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LG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH

§ 91 Abs 2 AktG, § 93 Abs 1 S 1 AktG, § 111 Abs 1 AktG, § 131 Abs 1 S 1 AktG, § 131 Abs 2 S 1 AktG, § 131 Abs 3 S 1 Nr 1 AktG, § 243 Abs 1 AktG, § 243 Abs 4 AktG, EUV 596/2014 Art 7 Abs 1 Buchst a

1. Zur Einordnung einer dem verbundenen Unternehmen zuzuordnenden Angelegenheit als mittelbare (Eigen-)Angelegenheit der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Angelegenheit der Gesellschaft
Gesellschaft
im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG lassen sich abstrakt drei Fallgruppen klassifizieren, zwischen denen es Überschneidungen geben kann:

– Das Erreichen der „Erheblichkeitsschwelle“ eines Vorgangs, der unmittelbar ein Tochterunternehmen betrifft, sich aber auf die Muttergesellschaft auswirkt, wird indiziert, wenn sich Vorstand oder Aufsichtsrat dieser Gesellschaft in der Vergangenheit tatsächlich mit der Angelegenheit des Tochterunternehmens befasst haben.

– In Fällen, in denen die Marktmissbrauchsverordnung bereits anwendbar ist, genügen bei Konzernsachverhalten jedenfalls ein indirekter Emittentenbezug im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 und die Kursrelevanz auf der Ebene der Obergesellschaft, um die jeweilige Insiderinformation als Angelegenheit der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Angelegenheit der Gesellschaft
Gesellschaft
subsumieren zu können.

– Grundsätzlich kann von einem unmittelbaren Gesellschaftsbezug der Angelegenheit des verbundenen Unternehmens ausgegangen werden, wenn ein Vorstand, der den objektiven Sorgfaltsanforderungen des § 93 Abs. 1 AktG nachkommen will, und ein Aufsichtsrat, der seine Pflicht zur Überwachung des Vorstandes nach § 111 Abs. 1 AktG ernstnimmt, objektiv Anlass haben, sich im Interesse der (eigenen) Gesellschaft mit den Vorgängen im verbundenen Unternehmen auseinanderzusetzen.

2. Vorstand und Aufsichtsrat haben den Aktionären in den Grenzen des § 131 Abs. 1 AktG auch zu Tatsachenfragen, aus deren Beantwortung sich Pflichtverletzungen einzelner Organmitglieder ergeben können, grundsätzlich Rede und Antwort zu stehen. Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG dient – wo geboten – dem Schutz der Gesellschaft und ihrer verbundenen Unternehmen, nicht aber dem Schutz pflichtwidrig agierender Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder vor Entdeckung der Pflichtverletzung.

3. Bei der Anfechtung wegen Informationspflichtverletzung und der Berufung der Gesellschaftsorgane auf ein Auskunftsverweigerungsrecht gilt nicht die Einschränkung, dass eine Anfechtung des Entlastungsbeschlusses bei erkennbaren und schwerwiegenden Pflichtverletzungen der Organmitglieder nur auf diejenigen tatsächlichen Erkenntnisse gestützt werden kann, die bereits zum Zeitpunkt der Hauptversammlung bekannt waren.

4. Der Vorstand der Obergesellschaft muss in jedem Fall eine „konzerndimensionale Risikoerfassung und -auswertung“ einrichten und Entwicklungen auf der Ebene der Tochtergesellschaft in das eigene Überwachungssystem einbeziehen, wenn sie zu bestandsgefährdenden Entwicklungen auch bei der Muttergesellschaft führen können. Ein Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG darf sich nicht damit begnügen, bei der Risikoquantifizierung lediglich Minimalstrafen oder für am wahrscheinlichsten gehaltene Strafen anzusetzen.

5. Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Das Urteil vom 19. Dezember 2017 ist durch Beschluss vom 19. April 2018 berichtigt worden. Der Berichtigungsbeschluss ist am Ende der Entscheidung angefügt.

Tenor

1. Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29.06.2016 zu Punkt 3 der Tagesordnung gefasste Beschluss, dem Vorstand für das Geschäftsjahr 2015 Entlastung zu erteilen, wird für nichtig erklärt.

2. Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29.06.2016 zu Punkt 4 der Tagesordnung gefasste Beschluss, dem Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2015 Entlastung zu erteilen, wird für nichtig erklärt.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist für den Kläger vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger, ein eingetragener VereinBitte wählen Sie ein Schlagwort:
eingetragener Verein
Verein
, macht im Wege der Anfechtungs-, hilfsweise im Wege der Nichtigkeitsklage, die Unwirksamkeit der von der Hauptversammlung der Beklagten am 29.06.2016 gefassten Beschlüsse geltend, durch die Vorstand und Aufsichtsrat mehrheitlich Entlastung für das Geschäftsjahr 2015 erteilt wurde.Randnummer2

AllgemeinesRandnummer3

Die Beklagte ist eine börsennotierte Gesellschaft in der Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE) mit Sitz in S. Ihr früheres operatives Geschäft, d.h. der Automobilbau, wurde 2007 zunächst in die Tochtergesellschaft P. AG eingebracht. Seitdem ist sie als reine Holding-Gesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft tätig.Randnummer4

Die Beklagte hält 52,2% der Stammaktien und 30,8% des gezeichneten Kapitals (einschließlich der stimmrechtslosen Vorzugsaktien) an der V. AG mit Sitz in W. (Bl. 9, 11, 83, 214). Daneben hält sie rund 10% an der US-amerikanischen I. Inc. (Bl. 218 d.A.).Randnummer5

Der Versuch, die V. AG vollständig zu übernehmen oder zumindest 75% der Stimmrechtsaktien zu erwerben, um einen Beherrschungs- und GewinnabführungsvertragBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
Gewinnabführungsvertrag
abschließen zu können, scheiterte im Jahr 2009 endgültig (Bl. 449 d.A.). Im selben Jahr kam es zur Neuordnung der Beziehungen zwischen den beiden Unternehmen. In diesem Zusammenhang trennte sich die Beklagte vom operativen Automobilgeschäft. Im Jahr 2012 wurde die bereits erwähnte P. AG nach weiteren Umstrukturierungen zu einer mittelbaren 100%igen Tochtergesellschaft der V. AG (Bl. 216 f., 218 d.A.).Randnummer6

Die Beklagte stellt demnach selbst keine Fahrzeuge mehr her. Es handelt sich um eine beteiligungsverwaltende Holding-Gesellschaft, die im Jahr 2015 32 Mitarbeiter (ohne Vorstandsmitglieder) beschäftigte (Bl. 20 d.A.).Randnummer7

Die Beteiligung an der V. AG macht 92,8% der Bilanzsumme der Beklagten zum 31.12.2015 aus, wobei die Anteile an der V. AG „at equity“ auf der Basis der Eigenkapitalentwicklung der V. AG bewertet wurden (Bl. 226, 472 d.A.). Eine Konsolidierung unterblieb. Der Buchwert der Beteiligung an der V. AG belief sich zum 31.12.2015 auf rund 22 Milliarden EUR laut Einzelabschluss der Beklagten (Anl. B 18, Seite 136) und rund 25,6 Milliarden EUR laut Konzernbilanz (Bl. 472 d.A.).Randnummer8

Zwischen den Organen der V. AG und der Beklagten gab und gibt es personelle Verflechtungen (Bl. 11 d.A.). So war etwa der frühere Vorstandsvorsitzende der Beklagten, Herr Prof. Dr. W., bis zu seiner Amtsniederlegung im Herbst 2015 zugleich Vorstandsvorsitzender der V. AG.Randnummer9

V.-Dieselskandal – EinleitungRandnummer10

Im Jahr 2015 wurden Vorgänge öffentlich bekannt, die sich bei der V. AG und mit ihr verbundenen Unternehmen ereignet haben und die in der Öffentlichkeit unter dem Stichwort „Dieselskandal“ bzw. „V.-Abgasskandal“ Verbreitung insbesondere über die Medien gefunden haben. Hintergrund ist die (im vorliegenden Verfahren unstreitige) Umgehung von Abgasnormen, insbesondere des US-amerikanischen Rechts, durch eine Motorsteuerungssoftware (Bl. 220 d.A.). Die Beklagte und die V. AG sprechen von der „Dieselthematik“.Randnummer11

Die Grundlagen des „Dieselskandals“ reichen in das Jahr 2005 zurück. Seinerzeit sollte im V-Konzern mit dem Motortyp EA 189 ein neues leistungsstarkes Dieselaggregat entwickelt werden, das die strengen US-Grenzwerte für Schadstoffemissionen erfüllt. Im Frühjahr 2008 sollte der angeblich saubere Dieselmotor EA 189 in den USA eingeführt werden (Bl. 23 d.A.). Nach unbestrittenen Angaben der Beklagten, die sich auf entsprechende Angaben von V. AG beruft, konnten die bei der V. AG tätigen Ingenieure die damit verbundenen technischen Herausforderungen jedoch nicht unter Einhaltung der Zeit- und Kostenvorgaben bewältigen. Sie entschlossen sich deshalb – angeblich auf Ebene unterhalb des Konzernvorstands – zur Veränderung der Motorsteuerungssoftware (Bl. 238 d.A.).Randnummer12

Das „Statement of Facts“Randnummer13

In einem „Statement of Facts“ räumte die V. AG später ein, dass sich Verantwortliche der V. AG zwischen etwa Mai 2006 und November 2015 entschlossen hatten, US-Verbraucher und -Behörden über die (Nicht-)Einhaltung von US-amerikanischen Umweltstandards bei von der Gesellschaft hergestellten Fahrzeugen zu täuschen. Auf der Basis dieses „Statement of Facts“ ist von Folgendem auszugehen:Randnummer14

Es wurde eine Motorsteuerungssoftware entwickelt, die erkannte, ob ein Fahrzeug gerade auf dem Prüfstand getestet wurde; war das der Fall, schaltete der Motor in einen Modus, in dem die US-Grenzwerte bezüglich NOx eingehalten wurden. Stellte die Software fest, dass aktuell kein Testbetrieb vorlag, so schaltete der Motor in einen anderen Modus mit geringerer Effektivität des Emissionskontrollsystems und mit der Folge, dass die Emissionen teilweise 35fach über den NOx-Grenzwerten lagen. Unternehmensintern war vom „Akustikmodus“ die Rede (Anl. K 61, Exhibit 2, insbes. Ziff. 31, 34, 35).Randnummer15

Bereits im Mai 2006 warnte ein Ingenieur intern vor der Verwendung der Software. Trotz von verschiedenen Mitarbeitern ausgesprochener Bedenken und Warnungen entschlossen sich Führungskräfte der V. AG aber, die Software mit dem „Defeat Device“ einzusetzen. Die V. AG räumte später ein, dass der Leiter der Abteilung zur Entwicklung von Verbrennungsmotoren Mitarbeiter, die solche Bedenken ausgesprochen hatten, im Kern angewiesen habe, sich „nicht erwischen“ zu lassen (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 36). Beginnend mit dem Modelljahr 2009, wurde das „Defeat Device“ in den 2-Liter-Motoren eingesetzt. Dasselbe geschah bei A. AG in Bezug auf 3-Liter-Dieselmotoren für den US-amerikanischen Markt.Randnummer16

Für den Vertrieb der Fahrzeuge an US-Verbraucher waren behördliche Bescheinigungen erforderlich. Die Mitarbeiter des V-Konzerns täuschten die US-amerikanische Umweltbehörde Environmental Protection Agency („EPA“) und das California Air Resources Board („CARB“) bei Besprechungen im Zusammenhang mit der Erteilung dieser Bescheinigungen über die tatsächlichen Emissionseigenschaften, wobei sie wussten, dass der V-Konzern entsprechende Bescheinigungen bei Offenlegung der Existenz des „Defeat Devices“ nicht erhalten hätte und dass die betroffenen Fahrzeuge dann nicht in den USA hätten verkauft werden können. Die Fahrzeuge wurden sogar als „clean diesel“ vermarktet. Nach der ersten Motorengeneration wurde auch die Steuerung der zweiten, ab 2011 in den USA verwendeten Motorengeneration mit einem „Defeat Device“ ausgestattet (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 41, 42, 44, 46).Randnummer17

Im Jahr 2014 erfuhren V.-Mitarbeiter von einer Studie des West Virginia University’s Center for Alternative Fuels, Engines and Emissions („ICCT-Studie“). Diese Studie war zu dem Ergebnis gekommen, dass der 2-Liter-Dieselmotor im Prüfstandsbetrieb einen geringeren Stickoxidausstoß hatte als im normalen Fahrbetrieb und dass bei letzterem eine Grenzwertüberschreitung um etwa das 40fache vorlag. Infolge dieser Studie gingen die EPA und die CARB der Ursache für die höheren NOx-Emissionen nach und begannen, der V. AG Fragen zu stellen. Die Effekte der von der V. AG eingesetzten manipulativen Motorsteuerungssoftware waren damit von den US-Behörden entdeckt worden, wenngleich die Behörden die Ursache noch nicht erkannten.Randnummer18

Führungskräfte der V. AG entschlossen sich, gegenüber den US-Behörden auch weiterhin nicht offenzulegen, dass die Fahrzeuge mit einem „Defeat Device“ ausgestattet waren, gaben aber gleichzeitig den Behörden gegenüber Kooperationsbereitschaft vor (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 52 – 54).Randnummer19

Die alternativen Verhaltensweisen gegenüber den US-Behörden – Offenlegung der tatsächlichen und V.-intern bekannten Ursache („Defeat Device“) oder Verheimlichung – und die damit jeweils verbundenen Chancen und Risiken waren Gegenstand einer Präsentation, die in einer V.-internen Besprechung am 28.04.2014 thematisiert wurde (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 56).Randnummer20

Bei einer Besprechung mit der CARB, die am 01.10.2014 stattfand und in der es um die bereits erwähnte Studie und ihre Ergebnisse ging, legten die teilnehmenden Mitarbeiter der V. AG die Existenz des „Defeat Devices“ nicht offen. Das wiederholte sich bei einer Besprechung mit der CARB am 05.08.2015 (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 58, 60).Randnummer21

Um den 19.08.2015 gab ein Mitarbeiter von V. erstmals zu, dass die Abgase bei 2-Liter-Dieselmotoren unterschiedlich behandelt wurden, je nachdem, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder auf der Straße betrieben wurde. Am 03.09.2015 räumte eine Führungskraft von V. gegenüber der CARB und der EPA die Implementierung des „Defeat Devices“ ein (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 62; Anl. K 52, Seite 5).Randnummer22

Zwischen 2009 und 2015 wurden in den USA 585.000 betroffene Fahrzeuge verkauft (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 72).Randnummer23

Während die V. AG gegenüber den US-amerikanischen Behörden Kooperationsbereitschaft bei der Aufklärung der Ursachen der unterschiedlichen Messergebnisse auf der Straße und auf dem Prüfstand signalisierte, kam es unternehmensintern zur Vernichtung von Daten in Bezug auf das „Defeat Device“. Die Äußerung einer Führungskraft von V. bei einem Meeting mit verschiedenen Ingenieuren um den 27.08.2015 wurde, wie V. AG später einräumte, von verschiedenen Teilnehmern dahingehend verstanden, sie sollten Daten löschen. Am 03.09.2015 forderte eine Führungskraft die Assistentin auf, ein Festplattenlaufwerk wegzuwerfen. Ungefähr 40 Mitarbeiter der V. AG und der A. AG vernichteten Tausende von Dokumenten (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 76, 79).Randnummer24

Weitere EntwicklungRandnummer25

Die EPA stellte bei den weiteren Untersuchungen fest, dass Dieselmotoren der V. AG und der Konzerntochter A. AG, die zwischen 2009 und 2015 gebaut worden waren und die Baureihenbezeichnung EA 189 trugen, mit einer gegenüber den US-amerikanischen Behörden nicht offengelegten Motorsteuerungssoftware versehen worden waren, die im Prüfstandsbetrieb zu einem geringeren Stickoxidausstoß der Motoren führte als dies im normalen Fahrbetrieb tatsächlich der Fall war („Defeat Device“). Grenzwerte waren um ein Vielfaches überschritten worden. Auch die CARB stellte bei Abgastests an bestimmten Dieselfahrzeugen des V-Konzerns Unregelmäßigkeiten fest.Randnummer26

Die Behörden erhoben nunmehr gegenüber V. AG, A. AG und der US-amerikanischen Tochtergesellschaft V. Group of America Inc. (vgl. Anl. Anl. B 19, B 20) den Vorwurf des Verstoßes gegen das amerikanische Gesetz zur Reinhaltung der Luft („Clean Air Act“).Randnummer27

In einer an die Unternehmen gerichteten „Notice of Violation“ vom 18.09.2015 (Anl. B 19) bezeichnete die EPA sowohl das Vorhandensein des „Defeat Devices“ an sich als auch die Nichtübereinstimmung mit Angaben, die im Rahmen der US-amerikanischen Fahrzeugzulassung zur Erlangung des Konformitätszertifikats gemacht worden waren, als Gesetzesverstöße.Randnummer28

Später kam der Vorwurf US-amerikanischer Behörden hinzu, dass die V. AG durch das oben zusammenfassend dargestellte Verhalten (insbesondere: die Löschung von Daten und Vernichtung von Dokumenten) die Justiz behindert habe. Im „Statement of Facts“ vom 11.01.2017 räumte die V. AG die Behinderung der Justiz („Obstruction of Justice“) auch ein (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 73 ff.).Randnummer29

Am 22.09.2015, mithin vier Tage nach der „Notice of Violation“ und neunzehn Tage nach Einräumung gegenüber US-Behörden vom 03.09.2015, das „Defeat Device“ implementiert zu haben, gab die V. AG eine Ad hoc-Mitteilung und Pressemitteilung zum „Dieselskandal“ heraus (Bl. 150 d.A.; Anl. B 25). In der Ad hoc-Mitteilung informierte die V. AG darüber, dass weltweit rund 11 Millionen Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 „auffällig“ seien, dass im dritten Quartal ergebniswirksame Rückstellungen von rund 6,5 Milliarden EUR beabsichtigt seien und dass die Ergebnisziele des Konzerns für 2015 angepasst würden (Anl. B 25). Weitere Ad hoc-Mitteilungen der V. AG nach § 15 WpHG folgten (Bl. 152 ff. d.A.).Randnummer30

Ende September 2015 beauftragte der Aufsichtsrat der V. AG die US-amerikanische Anwaltssozietät JD mit einer Untersuchung (Bl. 232 d.A.).Randnummer31

Entgegen der ursprünglich bekundeten Absicht, die Untersuchungsergebnisse zu veröffentlichen, teilte die V. AG am 22.04.2016 der Presse mit, dass eine Veröffentlichung von Zwischenergebnissen von JD mit unvertretbaren Risiken verbunden sei und zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterbleibe (Bl. 233 d.A.). Auch bei der Hauptversammlung der V. AG am 22.06.2016 beriefen sich Vorstandsvorsitzender und Aufsichtsratsvorsitzender auf die seinerzeit noch nicht abgeschlossene Untersuchung von JD sowie auf noch nicht abgeschlossene Verhandlungen mit Behörden und Klägern in den USA (Bl. 235 f. d.A.).Randnummer32

Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten ergriffen über die laufenden Untersuchungen der V. AG hinaus keine eigenen Maßnahmen in Bezug auf den „Dieselskandal“ (Bl. 347, 485 d.A.).Randnummer33

Der Börsenwert der Beteiligung, die die Beklagte an der V. AG hält, fiel von rund 27 Milliarden EUR im Vorjahr auf rund 22 Milliarden EUR zum 31.12.2015 (Anl. Anl. B 18, Seite 136).Randnummer34

Mit Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger vom 19.05.2016 lud der Vorstand der Beklagten zur ordentlichen Hauptversammlung am 29.06.2016 ein. Auf der Tagesordnung standen u.a. die Vorlage des festgestellten Jahresabschlusses, des gebilligten Konzernabschlusses mit Lagebericht, des Vorschlags für die Verwendung des Bilanzgewinns und des Berichts des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2015 (als TOP 1), sowie die Verwendung des Bilanzgewinns (TOP 2), die Entlastung der im Geschäftsjahr 2015 amtierenden Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat (TOP 3 und 4) und schließlich die Wahl des Abschlussprüfers (TOP 5).Randnummer35

In der Hauptversammlung der Beklagten am 29.06.2016 stellte der Kläger zahlreiche Fragen, machte sich Fragen anderer Aktionäre zu Eigen (Anl. B 3, Seite 20 und Anlage 2 zur notariellen Niederschrift) und gab zu notariellem Protokoll, dass diese Fragen nicht ausreichend beantwortet seien und er allen Beschlussfassungen widerspreche.Randnummer36

Der Kläger macht die Nichtbeantwortung von Fragen (auch) zum Gegenstand eines Auskunftserzwingungsverfahrens nach § 132 AktG, das beim Landgericht Stuttgart unter 31 O 28/16 KfH AktG anhängig ist.Randnummer37

Am 20.07.2016 nahm die Beklagte in einer eigenen Ad hoc-Mitteilung Bezug auf eine Ad hoc-Mitteilung der V. AG, in der wiederum von „wirtschaftlichen Auswirkungen der andauernden Abgasthematik“ die Rede sei. Diese „Sondereinflüsse“ belasteten das Ergebnis des P. SE-Konzerns (Anl. K 14; Bl. 26 d.A.).Randnummer38

Bereits am 28.06.2016 hatte die V. AG bekanntgegeben, dass für 2,0l-TDI-Fahrzeuge ein „Vergleichsprogramm“ bzw. eine Vergleichsvereinbarung mit US-Bundesbehörden, privaten Klägern und 44 US-Staaten habe erzielt werden können (Anl. K 12). Kurze Zeit später, am 19.07.2016, wurde eine Klage des Bundesstaates New York gegen die V. AG und weitere Gesellschaften des V-Konzerns vorgelegt (Anl. K 43).Randnummer39

In Presseberichten vom Juli 2016 wird der Vorstandsvorsitzende der V. AG dahingehend zitiert, er warne vor „drastischen Konsequenzen“, falls der Autobauer im Abgas-Skandal Kunden in Europa nach US-Vorbild entschädigen müsste. Eine Entschädigungszahlung in beliebiger Höhe überfordere auch die V. AG (Anl. K 6, K 7).Randnummer40

Am 11.01.2017 gelang es der V. AG, in Bezug auf den „Dieselskandal“ mit der US-Justizbehörde einen Vergleich zu schließen. Bestandteil des Vergleichs waren das bereits erwähnte „Statement of Facts“ und ein „Plea Agreement“, in dem V. AG sich schuldig bekannte, drei Verstöße gegen US-amerikanisches Recht begangen zu haben: die Bildung einer „Verschwörung“, die Behinderung der Justiz und die Einfuhr und das Inverkehrbringen von Gütern unter vorsätzlich falschen Angaben (Anl. K 61 Seite 2 ff.). Der Vergleich sah eine Verpflichtung der V. AG zur Leistung von Bußgeld- und Strafzahlungen in Höhe von 4,3 Milliarden US-Dollar vor, und zwar zusätzlich zur bereits übernommenen und im Vergleichstext erwähnten Verpflichtung, an bestimmte Geschädigte und an einen Trust rund 11 Milliarden US-Dollar zu zahlen (Anl. K 61, Seite 11, 13). In die Verhandlungen dieses Vergleichs war Herr Dr. D., Mitglied des Vorstands der Beklagten, in seiner Funktion als Rechtsabteilungsleiter der V. AG beteiligt (Bl. 451, 551; vgl. Bl. 15 d.A.).Randnummer41

