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LG Krefeld, Urteil vom 23. Januar 2019 – 2 O 200/18

§ 280 BGB, § 675 Abs 1 BGB, § 826 BGB, § 25 Abs 1 S 1 HGB, § 25 Abs 2 HGB   siehe auch www.K1.de   

Ein existenzvernichtender Eingriff ist gegeben, wenn von einer GmbH die inländischen Kunden und damit das Kerngeschäft übernommen werden, zudem der Geschäftsführer und das sonstige Personal sowie die Geschäftsräume, Produktionsanlagen und die Internetseite. Dies gilt auch, wenn bei der GmbH ein Warenbestand, Forderungen und eine Liquidität nebst Verbindlichkeiten verbleiben. Ein existenzvernichtender Eingriff führt zu einer Haftung des Verursachers wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten. Deswegen ist es für die Entstehung eines solchen Schadens nicht kausal, wenn die in diesem Sinne beratenden Rechtsanwälte nicht dafür gesorgt haben, dass vor der Geschäftsübernahme ein Haftungsausschluss im Handelsregister eingetragen wird.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verletzung von steuerberaterlichen bzw. anwaltlichen Sorgfaltspflichten durch die Beklagte, einer Rechtsanwalts- und Steuerberatungsgesellschaft.Randnummer2

Die am 21.11.2014 gegründete Klägerin betreibt als Geschäftstätigkeit den Import, Export, Handel und Vertrieb von Verpackungsmaterialien. Geschäftsführer ist Herr C N. Die Klägerin ist zusammen mit der bereits am 31.10.1997 gegründeten N C GmbH Teil der neu gegründeten H-Holding GmbH, deren Geschäftsführer ebenfalls Herr C N ist. Geschäftsführerin der N C GmbH ist die Ehefrau von Herr C N, Frau K N. Geschäftstätigkeit der N C GmbH ist ebenfalls der Import und Export von Verpackungsmaterialien, insbesondere der Handel mit Kunstdärmen, welche für die Verpackung von Wurstwaren dienen.Randnummer3

Die N C GmbH unterhielt Geschäftsbeziehungen zu der Firma A, welche Kunstdärme in Russland produziert. Hierbei kam es oftmals zu Produktionsfehlern. Im Rahmen dieser Geschäftsbeziehungen erhob die Firma A im Jahr 2013 vor dem Landgericht Kleve Klage (1 O 271/13) auf Zahlung von 599.701,97 € zzgl. Zinsen; wegen des Inhalts dieser Klage wird auf Anlage K3 zur hiesigen Klageschrift verwiesen. Nach einem Hinweis des Landgerichts Kleve ist möglicherweise nicht A Inhaberin der Klageforderung, sondern die Schweizer Firma P. Diese hat die Ansprüche im Verlauf des Rechtsstreits an die A abgetreten. Das Landgericht Kleve erhebt Beweis über die Frage, ob die Ansprüche zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt waren. Überdies sieht die N C GmbH sich im Rahmen des vor dem Landgericht Kleve geführten Rechtsstreits aufgrund von Produktionsfehlern sowie einer Gegenforderung in Höhe von 350.000,00 € nicht als zur Zahlung verpflichtet an. Im Jahr 2017 erweiterte die A ihre Klage auf die Klägerin und verlangte von dieser die geforderte Summe aufgrund einer Firmenfortführung nach § 25 HGB.Randnummer4

Im dem Rechtsstreits vor dem Landgericht Kleve wird die N C GmbH durch Rechtsanwalt MP vertreten. Dieser schlug vor, dass sich die N C GmbH im Falle des Unterliegens einen „Plan B“ ausdenken müsse, um der Inanspruchnahme durch die Firma A zu entgehen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden die H-Holding GmbH sowie die Klägerin gegründet und es kam am 01.01.2016 zum Teilbetriebsübergang der N C GmbH auf die Klägerin. Die Klägerin übernahm u.a. die Betriebsräume, die Produktionsmaschinen, den inländischen Kundenstamm, welcher das Kerngeschäft der N C GmbH darstellte, das Personal sowie C N als Geschäftsführer. Der N C GmbH blieben die Verbindlichkeiten, das Eigentum an den Warenbeständen und die offenen Forderungen. Die Klägerin baute sich nach ihrer Gründung neben dem Handel mit Kunstdärmen einen weiteren Geschäftszweig auf, nämlich den Handel mit Schrumpfbeuteln und Tiefziehfolien. Inzwischen ist die N C GmbH nicht mehr geschäftlich aktiv.Randnummer5

