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OLG Naumburg, Urteil vom 26.06.2023 – 12 U 23/23 

Gewinnverwendungsklausel

§ 280 Abs 1 BGB, § 29 Abs 2 GmbHG

Zur Auslegung einer Gewinnverwendungsklausel in einem Vertrag über die Übertragung von GeschäftsanteilenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Übertragung
Übertragung von Geschäftsanteilen
an einer GmbH.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 5. Januar 2023 verkündete Einzelrichterurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle abgeändert und der Beklagte in erster Stufe verurteilt,

Auskunft zu erteilen über den auf- und festgestellten Jahresabschluss der H. GmbH zum 31. Dezember 2020 und zwar durch Anweisung des Beklagten als Alleingesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer der Gesellschaft. Der Geschäftsführer hat Auskunft in der notwendigen Weise zu erteilen nebst Vorlage entsprechender Unterlagen und Belege, welche insbesondere nachfolgende Punkte umfassen:

– Die Zusammensetzung sämtlicher Bemessungsgrundlagen, die sich aus Bilanz, G + V und Anhang des festgestellten Jahresabschlusses ergeben, zu benennen, die für den Gewinn und dessen Höhe maßgeblich sind,

– insbesondere die Zusammensetzung einzelner (kumulierter) Bilanzpositionen, die sich auf

a) Ausgaben bzw. Betriebsausgaben der Gesellschaft, nämlich Zahlungen an den Beklagten als Gesellschafter und Geschäftsführer beziehen und

b) die Bildung von Rückstellungen und deren Notwendigkeit und Höhe,

beziehen und durch geeignete Belege nachzuweisen, zu erläutern und darzulegen, welche Auswirkungen die Einstellung der vorgenannten Positionen in Bilanz und G + V auf den Gewinn der Gesellschaft haben.

Im Übrigen wird das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt mit der Stufenklage als Verkäufer seines GmbH-Geschäftsanteils Auskunft über den Jahresabschluss zum 31. Dezember 2020 bzw. über die zugrundeliegenden Informationen, um dann entsprechend die Leistungsklage auf Zahlung seines Gewinnanteils für das Geschäftsjahr 2020 beziffern zu können.Randnummer2

Wegen der Einzelheiten des in erster Instanz unstreitigen und streitigen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend und klarstellend wird ausgeführt:Randnummer3

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Klagantrag zu 1) und auch der angekündigte weitere Klagantrag zu 2) unzulässig seien, da ein Zahlungsanspruch gemäß Klagantrag zu 3), dessen endgültige Bezifferung die Klaganträge 1) und 2) vorbereiten sollten, nicht bestehe. Die Klage sei daher insgesamt als unzulässig abzuweisen.Randnummer4

Ein Zahlungsanspruch des Klägers bestehe nicht gemäß § 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB i. V. m. Ziffer V Satz 1 des Notarvertrages vom 23. Juni 2020 gegen den Beklagten aufgrund einer Verletzung der kaufvertraglichen Pflichten durch diesen. Der Beklagte sei aufgrund des Kaufvertrages nicht verpflichtet gewesen, auf einen positiven Gewinnverwendungsbeschluss für das Geschäftsjahr 2020 hinzuwirken. Zwar sei in jener Regelung des Notarvertrages geregelt, dass das Gewinnbezugsrecht für das laufende Geschäftsjahr dem jeweiligen Veräußerer zustehe. Allerdings habe der Beklagte als Alleingesellschafter der GmbH nach Aufstellung und Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Feststellung
Feststellung des Jahresabschlusses
der Gesellschaft in der Gesellschafterversammlung der GmbH am 4. Juni 2021 beschlossen, dass keine Gewinnausschüttung auf Basis des Jahresabschlusses 2020 erfolge, weshalb der mit der notariellen Regelung im Voraus abgetretene Gewinnausschüttungsanspruch des Klägers gegen die GmbH ins Leere gehe. Mit seinem Verhalten verletze der Beklagte nicht seine Pflichten aus dem Kaufvertrag gegenüber dem Kläger. Jene Regelung sei anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht dahin auszulegen, dass dem Beklagten als Alleingesellschafter ein gemäß § 29 Abs. 2 GmbHG zulässiger Gewinnverwendungsbeschluss verwehrt gewesen sei. Mit jener Regelung habe sich der Beklagte nicht verpflichtet, einen positiven Gewinnverwendungsbeschluss oder gar eine Vollausschüttung des Gewinns herbeizuführen. Dem Wortlaut der Regelung könne eine entsprechende kaufvertragliche Verpflichtung nicht eindeutig und klar entnommen werden. Die Entstehungsgeschichte der Regelung, wie sie im Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen D.   habe festgestellt werden können, spreche dafür, dass der Regelung von den Vertragsparteien keine wesentliche Bedeutung beigemessen worden sei. Sinn und Zweck der Regelung könne auch die bloße Vermeidung einer nach § 101 Ziffer 2 Halbsatz 2 BGB ansonsten notwendigen Stichtagsbilanz sein, weshalb die betreffenden Regelungsalternativen für die Vertragsparteien tatsächlich kaufpreisneutral sein könnten, wenn nämlich, wie hier realisiert, zulässigerweise beschlossen werde, dass keine Gewinnausschüttung für das Geschäftsjahr 2020 erfolgen solle.Randnummer5

