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OLG München, Urteil vom 20.09.2023 – 7 U 321/22

Handelsvertretervertrag

§ 177 Abs. 1 BGB; §§ 86, 87 Abs. 2 HGB; Art. 4 Abs. 1 lit. f) Rom I VO

Tenor

1. Das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 (Az.: 7 U 321/22) wird aufrechterhalten.

2. Von den weiteren Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte zu 1) 81% und die Beklagte zu 2) 19% zu tragen.

3. Dieses Urteil und das Teilurteil des Landgerichts München I vom 30.12.2021 (Az.: 14 HK O 15782/15), soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.

1

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Handelsvertreterverhältnis.

2

Die Klägerin ist eine GmbH deutschen Rechts, die Beklagten sind Gesellschaften türkischen Rechts. Die Parteien (die drei Beklagten dabei vertreten durch ihren damaligen Mitarbeiter K.) schlossen unter dem 15./18.8.2014 den als Anlage K 1 vorliegenden Handelsvertretervertrag, auf dessen Wortlaut Bezug genommen wird. Nach Ziffer 1 betraut die W. Firmengruppe, bestehend aus den drei Beklagten, die Klägerin mit ihrer Alleinvertretung als Bezirksvertreter für die Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Ziffer 5 enthält eine Auskunfts- und Vertragsstrafenregelung zugunsten der Klägerin. Nach Ziffer 7 beträgt die Provision 5% vom Rechnungsbetrag für alle direkten und indirekten Geschäfte mit Abnehmern des in Ziffer 1 angegebenen Bezirks. Nach Ziffer 11 sollte das Vertragsverhältnis vom 1.9.2014 bis 31.8.2019 dauern und sich mangels schriftlicher Kündigung sechs Monate vor Vertragsablauf um den selben Zeitraum verlängern. Nach Ziffer 12 wurde die Geltung des Rechts am Sitz des Handelsvertreters (also deutsches Recht) vereinbart.

3

Mit der Klageschrift hat die Klägerin Anträge auf Buchauszug, weitere Auskünfte, Provision (unbeziffert), Vertragsstrafe (unbeziffert) sowie vorgerichtliche Kosten angekündigt. Im Termin vom 14.11.2016 vor dem Landgericht hat die Klägerin davon die Anträge auf Buchauszug und Auskunft gestellt; hierüber erging Versäumnisurteil, das in der Folgezeit rechtskräftig wurde.

4

Die Klägerin beauftragte sodann die Wirtschaftsprüferkanzlei R. und PartnerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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mit der Erstellung eines Buchauszuges im Wege der Ersatzvornahme für die Zeit vom Vertragsbeginn bis zum 30.9.2019. Ein solcher Buchauszug liegt den Gerichten nicht vor.

5

Den schon in der Klage unbeziffert angekündigten Antrag auf Vertragsstrafe hat die Klägerin erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 1.9.2017 ausdrücklich aufrechterhalten und mit Schriftsatz vom 29.12.2020 auf die Zeiträume bis 30.9.2019 präzisiert. In mündlicher Verhandlung gestellt wurde der Antrag erstinstanzlich nicht. Mit Schriftsatz vom 29.12.2020 hat die Klägerin ferner Auskunftsansprüche für die Zeit ab Erlass des Teilversäumnisurteils bis 30.9.2019 angekündigt; auch diese wurden in der Folgezeit nicht in mündlicher Verhandlung gestellt. Nicht in mündlicher Verhandlung gestellt wurde erstinstanzlich auch der mit der Klageschrift angekündigte Antrag auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten.

6

Mit Schriftsatz vom 26.2.2021 hat die Klägerin ihre in der Klageschrift unbeziffert angekündigten Ansprüche auf Provisionszahlung gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) für die Zeit bis zum 30.9.2019 beziffert. Diese Anträge wurden im Termin vom 18.10.2021 vor dem Landgericht gestellt.

7

Die Klägerin hat beantragt,

a) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin EUR 781.197,65 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz EZB ab 01.10.2019 zu zahlen.

b) die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin EUR 163.563,77 nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz EZB seit 01.10.2019 zu zahlen.