In Bezug auf die aus dem Rechtsstreit der N C GmbH mit der Firma A resultierenden Risiken war die Beklagte jedenfalls von den Eheleuten N beauftragt worden, sie dahingehend zu beraten, „ob und wenn ja wie den Auswirkungen einer Verurteilung für die Existenzgrundlage begegnet werden könne“ (S. 3 der Klageschrift). Die Beklagte sollte ein Modell entwerfen, „nach dem A keine Zahlung erhalten soll, auch wenn die N C GmbH den Rechtsstreit verlieren sollte“ (S. 3 der Klageschrift). Über den genauen Umfang und den Beginn der Beratung streiten die Parteien, insbesondere streiten sie darüber, ob auch die Klägerin die Beklagte mit der Beratung bezüglich der Umstrukturierung in eine Holding beauftragt hat und ob die Beklagte nur steuerrechtlich oder auch juristisch beraten sollte. Ihre Leistungen rechnete die Beklagte unter dem 26.10.2016 gegenüber der Klägerin ab (Anlage K5).Randnummer6

Zusätzlich zu der Beratung durch die Beklagte wurde auch Rechtsanwalt M aus Köln beauftragt. Diesem wurde von der Beklagten das Modell der Gründung einer Holding sowie einer neuen GmbH vorgestellt. Über den Umfang von dessen Beratung streiten die Parteien ebenfalls.Randnummer7

Im Rahmen ihrer Tätigkeit übersandte die Beklagte der Klägerin verschiedene Dokumente. Unter anderem arbeitete die Beklagte im Juli 2015 ein Informationsschreiben bezüglich der Umstrukturierung für Kunden und Mitarbeiter der N C GmbH aus und verschickte dies. Zudem setzte die Beklagte einen Kaufvertrag bezüglich der Vermögensverschiebung der beiden streitgegenständlichen Gesellschaften auf, wegen dessen Inhalts auf Anlage K10 verwiesen wird. Nach Behauptung der Klägerin ist dies erst im November 2016 geschehen, nach Behauptung der Beklagten bereits im Februar 2016.Randnummer8

Die N C GmbH mietete im Jahr 2014 eine Lagerhalle an, in der sie Waren lagerte. Um welche Art von Waren es sich hierbei handelte, ist zwischen den Parteien streitig. Diese Halle brannte am 01.02.2015 ab. Die Beklagte half bei der Schadensabwicklung.Randnummer9

Die Klägerin behauptet:Randnummer10

Die Beklagte sei mehrfach sowohl für die Klägerin als auch die N C GmbH beratend tätig gewesen. Sie sei im Jahr 2014 damit beauftragt worden, ein Modell zu entwerfen, wie die Klägerin im Falle des Unterliegens vor dem Landgericht Kleve die Prozessrisiken verringern und den Broterwerb der Familie N sichern könne. Dieser Auftrag habe sowohl die steuerliche als auch die juristische Beratung beinhaltet. Das von der Beklagten entwickelte Modell habe die Gründung einer Holding sowie einer neuen GmbH (der Klägerin) vorgesehen, auf welche der Geschäftsbetrieb der N C GmbH habe übertragen werden sollen. Der Umfang des Mandats ergebe sich aus einer E-Mail des Herrn J H als Partner der Beklagte vom 22. Februar 2017 und der Honorarrechnung der Beklagten vom 26.10.2016. Nach der Gründung der Klägerin sei die Beklagte beauftragt worden, die Klägerin bei der Umsetzung des Konzepts weiter juristisch zu beraten.Randnummer11

