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OLG Brandenburg, Urteil vom 08. Juli 2020 – 7 U 64/19

§ 241 Nr 1 AktG, § 130 Abs 1 BGBNichtladung eines Gesellschafters

1. Die bei einer Gesellschafterversammlung gefassten Beschlüsse sind nichtig, wenn nicht alle Gesellschafter zur Versammlung eingeladen worden sind.

2. Es obliegt der Gesellschaft darzulegen, dass sie die Einladung an die ihr dazu von den Gesellschaftern aufgegebenen Adressen abgesandt hat oder die Einladung ihnen auf andere Weise zugegangen ist.

3. Kann die Gesellschaft die Darlegungserleichterung rechtzeitiger Absendung an die ihr aufgegebene Adresse nicht in Anspruch nehmen kann, muss sie den Zugang der Einladung bei den Gesellschaftern darlegen. Gelingt ihr dies nicht, ist wegen eines schweren Mangels bei der Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
auf die Klage eines Gesellschafters die Nichtigkeit der dort gefassten Beschlüsse festzustellen.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 3. April 2019 abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der von der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 18. Dezember 2017 gefasste Beschluss über die Liquidation der Beklagten nichtig ist, der lautet: „Es wird beschlossen, dass die O… GmbH liquidiert wird. Die Geschäftsführerin wird abberufen. Als Liquidatoren werden Frau K… und PD Dr. M… B… ernannt. Sie sind einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.“

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin war mit 625 Euro an der beklagten GmbH beteiligt, deren Stammkapital 25.000 Euro betrug.Randnummer2

Die Beklagte versandte ein Einladungsschreiben zur Gesellschafterversammlung am 18. Dezember 2017 mit der Liquidation der Gesellschaft als einzigem Tagesordnungspunkt. Der mitgeteilte Beschlußvorschlag sah die Bestellung der Geschäftsführerin zur Liquidatorin vor.Randnummer3

Ein an die Klägerin adressiertes Einladungsschreiben sandte die Beklagte am 30. November 2017 per Einwurf-Einschreiben an eine Anschrift in …-W… (Anlage B 1 = Bl. 92); die Sendung kam dort am 1. Dezember 2017 an (Anlage B 3 = Bl. 94). Mit einem Schreiben vom 5. Dezember 2017 teilte Herr S… M…, der Lebensgefährte der Klägerin, unter dieser Adresse der Beklagten mit: „Hier … ist eine Frau A… W… [die Klägerin] nicht bekannt“ (Anlage B 2 = Bl. 93).Randnummer4

Die Beklagte teilte der Klägerin mit einem Schreiben vom 29. Mai 2018 mit, die Gesellschafterversammlung habe am 18. Dezember 2017 die Liquidation der Gesellschaft beschlossen und zwei Liquidatoren bestellt.Randnummer5

Die Klägerin hat die gefassten Beschlüsse für nichtig, jedenfalls aber für unwirksam gehalten und die darauf gerichteten deklaratorischen oder konstitutiven Feststellungen mit der am 19. Juni 2018 eingereichten Klage verfolgt.Randnummer6

Sie hat sich für nicht zur Gesellschafterversammlung eingeladen gehalten.Randnummer7

Die Versammlung habe zudem nicht auch einen zweiten Liquidator bestellen dürfen, weil in der Einladung die Bestellung nur eines Liquidators angekündigt worden sei.Randnummer8

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe ihr die Adresse in …-W… zuvor mitgeteilt. Sie habe zudem dort gewohnt. Der Briefkasten habe auch ihren Namen ausgewiesen. Sie habe in den Jahren 2015 bis 2017 die Mitarbeiter einer Gesellschafterin der Beklagten verschiedentlich darum gebeten, ihr Pakete und Briefsendungen dorthin zu senden. Nach der hier fraglichen Einladung seien Mahn- und Vollstreckungsbescheide auf Betreiben jener Gesellschafterin der Klägerin dort zugestellt worden.Randnummer9

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, die Klägerin sei unter der Adresse in …-W… erreichbar gewesen. Das zeige die Zustellung sowohl des Einschreibens als auch in den Monaten darauf des Mahn- und des Vollstreckungsbescheids. Die Klägerin hätte beweisen müssen, dass sie die Adresse nicht nutze.Randnummer10

