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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.07.2013 – I-26 W 13/08 (AktE), 26 W 13/08 (AktE)

MitbestG, AktG §§ 17, 18

1. Nach § 1 Abs. 1 MitbestG haben Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht u. a. in Unternehmen, die in der Rechtsform der GmbH betrieben werden und in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen.

2. Ist ein Unternehmen im Sinne des § 1 Abs. 1 MitbestG herrschendes Unternehmen eines Konzerns, so gelten nach § 5 Abs. 1 MitbestG für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes auf das herrschende Unternehmen die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens. Wird dadurch die Zahl von 2.000 Arbeitnehmern überschritten, kommt die Mitbestimmung bei dem herrschenden Unternehmen auch dann in Betracht, wenn dieses selbst keinen einzigen eigenen Arbeitnehmer hat (vgl. Gach in: MünchKomm zum AktG, 3. Aufl. 2008, § 5 MitbestG, Rdn. 6 m. w. N.).

3. Gemäß § 17 Abs. 1 AktG ist der Abhängigkeitstatbestand gegeben, wenn ein Unternehmen auf ein anderes rechtlich selbständiges Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann; die Möglichkeit der Einflussnahme genügt (h. M., vgl. statt vieler nur Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 17 Rdn. 4 m. w. N.). Nach § 17 Abs. 2 AktG wird bei Bestehen einer Mehrheitsbeteiligung im Sinne von § 16 Abs. 1 AktG vermutet, dass das im Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen von dem mehrheitsbeteiligten Unternehmen abhängig ist.

4. Die Widerlegung dieser Vermutung setzt voraus, dass Tatsachen behauptet und bewiesen werden, aus denen folgt, dass ein beherrschender Einfluss aus Rechtsgründen nicht ausgeübt werden kann. Unerheblich ist, ob vorhandener Einfluss tatsächlich nicht ausgeübt wird; denn schon die Möglichkeit der Einflussnahme begründet die Abhängigkeit. Die Widerlegung erfordert den Nachweis, dass die Mehrheitsbeteiligung aus rechtlichen Gründen nicht zu einer beherrschenden Einflussnahme genutzt werden kann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 24.03.1998 – 3Z BR 236/96; Peres/Oschütz, in: Heidel, AktR, 2. Aufl. 2008, § 17 AktG, Rdn. 17; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 17 Rn. 19 m. w. N.). Als Widerlegungsmittel sind dabei auch so genannte Stimmbindungs- bzw. Entherrschungsverträge anerkannt. Mit Hilfe dieser Verträge verzichtet der Mehrheitsgesellschafter auf die Ausübung seiner Stimmrechte aus einem so großen Teil seiner Beteiligung, dass es ihm mit den restlichen Stimmrechten und seinen sonstigen Herrschaftsmitteln nicht mehr möglich ist, beherrschenden Einfluss auszuüben (vgl. Hüffer, a. a. O.).

5. Gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 AktG bilden herrschendes und abhängiges Unternehmen einen Konzern, wenn sie unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind. Die Konzernvermutung bezieht sich darauf, dass das herrschende Unternehmen seinen Einfluss zur Konzernbildung ausnutzt, indem es eine einheitliche Leitung ausübt. Aus dieser Ausübung von Leitungsmacht rechtfertigt sich auch die Beteiligung der Arbeitnehmer des beherrschten Unternehmens an den Entscheidungsprozessen im herrschenden Unternehmen wie sie § 5 Abs. 1 MitbestG vorsieht. Mit Blick auf die Zielsetzungen des MitbestG, den Arbeitnehmern in einem Konzern das Mitbestimmungsrecht auf der Ebene zu eröffnen, auf der die wichtigen unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden (vgl. Koberski in: Wißmann/Koberski/Kleinsorge/Freis, MitbestimmungsR, 4. Aufl., § 5 MitbestG, Rdn. 2), ist von einem weiten Konzernbegriff auszugehen, so dass für die Annahme einer einheitlichen Leitung bereits die bestimmende Einflussnahme auf wesentliche Führungsfunktionen in einem einzelnen zentralen Konzernbereich, z.B. bei Einkauf, Finanzen, Organisation, Personalwesen und Verkauf, genügt (vgl. BAG, Beschl. v. 25.01.1995 – 7 ABN 41/94; BayObLG, Beschl. v. 24.03.1998 – 3Z BR 236/96; OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
, Beschl. v. 30.10.2006 – I-26 W 14/06 AktE).

