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OLG Stuttgart, Urteil vom 22.02.2022 – 12 U 171/21 

§ 323 Abs 1 S 3 HGB, § 254 BGB

1. Die Kausalität der Pflichtverletzung eines Abschlussprüfers in Gestalt einer unzureichenden Prüfung für einen Schaden der Gesellschaft entfällt, wenn der Nachweis erbracht wird, dass die Gesellschaft, die in betrügerischer Weise ein sog. Schneeballsystem betreibt, im Falle der gebotenen Nachfragen des Abschlussprüfers alle geforderten Unterlagen durch Fälschung erstellt und dem Abschlussprüfer vorgelegt hätte.

2. Einer betrügerisch handelnden Gesellschaft steht gegen ihren Abschlussprüfer ein Schadensersatzanspruch wegen pflichtwidriger Erteilung eines Testats dann nicht zu, wenn dem vorsätzlichen Handeln des Gesellschaftergeschäftsführers eine allenfalls fahrlässige Pflichtverletzung des Abschlussprüfers gegenübersteht.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.05.2021, Az. 27 O 250/19, abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers in beiden Instanzen zu tragen.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.000.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde am 09.06.2011 durch die Gesellschafter L. B. und E. N. mit einem Stammkapital von 25.000,00 € gegründet und am 02.08.2011 im Handelsregister eingetragen; die Gründungsgesellschafter waren zugleich Geschäftsführer der Schuldnerin. Der wesentliche Unternehmensgegenstand der Schuldnerin bestand – nach ihren Angaben – in der Vermietung elektronischer Datenspeicher (Storagesysteme) an gewerbliche und staatliche Nutzer. Nach dem von der Schuldnerin nach außen hin behaupteten Geschäftsmodell wurden Storagesysteme von der Schuldnerin bei ihren Lieferanten gekauft, von diesen unmittelbar an die Endnutzer geliefert und dort aufgeschaltet. Kapitalanlegern bot die Schuldnerin die Möglichkeit, in dieses Geschäftsmodell zu investieren, indem Anleger von der Schuldnerin durch eine Seriennummer individualisierte Storagesysteme kaufen und diese zugleich an die Schuldnerin vermieten konnten, welche die Systeme ihrerseits an die Nutzer vermietet hatte. Ende des Jahres 2015 stellte die Schuldnerin ihre Finanzierung auf die Ausgabe von Anleihen an Kapitalanleger um. Ausweislich der Feststellungen eines im Jahr 2018 gegen den Geschäftsführer der Schuldnerin N. ergangenen Strafurteils war diese Geschäftstätigkeit weitgehend fiktiv und die Buchhaltung der Schuldnerin gefälscht.Randnummer2

Am 05.02.2017 erstattete ein Mitarbeiter der Schuldnerin eine anonyme Strafanzeige, am 17.02.2017 erstattete der Geschäftsführer N. Selbstanzeige. Am 23.02.2017 erging daraufhin Haftbefehl gegen Herrn N.. Der Geschäftsführer B. stellte am 03.03.2017 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 02.05.2017 eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt.Randnummer3

Die Beklagte Ziff. 1 ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, welche von der Schuldnerin mit der Prüfung der Jahresabschlüsse zum 31.03.2015 und zum 31.03.2016 beauftragt war. Die Beklagten Ziff. 2 bis 4 waren mit der von der Beklagten Ziff. 1 vorzunehmenden Prüfung befasst. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil die Testierung der Jahresabschlüsse für das Geschäftsjahr 2014/2015 zum 31.03.2015 sowie für das Geschäftsjahr 2015/2016 zum 31.03.2016 pflichtwidrig gewesen sei und sich durch die darauf beruhende verspätete Insolvenzantragstellung der Insolvenzschaden vertieft habe.Randnummer4

Wegen des unstreitigen Sachverhalts, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.Randnummer5

2. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und mit Urteil vom 19.05.2021 die Beklagte Ziff. 1 zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1 Mio. € und die Beklagten Ziff. 1 – 4 gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von 1 Mio. € verurteilt. Im übrigen ist die Klage abgewiesen worden.Randnummer6

Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf das Urteil des Landgerichts Stuttgart – Wirtschaftsstrafkammer – vom 07.08.2018, Az. 16 KLs 163 Js 14209/17 (Anl. K9), seinen Ausführungen zunächst zugrunde gelegt, dass die Schuldnerin von Beginn an ein Schneeballsystem betrieben habe. Im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch hat es aufgrund ausführlicher Prüfung verschiedene Pflichtverletzungen der Beklagten im Zusammenhang mit der Testierung der streitgegenständlichen Jahresabschlüsse sowie die Kausalität dieser Pflichtverletzungen für den bei der Schuldnerin eingetretenen Insolvenzverschleppungsschaden bejaht. Insbesondere hat das Landgericht die Ansprüche nicht am fehlenden Zurechnungszusammenhang scheitern lassen: Soweit nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Haftung von Steuerberatern für einen Insolvenzverschleppungsschaden verneint werde, wenn das Unterlassen eines Insolvenzantrags und die Fortführung der Geschäftstätigkeit auf einer wirtschaftlich unvertretbaren Entscheidung der Geschäftsführung beruhe, gelte dies nicht für Abschlussprüfer, da die Pflichtprüfung gerade darauf abziele, Verstöße aufzudecken. Der Grad der Pflichtverletzung der Beklagten bewege sich zumindest nahe an der Grenze zur groben Fahrlässigkeit, weswegen die Beklagten unter Abwägung der Mitverschuldensanteile gem. § 254 BGB zu 1/3 hafteten.Randnummer7

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.Randnummer8

3. Die Beklagten haben gegen das ihnen am 01.06.2021 zugestellte Urteil vom 19.05.2021 am 28.06.2021 Berufung eingelegt. Die Begründung ging – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – am 26.08.2021 rechtzeitig beim Oberlandesgericht Stuttgart ein.Randnummer9

Die Beklagten verfolgen mit ihrer Berufung das Ziel einer vollständigen Klagabweisung weiter. Sie rügen zunächst die fehlende Zulässigkeit der Klage, die sie auf eine fehlende hinreichende Bestimmtheit des Klagantrags sowie darauf stützen, dass der Kläger als Insolvenzverwalter nicht berechtigt sei, den Insolvenzverschleppungsschaden der Schuldnerin geltend zu machen. Weiter wenden sie sich gegen die Annahme, sie hätten bei der Prüfung der Jahresabschlüsse ihnen obliegende Pflichten verletzt; jedenfalls scheitere der Anspruch sowohl am fehlenden Zurechnungszusammenhang als auch am überwiegenden Mitverschulden der Schuldnerin.Randnummer10

Die Beklagten beantragen,Randnummer11

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.Randnummer12

Der Kläger beantragt,Randnummer13

die Berufung zurückzuweisen.Randnummer14

Er hält die Klage für zulässig, insbesondere sei er prozessführungsbefugt. Zur Begründetheit bezieht er sich im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Der Anspruch scheitere nicht am fehlenden Zurechnungszusammenhang, weil andernfalls in Fällen dieser Art eine Haftung der Wirtschaftsprüfer grundsätzlich ausgeschlossen wäre. Aufgabe des Jahresabschlussprüfers sei es gerade, Fehler im Inhalt oder den Grundlagen des zu prüfenden Jahresabschlusses zu erkennen und aufzudecken und den daraus drohenden Schaden für das Unternehmen abzuwenden. Vorsätzlich betrügerisch gehandelt habe nur ein Geschäftsführer der Schuldnerin; die Schuldnerin sei aber eine eigene Rechtspersönlichkeit mit einem eigenen Vermögen, die auch vom eigenen Geschäftsführer geschädigt werden könne. Im Übrigen hätten die Beklagten ihre Pflichten in so hohem Maße verletzt, dass dies eine Mithaftung jedenfalls im Umfang von 1/3 rechtfertige.Randnummer15

