durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 – berücksichtigeman die darin ebenfalls vorgesehene Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke – einen Paradigmenwechsel zugunsteneiner breiteren steuerlichen Erfassung von Wertsteigerungen im Privatvermögen eingeleitet, die er durch die weitere Absenkungder Beteiligungsgrenze auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) fortgeführt habe. Wennder Gesetzgeber dadurch die durch die Erzielung von Veräußerungsgewinnen gesteigerte Leistungsfähigkeit verstärkt zum Gegenstandder Besteuerung mache, liege dies im Rahmen seines Gestaltungsspielraums.

III.

1. Die Beschwerdeführer halten die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes für verletzt. Die Erstreckungder abgesenkten Wesentlichkeitsgrenze auf bereits abgelaufene Veranlagungszeiträume bewirke eine unzulässige „echte“ Rückwirkung,soweit sie auch bereits angesammelte, nicht steuerverstrickte stille Reserven und damit Sachverhalte erfasse, die unter Berücksichtigungdes einkommensteuerrechtlichen Periodizitätsprinzips bereits abgeschlossen seien. Nichts anderes ergebe sich, wenn man diefür „unechte“ Rückwirkungen geltenden Maßstäbe anlege, denn das Vertrauen der Steuerpflichtigen sei aufgrund der jahrzehntelangenGeltung der vorherigen Beteiligungsgrenze besonders schutzwürdig und überwiege das Änderungsinteresse des Gesetzgebers. Dierückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze könne nicht anders beurteilt werden als die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfristfür Grundstücke, die der IX. Senat des Bundesfinanzhofs zutreffend als verfassungswidrig gekennzeichnet habe. In beiden Fällenhandele es sich um grundsätzlich steuerfreie Wertzuwächse im Privatvermögen, die nachträglich der Besteuerung unterworfenwürden.Randnummer34

Das Gegenargument des VIII. Senats, im Gegensatz zu Wertzuwächsen bei Grundstücken nach Ablauf der Zweijahresfrist seien Wertzuwächsebei Beteiligungen „latent steuerverhaftet“, überzeuge nicht. Zwar könne der Steuerpflichtige, wie der Senat anführe, unterUmständen nicht verhindern, dass Wertzuwächse an ihn ausgeschüttet oder spätestens im Fall einer Liquidation der Gesellschaftals Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerpflichtig würden. Darin liege aber eine lediglich teilweise Realisation stiller Reserven,denn der Firmenwert als solcher gehe mit der Zerschlagung einer Gesellschaft unter und könne auch nicht an den Gesellschafterausgeschüttet werden. Deshalb sei die Liquidation bei werthaltigen Unternehmen, und um diese gehe es gerade, ein lediglichtheoretischer Fall, denn nur unverkäufliche Unternehmen würden liquidiert. Die Steuerbarkeit von Dividenden sei ebenfallskeine Besonderheit, denn auch der Grundstückseigentümer habe Erträge aus dem Grundstück wie insbesondere Miet- oder Pachteinnahmenlaufend zu versteuern. Zurückzuweisen sei schließlich das Argument, in anderen Fällen könne eine Beteiligung ebenfalls ohneZutun des Steuerpflichtigen in die Wesentlichkeit „hineinwachsen“. Gegenstand des Vertrauens sei eine gesetzliche Regelung.Dies sei nicht vergleichbar mit dem allgemeinen Risiko, dass sich der Beteiligungsumfang ändere. Im Übrigen kämen die vomVIII. Senat beispielhaft angeführten Konstellationen in der Rechtswirklichkeit eher selten vor, und wenn, dann wirke der Steuerpflichtigeam Gesellschafterbeschluss über den Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft mit und sei aufgrund dessen „vorgewarnt“,so dass er seine Beteiligung rechtzeitig abstoßen könne.Randnummer35