Im Konzernlagebericht der Beklagten für das Jahr 2015 heißt es, aufgrund des „deutlichen Absinkens der anteiligen Börsenkapitalisierung“ unter den Buchwert der Beteiligung an der V. AG sei im Geschäftsjahr 2015 ein „Werthaltigkeitstest“ durchgeführt worden. Es bestünden „Risiken unerwarteter weiterer Belastungen“, sowohl hinsichtlich des zugerechneten Ergebnisses als auch des Dividendenflusses, die insbesondere aus neuen Erkenntnissen hinsichtlich der Höhe der (auf Ebene des V. Konzerns) gebildeten Risikovorsorge (Rückstellungen), aus den Auswirkungen der „Dieselthematik“ auf das operative Geschäft und die Finanzierungskosten der V. AG resultieren könnten. Der „at Equity“-Buchwert der Beteiligung an der V. AG (d.h. auf Basis der anteiligen Eigenkapitalentwicklung berechnet, vgl. Bl. 226 d.A.) habe sich im Vergleich zum Geschäftsjahresende 2014 von rund 27,3 Mrd. EUR auf 25,5 Mrd. EUR vermindert. Trotz Rückgangs der anteiligen Börsenkapitalisierung unter den Beteiligungsbuchwert habe sich auf Grundlage der Ertragserwartungen auch unter Berücksichtigung der „Dieselthematik“ kein Wertminderungsbedarf für die Beteiligung an der V. AG ergeben (Anl. B 2, Seite 91, 143). In den Erläuterungen zum Jahresabschluss 2015 heißt es, die Beklagte gehe nicht von einer dauerhaften Wertminderung aus (Anl. B 18, Seite 137).Randnummer42

In der Folgezeit reichten mehrere Aktionäre der Beklagten Schadensersatzklagen gegen die Beklagte ein, die sich auf die Unterlassung von aus Sicht dieser Kläger erforderlichen Ad hoc-Mitteilungen der Beklagten im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ beziehen. Mit Beschluss vom 28.02.2017 legte die 22. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart dem OLG Stuttgart gemäß KapMuG entsprechende Musterverfahrensanträge vor (Anl. K 62).Randnummer43

Streitiger Sachvortrag des KlägersRandnummer44

Der Kläger trägt vor,Randnummer45

die personellen Verflechtungen unterliefen das System des Einzelausgleichs nach §§ 311, 312, 317 AktG in mehrfacher Hinsicht (Bl. 17 ff. d.A.).Randnummer46

Der Kläger wirft den Organmitgliedern der Beklagten zahlreiche Pflichtverletzungen vor, die er für eindeutig und schwerwiegend hält, was der Wirksamkeit des Mehrheitsbeschlusses über die Entlastung entgegenstehe. Im Übrigen seien die Entlastungsbeschlüsse auch deshalb anfechtbar, weil die Beklagte ihren sich aus § 131 AktG ergebenden Informationspflichten in der Hauptversammlung nicht nachgekommen sei und zahlreiche Fragen zu Unrecht nicht beantwortet habe.Randnummer47

Die Sachverhaltsdarstellung zum „Dieselskandal“, wonach nur einzelne Personen, nicht aber die zuständigen Fachabteilungen und Vorstand und Aufsichtsrat von V. AG den „Dieselgate“ zu verantworten hätten, sei falsch (Bl. 18 d.A.).Randnummer48

Die V. AG sei beim „Dieselskandal“ nicht etwa Opfer krimineller Handlungen einzelner untergeordneter Mitarbeiter geworden, sondern habe „von oben herab“ den Einsatz illegaler Defeat Device-Systeme angeordnet bzw. gebilligt, mindestens aber davon gewusst (Bl. 470 d.A.). Sie habe zudem die US-Behörden, ihre Aktionäre und alle Kapitalmarktteilnehmer sowie ihre Kunden angelogen und die Untersuchungen der US-Justiz massiv behindert, insbesondere den Einsatz der „Betrugssoftware“ noch bis November 2015 in Fahrzeugen mit 3 Liter-Dieselmotoren geleugnet. Die Organe der V. AG hätten dadurch einen Schaden in Form von Bußgeldern und Strafen von weiteren 4,1 Milliarden EUR verursacht (Bl. 470 d.A.).Randnummer49

Der Kläger ist der Auffassung, dass der „Dieselskandal“ (bei der V. AG) auch eine unmittelbare Angelegenheit der Beklagten sei (Bl. 19 f. d.A.). Zur Begründung verweist der Kläger auf die Höhe und wirtschaftliche Bedeutung der Beteiligung der Beklagten an der V. AG und auf personelle Verflechtungen, die dazu führten, dass Straftaten von Vorstandsmitgliedern der V. AG, die zugleich Vorstandsmitglieder der Beklagten seien, auf die Beklagte „durchschlagen“. Der Kläger meint außerdem, dass „hinsichtlich der Straftaten um Dieselgate“ die Beklagte denselben kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten unterliege wie die V. AG (Bl. 452 d.A.). Die Beklagte sei selbst verpflichtet gewesen, eine Gewinnwarnung als Ad hoc-Mitteilung nach § 15 Abs. 1 WpHG a.F. zu den Ereignissen herauszugeben, die dem Einbau der Defeat Device-Systeme vorangingen und die auf den „Dieselskandal“ zusteuerten (Bl. 474 d.A.). Die Organe der Beklagten hätten außerdem pflichtwidrig versäumt, Ansprüche der Beklagten auf „Innenausgleich“ (Bl. 173 d.A.), Rückforderungen, also „Claw backs bei der V. AG“ (Bl. 176 d.A.), Rückforderungen wegen Doppelmandaten und Ansprüche nach §§ 37b, 37c WpHG „wegen Dieselgate“ (Bl. 22, 177 d.A.) zu sichern und geltend zu machen.Randnummer50

Der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten verhielten sich pflichtwidrig, weil sie keine eigenen Maßnahmen ergriffen, um den „Dieselskandal“ aufzuklären, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und Schäden vom Vermögen der Gesellschaft abzuwehren. Größer könnten die Verfehlungen von Organen einer Aktiengesellschaft kaum sein (Bl. 485 d.A.).Randnummer51

Die gesetzlich vorgeschriebene Berichterstattung der V. AG (etwa im Geschäftsbericht und im Konzernlagebericht) zum „Dieselskandal“ sei unzureichend, verwirrend und ergebe keine zusammenfassende Betrachtung der Lage der V. AG, der Folgen und Risiken (Bl. 29 ff., 42 d.A.). Es fehle dort ein betragsmäßiger Überblick über alle Belastungen, die auf die V. AG mit allen Konzerngesellschaften zukommen können (Bl. 40 d.A.). Es stelle sich daher die Frage, auf welcher Grundlage die Beklagte die für die Werthaltigkeit der Beteiligung an der V. AG relevanten Daten gewonnen habe (Bl. 41 d.A.).Randnummer52

Das Risikokontrollsystem nach § 91 Abs. 2 AktG funktioniere nicht (Bl. 22 d.A.). Die Beklagte habe im Geschäftsbericht (Anl. K 59) auch nicht auf die Informationen der V. AG und das dort fehlerhaft funktionierende interne Kontroll- und Risikoerkennungssystem zurückgreifen dürfen (Bl. 75 f. d.A.).Randnummer53

Die Beteiligung an der V. AG sei zur Unzeit – im September 2015 – noch um 1,5% aufgestockt worden (Bl. 22 d.A.).Randnummer54

Eine Wertberichtigung der Beteiligung an der V. AG sei pflichtwidrig unterblieben, und der Geschäftsbericht für das Jahr 2015 entspreche nicht dem Informationsbedarf, der bei den Berichtsadressaten bestehe (Bl. 22 d.A.).Randnummer55

Die Ergebnisse der von der V. AG mit der Untersuchung des „Dieselskandals“ beauftragten Kanzlei „JD“ werde den außenstehenden Aktionären vorenthalten, wodurch es zu einem Informationsvorsprung der im Aufsichtsrat der V. AG vertretenen Aktionäre, insbesondere der „Familienclans“ komme. Es gebe keinen sachlichen Grund, die Information der übrigen Aktionäre erst 2017 oder noch später vorzunehmen (Bl. 75 d.A.).Randnummer56

AnträgeRandnummer57

Der Kläger beantragt (Bl. 2 d.A.),Randnummer58

„1. Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29. Juni 2016 zu Punkt 3 der Tagesordnung gefasste Beschluss, dem Vorstand für das Geschäftsjahr 2015 Entlastung zu erteilen, wird für nichtig erklärt.Randnummer59

Es wird hilfsweise festgestellt, dass der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29. Juni 2016 zu Punkt 3 der Tagesordnung gefasste Beschluss über die Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2015 nichtig ist.Randnummer60

2. Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29. Juni 2016 zu Punkt 4 der Tagesordnung gefasste Beschluss, dem Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2015 Entlastung zu erteilen, wird für nichtig erklärt.Randnummer61

Es wird hilfsweise festgestellt, dass der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 29. Juni 2016 zu Punkt 4 gefasste Beschluss über die Entlastung des AufsichtsratsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Entlastung
Entlastung des Aufsichtsrats
für das Geschäftsjahr 2015 nichtig ist.“Randnummer62

Die Beklagte beantragt,Randnummer63

die Klage abzuweisen.Randnummer64

Streitiger BeklagtenvortragRandnummer65

Die Beklagte behauptet, sie habe vor der Mitteilung der EPA vom 18.09.2015 von der „Dieselthematik“ keine Kenntnis gehabt (Bl. 244 d.A.). Sie habe keinen Grund anzunehmen, dass die Verlautbarungen der V. AG unzutreffend seien (Bl. 237 d.A.).Randnummer66

In Bezug auf den „Dieselskandal“ verfolgten die Beklagte und die V. AG das gleichgerichtete Interesse, Anlegerklagen abzuwehren (Bl. 379 d.A.). Die Beklagte habe „keine Anhaltspunkte für Ansprüche gegen die V. AG aus §§ 37b, 37c WpHG“ (Bl. 379 d.A.). Der Vortrag der Klägerin zur angeblich pflichtwidrig unterlassenen Geltendmachung von Ansprüchen sei unsubstantiiert und für die Entscheidung nicht erheblich. So seien etwa die fehlende Anspruchsprüfung, Sicherungsmaßnahmen oder verjährungshindernde Maßnahmen in der Hauptversammlung der Beklagten nicht als mögliche Pflichtverletzungen thematisiert worden (Bl. 294 d.A.).Randnummer67

Die Beklagte vertritt die Auffassung, Vorgänge, die die V. AG beträfen, seien keine Angelegenheit der Beklagten im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG (Bl. 206 f. d.A.). Die Maßgeblichkeitsschwelle sei nicht erreicht. Soweit Fragen nicht beantwortet worden seien, bestehe ein Auskunftsverweigerungsrecht (Bl. 341 d.A.).Randnummer68

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien einschließlich Anlagen und auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 05.12.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Zulässigkeit der AnfechtungsklageRandnummer70

Die gegen die beiden Entlastungsbeschlüsse gerichtete Anfechtungsklage ist zulässig.Randnummer71

Auf die in der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) organisierte Beklagte finden nach Artikel 9 Abs. 1 c) ii) der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 08.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) grundsätzlich die Bestimmungen des Aktiengesetzes (AktG) Anwendung. Soweit im Folgenden ohne weitere Erläuterungen die Bestimmungen des AktG angeführt werden, beruht dies auf der vorgenannten Verweisung.Randnummer72

Der Kläger ist gemäß § 245 Nr. 1 AktG anfechtungsbefugt. Nach dieser Vorschrift ist jeder in der Hauptversammlung erschienene Aktionär zur Beschlussanfechtung befugt, wenn er die Aktien schon vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hatte und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat.Randnummer73

Die gegenwärtige Aktionärsstellung des Klägers wurde von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen und ist damit unstreitig. Bereits die Klageschrift enthält die Behauptung, die Aktien vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben zu haben (Bl. 86 d.A.). Diese erfolgte am 19.05.2016. Die Beklagte hat zwar zunächst die Anfechtungsbefugnis wegen des fehlenden Nachweises des Aktienerwerbs schon vor Bekanntmachung der Tagesordnung in Zweifel gezogen (Bl. 253 d.A.). Nach Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des depotführenden Kreditinstituts (vgl. Bl. 451 Fn. 6 und Anl. K 60 – es dürfte sich nicht um eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 Abs. 1 ZPO handeln), auf deren Inhalt sich der Kläger bezogen hat, ist die Richtigkeit der Bestätigung und somit der fristgerechte Aktienerwerb von der Beklagten aber nicht mehr in Abrede gestellt worden. Der klägerische Vortrag zum Aktienerwerb ist damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. In der mündlichen Verhandlung am 05.12.2017 hat die Beklagte im Übrigen zum Ausdruck gebracht, dass sie an ihren Einwendungen gegen die Anfechtungsbefugnis nicht mehr festhalte.Randnummer74

Der Kläger hat gegen die mit Hauptversammlungsmehrheit gefassten Entlastungsbeschlüsse Widerspruch zur Niederschrift des Notars erklärt (Anlagenkonvolut B 3, dort Anl. 2 zur UR-Nr. 680/2016).Randnummer75

Der Zulässigkeit der Klage steht das gleichzeitig betriebene Auskunftserzwingungsverfahren nicht entgegen. Wegen unterschiedlicher Rechtsschutzziele der Anfechtungsklage einerseits (Herbeiführung der Wirkung des § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG) und des Auskunftserzwingungsverfahrens andererseits (rasche Erteilung der Auskünfte in einem in der Regel – abhängig vom Umfang der Anträge – einfachen und schnellen Verfahren) stehen beide Verfahren nebeneinander. Ein Auskunftserzwingungsverfahren hindert den Aktionär daher nicht, zusätzlich Anfechtungsklage – etwa gestützt auf die Verletzung des Auskunftsrechts in der Hauptversammlung – zu erheben (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1982 – II ZR 88/81 –, BGHZ 86, 1-22, Rn. 23; Spindler, in K. Schmidt/Lutter, AktG Kommentar 3. Aufl. § 132 Rn. 44).Randnummer76

Die Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart und die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ergeben sich aus § 243 Abs. 3 Satz 1, 2 AktG.Randnummer77

B. Begründetheit der AnfechtungsklageRandnummer78

Die Anfechtungsklage hat auch in der Sache Erfolg.Randnummer79

I. AllgemeinesRandnummer80

Nach § 243 Abs. 1 AktG kann ein Beschluss der Hauptversammlung wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung durch Klage angefochten werden.Randnummer81

1. Zur Anfechtbarkeit wegen inhaltlicher Mängel (Ermessensüberschreitung bei eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstößen)Randnummer82

Ein Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung kann im Einzelfall wegen eines inhaltlichen Mangels anfechtbar sein. Da die Entlastungsentscheidung grundsätzlich im Ermessen der Gesellschafter liegt, ist ein Entlastungsbeschluss allerdings nicht schon dann fehlerbehaftet im Sinne von § 243 Abs. 1 AktG, wenn es Gründe gegeben hätte, die Entlastung zu verweigern. Der Entlastungsbeschluss ist wegen eines Gesetzesverstoßes aber anfechtbar, wenn damit ein tatsächliches Verhalten gebilligt wird, das einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt. Eine Entlastung trotz eines (erkennbaren), schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzesverstoßes verstößt gegen § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG, ist mit der Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit nicht vereinbar und ist deshalb nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar (BGH, Urteil vom 10. Juli 2012 – II ZR 48/11 – „Fresenius“, BGHZ 194, 14-26, Rn. 9; BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01 – „Macrotron“, BGHZ 153, 47-61, Rn. 15; OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 184, juris). Die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses wegen derartiger inhaltlicher Mängel, d.h. Ermessensüberschreitung durch die Hauptversammlungsmehrheit, scheidet jedoch dann aus, wenn die tatsächlichen Umstände, die den Vorwurf einer schwerwiegenden und eindeutigen Pflichtverletzung begründen, aus der Perspektive der Hauptversammlung noch nicht aufgeklärt sind. Auf Umstände, die erst im Rahmen eines Anfechtungsprozesses aufgeklärt und bewiesen werden sollen, kann eine Anfechtung nicht gestützt werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 188, juris).Randnummer83

2. Zur Anfechtbarkeit wegen Verletzung des Auskunftsrechts (§ 131 AktG)Randnummer84

Losgelöst von der soeben dargestellten Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses wegen eines Inhaltsmangels (treuwidrige Entlastung trotz eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtenverstoßes des entlasteten Organmitgliedes), kann sich die Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses auch bereits aus einem Verfahrensfehler, insbesondere aus der Verletzung von Informationspflichten gegenüber den Aktionären, ergeben. Die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses wegen Informationspflichtverletzungen in der Hauptversammlung im Zusammenhang mit § 131 AktG steht dabei neben der Anfechtbarkeit wegen Ermessensüberschreitung durch die Hauptversammlungsmehrheit bei eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen von Vorstand und Aufsichtsrat (zum Alternativitätsverhältnis auch OLG Frankfurt, Urteil vom 01. Oktober 2013 – 5 U 214/12 –, Rn. 28, juris).Randnummer85

Aktionären steht nach Maßgabe des § 131 AktG und der Satzung ein Informationsrecht in der Hauptversammlung zu. Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. An diese Regelung knüpft § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG an, wonach wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen nur angefochten werden kann, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte.Randnummer86

Ein Entlastungsbeschluss ist wegen Verletzung des Informationsrechts eines Aktionärs (§ 131 AktG) rechtswidrig und daher gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn das nicht oder nicht ausreichend beantwortete Auskunftsbegehren auf Vorgänge von einigem Gewicht gerichtet ist, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung sind (BGH, Urteil vom 10. Juli 2012 – II ZR 48/11 –“Fresenius“, BGHZ 194, 14-26, Rn. 37). Eine Informationspflichtverletzung in der Hauptversammlung – zugleich ein Verfahrensverstoß – soll nach der Wertung des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur dann von Bedeutung sein, wenn „ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechts ansähe“ (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 – II ZR 196/12).Randnummer87

II. Verletzung des Auskunftsrechts in der HauptversammlungRandnummer88

Nach den oben (I. 2.) dargestellten Maßstäben leiden die am 29.06.2016 gefassten Entlastungsbeschlüsse bereits deshalb an einem Fehler, der zur erfolgreichen Beschlussanfechtung führt, weil die Fragen nach dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung von Rechtsverstößen mit Bezug auf den „Dieselskandal“ der V. AG unzureichend und die Frage nach getroffenen eigenen Maßnahmen in der Hauptversammlung überhaupt nicht beantwortet wurden. Hierin liegt eine schwerwiegende Informationspflichtverletzung, die die Voraussetzungen des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG erfüllt, denn die vollständige Beantwortung der Frage war für einen objektiv urteilenden Aktionär für eine sachgerechte Wahrnehmung seines Stimmrechts bei der Entlastung von grundlegender Bedeutung.Randnummer89

1. Fragen und Antworten zum Zeitpunkt der KenntniserlangungRandnummer90

Auf die Frage eines Aktionärs (in der Klageschrift als Frage 1 zitiert):Randnummer91

Ab wann hatten Organmitglieder der P. SE bzw. ihrer Konzerngesellschaft V. erstmals Kenntnis von etwaigen Rechtsverstößen, die heute unter dem Begriff Dieselgate bekannt sind, in verschiedenen Jurisdiktionen und welche Maßnahmen haben sie daraufhin getroffen?“Randnummer92

antwortete Dr. P. (Bl. 95 d.A.):Randnummer93

Vorstand und Aufsichtsrat der Porsche Automobil Holding SE haben keine Anhaltspunkte dafür, dass Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder der Porsche Automobil Holding SE, die nicht zugleich Organmitglieder der V. AG sind bzw. waren, im Zusammenhang mit der Dieselthematik vor der Veröffentlichung der Notice of Violation der EPA am 18. September 2015 Kenntnis von den der Dieselthematik zugrunde liegenden Umständen hatten.Randnummer94

Soweit Organmitglieder unserer Gesellschaft teilweise auch Organmitglieder der V. AG sind bzw. waren, ist die Frage, ob diese Organmitglieder in ihrer jeweiligen Funktion im V-Konzern Kenntnis von den der Dieselthematik zugrundeliegenden Umstände erlangt haben, Gegenstand der laufenden Untersuchungen der Rechtsanwaltssozietät JD.Randnummer95

Die V. AG hat erklärt, dass sie bis zum Abschluss der laufenden Untersuchung durch die Rechtsanwaltssozietät JD bzw. den Abschluss eines umfassenden Vergleichs mit den Klägern und Behörden in den USA einschließlich einer Einigung über strafrechtliche Sachverhalte aus rechtlichen Gründen keine Zwischenergebnisse oder sonstige inhaltliche Angaben zu den Untersuchungen machen kann. Bitte haben Sie dementsprechend Verständnis dafür, dass wir Ihnen heute hierzu keine weitergehenden Informationen geben können.“Randnummer96

Eine weitere in der Hauptversammlung gestellte Aktionärsfrage (in der Klageschrift als Frage 7 genannt) bezog sich konkret auf Herrn Prof. Dr. F. Pi., der im Entlastungszeitraum Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten und bis 25.04.2015 außerdem Aufsichtsratsvorsitzender der V. AG war (Bl. 12 f. d.A.), der mithin ein Doppelmandat hatte. Die Frage lautete (Bl. 99 d.A.):Randnummer97

„Was wusste er [F. Pi.] dazu? [Abgasskandal] Haben Sie ihn überhaupt mal befragt?“Randnummer98

Die Antwort des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Herrn Pö., lautete:Randnummer99

„Ihre Frage bezieht sich auf Sachverhalte, die Gegenstand der bei der V. AG laufenden Untersuchungen von JD sind. Die V. AG hat erklärt, dass sie bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen durch die Rechtsanwaltssozietät JD bzw. dem Abschluss eines umfassenden Vergleichs mit den Klägern und Behörden in den USA einschließlich einer Einigung über strafrechtliche Sachverhalte aus rechtlichen Gründen keine Zwischenergebnisse oder sonstigen inhaltlichen Angaben zur Untersuchung im Zusammenhang mit der Dieselthematik macht. Bitte haben Sie zu diesem Hintergrund Verständnis dafür, dass wir zu diesem Sachverhalt zum Fragenkomplex keine Ausführungen machen können.“Randnummer100

Die zitierte Antwort enthält keine Angaben dazu, ob Herr Prof. Dr. F. Pi. zu seiner Kenntnis in Bezug auf den „Dieselskandal“ befragt wurde und was er – seit wann – darüber wusste.Randnummer101

Weitere Aktionärsfragen nahmen u.a. auf die Behinderung der US-amerikanischen Justiz durch die Vernichtung von Unterlagen bei der V. AG Bezug (in der Klageschrift als Fragen 8 und 10 zitiert). Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten Herr Pö. erklärte dazu bei der Beantwortung von Frage 8:Randnummer102

„Bitte beachten Sie, dass es sich bei der Dieselthematik um einen Vorgang bei der V. AG handelt. Bei der P. SE stellt sich die Sachlage gegenwärtig so dar, dass im Bereich der P. SE keine Kenntnis über die Dieselthematik vor den relevanten Veröffentlichungen vorlag. Eine Löschung sensibler Materialien erfolgte nicht.“Randnummer103

Der zum 01.01.2016 mit dem Geschäftsbereich „Recht und Compliance“ in den Vorstand der Beklagten berufene Herr Dr. D. (zuvor seit 2013 Leiter der Rechtsabteilung der Beklagten, seit 01.01.2016 Leiter der Rechtsabteilung der V. AG, vgl. Bl. 12 f. und 103 d.A.) verwies zu Frage 10 darauf, es handle sich um „Sachverhalte der V. AG“, die beiden Unternehmen seien rechtlich selbständig und mangels Beherrschungsvertrag bestehe „kein Anspruch auf Überlassung von Informationen in Bezug auf Angelegenheiten der V. AG“ (Bl. 102 d.A.).Randnummer104