8

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Durch das angegriffene Teilurteil hat das Landgericht die Beklagte zu 1) zur Zahlung von 529.925,50 € und die Beklagte zu 2) zur Zahlung von 110.17,52 € (jeweils nebst anteiligen Zinsen) verurteilt; die weitergehenden bezifferten Zahlungsanträge hat es abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Teilurteils vom 30.12.2021 wird Bezug genommen.

10

Mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Zahlungsbegehren weiter, soweit ihm nicht entsprochen wurde. Mit ihren zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen begehren die Beklagten die Abweisung der bezifferten Zahlungsklage.

11

Während des laufenden Berufungsverfahrens hat die Klägerin die erstinstanzliche Klage mit Schriftsätzen vom 20.7.2022 und 20.4.2023 um Ansprüche auf Buchauszug, weitere Auskünfte und Provisionszahlung (unbeziffert) für die Zeit nach dem 30.9.2019 erweitert.

12

Im Termin vom 8.3.2023 erging Versäumnisurteil gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) gemäß den klägerischen Zahlungsbegehren. Das Versäumnisurteil wurde den Beklagten am Mittwoch, 22.3.2023 zugestellt. Mit Schriftsatz vom Mittwoch, 5.4.2023, eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag haben die Beklagten zu 1 und zu 2 Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt.

13

Die Beklagten zu 1) und zu 2) beantragen,

das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 sowie das Teilurteil des Landgerichts München I vom 30.12.2021 (Az.: 14 HK O 15782/15) aufzuheben und die bezifferte Zahlungsklage abzuweisen.

14

Die Klägerin beantragt,

das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 aufrechtzuerhalten.

15

Mit Schriftsätzen vom 29.8.2023 und 5.9.2023 hat die Klägerin die erstinstanzlichen Anträge auf Auskunft und Vertragsstrafe (jeweils bis 30.9.19) sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten zurückgenommen.

B.

16

Bei der anlässlich des Versäumnisurteils vorgenommenen Rubrumsberichtigung hatte es im Grundsatz zu verbleiben; es war lediglich klarzustellen, dass auch die Beklagte zu 1) nunmehr eine Anonim Sirketi (A.S.) ist.

17

Aus der von der Klagepartei vorgelegten Auskunft der türkischen Handelskammer ergibt sich, dass die Beklagte zu 1 mit der in der Klageschrift und im Rubrum des angegriffenen Urteils genannten Firma G. O. S. … unter der Nummer …64 ins türkische Handelsregister eingetragen war. Aus den in türkischer Sprache mit beglaubigter deutscher Übersetzung vorgelegten Veröffentlichungen im Handelsregisterblatt der Türkei vom 26.4.2019 und 5.4.2022 ergibt sich, dass unter der Nummer …64 sodann zwischenzeitlich eine Firma G. O. S. … Anonim Sirketi eingetragen war und nunmehr eine Firma W. O. S. … Anonim Sirketi eingetragen ist (die insoweit hinsichtlich der Firma in der vorgelegten Übersetzung enthaltene offenbare Unrichtigkeit kann auch ohne türkische Sprachkenntnisse durch schlichte Inaugenscheinnahme des Originals festgestellt werden). Aufgrund dieser Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte zu 1) nunmehr wie im aktuellen Rubrum genannt firmiert.

18

Aus den von der Klagepartei in türkischer Sprache mit beglaubigter deutscher Übersetzung vorgelegten Veröffentlichungen im Handelsregisterblatt der Türkei vom 26.4.2019 und 5.4.2022 ergibt sich ferner, dass die Beklagte zu 2) mit der in der Klageschrift und im Rubrum des angegriffenen Urteils genannten Firma T. M. A. … unter der Nr. …65 eingetragen war und dort unter dieser Nummer nunmehr die Firma W. M. A. S. … Anonim Sirketi eingetragen ist. Aufgrund dieser Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte zu 2) nunmehr wie im aktuellen Rubrum genannt firmiert.

C.