Der ehemalige § 50c Abs. 11 EStG sei nicht geeignet, das Vertrauen der Anteilseigner als weniger schutzwürdig erscheinen zulassen, weil er die alte Wesentlichkeitsgrenze gerade unverändert gelassen und nicht den Veräußerer, sondern den Erwerberder Beteiligung besteuert habe. Auch unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität des Vollzugs sei es nicht gerechtfertigtgewesen, von einer Übergangsregelung abzusehen, die den bereits akkumulierten steuerfreien Wertzuwachs ausklammert. Schließlichsei der Gesetzgeber beispielsweise bei der Neuregelung der Bodengewinnbesteuerung im Jahr 1971 entsprechend verfahren.Randnummer36

2. Der Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 753/05 hält überdies die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche für gleichheitswidrig.Sie weiche von dem in der grundsätzlichen Unterscheidung von Gewinn- und Überschusseinkunftsarten angelegten Prinzip ab, dassWertsteigerungen im Privatvermögen nicht der Besteuerung unterlägen. Für die alte Beteiligungsgrenze von 25 % habe das Bundesverfassungsgerichtdies in BVerfGE 27, 111 ff. akzeptiert, jedoch tragend auf die Nähe einer solchen Beteiligung zur Mitunternehmerschaft abgestellt.Davon könne aber bei einer Beteiligung von nur 10 % nicht mehr die Rede sein. Ebenso wenig könnten die durch das Steuerentlastungsgesetz1999/2000/2002 vorgenommenen Modifikationen zugunsten einer weitergehenden steuerlichen Erfassung von Wertzuwächsen im Privatvermögenmit dem VIII. Senat des Bundesfinanzhofs als „Paradigmenwechsel“ interpretiert werden. Eine „neue Sachgesetzlichkeit“ habeder Gesetzgeber nicht geschaffen, denn die grundsätzliche Unterscheidung von Gewinn- und Überschusseinkünften sei unverändertgeblieben. Die weitergehende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetz im Jahr 2000 sei imZusammenhang mit der gleichzeitigen Einführung des „Halbeinkünfteverfahrens“ zu sehen und müsse schon deshalb außer Betrachtbleiben, weil ein späteres Gesetz ein früheres nicht rechtfertigen könne. Davon abgesehen habe auch darin keine grundsätzlicheAbkehr vom „Dualismus der Einkunftsarten“ gelegen.Randnummer37

Schließlich erweise sich auch der Gesichtspunkt der Missbrauchsbekämpfung als nicht durchgreifend, denn es könne nicht davonausgegangen werden, dass jeder, der eine Beteiligung zwischen 10 und 25 % an einer Kapitalgesellschaft halte und diese veräußere,generell missbräuchlich handele. Wenn der Gesetzgeber Missbrauch bekämpfen wolle, müsse er diesen als solchen angehen, könneaber nicht pauschal eine Beteiligungsgrenze absenken.

IV.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung sowie der IX. und XI. Senatdes Bundesfinanzhofs Stellung genommen.Randnummer39

1. Das Bundesministerium der Finanzen ist der Auffassung, der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht die Beteiligungsgrenzevon 25 % für verfassungsgemäß befunden habe, könne nicht so verstanden werden, dass dem Gesetzgeber jegliche Neugestaltungdes steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes verwehrt sei. Die Ähnlichkeit zum Mitunternehmer sei auch bei einer Beteiligungsgrenzevon 10 % noch gegeben. Im Übrigen rechtfertige sich die Neuregelung aus dem Erfordernis der Gegenfinanzierung der durch dasSteuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 gewährten Steuererleichterungen und aus dem Ziel der Missbrauchsbekämpfung. Die Grundsituation,dass sich der jeweilige Gesetzgeber einerseits unter politischem Handlungszwang sehe, andererseits aber für steuersystematischeIdealvorstellungen mehrheitsfähige Ergebnisse nur selten erreichbar seien, dürfe den Gesetzgeber nicht lähmen.Randnummer40