Die Beratung durch Rechtsanwalt M habe lediglich dazu gedient, eine zweite Meinung bezüglich des von der Beklagten ausgearbeiteten Entwurfs einzuholen. Eine weitergehende Beratung durch Rechtsanwalt M sei neben finanziellen Gründen auch aufgrund des Rates der Beklagten abgelehnt worden. Die juristische Beratung sei vollständig durch die Beklagte geschehen.Randnummer12

Beim dem Lagerhallenbrand seien lediglich fertige Produkte der N C GmbH und keine Waren der A verbrannt. Das Lager sei am 07.01.2015 durch Herrn K von der Z Insurance plc inspiziert und anhand einer Warenliste überprüft worden.Randnummer13

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie am 01.01.2016 den Geschäftsbetrieb der N C GmbH durch Übernahme der Betriebsräume, der Betriebs- und Geschäftsausstattung (Produktionsmaschinen), des Kundenstamms, der Telefonnummern, des Internetauftritts sowie des vollständigen Personals übernommen habe und somit eine Firmenfortführung gem. § 25 Abs. 1 HGB vorläge. Zudem sei mit C N der Mensch übernommen worden, der das Geschäft verkörpere. Indem die Beklagte nicht rechtzeitig vor dem Firmenübergang auf einen Haftungsausschluss nach § 25 Abs. 2 HGB hingewiesen habe, um einen Anspruch der A gegen die Klägerin zu verhindern, habe die Beklagte ihre anwaltliche Sorgfaltspflicht verletzt und sei deshalb schadensersatzpflichtig.Randnummer14

Bei dem Teilbetriebsübergang der N C GmbH auf die Klägerin habe es sich nicht um einen Existenzvernichtungseingriff gehandelt. Ziel sei es lediglich gewesen, sich vor den Prozessrisiken aus dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Kleve zu schützen. Zum Ausgleich für die möglichen Forderungen der A habe der bei der N C GmbH verbliebene Warenbestand gedient.Randnummer15

Es sei geboten, eine Verurteilung der Klägerin im prozess vor dem Landgericht Kleve zu antizipieren, da im Falle des Unterliegens aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten keine Zeit bestünde, einen neuen Regressprozess gegen die Beklagte zu führen. Aus diesem Grund sei ein Feststellungsinteresse für die Klage gegeben.Randnummer16

Die Klägerin beantragt,Randnummer17

1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gegenüber der A oder gegenüber der P wegen jeder Haftung wegen einer Firmenfortführung gem. § 25 HGB wegen Verbindlichkeiten der N C GmbH bei A oder bei P freizustellen, Zug-um-Zug gegen Abtretung möglicher Gesamtschuldner-Ausgleichsansprüche wegen der Freistellungssumme gegen die N C GmbH,Randnummer18

2. die Beklagte zu verurteilen, als Nebenforderung an die Klägerin 2.303,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinsen aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.Randnummer19

Die Beklagte behauptet:Randnummer20

Die Klage sei schon unzulässig, da es sich um eine alternative und somit eine unbestimmte Klagehäufung handele, wenn die Entscheidung was der Beklagten aufgegeben werden soll dem Gericht überlassen werde.Randnummer21

Ein Dauermandat zwischen ihr und der Klägerin habe nur bezüglich der Lohn- und Finanzbuchhaltung sowie einer steuerlichen Beratung bestanden. Zur Umstrukturierung der beiden streitgegenständlichen GmbHs sei die Beklagte erst durch die Eheleute N und nicht die Klägerin sowie sukzessive nur im Rahmen von verschiedenen Einzelmandaten beauftragt worden. Ein umfassendes Dauermandat zur juristischen Beratung der Umstrukturierung habe nicht bestanden.Randnummer22