19

Auf zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 8.3.2023 war über die wechselseitigen Berufungen der Parteien zu entscheiden (§ 342 ZPO). Die Berufung der Beklagten hat insoweit keinen Erfolg; als begründet erweist sich hingegen die Berufung der Klägerin. Damit erweist sich das Versäumnisurteil als zutreffend und war folglich aufrechtzuerhalten (§ 343 S. 1 ZPO).

I.

20

Das angegriffene Teilurteil hätte zwar nach der Sachlage bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht ergehen dürfen, weil hierdurch die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen begründet wurde. Eine Zurückverweisung an das Landgericht nach § 538 Abs. 1 Nr. 7 ZPO kam hierwegen unter den Umständen des Falles aber nicht in Betracht.

21

1. Nach § 301 ZPO ist ein Teilurteil nur zulässig, wenn es über einen aussonderbaren, einer selbständigen Entscheidung zugänglichen Teil des Verfahrensgegenstandes ergeht und der Ausspruch über diesen Teil unabhängig von demjenigen über den restlichen Verfahrensgegenstand getroffen werden kann, so dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist. Der Erlass eines Teilurteils setzt neben der Teilbarkeit des Streitgegenstandes oder einer Mehrheit von Streitgegenständen voraus, dass die Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil garantiert ist. Die Widerspruchsfreiheit ist in einem weiten Sinne zu verstehen und erfasst daher auch Fälle der Vorgreiflichkeit. Daher darf die Entscheidung über den weiter rechtshängigen Streit nicht eine Vorfrage umfassen, die bereits für die erledigte Teilentscheidung erheblich war. Da einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen eine Entscheidung aufbaut, grundsätzlich nicht von der Rechtskraft erfasst werden, besteht sonst die Gefahr einer unterschiedlichen Beantwortung der Vorfrage, wenn das Verfahren durch den Erlass eines Teilurteils aufgespaltet wird. Dabei ist der Erlass eines Teilurteils bereits dann unzulässig, wenn sich die Gefahr durch die abweichende Beurteilung eines Rechtsmittelgerichts im Instanzenzug ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 11.1.2012 – XII ZR 40/10, Rz. 19).

22

Vorliegend bestand nach diesen Grundsätzen die Gefahr eines Widerspruchs zwischen Teil- und Schlussurteil. Erstinstanzlich waren im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Urteilsverkündung noch unbezifferte Ansprüche auf Vertragsstrafe, diesbezügliche Auskunft sowie die Erstattung vorgerichtlicher Kosten anhängig. Vorfrage für eine eventuelle Vertragsstrafe (und die Erstattung vorgerichtlicher Kosten) ist ebenso wie für die gegenständlichen Zahlungsansprüche, ob der Handelsvertretervertrag zwischen den Parteien gemäß Anlage K 1 wirksam zustande gekommen und wirksam geblieben ist, insbesondere ob die Beklagten bei Vertragsschluss wirksam vertreten wurden und ob der Vertrag wegen wirksamer Anfechtung oder Sittenwidrigkeit nichtig ist (zu diesen Fragen vgl. unten II.1.). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass – etwa im Falle eines Richterwechsels bei der zuständigen Kammer des Landgerichts oder auch beim erkennenden Senat – diese Rechtsfragen im Stadium des Schlussurteils anders beantwortet werden als vorliegend, was dann zu einer Widersprüchlichkeit zwischen Teil- und Schlussurteil führen würde.

23

2. Die hiernach bestehende Unzulässigkeit des angegriffenen Teilurteils war vom Senat ohne Rüge der Berufungsführer von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 11.5.2011 – VIII ZR 42/10, Rz. 19 m.w.Nachw.). Damit wäre an sich die Möglichkeit der Zurückverweisung an das Landgericht ohne Antrag der Parteien eröffnet (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, S. 3 ZPO). Nach Auffassung des Senats verbietet sich aber unter den Umständen des Falles eine Zurückverweisung.