Soweit sich die abgesenkte Beteiligungsgrenze tatbestandlich auch auf den zurückliegenden Zeitraum beziehe, sei dies mit demVIII. Senat des Bundesfinanzhofs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Darin liege kein Zugriff auf einen bereits abgeschlossenenSachverhalt, denn nach der tatbestandlichen Struktur des § 17 Abs. 1 EStG sei dieser erst mit der Veräußerung abgeschlossen.Die bloße Erwartung des Steuerpflichtigen, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen, sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsverfassungsrechtlich nicht geschützt. Der Inhaber einer nach bisherigem Recht unwesentlichen Beteiligung habe zu keinem Zeitpunktdarauf vertrauen können, den Wertzuwachs im Fall der Veräußerung steuerfrei zu realisieren, denn dieser bleibe stets „latentsteuerverhaftet“, wie sich insbesondere aus der vom VIII. Senat angeführten Rechtsprechung zum „Hineinwachsen in die Wesentlichkeit“ergebe. Im Übrigen sei dieser zutreffend davon ausgegangen, dass das Vertrauen der Steuerpflichtigen schon aufgrund der Einführungdes § 50c Abs. 11 EStG weniger schutzwürdig gewesen sei. Vor diesem Hintergrund seien die gesetzgeberischen Ziele der Verbreiterungder Bemessungsgrundlage und der Missbrauchsbekämpfung hinreichend tragfähig für die angegriffene Rechtsänderung.Randnummer41

2. Nach Auffassung des IX. und des XI. Senats des Bundesfinanzhofs sind die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfristfür Grundstücke und die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze als im Wesentlichen gleich gelagerte Konstellationenbeide als verfassungsrechtlich unzulässig zu beurteilen. Im Fall des § 17 EStG habe der Steuerpflichtige, so der IX. Senat,beim Erwerb einer nach altem Recht unwesentlichen Beteiligung von der Möglichkeit einer jederzeit nicht steuerbaren Veräußerungausgehen können. Ob der vom VIII. Senat angeführte Ausnahmefall der Liquidation von Unternehmen und die Tatsache, dass dieBeteiligungsgrenze bereits mehrfach Gegenstand von Änderungsinitiativen gewesen sei, es rechtfertigten, den Vertrauensschutzder Steuerpflichtigen anders als bei Grundstückserwerbern im Sinne des § 23 EStG zu gewichten, sei zweifelhaft. Der XI. Senatbefürwortet aufgrund dessen eine verfassungskonforme Auslegung des § 17 EStG, nach der es auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraumgültige Beteiligungsgrenze ankommt.

B.

§ 17 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes1999/2000/2002 ist wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig(I.). Die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (II.).

I.

Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes sind in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfangverletzt.Randnummer44

1. a) Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarfdies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren SchutzSachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>).Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentlicheVoraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen.Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihnbetreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichenVerhaltens galten (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>; 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300 f.>).Randnummer45

b) Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrerVerkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlichunzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt, mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlichexistent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss (vgl. BVerfGE 97, 67 <79> m.w.N.),muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtspositionnicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (vgl. BVerfGE63, 343 <353 f.>; 67, 1 <15>; 72, 200 <241 f.>; 97, 67 <78 f.>; 114, 258 <300>).Randnummer46

c) Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits insWerk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt eine „unechte“ Rückwirkung vor (vgl.BVerfGE 63, 343 <356>; 72, 200 <242>; 97, 67 <79>; 105, 17 <37 f.>). Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlichunzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den demGemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnungund der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weisezu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfGE 63, 343 <357>; 105, 17 <40>; 114, 258 <301>). Derverfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren(vgl. BVerfGE 63, 312 <331>; 67, 1 <15>; 71, 255 <272>; 76, 256 <349 f.>). Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeithinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderenverfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 38, 61 <83>; 68, 193 <222>; 105, 17 <40>; 109, 133 <180 f.>; BVerfG, Beschlussdes Zweiten Senats vom 8. Dezember 2009 – 2 BvR 758/07 -, NVwZ 2010, S. 634 <640>).Randnummer47

Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlichgebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgtwerden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen (vgl. BVerfGE 30, 392 <404>; 50,386 <395>; 67, 1 <15>; 75, 246 <280>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300>). Der Grundsatz der VerhältnismäßigkeitBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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muss gewahrt sein(vgl. BVerfGE 72, 200 <242 f.>; 95, 64 <86>; 101, 239 <263>; 116, 96 <132>; 122, 374 <394>; 123, 186 <257>). Eine unechteRückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn siezur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht desenttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze derZumutbarkeit gewahrt bleibt.Randnummer48

d) Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechtsliegt eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandeneSteuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normenmit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AOin Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt nach§ 25 Abs. 1 EStG des Kalenderjahres (vgl. BVerfGE 72, 200 <252 f.>; 97, 67 <80>; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261 <263 f.,272>; 13, 274 <277 f.>; 19, 187 <195>; 30, 272 <285>).Randnummer49

e) An diesen Grundsätzen ist auch angesichts der im Schrifttum geäußerten Kritik festzuhalten. Wie im Zusammenhang mit denVerfahren betreffend die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke ausgeführt, findet die Kategorieder echten Rückwirkung – verstanden als zeitliche Rückbewirkung von Rechtsfolgen auf abgeschlossene Tatbestände – ihre Rechtfertigungdarin, dass mit ihr eine Fallgruppe gekennzeichnet ist, in der der Vertrauensschutz regelmäßig Vorrang hat, weil der in derVergangenheit liegende Sachverhalt mit dem Eintritt der Rechtsfolge kraft gesetzlicher Anordnung einen Grad an Abgeschlossenheiterreicht hat, über den sich der Gesetzgeber vorbehaltlich besonders schwerwiegender Gründe nicht mehr hinwegsetzen darf. Dasändert aber nichts daran, dass die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens auch im Übrigen stetseiner hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit bedürfen. Das gilt auch, wenn der Gesetzgeber dasEinkommensteuerrecht während des laufenden Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn bezieht.Auch hier muss der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrundbesonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigtist (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05 -, unter C. II. 1. e> mit Nachweisen auch zur Kritik).Randnummer50

2. Die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 % durch § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in der Fassungdes Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bewirkt nach diesen Grundsätzen keine echte Rückwirkung, weil die Neuregelungnach der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG im Hinblick auf das Entstehen der Steuerschuld erstmalig für denbei Verkündung noch laufenden Veranlagungszeitraum mit dessen Ablauf Wirkung entfaltet. Sie geht aber mit einer unechten Rückwirkungeinher, soweit sie sich tatbestandlich auf Beteiligungsverhältnisse bezieht, die bereits vor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes1999/2000/2002 am 31. März 1999 bestanden haben. Das ist verfassungsrechtlich nur teilweise gerechtfertigt.Randnummer51

a) Soweit aufgrund der geänderten Beteiligungsgrenze Wertsteigerungen steuererheblich werden, die erst nach der Verkündungeintreten, begegnet die darin liegende gesetzgeberische Neubewertung der „Wesentlichkeit“ einer Beteiligung im Sinne des §17 Abs. 1 Satz 1 EStG unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Steuerpflichtige,der eine nach Maßgabe alten Rechts als „unwesentlich“ angesehene Beteiligung erworben hat, hat keinen Anspruch darauf, dassder Gesetzgeber diese Bewertung für alle Zeiten unverändert lässt. Zwar kann die Entscheidung für den Erwerb von Anteilenim einzelnen Fall maßgeblich von der Erwartung bestimmt sein, einen etwaigen Veräußerungsgewinn steuerfrei vereinnahmen zukönnen. Dies geht jedoch über die allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde unverändert bleiben, nicht hinaus. Es fehlenbesondere Momente der Schutzbedürftigkeit, deretwegen der Gesetzgeber verpflichtet sein könnte, bei der Bestimmung des zukünftigenSteueraufkommens auf Erwartungen der Steuerpflichtigen bei zurückliegenden Dispositionen Rücksicht zu nehmen.Randnummer52

Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet keine (vertrauens-)rechtlich geschütztePosition. Mit Wertsteigerungen kann im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die Enttäuschungder Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu werten ist.Hinzu kommt, dass angesichts langjähriger Auseinandersetzungen und verschiedener gescheiterter Reformversuche zur Erweiterungder Besteuerung privater Veräußerungsgewinne mit der Möglichkeit einer Realisierung derartiger Ziele seit langem zu rechnenwar. Soweit durch die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze das beim Erwerb der Beteiligung betätigte Vertrauen enttäuscht wird,reichen deshalb bereits die allgemeinen Ziele der Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178) undder Gegenfinanzierung der durch das Steuerentlastungsgesetz bewirkten Steuerausfälle (vgl. BTDrucks 14/443, S. 2 ff., S. 4,linke Spalte, letzter Spiegelstrich) zur Rechtfertigung aus.Randnummer53

b) Die Absenkung der Beteiligungsgrenze verstößt aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes undist nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die entweder – bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt – nach derzuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder – bei einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes – sowohlzum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hättenrealisiert werden können.Randnummer54

aa) Mit dem Entstehen zwischenzeitlicher Wertzuwächse von Beteiligungen, die die 25 %-Grenze nicht überschritten, erfülltensich ursprünglich beim Erwerb der Beteiligung vertrauensrechtlich nicht besonders geschützte Erwartungen in Gestalt eineskonkret vorhandenen Vermögensbestands im grundrechtlich geschützten Verfügungsbereich, der nach altem Recht – soweit auchdie Voraussetzungen eines Spekulationsgeschäfts nicht vorlagen – nicht der Einkommensteuer unterlag. Daraus ergibt sich einerhöhter Rechtfertigungsbedarf, soweit die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze eine solche konkret verfestigteVermögensposition nachträglich entwertet. Dabei kommt es allein darauf an, ob diese schon vor dem Wirksamwerden des Steuerentlastungsgesetzes1999/2000/2002 mit seiner Verkündung am 31. März 1999 objektiv entstanden war. Die konkrete Motivations- und Entscheidungslagebeim Erwerb der Beteiligung im einzelnen Fall ist aus der für die Verfassungsmäßigkeit maßgeblichen generalisierenden Sichtdes Gesetzgebers nicht entscheidend. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit der einzelne Steuerpflichtige nochvor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 im Vertrauen auf die Steuerfreiheit des zwischenzeitlich eingetretenenWertzuwachses weitere Dispositionen – sei es in Form einer Veräußerung, sei es in Form eines bewussten und gewollten Absehensdavon – vorgenommen hat, oder ob er gegebenenfalls wegen des bereits schwebenden Gesetzgebungsverfahrens eine rückwirkendeAbsenkung der Wesentlichkeitsgrenze als möglich in Betracht ziehen musste. Der erhöhte Rechtfertigungsbedarf folgt schon ausdem Erwerb eines konkreten Vermögensbestands, an dem auch das zwischenzeitliche Gesetzgebungsverfahren nichts ändern konnte.Randnummer55

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Wertzuwachs – mit dem VIII. Senat des Bundesfinanzhofs gesprochen -insofern „latent steuerverhaftet“ geblieben war, als nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Steuerpflichtige, sei esmit oder ohne sein Zutun, „in die Wesentlichkeit hineinwächst“, was auch nach Maßgabe alten Rechts zur Besteuerung des gesamtenWertzuwachses geführt hätte. Diese Möglichkeit ändert nichts daran, dass die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenzedie Entwertung konkret vorhandener Vermögensbestände zur Folge hat. Allerdings trifft es zu, dass der Steuerpflichtige sichim Hinblick auf die zwischenzeitlichen Wertsteigerungen nicht auf Bestandsschutz berufen kann, wenn im einzelnen Fall einsolches „Hineinwachsen in die Wesentlichkeit“ (nach Maßgabe des alten Rechts) im Zeitpunkt der Veräußerung tatsächlich erfolgtsein sollte. Dann wäre die Wertsteigerung auch nach altem Recht zu versteuern gewesen, die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenzefür die Steuerbarkeit also nicht ursächlich, so dass derartige Fälle entsprechend dem in der Entscheidungsformel formuliertenVorbehalt von der Nichtigkeitsfolge auszunehmen sind.Randnummer56