Am 04.04.2014 hätten die Eheleute N die Beklagte lediglich zur steuerlichen und wirtschaftlichen Konzeptentwicklung bezüglich einer Vermögensverlagerung der N C GmbH beauftragt. Die juristische Beratung dieses Vorhabens sei durch Rechtsanwalt Pauli und Rechtsanwalt Pape geschehen. Das von der Beklagten ausgearbeitete Modell sei von Rechtsanwalt Pape juristisch geprüft und in einer gemeinsamen Besprechung am 07.07.2015 von diesem abgesegnet worden. Erst hiernach sei die Beklagte beauftragt worden, das Informationsschreiben für die Kunden und Mitarbeiter zu entwerfen.Randnummer23

Die Beklagte sei zudem erst am 01.02.2016 und damit nach dem Betriebsübergang vom 01.01.2016 mit der Ausarbeitung des Kaufvertrags zwischen den Gesellschaften betraut worden. Den Kaufvertragsentwurf habe der für die Beklagte handelnde Steuerberater Hamacher per Post am 17.02.2016 an die Eheleute N geschickt.Randnummer24

In der angemieteten Lagerhalle hätten sich Waren der Firma A befunden. Auf Rat der Beklagten sei das Vermögen der Gesellschaften bzw. die Produktionsvorräte getrennt und die Waren der A im Wert von ca. 650.000,00 € in der angemieteten Lagerhalle in Duisburg-Rheinhausen eingelagert worden. Insgesamt sei es in Folge des Lagerbrands zu einer Erstattung seitens der Z Insurance plc in Höhe von 1.532.381,00 € gekommen.Randnummer25

Mangels Firmenfortführung bestehe keine Haftung der Klägerin nach § 25 Abs. 2 HGB aus dem prozess gegen die A. Die Klägerin müsse sich zudem im Rahmen ihrer Schadensforderung die Versicherungssumme anrechnen lassen, die sie als Surrogat für die beim Lagerhallenbrand im Frühjahr 2015 zerstörten Lagerbestände erhalten habe.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

1.

Die Feststellungsklage nach § 256 ZPO ist zulässig. Die Klägerin möchte feststellen lassen, dass die Beklagte sie im Falle ihres Unterliegens im prozess vor dem Landgericht Kleve (1 O 271/13) von dem dort ausgeurteilten Betrag freizustellen hat. Für diesen Feststellungsantrag liegt das notwendige Feststellungsinteresse vor. Bei Verletzung einer Norm zum Schutz des Vermögens reicht es zur Bejahung des Feststellungsinteresses aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens substantiiert dargelegt wird (BGH, Urteil vom 26.07.2018 – I ZR 274/16). Das ist vorliegend allein schon dadurch geschehen, dass der Ausgang des Rechtsstreites vor dem Landgericht Kleve zwar letztlich noch offen ist, dass im dortigen Verfahren aber unstreitig der Hinweis auf den Erfolg der Klage der A gegeben wurde, sofern nicht Verjährung eingetreten ist, was zur Zeit durch ein Gutachten geklärt wird. Überdies kann die Klägerin nicht auf das Abwarten des Ausgang des dortigen Rechtsstreits verwiesen werden, weil aufgrund der hohen Klageforderung und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Risiken eine Feststellung der Schadenersatzpflicht der Beklagten geboten erscheint, um im Fall der Verurteilung durch das Landgericht Kleve sofort Rückgriff nehmen zu können.Randnummer28

Darüber hinaus handelt es sich vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um den Fall einer alternativen Klagehäufung, welche gegen das Gebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, den Klagegrund bestimmt zu bezeichnen, verstößt. Die Tatsache, dass der Klageantrag auf Feststellung der Haftungsübernahme der Beklagten gegenüber der A oder alternativ der P gerichtet ist, stellt keine alternative Klagehäufung dar. Für eine alternative Klagehäufung müsste es dem Gericht überlassen sein, den Anspruch auszuwählen. Vorliegend ist es aber gerade nicht dem Gericht vorbehalten, eines der beiden Unternehmen auszuwählen, sondern dies ist abhängig davon, wie der prozess vor dem Landgericht Kleve ausgeht. Die Aufzählung beider Unternehmen ist lediglich dem noch unsicheren Ausgang des Rechtsstreits vor dem Landgericht Kleve geschuldet.

