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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.07.2012 – I-26 W 8/10 (AktE), 26 W 8/10 (AktE)

UmwG §§ 29, 30, 34; SpruchG; ZPO § 287

1. Gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 UmwG hat der übernehmende Rechtsträger im Verschmelzungsvertrag jedem Anteilsinhaber, der gegen den Verschmelzungsbeschluss des übertragenden Rechtsträgers Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner Anteile oder Mitgliedschaften gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten. Angemessen ist eine Barabfindung, die dem ausscheidenden Anteilsinhaber eine volle wirtschaftliche Kompensation für den Verlust seiner Beteiligung an dem Unternehmen verschafft (BVerfG, ZIP 2007, 1261, juris RN 19, 24; BVerfGE 100, 289, 303; BGH, ZIP 2005, 2107, juris RN 2; Kallmeyer-Müller, UmwG, 4. Aufl., § 30 RN 5; Semler/Stengel-Zeidler, UmwG, 3. Aufl., § 30 RN 6ff; MünchKomm-Paulsen, AktG, 3. Aufl., § 305 AktG, RN 7 ff.; Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 305 AktG, RN 8). Die Barabfindung muss die Verhältnisse des übertragenden Rechtsträgers im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Verschmelzung berücksichtigen, § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG. Anders als bei der Ermittlung des Umtauschverhältnisses nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UmwG ist der übernehmende Rechtsträger nicht zu bewerten, vielmehr hat die Bewertung auf einer „stand alone“-Basis zu erfolgen (Kallmeyer-Müller, a.a.O. § 30 RN 8).

2. Weder das Umwandlungsgesetz noch das Verfassungsrecht (BVerfGE 100, 289, juris RN 61 – DAT/Atlanta) geben für die Unternehmensbewertung eine bestimmte Wertermittlungsmethode vor. Die Ertragswertmethode ist als eine geeignete Methode der Unternehmensbewertung anerkannt (BGH NJW 2003, 3272f.) und verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 100, 289, 307). Nach der Ertragswertmethode sind die den Anteilsinhabern künftig zufließenden Erträge zu schätzen und mit dem Kapitalisierungszinssatz zu diskontieren. Mit Hilfe des Kapitalisierungszinssatzes soll die Beziehung zwischen dem bewerteten Unternehmen und anderen Kapitalanlagemöglichkeiten hergestellt werden. Die an den ausscheidenden Anteilsinhaber zu zahlende Abfindung soll es ihm ermöglichen, durch anderweitige Anlage dieses Betrages den Ertrag zu erwirtschaften, der seinem Anteil an dem zu erwartenden Unternehmensgewinn entspricht, von dem er in Zukunft ausgeschlossen wird. Der Kapitalisierungszinssatz setzt sich dabei zusammen aus einem risikolosen Basiszinssatz und einem Risikozuschlag. Da der Unternehmensbewertung eine Nominalrechnung zugrunde liegt, ist in der Phase der ewigen Rente ein Wachstumsabschlag zu berücksichtigen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.04.2012, 20 W 7/09, BeckRS 2012, 08486, S. 13; Beschluss vom 17.10.2011, 20 W 7/11, juris RN 285; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Frankfurt
, Beschluss vom 05.03.2012, 21 W 11/11, BeckRS 2012, 06905, S. 8).