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Klaganträge weiterverfolgt und zur Begründung ausführt, dass ihm der geltend gemachte Zahlungsanspruch zustehe. Soweit das Landgericht das vertragliche Gewinnbezugsrecht nicht verletzt sehe, sei dies rechtsirrig und ein Verstoß gegen Logik und Denkgesetze. Das Gewinnbezugsrecht in Ziffer V Satz 1 des Notarvertrages gebe ihm einen Anspruch gegenüber dem Beklagten, einen Gewinnverwendungsbeschluss der H. GmbH herbeizuführen und den jedenfalls in Höhe von 5.000,00 € unstreitig bestehenden Gewinn des Unternehmens festzustellen. Er habe nicht nur Anspruch auf Feststellung des Gewinns, sondern auch auf die entsprechende Ergebnisverwendung. Die Gewinnbezugsregelung im Kaufvertrag habe allein den Sinn und Zweck, dem im Zeitpunkt der Gewinnfeststellung bereits ausgeschiedenen Gesellschafter seinen Anteil am Gewinn des Geschäftsjahres 2020 zu sichern. Die entgegenstehende Auffassung des Landgerichts sei nicht nachvollziehbar und widerspreche der Gewinnbezugsregelung. Der nach dem Wortlaut eindeutige Inhalt der Regelung werde durch das Landgericht unter Verletzung der Logik und Denkgesetze über- und uminterpretiert. Wegen der Eindeutigkeit der Regelung sei sie nicht auslegungsfähig, eine Auslegung daher unzulässig. Indem der Beklagte zunächst wahrheitswidrig behauptet habe, der Kläger habe auf sein Gewinnbezugsrecht verzichtet, sei dem Beklagten die Tragweite dieses Rechts bewusst gewesen, so dass es keiner Auslegung bedürfe. Das Landgericht habe hierzu eine unzulässige Ausforschung durch Vernehmung der Zeugen D. und A. vorgenommen.Randnummer6

Auch die Verknüpfungen zwischen Satz 1 und Satz 2 der Ziffer V des Notarvertrages durch das Landgericht seien fehlerhaft und eröffneten keinen Spielraum für eine Auslegung. Satz 1 der Bestimmung beziehe sich ausschließlich auf das Geschäftsjahr 2020. Er stelle auf den konkreten Fall des unterjährigen Ausscheidens ab, da ihm ansonsten aus dem Geschäftsjahr 2020 kein Gewinnbezugsrecht mehr zustünde, weswegen diese konkrete Regelung in den Vertrag aufgenommen worden sei. Die Annahme des Landgerichts, die Parteien hätten dieser Regelung keine wesentliche Bedeutung beigemessen, sei schlicht falsch. Er habe dieser Regelung sehr wohl Bedeutung beigemessen. Die Aussage des Zeugen D. betreffe ausschließlich dessen Sichtweise, nicht aber die des Beklagten. Letztlich sei diese Regelung auf die konkrete Situation des Ausscheidens des Klägers zugeschnitten gewesen. Satz 2 der Regelung beziehe sich auf bereits abgeschlossene Geschäftsjahre, zu denen entsprechende Beschlüsse gefasst worden seien. Diese Regelung habe nur dem Kläger als Verkäufer zusätzlich ein vertragliches Recht einräumen sollen, sollte ein Ergebnisverwendungsbeschluss für zurückliegende Geschäftsjahre fehlen, unwirksam sein oder ergänzt werden müssen. Die Verknüpfung vergangener Feststellungs- und Ergebnisverwendungsbeschlüsse mit denen für das Geschäftsjahr 2020 sei unzulässig und praxisfern.Randnummer7

