§ 161 AktG, § 243 Abs 4 AktG, § 244 AktG, § 249 Abs 1 AktG
1. Ein Ansatzfehler durch Unterlassen einer nach § 249 Abs. 1 HGB gebotenen Rückstellung für einen Schadenersatzanspruch ist nicht wesentlich, wenn eine Rückstellung keine bedeutsame Veränderung des Bildes von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ergeben hätte.
2. Die Ablehnung einer notwendigen Rückstellung kann auf Grund der Wahrscheinlichkeitsprognose über das Entstehen einer Verbindlichkeit im Zeitpunkt des Geschäftsjahresabschlusses zutreffend oder zumindest vertretbar sein.
Das Landgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung mehrerer Senate des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (s.u.) zur Begründung ausgeführt, ein Ansatzfehler durch Unterlassen einer nach § 249 Abs. 1 HGB gebotenen Rückstellung für einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit dem Fernsehinterview sei nicht wesentlich, weil eine Rückstellung keine bedeutsame Veränderung des Bildes von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Beklagten ergeben hätte. Unwesentliche Beeinträchtigungen des Bildes hätten aber mit Rücksicht auf den gebotenen Gläubigerschutz außer Betracht zu bleiben (vgl. BGHZ 83, 341, 347; OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
AG 1992, 233, 234; Spindler/Stilz/Rölicke, AktG, § 256 Rn 60; in Bürgers/Körber- Schulz, AktG, § 256 Rn 17; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 256 Rn 25; a.A.: in Schmidt/Lutter-Schwab, AktG, § 256 Rn 16). Auch ein Betrag von ca. 3,6 Mrd. EUR berühre nämlich – trotz seiner beträchtlichen Höhe – die Bewertung der Beklagten nicht. Was die Vermögenslage der Beklagten anbelangt, bewegten sich die Beträge angesichts der Bilanzsumme von ca. 1.100 Mrd. EUR im Geschäftsjahr 2006 in einem verschwindend geringen Verhältnis, nämlich deutlich unter 1/2 Prozentpunkt liegend. Dass eine beachtliche Beeinträchtigung der Liquiditätslage hätte entstehen können, sei ebenfalls nicht ersichtlich. Auch wenn die Bildung einer Rückstellung die Höhe des Bilanzgewinns in dem Geschäftsjahr 2006 beeinträchtigt hätte, ergebe sich daraus eine Verzerrung der Darstellung der Ertragslage nicht. Die für die Bewertung des Unternehmens maßgebliche Fähigkeit der Beklagten, in Zukunft Erträge zu generieren, wäre durch die Bildung einer einmaligen Rückstellung – auch in der erheblichen Größenordnung, um die es hier geht – nicht entscheidend beeinträchtigt worden. Auf die Relation des Ansatzfehlers zum Bilanzgewinn eines einzelnen Geschäftsjahres, etwa des laufenden Jahres, könne es für das Wesentlichkeitsurteil nicht ankommen, wie bereits daraus erhelle, dass dann eine Gesellschaft, die ohne oder mit ganz geringem Gewinn wirtschaftet, durch nahezu jeden Ansatzfehler wesentlich falsch dargestellt wäre. Rückstellungen zu den Prozesskosten des Schadensersatzprozesses gegen die Beklagte erreichten die Wesentlichkeitsgrenze ohnehin nicht.
3. So wie die Satzung einer Aktiengesellschaft unterliegt auch die Einladung zu deren Hauptversammlung als Umsetzung/Konkretisierung der Satzung der objektiven Auslegung.
Allerdings ist in Übereinstimmung mit dem 5. Zivilsenat davon auszugehen, dass wie die Satzung einer Aktiengesellschaft auch die Einladung zu deren Hauptversammlung als Umsetzung/Konkretisierung der Satzung der objektiven Auslegung unterliegt (vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 23 Rn 39 m.w.N.). Das bedeutet, dass die Einladung nach Wortlaut, Zweck und systematischer Stellung auszulegen ist.