Mit Schriftsatz vom 14.01.2021 (Bl. 306 d.A.) trat R. B. dem Rechtsstreit im ersten Rechtszug auf Seiten der Beklagten Ziff. 1-4 bei. Dieser Schriftsatz wurde den Klägern in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2021 vom Landgericht übergeben. Im Anschluss daran wurde mündlich verhandelt. Inhaltlich schließt sich der Streithelfer dem Vortrag der Beklagten an, wonach der Anspruch des Klägers sowohl am fehlenden Zurechnungszusammenhang als auch am überwiegenden Mitverschulden der Schuldnerin scheitere.Randnummer16

Der Streithelfer beantragt,Randnummer17

1. das von den Beklagten zu 1) bis 4) angefochtene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.05.2021 dahingehend abzuändern, dassRandnummer18

a) die Klage des Klägers vollständig abgewiesen wird undRandnummer19

b) dem Kläger die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich der Kosten des Streithelfers R. B. auferlegt werden,Randnummer20

2. dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Streithelfers R. B. aufzuerlegen.Randnummer21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 01.02.2022 (Bl. 225 ff. BA) Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.Randnummer23

A. Beitritt des StreithelfersRandnummer24

Hinsichtlich der Zulässigkeit des Streitbeitritts war keine Entscheidung nach § 71 ZPO veranlasst, denn nach rügeloser Verhandlung mit dem Beitretenden (§ 295 ZPO) kann dessen Zurückweisung nicht mehr beantragt werden (Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 71 Rn. 1): Ein Antrag auf Zurückweisung eines Streitbeitritts ist dann ausgeschlossen, wenn die Partei auf das Widerspruchsrecht verzichtet hat oder in Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis des Mangels in der ersten mündlichen Verhandlung, an der der Streitgehilfe teilgenommen hat, keinen Zurückweisungsantrag gestellt hat (OLG Köln, Beschluss vom 03. Mai 2010 – I-16 W 6/10 –, Rn. 12, juris). Dies war vorliegend der Fall: Der Schriftsatz des Streithelfers vom 14.01.2021 wurde dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 20.01.2021 durch Aushändigung zugestellt, § 174 ZPO. Daraufhin verhandelten die Parteien streitig zur Sache, ohne dass die Zurückweisung des Streitbeitritts beantragt wurde. Damit hat sich der Kläger gem. § 295 ZPO rügelos eingelassen.Randnummer25

B. Zulässigkeit der KlageRandnummer26

Den Einwendungen der Beklagten bleibt der Erfolg versagt, soweit sie sich gegen die Zulässigkeit der Klage wenden, die ihrer Auffassung nach deswegen nicht hinreichend bestimmt sei, weil kein einheitlicher Streitgegenstand vorliege. Der geltend gemachte Insolvenzvertiefungsschaden werde auf eine Vielzahl behaupteter Pflichtverletzungen gestützt; zwingend sei jedoch, dass sich der Schaden auf eine einzelne Pflichtverletzung zurückführen lasse. Zu Unrecht rügen die Beklagten weiter, dass der Kläger nicht den gesamten Insolvenzvertiefungsschaden, sondern nur einen Teilbetrag geltend mache.Randnummer27

Den Beklagten ist darin Recht zu geben, dass eine Klagepartei, die ihr einheitliches Klagebegehren auf eine Mehrzahl von Streitgegenständen stützt, die Reihenfolge benennen muss, in welcher diese zur Überprüfung durch das Gericht gestellt werden (BGH, Beschluss vom 24.03.2011 – I ZR 108/09, GRUR 2011, 521 Rn. 10, beck-online). Verschiedene Streitgegenstände liegen aber hier nicht vor: Zum Streitgegenstand sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt „seinem Wesen nach“ erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht zu unterbreiten hat (BGH, Urteil vom 24.01.2008 – VII ZR 46/07, beck-online). Gegenstand des Rechtsstreits sind vorliegend Schadensersatzansprüche, die auf eine angeblich fehlerhafte Prüfung der Jahresabschlüsse für 2015 und für 2016 gestützt werden. Es führt aber nicht jede einzelne den Beklagten zur Last gelegte Pflichtverletzung zu einem eigenständigen Streitgegenstand. Bei Schadensersatzansprüchen liegt ein einheitlicher Streitgegenstand vielmehr dann vor, wenn das schadensverursachende Verhalten bei natürlicher Betrachtung eine Einheit bildet, wenn es sich mithin um dieselbe Pflichtverletzung handelt, sich die einzelnen in eine Gesamtforderung eingestellten Rechnungspositionen also auf dieselben Anspruchsvoraussetzungen gründen lassen, deren Vorliegen sich aus demselben Lebenssachverhalt ergibt und hieraus ein Schaden folgt, der sich nicht in unterschiedliche Schadenspositionen und erst recht nicht in unterschiedliche Schadensarten (z. B. Sachschaden, Verdienstausfall, Schmerzensgeld) aufteilen lässt (BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 8 AZR 54/14, BeckRS 2016, 68734, beck-online). Dabei stellt nicht „jede einzelne Verbindlichkeit, welche zwischen dem Zeitpunkt hypothetischer (früherer) Insolvenzantragstellung und tatsächlicher (späterer) Insolvenzantragstellung hinzugekommen ist, einen gesonderten Streitgegenstand im zivilprozessualen Sinne dar“ (LG, UA S. 15). Der Insolvenzverschleppungsschaden erwächst durch die auf der Unternehmensfortführung beruhende Vergrößerung der Verbindlichkeiten (BGH, Urteil vom 06.06.2013 – IX ZR 204/12 –, Rn. 28, juris). Folglich bemisst sich der Schaden der Schuldnerin nach der Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt einer (hypothetischen) rechtzeitigen Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags (BGH, Urteil vom 06.06.2013 – IX ZR 204/12 –, Rn. 28, juris). Daher ist weder der Vortrag, welche Verbindlichkeiten der Schuldnerin im einzelnen Gegenstand der Klage sein sollen, noch die Darlegung jeder einzelnen Verbindlichkeit erforderlich. Auch auf etwaige Rückzahlungsansprüche der Anleger kommt es insoweit nicht an.Randnummer28

Soweit die Beklagten bemängeln, der Kläger habe neben dem Insolvenzvertiefungsschaden auch die Beratungskosten für die Aufarbeitung des Sachverhalts in Höhe von 449.600 € und einem Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Honorars in Höhe von 19.146,52 € als Schaden geltend gemacht, stellt der Kläger in der Berufungserwiderung klar, dass diese Ansprüche lediglich der Vollständigkeit halber erwähnt worden seien, aber nicht geltend gemacht würden.Randnummer29

C. Begründetheit der KlageRandnummer30

Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch gem. § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB zu.Randnummer31

1. SchneeballsystemRandnummer32

Vorangestellt sei, dass es sich beim Geschäftsmodell der Schuldnerin um ein betrügerisches Schneeballsystem handelte, wovon auch das Landgericht ausgeht (UA S. 15 f.). Dies ergibt sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Stuttgart – Wirtschaftsstrafkammer – vom 07.08.2018, Az. 16 KLs 163 Js 14209/17 (Anl. K9), durch das der Geschäftsführer der Schuldnerin N. wegen (gemeinschaftlichen) Betrugs in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt wurde. Der Verurteilung liegt die Feststellung des Strafgerichts zugrunde, dass die Schuldnerin von Anfang an der Schaffung und Aufrechterhaltung eines betrügerischen Schneeballsystems gedient habe und die angebliche Geschäftstätigkeit weitestgehend fingiert gewesen sei. (Ein Urteil gegen den zweiten Geschäftsführer der Schuldnerin, Herrn L. B., ist nicht ergangen, da dieser in der Untersuchungshaft verstorben ist.)Randnummer33