Die zusätzlichen Erwägungen des Landgerichts zu den Möglichkeiten des § 29 GmbHG seien hier irrelevant. Sie bezögen sich nicht auf den konkret zu entscheidenden Sachverhalt. Dem Beklagten seien in Bezug auf die konkrete Situation des Geschäftsjahres 2020 nicht sämtliche Optionen des § 29 GmbHG eröffnet gewesen. Vielmehr seien die Optionen des Beklagten für das Geschäftsjahr durch Ziffer V des Kaufvertrages zugunsten des Klägers geregelt. Das Landgericht verkenne, dass der Bundesgerichtshof den Spielraum des Beklagten als späteren Alleingesellschafter hinsichtlich der Gewinnverwendung klar eingeschränkt habe. Die vertragliche Regelung habe immer Vorrang gegenüber der gesetzlichen Bestimmung. Auch die weiterführenden Erwägungen des Landgerichts zu Sinn und Zweck einer Stichtagsbilanz seien für die konkrete Lösung dieses Falles nicht entscheidend. Anders als das Landgericht meine, bestehe eine Verpflichtung des Beklagten aus Ziffer V Satz 1 des Notarvertrages, einen Gewinnverwendungsbeschluss herbeizuführen, der eine vollständige Gewinnausschüttung an den Kläger vorsehe. Der Beklagte habe ihm gegenüber seine Pflicht aus dem Kaufvertrag verletzt und sei ihm deshalb zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet. Der Beklagte habe die Pflichtverletzung auch zu vertreten.Randnummer8

Entgegen der Ansicht des Landgerichts stünden ihm daher die geltend gemachten Auskunftsansprüche gemäß den Klaganträgen 1) und 2) aus § 242 BGB im Wege der Stufenklage zu, auch i.V.m. § 51a Abs. 1 GmbHG. Es bestehe auch keine Schutzpflicht zulasten des Klägers. Der Beklagte sei nicht schützenswert, denn er sei vor Abschluss des Kaufvertrages bereits seit mehreren Jahren Mitgesellschafter des Unternehmens und dessen Prokurist gewesen. Der Beklagte habe den Notarvertrag im Nachgang auch nicht angefochten.Randnummer9

Der Kläger beantragt,Randnummer10

das Urteil des Landgerichts Halle, Gz.: 4 O 243/21, verkündet am 5. Januar 2023 und zugestellt am 10. Januar 2023, abzuändern und der Klage stattzugeben.Randnummer11

Hilfsweise beantragt der Kläger,Randnummer12

das Verfahren gemäß § 538 Abs. 2 ZPO zur weiteren Sachaufklärung an das Landgericht Halle zurückzuverweisen.Randnummer13

Der Beklagte beantragt,Randnummer14

die Berufung zurückzuweisen.Randnummer15

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.

1.

Die Kammer hat die Klaganträge 1 (Auskunft) 2 (Versicherung an Eides statt) und 3 (Zahlung nach Auskunft) zu Unrecht als unzulässig abgewiesen.Randnummer18

Zwar kommt eine einheitliche Entscheidung über die mehreren in einer Stufenklage nach § 254 ZPO verbundenen Anträge ausnahmsweise dann in Betracht, wenn schon die Prüfung des Auskunftsanspruchs ergibt, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (z. B. BGH, Versäumnisurteil vom 28. November 2001 – VIII ZR 37/01; Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 71/16; beide zitiert nach Juris).Randnummer19

Diese Verneinung des Zahlungsanspruchs führte allerdings zu der Versagung des Auskunftsanspruchs und auch zur Abweisung der Stufenklage insgesamt in der Sache, nicht zu einer Abweisung der Klage als unzulässig.