4. Das Aufsichtsratsmitglied, das sein Amt angenommen und ausgeübt hat, ist ungeachtet der Nichtigkeit der Bestellung jedenfalls partiell und bis zum Widerruf der Bestellung oder der Niederlegung des Amtes auch hinsichtlich der Pflichten aus Satzung und Gesetz wie ein wirksam bestelltes Mitglied zu behandeln.
5. Es besteht für den Versammlungsleiter keine rechtliche Bindung an die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte.
6. Die Entlastung ist in erster Linie die Erklärung der Hauptversammlung, dass sie die Verwaltung als im großen und ganzen gesetz- und satzungsmäßig billigt und daneben auch einen Vertrauenserweis darstellt.
7. Eine Unrichtigkeit der gem. § 161 AktG von Vorstand und Aufsichtsrat abzugebenden Entsprechenserklärungen führt wegen der darin liegenden Verletzung von Organpflichten zur Anfechtbarkeit jedenfalls der gleichwohl gefassten Entlastungsbeschlüsse, soweit die Organmitglieder die Unrichtigkeit kannten oder kennen mussten (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2009, II ZR 185/07, BGHZ 180,9). Eine Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG wird unrichtig, wenn nicht über das Vorliegen und die praktische Behandlung eines Interessenkonflikts in der Person eines Organmitglieds berichtet wird, der bereits entsteht, wenn ein Dritter eine Schadenersatzklage gegen die Gesellschaft erhebt, die auf einen Gesetzesverstoß eines Aufsichtsratsmitglieds während seiner früheren Vorstandstätigkeit gestützt wird.
8. Die Anfechtungsfrist ist nach § 246 Abs. 1 AktG nicht gewahrt, wenn die jeweiligen Rügen eines Einladungsmangels erst im Berufungsverfahren erhoben werden. Der nachgeschobene Anfechtungsgrund ist unbeachtlich.
9. Zu Recht hat das Landgericht dabei zuvörderst darauf verwiesen, dass es sich bei dem Bestätigungsbeschluss zu Tagesordnungspunkt 10 im Sinne des § 244 AktG nicht um eine Neuvornahme handelt, d.h. die von den Klägern angenommenen Berichtspflichten bestehen nicht bzw. es wird bei einer Bestätigung der wahl in den Aufsichtsrat eine Begründungspflicht nach Ziff. 5.4.4. DCGK nicht neu ausgelöst; auch sind andere Kandidaten nicht zur wahl zu stellen. Letzteres folgt bereits daraus, dass auch bei der Erstwahl kein Erfordernis mehrerer Kandidaten besteht, sondern Alternativvorschläge schlicht zulässig sind (vgl. Hüffer a.a.O. § 124 Rn 12; MünchKommAktG-Kubis § 124 Rn 51). Das Gesetz sieht ferner in § 244 AktG keinerlei Einschränkungen vorgenannter Art für Bestätigungsbeschlüsse vor, die auch auf Wahlbeschlüsse zum Aufsichtsrat anzuwenden sind. Die Abgrenzung zwischen einem Bestätigungsbeschluss, durch den die Hauptversammlung ihren Willen zum Ausdruck bringt, den zuvor gefassten, in seiner Wirksamkeit zweifelhaften Erstbeschluss als verbindliche Regelung zu akzeptieren, ihn also zu erhalten, von einer Neuvornahme, durch die der alte Beschluss durch einen neuen ersetzt wird, erfolgt im Wege der Auslegung (vgl. Spindler/Stilz-Würthwein, AktG, 2007, § 244 Rn 22; Hüffer a.a.O. § 244 Rn 2). Dabei sind im Hinblick auf den Beschluss durch eine Vielzahl von Aktionären objektive Auslegungskriterien heranzuziehen, wobei die inhaltsgleiche