Wie sich jedoch aus dem Geschäftsbericht der Beklagten ergibt, fand zwischen der V. AG und der Beklagten durchaus „in den Grenzen des gesetzlich zulässigen“ ein Informationsaustausch statt, u.a. in Form von „Managementgesprächen“ und der Weitergabe von Risikoberichten (Anl. K 59, Seite 138).Randnummer105

2. Fragen und Antworten zu den getroffenen eigenen Maßnahmen in Bezug auf den „Dieselskandal“Randnummer106

Wie aus der oben wiedergegebenen Frage 1 ersichtlich, war diese nicht nur auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung gerichtet, sondern auch auf seit Kenntniserlangung ergriffene Maßnahmen. Soweit Frage 1 an die Kenntniserlangung der Organmitglieder der Beklagten anknüpft, – dass sie dies tut, ist offensichtlich – , lässt sich der oben zitierten Antwort nicht entnehmen, ob der Vorstand und der Aufsichtsrat der Beklagten nach Bekanntwerden des „Dieselskandals“ und der damit verbundenen Rechtsverstöße überhaupt eigene Maßnahmen ergriffen haben.Randnummer107

Der oben zitierten, in der Hauptversammlung gegebenen Antwort kann nur entnommen werden, dass es eine Erklärung der V. AG gebe, die auf die laufende Untersuchung durch die Rechtsanwaltssozietät JD und noch nicht abgeschlossene Vergleichsverhandlungen verwiesen habe. Ob diese Erklärung der V. AG auf eine Anfrage der Beklagten zurückgeht oder es sich um Informationen aus der wenige Tage zuvor durchgeführten Hauptversammlung der V. AG handelt, wurde den Aktionären der Beklagten nicht mitgeteilt. Auf die gestellte Frage nach eigenen Maßnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten nach Kenntniserlangung vom „Dieselskandal“ gibt die zitierte Erklärung keine Antwort.Randnummer108

Die Beklagte hat zwar im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits und im parallel geführten Auskunftserzwingungsverfahren die Frage dahingehend beantwortet, dass Vorstand und Aufsichtsrat darüber hinaus keine weiteren Maßnahmen getroffen hätten (Bl. 347, 485 d.A.). Auf diese spätere Beantwortung kann es jedoch bei der inhaltlichen Überprüfung der Ermessensentscheidung der Hauptversammlungsmehrheit bei der Entlastung nicht ankommen, und auch bei der Beurteilung einer in der Hauptversammlung begangenen Verletzung des Auskunftsrechts der Aktionäre spielt diese spätere Entwicklung keine Rolle (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 188, juris).Randnummer109

3. Voraussetzungen des Auskunftsrechts in Bezug auf den „Dieselskandal“ erfülltRandnummer110

Den Aktionären der Beklagten stand in deren Hauptversammlung gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ein Auskunftsrecht zu, soweit es um den Zeitpunkt der Kenntniserlangung von Rechtsverstößen der Organmitglieder der V. AG und der eigenen Organmitglieder der Beklagten im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ der V. AG geht. Ein Auskunftsrecht bestand auch in Bezug auf die Frage nach den von den Organen der Beklagten nach Kenntniserlangung getroffenen Maßnahmen.Randnummer111

In Bezug auf die konkret gestellten Fragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung sowie zu den getroffenen Maßnahmen liegen die Voraussetzungen des Auskunftsrechts (dazu allgemein unten a) hier vor (dazu unten b).

a)Randnummer112

Gläubiger des Auskunftsanspruchs ist jeder Aktionär (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG). Schuldner des Auskunftsanspruchs ist nach dem Gesetzeswortlaut der Vorstand, Träger der Auskunftspflicht ist freilich die Aktiengesellschaft selbst.Randnummer113

Zu prüfen ist jeweils, ob das Auskunftsverlangen einen zulässigen Gegenstand hat (unten aa), ob es sich auf einen Tagesordnungspunkt bezieht und ob die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung (und Entscheidung) erforderlich ist (unten bb).Randnummer114

Der Auskunftserteilung kann im Einzelfall ein Auskunftsverweigerungsrecht der Gesellschaft entgegenstehen (§ 131 Abs. 3 AktG). Der Auskunftsanspruch unterliegt ferner allgemeinen Schranken, die sich u.a. aus Gesetz und Satzung, aus dem Gedanken der Treupflicht, dem Ziel des Erhalts der Funktionsfähigkeit der Hauptversammlung und dem Verbot des Rechtsmissbrauchs ergeben. Schließlich kann der Auskunftsanspruch durch Erfüllung erloschen sein (dazu noch später).

aa)Randnummer115

Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Die Auskunftspflicht erstreckt sich nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AktG auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen. Nach § 131 Abs. 1 Satz 4 AktG erstreckt sich die Auskunftspflicht des Vorstands eines Mutterunternehmens i.S.d. § 290 Abs. 1, 2 HGB in der Hauptversammlung, der der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht vorgelegt werden, auch auf die Lage des Konzerns und der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen. Letzteres rechtfertigt freilich keinen Umkehrschluss dahingehend, dass für andere konzernrechtliche Umstände kein Auskunftsrecht bestehe (Siems, in Spindler/Stilz, AktG Kommentar 2015, § 131 Rn. 24).

(1)Randnummer116

Der in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG verwendete Begriff der Angelegenheiten der Gesellschaft wird grundsätzlich weit verstanden und umfasst alles, was sich auf die Aktiengesellschaft und ihre Tätigkeit bezieht (Koch, in Hüffer/Koch, AktG 12. Aufl. 2016, § 131 Rn. 11; Spindler, in K. Schmidt/Lutter, AktG Kommentar 3. Aufl. 2015, § 131 Rn. 28).Randnummer117

Geschäftsvorfälle und sonstige Vorkommnisse, die sich unmittelbar bei einem verbundenen Unternehmen, nicht bei der betroffenen, in der Hauptversammlung auf Auskunft in Anspruch genommenen Aktiengesellschaft selbst, ereignet haben, sind zunächst Angelegenheiten des verbundenen Unternehmens selbst. Daraus wird „eigene Angelegenheit“ der Aktiengesellschaft, die an dem anderen Unternehmen beteiligt ist, wenn die „Erheblichkeitsschwelle“ erreicht ist. Die Angelegenheit des verbundenen Unternehmens muss „objektiv von so erheblicher wirtschaftlicher oder rechtlicher Bedeutung“ sein, dass sie „damit“ auch zur Angelegenheit der Aktiengesellschaft wird (so die etwas zirkellastige Formulierung in BGH, Urteil vom 11. November 2002 – II ZR 125/02 –, BGHZ 152, 339-347, Rn. 18, entschieden zum Verein). Von einer „erheblichen wirtschaftlichen oder rechtlichen Bedeutung“ ist jedenfalls auszugehen, wenn die Angelegenheit des verbundenen Unternehmens „erhebliche Auswirkungen“ auf die Aktiengesellschaft hat (Reger, in Bürgers/Körber AktG 3. Aufl. 2014, § 131 Rn. 8).

(2)Randnummer118

Es bietet sich an, präzisere Kriterien zur Einordnung einer dem verbundenen Unternehmen zuzuordnenden Angelegenheit als mittelbare (Eigen-)Angelegenheit der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Angelegenheit der Gesellschaft
Gesellschaft
im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG aufzustellen. Hier lassen sich abstrakt drei Fallgruppen klassifizieren, zwischen denen es Überschneidungen geben kann:Randnummer119

Erstens wird das Erreichen der „Erheblichkeitsschwelle“ des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG eines Vorgangs, der unmittelbar ein Tochterunternehmen betrifft, sich aber auf die Muttergesellschaft auswirkt, nach Auffassung des Gerichts indiziert, wenn sich Vorstand oder Aufsichtsrat dieser Gesellschaft in der Vergangenheit tatsächlich mit der Angelegenheit des Tochterunternehmens befasst haben. Dadurch wird belegt, dass sich die Gesellschaft mit der originär „fremden“ Angelegenheit identifiziert oder auseinandersetzt.Randnummer120

Zweitens kann jedenfalls für Fälle nach Inkrafttreten von Art. 17 der Marktmissbrauchsverordnung – unabhängig von der tatsächlichen Befassung der Organe mit einer Thematik – bei der Qualifizierung eines Vorgangs im Konzern als Eigenangelegenheit im Sinne des § 131 Abs. 1 AktG als weiterer „Test“ dienen, ob eine Information oder Tatsache, die unmittelbar zunächst nur das verbundene Unternehmen betrifft, kapitalmarktrechtlich von solcher Relevanz ist, dass sie, wenn sie nicht öffentlich bekannt ist, als kurserhebliche Insiderinformation auf die Obergesellschaft „durchschlägt“ und dementsprechend als eine die Obergesellschaft betreffende, auf diese bezogene Information im kapitalmarktrechtlichen Sinne angesehen werden muss. Es stellt sich also die Frage, ob die Obergesellschaft Ad hoc-publizitätspflichtig wäre, wenn man ihre Kenntnis vom Vorliegen einer Insiderinformation auf der Ebene des verbundenen Unternehmens, das Fehlen gesetzlicher Hinderungsgründe bezüglich der Veröffentlichung und die Emittenteneigenschaft der Obergesellschaft einmal unterstellt. Bejaht man unter diesen Prämissen die (von der sich stellenden Frage der Wissenszurechnung zu unterscheidende) kapitalmarktrechtliche Frage nach dem grundsätzlichen Bestehen einer Ad hoc-Publizitätspflicht bezogen auf die jeweilige Information (bei fehlender Emittenteneigenschaft der Obergesellschaft eine hypothetisch zu stellende Testfrage), bejaht man mit anderen Worten den Emittentenbezug der Tatsache, so kann man aktienrechtlich im Rahmen des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG kaum das Vorliegen einer „eigenen Angelegenheit“ der (Ober-)Gesellschaft verneinen. In der Bejahung der Kursrelevanz für die Obergesellschaft zeigt sich zugleich die besondere wirtschaftliche Bedeutung für diese, die es rechtfertigt, ihren Aktionären einen Auskunftsanspruch nach § 131 Abs. 1 AktG zuzugestehen. In Fällen, in denen die Marktmissbrauchsverordnung bereits anwendbar ist, genügen bei Konzernsachverhalten also jedenfalls ein indirekter Emittentenbezug im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 und die Kursrelevanz auf der Ebene der Obergesellschaft, um die jeweilige Insiderinformation als Angelegenheit der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Angelegenheit der Gesellschaft
Gesellschaft
im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG subsumieren zu können.Randnummer121

Schließlich wird man – wiederum losgelöst von der tatsächlichen Befassung der Organe und der Frage der Ad hoc-Publizitätspflicht einer Information – grundsätzlich in allen Fällen von einem unmittelbaren Gesellschaftsbezug der Angelegenheit des verbundenen Unternehmens im Sinne von § 131 Abs. 1 AktG ausgehen können, wenn ein Vorstand, der den objektiven Sorgfaltsanforderungen des § 93 Abs. 1 AktG nachkommen will, und ein Aufsichtsrat, der seine Pflicht zur Überwachung des Vorstandes nach § 111 Abs. 1 AktG ernstnimmt, objektiv Anlass haben, sich im Interesse der (eigenen) Gesellschaft mit den Vorgängen im verbundenen Unternehmen auseinanderzusetzen. Dies hängt nicht davon ab, ob sich Vorstand oder Aufsichtsrat in der Vergangenheit tatsächlich mit der Angelegenheit befasst haben oder ob es – aus welchen Gründen auch immer – daran gefehlt hat. Allein durch Nichtbefassung mit einer Angelegenheit, die der Vorstand und Aufsichtsrat der betroffenen Aktiengesellschaft bei pflichtgemäßem Verhalten hätten „an sich ziehen“ müssen, kann die Gesellschaft sich genausowenig der Qualifizierung eines Sachverhalts als (mittelbar) eigener Angelegenheit der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft
entziehen wie durch pflichtwidriges Unterlassen einer Ad hoc-Mitteilung.Randnummer122

Die Unterscheidung zwischen „unmittelbaren“ Eigenangelegenheiten und „mittelbaren“ Angelegenheiten der Gesellschaft wirkt sich in erster Linie bei der Frage aus, inwieweit der Auskunft begehrende Aktionär zur Darlegung des Gesellschaftsbezugs verpflichtet ist. Bei „unmittelbaren“ Gesellschaftsangelegenheiten bedarf der Gesellschaftsbezug keiner weiteren Begründung (Kubis, in MüKo AktG 3. Aufl. 2013, § 131 Rn. 35; Reger, in Bürgers/Körber AktG 3. Aufl. 2014, § 131 Rn. 7).Randnummer123

Generalisierende Thesen wie etwa diejenige, dass sich das Auskunftsrecht nicht auf Angelegenheiten anderer Unternehmen erstrecke (angedeutet bei Bl. 327 d.A.) oder dass die wirtschaftliche Lage des verbundenen Unternehmens nicht vom Auskunftsrecht umfasst sei (vgl. Bl. 328 d.A.), verbieten sich daher. Erforderlich ist eine differenziertere Betrachtung, die den Begriff der Erheblichkeit des Vorgangs für das herrschende Unternehmen in den Blick nimmt.Randnummer124

Die im Rahmen des § 131 Abs. 1 AktG bei der Konzernobergesellschaft zu prüfende Erheblichkeitsschwelle ist auch nicht mit dem Kriterium der Erforderlichkeit der Information zur sachgemäßen Beurteilung des Tagesordnungspunktes identisch (wie hier Spindler, in K. Schmidt/Lutter, AktG 3. Aufl. 2015, § 131 Rn. 41 bei Fn. 197). Ob die Erheblichkeitsschwelle erreicht ist, was zu einer Bewertung eines Vorgangs bei einem verbundenen Unternehmen als eigene Angelegenheit der (anderen Konzern- bzw. Ober-)Gesellschaft im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG führt, ist von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig.Randnummer125

Nach der Literatur werden von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG exemplarisch Vorgänge erfasst, die dem originären Bereich der Konzernleitung durch die Obergesellschaft zuzuordnen sind. Als relevante Kriterien werden im Übrigen die Intensität der Unternehmensverbindung, das Vorhandensein von Unternehmensverträgen und das Bestehen einer Verlustausgleichspflicht sowie die „funktionale Stellung“ innerhalb der Konzernverbindung genannt. Die Erheblichkeit sei eher anzunehmen, wenn die Obergesellschaft als Holding ausgestaltet ist, als wenn diese selbst im operativen Geschäft in größerem Umfang tätig sei (Spindler, in K. Schmidt/Lutter, AktG a.a.O. § 131 Rn. 41 m.w.N.).

bb)Randnummer126

Generell besteht ein Anspruch auf Auskunft gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG nur insoweit, als diese zur sachgemäßen Beurteilung des betreffenden Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist, d.h. von einem objektiv urteilenden Aktionär als wesentliches Beurteilungselement benötigt wird. Dieses Kriterium begrenzt das Informationsrecht des Aktionärs in qualitativer und quantitativer Hinsicht sowie hinsichtlich seines Detaillierungsgrades (BGH, Urteil vom 16. Februar 2009 – II ZR 185/07 –, BGHZ 180, 9-38, Rn. 39 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Februar 2012 – 20 W 5/11 –, Rn. 354, juris).

b)Randnummer127

Nach den vorstehend beschriebenen Maßstäben handelt es sich beim „Dieselskandal“ um eine eigene Angelegenheit der Beklagten im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG, obwohl dieser Skandal unmittelbar die V. AG betrifft (unten aa). Eines Rückgriffs auf § 131 Abs. 1 Satz 2 AktG bedarf es insoweit nicht.Randnummer128

Die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG liegen auch in Bezug auf die konkret gestellten, zitierten Fragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung und zu den getroffenen Maßnahmen vor (unten bb).

aa)Randnummer129

Die von V. AG gegenüber den US-amerikanischen Behörden im „Statement of Facts“ eingeräumten Verstöße gegen US-amerikanisches Recht stellen zunächst Angelegenheiten dar, die primär die V. AG selbst betreffen.Randnummer130

Nach den oben dargelegten allgemeinen Kriterien kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass diese Rechtsverstöße der V. AG im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ – genauso wie Verstöße gegen das europäische Fahrzeugzulassungsrecht – zugleich eine Angelegenheit bilden, die für die Beklagte selbst von so erheblicher wirtschaftlicher und rechtlicher Bedeutung sind, dass diese Angelegenheit für sie zur eigenen Angelegenheit wird.

(1)Randnummer131

Die Qualifizierung als eigene Angelegenheit der Beklagten ergibt sich schon aus der hohen wirtschaftlichen Bedeutung der Beteiligung an der V. AG für sie und der daraus resultierenden Befassungspflicht.Randnummer132

Hier hat die Beklagte als Holdinggesellschaft über 90% ihrer Bilanzsumme in die Beteiligung an einem börsennotierten Konzern – hier: die V. AG – investiert. Diese Beteiligung hatte 2015 selbst nach massiven Wertverlusten an der Börse infolge Bekanntwerden des „Dieselskandals“ noch einen Wert von über 22 Milliarden EUR. Es handelt sich keineswegs um eine unbedeutende „Kleinstbeteiligung“. Vielmehr liegt auf der Hand, dass die Ertragskraft der V. AG und die daraus resultierenden potentiellen Dividendenerträge oder deren Ausbleiben, beispielsweise infolge ergebniswirksamer Aufwendungen zur Bewältigung der finanziellen Folgen des „Dieselskandals“, maßgeblichen Einfluss auf die Ertragssituation bei der Beklagten hat. Dasselbe gilt für den Wert der Stammaktien der V. AG, weil eine etwa vorzunehmende bilanzielle Abschreibung zu erheblichen Verlusten bei der Beklagten führen kann.Randnummer133

Die Beklagte betont selbst, sie sei als reine beteiligungsverwaltende Holding-Gesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft mit der Verwaltung ihres Beteiligungsbesitzes beschäftigt (Bl. 218 f. d.A.). Dementsprechend hatten ihre Organe allen Anlass, sich jederzeit mit dem Schicksal dieser Beteiligungen (im Wesentlichen: an der V. AG, daneben noch in verhältnismäßig geringem Umfang an der I.) zu befassen.Randnummer134

Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten müssen sich, wenn sie ihre gesetzlichen Pflichten nach § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 111 Abs. 1 AktG ernstnehmen, deshalb selbst mit bekanntgewordenen Geschehnissen befassen, die sich bei dem Beteiligungsunternehmen V. AG abspielen und die – wie hier der „Dieselskandal“ – erhebliche Auswirkungen auf den Marktwert der Beteiligung und mögliche Dividendenerträge der Gesellschaft in Gegenwart und Zukunft haben. Das gilt erst Recht, wenn objektiv der Eindruck entsteht, dass der Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft V. AG mögliche Schadensersatzansprüche gegen amtierende oder ausgeschiedene Vorstandsmitglieder der V. AG weder pflichtgemäß prüft noch durchsetzt noch Maßnahmen ergreift, um etwa durch verjährungshemmende Schritte eine spätere Durchsetzung nach vollständiger Aufklärung des Sachverhalts zu gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1997 – II ZR 175/95 -, BGHZ 135, 244 ff.). Spätestens in dieser Situation konkretisiert sich die Pflicht der Organe der Beklagten, im Vermögensinteresse der Beklagten eigene Möglichkeiten zur Sicherung und Durchsetzung solcher Ansprüche der Beteiligungsgesellschaft V. AG mindestens zu prüfen – bis hin zur Einleitung eines Klagezulassungsverfahrens nach § 148 Abs. 1 AktG, sofern die primär zuständigen Organe der V. AG pflichtwidrig untätig bleiben. Denn in einer solchen Situation liegt es objektiv im wohlverstandenen unternehmerischen Interesse der Beklagten, wenn auf der Ebene der V. AG Ersatzpflichtige zur Haftung herangezogen und über die Kompensation entstandener Schäden auch eine mittelbare Kompensation des Wertverlusts eintreten kann, den die Beklagte selbst infolge des „Dieselskandals“ erlitten hat und künftig noch erleiden könnte.Randnummer135

Für die Pflicht zur eigenen Befassung genügt im Übrigen bereits, wenn mit erheblichen Auswirkungen auf den Marktwert der Beteiligung und auf die Dividendenerträge zu rechnen ist. Das ist hier der Fall. Die Beklagte ist wirtschaftlich von der V. AG abhängig, die Beteiligung bildet ihr „Kerninvest“.Randnummer136

Für die Frage der Befassungspflicht kommt es nicht darauf an, inwieweit entsprechende Risiken für die Gesellschaft bereits realisiert sind. Nach § 91 Abs. 2 AktG ist der Vorstand einer Aktiengesellschaft verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzuführen, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG wird eine allgemeine Leitungspflicht des Vorstands abgeleitet (dazu Fleischer, in Spindler/Stilz, AktG Kommentar 3. Aufl. § 91 Rn. 49). Die vorgenannten Pflichten setzen nicht erst ein, wenn bestehende Risiken sich realisieren.Randnummer137

Der „Dieselskandal“ der V. AG war und ist mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken für die Beklagte verbunden.Randnummer138

An der Pflicht, sich bei pflichtgemäßer Unternehmensführung ständig mit den sich aus dem „Dieselskandal“ ergebenden Risiken auseinanderzusetzen, ändert auch der Hinweis der Beklagten im Geschäftsbericht 2015 nichts, eine bilanzielle Abschreibung auf den (unter dem Beteiligungsbuchwert liegenden) Börsenkurs sei trotz Rückgangs der Börsenkapitalisierung (sprich: Kursverfall der V.-Aktie) „auf der Grundlage der Ertragserwartungen“ unterblieben (Anl. B 2, Seite 91). Wirtschaftlich ist ihr dennoch bereits aufgrund des Kursverfalls ein erheblicher Schaden entstanden. Die fortbestehenden Risiken aus dem „Dieselskandal“ können die Beklagte auch weiterhin treffen. Die Beklagte selbst stellt in ihrem eigenen Geschäftsbericht abstrakt dar, dass „die Risiken aus der Beteiligung an der V. AG“ die Beklagte „in Form von Bewertungs-, Konsolidierungs-, Dividenden- und Haftungseffekten“ treffen (der „Dieselskandal“ wird in diesem Satz nicht angesprochen; vgl. Anl. K 59, Seite 138).Randnummer139

Vorliegend gab es – schon zum Zeitpunkt der Hauptversammlung der Beklagten – Anhaltspunkte dafür, dass Mitarbeiter der V. AG seit Jahren im Bereich des Kerngeschäfts der Gesellschaft, bei der Produktion von Automobilen, betrügerische Handlungen vorgenommen und in einer großen Zahl von Fällen (allein in den USA sind nach eigenen Angaben 585.000 verkaufte Fahrzeuge betroffen) das Inverkehrbringen der Fahrzeuge und die Fahrzeugzulassung im In- und Ausland durch Manipulationen mithilfe der Motorsteuerungssoftware erschwindelt hatten. Nicht zuletzt durch die Veröffentlichungen der US-amerikanischen Behörden und durch eigene Pressemitteilungen der V. AG wurde dieser Skandal im Herbst 2015 allgemein bekannt.Randnummer140