2.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 675 BGB, diese von den möglichen gegen sie gerichteten Ansprüchen der A oder der P aus dem prozess vor dem Landgericht Kleve freizustellen.Randnummer30

Dabei kann dahinstehen, wer Auftraggeber der Beklagten war, wie sich dieser Auftrag zeitlich entwickelt hat und ob er auch eine rechtliche Beratung der Klägerin zum Gegenstand hatte. Außerdem kann dahinstehen, ob die Beklagte Pflichten aus diesem Auftrag verletzt hat. Denn eine Haftung der Beklagten scheidet schon deshalb aus, weil es an der notwendigen adäquaten Kausalität einer Pflichtverletzung für einen möglichen Schaden bzw. für die Inanspruchnahme der Klägerin durch die A oder alternativ die P fehlt.

a.

Die Klägerin wirft der Beklagten vor, sie hätte nicht dafür gesorgt bzw. nicht dahin beraten, dass vor der Übernahme des Geschäfts der N C GmbH ein Haftungsausschluss gem. § 25 Abs. 2 HGB in das Handelsregister eingetragen wird. Die Eintragung eines solchen Haftungsausschlusses in das Handelsregister hätte jedoch nicht vor einer Inanspruchnahme seitens der A geschützt, da der Teilbetriebsübergang der N C GmbH auf die Klägerin einen existenzvernichtenden Eingriff gem. § 826 BGB darstellt, für den die Klägerin als Gehilfin (wenn nicht gar Mittäterin) genauso haftet wie die Gesellschafter der N GmbH, die Eheleute N (vgl. zur Gehilfenhaftung bei einem existenzvernichtenden Eingriff (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2013 – IX ZR 52/10 Rdn. 20).

b.

Der Sittenverstoß bei einem existenzvernichtenden Eingriff liegt in der planmäßigen und missbräuchlichen Entziehung von zweckgebundenem, der vorrangigen Gläubigerbefriedigung dienendem Vermögen, die zur Insolvenz der GmbH führt oder diese vertieft (vgl. BGH, Urteil vom 16.07.2007 – II ZR 3/04). Eine Existenzvernichtung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn der Gesellschafter auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens keine angemessene Rücksicht nimmt, indem er der Gesellschaft durch offene oder verdeckte Entnahmen ohne angemessenen Ausgleich Vermögenswerte entzieht, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt (vgl. Landgericht Köln, Urteil vom 11.07.2013 – 22 O 77/13). Dies kann Nachteile einschließen, die bilanziell nicht dargestellt werden können und über das reine Vermögen hinausgehen wie z.B. die Übernahme eines Kundenstamms oder des Vertriebssystems der Gesellschaft (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2004 – II ZR 206/02 Rdn. 20; BGH, Urteil vom 13.12.2004 – II ZR 256/02 Rdn. 14). Ein existenzvernichtender Eingriff liegt auch vor, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft Geschäftschancen und Ressourcen mit dem Ziel entzieht, sie auf eine andere von ihm beherrschte Gesellschaft zu verlagern; hierdurch wird der Gesellschaft die Fähigkeit zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten genommen (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2004 – II ZR 256/02 Rdn. 15).Randnummer33

Dies zeigt, dass der Sittenverstoß zu eng verstanden würde, wenn man ich auf den Entzug von bloßen Sachwerten begrenzen würde. Das Vermögen einer Gesellschaft besteht vielmehr nicht nur aus Sachwerten, sondern aus solchen materiellen und immateriellen Werten, die sie in die Lage versetzen, ihre Geschäfte so zu betreiben, dass sie ihre Gläubiger befriedigen kann, also etwa aus Knowhow, Kundenstamm etc. Für die Gläubiger ist es belanglos, ob es zum direkten Abzug von messbaren Vermögenswerten aus der Gesellschaft kommt oder ob die Gesellschaft Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann, weil sie die Fähigkeit zur rentablen Fortsetzung des Geschäftsbetriebs durch einen Eingriff des Gesellschafters verloren hat. Beides erscheint gleichermaßen missbräuchlich.Randnummer34