bb) In der Vielzahl der Fälle, in denen eine nach Maßgabe alten Rechts unwesentliche Beteiligung bereits bis Ende des Jahres1998 bestanden hat, bewirkt die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist zudem eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung.Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit. Danachmuss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit unter anderem darauf abgezielt werden, Steuerpflichtigebei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (stRspr; vgl. BVerfGE 122, 210 <231> m.w.N.). Damit steht dierückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze nicht im Einklang, denn sie erfasst nach der Übergangsvorschrift des § 52Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bis zum Ende des Jahres 1998 erzielte, nachMaßgabe alten Rechts steuerfreie Wertsteigerungen nur, wenn der Veräußerungsgewinn ab dem Jahr 1999 entstanden ist. Hat derSteuerpflichtige seine Beteiligung hingegen bereits bis Ende des Jahres 1998 veräußert und war der Veräußerungsgewinn in diesemZeitraum entstanden, bleiben die erzielten Wertsteigerungen steuerfrei.Randnummer57

Zwar bemisst das Einkommensteuerrecht die Leistungsfähigkeit nach Veranlagungszeiträumen. In dieser Perspektive liegt bezogenauf die Jahre bis 1998 keine Ungleichbehandlung vor, wenn der Veräußerungsgewinn erst in einem anderen, späteren Veranlagungszeitraumentsteht. Dass Wertsteigerungen erst im Zeitpunkt ihrer Realisation zu versteuern sind, findet seinen Grund aber allein imPrinzip einer vorsichtigen, substanzschonenden Besteuerung. Die Besteuerung ist nicht deshalb auf die Realisation bezogen,weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs entsteht, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstandenist. Es wird also im Zeitpunkt der Realisation ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeitnachholend der Besteuerung unterworfen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05 -, unter C. II.2. b> bb>). Auf die bloß formale Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum kommt es dahernicht an, sondern maßgeblich ist, dass sich die höhere Leistungsfähigkeit, auf die mit der steuerlichen Erfassung des Veräußerungsgewinnszugegriffen wird, materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung bezieht. Wenn also die Besteuerungdes bis Ende des Jahres 1998 eingetretenen Wertzuwachses aufgrund der Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in derFassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 davon abhängt, ob der Veräußerungsgewinn noch bis Ende des Jahres 1998oder erst ab dem Jahr 1999 angefallen ist, dann liegt darin bei der gebotenen materiellen Betrachtung bezogen auf den Zeitraumbis Ende des Jahres 1998 eine ungleiche Bemessung steuerlicher Leistungsfähigkeit.Randnummer58

cc) Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener,steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestehen nicht.Randnummer59

(1) Soweit die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze allgemein mit dem Ziel einer Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage begründetwird (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178), ist damit nur das allgemeine Änderungsinteresse bezeichnet, aber kein spezifischer Grund,der geeignet ist, gerade auch den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene Wertsteigerungen zu legitimieren.Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist für sich genommen grundsätzlich noch kein den Vertrauensschutzbetroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse, denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüberrückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerliefe (vgl. BVerfGE 105, 17 <45>). Wieweit ausnahmsweise anderesgelten kann, wenn der Gesetzgeber den allgemeinen Steuertarif mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum „in maßvollenGrenzen“ anhebt (vgl. BVerfGE 13, 274 <278>; 18, 135 <144>), kann dahinstehen.Randnummer60

