§ 1 MitbestG, § 5 MitbestG, § 6 MitbestG, § 17 AktG, § 98 AktG, § 99 AktG
1. Wenn streitig oder ungewiss ist, ob bei einer GmbH ein Aufsichtsrat zu bilden ist, muss diese Frage nach § 27 EGAktG vorab im Statusverfahren nach den §§ 98 und 99 AktG geklärt werden.
2. Wenn die Konzernspitze und Muttergesellschaft wegen ihres Sitzes im Ausland mitbestimmungsfrei ist, findet § 5 Abs. 3 MitbestG auf einen deutschen Teilkonzern unterhalb der Konzernspitze selbst dann Anwendung, wenn bei der ausländischen Konzernspitze und Muttergesellschaft nach ausländischem Recht ebenfalls ein mitbestimmter Aufsichtsrat gebildet wurde.
I. Der Antragsteller ist Gesamtbetriebsrat der S.G. GmbH … 100-prozentige Muttergesellschaft der S.G. GmbH ist die Antragsgegnerin, die S.G. d. S.H. (D.) GmbH, eine … Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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mit Sitz in H. Die Antragsgegnerin ist ferner 100-prozentige Muttergesellschaft der S.-R. GmbH, der S.-I.C.S. GmbH, der S.M-S. GmbH und der S.I.F. GmbH sowie 74,9-prozentige Muttergesellschaft der S-T. S GmbH (…). Die Anteile der Antragsgegnerin liegen wiederum zu 51 Prozent bei der S. und zu 49 Prozent bei der S.G. M. SA, die ihrerseits über eine in den Niederlanden bestehende S Su. B. V. eine 100-prozentige Tochter der S. ist. Die S. S und die S.G. M SA haben ihren Sitz in der S.
Die Antragsgegnerin, für die bisher kein Aufsichtsrat besteht, beschäftigt fünf Arbeitnehmer. Die Zahl der Arbeitnehmer der Gesellschaften, deren Anteile die Antragsgegnerin hält, beläuft sich auf ca. 3.010. Hiervon beschäftigen die S.G. GmbH 1.400 Arbeitnehmer und die S.I.F. GmbH 1.300 Arbeitnehmer.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob für die Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (MitbestG) zu bilden ist. … [Der Antrag hatte Erfolg.]
II. … Streitig oder ungewiss ist zwar nicht, nach welchen gesetzlichen Vorschriften ein bei der Antragstellerin bereits bestehender Aufsichtsrat zusammenzusetzen wäre (vgl. § 98 Abs. 1 AktG ). Streitig ist vielmehr, ob bei der bislang aufsichtsratslosen GmbH überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist. Die in § 27 EGAktG angeordnete sinngemäße Anwendung von § 96 Abs. 2 , §§ 97 –99 AktG auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung erfasst jedoch auch die erstmalige Bildung eines Aufsichtsrats bei einer GmbH. Ist streitig oder ungewiss, ob bei einer bislang aufsichtsratslosen GmbH überhaupt ein Aufsichtsrat zu bilden ist, ist diese Frage vorab in einem Statusverfahren nach §§ 98 , 99 AktG zu klären (BAG v. 16.4.2008 – 7 ABR 6/07 , Rz. 13 – juris, BAGE 126, 286). Einer Fristwahrung nach § 97 Abs. 2 Satz 1 AktG bedarf es hierbei nicht. …
Der Antragsteller ist gem. § 98 Abs. 2 Nr. 6 AktG antragsberechtigt. Der Antragsteller ist Gesamtbetriebsrat eines Unternehmens, welches der Antragsgegnerin angehört, und dessen Arbeitnehmer infolgedessen an der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Antragsgegnerin teilnehmen. …
… In Unternehmen mit der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf AktienBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer Beschäftigten ist nach §§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1 MitbestG ein Aufsichtsrat zu bilden, der sich gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG bei Unternehmen mit bis zu 10.000 Arbeitnehmern aus je sechs Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammensetzt.
