1. Die den kommunalen Polizeibehörden gesetzlich zugewiesene Verpflichtung der Überwachung des ruhenden Verkehrs und die Ahndung von Verstößen sind hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürfen sie nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden.
2. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben ist unzulässig.
3. Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden ist gesetzeswidrig.
4. Der von einer Stadt bewusst durch „privaten Dienstleister in Uniform der Polizei“ erzeugte täuschende Schein der Rechtsstaatlichkeit, um den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln, ist strafbar.
1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Die Sache wird zur Fortbildung des Rechts zur Entscheidung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a OWiG).
3. Das Verfahren wird eingestellt. Die den Parkverstoß belegenden Beweismittel unterliegen einem Verwertungsverbot.
4. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.
I.
Der Oberbürgermeister der Stadt1 (im weiteren Stadt1) hatte als Ortspolizeibehörde wegen unerlaubten Parkens im eingeschränkten Halteverbot gegen den Betroffenen ein Verwarngeld von 15 € verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 19.07.2018 das Verwarngeld bestätigt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts parkte der Betroffene am XX.XX.2017 von 12:52 Uhr bis 13:05 Uhr in der A-Straße … im eingeschränkten Halteverbot ohne im Besitz der notwendigen Parkberechtigung zu sein. Die Feststellungen zu dem Parkverstoß beruhen auf der Angabe des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen B, der der Stadt1 durch „die Firma C überlassen“ und von der Stadt als „Stadtpolizist“ bestellt worden ist. Die Tätigkeit übt der Zeuge in Uniform aus.
Gegen die Verurteilung wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er vertritt die Ansicht, dass die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten Kernaufgabe des Staates sei, eine Beleihung dieser Aufgaben durch Privatpersonen durch das Gesetz nicht vorgesehen sei, die Bestellung als Stadtpolizist nach § 99 HSOG unzulässig sei und in der Folge die getroffenen Feststellungen auf einem nicht rechtmäßigen Verfahren beruhen.
Vor dem Hintergrund der Grundsatzentscheidung vom 26.04.2017 (2 Ss-OWi 295/17 sog. „Lauterbach-Entscheidung“), in der der Senat die Hinzuziehung privater Dienstleister bei der Verkehrsüberwachung im fließenden Verkehrs für gesetzeswidrig erklärt hat, hat der Senat mit Schreiben vom 15.04.2019 das Hessische Ministerium des Inneren und für Sport (im weiteren Innenministerium) um Stellungnahme gebeten, auf welcher Rechtsstruktur das Vorgehen der Stadt1 beruht, und ob die Dienst- und Fachaufsicht davon Kenntnis hat.
In der Stellungnahme vom 28.05.2019 hat das Innenministerium nach Rückfrage bei der Stadt1 zusammenfassend mitgeteilt, dass die Stadt1 für die Kontrolle des ruhenden Verkehrs Leiharbeitskräfte eines privaten Dienstleisters auf Basis einer Stundenvergütung einsetzt. Die von der privaten Firma überlassenen Leiharbeitskräfte werden „unter dem Einsatz des AÜG sowie einer physisch- räumlichen und organisatorischen Integration in die Gemeindeverwaltung“ (Stellungnahme der Stadt1 vom 20.05.2019) durch „das Regierungspräsidium Stadt2 gem. § 99 Abs. 3 Nr. 4e HSOG zu Hilfspolizeibeamtin und -beamten bestellt“. Gemäß § 99 Abs. 2 S.1 HSOG haben Hilfspolizeibeamte im Rahmen ihrer Aufgaben die Befugnisse von Polizeivollzugsbeamten. Diese umfassenden Recht sind einzelvertraglich wieder beschränkt. Das Innenministerium hat darüber hinaus mitgeteilt, dass neben der Stadt1 auch weitere Kommunen in Hessen Aufgaben bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs an Leiharbeitskräfte übertragen haben und diese jeweils zu Hilfspolizeibeamten bestellt worden sind. Diese Leiharbeitskräfte tragen in einigen Kommunen Uniformen, aber nicht in allen.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Nachdem der Senat den Einsatz sog. „privater Dienstleister“ bei der Überwachung des fließenden Verkehrs grundsätzlich für gesetzeswidrig erklärt hat (Grundsatzentscheidungen v. 26.04.2017 – 2 Ss-Owi 295/17 sog. Lauterbach-Entscheidung und v. 06.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19), nimmt der Senat dieses Verfahren zum Anlass, ebenfalls grundsätzlich über die Zulässigkeit des Einsatzes von sog. „privaten Dienstleistern“ im Bereich der Verkehrsüberwachung im ruhenden Verkehr zu entscheiden.