2.

In der Sache kann der Kläger von dem Beklagten die begehrte Auskunft verlangen, denn dem Kläger könnte ein entsprechender Zahlungsanspruch zustehen.

a.

Dieser Auskunftsanspruch folgt allerdings nicht aus § 810 BGB. Dem ausgeschiedenen Gesellschafter der GmbH steht zwar nach § 810 BGB ein Einsichtsrecht in die Geschäftsunterlagen der Gesellschaft zu, soweit sie für die Prüfung der Frage von Bedeutung sind, ob ihm Forderungen gegen die Gesellschafter aus der Zeit vor seinem Ausscheiden zustehen (z. B. BGH, Urteil vom 11. Juli 1988 – II ZR 346/87, zitiert nach Juris). Allerdings richtet sich dieser Anspruch nicht gegen den erwerbenden Mitgesellschafter, sondern allein gegen die Gesellschaft, die vorliegend nicht verklagt ist.

b.

Vielmehr besteht ein Auskunftsanspruch gegen den Beklagten persönlich nach allgemeinen Regeln. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (z. B. BGH, Urteil vom 6. Februar 2007 – X ZR 117/04, zitiert nach Juris).

aa.

Die für eine Auskunftspflicht vorausgesetzte Sonderverbindung (vgl. Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., Rdn. 5 zu § 242 BGB) liegt in dem Kaufvertrag über den Geschäftsanteil des Klägers vom 23. Juni 2020 (Anlage K 1, Bl. 6 I).

bb.

Der Kläger kennt als ausgeschiedener GesellschafterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
ausgeschiedener Gesellschafter
Gesellschafter
der H. GmbH naturgemäß die betriebswirtschaftlichen Grundlagen des Geschäftsjahres 2020 nicht mehr vollständig, die für die Berechnung des Gewinns aus dem Geschäftsjahr 2020 und damit für die Höhe eines etwaigen Schadensersatzanspruchs maßgeblich sind.

cc.

Der Beklagte ist als Alleingesellschafter und Geschäftsführer der GmbH unschwer in der Lage, die geforderten Auskünfte zu geben.

dd.

Soll die begehrte Auskunft einen vertraglichen Schadensersatzanspruch belegen, muss dieser nach allgemeiner Meinung nicht bereits dem Grunde nach feststehen; vielmehr reicht schon der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung aus (z. B. BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 64/01, zitiert nach Juris).Randnummer27

Hier besteht entgegen der Ansicht des Landgerichts der begründete Verdacht, dass der Beklagte wegen der Verletzung von Ziffer V Satz 1 des Kaufvertrages vom 23. Juni 2020 auf Zahlung von Schadensersatz gemäß § 280 BGB im Umfang des an sich durch die Gesellschaft anteilig an den Kläger auszuzahlenden Gewinns des Jahres 2020 haftet.

(1)

Denn der Beklagte hat durch den von ihm als nunmehriger Alleingesellschafter der H. GmbH wirksam gefassten Beschluss vom 4. Juni 2021 (Anlage B 1, Bl. 46 I), dass keine Gewinnausschüttung für das Jahr 2020 erfolgen werde, gegebenenfalls gegen seine Verpflichtung aus Ziffer V Satz 1 des Kaufvertrages über den Geschäftsanteil des Klägers vom 23. Juni 2020 (Anlage K 1, Bl. 6 I) verstoßen, wonach das Gewinnbezugsrecht für das laufende Geschäftsjahr […2020…] dem jeweiligen Veräußerer zustehe.Randnummer29