Die Klägerin wendet mit ihrer Berufung ein, das Einladungsschreiben sei ihr nicht zugegangen. Der Briefkasten an der fraglichen Adresse habe ihren Namen nicht ausgewiesen. Herr M… sei weder ihr Empfangsbote noch ihr Empfangsvertreter gewesen. Er habe den Umschlag ungeöffnet an die Beklagte zurückgesandt.Randnummer11

Die Klägerin beantragt,Randnummer12

das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 3. April 2019 (Az. 52 O 55/18) abzuändern und den von der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 18. Dezember 2017 gefassten Beschluss über die Liquidation der Beklagten, der wie folgt lautet: „Es wird beschlossen, dass die O… GmbH liquidiert wird. Die Geschäftsführerin wird abberufen. Als Liquidatoren werden Frau K… und PD Dr. M… B… ernannt. Sie sind einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.“ für nichtig zu erklären,Randnummer13

hilfsweise, die Nichtigkeit des Beschlusses festzustellen,Randnummer14

höchst hilfsweise, die Unwirksamkeit des Beschlusses festzustellen.Randnummer15

Die Beklagte beantragt,Randnummer16

die Berufung zurückzuweisen.Randnummer17

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, indem sie wiederholt, die Klägerin sei zur fraglichen Zeit in …-W… wohnhaft gewesen und deshalb hätten Postsendungen dort in ihren Machtbereich gelangen können. Mehr sei für den Zugang nicht erforderlich.Randnummer18

Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist begründet.Randnummer20

Wegen eines schweren Mangels bei der Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
der Beklagten auf den 18. Dezember 2017 ist auf die Klage der Klägerin die Nichtigkeit der dort gefassten Beschlüsse festzustellen. Weil nicht alle Gesellschafter zur Gesellschafterversammlung eingeladen worden sind, sind dennoch gefasste Beschlüsse in entsprechender Anwendung des § 241 Nr. 1 AktG nichtig.Randnummer21

Die Nichtigkeitsklage unterliegt keiner Klage- oder Ausschlussfrist. Sollte die Dreijahresfrist nach § 242 I AktG gelten, so hat die Klägerin sie jedenfalls eingehalten. Sie hat die Klage ein halbes Jahr nach der Beschlussfassung eingereicht.Randnummer22

Es obliegt der beklagten Gesellschaft darzulegen, sie habe die Einladung an die ihr dazu von den Gesellschaftern aufgegebenen Adressen abgesandt oder die Einladung sei ihnen auf andere Weise zugegangen. So findet Berücksichtigung, dass ein Gesellschafter, die (Nicht-)Tatsache, die Einladung habe ihn nicht erreicht, in aller Regel nicht vollständig darlegen und beweisen kann. Der Beklagten ist die ihr obliegende Darlegung nicht gelungen.Randnummer23

Die Beklagte hätte eine erhebliche Darlegungserleichterung für sich in Anspruch nehmen können, wenn sie die Einladung an die Klägerin an die von ihr angegebene Adresse abgesandt hätte. Dann wäre es allein auf die Absendung angekommen. Aber hier reicht die Darlegung der Absendung nicht aus, weil das Einladungsschreiben nicht an die dafür von der Klägerin angegebene Adresse abgesandt wurde. Die Beklagte hat ihre Behauptung, die Klägerin habe ihr die fragliche Adresse zuvor mitgeteilt (Bl. 88), auf das Bestreiten der Klägerin weder näher ausgeführt, noch unter Beweis gestellt. Die Schilderungen der Beklagten zu Paket- und Briefnachsendungen (Bl. 195) betreffen Verbindungen der Klägerin zu einer anderen Gesellschaft und deren Mitarbeitern, nicht zur Beklagten.Randnummer24

Da die Beklagte die Darlegungserleichterung rechtzeitiger Absendung an die ihr aufgegebene Adresse nicht in Anspruch nehmen kann, hätte sie den Zugang der Einladung bei der Klägerin darlegen müssen. Das ist ihr nicht gelungen.Randnummer25

Zugegangen (§ 130 I 1 BGB) ist der Klägerin die Einladung in …-W… nicht.Randnummer26

Ob später Zustellungen an der fraglichen Adresse erfolgreich bewirkt werden konnten, bleibt unmaßgeblich. Zum einen können sich die Verhältnisse in der dazwischenliegenden Zeit verändert haben. Zum anderen spricht eine prozessrechtliche Zustellung gerade nicht für den tatsächlichen Zugang, sondern dient dazu, ihn zu fingieren.Randnummer27