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass mit den Mehreinnahmen an anderer Stelle gewährte Steuererleichterungen gegenfinanziertwerden sollen (vgl. BTDrucks 14/443, S. 2 ff., S. 4, linke Spalte, letzter Spiegelstrich), denn eine solche Umverteilung istals typischer Gegenstand politischer Gestaltung durch den Einkommensteuergesetzgeber grundsätzlich zukunftsgerichtet. DasBedürfnis nach Gegenfinanzierung bezeichnet daher ebenfalls nur einen allgemeinen Änderungsbedarf, der es rechtfertigt, Wertsteigerungenab der Verkündung steuerlich zu erfassen, aber nicht gerade auch die rückwirkende Einbeziehung bereits steuerfrei erzielterVermögenszuwächse legitimiert (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05 -, unter C. II. 2. b> cc><2>). Dies kann anders zu beurteilen sein, wenn mit der innerhalb eines Veranlagungszeitraums rückwirkenden Verschärfung unerwarteteMindereinnahmen oder ein sonstiger außerordentlicher Finanzbedarf aufgefangen werden soll (vgl. BVerfGE 105, 17 <44 f.>).Ein solcher Fall liegt jedoch bei bloßen Umverteilungsmaßnahmen nicht vor, denn der Gesetzgeber hat die Wahl zwischen Gegenfinanzierungund Verzicht auf Entlastung.Randnummer61

(2) Auch der in der Gesetzesbegründung genannte Aspekt der Missbrauchsbekämpfung (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178) rechtfertigtden Zugriff auf bereits eingetretene steuerfreie Wertsteigerungen nicht. Er bezeichnet ebenfalls ein in erster Linie in dieZukunft gerichtetes Änderungsinteresse. Im Übrigen handelt es sich bei der Erschwerung missbräuchlicher Gestaltungen nur umeinen Nebeneffekt, denn generell ist die steuerfreie Veräußerung einer Beteiligung nicht rechtsmissbräuchlich. Gemeint sindunter anderem Fälle, in denen die Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns dazu genutzt wird, eine ansonsten steuerpflichtigeAusschüttung steuerfrei zu realisieren, indem das zukünftige Ausschüttungsvolumen – für sich gesehen folgerichtig – in densteuerfreien Veräußerungserlös eingerechnet wird. Erfolgt die Ausschüttung anschließend an den Erwerber und nimmt dieser -ebenfalls für sich gesehen folgerichtig – eine entsprechende Teilwertabschreibung auf die Beteiligung vor, führt dies dazu,dass die Ausschüttung im Ergebnis nicht der Besteuerung unterlegen hat. Rechtsmissbräuchlich ist dies nach der Rechtsprechungdes Bundesfinanzhofs aber nur in besonders gelagerten Fällen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Veräußerung wirtschaftlichtatsächlich nicht gewollt war (vgl. BFH, Urteil vom 23. Oktober 1996 – I R 55/95 -, BStBl II 1998, S. 90 <91> = BFHE 181,490 <492 f.>; Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, 29. Aufl. 2010, § 17 Rn. 4, 228 m.w.N. auch zu anderen Konstellationen).Randnummer62

Zwar besteht auch jenseits der Missbrauchsbekämpfung ein berechtigtes Interesse daran, etwaige Besteuerungslücken zu schließen,die sich aus der mangelnden Kongruenz der steuerlichen Behandlung von Gewinnausschüttungen einerseits und Anteilsveräußerungenandererseits ergeben, wie sie zumindest bis zur weiteren Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % durch das Steuersenkungsgesetzvom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) zu verzeichnen war. Auch daraus ergibt sich aber nur ein generelles, nicht spezifischdie Rückwirkung legitimierendes Änderungsinteresse. Es kommt hinzu, dass der Gesetzgeber bereits mit der Einfügung des § 50cAbs. 11 EStG durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I S. 2590) reagierthatte, der bis zu seiner Aufhebung, ebenfalls durch das Steuersenkungsgesetz, die die Ausschüttung neutralisierende Teilwertabschreibungbeim Erwerber für unbeachtlich erklärte, wenn der Veräußerungsgewinn nicht der Besteuerung unterlag. Die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenzebewirkte nur eine systematisch anders gelagerte Erfassung des Problems, indem sie – worauf die Gesetzesbegründung hinweist- den Anwendungsbereich des § 50c Abs. 11 EStG zurückdrängte. Eine dringende, mit Wirkung für die Vergangenheit zu schließendeRegelungslücke bestand also auch unter diesem Gesichtspunkt nicht.Randnummer63