Die vom Betroffenen aufgeworfene Rechtsfrage ist bisher vom Senat nicht entschieden worden und, soweit ersichtlich, in der vorliegenden Konstellation auch noch von keinem anderen Oberlandesgericht (vgl. zum „Berliner Parkraumüberwachungskonzept“ KG, Beschluss vom 23.10.1996, 2 Ss 171/96 – 3 Ws (B) 406/96). Die Frage, ob die Überwachung des ruhenden Verkehrs zu den zwingenden Kernaufgaben des Staates gehört und damit zwingend ganz oder teilweise durch Hoheitsträger wahrgenommen werden muss, ist in der Literatur umstritten (vgl. Meixner/Fredrich, HSOG, 12. Auflage 2016, § 99 Rn.8; Hornmann HSOG 2. Auflage 2008, § 99 Rn. 36ff; Lembke NZA 2018, 393; Waechter NZV 1997, 329; Radtke NZV 1995, 428; Bick NZV 1990, 329; Scholz NJW 1997, 14, jeweils m.w.N.).
Der Senat hat bisher entschieden, dass bei der Verkehrsüberwachung des fließenden Verkehrs beim Einsatz technischer Verkehrsüberwachungsanlagen die Hinzuziehung und Übertragung von Aufgaben an private Dienstleister bzw. Personen, die nicht in einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen, ausgeschlossen ist. Die Überwachung des fließenden Verkehrs und die Ahndung von Verstößen ist Kernaufgabe des Staates. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe die unmittelbar aus dem Gewaltmonopol folgt und ausschließlich Hoheitsträgern die in einem Treueverhältnis zum Staat stehen übertragen ist. Die Übertragung dieser Aufgaben an Dritte – in welcher Form auch immer – ist unzulässig.
Über diese verfassungsrechtliche Begründung hinaus folgt dies beim Einsatz von Verkehrsüberwachungstechnik, wie sie regelmäßig bei der Überwachung des fließenden Verkehrs zum Einsatz kommt, auch daraus, dass die aus dem Mess- und Eichgesetz folgende Zulassung von Verkehrsmesstechnik ein in sich geschlossenes System der Beweisführung verlangt, bei dem die Übertragung auch nur von Teilen auf Privatpersonen zu einem Beweismittelbruch führt, der von den Gerichten nicht mehr nachvollzogen werden kann und daher in aller Regel zur Unverwertbarkeit des Beweismittels führt (Stichworte: standardisiertes Messverfahren, antizipiertes Sachverständigengutachten, verbindliche Anforderungen an die Verwendung von Verkehrsmesstechnik, Eichpflicht, Rückführbarkeit des Beweismittels; vgl. zu den Besonderheiten beim Einsatz des Messgeräts ESO 3.0: OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
Beschluss v. 26.04.2017 – 2 Ss-Owi 295/17; OLG OldenburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Oldenburg
, Beschluss v. 18.04.2016 – 2 Ss (OWi) 57/16; AG Meißen, Urteil v. 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 i.V.m. mit der Widerlegenden Stellungnahme der PTB vom 06.04.2016).