6. Die Widerlegung der Konzernvermutung setzt voraus, dass Tatsachen behauptet und bewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass herrschendes und abhängiges Unternehmen nicht einheitlich geleitet werden, die feststehenden Tatsachen müssen die Annahme einer einheitlichen Leitung ausschließen (vgl. Gach in: MünchKomm zum AktG, 3. Aufl. 2008, § 5, Rdn. 18; BayObLG, Beschl. v. 06.03.2002 – 3Z BR 343/00 jeweils m. w. N.). Wird ohne leitenden Einfluss auf wesentliche Führungsaufgaben in einem der oben genannten zentralen Konzernbereiche lediglich auf einen anderen unternehmenspolitischen Sachbereich eingewirkt, muss zur Qualifizierung der Einflussnahme als einheitliche Leitungsmacht die Einwirkung erhebliche Auswirkungen auf die Geschäftspolitik in ihrer Gesamtheit haben (Gach in: MünchKomm zum AktG, 3. Aufl. 2008, § 5 MitbestG, Rdn. 14 m. w. N.). Entscheidend ist, dass die herrschende Gesellschaft die abhängige Gesellschaft ihren eigenen unternehmerischen Zielen unterwirft und dadurch deren Führungsentscheidungen maßgeblich beeinflusst, so dass von einer eigenständigen Verfolgung von Unternehmenszielen durch die abhängige Gesellschaft nicht mehr gesprochen werden kann (Gach in: MünchKomm zum AktG, 3. Aufl. 2008, § 5 MitbestG, Rdn. 15). Zur Widerlegung der Konzernvermutung muss demnach der Nachweis erbracht sein, dass das herrschende Unternehmen von den Mitteln, welche die Ausübung einer einheitlichen Leitung möglich machen, überhaupt keinen oder allenfalls punktuellen Gebrauch macht (vgl. Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl., § 18, Rdn. 23) und dass die Bereiche, in denen die einheitliche Leitung üblicherweise sichtbar werden, ausschließlich und nachhaltig nach dem uneingeschränkten Eigeninteresse des abhängigen Unternehmens gesteuert werden. Der Versuch einer Widerlegung der Konzernvermutung hat in erster Linie bei den einzelnen Indizien anzusetzen, die typischerweise auf das Vorliegen einheitlicher Leitung hindeuten: Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere der Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, enge personelle Verflechtungen zwischen den fraglichen Unternehmen, ein zentrales cash-Management, die offenkundige Koordinierung der Geschäftspolitik der verbundenen Unternehmen, z. B. durch Genehmigungsvorbehalte, die Erstellung eines Konzernabschlusses und ein intensiver Informationsaustausch zwischen den verbundenen Unternehmen auch hinsichtlich sensibler Daten (vgl. dazu Emmerich, Konzernrecht, 9. Auflage, § 4 Rdn. 18, 26.).

7. Die Gewinnverwendung durch den Gesellschafter als solche stellt keine lenkende Einflussnahme auf die Geschäftsführung dar (vgl. Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl., § 18, Rdn. 23).

8. Im Falle der Ergebnisabführung greift die unwiderlegliche Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 2 AktG nicht ein (vgl. Bayer in: MünchKomm, AktG, § 18, Rdn. 45; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestG, 3. Aufl. 2013, § 5 Rdn. 28). Dem Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages kommt lediglich eine indizielle Bedeutung für die Ausübung konzernaler Leitungsmacht zu.

