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OLG Hamburg, Urteil vom 17.05.2013 – 11 U 30/12

HGB § 230

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommen auf Rückgewähr der Einlage gerichtete Schadensersatzansprüche gegen Publikumsgesellschaften in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft („Publikums-KG“) nicht in Betracht. Wer einer solchen Publikumsgesellschaft Beitritt, um Vermögen anzulegen, kann bei einer mangelhaften Aufklärung über die Risiken und Chancen des Anlageprojekts von der Gesellschaft weder Schadensersatz noch sonst Rückabwicklung seiner Gesellschaftsbeteiligung verlangen, weil die fehlerhafte Aufklärung der Gesellschaft nicht zugerechnet werden kann. Er ist regelmäßig auf seinen Abfindungsanspruch beschränkt (vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, 1407); der eintretende Gesellschafter hat allerdings Schadensersatzansprüche gegen die Initiatoren der Gesellschaft, gegen die Gründungsgesellschafter und gegen diejenigen, die sonst für die Mängel seines Beitritts verantwortlich sind.

2. Der einzelne Gesellschafter hat auf die Beitrittsverträge neuer Gesellschafter keinerlei Einwirkungsmöglichkeit, tritt insoweit auch nicht in Erscheinung und ist im Gegenteil bei seinem eigenen Eintritt in die Gesellschaft regelmäßig selbst getäuscht oder jedenfalls nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Die Rückabwicklung der Beteiligung und die Rückzahlung der Einlage würden dazu führen, dass die danach ebenso schutzwürdigen Mitgesellschafter nicht nur die Folgen ihres eigenen, von einer fehlerhaften Willensbildung getragenen Beitritts tragen, sondern auch die Lasten, die sich aus der Rückabwicklung der Beteiligung und der Erstattung der vollen Anlage anderer Gesellschafter ergeben, mittragen müssten. Folge wäre, dass die Mitgesellschafter einem Wettlauf um das noch vorhandene Gesellschaftsvermögen ausgesetzt wären (vgl. etwa BGH WM 2008, 1026). Diese Interessenlage rechtfertigt es, den einzelnen Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft im Ergebnis auf seinen (geringeren) Abfindungsanspruch zu verweisen, um zum Schutz der übrigen Gesellschafter ein Windhundrennen der Anleger zu vermeiden und alle Gesellschafter gleich zu behandeln.

3. Die Grundsätze über die fehlerhafte GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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sind regelmäßig auch auf eine atypisch stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
atypisch stille Gesellschaft
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stille Gesellschaft
anwendbar (vgl. BGHZ 55, 5 unter Hinweis auf den Charakter des Gesellschaftsverbundes als Leistungs- und Risikogemeinschaft). Einen Ausnahmefall hat der Bundesgerichtshof nur dann gesehen, wenn der Inhaber des Handelsgeschäfts verpflichtet ist, den stillen Gesellschafter im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als hätte dieser den Gesellschaftsvertrag nicht geschlossen (BGH ZIP 2004, 1706; kritisch hierzu Blaurock, Handbuch stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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; 7. Auflage, Rdn. 11.26 und 19.44). Dies hat der Bundesgerichtshof allerdings nur für den Fall einer sog. zweigliedrigen Beteiligung ohne gesellschaftsrechtliches Sonderverhältnis zwischen den einzelnen Stillen entschieden; für den Fall einer mehrgliedrigen atypischen stillen Gesellschaft mit Verbandscharakter hat der Bundesgerichtshof die Frage der Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ausdrücklich offen gelassen (vgl. BGH ZIP 2005, 254).