Zulässig sind derartige Eingriffe nur, wenn die Gesellschaft eine angemessene Kompensation erhält oder wenn sie so gering sind, dass sie nicht zur Insolvenz führen, wenn die Gesellschaft also ihre Fähigkeit zur Gläubigerbefriedigung beibehält. Liquidieren darf eine Gesellschafter die Gesellschaft ebenfalls nur, wenn er der Gesellschaft hierbei nicht die zur Tilgung der Verbindlichkeiten erforderlichen Vermögenswerte entzieht (BGH, Urteil vom 13.04.2004 – II ZR 206/02).

c.

Nach diesen Maßstäben ist vorliegend ein existenzvernichtender Eingriff gegeben.Randnummer36

Durch die Übernahme der inländischen Kunden und somit des Kerngeschäfts der N C GmbH sowie mit Übernahme der Person von C N als Geschäftsführer, der nach eigener Bekundung der Klägerin das Geschäft verkörperte, wurden der N C GmbH ihre Geschäftschancen entzogen. Die N C GmbH wurde praktisch entkernt, was sich weitergehend darin manifestierte, dass die Klägerin auch die Geschäftsräume, die Produktionsanlagen, die Internetseite und das sonstige Personal der N C GmbH übernahm. Diese stellte dementsprechend im Folgenden ihre Geschäftstätigkeit ein und der neue Geschäftszweig, welcher den Handel mit Schrumpfbeuteln und Tiefziehfolien beinhaltete, wurde bei der Klägerin und nicht bei der N C GmbH etabliert. Ihr verblieb nach Vortrag der Klägerin nur der Warenbestand mit einem Buchwert von 896.000,00 €, Forderungen aus Lieferung und Leistung in Höhe von ca. 777.000,00 € und Liquidität von ca. 55.000,00 € bei Verbindlichkeiten von ca. 1.445.000,00 €.Randnummer37

Selbst wenn man diese Angaben als gegeben hinnimmt und sie nicht für unsubstantiiert hält, weil schon nicht vorgetragen ist, ob in den Verbindlichkeiten und den Forderungen die beim Landgericht Kleve streitgegenständliche Klageforderung sowie die von der N C GmbH zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung von 350.000,00 € enthalten ist, ist der im Kaufvertrag vorgesehene Kaufpreis von 100.000,00 € als Kompensation hierfür nicht ausreichend. Denn dieser Kaufpreis diente ausweislich von § 2 Abs. 4 des Kaufvertrages nur der Bezahlung der übernommenen Rechte und Unterlagen sowie zum Ausgleich der Gewinnmarge aus einem Ankauf des Warenbestandes. Ansonsten war die Gesellschaft trotz der ihr zustehenden offenen Forderungen und des Warenbestandes ohne weitere Geschäftstätigkeit nicht in der Lage, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Denn zunächst gesteht die Klägerin selbst zu, dass nur ein Teil des Warenbestandes verkauft werden konnte, was dessen Buchwert schon als erheblich zu hoch erscheinen lässt. Weiter gemindert ist der Buchwert dadurch, als dass angesichts der Einstellung der Geschäftstätigkeit faktisch nur ein Verkauf an die Klägerin in Betracht kam, die aber nach dem Kaufvertrag nur zu Einkaufspreisen ankaufen sollte. Insbesondere aber hat der Geschäftsführer der Klägerin im Termin vom 21.11.2018 selbst erklärt, dass die Warenbestände nicht marktgängig gewesen seien. Angesichts dessen ist der Buchwert der Waren mit 0,00 € anzusetzen. Soweit die Klägerin am Ende Ihres danach eingereichten Schriftsatzes vom 12.12.2018 von ohne Weiteres markgängigen Warenbeständen spricht, ist dies widersprüchlich und angesichts des Vorstehenden, insbesondere der Einlassung des Geschäftsführers der Klägerin, nicht nachvollziehbar und damit unsubstantiiert.Randnummer38