3. Nach den Grundsätzen des IDW ES 1 2007,Tz. 114, und den Grundsätzen der praktisch identischen endgültigen Fassung des IDW S 1 2008, Tz. 114, erfolgt die Ableitung des risikolosen Basiszinssatzes für ein Unternehmen mit unbegrenzter Lebensdauer aus der am Bewertungsstichtag beobachtbaren Rendite einer laufzeitäquivalenten, also ebenfalls zeitlich nicht begrenzten Anleihe der öffentlichen Hand. Vereinfachend dürfen solche Anleihen mit langen Restlaufzeiten herangezogen werden (IDW ES 1 2007, IDW S 1 2008, jeweils Tz. 117). Um der Wiederanlageprämisse unter Beachtung der Laufzeitäquivalenz zu dem Bewertungsobjekt zu genügen, wird nach IDW ES 1, Tz. 117, auf die aktuelle Zinsstrukturkurve zurückgegriffen. Bei der Ableitung des Basiszinssatzes wird entsprechend der Praxis der Bundesbank die Svensson-Methode angewandt. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. In der Rechtsprechung ist die Ausrichtung an der aktuellen Zinsstrukturkurve anerkannt (OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Düsseldorf
, Beschluss vom 29.02.2012, I-26 W 2/10 (AktE); OLG Stuttgart AG 2008, 510; NZG 2007, 112, 116; LG Frankfurt NZG 2006, 868, 870; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
AG 2007, 287, 290; Landgericht Frankfurt AG 2007, 42, 44).

4. Der Risikozuschlag soll der Erfahrungstatsache Rechnung tragen, dass die Anlage in einem Unternehmen mit größeren Risiken behaftet ist als die Anlage in öffentlichen Anleihen. Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass Unternehmensrisiko und Gewinnerwartungen sich ausgleichen (OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
AG 1992, 200, 204, juris RN 63; a.A. OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Celle
, 1998, 987, 989). Der IDW S 1 2005 (RN 128) sowie der von den Bewertungsprüfern angewandte IDW ES 1 2007 (RN 118ff), der mit dem IDW S 1 2008 (RN 118ff) insoweit inhaltsgleich ist, empfiehlt die Berücksichtigung eines anhand von Kapitalmarktdaten ermittelten Risikozuschlags beim Kapitalisierungszinssatz nach dem (Tax-) Capital Asset Pricing Model (CAPM). Dabei wird im Ausgangspunkt die Differenz zwischen der Rendite eines Marktportfolios und einer Staatsanleihe als Marktrisikoprämie zugrunde gelegt und diese sodann mit einem unternehmensspezifischen Faktor (Betafaktor) multipliziert (MünchKomm-Paulsen, a.a.O., § 305 RN 115 ff. m.w.N.). Die mittlerweile praktisch einhellige obergerichtliche Rechtsprechung orientiert sich am CAPM. Dessen Heranziehung ist sachgerecht, auch wenn es sich um ein vereinfachendes Modell mit entsprechend teilweise restriktiven Annahmen handelt. Gleichwohl ist es zumindest gegenüber der freien Schätzung des Risikozuschlages durch die Aufgliederung der Risikobetrachtung in das allgemeine Risiko von Anlagen in Aktien einerseits und das spezifische Risiko des zu bewertenden Unternehmens andererseits methodisch transparenter (MünchKomm- Paulsen, a.a.O., § 305 RN. 117). Es vermag die empirisch betrachtbaren Aktienrenditen realitätsnäher zu erklären, indem es die unterschiedliche Besteuerung von Zinseinkünften, Dividenden und Kursgewinnen besser abbildet (vgl. IDW S 1 2005, RN 129; Riegger in Kölner Komm.SpruchG, Anh § 11 RN 31).

5. Die konkrete Höhe der Marktrisikoprämie ist innerhalb der Wirtschaftswissenschaften sehr umstritten. Dies belegt schon die Vielzahl der Studien, die jeweils basierend auf unterschiedlichen Beobachtungszeiträumen, verschiedenen Vergleichsgrößen sowie differierender Durchschnittsbildung zu zum Teil stark voneinander abweichenden Ergebnissen gelangen (vgl. etwa die Übersicht bei Druckarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 5. Aufl., S. 253 f.). Eine allgemein anerkannte Höhe hat sich bislang nicht herausgebildet. Hinzu kommen grundsätzliche konzeptionelle Bedenken, die daraus resultieren, dass die erwähnten Studien jeweils die Ableitung historischer Marktrisikoprämien zum Gegenstand haben, zum Zwecke der Unternehmensbewertung aber der für die Zukunft erwartete Wert heranzuziehen ist. Aus diesem Grund ist eine Marktrisikoprämie im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zu ermitteln. Letztlich ist es daher angemessen, der damaligen Empfehlung des IDW, wonach die Marktrisikoprämie nach Steuern mit einem Wert zwischen 5% und 6% anzusetzen sei, anzuschließen (OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, Beschluss vom 24.11.2011, 21 W 7/11, juris RN 117). Die Empfehlung des IDW zur Bestimmung der Nachsteuermarktrisikoprämie stellt zwar keine Rechtsnorm dar, sie ist aber eine wenn auch nicht unbestrittene, so doch anerkannte Expertenauffassung (Simon-Simon/Leverkus, SpruchG, Anh § 11 RN. 128; MünchKomm-Paulsen, a.a.O., § 305 RN. 118). Sie wird in der Bewertungspraxis und in der Rechtsprechung beachtet.