Zwar ist den Gesellschaftern bei dem Gewinnverwendungsbeschluss im Sinne des § 29 Abs. 2 GmbHG, der einen Anspruch auf Zahlung des Gewinns an die Gesellschafter erst entstehen lässt, ein Ermessen eingeräumt, ob das Jahresergebnis der Gesellschaft unter den Gesellschaftern verteilt wird oder ob und inwieweit es zur Stärkung der Eigenkapitalbasis einbehalten und vielmehr den Gewinnrücklagen zugeschlagen oder als Gewinnvortrag behandelt wird.Randnummer30

Der Beklagte war allerdings an die in Ziffer V Satz 1 des Kaufvertrages getroffene Ergebnisabgrenzungsvereinbarung gebunden. Kollidieren nämlich eine solche Vereinbarung der Gesellschafter im Rahmen eines Kaufvertrages über einen Geschäftsanteil und das in § 29 Abs. 2 GmbHG den Gesellschaftern zugebilligte Ermessen, so hat die vertragliche Regelung grundsätzlich Vorrang gegenüber der Kann-Bestimmung des Gesetzes und beschränkt sie mithin jedenfalls im Verhältnis zum Altgesellschafter den Entscheidungsspielraum des Anteilserwerbers (z. B. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – VIII ZR 349/03, zitiert nach Juris). Anders als die Kammer meint, sind diese Grundsätze durchaus auch in der vorliegenden vergleichbaren Konstellation anzuwenden.

(2)

Kein Zweifel besteht, dass die Parteien und auch der weitere Gesellschafter D.   in Ziffer V Satz 1 des notariell beurkundeten Kaufvertrages vereinbart haben, dass den veräußernden Verkäufern der Geschäftsanteile – dem Kläger und M. D. – das Gewinnbezugsrecht für das laufende Geschäftsjahr zusteht, also entsprechend der Höhe ihres jeweiligen Geschäftsanteils der vollständige Gewinn des Unternehmens aus dem Jahr 2020.

(3)

Ein abweichendes Ergebnis einer eben gerade nicht verbindlichen Absprache über die Verwendung des Unternehmensergebnisses wird entgegen der Ansicht der Kammer auch nicht durch eine Auslegung der Vereinbarung gerechtfertigt.Randnummer33

Zwar scheidet eine Auslegung des eindeutigen Wortlauts nicht schon mangels Auslegungsbedürftigkeit aus. Denn zwar ist der Wortlaut der Vereinbarung in Ziffer V Satz 1 des Kaufvertrages eindeutig. Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung jedoch der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung von Verträgen geht daher nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein übereinstimmender Wille der Parteien dem Wortlaut des Vertrages und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch (z. B. BGH, Urteil vom 13. August 1996 – XI ZR 218/95, zitiert nach Juris).Randnummer34

Ein solcher übereinstimmender Wille der drei Vertragsparteien, der sich gegenüber dem eindeutigen Wortlaut durchsetzen könnte, ist aus den Umständen des Zustandekommens der Klausel aber nicht abzuleiten. Die Behauptung des Beklagten, dass der Kläger auf eine Rückfrage des Beklagten im Zusammenhang mit der Beurkundung der Regelung gemeint habe, es sei nur ein alter Entwurf und er solle sich mal keine Gedanken machen, nach dem Vertrag komme keine Forderung weiter, hat das Landgericht im Ergebnis der Vernehmung der Zeugen A. und D. nicht festgestellt. Diesbezüglich besteht für den Senat auch kein Anlass, die Beweisaufnahme zu wiederholen.Randnummer35

Aber auch die durch das Landgericht im Ergebnis der Vernehmung der Zeugen A. und D. und unter Würdigung des vorgelegten Entwurfs des Kaufvertrages überzeugend festgestellten tatsächlichen Umstände rechtfertigen nicht den Schluss, dass die fragliche Klausel für die Vertragsparteien einen anderen Zweck gehabt habe als den, dass die ausscheidenden Gesellschafter den Gewinn des Jahres 2020 anteilig erhalten sollten:Randnummer36