24

a) Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 29.8.2023 und 5.9.2023 die erstinstanzliche Klage hinsichtlich der Auskunfts- und Vertragsstrafenanträge für die Zeiträume bis 30.9.2019 sowie hinsichtlich der Erstattung vorgerichtlicher Kosten zurückgenommen. Die Klagerücknahme ist grundsätzlich in jedem Verfahrensstadium möglich; sie bedurfte vorliegend auch nicht der Zustimmung der Beklagten (§ 269 Abs. 1 ZPO), da ausweislich der vorliegenden Sitzungsprotokolle die zurückgenommenen Anträge nie in mündlicher Verhandlung gestellt wurden, also nicht über sie verhandelt wurde (§ 137 Abs. 1 ZPO).

25

Damit sind diese Anträge als nie anhängig geworden anzusehen (§ 269 Abs. 3 ZPO), so dass im Hinblick auf diese Anträge die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen rückwirkend entfallen ist und damit der im Erlass des Teilurteils liegende Verfahrensfehler geheilt wurde.

26

b) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass in erster Instanz nach wie vor Anträge auf Buchauszug, Auskunft, unbezifferte Provisionen und unbezifferte Vertragsstrafe für die Zeiträume ab 1.10.2019 anhängig sind. Denn diese Anträge wurden erst mit Schriftsätzen vom 20.7.2022 bzw. 20.4.2023 und damit nach Erlass des angegriffenen Teilurteils angekündigt. Sie vermögen daher die Unzulässigkeit des Teilurteils wegen der Gefahr widersprechender Entscheidungen nicht zu begründen; zwar besteht diese Gefahr insoweit, das Landgericht hat aber nicht verfahrensfehlerhaft gehandelt, weil es diese Anträge denknotwendig noch nicht berücksichtigen konnte.

II.

27

In der Sache erweist sich das Versäumnisurteil des Senats als zutreffend, so dass es aufrechtzuerhalten war. Die Beklagten schulden der Klägerin für die Zeiträume bis 30.9.2019 Provisionen in der verlangten Höhe, so dass die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen wurde und die Berufung der Klägerin Erfolg hatte.

28

1. Zwischen den Parteien bestand im streitgegenständlichen Zeitraum ein wirksames Handelsvertreterverhältnis.

29

a) Der Vertrag vom 15./18.8.2014 (Anlage K 1) scheitert nicht an mangelnder Vertretungsmacht des für die Beklagten bei Vertragsschluss handelnden Herrn K.

30

aa) Der Handelsvertretervertrag unterliegt kraft Rechtswahl (vgl. Anlage K 1, Ziff. 12) deutschem Recht (Art. 3 Abs. 1 Rom I VO). Die Wirksamkeit der Rechtswahl wird von den Parteien nicht bezweifelt. Ohne wirksame Rechtswahl ergäbe sich nach Art. 4 Abs. 1 lit. f) Rom I VO ebenfalls die Anwendbarkeit deutschen Rechts.

31

Das Vertragsstatut nach der Rom I VO gilt allerdings nicht für die Frage der ordnungsgemäßen Vertretung bei Vertragsschluss (Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I VO). Die Frage, ob Herr K. wirksam bevollmächtigt war, beurteilt sich vielmehr nach türkischem Recht (Art. 8 Abs. 3 EGBGB).

32

Nicht nach dem Vertretungsstatut, sondern nach dem Vertragsstatut, also vorliegend nach deutschem Recht beurteilt sich aber gegebenenfalls die Frage, ob das Geschäft eines vollmachtlosen Vertreters wirksam genehmigt wurde (BGH, Urteil vom 8.10.1991 – XI ZR 64/90, Rz. 15; Urteil vom 17.11.1994 – III ZR 70/93, Rz. 2; Grüneberg / Thorn, BGB, 82. Aufl., Art. 8 EGBGB Rz. 6).

33

bb) Hiernach wäre an sich zunächst nach türkischem Recht zu klären, ob Herr K. bei Vertragsschluss Vertretungsmacht für die Beklagten hatte. Dass er Organ der Beklagten ist, behauptet auch die Klägerin nicht. Damit käme nur eine rechtsgeschäftliche Vollmacht in Betracht. Eine ausdrückliche Bevollmächtigung vermag die Klägerin nicht vorzutragen. Damit käme nur in Betracht, dass sich eine Vollmacht des Herrn K. aus den Umständen, etwa entsprechend den deutschen Grundsätzen für eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht ergibt. Ob und unter welchen Voraussetzungen entsprechende Rechtsfiguren auch im türkischen Recht existieren, wäre ohne Einholung eines Rechtsgutachtens nicht zu klären. Daher kann nach derzeitigem Sachstand nicht davon ausgegangen werden, dass Herr K. Vertretungsmacht hatte.