Im „Statement of Facts“ ist eine V.-interne Präsentation erwähnt, die am 28.04.2014 gegenüber „Supervisor E“ gehalten wurde, dessen Identität sich aus den vorgelegten Unterlagen nicht ergibt, bei dem es sich aber um eine Führungskraft bei der V. AG handelt. Es ist aufgrund der eigenen Angaben der V. AG davon auszugehen, dass diese Präsentation die potentiellen Konsequenzen für V. bei Entdeckung des „Defeat Devices“ zum Gegenstand hatte, einschließlich möglicher empfindlicher Strafen (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 56). Die V. AG musste zusätzlich zur Schädigung des Unternehmensrufs nach Bekanntwerden des „Dieselskandals“ mit einer Milliardenstrafe und außerdem damit rechnen, bei Entdeckung des Betruges und der Manipulationen einer Vielzahl von Klagen von Fahrzeugkäufern nicht nur in den USA ausgesetzt zu sein. Eine weitere von der Antragstellerin vorgelegte, in der Presse veröffentlichte V.-interne Unterlage zeigt, dass man dort die Chancen und Risiken zweier „Behördenstrategien“ (einerseits „offensiv“, d.h. mit Aufklärung und der Chance verbunden, dass Strafzahlungen „geringer ausfallen“ könnten, jedoch auch verbunden mit dem „Risiko“, dass sich die Zulassung der dritten Motorengeneration verzögere; andererseits „defensiv“ mit dem Risiko „sehr hoher Strafzahlungen“) gegeneinander abwog. Ob diese Präsentation tatsächlich, wie in der Presse behauptet, laut Zeugenberichten am 27.07.2015 dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der V.-AG und Vorstandsvorsitzenden der Beklagten Herrn Prof. Dr. W. gezeigt wurde (vgl. Anl. K 69, Seite 5), spielt für das generelle Bestehen der Auskunftspflicht der Beklagten nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG über den „Dieselskandal“ als mittelbare Eigenangelegenheit keine entscheidende Rolle.Randnummer141

Für die V. AG war spätestens im September 2015 klar, dass aufgrund des „Dieselskandals“ mit empfindlichen finanziellen Belastungen des Ergebnisses nicht zuletzt durch Strafzahlungen und Inanspruchnahme durch Fahrzeugkäufer zu rechnen war. Dies zeigt sich auch an der am 22.09.2015 angekündigten Bildung von Rückstellungen in Höhe von rund 6,5 Milliarden EUR, die das Jahresergebnis belasteten (vgl. Anl. B 25).Randnummer142

Die bereits im Herbst 2015 erkannten potentiellen finanziellen Belastungen realisierten sich später auch. Der am 11.01.2017 mit US-Behörden vereinbarte Vergleich sah eine Verpflichtung zu Bußgeld- und Strafzahlungen in Höhe von 4,3 Milliarden US-Dollar zusätzlich zur bereits übernommenen und im Vergleichstext erwähnten Verpflichtung vor, an bestimmte Geschädigte und an einen Trust rund 11 Milliarden US-Dollar zu bezahlen (Anl. K 61, Seite 11, 13). In Presseberichten vom Juli 2016 war bereits von neun Milliarden Euro Entschädigung für US-Kunden, nämlich zwischen 5.000 und 10.000 EUR für jeden US-amerikanischen Käufer eines betroffenen Dieselfahrzeugs die Rede (Anl. K 2).Randnummer143

Diese Zahlungsverpflichtungen wie auch wegen des „Dieselskandals“ zu bildende Rückstellungen minderten das wirtschaftliche Ergebnis der V. AG und damit deren potentiell ausschüttungsfähigen Bilanzgewinn (§§ 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 58 Abs. 4 AktG) und somit die Chancen der Aktionäre – also auch der Beklagten – auf Dividendenzahlungen überhaupt und in entsprechender Höhe.Randnummer144

Schon aus diesem Grunde handelt es sich beim „Dieselskandal“ um eine mittelbare Eigenangelegenheit der Beklagten im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG. Ob und ggf. aus welchen Gründen eine Abschreibung des Werts der Beteiligung auf den Börsenwert unterblieb, kann für diese Frage dahingestellt bleiben.Randnummer145

Hinzu kommt, dass gerichtsbekannt bei der V. AG nicht nur die Gerichtskosten, Entschädigungs- und Strafzahlungen, zu denen sich der Konzern in den USA in Milliardenhöhe verpflichtet hat, sondern auch Kosten aus Rückrufaktionen und zahlreichen von Fahrzeugkäufern angestrengten Zivilprozessen in Deutschland und anderen Ländern negativ zu Buche schlagen. Der V. AG drohten allein in den USA wegen des Einsatzes der manipulativen Motorsteuerungssoftware Strafen von theoretisch bis zu 37.500 US-Dollar pro Fahrzeug, was sich allein bei den 482.000 Fahrzeugen, deren Rückruf die EPA forderte, auf über 18 Milliarden US-Dollar summiert hätte (vgl. Anl. B 23 – Spiegel-Online-Berichterstattung vom 18.09.2015). Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass schon angesichts der später von der US-Justiz strafschärfend berücksichtigten Behinderung der Justiz durch Vernichtung von Dokumenten sich die V. AG entgegen der Darstellung im Konzernlagebericht 2015 weder im hier maßgeblichen Entlastungszeitraum 2015 noch im Jahr 2016 sicher sein konnte, dass die zu erwartenden Kosten in den USA (Rückrufkosten, Nachrüstungskosten, Strafzahlungen) „insgesamt beherrschbar“ sein und sich „nicht grundlegend“ von denjenigen anderer Fahrzeughersteller unterscheiden würden (so aber Anl. K 18, Seite 52).Randnummer146

Weltweit waren nach der eigenen Ad hoc-Mitteilung vom 22.09.2015 insgesamt rund 11 Millionen Fahrzeuge von den „Auffälligkeiten“ betroffen (Anl. B 25). Zunächst war seitens der V. AG „lediglich“ von ergebnisbelastenden Rückstellungen im dritten Quartal 2015 von 6,5 Milliarden die Rede (so in der Ad hoc-Mitteilung vom 22.09.2015, Anl. B 25). Im Bericht des Konzernabschlussprüfers, abgedruckt im Geschäftsbericht der V. AG vom 22.04.2016 war dann von im Geschäftsjahr 2015 gebildeten Rückstellungen für Gewährleistungen und Rechtsrisiken von insgesamt 14,8 Mrd. EUR die Rede (Anl. B 36, Seite 303). Das bilanzielle Eigenkapital (einschließlich Kapital- und Gewinnrücklagen) der V. AG belief sich zum 31.12.2015 auf rund 24,368 Mrd. EUR (vgl. Anl. B 2, Seite 185; siehe auch Einzelabschluss der V. AG). Bereits Rückstellungen in Höhe von 2.500 EUR pro betroffenem Fahrzeug (für Strafzahlungen, Nachrüstungskosten, Kosten der Rückabwicklung, Prozesskosten) hätten bei 11 Millionen betroffener Fahrzeuge zu Aufwendungen von über 27 Mrd. EUR geführt. Selbst wenn man für „Nachrüstkosten“ und Zivilklagen von Fahrzeugkäufern weltweit im Durchschnitt nur 1.500 EUR veranschlagt hätte (bei 11 Millionen Fahrzeugen) und ausschließlich Strafzahlungen in den USA für 500.000 Fahrzeuge bei Ausschöpfung des Strafrahmens von 37.500 US-Dollar (Umrechnungskurs zum 31.12.2015 gerichtsbekannt rund 0,92 EUR / Dollar) pro Fahrzeug einkalkuliert hätte, hätte sich ebenfalls eine Belastung von über 33 Mrd. EUR ergeben.Randnummer147

Bei Beträgen in dieser Größenordnung wäre zur Überzeugung der Kammer angesichts der Ertragssituation im Übrigen das Eigenkapital der V. AG angetastet, wenn nicht sogar vollständig aufgebraucht gewesen. Die Kammer ist dementsprechend davon überzeugt, dass sich die V. AG zumindest in den Jahren 2015 und 2016 wegen des „Dieselskandals“ und der daraus resultierenden Risiken in einer existenzbedrohenden Krise befand. Das erklärt auch, dass der Vorstandsvorsitzende der V. AG, M., in Presseberichten vom Juli 2016 dahingehend zitiert wird, er warne vor „drastischen Konsequenzen“, falls der Autobauer im Abgas-Skandal Kunden in Europa nach US-Vorbild entschädigen müsse. Eine Entschädigungszahlung in beliebiger Höhe überfordere auch die V. AG (Anl. K 6, K 7). Mit dieser „Überforderung“ meinte der Vorstandsvorsitzende nach dem Verständnis der Kammer nichts anderes als eine drohende Insolvenz der V. AG.Randnummer148

Die Kammer zieht aus den Fakten mit Blick auf die Existenzgefährdung andere Schlüsse als die Beklagte, die „nach dem gegenwärtigen Stand“ keine existenzbedrohende Lage sehen will und – wohl entgegen der Auffassung des Vorstandsvorsitzenden der V. AG – meint, die Situation führe die V. AG auch nicht an ihre wirtschaftliche Leistungsgrenze (Bl. 224 d.A.).Randnummer149

Eine etwaige Insolvenz der V. AG hätte für die Beklagte bei bilanzieller Betrachtung die zwingende Abschreibung der Beteiligung auf 0 EUR zur Folge. Legt man die Größenordnung des bilanziellen Eigenkapitals der Beklagten zugrunde (es Betrug zum 31.12.2015 rund 23,606 Mrd. EUR), so wäre dieses annähernd aufgebraucht, wenn die aktivierten Finanzanlagen (zu denen die Beteiligung an der V. AG mit einem Buchwert von rund 22,034 Mrd. EUR zählte) auf 0 EUR abgeschrieben werden müssten.Randnummer150

Angesichts dieser Verhältnisse ist die Kammer davon überzeugt, dass sich infolge des „Dieselskandals“ auch die Beklagte 2015 und 2016 in einer existentiellen Krise befand (und möglicherweise noch immer befindet, worauf es allerdings hier nicht ankommt). Sich in dieser Situation mit den Folgen des „Dieselskandals“ der V. AG nicht durch eigene Beurteilungen zu befassen, wäre unternehmerisch nicht nachvollziehbar. Mit anderen Worten: Wann, wenn nicht 2015 und 2016, mussten sich Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten gemäß §§ 93 Abs. 1, 111 Abs. 1 AktG mit dem „Dieselskandal“ der V. AG als eigene Angelegenheit der Beklagten befassen.

(2)Randnummer151

Wie bereits dargelegt, indiziert unabhängig von den oben dargestellten Konsequenzen der §§ 93 Abs. 1, 111 Abs. 1 AktG die tatsächliche Befassung von Organen der Obergesellschaft mit einer Angelegenheit des verbundenen Unternehmens, dass es sich um eine mittelbare Eigenangelegenheit der Obergesellschaft im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG handelt. Auch dieses Kriterium ist vorliegend erfüllt:Randnummer152

Aus dem Geschäftsbericht der Beklagten für das Geschäftsjahr 2015 ergibt sich zumindest, dass sich der Aufsichtsrat u.a. in der Sitzung vom 24.09.2015 „über die Dieselthematik im V-Konzern informiert“ habe und dass sich der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates mit wesentlichen Abschlussthemen bzw. Prüfungsschwerpunkten wie „den Auswirkungen der Abgasproblematik bei bestimmten Dieselmotoren des V. Konzerns auf die Bilanzierung bei der P. SE“ befasst und diese mit dem Abschlussprüfer diskutiert habe (Anl. K 59, Seite 25, 27, 28). Die Möglichkeit weiterer Belastungen des der Beklagten zugerechneten Ergebnisses und des Dividendenzuflusses (sprich: Dividendenkürzung oder Ausfall der Dividende in künftigen Jahren) wird explizit im Konzernlagebericht der Beklagten angesprochen (Anl. K 59, Seite 143). An anderer Stelle heißt es, die „Gesamtrisikosituation“ für den P. SE Konzern ergebe sich aus den spezifischen Risiken der P. SE und aus „den Einzelrisiken der wesentlichen Beteiligung an der V. AG“ (Anl. K 59, Seite 161). Das deutliche Absinken „der Börsenkapitalisierung“, m.a.W. des Marktwerts der Beteiligung an der V. AG – als Folge des „Dieselskandals“ veranlasste die Beklagte ausweislich des eigenen Konzernlageberichts zudem zu einem „Werthaltigkeitstest“ (Anl. K 59, Seite 143, 190, 230).

(3)Randnummer153

Schließlich spricht auch das dritte Kriterium, die Kapitalmarktrelevanz, im vorliegenden Fall für das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit der Beklagten.Randnummer154

Für alle Rechtsverstöße, die von der V. AG im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ begangen und oben zusammenfassend dargestellt wurden, wie auch für die wegen des Skandals drohenden hohen Strafen, Bußgeldzahlungen und Kosten durch Inanspruchnahme von Fahrzeugkäufer gilt: Mindestens bis zur Aufdeckung der Erkenntnisse der US-Behörden am 18.09.2015 handelte es sich jeweils um eine Insiderinformation im Sinne des § 13 Abs. 1 WpHG in der bis 02.07.2017 geltenden Fassung.Randnummer155

Sowohl die jahrelange Täuschung der US-Behörden durch eine manipulative Motorsteuerungssoftware bei der Einfuhr und Fahrzeugzulassung als auch die Dokumentenvernichtung während laufender Ermittlungen der US-Behörden, von den US-Behörden als strafschärfende Behinderung der Justiz bewertet, sind konkrete Informationen über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf die V. AG als Emittenten börsennotierter Aktien beziehen und die – wie der Kursverfall belegt – geeignet waren, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- und Marktpreis der V.-Aktien erheblich zu beeinflussen. Das Bekanntwerden des „Dieselskandals“ im September 2015 hatte tatsächlich erhebliche Auswirkungen auf den Aktienkurs der V. AG-Aktie. Der Kurs der Vorzugsaktie sackte von rund 167,80 EUR am 17.09.2015 auf 106,00 EUR am 22.09.2015 ab (Anl. ASt. 8 des Verfahrens 31 O 28/16 KfH, LG Stuttgart). Die Kursrelevanz dieser Ereignisse für die V. AG ist damit durch die tatsächliche Entwicklung belegt.Randnummer156

In Bezug auf drohende Straf- und Bußgeldzahlungen ergibt sich das Vorliegen einer Insiderinformation auf der Ebene der V. AG aus § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F., denn es war bereits damals von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Verhängung von Strafen auszugehen, wie bereits die von V. AG im „Statement of Facts“ in Bezug auf den 28.04.2014 eingeräumte unternehmensinterne Diskussion der verschiedenen „Behördenstrategien“ belegt (vgl. Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 56). Die dem betroffenen Emittenten auferlegte kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflicht derartiger Insiderinformationen ergab sich seinerzeit aus § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F.Randnummer157

Auch die Versuche der V. AG, die US-amerikanische Justiz bei der Aufklärung des „Dieselskandals“ durch Vernichtung von Dokumenten und durch vorgebliche Aufklärungsbemühungen zu behindern, waren bis zu ihrer Aufdeckung kapitalmarktrechtlich relevante Insiderinformationen, denn durch diese im „Statement of Facts“ eingeräumten Vertuschungsversuche erhöhte sich das später auch eingetretene Risiko höherer Strafen wegen der technischen Manipulationen mithilfe der Motorsteuerungssoftware gegenüber einem hypothetischen Szenario bei tatsächlicher Aufklärungsbereitschaft. Die Behinderung der US-amerikanischen Justiz stellt neben neben der manipulativ erwirkten Fahrzeugzulassungen einen weiteren Gesetzesverstoß dar und konnte von der US-amerikanischen Justiz und von US-Behörden zur Begründung höherer Strafen herangezogen werden. Die Höhe der zunächst zu erwartenden und dann auch tatsächlich verhängten Strafen in den USA wiederum beeinflusste die Ertragssituation der V. AG und über den Dividendenfluss auch der Beklagten.Randnummer158

Dass die Beklagte letztlich selbst davon ausgegangen sein dürfte, dass sich aus dem „Dieselskandal“ bei V. AG erhebliche eigene Risiken ergeben, wird durch die oben zitierten Ausführungen im Konzernlagebericht der Beklagten für das Jahr 2015 belegt. Dort ist von einem durchgeführten „Werthaltigkeitstest“ und von „Risiken unerwarteter weiterer Belastungen“ sowohl hinsichtlich des zugerechneten Ergebnisses als auch des Dividendenflusses die Rede (Anl. K 59).Randnummer159

Die Insiderinformationen um den „Dieselskandal“ auf der Ebene der V. AG schlagen bereits wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Beteiligung kapitalmarktrechtlich auf die Beklagte durch, d.h. sie stellen zugleich Insiderinformationen dar, die die Beklagte unmittelbar betreffen. Die Kapitalmarktrelevanz zeigt sich bereits an der tatsächlichen Kursentwicklung der Porsche-Aktien, d.h. an dem im September 2015 einsetzenden Kursverfall (Anl. K 59, Seite 45).Randnummer160

Seit dem am 03.07.2016 in Kraft getretenen Art. 7 Abs. 1 lit. a der Marktmissbrauchsverordnung ist klar, dass ein indirekter Emittentenbezug der Information genügt, um einen Lebenssachverhalt als Insiderinformation ansehen zu können. Nach dem Wortlaut von § 15 Abs. 1 WpHG a.F. (bis 01.07.2016 geltende Fassung) bestand die Ad hoc-Publizitätspflicht zwar nur bezüglich Insiderinformationen, die den Emittenten „unmittelbar betreffen“. Selbst zum alten Recht war aber anerkannt, dass jedenfalls Tatsachen, die im Tätigkeitsbereich einer zum Vollkonsolidierungskreis gehörenden Tochtergesellschaft des Emittenten eingetreten sind (§§ 290 ff. HGB), aus kapitalmarktrechtlicher Perspektive einen ausreichenden Bezug zum Tätigkeitsbereich der Muttergesellschaft haben, und dass darüber hinaus selbst Ereignisse aus dem Tätigkeitsbereich von verbundenen Unternehmen i.S.d. § 271 Abs. 2 HGB, die gem. § 296 HGB nicht konsolidiert werden, dem Tätigkeitsbereich des Emittenten zugerechnet werden. Anders wurde dies bei einer reinen Finanzbeteiligung des Emittenten an einem anderen Unternehmen beurteilt, bei der die Möglichkeit des Emittenten zur Einflussnahme auf die unternehmerische Tätigkeit des Beteiligungsunternehmens fehlt (Zimmer/Kruse, in Schwark, WpHG-Kommentar 4. Aufl. 2010, § 15 WpHG Rn. 46).Randnummer161

Die Beklagte behauptet zwar, ihre Beteiligung an der V. AG vermittle keinen maßgeblichen Einfluss auf die strategischen und operativen Entscheidungen, und ihre Stellung gehe nicht über die einer reinen Mehrheitsaktionären der V. AG hinaus (Bl. 214 f. d.A.). Dabei berücksichtigt die Beklagte jedoch nicht hinreichend, dass im Einzelfall bereits die Stellung als Mehrheitsgesellschafter ausreichen kann, um eine hinreichende Einflussnahme mit der Folge einer kapitalmarktrechtlichen „Zurechnung“ von Insiderinformationen als „eigene“ im oben beschriebenen Sinne zu rechtfertigen. Richtig ist, dass es aufgrund von § 4 Abs. 3 des „V.-Gesetzes“ und § 25 Abs. 2 der Satzung bei der Stimmrechtsausübung bei der V. AG Besonderheiten gibt (vgl. Bl. 218, 223 und Anl. B 10). Nach der Regelung des V.-Gesetzes bedürfen Beschlüsse der Hauptversammlung, für die nach dem Aktiengesetz eine Mehrheit erforderlich ist, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst, einer Mehrheit von mehr als vier Fünftel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals der Gesellschaft. Das Land N., das eine Beteiligung von knapp über 20% hält, verfügt damit etwa bei satzungsändernden Beschlüssen und bei sonstigen hauptversammlungspflichtigen Umstrukturierungen, die einer ¾-Mehrheit bedürfen, über eine Sperrminorität. Es mag sein, dass aufgrund einer Grundlagenvereinbarung das Land N. bereits ab einer Beteiligung von 15% der Stammaktien zwei Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden darf (Bl. 217 d.A.), so dass dieser auf Seite der Anteilseigner nicht von der Beklagten allein dominiert wird. Die Sperrminorität des Landes N. bezogen auf die genannten Beschlussgegenstände und das Entsenderecht bezüglich des Aufsichtsrates ändern jedoch nichts daran, dass sich bei allen übrigen Abstimmungen in der Hauptversammlung die Beklagte mit ihrer Stimmrechtsmehrheit durchsetzen und damit in den Grenzen des ohne einen Beherrschungsvertrag aktienrechtlich Zulässigen die Geschicke der V. AG bestimmen kann. Der in der Praxis große Einfluss der Beklagten auf die Geschäfte der V. AG wird durch die personellen Verflechtungen und Doppelmandate noch verstärkt.Randnummer162

Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass die oben genannten Vorgänge um den „Dieselskandal“ bei der V. AG bis zu ihrem öffentlichen Bekanntwerden zugleich eine die Beklagte im kapitalmarktrechtlichen Sinne unmittelbar betreffende Insiderinformation darstellten. Über die Frage, ob und wann der Vorstand der Beklagten von den Vorgängen um den „Dieselskandal“ bei der V. AG Kenntnis hatte oder ob kraft Pflicht zur „Wissensorganisation“ oder kraft Wissenszurechnung seine Kenntnis fingiert wird, ist damit freilich noch nichts gesagt (zu dieser Problematik Habersack, DB 2016, 1551 ff.). Die letztgenannte Frage musste zur Entscheidung über den Auskunftsanspruch aber auch nicht geklärt werden. Ob und wann diese Kenntnis bei welchem Vorstandsmitglied vorlag, hat vielmehr der Vorstand der Beklagten nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG in Erfüllung der vorliegenden Entscheidung zunächst zu erklären, soweit nicht bereits geschehen.

(4)Randnummer163

Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass aus den genannten Gründen die Vorgänge um den „Dieselskandal“ der V. AG nach allen drei oben genannten Kriterien und Fallgruppen (auch) als eigene Angelegenheit der Beklagten im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG anzusehen sind.

bb)Randnummer164

Die konkret gestellten Fragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung und zu den getroffenen Maßnahmen in Bezug auf den „Dieselskandal“ erfüllen die Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG.Randnummer165

Anknüpfungspunkt der Fragen 1 und 2 sind „Rechtsverstöße, die heute unter dem Begriff Dieselgate bekannt sind“. Gefragt wird nach dem Zeitpunkt, ab dem Organmitglieder der Beklagten und der „Konzerngesellschaft V.“ Kenntnis von diesen Rechtsverstößen hatten, und nach den (nach Kenntniserlangung) getroffenen Maßnahmen.

(1)Randnummer166

Die Kenntnis der eigenen Organmitglieder bezogen auf Vorgänge, die dem „Dieselskandal“ zuzuordnen sind, ist von vornherein eine eigene Angelegenheit der Beklagten im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG. Soweit nach der Kenntnis der Organmitglieder der V. AG von Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ gefragt wurde, handelt es sich primär um eine eigene Angelegenheit der V. AG, mit der sich aber, weil sie den „Dieselskandal“ betrifft, auch Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten selbst befassen mussten, wenn sie ihre Pflichten aus § 93 Abs. 1 und § 111 AktG ernst nahmen. Soweit nach Maßnahmen der Organmitglieder nach Kenntniserlangung gefragt wurde, ist die damit aufgeworfene Frage des Verhaltens der einzelnen Organmitglieder untrennbar mit dem „Dieselskandal“ verknüpft.Randnummer167

Das Auskunftsverlangen hatte damit in Bezug auf die vorstehend genannten Fragen insgesamt einen zulässigen, von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG umfassten Gegenstand.