Ob diese Begründung bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs gleichermaßen zwingend übertragbar ist, da neben dem fehlenden Einsatz (standardisierter) Messtechnik im ruhenden Verkehr der Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger vor regelwidrigem Verkehrsverhalten anderer Verkehrsteilnehmer niederschwelliger zum Tragen kommt und die Art und Weise der Organisation von gemeinschaftlichem Verkehrsraum (zivilrechtlich oder hoheitlich) im Vordergrund steht, ist bisher noch nicht entschieden worden.
2. Das Verfahren wird aufgrund seiner rechtlichen Bedeutung auf den Senat übertragen.
Bei der Stadt1 werden jährlich über 700.000 (Jahr 2018) Parkverstöße geahndet mit einem Sanktionswert von über 1 Mio Euro, die durch die zuvor beschriebene Beleihung eines privaten Dienstleiters ermittelt werden. Das Innenministerium hat darüber hinaus bestätigt, dass auch andere Kommunen gleich oder ähnlich strukturierte Übertragungen vorgenommen haben und es generell die Rechtsauffassung des Innenministeriums als Dienst- und Fachaufsicht der Ortspolizeibehörden ist, dass die Überwachung des ruhenden Verkehrs auch durch private Dienstleister erfolgen kann, wenn sie u.a. gem. § 99 HSOG zu Hilfspolizisten bestellt werden.
Der Senat sieht sich daher veranlasst, in dieser Frage Rechtsklarheit herbeizuführen.
III.
Das Verfahren wird eingestellt, da die vorliegende Beweiserhebung vorsätzlich gesetzeswidrig durchgeführt worden ist und die so ermittelten Beweise einem absoluten Verwertungsverbot unterliegen.
Die der Stadt1 als Polizeibehörde gesetzlich zugewiesene Verpflichtung der Überwachung des ruhenden Verkehrs und die Ahndung von Verstößen sind hoheitliche Aufgaben. Mangels Ermächtigungsgrundlage dürfen sie nicht durch private Dienstleister durchgeführt werden. Die Überlassung privater Mitarbeiter nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zur Durchführung hoheitlicher Aufgaben ist unzulässig. Die Bestellung privater Personen nach § 99 HSOG zu Hilfspolizeibeamten der Ortspolizeibehörden ist gesetzeswidrig.
1. Die Organisation und Überwachung des ruhenden Verkehrs ist eine hoheitliche Aufgabe.
Maßnahmen der Verkehrsüberwachung – auch im ruhenden Verkehr – gehören unbestreitbar zum hoheitlichen Funktionsbereich des Staates. Das System des Straßenverkehrsrechts ist nach Maßgabe von Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung unter hoheitlichen Regelungs- und Überwachungsvorbehalt gestellt worden. Nur der Staat als Hoheitsträger hat das Recht gemeindlichen Verkehrsraum zu organisieren, in seiner Funktion zu bestimmen und den einzelnen Verkehrsteilnehmern im Rahmen dieser Funktionsbestimmung zur Benutzung zuzuweisen. Dazu gehört u.a. auch die Regelung, ob Verkehrsraum für das Parken von Fahrzeugen zur Verfügung gestellt wird, wie diese Bereitstellung erfolgen soll, ob diese entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt und in der Folge auch, ob und wie diese Regelung rechtlich organisiert (zivilrechtlich oder hoheitlich) und kontrolliert wird (zivilrechtlich oder über Verwarn- und Bußgelder).
