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OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.01.1995 – 6 U 272/93

§ 64 Abs 2 GmbHG

Eine Überschuldung im Sinne des GmbHG § 64 Abs 2 liegt dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr die Schulden deckt. Davon ist dann auszugehen, wenn sich bei der Gegenüberstellung des Aktivvermögens und der Verbindlichkeiten ergibt, daß die Schulden das Vermögen der Gesellschaft übersteigen (rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
rechnerische Überschuldung
Überschuldung
), und eine zusätzlich anzustellende Fortbestehensprognose zu dem Schluß kommt, daß die Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit bzw mittelfristig zahlungsunfähig wird.

In der Tat spricht im vorliegenden Fall vieles dafür, daß die von der Muttergesellschaft der Gemeinschuldnerin gewährten Stundungen und überlassenen Darlehen jedenfalls aufgrund des Stehenlassens in der Krise den Charakter von Eigenkapitalersatz hatten (zur rechtlichen Einordnung einer Stundung als Eigenkapitalersatz vgl. BGHZ 76, 326, 329 = NJW 1980, 1524; BGHZ 81, 252, 263 = NJW 1981, 2570; BGHZ 81, 311, 317 = NJW 1982, 383; Baumbach/Hueck, a.a.O., § 32 a GmbHG, Rdn. 35; Hachenburg/Ulmer, a.a.O., §§ 32 a, 32 b GmbHG, Rdn. 93; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 8. Aufl., §§ 32 a, 32 b GmbHG, Rdn. 101 m.w.Nachw.; zur rechtlichen Einordnung des Stehenlassens von Darlehensforderungen in der Krise der Gesellschaft vgl. Baumbach/Hueck, a.a.O., § 32 a GmbHG, Rdn. 37 ff; Hachenburg/Ulmer, a.a.O., §§ 32 a, 32 b GmbHG, Rdn. 22 ff m.w.Nachw.; Scholz/K. Schmidt, a.a.O., §§ 32 a, 32 b GmbHG, Rdn. 43 ff). Folge dieser rechtlichen Einordnung ist es zwar, daß ein eigenkapitalersetzendes Gesellschafterdarlehen im Konkurs wie Eigenkapital zu behandeln ist und daher nach § 32 a Abs. 1 S. 1 GmbHG vom Gesellschafter nicht zurückgefordert werden kann. Anders als das Stammkapital sind eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen aber bei der Erstellung einer Überschuldungsbilanz nach herrschender Meinung, der der Senat folgt, gleichwohl zu passivieren (vgl. OLG HamburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Hamburg
, WM 1986, 1110, 1112; OLG Stuttgart BB 1992, 531; LG München ZIP 1983, 66, 67; Baumbach/Hueck, a.a.O., § 32 a GmbHG, Rdn. 12; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, a.a.O., § 63 GmbHG, Rdn. 15 m.w.Nachw.; Hachenburg/Ulmer, a.a.O., § 63 GmbHG, Rdn. 41; Scholz/K. Schmidt, a.a.O., §§ 32 a, 32 b GmbHG, Rdn. 60 und § 63 GmbHG, Rdn. 27; Meyer/Landrut, GmbHG, § 63 GmbHG, Rdn. 3; Roth, GmbHG, 2. Aufl., § 63 GmbHG, Anm. 3.2.2; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 10. Aufl., § 102 KO, Rdn. 6; Priester DB 1977, 2429, 2432; Karsten Schmidt NJW 1980, 1772; Kamprath GmbHR 1985, 352, 353; Peters WM 1988, 692). Der gelegentlich vertretenen Gegenmeinung (vgl. OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG München
NJW 1966, 2366; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., § 63 GmbHG, Rdn. 7 m.w.Nachw.; Rowedder, a.a.O., § 63 GmbHG, Rdn. 14; Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl., §§ 207, 208 KO, Rdn. 21; Kroppen DB 1977, 663, 666; Menger GmbHR 1982, 221, 227; Joecks BB 1986, 1681 f) vermag sich der Senat hingegen nicht anzuschließen. Denn die Feststellung, ob ein Darlehen oder eine andere Gesellschafterleistung im vorgenannten Sinn kapitalersetzend ist, kann und darf im Hinblick auf den maßgeblich zu beachtenden Gläubigerschutz nicht dem Geschäftsführer einer GmbH überlassen werden (vgl. Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 63 GmbHG, Rdn. 27; Baumbach/Hueck, a.a.O., § 63 GmbHG, Rdn. 15; Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328, 333; Ulmer, Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1981, S. 67).