Überdies war es erklärtes Ziel der Umstrukturierung, der Haftung der A zu entgehen. Das war nur dann zu erreichen, wenn die N C GmbH nicht über entsprechende Vermögenswerte verfügte, wenn sie also unter Einschluss der dortigen Klageforderung überschuldet und damit insolvent werden würde.Randnummer39

Dass ein Insolvenzverfahren (noch) nicht eröffnet wurde, ist belanglos. Es ist nur dem Umstand geschuldet, dass die A noch nicht über einen Titel verfügt, der das Bestehen der Forderung feststellt. Sollte die dortige Klage abgewiesen werden, gibt es zwar keinen existenzvernichtenden Eingriff, aber mangels Schaden auch keine Haftung der Beklagten wegen Beratungsfehlern.

d.

Ein Schaden ist durch den existenzvernichtenden Eingriff auch dann entstanden, wenn die N C GmbH wegen der gegen sie gerichtete Forderung der A bereits überschuldet gewesen wäre. Ausreichend ist nämlich eine bloße Vertiefung der Insolvenz (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2009 – II ZR 292/07), die vorliegend dadurch zustande gekommen ist, dass der N C GmbH durch Entzug ihrer Geschäftschancen die Fähigkeit genommen wurde, die geschuldeten Beträge jedenfalls teilweise zu verdienen – etwa durch Ausweitung ihrer Geschäftsfelder, wie sie die Klägerin dann unternommen hat..Randnummer41

Der Schaden durch den existenzvernichtenden Eingriff besteht schließlich in der Höhe der Forderung der A gegen die N C GmbH. Ansatzpunkt für die Ausgleichspflicht nach einen solchen Eingriff ist die Vermögenseinbuße der Gesellschaft. Die N C GmbH als Gläubigerin des Schadensersatzanspruchs muss angesichts der Entziehung der Geschäftschancen so gestellt werden, als hätte sie weiter wirtschaften können (vgl. Baumbach-Hueck, GmbHG, 21. Aufl., § 13 Rdn. 63), was dann aber Klägerin nach der Umstrukturierung anstatt ihrer getan hat. Mit dem Erwirtschafteten (und dem Vorhandenen) muss sie A befriedigen. Wenn es den Existenzeingriff nicht gegeben hätte, hätte es die Klägerin nicht gegeben, die Geschäfte wären von der N C GmbH weitergeführt worden. Es ist nicht ersichtlich oder konkret vorgetragen, dass durch die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit das der A Geschuldete nicht hätte erwirtschaftet werden können; die bloße Behauptung einer Existenzvernichtung in der Klageschrift ist nicht ausreichend.

e.

Jedenfalls aber kann eine Sekundärhaftung der Beklagten nicht dazu führen, dass sich die Haftungsmasse, auf die die A im Falle der Titulierung des Anspruchs zugreifen kann, vergrößert. Hätte die Beklagte den ihr vorgeworfenen Pflichtverstoß nicht begangen, dann würde dennoch ein existenzgefährdender Eingriff vorliegen und die Klägerin würde der A nach Pfändung des Anspruchs wegen existenzvernichtenden Eingriffs nur mit dem vorhandenen Vermögen haften können, nicht aber mit einem von der Beklagten erlangten Schadensersatzbetrag. Ohne den existenzvernichtenden Eingriff gäbe es die Klägerin nicht, eine Notwendigkeit zu ihrer Gründung hätte nicht bestanden.

3.

Der Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsverfolgungskosten aus Verzug gem. §§ 280, 286 BGB ist mangels Bestehen einer Hauptforderung ebenfalls unbegründet.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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Schlagworte: BGB § 826, existenzvernichtende Eingriffe, Existenzvernichtungshaftung, Rechtsfolgen der Existenzvernichtungshaftung, Voraussetzungen der Existenzvernichtungshaftung