2. Die Ahndung und Durchsetzung von Regelverstößen durch Verwarn- und Bußgelder folgt aus dem Gewaltmonopol des Staates.
Wird die Organisation von Verkehrsraum und die Kontrolle der getroffenen Zuweisungen wie bei der Stadt1 hoheitlich vorgenommen, folgt aus dem so ausgeübten Funktionsvorbehalt in Verbindung mit dem Gewaltmonopol des Staates die hier geltend gemachte Berechtigung, Verstöße gegen die Zuweisungsgehalte mit Verwarn- und Bußgeldern zu ahnden, da die Verstöße gegen die materiellen Verhaltensnormen des Straßenverkehrsrechts gem. § 21 ff. StVG dem Sanktionsvorbehalt des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts unterliegen. Der Gesetzgeber hat sich in Deutschland dazu entschlossen, auch diesen Bereich als Ordnungswidrigkeit dem Strafrecht zuzuordnen. Dass dies grundsätzlich auch anders möglich wäre, z. B. eine Angliederung an das Verwaltungsrecht, zeigen die Rechtsordnungen in anderen Europäischen Ländern.
Nach den gesetzlichen Vorgaben handelt es sich bei Verletzung von Verhaltensgeboten der vorliegenden Art, also des Verstoßes gegen Parkvorschriften gem. den §§ 6 Abs. 1, 24, 26 StVG, 13 StVO, um Ordnungswidrigkeiten i. S. d. §§ 35 ff. OWiG, die gem. §§ 27 StVG, 56, 58 Abs. 2 OWiG, die mit dem Sanktionssystem von Verwarnung und Verwarnungsgeld bedacht werden können. Das Recht derartige Verstöße zu ahnden ist als Ausfluß des Gewaltmonopols ausschließlich dem Staat und vorliegend konkret der Polizei zugewiesen.
Damit ist, auch wenn es sich nur um Parkverstöße handelt, sowohl die Regelung und Organisation von Verkehrsraum selbst (staatliches Organisationsmonopol), als auch die daran angeknüpfte Sanktionierbarkeit (staatliches Gewaltmonopol) Teil der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und damit grundsätzlicher Kern der originären Staatsaufgaben. Die gesamte Verkehrsüberwachung und – ahndung, unabhängig davon, ob es sich um fließenden oder ruhenden Verkehr handelt, ist damit Ausfluss des staatlichen Gewaltmonopols, das seine verfassungsrechtliche Grundlage wiederum im Rechtsstaatsprinzip findet.
In der Folge kann der Staat – und vorliegend konkret die Stadt1 – die ihr von der Bevölkerung erteilte Regelungs- und Sanktionsmacht von der er (sie) seine (ihre) eigene Legitimation bezieht, nicht ohne gesetzliche Legitimation wieder an „private Dienstleister“ abgeben, damit diese dann als „Subunternehmer“ ohne Legitimation hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Mit dem Recht etwas zu „dürfen“, folgt nicht automatisch das Recht, mit diesem „Dürfen“ beliebig umzugehen. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass der Staat die von ihm gewährte Macht im Rahmen der ihm gewährten Regelungskompetenz ausübt und nach Prinzipien eines Rechtsstaates gerichtlich überprüfbar rechtfertigt.
3. Notwendigkeit einer Ermächtigungsgrundlage.
Soweit es sich nicht um absolute hoheitliche Kernaufgaben handelt, die von einem derartigen Verfassungsrang sind, dass sie grundsätzlich nicht übertragbar sind wozu insbesondere Justiz, Polizei und Fiskalverwaltung gehören, bedarf es für eine grds. zulässige Übertragung auf „Dritte“ einer dafür vom Parlament erlassenen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Da die Exikutivorgane ihre Macht von der Legislative übertragen bekommen haben, dürfen sie diese Macht nur dann an „Dritte weitergeben“, wenn sie im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens durch die parlamentarische Repräsentation der Bevölkerung dazu ermächtigt worden sind, wobei klar und eindeutig bestimmt sein muss was übertragen wird, warum es übertragen wird, wie es übertragen wird und wie es kontrolliert wird (vgl. z.B. § 27c Abs. 2 LuftVG).
Eine derartige Ermächtigungsgrundlage existiert nicht und dies ist dem Innenministerium auch bekannt.