Danach war es zunächst so, dass die Notarin A. im Jahre 2019 einen Entwurf (Anlage B 1 Bl. 123 I) vorgelegt hat, der alternative Regelungen enthalten hat, zum einen die streitgegenständliche Klausel und zum anderen eine Regelung, nach der der auf den verkauften Geschäftsanteil entfallende Gewinn des laufenden Geschäftsjahrs und der noch nicht verteilte Gewinn mit dem Kaufpreis abgegolten gewesen sei. Im Ergebnis einer Verhandlung unter den drei Gesellschaftern ist sodann die streitgegenständliche Regelung gestrichen worden und die Alternativregelung Grundlage der beabsichtigten Einigung geworden. Hiervon abweichend ist im Notartermin am 23. Juni 2020 dann doch die Urkunde mit der streitgegenständlichen Regelung unterbreitet worden. Nicht nur dies hat der Mitgesellschafter D. so wahrgenommen, sondern auch – von der Kammer im Ergebnis seiner Vernehmung überzeugend so festgestellt –, dass auch der Beklagte beim Vorlesen der Regelung aufgemerkt und ihn angeschaut habe. Er habe bei dem Feststellen der Änderung gedacht, dass da doch noch in irgendeiner Form Geld kommen könnte. Der Vertrag sei sodann ohne Änderung des zuvor abgesprochenen Kaufpreises von den drei Vertragsparteien unterzeichnet worden. Der Senat teilt die Einschätzung der Kammer, dass der Zeuge D. und der Beklagte zwar von der Änderung der fraglichen Klausel überrascht gewesen seien, dann aber trotzdem den Kaufvertrag unterschrieben haben. Dies deckt sich auch mit dem Vortrag des Beklagten, der selbst vorgebracht hat, dass er die Änderung der Regelung in dem Termin vor der Notarin erkannt gehabt hatte. Aus der von der Kammer nicht gewürdigten Aussage der Zeugin Notarin A. ergibt sich zudem, dass der Vertrag ohne Diskussion der Vertragsparteien unterzeichnet worden ist. Nach allem steht fest, dass die Vertragsbeteiligten die Änderung kannten, sich ihrer möglichen finanziellen Folgen bewusst waren und dennoch ohne weitere Verhandlung den veränderten Vertrag unterzeichnet haben. Dann ist dies – ungeachtet der vorangegangenen Entstehungsgeschichte der Klausel – das von den Vertragsparteien Gewollte.Randnummer37

Soweit die Kammer meint, dass Sinn und Zweck der streitgegenständlichen Regelung auch die bloße Vermeidung einer nach § 101 Ziffer 2 BGB ansonsten notwendigen Stichtagsbilanz gewesen sein könne, bewegt sie sich im Bereich der Spekulation. Dass dies das Verständnis der Vertragsparteien gewesen sei, behauptet keine der Parteien. Der Beklagte im Rahmen seines Vortrages und der Zeuge D. im Rahmen seiner Aussage haben vielmehr eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie sich der alternativen Regelungen aus dem Vertragsentwurf recht bewusst gewesen sind, zum einen der Regelung, wonach kein Gewinn für das Jahr 2020 an die ausscheidenden Gesellschafter zu zahlen ist, und zum anderen der Regelung, wonach durchaus eine solche Gewinnauskehr unter Berücksichtigung des ganzen Jahres 2020 vereinbart werden soll. Im Übrigen gilt das Argument der Kammer für beide alternative Regelungen: in beiden Fällen ersparen sich die Beteiligten die unterjährige Stichtagsbilanz auf den Tag des Ausscheidens des Klägers und des Zeugen D..