Grundsätzlich ist zwar die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung einer Partei im Zivilprozess nicht bindend, auch wenn die Akten eines Strafverfahrens und ein rechtskräftiges Strafurteil als Beweisurkunden gem. §§ 415, 417 ZPO herangezogen werden können, auf die der Tatrichter seine Überzeugung stützen kann (BGH, Urteil vom 26.08.2021 – III ZR 189/19 –, Rn. 11, juris; BGH, Beschluss vom 24.01.2012 – VI ZR 132/10, BeckRS 2012, 4956 Rn. 3, beck-online; BGH, Urteil vom 06.06.1988 – II ZR 332/87 –, juris; OLG Zweibrücken, Urteil vom 01.07.2010 − 4 U 7/10, NJW-RR 2011, 496, beck-online). Allerdings darf der Tatrichter bei einem engen rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren ein rechtskräftiges Strafurteil nicht unberücksichtigt lassen, sondern muss sich mit dessen Feststellungen auseinandersetzen, soweit sie für seine eigene Beweiswürdigung von Bedeutung sind (BGH, Urteil vom 26.08.2021 – III ZR 189/19 –, Rn. 11, juris). Der Tatrichter hat die in der Beweisurkunde dargelegten Feststellungen einer eigenen kritischen Überprüfung zu unterziehen (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 01.07.2010 − 4 U 7/10, NJW-RR 2011, 496, beck-online). In der Regel wird den strafgerichtlichen Feststellungen zu folgen sein, sofern nicht von den Parteien gewichtige Gründe für deren Unrichtigkeit vorgebracht werden (OLG München, Endurteil vom 27.10.2021 – 20 U 301/21, BeckRS 2021, 33067 Rn. 13, beck-online). Allerdings erhöht es nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozesses die (sekundäre) Darlegungslast des Beklagten, wenn der Kläger seinen Anspruch durch Vorlage eines ausführlich begründeten rechtskräftigen Strafurteils schlüssig dargetan hat (BGH, Urteil vom 26.08.2021 – III ZR 189/19 –, Rn. 12, juris; BGH, Beschluss vom 24.01.2012 – VI ZR 132/10, BeckRS 2012, 4956 Rn. 3, beck-online). Einer den Darstellungen im Strafurteil spiegelbildlichen, in sich geschlossenen Darstellung des Gesamtgeschehens durch den Anspruchsgegner bedarf es allerdings nicht (BGH, Beschluss vom 25.09.2018 – VI ZR 443/16 –, Rn. 9, juris).Randnummer34

Das Landgericht hat sich (vgl. UA S. 16) – zwar kurz, aber vollkommen ausreichend – mit dem Strafurteil auseinandergesetzt, in dem festgestellt wurde, dass es von Anfang an keine Geschäftstätigkeit der Schuldnerin gab. Die Wirtschaftskammer hat ihrem Strafurteil das Geständnis des Geschäftsführers N. zugrunde gelegt und ausgeführt, der polizeiliche Sachbearbeiter habe erklärt, er „habe in seiner 30-jährigen Tätigkeit im Bereich Wirtschaftskriminalität noch nie einen Beschuldigten erlebt, der ein derart umfassendes, reumütiges Geständnis abgelegt habe wie der Angeklagte“ (S. 114 des Strafurteils vom 07.08.2018). Das Landgericht hat im angegriffenen Urteil dargelegt, wie es zur Aufnahme der Ermittlungen kam und dass der Geschäftsführer N. sich im Wesentlichen selbst belastet hatte. Gründe dafür, weshalb er dies fälschlicherweise hätte tun sollen, seien weder ersichtlich, noch von Beklagtenseite dargelegt.Randnummer35

Die Beklagten beschränken sich darauf, eine Verkennung der Beweislastregeln zu monieren und führen die Unglaubwürdigkeit des ehemaligen Geschäftsführers N. an. Zur Sache selbst, nämlich, weshalb und in welchem Ausmaß entgegen den Feststellungen der Wirtschaftsstrafkammer eine Geschäftstätigkeit der Schuldnerin bzw. ein „normaler“ Geschäftsbetrieb vorgelegen haben sollte, tragen sie allerdings nichts vor (und benennen in der Folge auch keine Beweismittel). Sie rügen im Wesentlichen lediglich, dass das Urteil auf die Einlassungen „des in seiner Person unglaubwürdigen Herrn N., dem Kopf des Schneeballsystems“ gestützt werde (Bl. 77 BA). Gewichtige Gründe für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Entscheidung haben die Beklagten damit nicht vorgebracht (vgl. auch OLG München, Endurteil v. 27.10.2021 – 20 U 301/21, BeckRS 2021, 33067 Rn. 14, beck-online). Daran ändert auch nichts, dass die Beklagten selbst vom Strafurteil nicht betroffen waren, sondern sich dieses ausschließlich gegen Herrn N. richtete, denn es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb Herr N. sich in diesem Ausmaß hätte selbst belasten sollen, wenn seine Ausführungen jeglicher Grundlage entbehrten.Randnummer36

2. Vorliegen einer Pflichtverletzung der BeklagtenRandnummer37

Die Schuldnerin war prüfungspflichtig gemäß §§ 316 Abs. 1, 267 HGB. Die Haftung der Beklagten als Abschlussprüfer ist daher gemäß § 323 Abs. 1 Satz 1 HGB zu beurteilen. Nach dieser Bestimmung müssen der Prüfer und der bei der Prüfung mitwirkende Gehilfe Schadensersatz leisten, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig ihre Pflichten verletzen. Danach ist der Abschlussprüfer zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verpflichtet (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2021 – 22 U 31/20 –, Rn. 17, juris). Das haftungsbegründende Verhalten des Prüfers liegt dabei in der Erteilung eines Bestätigungsvermerks für einen nicht gesetzeskonformen Jahresabschluss infolge der (sorgfaltswidrigen) Nichtaufdeckung von unwahren oder unvollständigen Angaben (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2021 – 22 U 31/20 –, Rn. 20, juris). Eine Begrenzung von Gegenstand und Umfang der Prüfung ist grundsätzlich weder durch das Unternehmen noch durch den Prüfer möglich; die Vorschriften sind als Mindestvorschriften zwingend (Marten/Köhler/Neubeck in: Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 1. Aufl. 2002, 101. Lieferung, § 317 HGB, Rn. 23; Staake/Müller in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Auflage 2020, § 323 HGB, Rn. 11).Randnummer38

Welche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Prüfung im Einzelnen zu stellen sind, haben nationale und internationale Berufsorganisationen der Wirtschaftsprüfer zu konkretisieren versucht. Hervorzuheben sind die Prüfungsstandards der IDWs und die International Standards on Auditing. Die berufsständischen Prüfungsstandards des IDW haben mangels Rechtssetzungsbefugnis des IDW zwar keine Rechtsnormqualität, sie sind nur Rechterkenntnisquellen, die kraft sachlicher Überzeugung wirken. Gerichte sind deshalb an diese Standards nicht gebunden (MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 323 Rn. 32). Die Aufgabe, die gesetzlichen Pflichten des Abschlussprüfers nach § 323 Abs. 1 HGB gemäß den Zielen der Rechnungslegung (§ 264 Abs. 2 Satz 1 HGB) und der Abschlussprüfung (vgl. § 317 HGB) zu konkretisieren, obliegt weiterhin der Rechtsprechung. Die einschlägigen Berufsstandards stellen aber sachkundige Vorschläge für die Konkretisierung des Gesetzes dar und geben die fachliche Meinung der einschlägigen Verkehrskreise wieder. Hat ein Abschlussprüfer die berufsständischen Standards eingehalten, ist dies deshalb zumindest ein starkes Indiz für eine gewissenhafte und unparteiische Prüfung i.S.d. § 323 Abs. 1 Satz 1 HGB (Hennrichs in: Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 1. Aufl. 2002, 101. Lieferung, § 323 HGB, Rn. 26; Staake/Müller in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Auflage 2020, § 323 HGB, Rn. 23). Dies zugrunde gelegt haben die Beklagten die ihnen obliegenden Pflichten vorliegend verletzt:Randnummer39

a. Keine Einholung von Saldenbestätigungen hinsichtlich Forderungen und Verbindlichkeiten, Jahresabschluss 2015Randnummer40