34

cc) Die Frage kann jedoch offen bleiben. Folge fehlender Vertretungsmacht ist (nach deutschem Recht als Vertragsstatut) die zunächst schwebende Unwirksamkeit des Handelsvertretervertrages (§ 177 Abs. 1 BGB). Diese wäre jedoch geheilt durch Genehmigung seitens des Herrn T., der unstreitig vertretungsberechtigtes Organ der Beklagten ist.

35

Die Genehmigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das gegenüber dem Vertreter oder dem Vertragspartner erklärt werden kann (§§ 182, 184 BGB). Zwar ist eine ausdrückliche Genehmigung nicht vorgetragen; die Genehmigung eines schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts kann jedoch auch konkludent erklärt werden. Entscheidend ist daher, ob die Klägerin in Person des Zeugen H. L. das Verhalten des Herrn T. dem Zeugen gegenüber nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Genehmigung des Handelsvertretervertrages verstehen durfte (Lehre vom objektiven Empfängerhorizont).

36

Die Klagepartei hat diesbezüglich unbestritten vorgetragen, dass Herr T. bei einem persönlichen Treffen mit Herrn L. am 19.9.2014 (also rund eineinhalb Monate nach Vertragsschluss) am Messestand der W.-Gruppe auf der Automobilmesse in F. detaillierte Kenntnis vom Inhalt des Handelsvertretervertrages zeigte, die weitere Zusammenarbeit besprach und Herrn L. gegenüber Geschäftspartnern als Handelsvertreter für Deutschland vorstellte; ferner sei bei dieser Gelegenheit die Gestaltung einer Visitenkarte für Herrn L. besprochen worden; wenig später seien der Klägerin entsprechende Visitenkarten übersandt worden. – Auf dem als Anlage K 13 vorgelegten Exemplar einer solchen Visitenkarte sind die (damaligen) Firmen aller drei Beklagten sowie „H. L. Verkaufsniederlassung“ aufgedruckt.

37

Nach Auffassung des Senats musste sich dem Zeugen L. aus der Gesamtschau der vorstehenden unstreitigen Umstände der Eindruck aufdrängen, dass Herr T. mit dem Inhalt des Handelsvertretervertrages vertraut war und diesen namens der Beklagten billigte. Damit wurde der Handelsvertretervertrag, sollte er zunächst schwebend unwirksam gewesen sein, jedenfalls rückwirkend auf seinen Abschluss wirksam.

38

b) Der Vertrag von 15./18.8.2014 (Anlage K 1) ist nicht wirksam angefochten. Als Anfechtungsgrund wird erstinstanzlich nur die behauptete mangelnde Vertretungsmacht des Herrn K. angeführt. Dieser Gesichtspunkt lässt sich weder unter §§ 119, 120 BGB noch unter § 123 BGB subsumieren.

39

c) Der Vertrag vom 15./18.8.2014 (Anlage K 1) ist nicht nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Ein auffälliges Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und Pflichten der Vertragsparteien lässt sich nicht feststellen.

40

Eine Provisionshöhe von 5% der Vertragssumme ist nach der Kenntnis des regelmäßig mit Handelsvertretersachen befassten Senats nicht ungewöhnlich. Dass diese auch bei Geschäften anfallen kann, die die Klägerin nicht vermittelt hat, ist eine Folge der vereinbarten Bezirksvertretung (§ 87 Abs. 2 HGB). Diese Möglichkeit der Vertragsgestaltung ist vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen und vermag daher das Verdikt der Sittenwidrigkeit nicht zu begründen.