Die Einladung ist der Klägerin nicht zugegangen, weil sie nicht in einer Weise in ihren Herrschaftsbereich gelangt ist, dass unter regelmäßigen Umständen damit gerechnet werden konnte, sie werde von dem Inhalt Kenntnis nehmen können. Zum Herrschaftsbereich, in den mit der Wirkung späteren Zugangs verkörperte Willenserklärungen hineingelangen können, gehören eigens zu diesem Zweck vorgehaltene Empfangsvorrichtungen – klassisch: der Briefkasten, der mit dem Namen des Adressaten versehen ist – und daneben, auch ohne solche Vorrichtungen, Wohn- und Geschäftsräume, die der Empfänger tatsächlich nutzt, so dass ihm das Risiko weiteren Umgangs mit der Mitteilung zugewiesen werden kann, wenn sie in diese Räume hineingelangt ist.Randnummer28

Dass an der Anschrift in …-W… ein mit dem Namen der Klägerin versehener Briefkasten angebracht war, hat die Beklagte nicht vortragen können. Die Bescheinigung der Deutschen Post AG, sie habe das Einwurf-Einschreiben dort abgeliefert (Bl. 94), spricht nicht für einen Briefkasten. Wie der Brief dort abgeliefert worden, beschreibt die Post nicht. Sie kann ihn Herrn M… übergeben haben.Randnummer29

Dass die Räume an der fraglichen Adresse der Klägerin wenigstens vorübergehend als Wohnung dienten, hat die Beklagte ebenfalls nicht vortragen können. Sie hat keine Anhaltspunkte schildern können, die darauf schließen lassen, die Klägerin habe die Räume an jener Adresse als einen privaten Lebensmittelpunkt eingerichtet und benutzt. Ein von der Klägerin selbst stammendes Bekenntnis dieses Inhalts hat die Beklagte nicht nachgewiesen. In Bezug auf den Eintrag in ein Internet-Architekten-Verzeichnis (Bl. 210) ist unklar geblieben, wer ihn veranlasst hat. Sollte sich die Klägerin wiederholt an der fraglichen Adresse aufgehalten haben – wie die Beklagte durch Bilder nachzuweisen versucht -, so reicht dies nicht aus, um eine Wohnung der Klägerin anzunehmen. Die Bilder belegen nicht, wann, wie häufig und zu welchem Zweck die Klägerin sich an der abgebildeten Stelle aufgehalten hat. Die Verbindung der Klägerin zu Herrn M…, den die Beklagte unwidersprochen als ihren Lebensgefährten bezeichnet hat, spricht nicht mit ausreichender Sicherheit für eine Wohnung der Klägerin bei ihm. Die gewisse Wahrscheinlichkeit gemeinsamen Wohnens wird hier in Frage gestellt durch die weitere Wohnanschrift der Klägerin in Z… (Bl. 141). Es kann der Klägerin deshalb nicht vorgehalten werden, sie streite jegliche Wohnanschrift ab und müsse deshalb nachweisen, dass die Wohnung des Lebensgefährten nicht auch ihre Wohnung sei.Randnummer30

Das Einladungsschreiben ist der Klägerin nicht dadurch zugegangen, dass Herr M… es als ihr Empfangsbote entgegengenommen hätte. Dass die Klägerin ihn als Boten ermächtigt hätte, ist nicht vorgetragen worden. Er ist auch nicht nach den Umständen als ermächtigt anzusehen. Auf diese Weise werden diejenigen Personen dem Risikobereich des Adressaten zugeordnet, die in seinem räumlichen Bereich die Erklärung entgegennehmen und damit als Person die gleiche Funktion erfüllen wie eine sächliche Empfangsvorrichtung. Wer sich nicht im räumlichen Herrschaftsbereich des Adressaten aufhält, kommt demnach nicht als dessen Empfangsbote kraft einer aus den Umständen folgender Vermutung in Betracht. Auch wenn Herr M… den Brief persönlich von dem Briefzusteller entgegengenommen und geöffnet haben sollte – er hat das Datum des Schreibens genannt (Bl. 93) –, ist er nicht als Bote der Klägerin anzusehen, weil nicht dargelegt werden kann, er sei im räumlichen Herrschaftsbereich der Klägerin tätig gewesen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711, 709 ZPO.Randnummer32

Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 II ZPO), besteht nicht.

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