Die Beklagten haben diese Saldenbestätigungen unstreitig nicht eingeholt.Randnummer41

Das Prüfgebiet „Forderungen aus Lieferungen und Leistungen“ ist als wesentlich i. S. von § 317 Abs. 1 S. 3 HGB einzustufen. In diesem Prüfgebiet gehört das Einholen von Saldenbestätigungen der Debitoren zu den Grundsätzen einer ordnungsgemäß durchgeführten Abschlussprüfung, soweit die Höhe der Forderungen oder Verbindlichkeiten absolut oder relativ für das Unternehmen von Bedeutung ist (MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 317 Rn. 57; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, Rn. 64, juris). Wenn auf die Einholung von Saldenbestätigungen verzichtet wird, stellt dies in der Regel einen Pflichtverstoß dar (Hennrichs in: Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 1. Aufl. 2002, 101. Lieferung, § 323 HGB, Rn. 32; s. auch IDW PS 302). Im Hinblick darauf, dass der Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.03.2015 eine Bilanzsumme von 39.701.790,66 € aufwies, wovon 19.133.237,10 € auf Forderungen entfielen und für Forderungen in einem Volumen von ca. 18,38 Mio. € keine Rechnungen von der Schuldnerin gestellt worden waren, zudem ein Teilbetrag von 5,3 Mio. € an den Lieferanten C. abgetreten gewesen sein soll und die gebuchten Forderungen aus Lieferung und Leistungen nur gegenüber zwei Vertragspartnern bestanden, wäre schon allein aufgrund der quantitativen Bedeutung eine „fundierte Prüfung dieses Gesichtspunkts zwingend“ gewesen (s. UA S. 19). Hinzu kommt, dass die buchhalterische Erfassung der Forderungen aus Lieferung und Leistung durch die Schuldnerin eine besonders hohe Gefahr von Unrichtigkeiten mit sich gebracht hatte. Unter den gegebenen Umständen, auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Einholung von Saldenbestätigungen mit relativ geringem Aufwand möglich gewesen wäre, stellt die entsprechende Unterlassung eine Pflichtverletzung dar.Randnummer42

Die Beklagten berufen sich zu Unrecht darauf, sie hätten eine Entscheidung zur Durchführung alternativer Prüfungshandlungen treffen dürfen. Dies mag zwar grundsätzlich richtig sein. Das Landgericht hat aber auch – nachvollziehbar – festgestellt (UA S. 19f.), dass die vorgenommenen Prüfungshandlungen ungeeignet waren, etwaige Verstöße der Schuldnerin aufzudecken. Hiergegen wird in der Berufungsbegründung nichts Neues vorgetragen. Dass die Beklagten ein „anerkanntes Prüfprogramm“ (BB S. 14) verwendet haben wollen, ersetzt nicht den Vortrag dazu, wie sie selbst das Bestehen dieser Forderungen konkret verifiziert haben wollen.Randnummer43

Dies gilt auch für die fehlende Prüfung hinsichtlich der „sonstigen Verbindlichkeit“ in Höhe von 7 Mio. € gegenüber der C. M. d.o.o.. Da die Fälligkeit dieser Verbindlichkeit in beträchtlicher Höhe ohne schriftliche Vereinbarung hinausgeschoben worden war, hätte auch hierzu eine Saldenbestätigung eingeholt werden müssen.Randnummer44

b. Jahresabschluss 2016Randnummer45

Diesbezüglich ist der Pflichtenverstoß darin zu sehen, dass die Beklagten die Saldenbestätigungen nicht selbst eingeholt haben, sondern sich diese von der Schuldnerin haben vorlegen lassen, die wiederum Frau B. – die Ehefrau des zweiten Geschäftsführers L. B., die vormals als Steuerberaterin bei der Beklagten Ziff. 1 angestellt war und später für die Schuldnerin arbeitete – für die Schuldnerin eingeholt hatte.Randnummer46

Nach dem IDW Prüfungsstandard 302 gilt für alle Bestätigungen, die eingeholt werden, der Grundsatz, dass der Abschlussprüfer die Kontrolle sowohl über den Versand als auch über den Empfang der Bestätigungen bewahren muss. Damit ist ausgeschlossen, dass Bestätigungen durch das zu prüfende Unternehmen versandt werden oder dass das zu prüfende Unternehmen die Rücksendungen zunächst empfängt und dann an den Abschlussprüfer weiterleitet. Zwar hat vorliegend nicht die Schuldnerin die Saldenbestätigungen eingeholt – Frau B. war Steuerberaterin; zwar mit einem der Geschäftsführer verheiratet, aber keine Mitarbeiterin der Schuldnerin –, aber auch nicht die Beklagten. Sie haben sich auf die „Zulieferung“ von Frau B. verlassen. Eine eigene Kontrolle der Beklagten im oben genannten Sinne wurde damit nicht vorgenommen, da Frau B. insoweit jedenfalls „Dritte“ war.Randnummer47

Zur Problematik, dass nicht für alle Forderungen Saldenbestätigungen eingeholt wurden, gilt, dass der Wirtschaftsprüfer nur stichprobenartig vorzugehen hat (MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 317 Rn. 51; Hennrichs in: Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 1. Aufl. 2002, 101. Lieferung, § 323 HGB, Rn. 31). Allerdings betrafen die von Frau B. eingeholten Saldenbestätigungen Forderungen in Höhe von ca. 10 Mio. €; für weitere Forderungen aus Lieferung und Leistung in Höhe von knapp 20 Mio. € fehlten jegliche Saldenbestätigungen (vgl. UA S. 22). Damit ist auch insoweit ein Pflichtenverstoß zu bejahen.Randnummer48

c. Keine Prüfung des körperlichen Anlagevermögens („Inventur“)Randnummer49

Im Hinblick auf die Inventur genügt ein Prüfer dem Gebot der Gewissenhaftigkeit nach herrschender Meinung nur dann, wenn er sich von der Zuverlässigkeit des Bestandsaufnahmeverfahrens und seiner Anwendung überzeugt hat (Burg in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Aufl. 2020, § 317 HGB, Rn. 71; MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 317 Rn. 56).Randnummer50

Die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung in Vorrats- und Anlagevermögen überzeugt insoweit nicht. Gem. § 320 HGB ist der Abschlussprüfer berechtigt, Betriebsbesichtigungen durchzuführen, um die Existenz und den Zustand des Anlage- und Umlaufvermögens zu überprüfen (MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 320 Rn. 12); seine Prüfpflicht kann sich demnach auch auf das Anlagevermögen beziehen. Dies war insbesondere vorliegend von entscheidender Bedeutung, da ja gerade das Anlagevermögen „Geschäftsgegenstand“ der Schuldnerin war. Auf eigene Beobachtungen und die Vornahme eigener Bestandsprüfungen darf der Prüfer nur verzichten, wenn der Bestand nach Art und Wert im Verhältnis zum Ganzen nur unwesentlich, also unbedeutend ist (MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 317 Rn. 56).Randnummer51