Diese Voraussetzungen sind hier als erfüllt anzusehen.
a) Zwar hat die Antragsgegnerin selbst nicht mehr als 2.000 Arbeitnehmer.
b) Die Arbeitnehmer der abhängigen Konzernunternehmen S.G. GmbH, S.-T. S. GmbH, S.-R. GmbH, S. I. GmbH und S.I.F. GmbH haben jedoch zusammen mehr als 2.000 Arbeitnehmer und diese sind der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 MitbestG zuzurechnen.
Dabei ist es unerheblich, ob auch bei einer der Tochterunternehmen – bei Vorliegen der mitbestimmungsrechtlichen Voraussetzungen – ein Aufsichtsrat besteht oder in Zukunft eingesetzt werden soll … Für die Arbeitnehmer des Tochterunternehmens besteht in diesem Fall ein Wahlrecht sowohl bei dem herrschenden Unternehmen als auch beim Tochterunternehmen (Gach in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 5 MitbestG Rz. 23).
herrschendes Unternehmen i.S.v. § 5 Abs. 1 MitbestG ist nicht die Antragsgegnerin, sondern die S.G. M. SA mit Sitz in G. (S.). Eine Zurechnung der Arbeitnehmer der Enkelgesellschaften erfolgt daher nicht nach § 5 Abs. 1 MitbestG . Die Antragstellerin ist jedoch nach § 5 Abs. 3 MitbestG als herrschendes Unternehmen zu behandeln, da das tatsächlich herrschende Unternehmen mitbestimmungsfrei ist (aa) und den Konzern über die Antragsgegnerin beherrscht (bb).
aa) Das tatsächlich herrschende Unternehmen, die S.G. M. SA, ist mitbestimmungsfrei.
Mitbestimmungsfrei sind herrschende Unternehmen eines Konzerns, wenn sie keine der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG aufgeführten Rechtsformen aufweisen. Das ist auch dann der Fall, wenn die Konzernspitze ihren Sitz im Ausland hat und in einer ausländischen Rechtsform verfasst ist, die dem Anwendungsbereich des MitbestG nicht unterliegt (BAG v. 14.2.2007 – 7 ABR 26/06 , ZIP 2007 1522 = AG 2007, 665 – juris Rz. 61; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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v. 21.4.2008 – 20 W 342/07 , GmbHR 2008, 1334 = ZIP 2008, 879 = AG 2008, 502 – juris Rz. 14; OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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v. 30.10.2006 – 26 W 14/06 AktE, ZIP 2006, 2377 = AG 2007, 170 – juris Rz. 24; Kort, NZG 2009, 81 [84]).
Offen bleiben kann, ob für die Muttergesellschaft S. überhaupt ein Mitbestimmungsregime besteht.
Zwar wird vertreten, dass die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 3 MitbestG ausgeschlossen ist, wenn die Konzernspitze nicht nach dem MitbestG, aber aufgrund eines anderen national-autonomen oder unionsrechtlichen Mitbestimmungsregime mitbestimmungspflichtig ist (so Seibt, ZIP 2008, 1301 [1307]; a.A. Müller-Bonanni/Melot de Beauregard, GmbHR 2005, 195 [198]), wobei für eine derartige teleologische Reduktion des § 5 Abs. 3 MitbestG dessen Zweck angeführt wird, Arbeitnehmern nur in Situationen, in denen die Konzernspitze mitbestimmungsfrei ist, über das Zwischenunternehmen ein Mindestmaß an mitbestimmungsrechtlicher Einflussnahme zukommen zu lassen.
Die Kammer folgt diesem Ansatz jedoch nicht, denn der Gesetzgeber hat den Wortlaut des § 5 Abs. 3 MitbestG auch nach Einführung der Unternehmensform Societas Europaea unverändert gelassen, obgleich für diese ein umfassendes Mitbestimmungsregime besteht. Ausländische oder unionsrechtliche Mitbestimmungsregime schließen daher nach zutreffender Auffassung die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 3 MitbestG nicht aus.
bb) Die S.G. M. SA beherrscht den Konzern über die Antragsgegnerin.
aaa) Die Beherrschung der Enkelunternehmen durch die Konzernspitze wird gem. § 17 Abs. 2 AktG vermutet, wenn die Konzernspitze Mehrheitsbeteiligungen an der Zwischengesellschaft hält und die Zwischengesellschaft wiederum Mehrheitsbeteiligungen an den Enkelgesellschaften hält. Sofern unterhalb der mitbestimmungsfreien Konzernspitze mehrere abhängige Zwischenunternehmen auf gleicher Stufe stehen, ohne dass eines von ihnen den anderen in vorgeordnet ist, greift § 5 Abs. 3 MitbestG nicht ein.
