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BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 – I ZR 25/15

UrhG § 69d Abs. 3 – World of Warcraft I

a) Nach § 69d Abs. 3 UrhG darf der zur Verwendung eines Vervielfältigungsstücks eines Computerprogramms Berechtigte die Handlungen zum Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern des Programms, zu denen er nach dem Lizenzvertrag berechtigt ist, auch dann ohne Zustimmung des Rechtsinhabers vornehmen, um das Funktionieren dieses Programms zu beobachten, zu untersuchen oder zu testen und die einem Programmelement zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln, wenn er dabei gewerbliche oder berufliche Zwecke verfolgt und der Lizenzvertrag lediglich eine Nutzung des Programms zu privaten Zwecken gestattet (Anschluss an EuGH, Urt. v. 2.5.2012 – Rs. C-406/10 – Rz. 61 u. 47, GRUR 2012, 814 = WRP 2012, 802 – SAS Institute/WPL).

b) Die Bestimmung des § 69d Abs. 3 UrhG ist allein auf Computerprogramme und nicht auf andere urheberrechtlich geschützte Werke oder Leistungen anwendbar. Die Vervielfältigung eines Computerspiels, das nicht nur aus einem Computerprogramm besteht, sondern auch andere urheberrechtlich geschützte Werke oder Leistungen enthält, ist daher hinsichtlich der Vervielfältigung der anderen Werke oder Leistungen nicht nach § 69d Abs. 3 UrhG zulässig.

Sachverhalt

Die Muttergesellschaft der Klägerin entwickelt und produziert die ausschließlich über das Internet spielbaren Computer-Rollenspiele „World of Warcraft“ und „Diablo III“. Die Klägerin ist für den Vertrieb der Online-Spiele in Europa zuständig. Ziel der Spiele ist es, einen virtuellen Spielercharakter durch die Erfüllung von Aufgaben, das Sammeln von Gegenständen und virtuelle Kämpfe mit anderen Spielern weiterzuentwickeln. In Europa sind die Spielewelten auf dem zentralen Spielserver der Klägerin („Battle.net“) hinterlegt, über den die Spielmechanik verwaltet und verarbeitet wird und die Klägerin die spielebezogenen Online-Dienste erbringt. Für die Teilnahme an dem jeweiligen Spiel muss der Spieler auf seinem Computer eine Client-Software (auch Spiel-Client genannt) installieren, die ein Computerprogramm und audiovisuelle Spieldaten (u.a. Grafiken, Musik und Modelle) enthält. Die Client-Software ermöglicht dem Spieler den Zugang zum Battle.net-Server und die Darstellung der jeweiligen Spielewelt auf dem Bildschirm. Der Beklagte ist Geschäftsführer der Bo. GmbH, die Automatisierungssoftware (sog. Bots) für Online-Rollenspiele entwickelt und vertreibt, u.a. für die Spiele „World of Warcraft“ und „Diablo III“. Mithilfe der Automatisierungssoftware kann der Spieler eine Weiterentwicklung seines Spielercharakters erreichen, indem er bestimmte zeitraubende oder spielerisch reizlose Handlungen nicht mehr selbst durchführt, sondern von den Bots ausführen lässt. Die Klägerin beanstandet, der Beklagte habe als Geschäftsführer der Bo. GmbH die Client-Software vervielfältigt oder vervielfältigen lassen, um die Automatisierungssoftware der Bo. GmbH zu entwickeln; das sei eine Verletzung von Urheberrechten ihrer Muttergesellschaft. Die Klage (u.a. auf Unterlassung) hatte in den Vorinstanzen weitgehend Erfolg (OLG Dresden CR 2015, 357 = ZUM 2015, 336). Die Revision des Beklagten führt im Wesentlichen zur Abweisung der Klage.

Aus den Gründen

… Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht angenommen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche … begründet sind, weil der Beklagte das Urheberrecht … an der Client-Software für die Online-Spiele „World of Warcraft“ und „Diablo III“ widerrechtlich und schuldhaft verletzt hat. Nicht begründet sind diese Ansprüche allerdings, soweit sie das isolierte Anzeigenlassen der Client-Software auf dem Bildschirm betreffen.