(2)Randnummer168

Die Fragen weisen einen hinreichenden Bezug zu Tagesordnungspunkten der Hauptversammlung auf und die Beantwortung der Fragen ist zur Beurteilung dieser Tagesordnungspunkte auch von wesentlicher Bedeutung.Randnummer169

Voraussetzung eines Auskunftsrechts der Aktionäre ist, dass die Auskunft aus Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs zur Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich bzw. die Information in diesem Sinne wesentlich ist. Die Begriffe „erforderlich“ in § 131 Abs. 1 AktG und „wesentlich“ in § 243 Abs. 4 S. 1 AktG sind inhaltsgleich: Auskünfte, die aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsaktionärs zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung nicht erforderlich sind, können aus Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte bei der Beschlussfassung zu diesem Tagesordnungspunkt nicht wesentlich sein (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 331, juris m.w.N.). Maßstab für die Erforderlichkeit bzw. Wesentlichkeit einer Auskunft ist die Sicht eines objektiv urteilenden Durchschnittsaktionärs, der die Gesellschaftsverhältnisse nur auf Grund allgemein bekannter Tatsachen kennt und daher die begehrte Auskunft als wesentliches Beurteilungselement benötigt (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 332, juris). Nicht jede marginale Information ist in diesem Sinne zur Beurteilung eines Beschlussgegenstandes erforderlich (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 333, juris).Randnummer170

Auf der Tagesordnung standen vorliegend die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten sowie der Beschluss über die Verwendung des Bilanzgewinns für das Geschäftsjahr 2015. Durch einen Entlastungsbeschluss billigt die Hauptversammlung gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG die Verwaltung der Gesellschaft durch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats. Mit der Entlastungsentscheidung haben die Aktionäre einer Aktiengesellschaft darüber zu entscheiden, ob die Tätigkeit der Organmitglieder im abgelaufenen Geschäftsjahr zu billigen ist, sie in der Unternehmensführung eine „glückliche Hand“ bewiesen haben und ihnen das Vertrauen auch für ihre künftige Tätigkeit auszusprechen ist (BGH, Urt. v. 18.10.2004, II ZR 250/02, Rn. 10; OLG Frankfurt, Urteil vom 02. Oktober 2012 – 5 U 10/12 –, Rn. 94, juris).Randnummer171

Steht die Entlastungentscheidung auf der Tagesordnung, so muss sich das Auskunftsbegehren auf Vorgänge von einigem Gewicht richten, die sich grundsätzlich im Entlastungszeitraum zugetragen haben müssen und die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 335, juris).

(3)Randnummer172

Die oben (2) genannten Kriterien sind in Bezug auf die Fragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung und zu den getroffenen Maßnahmen erfüllt.Randnummer173

Die Organmitglieder der V. AG stehen – auch im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ – im Rahmen der „Corporate Governance“-Diskussion wegen der möglicherweise mangelnden praktischen Umsetzung der „Corporate-Governance-Prinzipien“ in der öffentlichen Kritik (immerhin wird der Vorsitzende der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance in einem Interview der Börsenzeitung damit zitiert, formal erfülle V. zwar die Regularien, Studien zufolge mangele es jedoch an der Umsetzung der Prinzipien und der praktischen Handhabung, wobei V. primär ein strafrechtlich relevanter Fall sei, vgl. Anl. K 5). Das Verhalten der Organmitglieder der V. AG – um das es freilich bei der Entlastungsentscheidung bei der Hauptversammlung der Beklagten nicht unmittelbar ging – lässt sich nicht losgelöst vom „Dieselskandal“ beurteilen.Randnummer174

Es kann dahingestellt bleiben, wie lange die von Mitarbeitern und möglicherweise auch Organmitgliedern der V. AG begangenen Rechtsverstöße im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ in die Vergangenheit reichen. Dass sie auch das Geschäftsjahr 2015 betreffen, in dem die V. AG dem „Statement of Facts“ zufolge kontinuierlich Fahrzeuge mit Motorsteuerungssoftware zur Manipulation von Messwerten des Schadstoffausstoßes in Verkehr gebracht und die US-amerikanische Justiz behindert hat, steht fest.Randnummer175

Die beiden Fragen, seit wann die Organmitglieder der Beklagten selbst Kenntnis von im Jahr 2015 im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ begangenen Rechtsverstößen hatten, und welche Maßnahmen sie hierauf getroffen haben, sind für die Beurteilung, ob sich die Organmitglieder selbst pflichtgemäß verhalten haben und ihre Tätigkeit für die Gesellschaft billigenswert erscheint, von entscheidender Bedeutung.Randnummer176

Kannten die Organe der Beklagten die Rechtsverstöße schon vor deren Veröffentlichung, so muss nämlich die Frage aufgeworfen werden, welche Möglichkeiten die Organmitglieder der Beklagten hatten, den Einfluss der Mehrheitsaktionärin und im Aufsichtsrat der V. AG geltend zu machen, um diese Verstöße zumindest für die Zukunft abzustellen und weiteren Schaden von der V. AG und damit wirtschaftlich auch von der Beklagten fernzuhalten.Randnummer177

Mithilfe einer Antwort auf die Frage nach getroffenen Maßnahmen hätte ein objektiv urteilender Aktionär vor dem Entlastungsbeschluss selbst beurteilen können, ob die Organe der Beklagten beispielsweise eigene Schadensersatzansprüche der Beklagten (etwa angesichts des Kursverfalls der Beteiligung und absehbar geringeren Dividendenerträgen) gegen die V. AG oder gegen Verantwortliche des „Dieselskandals“ sorgfältig geprüft haben und ob Organmitglieder der Beklagten, die zugleich Aufsichtsratsmitglieder der V. AG waren, ihrer Pflicht zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen der V. AG gegen ehemalige oder amtierende Vorstandsmitglieder der Gesellschaft nachgekommen sind (grundlegend BGH, 21.04.1997 – II ZR 175/95 – „ARAG/Garmenbeck“). Diese Fragen müssten – bei objektiver Betrachtung – für die Beklagte als „beteiligungsverwaltende Holding“ nunmehr im Kern des wirtschaftlichen Interesses stehen. Auch die Beantwortung der Aktionärsfragen nach getroffenen Maßnahmen war somit zur sachgerechten Beurteilung der Beschlussgegenstände der Hauptversammlung – hier: der Entlastungsentscheidungen – erforderlich im Sinne der §§ 131 Abs. 1 Satz 1, 243 Abs. 4 Satz 1 AktG.Randnummer178

Eine Beantwortung der an die Organe der Beklagten gerichteten Frage nach dem Zeitpunkt, ab dem die Organmitglieder der V. AG Kenntnis von den im Rahmen des „Dieselskandals“ begangenen Rechtsverstößen hatten, lässt nicht nur Rückschlüsse darauf zu, inwieweit die Verwaltung der V. AG dem Legalitätsprinzip nachgekommen ist, sondern auch Rückschlüsse darauf, inwieweit die Verwaltung der Beklagten das Handeln von Vorstand und Aufsichtsrat der V. AG einer eigenständigen Prüfung unterworfen haben kann (dass es daran fehlt, läge nahe, wenn die Frage – wie nicht – dahingehend beantwortet worden wäre, es lägen der Beklagten keine Erkenntnisse über den Zeitpunkt der Kenntniserlangung bei Organmitgliedern der V. AG vor). Die Beantwortung der Fragen 1 und 2 war mithin auch insoweit zur Beurteilung des Verwaltungshandelns der Beklagten im Geschäftsjahr 2015 und damit für die von der Hauptversammlung zu treffende Entlastungsentscheidung erforderlich.Randnummer179

Die Frage nach der Kenntniserlangung der Organmitglieder der V. AG ist zudem für die Beurteilung der Haftungsrisiken der V. AG von Bedeutung. Diese Risiken wirken sich, wie bereits gezeigt, wiederum auf die Gewinnaussichten der V. AG und mittelbar der Beklagten und über den Dividendenfluss zudem auf die Liquiditätssituation der Beklagten aus.Randnummer180

Auch wenn im Allgemeinen zur Beurteilung der Gewinnverwendung regelmäßig vor allem Auskünfte zur Gewinnermittlung oder zur Bildung von Rückstellungen erforderlich sind, jedoch nicht Auskünfte zu sämtlichen Geschäftsvorfällen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Februar 2012 – 20 W 5/11 –, Rn. 370, juris), kann der „Dieselskandal“ der V. AG tiefgreifende Folgen für deren Fähigkeit haben, eine Dividende auszuschütten, was wiederum einen Aktionär der Beklagten dazu bewegen kann, die Fortsetzung der bisherigen Ausschüttungspolitik im Hinblick auf die zu erhaltende Liquidität der Gesellschaft in Frage zu stellen. Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten haben im Vorfeld der Hauptversammlung vom 29.06.2016 den Jahresabschluss festgestellt (vgl. TOP 1 der Tagesordnung, Anl. K 1) und der Hauptversammlung einen Vorschlag zur Verwendung des Bilanzgewinns durch Ausschüttung einer Dividende unterbreitet (vgl. TOP 2 der Tagesordnung). Die Beantwortung der gestellten Fragen zur Kenntnis von Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ war im vorliegenden Fall auch zur Beurteilung des Verhaltens von Vorstand und Aufsichtsrat im Hinblick auf den vorgeschlagenen Gewinnverwendungsbeschlusses relevant.

(4)Randnummer181

Die gestellten Fragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung von Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ und nach den getroffenen Maßnahmen sind auch nicht missbräuchlich. Ihre Beantwortung hätte nicht zu einem ausufernden Verlauf der Hauptversammlung und zu deren Belastung mit überflüssigen Informationen geführt, die für eine sachgemäße Beurteilung der Beschluss- und Tagesordnungsgegenstände unerheblich gewesen wären (vgl. BGH, Beschluss vom 14.01.2014 – II ZB 5/12, Rn. 26). Das gilt insbesondere, wenn man in Bezug auf getroffene Maßnahmen dem schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten folgt und die Antwort schlicht gelautet hätte: „Keine“.Randnummer182

4. Keine vollständige Erfüllung des AuskunftsrechtsRandnummer183

Die von der Beklagten gegebene Antwort auf die oben genannten Fragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung von Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ und den getroffenen Maßnahmen sind von der Beklagten in mehrfacher Hinsicht nicht vollständig beantwortet worden. Der Auskunftsanspruch ist teilweise unerfüllt geblieben.

a)Randnummer184

Zunächst ist festzuhalten, dass die Fragen der Aktionäre zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung in personeller Hinsicht nur hinsichtlich derjenigen Organmitglieder beantwortet worden sind, die nicht zugleich Organmitglieder der V. AG waren – und zwar sinngemäß damit, es gebe „keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis“ vor dem 18.09.2015. Die in er Hauptversammlung gegebene Antwort der Gesellschaft scheint zugleich zu implizieren, dass alle Organmitglieder beider Gesellschaften jedenfalls ab der Veröffentlichung vom 18.09.2015 Kenntnis von der Thematik hatten, wenngleich auch dieser Aspekt der Frage nach der erstmaligen Kenntniserlangung hätte pointierter beantwortet werden können.Randnummer185

Die Fragen waren jedoch schon in personeller Hinsicht weiter gefasst. Sie erstreckten sich zum einen ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung aller Organmitglieder der V. AG, auch wenn sie nicht zugleich Organmitglieder der Beklagten waren, von Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“, und zum anderen auch auf die Kenntnis derjenigen Organmitglieder der Beklagten, die zugleich Organmitglieder der V. AG waren, also Organmitglieder mit Doppelfunktion.

b)Randnummer186

In sachlicher Hinsicht bezogen sich die Fragen außerdem nicht nur auf Rechtsverstöße der V. AG, die in der von der Gesellschaft in der Antwort erwähnten „Notice of Violation“ vom 18.09.2015 von US-amerikanischen Behörden genannt sind (nämlich auf das Vorhandensein eines nach US-amerikanischem Umwelt- bzw. Zulassungsrechts unzulässigen „Defeat Devices“ in der Motorsteuerung der Fahrzeuge und auf die falschen Angaben im Rahmen der US-amerikanischen Fahrzeugzulassung). Die Fragen bezogen sich ersichtlich auch auf etwaige Rechtsverstöße gegen das deutsche oder europäische Fahrzeugzulassungsrecht (durch Verwendung „unerlaubter Abschalteinrichtungen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung [EG] Nr. 715/2007). Solche Rechtsverstöße standen gerichtsbekannt bereits zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung am 29.06.2016 in Zivilprozessen in der Diskussion. Im Geschäftsbericht der Beklagten ist u.a. von erforderlichen „weltweiten“ Lösungen, von Verfahren beim deutschen Kraftfahrtbundesamt, beim spanischen Industrieministerium und der „Vehicle Certification Agency“ in Großbritannien die Rede (Anl. K 59, Seite 209). Zur Kenntniserlangung von Rechtsverstößen in anderen Jurisdiktionen außerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika, von den Fragestellern explizit angesprochen, hat die Beklagte in der Hauptversammlung bei der Beantwortung der Fragen nicht Stellung genommen.Randnummer187

Zum „Dieselskandal“ gehört ferner, wie dargestellt, auch die – in der Antwort der Gesellschaft mit keinem Wort erwähnte – Behinderung der US-amerikanischen Justiz durch Dokumentenvernichtung und durch Versuche, die Aufklärung der Diskrepanz zwischen Emissionsmessungen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb durch die EPA und das CARB zu vereiteln. Wann die Organmitglieder hiervon erfuhren, ergibt sich aus der Antwort nicht. Die Behinderung der US-amerikanischen Justiz war zumindest nicht Gegenstand der „Notice of Violation“ vom 18.09.2015, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb die Antwort ausschließlich an dieses Datum knüpft.Randnummer188

Die zitierte, in der Hauptversammlung erteilte Antwort der Beklagten auf die Aktionärsfragen lässt die vorgenannten Aspekte größtenteils unbeantwortet und genügt nicht den Anforderungen des § 131 Abs. 2 Satz 1 AktG an eine gewissenhafte und getreue Rechenschaft.

c)Randnummer189

Vollständig unbeantwortet blieb in der Hauptversammlung schließlich auch die Frage nach den (von den Organen der Beklagten) getroffenen Maßnahmen. Es wurde lediglich auf die von der V. AG in Auftrag gegebene Untersuchung durch die Rechtsanwaltssozietät JD und auf eine Erklärung der V. AG Bezug genommen.Randnummer190

Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Beklagten, dass diese ungenügende Antwort „impliziert“ habe, dass die Beklagte „darüber hinaus“ keine eigenen Maßnahmen ergriffen habe, die Frage nach getroffenen Maßnahmen also bereits in der Hauptversammlung beantwortet worden sei (Bl. 347 d.A.). Gegen die Interpretation der Beklagten spricht bereits das sich aus § 131 Abs. 2 Satz 1 AktG ergebende Erfordernis einer klaren, verständlichen und damit sachgerechten Beantwortung. Hinzu kommt, dass auf Frage 1 des Aktionärs B. folgende weitere Aktionärsfragen dieselbe Zielrichtung hatten. Das gilt insbesondere für Frage 2 der Aktionärin Sch. (mit fast identischem Wortlaut, einschließlich der erneuten Frage nach Maßnahmen) (Bl. 96 d.A.) und für Frage 7 des Aktionärs G., ob Herr Prof. Dr. F. Pi. zu seinem Wissen über den „Abgasskandal“ befragt worden sei (Bl. 99 d.A.), auf die der Aktionär ebenfalls keine sachgerechte Antwort bekam. Spätestens an dieser Stelle hätten die Organmitglieder der Beklagten in der Hauptversammlung klarstellen müssen, wenn sie hätten die Frage nach getroffenen Maßnahmen dahingehend beantworten wollen, es seien keinerlei eigene Maßnahmen von den Organmitgliedern der Beklagten als Konsequenz aus dem öffentlich bekanntgewordenen „Dieselskandal“ getroffen worden.Randnummer191

Die Rechtsordnung billigt dem Vorstand zu, dass er die Fragen der Aktionäre in der Hauptversammlung abhängig vom Detaillierungsgrad der Frage beantwortet. Je weniger konkret die Frage, desto pauschaler darf die Antwort sein. Von den Aktionären erwartet man, dass sie gegebenenfalls durch Nachfragen kundtun, wenn aus ihrer Sicht das Informationsbedürfnis fortbesteht (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 336, juris). Zeigen die Aktionäre durch wiederholte Nachfragen, dass ihr Informationsbedürfnis nach wie vor nicht befriedigt ist, kann sich umgekehrt die Gesellschaft im Anfechtungsprozess nicht mehr darauf berufen, dass die tatsächlich erteilte Stellungnahme, mit der die Aktionärsfrage objektiv nicht ausdrücklich beantwortet wurde, dahingehend auszulegen sei, sie „impliziere“ eine bestimmte, nicht gegebene Antwort.Randnummer192

Nach dem Verständnis der Kammer hat die Beklagte demnach erst im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits klargestellt, dass ihr Vorstand und Aufsichtsrat „über die laufenden Untersuchungen der V. AG hinaus“ keine eigenen Maßnahmen in Bezug auf den „Dieselskandal“ getroffen hätten (Bl. 143, 278 d.A.). Bei der Beurteilung eines zur Anfechtung führenden Informationsdefizits nach § 243 Abs. 4 AktG kann dies allerdings nicht mehr berücksichtigt werden. Maßgeblich bleibt insoweit die unzureichende Beantwortung der Frage in der Hauptversammlung als Tatsachen- und Entscheidungsgrundlage für die Aktionäre bei der Abstimmung.Randnummer193

5. Kein Auskunftsverweigerungsrecht der BeklagtenRandnummer194

Soweit die vorstehend genannten Aktionärsfragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Organmitglieder und zu den getroffenen Maßnahmen unbeantwortet geblieben sind, stand der Beklagten kein Auskunftsverweigerungsrecht zu.

a)Randnummer195

Der Vorstand darf gemäß § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG die Auskunft verweigern, soweit die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen.Randnummer196

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der potentiellen Nachteilszufügung bei (fiktiver) Offenlegung der gewünschten Information ist der Zeitpunkt der Hauptversammlung (BGH, Beschluss v. 14.01.2014 – II ZB 5/12Rn. 41). Für die Frage der Gefährdung ist die objektive Sachlage entscheidend (BGH, Beschluss v. 14.01.2014 – II ZB 5/12Rn. 43, 44), d.h. allein die bei objektiver Betrachtung unbegründete oder nicht nachvollziehbare Behauptung der Gesellschaft, deren Verwaltung befürchte, dass es bei Offenlegung der gewünschten Information möglicherweise zu Nachteilen kommen könne, genügt nicht. Als Beispiel für einen nicht unerheblichen Nachteil wird die Gefahr der Beeinträchtigung der Kontrahierungsfähigkeit genannt (BGH, Beschluss v. 14.01.2014 – II ZB 5/12Rn. 45; BGH, Urteil v. 16.02.2009 – II ZR 185/07Rn. 42). Ob derartige Nachteile vorliegen, die die Auskunftsverweigerung rechtfertigen, unterliegt unbeschränkter richterlicher Nachprüfung (Hüffer/Koch AktG § 131 Rn. 23; vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 17. November 2010 – 20 U 2/10 –, Rn. 655 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 1991 – 19 W 2/91 Rn. 74). Es genügt, dass die Auskunftserteilung – gegebenenfalls in Verbindung mit der Weiterleitung der Informationen an Dritte – konkret geeignet ist, die Beeinträchtigung hervorzurufen (OLG Stuttgart, Urteil vom 17. November 2010 – 20 U 2/10 –, Rn. 653, juris).Randnummer197

Selbst wenn im zu entscheidenden Einzelfall bei objektiver Betrachtung von einem Nachteil im Sinne des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG bei offener Beantwortung der Aktionärsfrage auszugehen ist, muss allerdings im Einzelfall zwischen den Vorteilen für Gesamtheit der Aktionäre und Gesellschaft bei offener Beantwortung der Frage und den mit der Auskunftserteilung verbundenen objektiven Nachteilen für die Gesellschaft abgewogen werden. Diese Abwägung kann bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen der Verwaltungsorgane der Gesellschaft für die Bejahung der Informationspflicht trotz Vorhandenseins von Nachteilen sprechen (BGH, Beschluss v. 14.01.2014 – II ZB 5/12Rn. 28 und 52; BGH, Urteil v. 16.02.2009 – II ZR 185/07Rn. 43 m.w.N.). Die Offenlegung von Informationen kann trotz damit für die Gesellschaft verbundener Nachteile geboten sein, wenn das Interesse an der Aufklärung von Pflichtverletzungen überwiegt. Ein das Geheimhaltungsinteresse überwiegendes Aufklärungsinteresse ist anzunehmen, wenn zur Aufklärung der Pflichtverletzungen gerade die vom Fragesteller begehrten Informationen geeignet und erforderlich sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 17. November 2010 – 20 U 2/10 –, juris Rn. 669, 672). Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass eine Auskunft über vorgekommene Unregelmäßigkeiten einerseits nachteilig für die Gesellschaft sein kann, andererseits aber auch geeignet sein kann, Missstände zu beseitigen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 1991 – 19 W 2/91 –, juris).Randnummer198

Wohl um das Diskretionsinteresse der Gesellschaft nicht durch prozessuale Regeln zu unterlaufen, hat der BGH entschieden, dass die Gesellschaft die ein Auskunftsverweigerungsrecht begründenden Umstände nicht darlegen und beweisen muss. Es genüge, wenn die Gesellschaft die das Auskunftsverweigerungsrecht begründenden Nachteile „plausibel mache“. Es sei dann Sache des Aktionärs, diejenigen Umstände darzulegen, aus denen ein vorrangiges Aufklärungsinteresse der Gesamtheit der Aktionäre und der Gesellschaft folgt (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2014 – II ZB 5/12 –, Rn. 42, juris). Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage bei § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung von der Darlegungs- und Beweislastverteilung bei Berufung auf rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einwendungen durch den Anspruchsgegner und vom Verhältnis von Regel zu Ausnahme in anderen Situationen (dazu BGH, Urteil vom 13. November 1998 – V ZR 386/97 –, Rn. 13, juris; Greger, in Zöller, ZPO Kommentar, 31. Aufl. 2016, Vor § 284 Rn. 17).Randnummer199

Beruft sich ein Aktionär darauf, dass die für die Gesellschaft nachteilige Auskunftserteilung wegen der dadurch herbeigeführten Aufdeckung von Missständen gleichwohl insgesamt vorteilhaft sei, so hat er seinerseits die Umstände darzutun, die den Schluss auf ein Fehlverhalten der Verwaltung nahelegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 1991 – 19 W 2/91 –, juris).Randnummer200

Zusammengefasst, bedeutet dies: Im ersten Schritt muss im Rahmen des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG die Gesellschaft objektive und „nicht unerhebliche“ Nachteile der Auskunftserteilung in der Hauptversammlung zum damaligen Zeitpunkt „plausibel“ dartun. Gelingt ihr dies, liegt es am Aktionär, im zweiten Schritt ein etwaiges höherrangiges Informationsinteresse darzulegen.

b)Randnummer201

Nach diesen Kriterien ist es der Beklagten bereits nicht gelungen, die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG plausibel darzutun.

aa)Randnummer202

Die Beklagte hat in der Hauptversammlung erklärt, „die Frage, ob diese Organmitglieder [gemeint: Organmitglieder mit Doppelfunktion] in ihrer jeweiligen Funktion im V-Konzern Kenntnis von den der Dieselthematik zugrundeliegenden Umstände erlangt haben“, sei Gegenstand der laufenden Untersuchungen der Rechtsanwaltssozietät JD. Die oben zitierten Fragen der Aktionäre betraf allerdings nicht die Frage nach dem „ob“ der Kenntniserlangung, sondern nach dem Zeitpunkt. Der Verweis auf die Untersuchung durch die im Auftrag der V. AG prüfende Rechtsanwaltssozietät JD ist kein valides Argument zur Begründung eines Auskunftsverweigerungsrechts, denn die Beauftragung einer externen Anwaltskanzlei geht regelmäßig nicht mit einer vertraglichen Verschwiegenheitsverpflichtung des Mandanten einher, und zudem darf das Informationsrecht der Aktionäre nach § 131 Abs. 1 AktG im vorliegenden Fall nicht durch Beauftragung externer „Ermittler“ und den Hinweis auf laufende externe Ermittlungen vereitelt werden.

bb)Randnummer203

Weiter haben Organmitglieder der Beklagten in der Hauptversammlung ausgeführt, die V. AG habe erklärt, dass sie bis zum Abschluss der laufenden Untersuchung durch die Rechtsanwaltssozietät JD bzw. bis zum Abschluss eines umfassenden Vergleichs „mit den Klägern und Behörden in den USA“ einschließlich einer Einigung über strafrechtliche Sachverhalte aus rechtlichen Gründen keine Zwischenergebnisse oder sonstige inhaltliche Angaben zu den Untersuchungen machen könne.Randnummer204

Soweit die Beklagte anstelle einer eigenen Begründung der Auskunftsverweigerung auf eine Erklärung der V. AG verweist, wonach man „aus rechtlichen Gründen“ keine Angaben zu den Untersuchungen machen könne, handelt es sich um eine nicht überprüfungsfähige Leerformel (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 1991 – 19 W 2/91 –, Rn. 78, juris, wonach das pauschale Schlagwort „Konkurrenzgründe“ nicht ausreicht). Der Antwort der Gesellschaft zufolge, ist Untersuchungsgegenstand das „Ob“ der Kenntniserlangung. Aus der Antwort ergibt sich nicht, ob dazu auch der Zeitpunkt der Kenntniserlangung gehört.Randnummer205

Selbst wenn man die zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung noch laufenden Vergleichsverhandlungen mit „Klägern und Behörden in den USA“ heranzieht, begründet die Beklagte nicht konkret und plausibel, dass diese (von der V. AG, nicht von der Beklagten geführten) Vergleichsverhandlungen gefährdet gewesen wären, wenn man weitergehende Auskünfte zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung von Organmitgliedern mit Doppelfunktion erteilt hätte.

cc)Randnummer206

Soweit es um die in der Hauptversammlung unbeantwortet gebliebene Frage geht, ob und ggf. welche Maßnahmen die Organmitglieder der Beklagten nach Kenntniserlangung getroffen haben, ist von vornherein nicht ersichtlich und kann die Kammer nicht nachvollziehen, inwieweit sich aus dem Interesse der V. AG, Vergleichsverhandlungen mit US-Behörden zu führen und gegebenenfalls zum Abschluss zu bringen (wie dann auch am 11.01.2017 gelungen, vgl. Anl. K 61), eine Geheimhaltungsbedürftigkeit von etwaigen Maßnahmen der Organmitglieder der Beklagten in Reaktion auf die Erkenntnisse des „Dieselskandals“ – oder eine Geheimhaltungsbedürftigkeit von deren Untätigkeit – ergeben soll. Auf ein diesbezügliches Auskunftsverweigerungsrecht scheint sich die Beklagte auch nicht zu berufen.Randnummer207

Die Beklagte hat, wie bereits ausgeführt, erst im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits eingeräumt, dass ihr Vorstand und ihr Aufsichtsrat über die laufenden Untersuchungen der V. AG hinaus keine eigenen Maßnahmen in Bezug auf den „Dieselskandal“ getroffen haben (Bl. 347, 485 d.A.). Dass dies im vorliegenden Rechtsstreit erstmals in der Klagerwiderung vom 22.12.2016 und damit noch vor Abschluss des Vergleichs durch die V. AG am 11.01.2017 geschehen ist, spricht gegen ein etwaiges auf getroffene Maßnahmen bezogenes Auskunftsverweigerungsrecht wegen angeblicher Beeinflussung oder drohenden Scheiterns von Vergleichsverhandlungen.

dd)Randnummer208

In der Klagerwiderung hat sich die Beklagte ergänzend auf eine Pressemitteilung der V. AG vom 22.04.2016 bezogen, wonach eine Information der Öffentlichkeit über den Stand der Ermittlungen mit „erheblichen Risiken“ für die V. AG verbunden sei. Erstens sei eine Auskunftserteilung nach Angaben der V. AG geeignet, das Interesse der V. AG an einer umfassenden und ordnungsgemäßen Aufarbeitung der „Dieselthematik“ erheblich zu beeinträchtigen, weil eine Veröffentlichung von Zwischenergebnissen hätte dazu führen können, dass Personen „ihre Aussagen an den Inhalten des Zwischenberichts ausrichten“ könnten. Zweitens bestehe die Notwendigkeit, „ein Höchstmaß an Vertraulichkeit zu gewährleisten“, und es bestehe die Gefahr einer „nachhaltigen Beeinträchtigung“ der „Zusammenarbeit“ der V. AG mit dem Department of Justice. Die Verhandlungsposition der V. AG werde geschwächt. Drittens könnten die finanziellen Interessen der V. AG in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigt werden. Das erwartete Entgegenkommen der US-amerikanischen Behörden sei bei Auskunftserteilung nach Auskunft der mandatierten US-Anwaltskanzleien „nachhaltig gefährdet“ (Bl. 341 d.A.).Randnummer209

Wie bereits oben (cc) erläutert, kann diese Argumentation jedoch allenfalls für die Offenlegung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung von Organmitgliedern der V. AG in Bezug auf den „Dieselskandal“ von Bedeutung sein; aus ihr kann sich von vornherein kein Auskunftsverweigerungsrecht in Bezug auf die Frage nach von den Organmitgliedern der Beklagten getroffenen Maßnahmen nach Kenntniserlangung ergeben. Im Übrigen vermag die Argumentation die Kammer auch im Ergebnis nicht zu überzeugen. Sie erweist sich bei näherem Hinsehen als nicht plausibel.

(1)Randnummer210

Es ist nicht plausibel dargestellt, inwieweit eine Aufklärung der Hauptversammlung über den Zeitpunkt, an dem a) Organmitglieder der Beklagten mit Doppelfunktion oder b) Organmitglieder der V. AG, die keine Organfunktion bei der Beklagten hatten, von den jeweiligen Rechtsverstößen im „Dieselskandal“ erfuhren, das behauptete Interesse der V. AG an einer „Aufarbeitung“ hätte beeinträchtigen können. Die Kammer glaubt jedenfalls nicht, dass sich die in der Stellungnahme von V. AG erwähnten Zeugen durch wahrheitsgemäße Angaben der Organe der Beklagten in deren Hauptversammlung beeinflussen lassen. Seit öffentlichem Bekanntwerden eines Teils des Dieselskandals im September 2015 (der Vorwurf der Behinderung der US-amerikanischen Justiz durch Dokumentenvernichtung stand damals noch nicht im Raum) bis zu den Hauptversammlungen bei der V. AG und bei der Beklagten im Sommer 2016 bestand hinreichend Gelegenheit, Zeugen ausfindig zu machen, sie zu befragen und ihre Angaben zu dokumentieren. Bereits wenige Wochen nach der Hauptversammlung mündeten die erhobenen Zeugenaussagen in eine Anklageschrift des New Yorker Generalstaatsanwalts.

(2)Randnummer211

Die behauptete Notwendigkeit, „ein Höchstmaß an Vertraulichkeit zu gewährleisten“, wurde ebenfalls nicht plausibel begründet. Dass US-Behörden wie auch deutsche und europäische Fahrzeugzulassungsbehörden, die sich mit der manipulativen Motorsteuerungssoftware befassen mussten, das mit vermeintlichen „Vertraulichkeitserfordernissen“ begründete Verschweigen eigener Erkenntnisse der V. AG in Bezug auf den „Dieselskandal“ nicht gutgeheißen haben, erkennt man bereits daran, dass die US-Justiz der V. AG wegen der Vernichtung von Dokumenten die „Behinderung der Justiz“ als Gesetzesverstoß vorgeworfen und als Begründung für höhere Strafen herangezogen hat.Randnummer212

Es sind keine Regelungen des US-Verfahrensrechts bekannt, nach denen die V. AG eigene Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung ihrer Organmitglieder von den im „Dieselskandal“ begangenen Rechtsverstößen hätte vertraulich behandeln und gegenüber ihren eigenen Aktionären (auch: der Beklagten) nicht hätte offenlegen dürfen. Solche Regelungen konnten auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung am 05.12.2017 nicht benannt werden. Diese Regelungen stünden zudem im Widerspruch zu § 131 Abs. 1 AktG.

(3)Randnummer213

In der zitierten Erklärung der V. AG kommt als dritter Gesichtspunkt die Sorge zum Ausdruck, eine vollständige Offenlegung der Erkenntnisse aus eigenen Ermittlungen gefährde das „erwartete Entgegenkommen“ US-amerikanischer Behörden und könne finanzielle Interessen der V. AG beeinträchtigen. Ob diese Sorge zum Zeitpunkt der Hauptversammlungen der V. AG und der Beklagten im Sommer 2016 berechtigt war, bezweifelt die Kammer.Randnummer214

Der Kläger ist der Argumentation der Beklagten entgegengetreten und hat ausgeführt, der Zeitpunkt der Kenntniserlangung einzelner Organmitglieder spiele allenfalls bei den Ermittlungen gegen diese Personen eine Rolle, habe jedoch auf die Strafandrohung gegenüber der V. AG keine Auswirkungen (Bl. 511 d.A.). Die Beklagte hat diesem Vortrag keine zusätzlichen Argumente entgegengehalten (Bl. 577, 580 d.A.).Randnummer215

Bei der Plausibilitätsprüfung der Argumentation kann auch nicht ausgeblendet werden, dass es gerade der später eingeräumte Verstoß gegen das US-amerikanische Verbot zur „Behinderung der Justiz“ und die Verschleierungsversuche von Mitarbeitern des V-Konzerns waren, die zur Begründung der hohen Straferwartung und der tatsächlich im Vergleich vom 11.01.2017 vereinbarten Strafzahlung in Milliardenhöhe herangezogen wurden.Randnummer216

Zu den Verschleierungs- und Täuschungsversuchen zählt das Gericht etwa das Verhalten der seitens der CARB im Januar 2015 mit der angekündigten Nichtzulassung von Fahrzeugen des Modelljahrs 2016 konfrontierten Mitarbeiter. Anfang 2015 wurde klar, dass die US-Behörden die Zulassung von Fahrzeugen des Modelljahres 2016 bezogen auf 2,0-Liter-Dieselfahrzeuge in Frage stellten. Hintergrund waren die Ergebnisse der ICCT-Studie vom Herbst 2014, die aus behördlicher Sicht ungenügenden Ergebnisse einer Rückrufaktion der V. AG in Bezug auf 2,0-Liter-Dieselfahrzeuge in den Vereinigten Staaten von Amerika im Dezember 2014 und die erfolglose Überprüfung der von der V. AG zunächst angegebenen technischen Ursachen für die abweichenden Messergebnisse durch die US-Behörden. Nach diesen nicht validen Erklärungsversuchen war klar, dass die CARB und die EPA an der Erteilung von Konformitätserklärungen bezogen auf die neue Generation der 2,0-Liter-Dieselfahrzeuge nicht mitwirken würden, solange V. AG keine adäquate Erklärung für die abweichenden Messergebnisse liefert und solange V. AG nicht versichert, dass es bei den Fahrzeugen des Modelljahres 2016 diesbezügliche Probleme nicht gibt. Erst jetzt gab die V. AG zu, in die fraglichen Fahrzeuge der alten Generation ein „Defeat Device“ verbaut zu haben (vgl. Anl. B 19 – „Notice of Violation“). Gleichwohl legten die beteiligten Mitarbeiter des V-Konzerns bei einer Besprechung im März 2015 mit der CARB das Vorhandensein eines „Defeat Devices“ in Bezug auf die neuen 3,0 l-Fahrzeuge nicht offen, sondern versicherten sogar, die 3,0 l-Fahrzeuge unterschieden sich insoweit von denjenigen der bereits im Herbst 2014 durch die ICCT-Studie aufgefallenen 2,0 l-Fahrzeuge. Die falschen Angaben, die die CARB im März 2015 zunächst zur Zustimmung zum Verkauf der Fahrzeuge des Modelljahres 2016 in den USA bewogen, sind von der V. AG eingeräumt worden (Anl. K 61, Plea Agreement Ziff. 66).Randnummer217

Nach den für US-amerikanische Bundesgerichte verbindlichen Richtlinien der „United States Sentencing Commission“ zur Strafzumessung, auf die auch das „Plea Agreement“ Bezug nimmt („United States Sentencing Guidelines“, abgekürzt U.S.S.G), wirkt sich eine Behinderung der Justiz strafschärfend aus, indem sie bei der Bewertung der Schuld („culpability score“) zu einer höheren Punktzahl führt (vgl. §8C2.5 [e] U.S.S.G.). Umgekehrt werden ein frühzeitiges Geständnis und uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nach den „Guidelines“ mit einer Punktegutschrift von bis zu 5 Punkten belohnt (§8C2.5 [g] Nr. 1). Eine Belohnung in dieser Größenordnung kam der V. AG jedoch nicht zugute. Stattdessen wurden von 5 möglichen nur 3 Punkte für die Kooperation bei den Ermittlungen abgezogen (vgl. Anl. K 61, „Plea Agreement“, Seite 9). Im „Plea Agreement“ wurde zur Frage der Strafzumessung festgehalten, dass die V. AG die Angaben im „Statement of Facts“ nicht freiwillig gemacht habe (Anl. K 61, „Plea Agreement“, Seite 10). Auch hieraus zieht die Kammer den Schluss, dass eine freiwillige und vollständige Offenlegung des gesamten Sachverhalts der V. AG bei der Strafzumessung für die in den USA strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ nicht geschadet hätte. Das betrifft auch die Frage, ab wann die Organmitglieder der V. AG von den diesbezüglichen Verstößen gegen US-amerikanisches Recht wussten.Randnummer218

Bemerkenswert ist, dass im „Statement of Facts“ einerseits die Unvollständigkeit der Darstellung im Hinblick auf Einzelaspekte, andererseits aber auch die noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen der Ermittlungsbehörden gegen Einzelpersonen hervorgehoben wird (Anl. K 61, „Statement of Facts“, Exhibit 2-1). Die V. AG räumte hier ein, dass bestimmte Führungskräfte, deren unternehmensinterne Funktion angegeben wurde, jedoch ohne Namen zu nennen, die den US-Behörden jedoch bekannt seien („Supervisors A-F“), von der Nichteinhaltung US-amerikanischer Emissionsgrenzwerte und der Implementierung eines „Defeat Devices“ gewusst, dies jedoch gegenüber US-Behörden und Verbrauchern verheimlicht hätten. Organmitglieder der V. AG werden in diesem Zusammenhang nicht angesprochen (Anl. K 61, „Statement of Facts“, Exhibit 2-11, Ziff. 31). Im „Plea Agreement“, d.h. der Vergleichsvereinbarung zwischen der V. AG und den Vereinigten Staaten von Amerika, welche u.a. die vereinbarte Strafzahlung regelte, wurde dieses „Statement of Facts“ vom 11.01.2017 ausdrücklich als Tatsachengrundlage genannt (Anl. K 61, „Plea Agreement“, E., Seite 7). Zugleich heißt es in Ziffer 9 des „Plea Agreements“ unter „Breach of Agreement“ unter anderem: „If the Defendant … provides in connection with this Agreement deliberately false, incomplete, or misleading information“, … the Defendant shall thereafter be subject to prosecution for any federal criminal violation of which the Offices have knowledge …“ (Anl. K 61, „Plea Agreement“, Seite 24). Vorsätzlich falsche oder unvollständige Angaben im „Statement of Facts“ eröffnen mithin der US-Justiz die Möglichkeit, in Bezug auf die Vergleichsvereinbarung von einem Vertragsbruch auszugehen und weitere Ermittlungen anzustellen. Käme es dazu, hätte der Vergleich vom 11.01.2017 letztlich keine effektive, verfahrensbeendigende Wirkung in den Vereinigten Staaten von Amerika.Randnummer219

Aus Sicht der Kammer, die die Argumente der Beklagten auf Plausibilität zu überprüfen hat, zeigt diese spätere Entwicklung, dass eine vollständige Offenlegung sämtlicher bekannter und für die Strafzumessung relevanter Fakten auch gegenüber US-Behörden regelmäßig von Vorteil ist – auch wenn es zum Vergleichsschluss vom 11.01.2017 erst nach der streitgegenständlichen Hauptversammlung gekommen ist.

(4)Randnummer220

Der Kläger hat im Übrigen zahlreiche Indizien genannt, die dafür sprechen könnten, dass nicht nur die im „Statement of Facts“ mit ihrer Funktion umschriebenen Führungskräfte des V-Konzerns unterhalb der Vorstandsebene, sondern zumindest auch der frühere Vorstandsvorsitzende der V. AG und der Beklagten, Herr Prof. Dr. W., schon vor Bekanntwerden der „Notice of Violation“ vom 18.09.2015 von der manipulativen Motorsteuerungssoftware und von der mit ihrer Hilfe erschlichenen Fahrzeug- bzw. Importzulassung in den USA gewusst hat. Viele der vom Kläger aufgeführten Indizien waren bereits zum Zeitpunkt der Hauptversammlung der Beklagten am 29.06.2016 entweder den ermittelnden US-Behörden oder der Öffentlichkeit durch Presseberichte bekannt (wie nachfolgend zu zeigen sein wird). Wenn aber Behörden und Gerichte weltweit, insbesondere US-amerikanische Behörden und Gerichte, schon vor der Hauptversammlung der Beklagten im Jahr 2016 (und der V. AG wenige Tage zuvor) anhand öffentlich zugänglicher Informationen wie etwa Presseberichten oder eigenen Ermittlungsergebnissen auf Indizien zurückgreifen konnte, die für eine solche frühzeitigere Kenntnis des Vorstandsvorsitzenden Herrn Prof. Dr. W. sprechen, dann war und ist aus Sicht der Kammer das Verschweigen dieser Indizien in den Hauptversammlungen der V. AG und der Beklagten 2016 nur noch von geringem Nutzen für die betroffenen Gesellschaften.Randnummer221

So hatte bereits am 08.10.2015 und damit Monate vor der streitgegenständlichen Hauptversammlung eine Anhörung des Präsidenten und CEO der V. Group of America Inc., Herrn M. H., vor einem Ausschuss des US-Repräsentantenhaus stattgefunden. Er erwähnte dort, von Problemen wegen nicht eingehaltener Emissionsgrenzwerte bereits seit 2014 gewusst zu haben. Zudem erwähnte er, die V. AG habe am 03.09.2015 die Implementierung eines „Defeat Devices“ bei 4-Zylinder-Dieselmotoren der Baujahre 2009 bis 2015 gegenüber der CARB und der EPA eingeräumt (Bl. 140 und Anl. K 53).Randnummer222

Aus der „Notice of Violation“ vom 18.09.2015 selbst ergibt sich in groben Umrissen die Entwicklung des Kenntnisstandes der EPA vor dem 18.09.2015. Demnach kam es infolge der ICCT-Studie vom Mai 2014 zu Ermittlungen der US-Behörden wegen überhöhter Emissionswerte bei vom V-Konzern hergestellten Fahrzeugen. Nach einer den US-Behörden bekannten Rückrufaktion vom Dezember 2014 unternahmen diese weitere Tests, mit nicht zufriedenstellenden Ergebnissen. Nach nicht validen Erklärungsversuchen des V-Konzerns war demnach bereits vor dem (Teil-)Geständnis in Bezug auf bestimmte in der Vergangenheit produzierte Dieselmotoren vom 03.09.2015 klar, dass die Zulassung von Dieselmotoren der neuen Motorengeneration, die ab 2016 in Fahrzeuge eingebaut und in den USA vertrieben werden sollten, seitens der US-Behörden in Frage gestellt wurde (vgl. Anl. B 19).Randnummer223

Einem vorgelegten Pressebericht zufolge, soll ein V.-Manager bereits im Mai 2014 (wohl: anlässlich der ICCT-Studie) den früheren Vorstandsvorsitzenden der Beklagten und der V. AG über Messungen der US-Behörden informiert haben, bei denen die Stickstoffwerte bei Dieselmotoren den zulässigen Grenzwert um das bis zu 35-Fache überschritten. Weiter wird daraus zitiert: „Eine fundierte Erklärung für die dramatisch erhöhten NOx-Emissionen kann den Behörden nicht gegeben werden. Es ist zu vermuten, dass die Behörden die V.-Systeme daraufhin untersuchen werden, ob V. eine Testerkennung in die Motorsteuergeräte-Software implementiert hat (sogenanntes Defeat Device. …“ (Anl. K 28; vgl. auch Anl. K 27 und Anl. K 43, Seite 37). Ob diese V.-interne Nachricht nun dem Manager G. oder dem Manager T. zuzuschreiben ist, wird zwar in der Presse einerseits und in der späteren Anklageschrift des New Yorker Generalstaatsanwalts unterschiedlich dargestellt. Von wem die Nachricht stammt, ist aber letztlich ohne Bedeutung. Entscheidend ist für die vorliegende Entscheidung, dass auch der auf den 15.02.2016 datierte Pressebericht der Süddeutschen Zeitung über diese interne, den früheren Vorstandsvorsitzenden Herrn Prof. Dr. W. belastende Nachricht bereits vor der streitgegenständlichen Hauptversammlung vom 29.06.2016 vorlag. US-Behörden konnten seitdem wie jedermann darauf zugreifen. Die Kammer nimmt zur Kenntnis, dass die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet, dass Herr Prof. Dr. W. die Notiz zur Kenntnis genommen habe, die nach einer eigenen Pressemitteilung der V. AG vom 02.03.2016 für ihn erstellt worden war und seiner Wochenendpost beigelegen habe (Bl. 250 d.A.; Anl. B 32). Das belastende Indiz – die Versendung der Notiz selbst – war jedenfalls seit Februar 2016 unstreitig durch die erwähnte Presseberichterstattung und seit Anfang März 2016 auch durch die Pressemitteilung der V. AG öffentlich bekannt.Randnummer224