Selbst geprüft haben die Beklagten das Vorhandensein des körperlichen Anlagevermögens nicht. Unterlagen betreffend die Prüfung des körperlichen Anlagevermögens durch Dritte (z. B. Inventurberichte) haben den Beklagten unstreitig nicht vorgelegen; sie haben lediglich Einsicht in das Warenwirtschaftssystem der Klägerin genommen (so UA S. 22). Ob die Prüfung des internen Kontrollsystems und andere alternative Prüfungshandlungen (wie von Beklagtenseite vorgetragen, vgl. BB S. 46) ausreichend waren, kann dahinstehen, weil eine Pflichtverletzung auch insoweit jedenfalls naheliegt.Randnummer52

d. Fehlen der gebotenen kritischen GrundhaltungRandnummer53

Der Grundsatz der kritischen Grundhaltung wird als grundsätzliche Bereitschaft des Abschlussprüfers definiert, Dinge kritisch zu hinterfragen und auf Umstände zu achten, die auf mögliche Fehldarstellungen in der Rechnungslegung durch Fehler oder Betrug hindeuten können, sowie die Prüfungsnachweise kritisch zu beurteilen (Hennrichs in: Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 1. Aufl. 2002, 101. Lieferung, § 323 HGB, Rn. 28). Vorliegend hatte die Schuldnerin mit ihrer Hauptlieferantin und den maßgeblichen Kunden ungewöhnlich lange Zahlungsziele vereinbart (UA S. 23 ff.). Vor dem Hintergrund, dass die C. M. d.o.o. einen Warenkredit im Hinblick auf angeblich von ihr gelieferte Storagesysteme in Millionenhöhe an die Schuldnerin als Start-up ohne Sicherheiten lieferte und die Schuldnerin diese Storagesysteme wiederum vermietete, hätte dieses Geschäftsmodell eingehend überprüft werden müssen: Die Schuldnerin vermietete Storagesysteme, die sie selbst nicht bezahlt hatte und für die sie keine Mieterlöse erhielt; gleichzeitig war sie verpflichtet, den Anlegern monatliche Zinsen zu bezahlen. Mangels Einnahmen der Schuldnerin konnte sie die Zinsen der Anleger daher nur mit den Einlagen neuer Anleger bezahlen; dieses Geschäftsmodell hätte von den Beklagten überprüft werden müssen. Auch die Zahlung durch Barentnahmen und der Verzicht auf Überweisungen hätten zu einer kritischen Hinterfragung führen müssen. Ob dies durch die Überprüfung von Internetauftritten der beteiligten Gesellschaft hätte geschehen müssen, kann dahingestellt bleiben.Randnummer54

Die Beklagten wenden insoweit nur pauschal – und damit unzureichend – ein, es hätte „sich anlässlich der seitens der Beklagten durchgeführten Prüfhandlungen keine Anhaltspunkte (…. ergeben), weitere Nachforschungen anzustellen. Soweit einzelne Umstände auffielen, wurde auch vertieft geprüft…“ (BB S. 47).Randnummer55

Pflichtverletzungen der Beklagten liegen demnach vor. Dies kann vom Gericht auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens bejaht werden. Weshalb ein Sachverständiger zu einer „ordnungsgemäßen Prüfung“ durch die Beklagten (so diese in der BB, S. 41 unten) gekommen wäre, begründen diese selbst nicht näher.Randnummer56

3. KausalitätRandnummer57

a. Die Haftung des Abschlussprüfers setzt weiter voraus, dass die Pflichtverletzung für eine Rechtsgutverletzung – im Sinne einer Primärverletzung – ursächlich geworden ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Juni 2021 – 22 U 31/20 –, Rn. 20, juris). Allein die Verletzung einer Prüfungspflicht oder das Unterlassen einer an sich gebotenen Prüfungshandlung durch den Abschlussprüfer führt daher nicht zu seiner Haftung. Es bedarf zusätzlich der Feststellung, dass die fehlerhaften oder unterlassenen Prüfungshandlungen kausal dafür geworden sind, dass der Bestätigungsvermerk erteilt worden ist, ohne dass unwahre oder unvollständige Angaben aufgedeckt worden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2021 – 22 U 31/20 –, Rn. 20, juris). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass weitere – aus der Sicht des Klägers gebotene Prüfungshandlungen – zu einer Verweigerung des Bestätigungsvermerks bzw. zu einer Einschränkung geführt hätten, trifft danach den Kläger (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2021 – 22 U 31/20 –, Rn. 22, juris).Randnummer58

Vorliegend wurde für beide im Streit stehenden Jahresabschlüsse der uneingeschränkte Bestätigungsvermerk erteilt. Allerdings ist davon auszugehen, dass bei Feststellung von Diskrepanzen – aufgrund sorgfältiger Prüfung – die Beklagten die fehlenden Unterlagen bei der Schuldnerin nachgefordert hätten. Die Schuldnerin war hingegen an der Aufrechterhaltung des von ihr geführten Schneeballsystems interessiert; ihre Geschäftsführer wussten, dass es tatsächlich keine Geschäftstätigkeit gab. Im Urteil des Landgerichts Stuttgart – Große Strafkammer – gegen den früheren Geschäftsführer der Schuldnerin E. N. (16 KLs 163 Js 14209/17) wird ausgeführt (dort S. 8):Randnummer59

„Zur Verschleierung der Tatsache, dass nur wenige Storage-Systeme gekauft wurden, beschaffte der Angeklagte für die Buchhaltung der X. GmbH eine Vielzahl von Scheinrechnungen und inhaltlich falschen Lieferpapieren für vermeintliche Storage-Lieferungen. Darüber hinaus wurden von Dritten auf Initiative des Angeklagten etliche wirtschaftliche inaktive Firmen im Ausland gegründet, um mit diesen Vertragsbeziehungen zu fingieren und über sog. „abgekürzte Zahlungswege“ zum Schein Zahlungsflüsse abzuwickeln. Um einen operativen Geschäftsbetrieb vorzutäuschen, betrieb der Angeklagte zudem unter Beteiligung der wirtschaftlich inaktiven Firmen verschiedene Zahlungskreisläufe, bei denen die vermeintlichen Storage-Nutzer an die X. GmbH Zahlungen aus Geldern leisteten, die zuvor durch die X. GmbH an vermeintliche Storage-Lieferanten oder andere angebliche Dienstleister gezahlt wurden …“Randnummer60