Der Eingriff in das Recht zur Vervielfältigung der Client-Software ist nicht durch ein vertraglich eingeräumtes Nutzungsrecht gedeckt. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Beklagtenseite vertraglich lediglich das Recht zur ausschließlich privaten Nutzung der Client-Software eingeräumt worden ist (…) und die Nutzung der Client-Software zur Entwicklung von Automatisierungssoftware für die Online-Spiele „World of Warcraft“ und „Diablo III“ keine ausschließlich private Nutzung darstellt (…).

[Zu a:]

Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht angenommen, dass der Beklagte sich zur Rechtfertigung des Eingriffs in das Recht zur Vervielfältigung der Client-Software nicht mit Erfolg auf § 69d Abs. 3 UrhG berufen kann.

… § 69d Abs. 3 UrhG dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 der RL 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Gemäß Art. 5 Abs. 3 der RL 2009/24/EG kann die zur Verwendung einer Programmkopie berechtigte Person, ohne die Genehmigung des Rechtsinhabers einholen zu müssen, das Funktionieren dieses Programms beobachten, untersuchen oder testen, um die einem Programmelement zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln, wenn sie dies durch Handlungen zum Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern des Programms tut, zu denen sie berechtigt ist.

Von § 69d Abs. 3 UrhG und Art. 5 Abs. 3 der RL 2009/24/EG sind alle Formen der Programmanalyse erfasst, die nicht mit einem Eingriff in den Programmcode – insb. im Wege des in § 69e UrhG geregelten Dekompilierens – verbunden sind (zu § 69d Abs. 3 UrhG vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 69d UrhG Rz. 22; Czychowski in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 11. Aufl., § 69d UrhG Rz. 28; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., § 69d Rz. 22). Erlaubt ist danach, das Programm ablaufen zu lassen und die Bildschirmausgabe zu beobachten oder zur genauen Ergründung des Funktionierens des Programms die Verarbeitung von Testdaten zu beobachten und auszuwerten (zu § 69d Abs. 3 UrhG vgl. Grützmacher in Wandtke/Bullinger, UrhG, 4. Aufl., § 69d UrhG Rz. 63).

Der Beklagte und die Mitarbeiter der Bo. GmbH haben sich … mithilfe der Client-Software Zugang zu den Online-Spielen „World of Warcraft“ und „Diablo III“ verschafft und beobachtet, an welchen Standorten sich mögliche Auftraggeber für zu erfüllende Aufgaben, zu sammelnde Rohstoffe und bestimmte Nichtspielercharaktere befinden, um anhand der ermittelten Positionsdaten eine Automatisierungssoftware für die Spiele zu entwickeln. …

Der EuGH hat Art. 5 Abs. 3 der RL 91/250/EWG (jetzt – wortgleich – Art. 5 Abs. 3 der RL 2009/24/EG ) dahin ausgelegt, dass das Urheberrecht an einem Computerprogramm nicht verletzt wird, wenn der rechtmäßige Erwerber einer Lizenz keinen Zugang zu dem Quellcode des von der Lizenz erfassten Computerprogramms hat, sondern sich darauf beschränkt, dieses Programm im Rahmen der ihm durch die Lizenz gestatteten Handlungen zu untersuchen, zu beobachten und zu testen, um seine Funktionalität in einem zweiten Programm zu vervielfältigen (vgl. EuGH, Urt. v. 2.5.2012 – Rs. C-406/10 – Rz. 61, GRUR 2012, 814 = WRP 2012, 802 – SAS Institute/WPL). Das gilt auch dann, wenn er – wie in dem Fall, der dem Gerichtshof vorlag – von der Lizenz umfasste Handlungen zu einem Zweck vornimmt, der über den durch die Lizenz festgelegten Rahmen hinausgeht (vgl. EuGH v. 2.5.2012, a.a.O. – Rz. 61 u. 47).63