Bei kapitalersetzenden Gesellschafterleistungen entfällt eine Passivierungspflicht vielmehr erst dann, wenn die Gesellschaft und die Gesellschafter bezüglich der Gesellschafterforderung einen sogenannten Rangrücktritt mit der Wirkung vereinbart haben, daß die Forderung nur aus Jahresüberschüssen, aus Liquiditätsüberschüssen oder aus sonstigem Aktivvermögen der Gesellschaft beglichen werden soll (vgl. BGH WM 1982, 764, 765 = ZIP 1982, 563, 565; BGH WM 1987, 1697, 1698; OLG HamburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamburg
WM 1986, 1110, 1112; Scholz/R. Schmidt, a.a.O., SS 32 a, 32 b GmbHG, Rdn. 85 m.w.Nachw.; Baumbach/Hueck/ Schulze-Osterloh, a.a.O., § 63 GmbHG, Rdn. 15 m.w.Nachw.; Hachenburg/Ulmer, a.a.O., § 63 GmbHG, Rdn. 41; Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O., § 102 KO, Rdn. 6 v; Jaeger/Weber, a.a.O., §§ 207, 208 KO, Rdn. 21; Knobbe-Keuck ZIP 1983, 127, 129). Daß im vorliegenden Fall eine solche Rangrücktrittsvereinbarung mit dem vorgenannten Inhalt getroffen worden ist, davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Zwar haben die Gemeinschuldnerin und ihre Muttergesellschaft unstreitig vereinbart, daß die Forderungen der Muttergesellschaft von der Gemeinschuldnerin erst nachrangig befriedigt werden sollten. In dieser Abrede liegt aber kein Rangrücktritt, der eine Passivierungspflicht entfallen läßt. Hierfür reicht es nämlich nicht aus, daß der Gesellschafter den Forderungen der übrigen Gläubiger Vorrang vor seinen Forderungen einräumt. Vielmehr ist – wie bereits erwähnt – darüber hinaus die Vereinbarung erforderlich, daß die Gesellschafterforderungen nur dann geltend gemacht werden, wenn sie aus einem erwirtschafteten Überschuß der Gesellschaft befriedigt werden können. Daß dies vereinbart worden wäre, hat der Beklagte nicht einmal schlüssig dargelegt. Zwar hat er in seiner Berufungsbegründung – erstmals – behauptet, die Gemeinschuldnerin und deren Muttergesellschaft hätten vereinbart, daß die bei der Muttergesellschaft bestehenden Verbindlichkeiten „nur dann beglichen werden sollten, wenn diese hierzu überhaupt in der Lage wäre“. Hinsichtlich dieser vom Beklagten beschriebenen angeblichen Vereinbarung erscheint es aber bereits außerordentlich zweifelhaft, ob ihr überhaupt ein Rangrücktritt im vorgenannten Sinn entnommen werden kann. Dies gilt um so mehr, als auch in dem vorprozessualen Schreiben des damaligen Anwalts des Beklagten vom 13.04.1988 (Bl. 236, 237 GA) zwar von einer nachrangigen Behandlung der Forderungen im Verhältnis zu anderen Gläubigern, nicht aber von einem Rangrücktritt in dem Sinne gesprochen wird, daß die Gemeinschuldnerin die Verbindlichkeiten gegenüber ihrer Muttergesellschaft nur tilgen müsse, wenn sie einen Überschuß erwirtschafte. Selbst wenn man aber trotz dieser gegenteiligen Umstände das Berufungsvorbringen anders verstehen und dahin interpretieren wollte, daß der Beklagte die Vereinbarung eines Rangrücktritts im rechtstechnischen Sinne behaupten wolle, so fehlt es allerdings jedenfalls an konkreten Darlegungen des Beklagten dazu, wann, wo, wie und aus welchem Anlaß eine Vereinbarung der behaupteten Art getroffen worden sein soll. Mangels solcher Darlegungen kann folglich weder nachvollzogen noch überprüft werden, ob eine Rangrücktrittsvereinbarung im rechtstechnischen Sinn getroffen worden ist. Dies geht zu Lasten des insoweit darlegungspflichtigen Beklagten.

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