Wie bereits erwähnt, waren die alternativen Verhaltensweisen gegenüber den US-Behörden („Verheimlichen oder Offenlegen der tatsächlichen und V.-intern bekannten Ursachen der Messergebnisabweichungen Rollenprüfstand / reale Fahrbedingungen?) Gegenstand einer V.-internen Präsentation am 28.04.2014 (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 56). In einer weiteren, von der Presse veröffentlichten Präsentation, die angeblich am 27.07.2015 in Gegenwart von Herrn Prof. Dr. W. gehalten worden sein soll (Anl. K 69, Seite 5), wurden die möglichen unterschiedlichen Konsequenzen eines „defensiven“ oder „offensiven“ Verhaltens sogar graphisch dargestellt. Auch wenn unklar ist, seit wann die US-Behörden hiervon wussten und ob sie bereits vor der streitgegenständlichen Hauptversammlung vom 29.06.2016 Kenntnis davon hatten, und unabhängig davon, ob die Presseberichte in Bezug auf die Gegenwart von Herrn Prof. Dr. W. zutreffen, kann doch zugrunde gelegt werden, dass innerhalb des V-Konzerns mindestens unterhalb der Vorstandsebene bereits im Jahr 2015 die Brisanz der „Dieselthematik“ sowohl im Hinblick auf eine mögliche Verzögerung der Zulassung von Fahrzeugen der dritten Fahrzeuggeneration als auch im Hinblick auf mögliche Strafen für den V-Konzern erkannt worden ist. Die unternehmensinternen Abwägungen auf Ebene unterhalb des Vorstands bereits in den Jahren 2014 und 2015 lassen es zur Überzeugung der Kammer als unwahrscheinlich erscheinen, dass nicht auch wenigstens ein Vorstandsmitglied „eingeweiht“ wurde, bevor am 03.09.2015 eine Führungskraft gegenüber der CARB und der EPA die Implementierung des „Defeat Devices“ zugab (vgl. Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 62). Dieselben Rückschlüsse konnten und können auch US-amerikanische Ermittlungsbehörden und Gerichte ziehen, und zwar unabhängig von der Beantwortung oder Nichtbeantwortung der oben genannten Aktionärsfragen in der Hauptversammlung vom 29.06.2016.Randnummer225

Die Kammer geht angesichts der in den USA bereits 2014 einsetzenden behördlichen Ermittlungen, angesichts der Presseberichterstattung und angesichts des Umfangs der in der Anklageschrift des Generalstaatsanwalts von New York vom 19.07.2016 (Anl. K 43) dargestellten Ermittlungsergebnisse davon aus, dass die – den früheren Vorstandsvorsitzenden belastenden – Dokumente und Erkenntnisse den US-Ermittlern zumindest im Wesentlichen bereits vor dem 29.06.2016 (der streitgegenständlichen Hauptversammlung) vorlagen.Randnummer226

Als gewisses Indiz kann das Verhalten der Verwaltung der V. AG in deren Hauptversammlung vom 22.06.2016 bewertet werden. Die V. AG hat sich dort der Bekanntgabe von Zwischenergebnissen der Untersuchung von JD verweigert (Bl. 235, 340 d.A.).Randnummer227

Rückschlüsse ziehen konnten und können die US-Behörden und US-Gerichte wie auch jedes andere Gericht nach dem Dafürhalten der Kammer im Übrigen auch aus der Art und Weise, wie die Frage nach dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung bezüglich Organmitgliedern von V. AG mit und ohne Doppelfunktion von der Verwaltung der Beklagten beantwortet wurde, und aus dem Umstand, dass sich die Beklagte im Verlaufe dieses Prozesses ausdrücklich auf ein insoweit bestehendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG berufen hat (Bl. 339 f. d.A.). Hatten die vor dem 18.09.2015 (dem Tag der „Notice of Violation“, an die die in der Hauptversammlung gegebene Antwort anknüpft) amtierenden Vorstandsmitglieder der V. AG – ob mit oder ohne Doppelfunktion bei der Beklagten – allesamt keine Kenntnis von den begangenen Rechtsverletzungen in den USA, so gab es keinen ersichtlichen Grund, dies nicht auch öffentlich den Aktionären gegenüber zu bekunden. Gab es zwar belastende Indizien, waren diese aber zu entkräften, hätte zumindest über die oben genannten, bereits zum Zeitpunkt der Hauptversammlung öffentlich bekannten Indizien gesprochen werden können. Allenfalls wenn zum Zeitpunkt der Hauptversammlung am 29.06.2016 die Verwaltung der Beklagten von einer frühzeitigeren positiven Kenntnis einzelner Organmitglieder der V. AG ausgehen musste, und wenn man befürchtete, die betroffenen Organmitglieder der Gefahr einer persönlichen Strafverfolgung auszusetzen, ergibt die Auskunftsverweigerung der Beklagten in der Hauptversammlung 2016 aus Sicht der Kammer einen gewissen Sinn.Randnummer228

Plausibel begründet wäre die Auskunftsverweigerung allerdings auch mit dieser Erwägung nicht. Denn § 131 Abs. 2 Satz 1 AktG schreibt die gewissenhafte und getreue Rechenschaft vor. Diese Formulierung entspricht den Anforderungen, die für den Bericht des Vorstands an den Aufsichtsrats in § 90 Abs. 4 Satz 1 AktG formuliert sind. Dementsprechend können die zu § 90 Abs. 4 Satz 1 AktG entwickelten Grundsätze entsprechend auch bei der Beantwortung von Aktionärsfragen in der Hauptversammlung herangezogen werden (wie hier Spindler, in K. Schmidt/Lutter, AktG 3. Aufl. § 131 Rn. 63). Bei der Berichterstattung des Vorstands an den Aufsichtsrat gilt aber, dass es kein „Selbstbezichtigungsverbot“ des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat gibt. Die einer potentiellen Strafbarkeit oder Schadensersatzpflicht zugrunde liegenden Fakten darf der Vorstand weder gegenüber dem Aufsichtsrat noch auf Aktionärsfrage im Rahmen des § 131 AktG gegenüber der Hauptversammlung zurückhalten. Andernfalls könnte im Falle des § 90 AktG der Aufsichtsrat seiner Überwachungsfunktion nicht nachkommen (Krieger/Sailer-Coceani, in K. Schmidt/Lutter a.a.O. § 90 Rn. 54).Randnummer229

Übertragen auf das berechtigte Auskunftsbegehren von Aktionären in der Hauptversammlung ergibt sich daraus, dass Vorstand und Aufsichtsrat den Aktionären in den Grenzen des § 131 Abs. 1 AktG auch zu Tatsachenfragen, aus deren Beantwortung sich Pflichtverletzungen einzelner Organmitglieder ergeben können, grundsätzlich Rede und Antwort zu stehen haben. Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG dient – wo geboten – dem Schutz der Gesellschaft und ihrer verbundenen Unternehmen, nicht aber dem Schutz pflichtwidrig agierender Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder vor Entdeckung der Pflichtverletzung.

c)Randnummer230

Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung (oben dd [3]) einmal unterstellte, dass sich in den USA straferhöhend ausgewirkt hätte, wenn nicht nur die im „Statement of Facts“ genannten Führungskräfte, sondern auch Vorstandsmitglieder der V. AG von den Rechtsverletzungen vor dem 18.09.2015 gewusst haben, dann erfordert die Frage, ob sich daraus ein plausibel begründetes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG ergäbe, weiterhin eine Abwägung der Interessen, wie bereits oben (5. a) dargestellt (BGH, Beschluss v. 14.01.2014 – II ZB 5/12Rn. 28 und 52; BGH, Urteil v. 16.02.2009 – II ZR 185/07Rn. 43 m.w.N.; OLG Stuttgart, Urteil vom 17. November 2010 – 20 U 2/10 –, juris Rn. 669, 672). Diese Abwägung fiele zulasten der Beklagten aus.

aa)Randnummer231

Ein das Geheimhaltungsinteresse überwiegendes Aufklärungsinteresse ist nach der Rechtsprechung des OLG Stuttgart, der die Kammer folgt, dann anzunehmen, wenn zur Aufklärung der Pflichtverletzungen gerade die vom Fragesteller begehrten Informationen geeignet und erforderlich sind. Pflichtverletzungen der Vorstandsmitglieder der V. AG, insbesondere des damaligen Vorstandsvorsitzenden Herrn Prof. Dr. W., im Zusammenhang mit der Implementierung des „Defeat Devices“ zur Verschleierung von Grenzwertüberschreitungen und zur Erschleichung von Fahrzeugzulassungen und Importfreigaben in den USA waren angesichts zahlreicher belastender Indizien bereits „mit Händen zu greifen“ und lagen nahe, wie oben dargestellt. Mithilfe der Frage nach dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung hätte sich bei vollständiger Beantwortung eine weitere tatsächliche Klärung auch der Frage nach potentiellen Pflichtverletzungen herbeiführen lassen. Belastende Erkenntnisse in Bezug auf Herrn Prof. Dr. W. würden für einen objektiv und vernünftig denkenden Aktionär der Beklagten nicht nur bei der V. AG von Bedeutung sein, sondern sich auch auf die Billigung oder Missbilligung seines Handelns und das Vertrauen der Aktionäre ihm gegenüber in seiner Rolle als im Entlastungszeitraum amtierenden früherem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten niederschlagen.

bb)Randnummer232

Bei der Anfechtung wegen Informationspflichtverletzung (§ 131 Abs. 1 AktG) und der Berufung der Gesellschaftsorgane auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG) gilt nicht die Einschränkung, dass eine Anfechtung des Entlastungsbeschlusses bei erkennbaren und schwerwiegenden Pflichtverletzungen der Organmitglieder nur auf diejenigen tatsächlichen Erkenntnisse gestützt werden kann, die bereits zum Zeitpunkt der Hauptversammlung bekannt waren. Die vorgenannte Einschränkung beruht auf dem Gedanken der Treuwidrigkeit des Mehrheitsbeschlusses. Eine Anfechtungsklage bietet insoweit keinen Raum für erst noch zu ermittelnde Pflichtverletzungen oder eine „ex post“-Bewertung der Mehrheitsentscheidung anhand neuer, seinerzeit nicht bekannter Informationen (dazu oben I. 1.).Randnummer233

Wird die Anfechtungsklage hingegen auf eine Informationspflichtverletzung gestützt, die sich wiederum auf Fragen zu pflichtwidrigem Verhalten der Organmitglieder bezieht, so gilt die vorgenannte Einschränkung nicht. Denn zum Einen handelt es sich beim Verstoß gegen § 131 Abs. 1 AktG und bei der Anfechtbarkeit wegen Treuwidrigkeit der Mehrheitsentscheidung zur Entlastung um zwei unterschiedliche Anfechtungsgründe. Zum andern ergibt sich aus der Rechtsprechung des OLG Stuttgart, dass im Falle einer Anfechtungsklage gegen Entlastungsbeschlüsse, die auf zu Unrecht verweigerte Antworten auf Aktionärsfragen gestützt wird, bei potentiellen Pflichtverletzungen grundsätzlich das Aufklärungsinteresse der Aktionäre überwiegt (OLG Stuttgart, Urteil vom 17. November 2010 – 20 U 2/10 –, juris Rn. 669, 672).Randnummer234

Die hier vertretene Auffassung verpflichtet den Vorstand keineswegs, bei noch nicht „ausermittelten“ Vorgängen spekulative Ausführungen zu machen, und hindert ihn auch nicht daran, auf laufende interne oder externe Ermittlungen zu verweisen, um im Sinne einer Klarheit der Antwort deutlich zu machen, dass sein Bericht noch nicht auf vollständig festgestellter Tatsachengrundlage beruhe. Vollständig und zutreffend muss seine Antwort in tatsächlicher Hinsicht aber dennoch sein.

cc)Randnummer235

§ 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG mag zwar grundsätzlich auch dem Schutz der Kontrahierungsfreiheit der Gesellschaft, also dem Interesse dienen, Vertragsverhandlungen ungestört führen zu können und deshalb ungünstig erscheinende Informationen nicht im Rahmen einer Hauptversammlung preisgeben zu wollen, weil der Verhandlungspartner davon erfahren und dies zugunsten seiner Verhandlungsposition ausnutzen könnte. Das Anliegen, bei behördlichen oder gerichtlichen Ermittlungen wegen potentieller strafbarer Handlungen, die von Mitarbeitern oder Organmitgliedern der Gesellschaft begangen werden, mit Strafverfolgungsorganen wie hier mit US-Justizbehörden über die Strafhöhe zu verhandeln und hierüber gegebenenfalls eine Einigung erzielen zu können, ist aber nicht mit gewöhnlichen Vertragsverhandlungen zwischen Wirtschaftssubjekten mit gleichrangigen, aber oft widerstreitenden Interessen vergleichbar, auf die die Beklagte Bezug nimmt (Bl. 340 d.A.).Randnummer236

Im vorliegenden Fall geht es in Bezug auf den Schutz vor den Konsequenzen der Strafverfolgung nicht um die Wahrung gleichrangiger privater Interessen, sondern um das öffentliche Interesse der Ermittlungsbehörden und Strafgerichte an der Sachverhaltsaufklärung einerseits und das Interesse der Aktionäre an der Tatsachenklärung zur Wahrung oder Wiederherstellung des aktienrechtlichen Legalitätsprinzips. Diese beiden Interessen sind gleichgerichtet. Sie genießen im vorliegenden Fall Vorrang vor potentiellen, von § 131 Abs. 3 Nr. 1 AktG erfassten Nachteilen.Randnummer237

Eine etwaige auf zutreffender Tatsachengrundlage einseitig festgelegte gerechte Strafe hätten die Aktionäre wirtschaftlich ohnehin hinzunehmen, können auf der Basis vollständiger Information dann aber über die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder entscheiden. Das Aktienrecht hält ihnen diese Möglichkeiten offen (§ 147 Abs. 1 AktG; § 148 Abs. 1 AktG).Randnummer238

Bei der Interessenabwägung muss außerdem im Vordergrund stehen, dass die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die den Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft aufgrund ihrer Organstellung obliegt (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG), insbesondere die Verpflichtung umfasst, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (Legalitätspflicht; vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2012 – VI ZR 341/10 –, BGHZ 194, 26-39, Rn. 22 m.w.N.). Die Legalitätspflicht, die im vorliegenden Fall zu Recht vom Kläger angesprochen wurde (Bl. 134 d.A.), wird in der Literatur zutreffend als „Kardinalspflicht“ bezeichnet (Fleischer, in Spindler/Stilz, AktG a.a.O. § 93 Rn. 14). Auch dieser hohe Stellenwert der Legalitätspflicht spricht dafür, dass wegen im Raume stehender Verstöße gegen die Legalitätspflicht das Aufklärungsinteresse der Aktionäre im vorliegenden Fall insoweit Vorrang genießen muss vor potentiellen Nachteilen der Gesellschaft.Randnummer239

Die große Bedeutung des Interesses an der Wahrheitsfindung wird auch deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass bei der Beantwortung von Aktionärsfragen selbst dann nicht gelogen werden darf, wenn im Einzelfall tatsächlich – anders als im vorliegenden Fall (vgl. oben) – in Bezug auf die gestellte Frage ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 AktG besteht (Hüffer/Koch, AktG 12. Aufl. 2016, § 131 Rn. 21).Randnummer240

6. Keine Unmöglichkeit der BeantwortungRandnummer241

Das Auskunftsrecht des Aktionärs nach § 131 Abs. 1 AktG unterliegt selbstverständlich dem Gedanken, dass der Vorstand nicht zu einer Leistung verpflichtet werden kann, die ihm unmöglich ist. Der Unmöglichkeitseinwand wäre hier allerdings nicht berechtigt. Zum einen war der bereits zuvor erwähnte Herr Prof. Dr. W. bis September 2015 in Doppelfunktion Vorstandsvorsitzender der Beklagten und der V. AG; über den Zeitpunkt seiner eigenen Kenntniserlangung konnte er befragt werden und Auskunft geben. Soweit die Frage getroffene Maßnahmen der Organmitglieder der Beklagten nach Kenntniserlangung von den Gesetzesverstößen im „Dieselskandal“ betraf, war allen Organmitgliedern eine offene Beantwortung – gegebenenfalls dahingehend, es seien von bzw. für die Beklagte keine Maßnahmen ergriffen worden – offensichtlich möglich und zumutbar. In Bezug auf Kenntnisse der Organmitglieder der V. AG ohne Doppelfunktion bestand eine der Hauptversammlung vorgelagerte Erkundigungspflicht.Randnummer242

7. Einfluss auf die Beurteilung der VertrauenswürdigkeitRandnummer243

Ein objektiv urteilender Aktionär hätte die Erteilung der Information im vorliegenden Fall als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen. Die oben genannten, teils nicht beantworteten Fragen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung und den getroffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ bei V. AG sind aufgrund der erheblichen wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen, die sich aus dem „Dieselskandal“ und dem Verhalten der Organe beider Gesellschaften für die Beklagte ergeben können, von besonderer Bedeutung und objektiv von hohem Gewicht, wenn es um die Beurteilung der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung der Beklagten geht.Randnummer244

8. ZwischenergebnisRandnummer245

Die Anfechtungsklage gegen die Entlastungsbeschlüsse hat bereits wegen unvollständiger Beantwortung der vorstehend genannten Aktionärsfragen nach § 243 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AktG Erfolg.Randnummer246

III. Treuwidrigkeit der Entlastung wegen unzureichenden Überwachungssystems als schwere PflichtverletzungRandnummer247

Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten ist vorzuwerfen, dass sie ihrer aus § 91 Abs. 2 AktG resultierenden Pflicht, ein funktionierendes Überwachungssystem einzurichten, jedenfalls nach Bekanntwerden der „Notice of Violation“ vom 18.09.2015 im Geschäftsjahr 2015 nicht hinreichend nachgekommen sind. Dabei handelt es sich um einen im Kern bereits in der Klageschrift angesprochenen Sachverhalt (unten 1.), aus dem sich eine eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung ergibt (unten 2.), die bereits zum Zeitpunkt der Entlastungsbeschlüsse erkennbar war (unten 3.) und die deshalb zur Treuwidrigkeit dieser Beschlüsse führt (unten 4.).Randnummer248

1. Kern des Vorwurfs des KlägersRandnummer249

Als weiteren, eigenständigen Anfechtungsgrund neben der Informationspflichtverletzung durch Nichtbeantwortung zahlreicher Fragen – die unter II. abgehandelten bilden nur einen kleinen Teilausschnitt – trägt der Kläger in der Klageschrift u.a. vor, die Entlastungsbeschlüsse seien treuwidrig, weil dem Vorstand und dem Aufsichtsrat der Beklagten im Zusammenhang mit der Einrichtung des nach § 91 Abs. 2 AktG gebotenen Überwachungssystems schwere Pflichtverletzungen vorzuwerfen seien. Die Überwachungssysteme hätten in Wirklichkeit nicht funktioniert (Bl. 167 d.A.). An anderer Stelle erhebt er den Vorwurf verwirrender Angaben im Geschäftsbericht 2015, die nicht erkennen ließen, mit welchen Belastungen wegen „Dieselgate“ zu rechnen sei (Bl. 29 d.A.). Zudem sei die in der Hauptversammlung gestellte Frage nach getroffenen Maßnahmen der Organmitglieder der Beklagten in Reaktion auf die bekanntgewordenen Rechtsverstöße im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ bei V. AG nicht beantwortet worden. In diesem Zusammenhang spricht der Kläger bereits in der Klageschrift von Vermögensschäden, die der Beklagten drohten (Bl. 95 d.A.). Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, erweist sich der klägerische Vorwurf als berechtigt.Randnummer250

Gemäß § 91 Abs. 2 AktG muss der Vorstand geeignete Maßnahmen treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einrichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Im Rahmen seiner Überwachungspflicht gemäß § 111 Abs. 1 AktG muss der Aufsichtsrat prüfen, ob der Vorstand dem nachgekommen ist.Randnummer251

2. Vorliegen einer eindeutigen und schwerwiegenden PflichtverletzungRandnummer252

Zu den sich aus § 91 Abs. 2 AktG ergebenden Mindestanforderungen an das einzurichtende Überwachungssystem gehört angesichts der bereits dargestellten Beteiligungsverhältnisse und der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Beklagten von der V. AG, dass der Wert der gehaltenen Aktien an der V. AG regelmäßig überwacht und dass Entwicklungen bei der V. AG erfasst und bewertet werden, die für die Beklagte selbst bestandsgefährdend sind, d.h. ein Insolvenzrisiko begründen oder wesentlich steigern. Dieser Pflicht (konkretisierend vgl. unten a) genügte der Vorstand der Beklagten zumindest nach Bekanntwerden der „Notice of Violation“ nicht. Die Pflichtverletzung wiegt schwer (unten b).

a)Randnummer253

Zu den Risiken, die von einem gesetzeskonformen Überwachungssystem erfasst werden müssen, zählen zweifellos auch Risiken, die von Tochtergesellschaften herrühren, auch wenn Reichweite und Grenzen der Risikofrüherkennung im Konzern noch wenig gesichert erscheinen. Nach der Gesetzesbegründung sollen bestandsgefährdende Risikopotentiale erfasst werden, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns wesentlich auswirken (BT-Drs. 13/9712, Seite 15). In jedem Fall bedarf es im Konzern organisatorischer Vorkehrungen, die sicherstellen, dass solche Risiken konzernweit identifiziert werden und die Gesellschaft entsprechende Informationen erhält. Im faktischen Konzern und bei bloßer Abhängigkeit mögen die Durchsetzungsmöglichkeiten des Vorstands zwar eingeschränkt sein, dennoch hat er „seine jeweils bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten nach besten Kräften zu nutzen“ (Krieger/Sailer-Coceani, in K. Schmidt / Lutter, a.a.O. § 91 Rn. 10 m.w.N.; vgl. Fleischer, DB 2005, 759 ff.). Der Vorstand der Obergesellschaft muss in jedem Fall eine „konzerndimensionale Risikoerfassung und -auswertung“ einrichten (Fleischer, in Spindler/Stilz, AktG 3. Aufl. § 91 Rn. 41) und Entwicklungen auf der Ebene der Tochtergesellschaft in das eigene Überwachungssystem einbeziehen, wenn sie zu bestandsgefährdenden Entwicklungen auch bei der Muttergesellschaft führen können (Bürgers/Körber, AktG 3. Aufl. § 91 Rn. 8).Randnummer254

Diese Mindestanforderungen an das Überwachungssystem sind auch dann zu stellen, wenn man der von Teilen der Literatur erhobenen weitergehenden Forderung nach einem konzernweiten Früherkennungssystem (dazu Hommelhoff/Mattheus, BFuP 2000, 217, 222 ff. zit. nach Krieger/Sailer-Coceani, a.a.O.) nicht folgt, wenn man von einem gewissen Ermessen bei der Ausgestaltung der konzerninternen Leitungsstrukturen ausgeht (Fleischer, DB 2005, 759 ff.) und wenn man berücksichtigt, dass im faktischen Konzern die Einrichtung eines umfassenden Informationssystems schon mangels Weisungsrecht an seine rechtlichen Grenzen stößt (Spindler, in MüKo AktG 4. Aufl. 2014, § 91 Rn. 77).Randnummer255

Aus der zu fordernden Konzerndimensionalität ergibt sich, dass der Vorstand der Obergesellschaft im Konzern sich nicht lediglich damit begnügen darf, die Geschäftsrisiken würden von Tochtergesellschaften oder verbundenen Unternehmen erfasst und dort bewertet, im Übrigen habe man (im faktischen Konzern mangels Beherrschungsvertrag) Zugriff auf Informationen nur wie jeder andere Aktionär. Bei der Obergesellschaft muss ein eigenes Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG eingerichtet werden. Soweit es um Risiken bei der Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft geht, die zu entsprechenden Risiken auch für die Muttergesellschaft werden können, dürfen sich die Organe der Muttergesellschaft jedenfalls dann nicht mehr uneingeschränkt und gleichsam „blind“ auf Angaben der Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft verlassen, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort in der Vergangenheit relevante Risiken verkannt worden sind, oder wenn die ernsthafte Gefahr besteht, dass Informationen über Risiken von der Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft nicht weitergegeben werden. Das ist etwa anzunehmen, wenn Pflichtverletzungen von amtierenden oder ausgeschiedenen Organmitgliedern der Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft im Raume stehen und zu befürchten ist, dass diese Organmitglieder Informationen über Risiken allein deshalb nicht weitergeben, weil sie befürchten, bei deren Aufdeckung selbst in Anspruch genommen zu werden. Das Gebot, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhend unternehmerisch zu Handeln (BGH, Urteil vom 21. April 1997 – II ZR 175/95 –, BGHZ 135, 244-257, Rn. 22), gilt auch hier. „Die jeweils bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten nach besten Kräften zu nutzen“, heißt in diesem Fall für den Vorstand der Muttergesellschaft, dass er eigene Nachforschungen anstellen muss, um mehr über bestandsgefährdende Risiken auf der Ebene der Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft in Erfahrung zu bringen.