Angesichts dessen ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bei Anforderung von Dokumenten durch die Beklagten (s.o.: Einholung von Saldenbestätigungen; Dokumentation des Aktivvermögens) der Geschäftsführer N. dafür gesorgt hätte, dass die „passenden“ Papiere für die Prüfung der Beklagten beschafft worden wären. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass Saldenbestätigungen von nur zwei Vertragspartnern, nämlich der M. P. und der M. S., hätten vorgelegt werden müssen, deren Erstellung/Fälschung Herrn N. ohne Weiteres möglich gewesen wäre, wenn man die Feststellungen des Strafurteils zugrunde legt. Es ist deswegen nicht zu erwarten, dass die Nachforderung von Unterlagen das Bestehen einer Insolvenzreife der Schuldnerin aufgedeckt hätte, wobei insoweit auch festzuhalten bleibt, dass die Geschäftsführer von dieser Insolvenzreife von Anfang an wussten, weil die Schuldnerin nie einen funktionierenden Geschäftsbetrieb hatte. Im Übrigen haben sich die Beklagten für den Jahresabschluss 2016 Saldenbestätigungen vorlegen lassen, die Frau B. im Auftrag der Schuldnerin per E-Mail eingeholt hatte, unter anderem auch eine Saldenbestätigung der M. S. A.S. (vgl. UA S. 21). Dies zeigt, dass die Saldenbestätigungen auf Anforderung tatsächlich vorgelegt werden konnten. Damit ist hinsichtlich der vorgeworfenen Pflichtverletzung „Nichteinholung von Saldenbestätigungen“ die Kausalität zu verneinen. Dies gilt auch für Belege zur Prüfung des körperlichen Anlagevermögens. Auch hier ist der Senat mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass entsprechende Inventurberichte oder ähnliches bei Anforderung durch die Beklagten vom Geschäftsführer N. gefälscht und den Beklagten vorgelegt worden wären (anders beurteilt in einem ähnlichen Fall: OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, juris; NZB zurückgewiesen durch BGH, 08.09.2016, VII ZR 242/14. Hier wurde das Vorbringen nicht im Rahmen der Kausalität, sondern als Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens gewertet, für das die Beklagten beweispflichtig seien). Schließlich hätte dann auch eine bestehende kritische Grundhaltung der Beklagten im Rahmen der von ihr geschuldeten Tätigkeit nicht zur Aufdeckung der kriminellen Machenschaften der Geschäftsführer geführt.Randnummer61

Nach Auffassung des Senats scheitert der Anspruch daher bereits an der fehlenden Kausalität.Randnummer62

b. Das Landgericht geht davon aus, dass bei pflichtgemäßer Prüfung und einer sich daran anschließenden Verweigerung eines Testats die Schuldnerin früher einen Insolvenzantrag gestellt hätte (UA S. 28): Bei Versagung des Testats durch die Beklagten hätte das Betrugsmodell der Schuldnerin tatsächlich nicht mehr fortgeführt werden können, weil dieses Grundlage für die geplante Ausgabe von Anleihen war. Dies ist nach Auffassung des Senats nicht zwingend. Das fehlende Testat (das gegebenenfalls von Herrn N. gefälscht hätte werden können) ist nicht gleichzusetzen mit der anonymen Strafanzeige „aus den Reihen“ der Schuldnerin, die Herrn N. keine andere Handlungsalternative ließ als die Stellung des Insolvenzantrags (vgl. BB, S. 28 ff.). Der Kläger muss beweisen, dass bei pflichtgemäßem Verhalten des Wirtschaftsprüfers sofort ein Insolvenzantrag gestellt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – IX ZR 285/14 –, BGHZ 213, 374-394, Rn. 42; OLG Stuttgart, Urteil vom 27.10.2020, 12 U 82/20, juris Rn. 70).Randnummer63

Geht man allerdings – wie der Senat – davon aus, dass Herr N. schon alle nötigen Unterlagen gefälscht hätte und daraufhin das Testat von den Beklagten erteilt worden wäre, kommt es hierauf nicht an.Randnummer64

4. SchadenRandnummer65

Ob der Insolvenzverwalter überhaupt befugt ist, einen Schadensersatzanspruch gegen einen Steuerberater/Wirtschaftsprüfer wegen der Verursachung eines Insolvenzvertiefungsschadens geltend zu machen und damit ggf. die Schadensersatzbeträge zur Masse zu ziehen, ist streitig (vgl. insoweit ausführlich OLG Stuttgart, Urteil vom 27.10.2020 – 12 U 82/20 –, Rn. 76ff., juris).Randnummer66

Der für die Steuerberaterhaftung zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs geht davon aus, dass der Insolvenzverwalter in einem solchen Fall den „Insolvenzverschleppungsschaden“, der der Insolvenzschuldnerin durch die auf der Unternehmensfortführung beruhende Vergrößerung der Verbindlichkeiten erwachse, geltend machen kann. Der Schaden der Schuldnerin bemesse sich nach der Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags (BGH, Urteil vom 06.06.2013, IX ZR 204/12, juris Rz. 28).Randnummer67

Gegen diese Auffassung sind jüngst in der Literatur (Brügge, VersR 2018, 705 ff.; Meixner, DStR 2018, 966 ff. und 1025 ff.) grundlegende insolvenzrechtliche Bedenken geltend gemacht worden, die sich unter anderem darauf stützen, dass die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung eines solchen Schadens von der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Haftung eines Geschäftsführers im Falle der Insolvenzverschleppung grundlegend abweiche.Randnummer68

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nimmt der II. Zivilsenat (BGH, Urteil vom 30.03.1998, II ZR 146/96, zit. nach juris) an, dass der Insolvenzverwalter gerade nicht befugt sei, einen Insolvenzvertiefungsschaden als Schaden der Gesellschaft geltend zu machen. Vielmehr seien allein die Neugläubiger befugt, ihren Vertrauensschaden vom Geschäftsführer geltend zu machen. Wäre der Insolvenzverwalter befugt, den Vertiefungsschaden geltend zu machen und zur Masse zu ziehen, würde dies eine ungerechtfertigte Bevorteilung der Altgläubiger gegenüber den – eigentlich primär durch die verspätete Antragstellung geschädigten – Neugläubigern darstellen. Denn dadurch würde sich die Altgläubigerquote erheblich erhöhen, während die eigentlich primär geschädigten Neugläubiger u.U. kaum profitieren würden, weil zu befürchten sei, dass sie wegen ihres Rest-Vertrauensschadens leer ausgingen (BGH, Urteil vom 30.03.1998, II ZR 146/96, juris Rz. 12; Meixner, DStR 2018, 1025, 1026 f.; Brügge, VersR 2018, 705, 706).Randnummer69

In der Literatur wird mit beachtlichen Gründen argumentiert, dass für die Haftung des Steuerberaters nichts anderes gelten könne (Meixner, DStR 2018, 1025, 1030; Brügge, VersR 2018, 705, 710). Darin sei keine ungerechtfertigte Bevorteilung des Steuerberaters zu sehen: Zwar könne der Steuerberater anders als der Geschäftsführer mangels vertraglicher Beziehungen nicht unmittelbar von den Gläubigern der Schuldnerin auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden; es komme aber eine mittelbare Inanspruchnahme über den regresspflichtigen Geschäftsführer in Betracht (Brügge, VersR 208, 705, 709 f.).Randnummer70

Vorliegend braucht dieser Streit nicht entschieden zu werden. Auch wenn man mit dem IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes davon ausgeht, dass ein Insolvenzverwalter einen Insolvenzvertiefungsschaden gegenüber dem pflichtwidrig handelnden Wirtschaftsprüfer grundsätzlich geltend machen kann, scheitert der Anspruch vorliegend sowohl an der fehlenden Kausalität (s.o. unter 3.) als auch an einem deutlich überwiegenden Mitverschulden der Geschäftsführer der Schuldnerin (s.u. unter 6.).Randnummer71

5. ZurechnungszusammenhangRandnummer72

Grundsätzlich muss zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem eingetretenen Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen; gänzlich unwahrscheinliche Kausalverläufe begründen keine Haftung (Grüneberg in Grüneberg, BGB, a.a.O., vor § 249 Rn. 26). Diese Adäquanztheorie wird durch eine wertende Beurteilung ergänzt, dem Schutzzweck der Norm: Ein eingetretener und vom Prüfer verursachter Schaden ist ihm bei wertender Betrachtung nur zuzurechnen, wenn er innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm liegt (Staake/Müller in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Auflage 2020, § 323 HGB, Rn. 78). Der Zurechnungszusammenhang kann fehlen, wenn Verluste nicht auf der Fortsetzung der üblichen Geschäftstätigkeit, sondern auf der Eingehung wirtschaftlich nicht vertretbarer Risiken beruhen und dadurch der Bereich adäquater Schadensverursachung verlassen wurde. Dies kann erst recht in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Geschäftsleiters aus anderen Gründen als unvertretbar gelten muss (vgl. BGH, Urteil vom 06.06.2013 – IX ZR 204/12, Rn. 24, beck-online). Hiervon ist aufgrund der Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts Stuttgart vom 07.08.2018 auszugehen, wonach die Schuldnerin von Anfang an der Schaffung und Aufrechterhaltung eines betrügerischen Schneeballsystems diente (Strafurteil, Seite 4).Randnummer73