9. Die Zurechnung der Arbeitnehmer zu einer fingierten Teilkonzernspitze nach § 5 Abs. 3 MitbestG kommt nur in Betracht, wenn die Zurechnung zur Konzernspitze nicht möglich ist (vgl. Koberski in: Wißmann/Koberski/Kleinsorge/Freis, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 5 MitbestG, Rdn. 52). Das ist immer dann der Fall, wenn das herrschende Konzernunternehmen nicht AG, KGaA, GmbH, Genossenschaft oder Kapitalgesellschaft und Co. KG im Sinne des § 1 Abs. 1 MitbestG ist. Auch eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft kann damit herrschendes Unternehmen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17.03.1997 – II ZB 3/96). Der Grundsatz, dass die Konzernmitbestimmung im herrschenden Unternehmen stattzufinden habe, lässt sich nicht durchführen, wenn die Konzernspitze selbst nicht mitbestimmungspflichtig ist (Oetker in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl. 2012, § 5 MitbestG, Rdn. 18; Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittbeteiligungsgesetz, 5. Aufl. 2009, Konzern, § 5, Rdn. 35). Um diese Lücke zu schließen, hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 3 MitbestG eine Ersatzlösung vorgesehen, wonach die Konzernmitbestimmung in dem der Muttergesellschaft am nächsten stehenden Unternehmen stattfindet, welches die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt (vgl. Raiser/Veil, a. a. O., Rdn. 35) und die schon deswegen unbefriedigend ist, weil sie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer erst unterhalb der Ebene einsetzen lässt, auf der die Leitungsmacht originär ausgeübt wird (vgl. Koberski, a. a. O. Rdn. 53). Umstritten ist, welche Anforderungen an die Einschaltung des Zwischenunternehmens in die Ausübung der Konzernleitungsmacht zu stellen sind. Zum Teil wird angenommen, dass schon das Halten der Mehrheitsbeteiligungen an den Untergesellschaften genügt, ohne dass es erforderlich ist, dass dieses Unternehmen die Leitungsmacht tatsächlich selbst ausübt bzw. die Mutter sich zur Ausübung von Leitungsmacht dieses Unternehmens bedient (vgl. Senat, Beschluss vom 30.10.2006 – 26 W 14/06; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.03.1995 – 8 W 355/93; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Beschluss vom 21.04.2008 – 20 W 342/07; Raiser/Veil, a. a. O., Rdn. 41; Gach in: MünchKomm zum Akt, § 5 MitbestG, Rdn. 38). Danach genügt es für die Anwendung des § 5 Abs. 3 MitbestG, wenn die Tochter lediglich als Zwischenholding dient, während die tatsächliche Leitung durch eine andere, von der Mutter beherrschte, selbst aber ebenfalls nicht mitbestimmungspflichtige Gesellschaft ausgeübt wird. Die gegenteilige Ansicht will dagegen die bloße Beteiligung einer Zwischengesellschaft, die sich auf das Halten und Verwalten von Beteiligungen beschränkt, nicht ausreichen lassen, (vgl. Oetker, a. a. O., Rdn. 21; vgl. Koberski, a. a. O., Rdn. 59; Ulmer/Habersack in: Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestG, 3. Aufl. 2013, § 5, Rdn. 70), wobei streitig ist, ob eine Teilhabe an der Leitungsmacht (so Oetker, a. a. O., Rdn. 21) oder die Ausübung „delegierter Leitungsmacht“ (so Ulmer/Habersack, a. a. O., Rdn. 70) erforderlich ist oder bereits die Weiterleitung von Weisungen der Konzernspitze nach unten genügt (so Koberski, a. a. O., Rdn. 59).

10. Fehlt es an der Ausübung jeglicher Leitungsmacht auf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft, scheidet die Anwendung des § 5 Abs. 3 MitbestG bereits aus diesem Grund aus. Dass eine einheitliche Leitung ausgeübt wird, ist schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 3 MitbestG unverzichtbar. Die Vorschrift ersetzt nicht die fehlende Ausübung von Leitungsmacht, sondern fingiert das dem herrschenden Unternehmen am nächsten stehende Unternehmen als herrschendes Unternehmen im Sinne des § 5 Abs. 1 und Abs. 2 MitbestG.

11. Im Statusverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, so dass das Gericht an Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden ist (Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 99 Rdn. 3).

Schlagworte: Abhängiges Unternehmen, Amtsermittlung, Beherrschung, Entherrschungsvertrag, Ergebnisabführungsvertrag, Ergebnisverwendung, Gewinnabführungsvertrag, Konzernrecht, Mitbestimmung, Statusverfahren, Stimmbindungsvereinbarung, tatsächliche Vermutung