b)Randnummer256

Den oben umschriebenen Mindestanforderungen genügte das laut Geschäftsbericht 2015 eingerichtete Überwachungssystem zumindest nach Bekanntwerden der „Notice of Violation“ und der Erklärung des Vorstandsvorsitzenden Herrn Prof. Dr. W. vom 23.09.2015 nicht.

aa)Randnummer257

Die Beklagte beruft sich schriftsätzlich darauf, ihr stünden als „bloßer Mehrheitsaktionärin“ keine „besonderen Informationsrechte“ zu (konkreter Vortrag bezogen auf die Fahrzeugentwicklung) und es bestünde weder eine vertragliche Verpflichtung der V. AG zur Erteilung von Informationen noch gebe es Weisungsrechte der Beklagten gegenüber dem Vorstand der V. AG (Bl. 219 d.A.). Damit wird jedoch der Blick darauf verstellt, was die Beklagte in ihrem Geschäftsbericht 2015 selbst ausführt (Anl. K 59, Seite 138):Randnummer258

„Das Management der Risiken bei V. ist auf Ebene der V. AG angesiedelt … Dabei hat die V. AG ihr eigenes Risikomanagement-System definiert und ist damit selbst für ihre Risikohandhabung verantwortlich. Gleichzeitig ist die V. AG jedoch gehalten, sicherzustellen, dass die P. SE als Holdinggesellschaft – im Rahmen des gesetzlich zulässigen Informationsaustauschs – frühzeitig über bestandsgefährdende Risiken informiert wird. Dies geschieht unter anderem in Form von Managementgesprächen und der Weitergabe von Risikoberichten.“Randnummer259

Es ist demnach davon auszugehen, dass auch im faktischen Konzern der Antragsgegnerin Informationen von der V. AG über Risiken an die Antragsgegnerin weitergegeben wurden und werden – so etwa in Form von Managementgesprächen und Risikoberichten. Soweit es um den Zugang zu Informationen geht, stand zudem auch der Beklagten die Möglichkeit offen, in der Hauptversammlung der V. AG als Aktionärin Fragen zu stellen (§ 131 Abs. 1 AktG), die sich beispielsweise auf die Höhe eines möglichen Gesamtrisikos und möglicher künftiger Ergebnisbelastungen der V. AG aus dem „Dieselskandal“ weltweit beziehen. Im Übrigen war und ist der Vorstand der Beklagten trotz fehlenden Beherrschungsvertrages nicht gehindert, auch außerhalb der Hauptversammlung der V. AG Fragen zu stellen, die diese grundsätzlich beantworten durfte – dann allerdings mit der Folge des § 131 Abs. 4 Satz 1 AktG (Erteilung der Auskunft auch an alle übrigen V.-Aktionäre auf Verlangen).Randnummer260

Auf die im Verfahren mehrfach thematisierte Frage der Wissenszurechnung bei Mandatsträgern mit Doppelfunktion im Konzern kommt es angesichts dieser Möglichkeiten auch an dieser Stelle nicht an.Randnummer261

Ob mit Blick auf die potentielle Kapitalmarktrelevanz und die eigene Ad hoc-Publizitätspflicht der Beklagten im Einzelfall aus dem Recht zur Beantwortung sogar eine Pflicht zur Auskunftserteilung an die Beklagte wurde, kann an dieser Stelle ebenfalls offenbleiben.

bb)Randnummer262

Spätestens als der damalige Vorstandsvorsitzende der V. AG und der Beklagten, Herr Prof. Dr. W., am 23.09.2015 in einer Pressemitteilung seine „Bestürzung“ und seine „Fassungslosigkeit“ darüber zum Ausdruck brachte, „das Verfehlungen dieser Tragweite im V. Konzern möglich waren“ (Bl. 151 d.A.), womit er sich letztlich auf seine eigene Unwissenheit in Bezug auf die Entwicklung des „Dieselskandals“ zu berufen schien, konnte sich die Beklagte nicht mehr gutgläubig auf die Funktionsfähigkeit des Überwachungssystems der V. AG verlassen, sondern musste dieses kritisch hinterfragen.

cc)Randnummer263

Im Übrigen musste der Vorstand der Beklagten im Jahr 2015 angesichts der bereits dargestellten wirtschaftlichen Bedeutung der Beteiligung und der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der V. AG im Interesse der Existenzsicherung der Beklagten gewährleisten, dass im eigenen Überwachungssystem in regelmäßigen Abständen – nicht nur einmal jährlich anlässlich der Bilanzerstellung – eigene Bewertungen zur dauerhaften Werthaltigkeit der Beteiligung an der V. AG, zu potentiell erforderlichen Abschreibungen auf den Beteiligungswert und zu den möglicherweise dauerhaft negativen Folgen des „Dieselskandals“ auf die Dividendenpolitik der V. AG und die eigenen Ertragsaussichten der Beklagten angestellt werden. Das betrifft im ersten Schritt insbesondere die Prüfung möglicher Belastungen auf Ertrags- und Eigenkapitalsituation der V. AG aus seinerzeit zu erwartenden Geldstrafen, Bußgeldern und Prozesskosten wegen der begangenen Betrugshandlungen und sonstigen Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“, im zweiten Schritt dann die Prüfung wirtschaftlicher Konsequenzen für die Beklagte.Randnummer264

Dies ist offenkundig nicht geschehen.Randnummer265

Der „at Equity-Buchwert“ der Beteiligung der Beklagten an der V. AG ist – ohne Berücksichtigung der im September 2015 hinzuerworbenen Anteile – um rund 2,7 Mrd. EUR gesunken, wie aus dem Geschäftsbericht ersichtlich (Anl. K 59, Seite 186). Das zeigt, dass als Auswirkungen des „Dieselskandals“ die Risiken, soweit sie bilanziell bei der V. AG im Geschäftsjahr 2015 berücksichtigt wurden, bereits 2015 auf die Beklagte „durchschlugen“. Der Geschäftsbericht 2015 lässt auch erkennen, dass wegen der Bewertung der Anteile an der V. AG auf „at equity-Basis“ anlässlich der Aufstellung der Bilanz 2015 ein „Werthaltigkeitstest“ durchgeführt wurde, ohne dass sich dabei ein Wertminderungsbedarf ergeben hat (Anl. K 59, Seite 91).Randnummer266

Dies genügt allerdings für ein regelkonformes Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG nicht.Randnummer267

Weder der Geschäftsbericht 2015 der Beklagten noch Erklärungen der Organmitglieder in der Hauptversammlung vom 29.06.2016 lassen erkennen, mit welchen (ergebnismindernden und möglicherweise das Eigenkapital schmälernden) potentiellen Strafzahlungen und Kosten die V. AG insgesamt weltweit oder auch nur in den USA infolge der Gesetzesverstöße im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ in Summe schlimmstenfalls zu rechnen hatte und welche möglicherweise existentiellen Folgen dies für die Ertrags- und Eigenkapitalsituation der Beklagten haben könnte. Genau diesen Härte- oder Belastungstest hätte der Vorstand der Beklagten im Rahmen eines ordnungsgemäßen Überwachungssystems nach § 91 Abs. 2 AktG im Jahr 2015 spätestens nach Bekanntwerden der „Notice of Violation“ vom 18.09.2015 veranlassen und später, bei Bekanntwerden neuer Vorwürfe (etwa: Bekanntwerden des Vorwurfs der „Behinderung der US-amerikanischen Justiz“ durch Dokumentenvernichtung bei der V. AG) im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Strafdrohung nachjustieren müssen. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass 2015 nicht davon ausgegangen werden konnte, dass es am 11.01.2017 zu einer Einigung zwischen der V. AG und der US-amerikanischen Justiz auf eine bestimmte Strafzahlung kommen würde. Dem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, der sich am 06.10.2015 in einer Anhörung mit dem „Dieselskandal“ bei V. AG befasst hat, war eine Zivilstrafe von zwischen 3.750 US-Dollar und 37.500 US-Dollar pro verkauftem Fahrzeug genannt worden – ohne Berücksichtigung des Vorwurfs der Behinderung der Justiz (Anl. K 52, Seite 4). Die dem Hersteller drohende Höchststrafe von 37.500 US-Dollar pro Fahrzeug ist auch in der „Notice of Violation“ selbst (Anl. B 19, Seite 5) genannt. Hätte der Vorstand der Beklagten eigene Nachforschungen angestellt, so wären diese Beträge ebenso in Erfahrung zu bringen gewesen wie die Zahl der allein in den USA verkauften, von der manipulativen Motorsteuerungssoftware betroffenen Fahrzeuge.Randnummer268

Anhand des Geschäftsberichts 2015 lässt sich nicht zuverlässig ermitteln, von welcher Gesamtzahl betroffener Fahrzeuge die Beklagte und die V. AG im Laufe des Jahres 2015 ausgegangen sind und wie sich diese Zahl ggf. verändert hat. Nicht erkennbar ist auch, ob und inwieweit der Vorstand der Beklagten eigene Nachforschungen angestellt hat, um Klarheit über die voraussichtliche Gesamtzahl betroffener Fahrzeuge zu bekommen. Für die Bewertung des potentiellen Risikos jedenfalls in den USA war dies aber entscheidend. Ausgehend vom späteren „Statement of Facts“, waren allein in den USA wohl mindestens 585.000 verkaufte Fahrzeuge betroffen (Anl. K 61, Exhibit 2, Ziff. 72). Diese Zahl ergab sich freilich nicht aus den Ad hoc-Mitteilungen der V. AG von 2015, dort war zunächst von bis zu 11 Millionen von „Auffälligkeiten“ betroffenen Fahrzeugen die Rede. Demgegenüber ist in einer Pressemitteilung vom 02.03.2016 von 500.000 Fahrzeugen die Rede, von deren Betroffenheit man bis 18.09.2015 ausgegangen sei, vgl. Anl. B 32. Im Geschäftsbericht der Beklagten wiederum heißt es an anderer Stelle, es seien rund 113.000 Fahrzeuge der Modelljahre 2009 bis 2016 in den USA und Kanada betroffen, vgl. Anl. K 59, Seite 209).Randnummer269

Eine schlichte Multiplikation hätte bei einer Größenordnung von zwischen 500.000 und 585.000 Fahrzeugen ergeben, dass allein in den USA ein Risiko für Strafen von zwischen rund 19 Milliarden und rund 22 Milliarden US-Dollar für die V. AG bestand – Verfahrenskosten, Rückabwicklungskosten und negative Folgen durch „Imageverlust“ noch nicht mit eingerechnet. Zudem war auch 2015 bereits offensichtlich, dass nicht nur in den USA verkaufte Fahrzeuge betroffen waren und Strafzahlungen, Klagen von Fahrzeugkäufern und Gerichtsverfahren auch in anderen Ländern drohten.Randnummer270

Die Beklagte argumentiert zwar sinngemäß, dass die V. AG dieses Risiko zunächst unterschätzt und aufgrund anwaltlicher Beratung von wesentlich niedrigeren Beträgen als realistisch oder als am wahrscheinlichsten ausgegangen sei. In einer Pressemitteilung der V. AG vom 02.03.2016 wird behauptet, man sei bis 18.09.2015 von Bußgeldern „in einem zweistelligen oder unteren dreistelligen Millionenbereich“ ausgegangen (Anl. B 32).Randnummer271

Das sagt zum Einen aber schon nichts über die Einschätzung der Risiken durch die V. AG nach dem 18.09.2015. Ab diesem Zeitpunkt bejahte die V. AG jedenfalls die Kursrelevanz, was dafür spricht, dass auch sie von höheren Summen ausging (Anl. B 32).Randnummer272

Zum Anderen darf sich ein Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG nicht damit begnügen, bei der Risikoquantifizierung lediglich Minimalstrafen oder für am wahrscheinlichsten gehaltene Strafen anzusetzen. Andernfalls kann das Überwachungssystem seine Aufgabe, Risiken frühzeitig erkennbar zu machen (vgl. Bürgers/Israel, in Bürgers/Körber, AktG 3. Aufl. § 91 Rn. 9), nicht erfüllen. Wenngleich in der Literatur vertreten wird, § 91 Abs. 2 AktG schreibe kein bestimmtes Risikomanagement und erst recht nicht die Befolgung eines bestimmten betriebswirtschaftlichen Modells vor (Spindler, in MüKo AktG 4. Aufl. 2014, § 91 Rn. 31), lässt sich das gesetzgeberische Ziel, die als Ursache von Fehlentwicklungen identifizierte mangelhafte Risikoeinschätzung der Unternehmensleitungen einzudämmen (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08. Juli 2004 – 1 E 7363/03 (I) –, Rn. 19, juris), nur dann erreichen, wenn man Risiken, die potentiell existenzbedrohend sind, nicht bereits im Vorfeld von der Überwachung ausnimmt, etwa mit der Begründung, sie fielen wegen geringer Mindeststrafe oder verhältnismäßig überschaubarer „üblicher Strafen“ gleichsam „aus dem Raster“ der Überwachung.Randnummer273

Ob und welche konkreten Maßnahmen der Vorstand der Beklagten in Reaktion auf die sich aus dem „Dieselskandal“ der V. AG spätestens ab 18.09.2015 offenkundigen Risiken für die Beklagte selbst getroffen hat, lässt sich dem Geschäftsbericht 2015 der Beklagten (Anl. K 59) nicht mit hinreichender Klarheit und Übersichtlichkeit entnehmen. Die Ausführungen auf Seiten 136 bis 137 sind allgemein gehalten, ebenso die Ausführungen zum Risikomanagement der V. AG auf den Folgeseiten. Auf Seite 143 heißt es, zur frühzeitigen Erkennung eines möglichen Wertberichtigungsbedarfs durch die Beklagte würden „regelmäßig eigene Bewertungen der Beteiligungen an der V. AG und an INRIX“ durchgeführt und Kennzahlen analysiert und Analysteneinschätzungen beobachtet. 2015 sei bezüglich der Beteiligung an der V. AG ein Werthaltigkeitstest durchgeführt worden.Randnummer274

Die sachgerechte „Bewertung“ der Beteiligung setzt jedoch vor dem Hintergrund der möglichen Folgen des „Dieselskandals“ eine umfassende Informationsbeschaffung über die daraus resultierenden Risiken und deren eigenständige Informationsbewertung voraus. Aus den oben genannten Gründen (insbesondere: Höhe der drohenden maximalen Sanktion in den USA, Unklarheiten bezüglich der Gesamtzahl betroffener Fahrzeuge in den USA und weltweit) durfte sich der Vorstand der Beklagten im Rahmen des § 91 Abs. 2 AktG auch nicht mit dem Hinweis auf die – handelsbilanziell möglicherweise zunächst ausreichende, später aber erhöhte – Rückstellungsbildung bei der V. AG in Höhe von 6,5 Milliarden EUR (vgl. die Ad hoc-Mitteilung der V. AG vom 22.09.2015, Bl. 150 d.A.) begnügen. Er musste auch diejenigen Risiken aus dem „Dieselskandal“ in seine Prüfung mit einbeziehen, die bei diesem Betrag möglicherweise oder tatsächlich nicht hinreichend erfasst waren. Die Rückstellungsbildung und -bewertung (etwa nach §§ 249 Abs. 1 Satz 1, 253 Abs. 1 Satz 2 HGB oder nach IAS) folgt anderen Kriterien, als sie zur Erkennung existenzgefährdender Risiken angewandt werden müssen. So verlangt und ermöglicht etwa § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB (nur) den Ansatz des „nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrages“, was maximale, möglicherweise existenzbedrohende Risiken gerade nicht widerspiegelt.Randnummer275

Zwischen den Parteien ist im Übrigen der schriftsätzliche Vortrag der Beklagten unstreitig, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten in Reaktion auf die 2015 bekanntgewordenen Gesetzesverstöße der V. AG in den USA keinerlei eigene Maßnahmen getroffen haben.Randnummer276

Die darin liegende Pflichtverletzung des Vorstands in Gestalt eines unzureichenden eigenen Überwachungssystems nach § 91 Abs. 2 AktG wiegt angesichts der nicht erkannten existentiellen Risiken für die Gesellschaft besonders schwer. Ebenso schwer wiegt das offenkundige Versäumnis des Aufsichtsrats der Beklagten, den Vorstand zu einem sachgerechten, die konkreten Risiken aus dem „Dieselskandal“ angemessen abbildenden Überwachungssystem anzuhalten.Randnummer277

3. ErkennbarkeitRandnummer278

Eine Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses setzt voraus, dass die eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung den Teilnehmern der Hauptversammlung bekannt oder auf Grund der ihnen zugänglichen Informationen zumindest erkennbar war, wobei sich die Erkennbarkeit etwa aus einem Redebeitrag eines Aktionärs ergeben kann, aber nicht muss (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 187, juris). Ist die Pflichtverletzung bereits aus vor Durchführung der Hauptversammlung veröffentlichten Erklärungen oder Berichten wie etwa dem Geschäftsbericht ersichtlich, so bedarf es zur Begründung der auf sie gestützten Anfechtung des Entlastungsbeschlusses keiner ausdrücklichen Thematisierung in der Hauptversammlung mehr.Randnummer279

Im vorliegenden Fall ergibt sich die Erkennbarkeit des schwerwiegenden Verstoßes des Vorstands gegen die Pflicht, nach § 91 Abs. 2 AktG ein funktionsfähiges Überwachungssystem zur Erkennung existenzgefährdender Risiken einzurichten und zu betreiben, und der mangelnden Überwachung durch den Aufsichtsrat aus zwei Umständen: zum einen aus dem Geschäftsbericht 2015 (siehe oben), zum andern aus der unzureichenden Beantwortung der mehrfach gestellten Frage nach den getroffenen Maßnahmen der Organmitglieder nach Bekanntwerden des „Dieselskandals“. Die Beklagte vertritt selbst sinngemäß die Auffassung, die erteilte Antwort auf Fragen 1 und 2 impliziere, dass die richtige Antwort auf die Frage nach den Maßnahmen lauten müsse: „keine“ (Bl. 347 d.A.).Randnummer280

4. TreupflichtverletzungRandnummer281

Für die Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses wegen treuwidrigen Mehrheitsverhaltens genügt, wie bereits ausgeführt, nicht, dass es Gründe gegeben hätte, die Entlastung zu verweigern. Ein Entlastungsbeschluss ist jedoch wegen eines Gesetzesverstoßes anfechtbar, wenn damit ein tatsächliches Verhalten gebilligt wird, das einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt. Eine Entlastung trotz eines schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzesverstoßes verstößt gegen § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG, ist mit der Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Minderheit nicht vereinbar und ist deshalb nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 184, juris m.w.N.). So liegt es hier: Die Erteilung der Entlastung trotz erkennbar schwerer Pflichtverletzung ist schlicht unverständlich.Randnummer282

5. ZwischenergebnisRandnummer283

Die Anfechtung hat auch unter dem Gesichtspunkt einer Treuwidrigkeit der Entlastungsbeschlüsse wegen erkennbarer schwerwiegender Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem einzurichtenden Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG Erfolg.Randnummer284

IV. Weitere AnfechtungsgründeRandnummer285

Auf die weiteren geltend gemachten Anfechtungsgründe kommt es angesichts des vorstehenden Ergebnisses nicht mehr an.Randnummer286

C. Anträge nach § 142 ZPORandnummer287

Die Klägerin hat Anträge auf Vorlage von Urkunden gem. § 142 Abs. 1 ZPO gestellt (Bl. 3, 492 d.A.). Das Gericht sieht von der beantragten Anordnung ab, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. § 142 Abs. 1 ZPO erlaubt nur dann eine richterliche Anordnung der Urkundenvorlage, wenn die beantragende Partei die Prozessrelevanz der Urkunde schlüssig darlegt. Die Norm legitimiert nicht die Anforderung von Urkunden zur bloßen Informationsgewinnung zugunsten einer Partei (Greger, in Zöller ZPO Kommentar 31. Aufl. § 142 Rn. 7).Randnummer288

Einer richterlichen Anordnung der Vorlage einer notariellen Niederschrift der Hauptversammlung bedarf es hier nicht, denn der Inhalt der in der Hauptversammlung gegebenen Antworten auf die Aktionärsfragen, die in der Klage genannt sind, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Das Protokoll wurde im Übrigen als Anl. B 3 mit der Klagerwiderung vorgelegt.Randnummer289

Die gewünschte Einsicht in die weiteren Unterlagen, etwa die genannten E-Mails der V.-Mitarbeiter G. und T. an Herrn Prof. Dr. W. oder auch die genannten unternehmensinternen Präsentationen sowie die Berichte von JD, mag zwar weiteren Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Aufklärung des „Dieselskandals“ versprechen. Diese Unterlagen sind jedoch nicht entscheidungserheblich. Die Anfechtungsklage hatte auch ohne Vorlage dieser Unterlagen Erfolg. Die vom Kläger genannten Dokumente lagen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung in der Hauptversammlung nicht vor und sind dort ausweislich des Protokolls auch nicht diskutiert worden. Die Prüfung der Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses wegen treuwidriger Mehrheitsentscheidung bei eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverletzungen erlaubt, wie bereits erörtert, keine „ex post“-Betrachtung. Auf Umstände, die erst im Rahmen eines Anfechtungsprozesses aufgeklärt und bewiesen werden sollen, kann eine Anfechtung nicht gestützt werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Juli 2015 – 20 U 2/14 –, Rn. 188, juris).Randnummer290

D. NebenentscheidungenRandnummer291

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.Randnummer292

Der mit Antrag Ziff. 4 der Klageschrift (Seite 2) begehrten gesonderten Anordnung, die Sicherheit durch Bankbürgschaft eines inländischen Kreditinstituts erbringen zu können, bedarf es wegen § 108 Satz 2 ZPO nicht.

Berichtigungsbeschluss vom 19. April 2018

Die Kammer hat nach Übersendung des Urteils am 19.04.2018 einen Berichtigungsbeschluss gefasst, der den Text bei Rn. 74, Rn. 216 und Rn. 217 (juris) betrifft.

„1. Auf die Anträge der Beklagten vom 10. Januar 2018 werden in dem am 19. Dezember 2017 verkündeten Urteil der Kammer

a. auf Seite 15 im letzten Absatz (Entscheidungsgründe A., fünfter Absatz beginnend mit „Der Kläger hat …“) die Worte „mit Hauptversammlungsmehrheit gefassten“ ersatzlos gestrichen;

b. auf Seite 51 im zweiten Absatz (Entscheidungsgründe B. II. 5. b dd [3] vierter Absatz beginnend mit „Zu den Verschleierungs- und Täuschungsversuchen…“) im zweiten Satz in der vierten/fünften Zeile nach den Worten „des Modelljahres 2016 bezogen auf“ die Worte „2,0-Liter“ und der anschließende Bindestrich vor „Dieselfahrzeuge“ ersatzlos gestrichen.

2. Im Übrigen werden die Anträge der Beklagten vom 10. Januar 2018 auf Tatbestandsberichtigung und -ergänzung zurückgewiesen.

3. Von Amts wegen wird das Urteil auf Seite 52 im ersten Absatz in der vierten Zeile (Entscheidungsgründe B. II. 5. b dd [3] fünfter Absatz vierter Satz beginnend mit „Stattdessen wurden …“) dahingehend berichtigt, dass die Zahl „3“ durch „2“ ersetzt wird.“

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