Die Frage, ob die Überwachung des „ruhenden Verkehrs“ auf Dritte übertragen werden kann, war bereits unter TOP 15.6.Gegenstand der ständigen Konferenz der Innenminister und Senatoren der Länder am 03.05.1996. Bereits vor 21 Jahren wurde darüber diskutiert: „(…) dass im Interesse der personellen und wirtschaftlichen Entlastung der zuständigen Behörden die Möglichkeit einer Beleihung privater Unternehmen im Bereich der Verfolgung von Verstößen im ruhenden Verkehr eingeführt werden sollte“. Die Innenministerkonferenz hatte insoweit die Bundesregierung aufgefordert „auf eine entsprechende Änderung des § 26 StVG hinzuwirken“. Der Bund hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass dieser Beschluss „verfassungsrechtlich problematisch sei“, da er nicht nur die unbedenkliche Tatsachenfeststellung von Verkehrsverstößen, sondern auch die zum Kernbereich polizeilicher Tätigkeit rechnende Erteilung von Verwarnungen umfasst“. In der Folge ist es nicht zu einer Änderung des § 26 StVG gekommen. Dass das Hessische Innenministerium diese von ihm mitiniziierte gescheiterte Gesetzesinitiative nicht kennt (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen wollten die aus einer Änderung des § 26 StVG ergebenen Möglichkeiten ohnehin nicht wahrnehmen; Brandenburg hatte sich enthalten), kann nicht angenommen werden, so dass die in der vorliegend eingeholten Stellungnahme vom 28.05.2019 vertretene Rechtsansicht befremdet.
Entgegen der Ansicht des Hessischen Innenministeriums kommt vorliegend auch § 99 HSOG nicht als Ermächtigungsnorm in Betracht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 99 HSOG nicht die oben genannten Voraussetzungen für eine Ermächtigungsnorm erfüllt und als Landespolizeigesetz auch nicht erfüllen kann. Dass mit Hilfe des Polizeirechts der Länder eine verfassungsrechtlich verankerte und in Bundesgesetzen geregelte Kompetenz-, Regelungs- und Sanktionierungszuweisung nicht umgangen oder außer Kraft gesetzt werden kann, versteht sich von selbst. § 99 HSOG regelt insoweit lediglich die Frage einer möglichen landesspezifischen Umsetzung bei der Durchführung („Wie“), wenn dies in einer Ermächtigungsgrundlage vorgesehen wäre („Ob“), was bei der Verkehrsüberwachung indes nicht der Fall ist.
Insoweit stellt die vorliegend vorgenommene Kombination aus Arbeitnehmerüberlassung und anschließender Bestellung zum „Hilfspolizeibeamten“ nach § 99 HOG durch das Regierungspräsidium eine vorsätzliche Umgehung des geltenden Rechts dar.
Wie der Senat in seinen Grundsatzentscheidungen vom v. 26.04.2017 – 2 Ss-OWi 295/17 und v. 06.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19 dargelegt und umfassend begründet hat, ist das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im vorliegend Bereich der hoheitlichen Tätigkeiten schon nicht anwendbar.
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz dient dazu, den Missbrauch von Arbeitnehmerüberlassung im privatwirtschaftlichen Bereich einzudämmen. Es ist darauf ausgerichtet, dass eine im Rahmen eines wirtschaftlichen Unternehmens kurzfristige auftretende Tätigkeitsspitze durch die kurzfristige Hinzuziehung fremder Arbeitskräfte ausgeglichen werden kann, wobei entscheidend ist, dass der entliehene Arbeitnehmer im verleihenden Unternehmen verbleibt.
In der Folge ist die von der Stadt1 und dem Innenministerium vertretene Rechtsansicht, dass eine über die Arbeitnehmerüberlassung entliehener Mitarbeiter „Bediensteter“ der Stadt1 wird und dann durch einen hoheitlichen Bestellungsakt „Stadtpolizist“ werden kann, rechtlich aus mehreren Gründen nicht haltbar.