Vorliegend findet sich eine solche hierarchische Struktur in Form eines dreistufigen Konzerns, an dessen Spitze die Muttergesellschaft (S. S.) mit Sitz in der S. steht. Dieser ist die Antragsgegnerin als Tochtergesellschaft unmittelbar nachgeordnet. Die Enkelgesellschaften, insbesondere die S.G. GmbH und die S.I.F. GmbH mit insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmern, werden wiederum von der Antragsgegnerin beherrscht. Eine Matrixorganisation mit vertikaler Unterteilung auf Ebene der Tochtergesellschaft liegt nicht vor.
bbb) Auf die Frage, ob die Zwischengesellschaft zusätzlich zur kapitalmäßigen Beteiligung, die eine Vermutung für die Beherrschung der Enkelunternehmen begründet (§ 17 Abs. 2 AktG ), eine tatsächliche eigene Leitungsmacht gegenüber den Enkelgesellschaften ausüben muss, kommt es nicht maßgeblich an, denn diese Voraussetzung ist jedenfalls erfüllt.
(1) Nach Ansicht der Rechtsprechung und Teilen der Literatur bedarf es der Ausübung tatsächlicher Leitungsmacht schon nicht. Ausreichend sei vielmehr die Möglichkeit beherrschender Einflussnahme, welche durch die kapitalmäßige Beteiligung gem. § 17 Abs. 2 AktG vermutet werde (KG v. 21.12.2015 – 14 W 105/15 , NZG 2016, 349 = AG 2016, 179 – juris Rz. 11; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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v. 21.4.2008 – 20 W 342/07 , NJOZ 2010, 1096 = AG 2008, 502; v. 21.4.2008 – 20 W 8/07 , GmbHR 2008, 1334 = OLGReport Frankfurt 2008, 890 = AG 2008, 504; OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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v. 30.10.2006 – I-26 W 14/06 AktE, NZA 2007, 707 [709]; OLG Stuttgart v. 30.3.1995 – 8 W 355/93 , NJW-RR 1995, 1067 = AG 1995, 380; Kort, NZG 2009, 81 [85]; Schilha/Lang, EWiR 2016, 401 [402]; zur a.A. vgl. Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2012, § 5 MitbestG Rz. 69 f. m.w.N.).
(2) Selbst nach der gegenteiligen Auffassung ergäbe sich vorliegend kein anderes Ergebnis, denn es besteht neben der Beherrschungsmöglichkeit durch die Mehrheitsbeteiligung der Zwischengesellschaft an den Enkelgesellschaften auch eine tatsächliche Leitungsmacht.
Indizien für eine tatsächliche Leitungsmacht sind die Ausübung von Zentralfunktionen wie Rechnungslegung, Controlling, Recht und Steuern durch die Zwischengesellschaft, Personenidentität zwischen dem Zwischenunternehmen und den Enkelunternehmen (vgl. LG Dortmund v. 25.3.2010 – 18 O 95/09 , BeckRS 2010, 16841; Seibt, ZIP 2008, 1301 [1308]) sowie das Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrages (vgl. OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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v. 4.7.2013 – I-26 W 13/08 [AktE], ZIP 2014, 517 = AG 2013, 720 – juris Rz. 50).
Zwischen der Geschäftsführung der Antragsgegnerin und mehrerer Enkelunternehmen, insbesondere der S.G. GmbH und der S I. F. GmbH, die gemeinsam mehr als 2.000 Mitarbeiter beschäftigen, besteht eine vollständige Personenidentität. Die Antragsgegnerin kann hierdurch auf die operativen Geschäfte der Enkelgesellschaften tatsächlich Einfluss nehmen. Für die Enkelgesellschaft S.G. GmbH kommt außerdem dem Ergebnisabführungsvertrag tragende indizielle Bedeutung für die Ausübung konzernaler Leitungsmacht zu. …
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