(4)

Der Senat teilt auch nicht die Einschätzung der Kammer, dass Ziffer V Satz 1 des Kaufvertrages bedeutungslos sein könne, weil der nachfolgende Satz 2 der Ziffer V des Kaufvertrages ohne praktische Bedeutung für die Abwicklung des Ausscheidens der Gesellschafter W. und D. sei. Zwar bedurfte es am Tag des Abschlusses des Kaufvertrages am 23. Juni 2020 dieser Regelung in Satz 2 tatsächlich grundsätzlich nicht. Denn ausweislich der vorgelegten jährlichen Gesellschafterbeschlüsse zur Gewinnverwendung, zuletzt am 6. Mai 2020 für den Gewinn im Jahre 2019, sind am Tag des Abschlusses des Kaufvertrages am 23. Juni 2020 schon alle Entscheidungen für Gewinnverwendung der zurückliegenden Jahre getroffen gewesen. Dies könnte allerdings darauf beruhen, dass der Entwurf des Vertrages schon einige Monate vorher gefertigt worden ist. Anders als die Kammer meint, indiziert dies nicht, dass auch die streitgegenständliche Regelung (Satz 1) ins Leere gehen könnte. Diese Regelung besaß nämlich am 23. Juni 2020 durchaus einen gesellschaftsrechtlichen Sinn, nämlich den, wer den Gewinn des laufenden Kalenderjahrs erhält. Im Übrigen war auch Satz 2 insofern durchaus noch sinnvoll, als er im Falle etwaiger Unwirksamkeit der bereits erlassenen Gesellschafterbeschlüsse für die vorangegangenen Jahre eine Auffangregelung geschaffen hat.

(5)

Ist also von einer den Beklagten grundsätzlich bindenden Regelung in Ziffer V Satz 1 des Kaufvertrages auszugehen, dem Kläger anteilig den Gewinn des Jahres 2020 zukommen zu lassen, steht grundsätzlich fest, dass der Beklagte verpflichtet gewesen ist, einen Gewinnverwendungsbeschluss zu treffen, der die anteilige Auszahlung des Unternehmensgewinns des Jahres 2020 an die Gesellschafter bzw. an die ausgeschiedenen Gesellschafter vorsieht.Randnummer40

Ob der Beklagte im Einzelfall dennoch ausnahmsweise davon hätte absehen können, einen entsprechenden Gewinnverwendungsbeschluss zugunsten der ausgeschiedenen Gesellschafter zu erlassen, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt offenbleiben.Randnummer41

Immerhin kann unter besonderen Umständen ausnahmsweise ein solches Vorgehen gerechtfertigt sein, soweit der Gewinnauszahlungsanspruch des früheren Gesellschafters hinter die wirtschaftlichen Interessen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Interessen der Gesellschaft
zurücktreten muss (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – VIII ZR 349/03, zitiert nach Juris). Ob die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme erfüllt sind, bedarf auf der Stufe der Auskunft allerdings keiner Entscheidung. Eine etwaige Berechtigung des Gesellschafterbeschlusses vom 4. Juni 2021 (Anlage B 1, Bl. 46 I), dass keine Gewinnausschüttung für das Jahr 2020 erfolgen werde, gestützt auf die im Einzelnen streitigen finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft, muss daher aktuell nicht geklärt werden. Vielmehr reicht es aus, dass ein Schadensersatzanspruch zugunsten des Klägers wegen der Verletzung der Ziffer V Satz 1 des Kaufvertrages möglich ist.

(6)

Der Beklagte hat die Pflichtverletzung auch offensichtlich zu vertreten, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB.

(7)

In welcher Höhe dem Kläger anteilig ein Gewinn zugestanden hätte, der ihm durch den Beklagten pflichtwidrig versagt worden und ihm nun zu ersetzen sein könnte, ist offen. Der Ermittlung des dem Kläger an sich zustehenden Gewinns und damit des möglichen Schadens soll gerade die eingeklagte Auskunft dienen.

III.

Die Sache ist wegen der weiteren Stufen der Auskunftsklage auf den entsprechenden Hilfsantrag des Klägers in analoger Anwendung des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen, wenn dieses – wie im vorliegenden Fall – eine Stufenklage insgesamt abgewiesen hat, das Berufungsgericht hingegen dem Rechnungslegungs- oder Auskunftsanspruch stattgibt (z. B. BGH, Urteil vom 3. Mai 2006, VIII ZR 168/05, zitiert nach Juris).Randnummer45

Die Vollstreckbarkeitserklärung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.Randnummer46

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Schlagworte: disquotale Gewinnverwendung, Gewinnverwendung, Gewinnverwendungsklausel