Das Regierungspräsidium Stadt2 hat für die vorliegend vorgenommene Bestellung einer Privatperson zu einem „Stadtpolizisten“ auch keine Zuständigkeit. Sie ergibt sich auch nicht aus § 99 Abs. 3 Nr. 4 HSOG.
Nach § 99 HSOG können zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Gefahrenabwehr oder zur hilfsweisen Wahrnehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte bestellt werden. § 99 Abs. 3 HSOG regelt die Bestellungskompetenz der mit polizeilichen Aufgaben betrauten Behörden, gestaffelt nach den ihnen jeweils zugewiesenen Funktionen (vgl. zur Gesetzesänderung und Neufassung: Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 2 m.w.N.). § 99 Abs. 3 HSOG ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift und gemäß der gesetzgeberischen Konstruktion vor dem Hintergrund seines eng auszulegenden Ausnahmecharakters zu Art. 33 Abs. 4 GG so aufgebaut, dass die jeweilige Behörde für die ihr übertragenen (polizeilichen) Tätigkeiten jeweils eigene Bedienstete und Bedienstete der jeweils nachgeordneten Behörden als „Hilfspolizeibeamte“ bestellen kann (vgl. zum Ganzen Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 2 ff; 7f und 34 ff).
Die Stadt1 kann daher nach § 99 Abs. 3 für die eigene „Stadtpolizei“ „eigene Bedienstete“ bestellen. Das hat sie indes nicht getan.
Stattdessen verwendet sie ihre hoheitliche Sanktionsmacht Verwarngelder zu erheben dazu, das Geschäftsmodell eines privaten Dienstleisters zu finanzieren. Damit dies nicht auffällt, lässt sie die Verkehrsüberwachung den privaten Dienstleister im strafbewehrten Gewand einer Polizeiuniform durchführen (vgl. §§ 132, 132a StGB).
Damit täuscht die Stadt1 strukturell und systemisch den Bürger und die Gerichte und zwar im vollem Bewusstsein, dass sie geltendes Recht umgeht.
Durch den gesetzeswidrigen Bestellungsakt eines zuvor rechtswidrig überlassenen Mitarbeiters eines privaten Dienstleisters zu einem „Hilfspolizeibeamten“ erhält dieser (die Wirksamkeit der Bestellung unterstellt) die Aufgaben und die Befugnisse der Vollzugspolizei. Dies wird durch das Tragen der Uniform auch dem Bürger gegenüber nach Außen dokumentiert.
Damit erhält diese Privatperson u.a. folgende Kompetenzen:
• Personenüberprüfungen und Identitätsfeststellungen
• vorläufige Festnahmen und Personalienfeststellung (Sistierung)
• Platzverweise und Verbringungsgewahrsam
• Sicherstellungen
• Verkehrsregelnde Eingriffe in den Verkehr, Erteilen von polizeilichen Weisungen
• Entgegennahme von Anzeigen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
• Anwendung unmittelbaren Zwanges mit körperlicher Gewalt, Hilfsmitteln und Waffen
Im Übrigen sind die Angehörigen der „Stadtpolizei“ nach dem Legalitätsprinzip zur Strafverfolgung verpflichtet.
Der Bürger geht – und muss dies auch -, davon aus, dass die die Uniform der Stadtpolizei tragende Person, ein Polizist ist und die genannten Funktionen und Befugnisse hat. Dass ein „privater Dienstleister“ diese Befugnisse nicht haben darf, versteht sich von selbst.
Tatsächlich hat die Stadt1, wie das Innenministerium dem Senat mitgeteilt hat, einzelvertraglich diese Funktionen und Befugnisse wieder beschränkt. Die Stadt1 hat danach bewusst eine „leere Hülle in Uniform“ geschaffen, die ausschließlich dazu dient, nach Außen den täuschenden Schein der Rechtstaatlichkeit aufzubauen und den Bürgern und den Gerichten gegenüber den Eindruck polizeilicher Handlungen zu vermitteln.
IV.