6. Im Spruchverfahren ist zur Bestimmung der Barabfindung anhand des Unternehmenswertes nicht zwingend die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass die ehemalige Antragsgegnerin insolvent ist, ist die richterliche Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO auf der Grundlage sonstiger Erkenntnismöglichkeiten geboten (OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, Beschluss vom 09.04.2010, Az. 5 W 75/09, S. 10 ff; LG Frankfurt, Beschluss vom 14.09.2009, Az. 3-5 O 203/07, NZG 2010, 66 ff; BayObLG, Beschluss vom 29.09.1998, Az. 3Z BR 159/94, juris RN 28 ff = NJW-RR, 109, 111). Denn selbst bei Anwendung analytischer, betriebswirtschaftlicher Methoden lässt sich ein bestimmter Unternehmenswert nicht punktgenau, sondern nur annähernd bestimmen. Das Gericht darf daher auf die im Bewertungsgutachten erläuterten und von dem sachverständigen Prüfer bestätigten Methoden und Parameter zurückzugreifen.

7. Zwar verpflichtet § 7 Abs. 7 SpruchG den Antragsgegner, dem Gericht auf Verlangen Unterlagen vorzulegen; dies gilt aber nur für solche, die für die Entscheidung des Gerichts erheblich sind (OLG Stuttgart, ZIP 2010, 274, juris RN 141; Simon- Winter, a.a.O., § 7 RN 59 f.) Die Entscheidungserheblichkeit des Inhalts der vorgenannten Unterlagen muss von der Antragstellerin dargelegt werden. Da das Merkmal der Entscheidungserheblichkeit die Vorlagepflicht sachgerecht begrenzen soll, kann es nicht schon dann erfüllt sein, wenn die betreffenden Unterlagen überhaupt mit der Bewertung zu tun haben, da dies im Ausgangspunkt auf sämtliche unternehmensbezogenen Dokumente zutrifft (OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.11.2011, Az. 20 W 3/09, juris RN 80; Simon- Winter, a.a.O., § 7 RN 60). Das Einsichtsrecht bedeutet auch nicht, dass sämtliche Unterlagen zugänglich gemacht werden müssen, die die sachverständigen Verschmelzungsprüfer bei ihrer Begutachtung verwertet haben. Ein Anspruch besteht nicht, wenn das Gericht die Vorlage der Unterlagen nicht für erforderlich hält (OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
AG 2004, 212, 214).

8. Als Geschäftswert des Spruchverfahrens ist grundsätzlich der Betrag anzunehmen, der von allen Antragsberechtigten auf Grund der Entscheidung des Gerichts zusätzlich gefordert werden kann (vgl. nur: Emmerich in Emmerich/Habersack, SpruchG, § 15, RN 7 m. w. Nachw.). Kommt es nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung oder werden die Anträge als unzulässig oder als unbegründet zurückgewiesen, ist daher der Mindestgeschäftswert von 200.000 Euro maßgeblich (Rosskopf in Kölner Kommentar, a.a.O., § 15, RN 16).

Schlagworte: angemessener Ausgleich, Barabfindung, Bewertungsmethoden, Ertragswertverfahren, Geschäftswert, Spruchverfahren, Umwandlungsrecht, Unternehmensbewertung, Verschmelzung