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Hessisches LAG, Urteil vom 21.09.2018 10 Sa 601/18

§ 88 TKG 2004, BDSG a.F. § 32 Abs. 1, § 626 BGB

Die Einsichtnahme in private E-Mails eines Arbeitnehmers verstößt nicht grds. gegen das Fernmeldegeheimnis.

Erfolgt eine Untersuchung des betrieblichen E-Mail-Accounts ohne ausreichend konkreten Anlass, ergibt die erforderliche Abwägung der wechselseitigen Interessen grds. eine höhere Schutzbedürftigkeit des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers mit der Folge eines Sachvortragsverwertungsverbots.

Das Problem In einer IT-Sicherheitsrichtlinie der Beklagten heißt es:

„(…) Betriebliche Gründe können erfordern, dass die persönliche E-Mail-Box durch Anordnung eines Vorgesetzten eingesehen werden muss. Von dieser Einsicht kann ein persönlicher Ordner ausgeschlossen werden, der deutlich als privat zu kennzeichnen ist. Es wird empfohlen, private E-Mails nach dem Lesen direkt zu löschen. (…)“.

Der Kläger schreibt verschiedene, den Geschäftsführer der Beklagten grob beleidigende E-Mails an befreundete Personen. Einige E-Mails mit lediglich leicht beleidigendem Inhalt schreibt er an Kollegen. Nach Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses löscht der Kläger E-Mails aus seinem Posteingang. Die Beklagte stellt ihn frei.

Wegen vager Verdachtsmomente bzgl. geschäftsschädigender Äußerungen lässt die Beklagte das E-Mailarchiv des Klägers über den Zeitraum eines Jahres wiederherstellen und findet dort die E-Mails. Sie kündigt dem Kläger daraufhin fristlos. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage.

Die Entscheidung des Gerichts

Das LAG Hessen weist die Berufung gegen die klagestattgebende Entscheidung der Vorinstanz zurück. Der Inhalt der grob beleidigenden Schmäh-E-Mails stelle zwar an sich einen wichtigen Kündigungsgrund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB dar, unterliege aber einem Verwertungsverbot. Dies folge allerdings nicht bereits aus einem Verstoß gegen § 88 Abs. 3 TKG , sondern aus einer Verletzung des klägerischen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Zudem seien die gröblich beleidigenden Äußerungen in den unverwertbaren E-Mails in einem privaten Umfeld erfolgt. Der Kläger habe daher nicht damit rechnen müssen, dass diese dem Arbeitgeber bekannt würden.

Das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung werde grds. durch die Bestimmungen des Datenschutzrechts konkretisiert. Sei eine Datenverarbeitung nach dem BDSG zulässig, komme eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung insoweit nicht in Betracht. Die Voraussetzungen des damals noch geltenden § 32 BDSG  a.F. hätten hier indes nicht vorgelegen.

Die Interessenabwägung falle vorliegend zu Lasten des Arbeitgebers aus, da die Recherche in gelöschten E-Mails des Klägers für den Zeitraum von einem Jahr dem Umfang nach und insbesondere aufgrund eines fehlenden auf konkrete Tatsachen gestützten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung unzulässig gewesen sei. Der Verdacht geschäftsschädigender Äußerungen des Klägers sei zu unsubstantiiert und rechtfertige nicht die Annahme einer derart schwerwiegenden Pflichtverletzung, dass solche Untersuchungen datenschutzrechtlich zulässig seien. Dass nachher doch derart schwerwiegende beleidigende Äußerungen gefunden worden sei, sei Zufall gewesen. Auch der Umstand, dass der Kläger die entsprechenden E-Mails nicht in einem als privat gekennzeichneten Ordner gespeichert hätte, ändere an dieser Bewertung nichts. Es habe insoweit an einer hinreichend deutlichen Anordnung gefehlt, einen derartigen Ordner „privat“ für private Korrespondenz anlegen zu müssen. Zudem seien die grob beleidigenden Inhalte in E-Mails an Freunde enthalten gewesen und die Äußerungen daher im schutzwürdigen ausschließlich privaten Bereich des Klägers erfolgt, obwohl die E-Mails vom Dienstrechner des Klägers aus versandt worden seien.

Konsequenzen für die Praxis Die Entscheidung zeigt, dass eine rechtssichere Kontrolle von Mitarbeiter-E-Mails selbst bei eingeschränkter Privatnutzung und Vorgaben zur Speicherung und Löschung privater E-Mails unzulässig sein kann.

Schlagworte: Art und Umfang interner Untersuchung, Aufklärungspflicht und Auswahlermessen der Geschäftsführung, Beweisverwertungsverbot, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit des E-Mail Screenings, Informationspflichten, Rechtsfolgen bei Verstoß gegen den Beschäftigtendatenschutz, Telekommunikationsrechtliche Zulässigkeit des E-Mail Screenings, Unternehmensinterne Untersuchung Internal Investigations, Verarbeitung personenbezogener Daten