Danach ist zwischen den lizenzvertraglich als solchen erlaubten Handlungen und dem Zweck zu unterscheiden, der mit diesen erlaubten Handlungen verfolgt wird. Selbst wenn der Lizenzvertrag eine bestimmte Handlung nur für einen bestimmten Zweck gestattet, sind nach Art. 5 Abs. 3 der RL 2009/24/EG gleichwohl Handlungen zulässig, die der Ermittlung der nicht urheberrechtlich schutzfähigen Funktionalität eines Computerprogramms dienen (zu Art. 5 Abs. 3 der RL 91/250/EWG vgl. Court of Appeal [Civil Devision], GRUR-Int. 2014, 289 – Rz. 101). Dementsprechend darf der zur Verwendung eines Vervielfältigungsstücks eines Computerprogramms Berechtigte die Handlungen zum Laden, Anzeigen, Ablaufen, Übertragen oder Speichern des Programms, zu denen er nach dem Lizenzvertrag berechtigt ist, nach § 69d Abs. 3 UrhG auch dann ohne Zustimmung des Rechtsinhabers vornehmen, um das Funktionieren dieses Programms zu beobachten, zu untersuchen oder zu testen und die einem Programmelement zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln, wenn er dabei gewerbliche oder berufliche Zwecke verfolgt und der Lizenzvertrag lediglich eine Nutzung des Programms zu privaten Zwecken gestattet.

… Die Lizenz zur Nutzung der Client-Software umfasste das Recht, den Spiel-Client im Wege des Herunterladens auf den Computer und des Hochladens in den Arbeitsspeicher und den Grafikspeicher zu vervielfältigen. Der Beklagte oder die Mitarbeiter der Bo. GmbH haben die Client-Software und die Spiele-Software beobachtet, untersucht und getestet, um die Funktionalität der Client-Software zu ermitteln und auf dieser Grundlage die Automatisierungssoftware zu entwickeln. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass sie dabei die Ausschließlichkeitsrechte der Muttergesellschaft der Klägerin an den Spielprogrammen verletzt haben, indem sie auf den urheberrechtlich geschützten Quellcode oder Objektcode zugegriffen haben. … Dass die von der Lizenz umfassten Vervielfältigungen zu einem gewerblichen Zweck vorgenommen worden sind, der über den durch die Lizenz festgelegten Rahmen einer Nutzung zu ausschließlich privaten Zwecken hinausgeht, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unerheblich.

[Zu b:]

Das Berufungsurteil stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar. Nach § 69d Abs. 3 UrhG ist allein das Vervielfältigen des Computerprogramms und nicht das Vervielfältigen der audiovisuellen Spieldaten des Spiel-Client gestattet. Es gibt auch keine § 69d Abs. 3 UrhG entsprechende Regelung, die eine Vervielfältigung der in einem Computerspiel enthaltenen Werke erlaubt, um durch das Beobachten der auf einem Bildschirm wiedergegebenen Werke das Funktionieren des Computerspiels und die dem Computerspiel zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln.

Der durch die RL 2009/24/EG gewährte Schutz ist nach ihrem Art. 1 Abs. 1 auf Computerprogramme beschränkt (vgl. EuGH v. 23.1.2014 – Rs. C-355/12 – Rz. 23, GRUR 2014, 255 – Nintendo/PC Box und 9Net). Die Vorschriften der RL 2009/24/EG – und damit auch die ihrer Umsetzung dienenden nationalen Vorschriften – sind als auf Computerprogramme zugeschnittene Sondervorschriften grundsätzlich nicht auf andere Werke anwendbar (zu Art. 5 Abs. 1 der RL 2009/24/EG und § 69d Abs. 1 UrhG vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2015 – I ZR 151/13 – Rz. 56, MDR 2016, 722 = GRUR 2016, 792 = WRP 2016, 1123 – Gesamtvertrag Unterhaltungselektronik; vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UrhG, BT-Drucks. 12/4022, 8; Loewenheim, a.a.O., vor §§ 69a ff. UrhG Rz. 5; Czychowski, a.a.O., vor §§ 69a ff. UrhG Rz. 4). [Rz. 67-71]…

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Schlagworte: Gezielte Behinderung, Mitbewerber, Mitbewerber gezielt behindert, UWG § 4 Nr. 4