Die den vorliegenden Parkverstoß belegenden Beweismittel unterliegen einem absoluten Beweisverwertungsverbot.
Die für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots notwendige Abwägung des staatlichen Verfolgungsinteresses mit den Rechten des Beschuldigten vor dem Hintergrund der Schwere des staatlich vorgenommenen Gesetzesverstoßes bei der Beweiserhebung führt vorliegend dazu, dass die hier erzeugten rechtswidrigen Beweismittel für den Parkverstoß einem absoluten Verwertungsverbot unterliegen.
Vorliegend ist der Zeuge B Mitarbeiter eines privaten Dienstleisters. Durch die rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung ist er nicht zu einem Bediensteten der Stadt1 geworden. Das Regierungspräsidium Stadt2 ist zu einer Bestellung von städtischen Hilfspolizeibeamten bei der Stadt1 nicht befugt. Der Nachweis des vorliegenden Parkverstoßes erfolgte damit nicht durch einen im staatlichen Auftrag handelnden, alleine im Interesse der Allgemeinheit und ohne eigene finanzielle Interessen agierenden Polizisten, sondern durch einen mit eigenen finanziellen Interesse versehenen „privaten Dienstleister“ in Uniform der Stadtpolizei.
Unter Berücksichtigung, dass die Stadt1 nach eigenen Angaben jährlich über 700.000 (Jahr 2018) Parkverstöße mit einem Sanktionsvolumen von über 1 Mio Euro ahndet, offenbart dieser Fall, dass hier ein strukturelles System der wirtschaftlichen Verflechtungen entstanden ist, bei dem staatliche Verkehrsüberwachung und -Sanktionierung zur Finanzierung privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle verwendet wird. Verschärfend kommt vorliegend noch hinzu, dass anders als in den bisher von den Gerichten aufgedeckten Missbräuchen im fließenden Verkehr (vgl. Beschlüsse v. 26.04.2017 – 2 Ss-Owi 295/17 und v. 06.11.2019 – 2 Ss-OWi 942/19) hier zur Täuschung auch noch Mitarbeiter „private Dienstleister“ strafbewehrt in Polizeiuniformen „Dienst“ tun“ (vgl. zur Strafbarkeit §§ 132, 132a StGB).
Die Stadt1 hat damit nicht nur systemisch gegen geltendes Recht verstoßen, sondern darüber hinaus in Kenntnis dieses Verstoßes im Zusammenwirken mit einem privaten Dienstleister ein System der Verschleierung und Täuschung aufgebaut, das nicht nur den Bürger, sondern vorliegend auch die Gerichte über Jahre hin getäuscht hat.
Durch das Vorspiegeln polizeilicher Beweiserhebung und Beweisermittlung, hat das Amtsgericht hier auch fälschlich die für polizeiliche Zeugen prozessual möglichen Regelungen zur Anwendung gebracht.
Im vorliegenden Urteil des Amtsgerichts wird der „Zeuge“ als „Hilfspolizeibeamter mit allen erforderlichen Befugnissen für die Parküberwachung (…) einschließlich einer Uniform“ gewürdigt und darauf die Beweiswürdigung gestützt. Das Gericht hat damit in verkürzter Form die besondere „Glaubwürdigkeit“ des „polizeilichen Zeugen“ und die „Glaubhaftigkeit“ seiner Angaben, da er kein eigenes Interesse an der Verfolgung hat, dargelegt.
Diese Annahme beruht wie dargelegt auf einer Täuschung, so dass das angefochtene Urteil des Amtsgerichts daher keinen Bestand haben kann.
Da der hier vorgeworfenen Parkverstoß möglicherweise auch auf rechtsstaatliche Weise bewiesen werden könnte, dieser Aufwand aber außer Verhältnis zum behaupteten Verstoß steht, verweist der Senat das Verfahren nicht zur Neuverhandlung zurück, sondern stellt das Verfahren ein.
Schlagworte: