Einträge nach Montat filtern

LG Dortmund, Beschluss vom 21.06.2023 – 8 O 5/22 (Kart)

Haftung ehemaliger Geschäftsführer

Art 101 AEUV, § 1 GWB, § 43 Abs 2 GmbHG

Gründe

Die Kammer weist im Anschluss an die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung auf folgende Aspekte hin:

I.

Nach vorläufiger Rechtsauffassung der Kammer ist eine Haftung des ehemaligen Geschäftsführers der Komplementärin der Klägerin dem Grunde nach zu bejahen.

Entgegen der bisher in der Rechtsprechung (LAG Düsseldorf 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, ZIP 2015, 829; ferner in einem obiter dictum LG Saarbrücken 15.09.2020 – 7HK O 6/16, Rn. 122, juris in Bezug auf Kartellbußen der EU und offenbar auch LG Düsseldorf 37 O 66/20 (Kart) – unveröffentlicht) sowie in Teilen der Literatur (vgl. etwa Baur/Holle, ZIP 2018, 459; Bunte, NJW 2018, 123; Lotze/Smolinski, NZKart 2015, 254 und zum Ganzen Leclerc, NZKart 2021, 220 m.w.N.) vertretenen Auffassung ist ein Regressanspruch der Gesellschaft gegenüber ihrem Geschäftsführer auf Ersatz von Schadenspositionen anzuerkennen, die ihr dadurch entstanden sind, dass der Geschäftsführer an einem der Gesellschaft zurechenbaren Kartellrechtsverstoß mitgewirkt hat und die Gesellschaft daraufhin mit Bußgeldern belegt und mit Schadensersatzforderungen konfrontiert wurde (so schon die überwiegende Literaturansicht, vgl. statt aller Grau/Dust, ZRP 2020, 134; Stancke, BB 2020, 1167 und ausführlich bereits Kersting, ZIP 2016, 1266 m.w.N.).Randnummer4

Der Anspruch ergibt sich vorliegend aus § 43 Abs. 2 GmbHG, da die Beteiligung an einem nach Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB verbotenen Kartell einen zur Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Haftung
Haftung des Geschäftsführers
führenden Verstoß gegen die Legalitätspflicht darstellt, da er sich als Organ der Gesellschaft an einem solchen Verstoß nicht hätte beteiligen dürfen, sondern ihn vielmehr hätte verhindern müssen (vgl. Heyers, WM 2016, 581, 582 sowie Kersting, ZIP 2016, 1266 m.w.N.).Randnummer5

Dass Dritte, etwa im Rahmen der Verletzung vertraglicher Beratungspflichten, gegenüber der Gesellschaft haften müssen, ist allgemein anerkannt (BGH v. 31.1.1957 – II ZR 41/56 = BGHZ 23, 222, 224 ff.; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 215/95 = NJW 1997, 518, 519; ferner Zimmermann, WM 2008, 433, 436 f. m.w.N.). Nichts anderes kann für einen Geschäftsführer aufgrund seiner organschaftlichen Pflicht zur Unterlassung bzw. Verhinderung von Rechtsverstößen gelten. Denn anders als bei vertraglichen Beratungspflichten kann die Gesellschaft, welche nur durch ihr Organ, den Geschäftsführer, handeln kann, nicht etwa abweichend von dem erteilten Rat handeln und somit Schadensfolgen vermeiden. Vielmehr greifen hier Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten nur ex post, nämlich nach vollzogener Handlung ein. Der Regress ist damit die einzig mögliche Sanktionsmaßnahme (zum Ganzen Fleischer, DB 2014, 345, 347 sowie Kersting ZIP 2016, 1266, 1267 m.w.N.). Seine grundsätzliche Anerkennung ist aus Sicht der Kammer mithin zwingend.Randnummer6

Im Hinblick auf zu ersetzende Bußgelder stellt dies auch keineswegs ein Unterlaufen der ordnungsrechtlichen Sanktionen dar. Zunächst ist hier zu berücksichtigen, dass Zivil- und Ordnungswidrigkeitenrecht eigenständig nebeneinander stehen, ohne dass letzteres das erstere beschränken könnte (so schon Fleischer, BB 2008, 1070, 1073; Kapp/Hummel, ZWeR 2011, 349, 358).Randnummer7

Sodann wird hierdurch weder die primäre Zahlungspflicht des bebußten Unternehmens in Frage gestellt noch wird es regelmäßig zu einer vollständigen Entlastung des Unternehmens aufgrund des Regresses kommen, da die Bußen bekanntlich oftmals aufgrund ihrer Höhe ohnehin nicht in vollem Umfang vom Geschäftsführer werden zurückerlangt werden können, zumal Deckungssummen von C1-Versicherungen regelmäßig überschritten sein dürften, sofern diese überhaupt in solchen Fällen zum Tragen kämen (vgl. zum Ganzen Bachmann, BB 2015, 911; Suchy, NZG 2015, 591, 592; Kersting a.a.O.). Allein schon der Umstand, dass das Unternehmen zunächst gleichsam in Vorleistung zu gehen hat und sodann nicht zuletzt dem Insolvenzrisiko seines Organs, und sei es nur für einen Teilregress, ausgesetzt ist, verbürgt auch die Abschreckungs-bzw. Präventionsfunktion des Bußgeldes, weswegen entgegen der Auffassung des LG Saarbrücken (a.a.O.) die Anerkennung eines Regresses auch nicht dem effet utile zuwiderläuft. Auch der – naturgemäß nicht regressierbare – Ansehensverlust, den das Unternehmen durch die Bußgeldverhängung erleidet, ist hier in die Rechnung einzustellen.Randnummer8