41

Nicht nachvollziehbar ist, warum das Fehlen von Kundenlisten zur Sittenwidrigkeit des Vertrages führen soll. Dass der Kreis von Kunden, für die Provision verlangt werden kann, nur territorial auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs begrenzt ist, ergibt sich aus der vertraglich vereinbarten Stellung der Klägerin als Bezirksvertreterin Dass der Vertrag einseitig formuliert ist und nur Pflichten der Beklagten enthält, mag sein. Das hat aber nicht zur Folge, dass die Klägerin keine Pflichten treffen; vielmehr folgen mangels vertraglicher Regelung die Pflichten der Klägerin aus dem Gesetz (insbesondere § 86 HGB). Soweit die Beklagten Schadensersatzregelungen zu ihren Gunsten vermissen, gelten für den Fall von Pflichtverletzungen auf Seiten der Klägerin die §§ 280 ff. BGB.

42

Die strenge Vertragsstrafenregelung vermag eine Sittenwidrigkeit des Gesamtvertrages ebenfalls nicht zu begründen. Denn selbst wenn Ziffer 5 des Vertrages unwirksam wäre, ließe dies nach § 14 des Vertrages die übrigen Vertragsklauseln unberührt.

43

d) Der Vertrag wurde im streitgegenständlichen Zeitraum bis 30.9.2019 nicht wirksam gekündigt. Behauptet wird nur eine Kündigungserklärung vom 1.11.2021. Diese hätte im Falle ihrer Wirksamkeit den Vertrag frühestens mit ihrem Zugang bei der Klägerin und damit keinesfalls vor dem 30.9.2019 beendet.

44

2. Die Ansprüche auf Zahlung von Provision bestehen in der von der Klägerin geltend gemachten Höhe und nicht nur in dem vom Landgericht zuerkannten Umfang.

45

a) Zu Recht hat das Landgericht den klägerischen Vortrag zu den provisionspflichtigen Geschäften als unstreitig behandelt. Die Klägerin hat die nach ihrer Ansicht provisionspflichtigen Vorgänge durch Vorlage der Rechnungslisten als Anlage zum Schriftsatz vom 23.8.2021 (Bl. 229 ff. der Akten) schlüssig dargelegt. Diese enthalten das Rechnungsdatum, die Rechnungsnummer, den Kunden sowie den (wohl verbuchten) Betrag in Lire sowie den Rechnungsbetrag in Euro. Nach dem Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hätten sich die Beklagten dem gegenüber nicht mit pauschalem Bestreiten begnügen dürfen, sondern hätten konkrete Einwendungen gegen die einzelnen von der Klägerin vorgebrachten provisionspflichtigen Vorgänge erheben müssen; hierzu wären sie auch in der Lage gewesen, da die Klägerin diese Angaben mit Hilfe der Wirtschaftsprüferkanzlei R. und PartnerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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aus den Büchern der Beklagten gewonnen hat. Damit sind die schlüssigen und konkreten Ausführungen der Klägerin zu den provisionspflichtigen Vorgängen nicht hinreichend bestritten. Hiernach spielt es keine Rolle, dass der im Wege der Ersatzvornahme erstellte Buchauszug dem Senat nicht vorliegt.

46

b) Als Provision geschuldet werden 5% vom jeweiligen Rechnungsbetrag (vgl. Vertrag, Ziff. 7). Die Rechnungen der Klägerin an ihre deutschen und österreichischen Kunden lauteten auf Euro. Hiervon ist der Senat aufgrund der im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens vorgelegten Rechnungen überzeugt (vgl. Anlage K-ZV 4). Geschuldet ist also die Provision in Euro aus dem Rechnungsbetrag in Euro. Damit stellt sich das vom Landgericht gesehene Umrechnungsproblem nicht; vielmehr sind die vom Wirtschaftsprüfer ermittelten und in der Rechnungsliste angegebenen Euro-Beträge zugrunde zu legen.

D.

47

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus §§ 91, 92, 97, 100 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens war nach dem Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung dem landgerichtlichen Schlussurteil vorzubehalten, weil erstinstanzlich noch die nach Erlass des angegriffenen Urteils angekündigten Anträge für die Zeiträume ab 1.10.2019 anhängig sind.

48

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

49

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalles.

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Schlagworte: Anscheinsvollmacht, Duldungsvollmacht, Handelsvertretervertrag