Wiederholung in der Regel als Bestätigung zu verstehen ist (vgl. Spindler/Stilz-Würthwein a.a.O.; MünchKommAktG-Hüffer § 244 Rn 4). Die inhaltliche Identität von Erst- und Bestätigungsbeschluss ist erforderlich, weil der Sinn des Bestätigungsverfahrens der Sache nach nur in der Ausräumung etwaiger Verfahrensmängel des Erstbeschlusses liegt (vgl. Spindler/Stilz-Würthwein a.a.O.; Hüffer a.a.O. § 244 Rn 1, 4). Entsprechend dem Grundgedanken des § 244 Satz 1 AktG ist im Zweifel eine Bestätigung anzunehmen (so Hüffer a.a.O. § 244 Rn 2a). Vorliegend ist der betreffende Beschluss nicht nur in der Bezeichnung von Tagesordnungspunkt 10 ausdrücklich als Bestätigungsbeschluss unter Angabe von § 244 AktG benannt, sondern zudem im Beschlusstext der Erstbeschluss zu Tagesordnungspunkt 8 der Hauptversammlung am 1.6.2006 inhaltsidentisch zitiert, der mit dem streitgegenständlichen Beschluss „bestätigt“ wird. Angesichts dessen bestehen vorliegend keine Zweifel daran, dass es sich bei der Beschlussfassung zu Tagesordnungspunkt 10 um einen Bestätigungsbeschluss im Sinne des § 244 AktG handelt mit den vorgenannten Folgen. Auch ein Bestätigungsbericht wird dabei nach überzeugender Meinung nicht gefordert (vgl. Spindler/Stilz-Würthwein a.a.O § 244 Rn 27; Grobecker/Kuhlmann NZG 2007, 1ff); ferner ist eine Aktualisierung eines für den Erstbeschluss ausdrücklich vorgeschriebenen Berichts entbehrlich, weil es nur um eine Geltungserklärung geht (vgl. Hüffer a.a.O. § 244 Rn 2). Somit gilt, dass für (wahl)Bestätigungsbeschlüsse entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (vgl. BGH vom 15.12.2003, II ZR 194/01, AG 2004, 204 = NZG 2004, 235) die Voraussetzungen nur auf den Zeitpunkt des Erstbeschlusses bezogen vorliegen müssen. Gerade bei der Frage der materiellen Beschlussvoraussetzungen zeigt sich nämlich mit dem Landgericht die Notwendigkeit, dass auf den Zeitpunkt des Erstbeschlusses abzustellen ist, wenn man den dargelegten Normzweck von § 244 AktG Geltung verschaffen will. Fallen materielle Beschlussvoraussetzungen nach der Fassung des Erstbeschlusses weg, wäre eine Neuvornahme nicht mehr möglich und das gewünschte Ergebnis könnte auf Grund eines ursprünglich möglicherweise begangenen Verfahrensfehlers endgültig nicht mehr erreicht werden, wie das Landgericht zutreffend angemerkt hat. Dies wollte der Gesetzgeber gerade durch die Schaffung der Möglichkeit eines Bestätigungsbeschlusses verhindern (vgl. Kocher NZG 2006, 1).
Schlagworte: Amtsniederlegung, Anfechtungsgründe, Aufsichtsrat, Auslegung, Beschlussmängel, Bestätigung von Beschlüssen, Bestätigungsbeschluss, Bestätigungsbeschluss nach § 244 Satz 1 AktG, Bestellung zum Geschäftsführer, Entlastung der Geschäftsführer, Fehlen notwendiger Teile, Gesellschaftsvertrag, Gewichtiger Verstoß erforderlich, Nachschieben von Gründen, Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach § 253 Abs. 1 Satz 1 AktG analog, Rückstellungen, Schadensersatzanspruch, Versammlungsleiter, Verstoß gegen Ansatzverbote und Ansatzgebote, Vorschrift über Aufstellung Ansätze und Bewertung nach §§ 242 ff HGB sowie Grundsätze ordnungsgemäßer Bilanzierung, Wahrscheinlichkeitsprognose