(3) Andere Rechtfertigungsgründe, wie etwa einen Finanzierungsbedarf möglicherweise begleitende ordnungspolitische Sachziele(vgl. etwa BVerfGE 30, 250 <268 ff.>; 50, 386 <396>; 72, 175 <198>; 88, 384 <407>) oder die Notwendigkeit rascher Korrekturoffensichtlicher Fehlsubventionierungen, die auf Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekten beruhen (vgl. BVerfGE 97, 67 <81 f.>),kommen ebenfalls nicht in Betracht. Soweit die Gesetzesbegründung schließlich auf die Schwierigkeit und Streitanfälligkeiteiner stichtagsbezogenen Wertfeststellung verweist (vgl. BTDrucks 14/23, S. 178), rechtfertigt auch dies die rückwirkendeErfassung steuerfreier Wertsteigerungen nicht. Das Erfordernis eines praktikablen Vollzugs kann allenfalls grobe Schätzungslösungenbei der Wertermittlung rechtfertigen, wie sie der Bundesfinanzhof in dem dem Verfahren 2 BvL 2/04 zugrundeliegenden Vorlagebeschlussbetreffend die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke erörtert hat (vgl. BFH, Beschluss vom 16. Dezember2003 – IX R 46/02 -, BStBl II 2004, S. 284 <297> = BFHE 204, 228 <255>). Dagegen kommt der belastende Zugriff auf potentiellrelativ lange zurückliegende und im Zweifel wesentlich niedrigere Anschaffungswerte als eine verfassungsmäßige Typisierungdes maßgeblichen Veräußerungsgewinns nicht in Betracht.

II.

Die unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Erfassung von Wertsteigerungen im Vermögen des Steuerpflichtigen ist mit Art.3 Abs. 1 GG vereinbar. Sie ist die systematische und insofern folgerichtige Konsequenz aus der das Einkommensteuerrecht prägendenKonzeption, nach der die Einkommensteuer grundsätzlich nur im Rahmen der Gewinneinkunftsarten den Gedanken der Reinvermögenszugangstheorieaufgreift und deshalb auch den Wertzuwachs bei Vermögensgegenständen erfasst, während die Einkünfte im Rahmen der übrigenEinkunftsarten, dem Gedanken der Quellentheorie entsprechend, als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermitteltwerden, so dass hier Zuwächse im Stammvermögen grundsätzlich außer Betracht bleiben. Dieser sogenannte Dualismus der Einkunftsartenliegt als historisch gewachsene Grundentscheidung (vgl. Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2010, § 9 Rn. 181 ff.)innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zukommt (vgl. BVerfGE 26,302 <311 f.>; allgemein BVerfGE 122, 210 <230> m.w.N.). Der Gesetzgeber wäre allerdings nicht gehindert, Gewinne aus jederVeräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern (vgl. BVerfGE 26, 302 <312>; 27, 111 <127>). Ob und inwieweiter von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist eine Frage politischer Gestaltung (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 – 2BvL 14/02, 2/04 und 13/05 -, unter C. III. 2. a> bb>), so dass auch die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche verfassungsrechtlichnicht zu beanstanden ist.

III.

1. Die mit den Verfassungsbeschwerden unter anderem angegriffenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs beruhen auf der teilweiseals verfassungswidrig erkannten Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 52 Absatz 1 Satz 1 EStG in der Fassungdes Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002. Als die maßgeblichen letztinstanzlichen Entscheidungen sind sie daher nach §95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung an den Bundesfinanzhof zurückzuverweisen.Randnummer66

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

C.

Diese Entscheidung ist hinsichtlich der Begründung mit 6:2 Stimmen ergangen.

Löffler I www.K1.de I www.gesellschaftsrechtskanzlei.com I Gesellschaftsrecht I GmbH-RechtGesellschafterstreit I Erfurt I Thüringen I Sachsen I Sachsen-Anhalt I Hessen I Deutschland 2023

Schlagworte: Anteilsveräußerung, Rückwirkende Absenkung Wesentlichkeitsgrenze, Veräußerungsgewinn