Darüber hinaus werden auf diesem Wege auch keinerlei Fehlanreize gesetzt, denn wie ausgeführt, bleiben hinreichende Risiken für das Unternehmen bestehen. Vielmehr würde der Verzicht auf den Regress eher einer gewissen Risikobereitschaft auf Seiten der Geschäftsführung, durch Kartellrechtsverletzungen Vorteile unmittelbar für das Unternehmen, aber mittelbar auch für sich selber zu generieren, Vorschub leisten (in diese Richtung schon Walter/Scholz, GmbHR 2015, 449, 453, ferner auch Bunte, NJW 2018, 123, 126).Randnummer9

Schließlich droht auf diesem Wege auch keinesfalls ein Unterlaufen der Bußgelddifferenzierung aus § 81 Abs. 4 GWB, denn diese betrifft erkennbar nur ordnungswidrigkeitsrechtliche Erwägungen, nicht aber die Pflicht zur zivilrechtlichen Kompensation verursachter Schäden (so schon Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449, 454; Suchy, NZG 2015, 591, 593 und Kersting, ZIP 2016, 1266, 1268; ferner auch Fabisch, ZWeR 2013, 91, 104).Randnummer10

Soweit im Übrigen ein Ausschluss des Regresses aufgrund des Abschöpfungscharakters des Bußgeldes diskutiert wird, kann dies hier dahinstehen, der erkennbar eine Abschöpfung im vorliegenden Falle nicht stattgefunden hat.Randnummer11

Auch greifen vorliegend die Aspekte, welche von einer weiteren Meinungsgruppe in der Literatur für eine höhenmäßige Begrenzung des Regresses herangezogen werden (vgl. etwa Fritz, NZA 2017, 673; Gaul, AG 2015, 109 und weitere Nachweise bei Leclerc, NZKart 2021, 220 f.) wie etwa der Begrenzung auf den Bußgeldrahmen für Privatpersonen etc. schon aufgrund der Sachverhaltsbesonderheiten, namentlich des vergleichsweise geringen Bußgeldes, nicht ein.Randnummer12

Eine Begrenzung der Haftung kommt richtigerweise vor allem durch den Aspekt der Vorteilsausgleichung in Betracht (vgl. hierzu Stancke, BB 2020, 1167 ff. und bereits Kersting ZIP 2016, 1266, 1271 ff.), doch greift auch dieser Aspekt vorliegend nicht zugunsten des Beklagten ein, denn unstreitig sind dem Unternehmen aus den konkret in Rede stehenden kartellierten Geschäften keine Vorteile, sondern im Gegenteil – und völlig unabhängig von den Geldbußen – herbe Verluste entstanden.

II.

Ferner erwägt die Kammer, die geltend gemachten Anwaltshonorare dem Grund nach und – soweit sie dem in der mündlichen Verhandlung erfolgten Hinweis folgend näher substantiiert bzw. nachgewiesen werden, auch der Höhe nach anzuerkennen und zwar auch in einer die Gebühren nach RVG übersteigenden Höhe.Randnummer14

In der Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass in bestimmten Fällen auch höhere Aufwendungen aus einer Honorarvereinbarung im Wege materiellen Schadensersatzes zu erstatten sind, wenn der Geschädigte diese Aufwendungen wegen der besonderen Lage des Falles für erforderlich und zweckmäßig halten durfte (vgl. schon BGH, Urteil vom 23.10. 2003 – III ZR 9/03, NJW 2003, 3693 und zuletzt OLG Hamm, Urteil vom 18.01.2019 – 11 U 153/17, juris), etwa weil ein erforderlicher spezialisierter Anwalt zu den gesetzlichen Gebühren nicht gefunden werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 30.05.2000 – IX ZR 121/99, BGHZ 144, 343, 346). Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Tráficos Manuel Ferrer (Urteil vom 16.02.2023 – C-312/21) steht dieser Einschätzung erkennbar nicht entgegen (vgl. auch Kersting, WuW 2023, 189, 190 f.).

III.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu den bisher gewechselten Schriftsätzen sowie zu den hier und bereits in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweisen binnen einer Frist von 5 Wochen nach Zugang dieses Beschlusses abschließend vorzutragen.

Schlagworte: Anwaltshonorar, Außenhaftung, Baugeld, Check Geschäftsführerhaftung, Existenzvernichtungshaftung, Geschäftschancenlehre, Geschäftsführerhaftung, Geschäftsführerhaftung bei GmbH, Geschäftsführerhaftung GmbH, Geschäftsführerhaftung GmbH & Co. KG, GmbH-Geschäftsführerhaftung, GmbHG § 43, GmbHG § 43 Abs. 2, Haftung des Geschäftsführers, Haftung Geschäftsführer, Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, Haftung nach § 43 GmbHG, Haftung wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB, Haftung wegen Verletzung der Sicherung der Bauforderungen gemäß § 1 Abs. 1 BauFordSiG, Haftung wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG, Hinweis zur Geschäftsführerhaftung, Honoraranspruch, Honorarvereinbarung, Innenhaftung, Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 3 GmbHG, Rechtsanwalt Honorarforderung, Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB, Vorgeschriebene Verwendung