Allerdings erscheint es dem Senat – wie auch dem Landgericht in der angefochtenen Entscheidung – fraglich, ob diese Überlegungen, die der BGH im Hinblick auf einen mit der Erstellung der Steuerbilanz beauftragten Steuerberater angestellt hat, auf den Abschlussprüfer übertragbar sind, weil die Pflichtprüfung gerade dem Regelungszweck dient, Verstöße aufzudecken. Während sich ein Steuerberater in erster Linie um Angelegenheiten des Steuerrechts kümmert, hat ein Wirtschaftsprüfer eine wichtige wirtschaftliche Prüfungsfunktion. Einzig Wirtschaftsprüfer haben die Befugnis, Jahresabschlüsse von Unternehmen und Genossenschaften zu prüfen; vgl. insb. auch § 317 Abs. 1 S. 3 HGB. Die Prüfung des Jahresabschlusses hat Kontroll-, Informations- und Beglaubigungsfunktionen (MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 316 Rn. 24). Sie bezweckt damit nicht nur die Information der Gesellschaft selbst, sondern sie umfasst auch die Unterrichtung der Personen, die erst geschäftliche Beziehungen zu der Gesellschaft aufnehmen, ihr Waren- oder Geldkredit gewähren, sich an ihr beteiligen oder sie übernehmen wollen, ferner des Staates und – entsprechend ihrer jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Bedeutung – auch der Allgemeinheit (BGH, Urteil vom 10.12.2009 – VII ZR 42/08 –, BGHZ 183, 323-340, Rn. 29; MüKoHGB/Ebke, 4. Aufl. 2020, HGB § 316 Rn. 25). Der Prüfungsstandard IDW PS 210 befasst sich ausdrücklich mit der Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Abschlussprüfung. Unter Nr. 4, Rn. 14, ist dort festgehalten: „Dabei berücksichtigt der Abschlussprüfer das Risiko, dass Kontrollmaßnahmen durch das Management außer Kraft gesetzt werden, und bezieht in seine Überlegungen mit ein, dass Prüfungshandlungen, die für die Aufdeckung von Unrichtigkeiten geeignet sind, im Zusammenhang mit Verstößen nicht notwendigerweise ausreichen.“Randnummer74

Auch wenn nach der Adäquanztheorie zumindest solche Schäden, die nach der Lebenserfahrung außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen, nicht zu ersetzen sind (Beck Bil-Komm./Schmidt/Feldmüller, 12. Aufl. 2020, HGB § 323 Rn. 109), so ist es gerade Aufgabe des Abschlussprüfers, auch Ungereimtheiten, die möglicherweise sogar auf vorsätzliches Verhalten der Geschäftsführung zurückzuführen sind, aufzudecken. Dass solche Ungereimtheiten entstehen, liegt gerade nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit.Randnummer75

6. Mitverschuldenseinwand, § 254 BGBRandnummer76

a. Schuldhaftes Handeln der Beklagten: FahrlässigkeitRandnummer77

Die Beklagten handelten fahrlässig und nicht (bedingt) vorsätzlich. Bedingter Vorsatz liegt dann vor, wenn aus dem Vorgehen des Abschlussprüfers geschlossen werden kann, dass er es für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, die Abschlussprüfung pflichtwidrig durchgeführt zu haben (BGH, Urteil vom 19.04.2012 – III ZR 224/10 –, Rn. 30, juris). In einem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte der Abschlussprüfer kritische Prüfungsfelder „umschifft“ und grundlegende Berufspflichten verletzt (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, Rn. 101, juris). Es genügt allerdings nicht, wenn die relevanten Tatumstände, die zu einer Unzulänglichkeit der Prüfung führen, lediglich objektiv erkennbar waren und sich dem Abschlussprüfer hätten aufdrängen müssen. In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12 –, Rn. 12, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, Rn. 102, juris). Letztendlich kann diese Frage nur im Rahmen einer Würdigung aller Umstände festgestellt werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, Rn. 103, juris). Der Kläger muss den Beklagten vorsätzliches Handeln nachweisen (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, Rn. 104, juris). Nach diesen Maßstäben handelte die Beklagten vorliegend jedenfalls nicht vorsätzlich, denn es wird auch von Klägerseite nicht vorgetragen, dass sie es für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hätten, die Abschlussprüfung pflichtwidrig durchgeführt zu haben.Randnummer78

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, §276 Abs.2 BGB. Dafür kommt es nicht auf den individuellen, sondern auf einen objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab an. Für den Prüfer wird die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch die Sorgfalt eines gewissenhaften und unparteiischen Abschlussprüfers konkretisiert (Staake/Müller in: Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 2. Auflage 2020, § 323 HGB, Rn. 66). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (Grüneberg in Grüneberg, BGB, a.a.O., § 277 Rn. 5; BGH, Urteil vom 03.11.2016 – III ZR 286/15 –, Rn. 17, juris). Maßgebend ist insoweit die Perspektive des Sachkundigen (BGH, Beschluss vom 24.07.2014 – III ZR 412/13 –, Rn. 3, juris). Den Handelnden muss – im Gegensatz zur leichten Fahrlässigkeit – auch subjektiv ein schweres Verschulden treffen (BGH, Urteil vom 11.07.2007 – XII ZR 197/05 –, Rn. 20, juris; BGH, Urteil vom 03.11.2016 – III ZR 286/15 –, Rn. 17, juris). Einfache Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die besonderen Merkmale der groben Fahrlässigkeit nicht erfüllt sind (Grüneberg in Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn. 14).Randnummer79

Die Beklagten haben die Sorgfalt, die an einen Prüfer zu stellen ist, nicht aufgewandt, da sie ansonsten die Saldenbestätigungen und Nachweise über eine etwaige Bestandsaufnahme des körperlichen Anlagevermögens eingeholt hätten. Ihnen kann hingegen nicht vorgeworfen werden, dass sie wesentliche Prüfgebiete von vornherein ausgeblendet und sich einen völlig unzureichenden Zeitrahmen für die Prüfung gesetzt hätten (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, Rn. 103, juris). Sie haben vielmehr einzelne Prüfpflichten nicht ordnungsgemäß wahrgenommen und sich auf die Angaben der Schuldnerin verlassen. Allerdings wurden die Bilanzpositionen mit dem Geschäftsführer N. und Frau B. „eingehend erörtert“ (so LG UA S. 21). Damit haben die Beklagten fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig, gehandelt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts bewertet der Senat das Handeln der Beklagten als leicht fahrlässig und nicht „zumindest nahe an der groben Fahrlässigkeit“.Randnummer80

b. AbwägungRandnummer81

Nach § 254 Abs. 1 BGB hängt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat, die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei Annahme eines Mitverschuldens ist eine Würdigung und Abwägung aller Umstände zur Bestimmung des Umfangs der Ersatzpflicht erforderlich; bei der Abwägung ist in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Verursachungen abzustellen (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 11.04. 2018 – 8 U 69/16 –, Rn. 32, juris). Dem (einfach) fahrlässigen Handeln der Beklagten steht das vorsätzliche Handeln der Geschäftsführer der Schuldnerin entgegen. Für den Geschäftsführer N. jedenfalls ist dieses durch das Strafurteil des Landgerichts festgestellt; sein Verschulden wiegt schwer. Der ebenfalls angeklagte Mitgeschäftsführer L. B. ist in der – in dieser Sache verbüßten – Untersuchungshaft verstorben, so dass eine abschließende Entscheidung im Strafverfahren gegen ihn nicht erging.Randnummer82

Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers kann infolge eines der Schuldnerin analog § 31 BGB zuzurechnenden Mitverschuldens ihres Geschäftsführers nach § 254 Abs. 1 BGB erheblich gemindert oder sogar ganz ausgeschlossen sein (BGH, Urteil vom 06.06.2013 – IX ZR 204/12 –, Rn. 29, juris; BGH, Urteil vom 10.12.2009 – VII ZR 42/08 –, BGHZ 183, 323-340, Rn. 54; einen vollständigen Haftungsausschluss bejahend: BGH, Beschluss vom 23.10.1997 – III ZR 275/96 –, juris). Allerdings ist bei der Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Funktion der Abschlussprüfung, Fehler in der Rechnungslegung aufzudecken und den daraus drohenden Schaden von der geprüften Gesellschaft abzuwenden, mehr Zurückhaltung als bei anderen Schädigern geboten. Daher lässt auch eine vorsätzliche Irreführung des Prüfers die Ersatzpflicht nicht – wie sonst – ohne Weiteres gänzlich entfallen. Maßgeblich sind letztlich die Umstände des Einzelfalls (BGH, Beschluss vom 23.10.1997 – III ZR 275/96 –, Rn. 8, juris; BGH, Urteil vom 06.06.2013 – IX ZR 204/12 –, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 10. 12.2009 – VII ZR 42/08 –, BGHZ 183, 323-340, Rn. 56; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.08.2014 – 6 U 114/08 –, Rn. 131, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2021 – 22 U 31/20 –, Rn. 29, juris; Baumbach/Hopt/Merkt, 40. Aufl. 2021, HGB § 323 Rn. 7). Der besonderen Verantwortung des Prüfers entsprechend ist ein strenger Maßstab anzulegen, was den Fall eines kompletten Anspruchsfortfalls analog § 254 BGB zur Ausnahme macht (BeckOK HGB/Poll, 34. Ed. 15.10.2021, HGB § 323 Rn. 31). Der Schutz Dritter kann insoweit allerdings keine Rolle spielen: Der Anspruch nach § 323 Abs. 1 S. 3 HGB berechtigt ohnehin nur die Gesellschaft und die mit ihr verbundenen Unternehmen, nicht hingegen Gesellschafter, Gläubiger oder sonstige Dritte. Es erscheint daher als systematisch eher fernliegend, schützende Erwägungen zugunsten nicht anspruchsberechtigter Personen in die Anwendung von § 323 Abs. 1 S. 3 HGB einfließen zu lassen (OLG Braunschweig, Urteil vom 08.05.2013 – 3 U 70/12 –, Rn. 22, juris).Randnummer83

Die Zweckbestimmung des Auftrags lässt es gerechtfertigt erscheinen, die vollständige Haftung des Wirtschaftsprüfers für eine fehlerhafte Prüfung gegenüber einem vorsätzlich handelnden Geschäftsführer nur dann zurücktreten zu lassen, wenn dem Wirtschaftsprüfer einfache Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Demgegenüber ist eine anteilige Haftung des Wirtschaftsprüfers im Regelfall schon dann nicht mehr zu verneinen, wenn der Sorgfaltsverstoß des Wirtschaftsprüfers die Grenze zur groben Fahrlässigkeit erreicht, ohne sie bereits zu überschreiten (BGH, Urteil vom 10.12.2009 – VII ZR 42/08 –, BGHZ 183, 323-340, Rn. 59; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 18.07.2013 – 4 U 278/11 – 88 –, Rn. 37, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 15.01.2008 – 12 U 75/07 –, Rn. 185, juris).Randnummer84

Aufgrund dessen entfällt vorliegend (neben der fehlenden Kausalität) die Haftung der Beklagten: Zwar ist dem Landgericht darin Recht zu geben, dass die Schuldnerin als GmbH eine Kapitalgesellschaft und damit eine eigene Rechtspersönlichkeit war, die nicht mit den für sie handelnden Geschäftsführern gleichzusetzen ist. Allerdings liegt die Besonderheit vorliegend darin, dass die Schuldnerin nur zu dem Zweck gegründet wurde, das dargestellte Schneeballsystem zu schaffen und aufrechtzuerhalten, so dass sich die Gesellschafter/Geschäftsführer auf Kosten gutgläubiger Anleger bereichern konnten (vgl. Strafurteil vom 07.08.2018, Anl. K9, dort S. 4). Der operative Geschäftsbetrieb der Schuldnerin war von Beginn an fast vollständig fingiert (Strafurteil, S. 7). Der Zweck der Abschlussprüfung, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, konnte vorliegend gar nicht erreicht werden, da der „Schaden“ der Gesellschaft vorsätzlich eingeplant war und sich tatsächlich dann als Schaden der Anleger realisierte. Gläubigerinteressen werden durch die im Raum stehenden Vorschriften aber gerade nicht geschützt. Das schadensstiftende Verhalten der Geschäftsführer war damit bereits bei Gründung der Gesellschaft vorhanden; die Geschäftsführer waren daran interessiert, dieses „Scheinkonstrukt“ längstmöglich aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, dass die Schuldnerin zwar als GmbH gegründet war, ihre alleinigen Gründungsgesellschafter aber waren die beiden Geschäftsführer, B. und N., mit einem Anteil von jeweils 50 % (Strafurteil des LG Stuttgart vom 7.8.2018, dort S. 4). Auch später sind – nach Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – keine weiteren Gesellschafter hinzugekommen, so dass es auch an der Schutzbedürftigkeit der Gesellschaft fehlt (siehe auch OLG Braunschweig, Urteil vom 08.05.2013 – 3 U 70/12 –, Rn. 23, juris).Randnummer85

Dem gegenüber steht das fahrlässige Verhalten der Beklagten. Insoweit ist auch noch verschuldensmindernd zu berücksichtigen, dass der Gesichtspunkt entfällt, bei der Gesellschaft sei das irrige Vertrauen geweckt worden, sich nicht in einer wirtschaftlichen Schieflage zu befinden (als wertendes Kriterium angeführt von BGH, Urteil vom 06.06.2013 – IX ZR 204/12 –, Rn. 31, juris).Randnummer86

Es ist dies ein Fall, in dem ein schuldhafter Pflichtverstoß des Abschlussprüfers zwar zu bejahen ist, seine Haftung gegenüber der Gesellschaft aber dennoch grob unbillig wäre (im Ergebnis ebenso: OLG Braunschweig, Urteil vom 08.05.2013 – 3 U 70/12 –, Rn. 22, juris). Es erscheint treuwidrig, wenn die Schuldnerin Ersatz für einen Schaden verlangen könnte, den sie selbst verursacht hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2021 – 22 U 31/20 –, Rn. 30, juris; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 30.10.2020 – 3 U 47/20 –, Rn. 53, juris).

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 101 ZPO.Randnummer88

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.Randnummer89

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.Randnummer90

4. Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für die Bewertung des Mitverschuldens in Fällen wie dem vorliegenden sind höchstrichterlich geklärt. Die Gewichtung der jeweiligen Verschuldensanteile stellt eine Frage des Einzelfalls dar. Ebenso verhält es sich mit der Bejahung der Kausalität der Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden. Die streitige und bisher ungeklärte Rechtsfrage, ob der Insolvenzverwalter befugt ist, einen Insolvenzvertiefungsschaden im Rahmen eines Haftungsanspruchs gegen einen Steuerberater/Wirtschaftsprüfer geltend zu machen, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.

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