4. Eine zweigliedrige stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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liegt vor, wenn jeder stille Gesellschafter für sich allein mit dem Inhaber des Handelsgeschäfts in einem Gesellschaftsverhältnis steht. Es liegen also regelmäßig so viele voneinander unabhängige, selbständige Gesellschaften vor, wie stille Gesellschafter beteiligt sind. Bei der mehrgliedrigen Ausgestaltung ist der Wille der Beteiligten hingegen darauf gerichtet, nur eine stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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mit einer Mehrheit von Teilhabern – ähnlich einer Publikumskommanditgesellschaft – zu errichten. Was dem Willen der Beteiligten entspricht, ist im Wege der Vertragsauslegung zu ermitteln (vgl. Blaurock, a.a.O, Rdn, 19.20) und richtet sich in erster Linie nach der Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag

5. Der Annahme einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft steht nicht entgegen, dass es im Gesellschaftsvertrag keine Regelungen zu einer Innengesellschaft der stillen Gesellschafter untereinander sowie zu deren Willensbildung und Auftreten als ein Gesellschafter gegenüber dem Inhaber des Handelsgeschäfts gibt. Im Gegenteil würde die bloße Koordination mehrerer stiller Gesellschafter untereinander im Sinne einer BGB-Innengesellschaft ohne körperschaftliche Binnenorganisation eher gegen als für eine mehrgliedrige stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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mehrgliedrige stille Gesellschaft
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sprechen (vgl. hierzu Schmidt in MüKo-HGB, 3. Auflage 2010, § 230 Rn.85).

6. In Abgrenzung zur bloßen Innengesellschaft ohne mehrgliedrigen Innenverband verlangt die Aufnahme neuer Mitglieder bei mehrgliedriger Ausgestaltung allerdings eine Zustimmung aller bereits am Verband beteiligten Gesellschafter (vgl. hierzu etwa Röhricht/Graf v. Westphalen, HGB, 3. Auflage 2008, § 230 Rn. 72). In einer Publikumsgesellschaft kann indes der Geschäftsinhaber (oder auch eine andere Stelle) zur Aufnahme neuer Mitglieder bevollmächtigt oder ermächtigt werden (vgl. Schmidt in MüKo-HGB, a.a.O. § 230 Rn.84). Dabei dürfen an die Form der Bevollmächtigung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, da stille Publikumsgesellschaften als Kapitalsammelstellen darauf angelegt sind, Kapital durch die Aufnahme einer Vielzahl von Anlegern aufzubringen, zumal sich eine Bevollmächtigung auch ohne ausdrückliche Regelung durch Auslegung des GesellschaftsvertragesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Auslegung des Gesellschaftsvertrages
ergeben kann (vgl. etwa Blaurock, a.a.O., Rdn. 19.23).

7. Der erkennende Senat beurteilt die vom Bundesgerichtshof offen gelassene Frage der Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auf die mehrgliedrige atypische stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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in gleicher Weise wie das OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
(vgl. ZIP 2012, 2344; ZIP 2012, 2346; ZIP 2013, 414) und das OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
(Urteil vom 29.10.2012, I-9 U 44/12) dahingehend, dass bei einer mehrgliedrigen atypisch stillen Gesellschaft in Form einer Publikumsgesellschaft die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft jedenfalls dann einem Schadenersatzanspruch des Anlegers/ stillen Gesellschafters gegen den Geschäftsinhaber auf Rückzahlung der Einlage entgegen stehen, wenn das Vermögen des Geschäftsinhabers im Wesentlichen aus Einlagen der stillen Gesellschafter besteht.

8. Die Grundsätze über die fehlerhafte GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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haben regelmäßig zur Folge, dass bei einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft die Nichtigkeit des Beitritts, sogar bei Anfechtung der Beitrittserklärung wegen arglistiger Täuschung, von dem Gesellschafter nur mit Wirkung ex nunc geltend gemacht werden kann. Die Beschränkung der Gesellschafter auf ein etwaiges Abfindungsguthaben gründet im Wesentlichen auf der Überlegung, dass die schutzwürdigen Interessen der Mitgesellschafter Berücksichtigung finden müssen.

9. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.07.2004 für die zweigliedrige stille GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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zugelassen, weil „im Gegensatz zu einer Publikumsgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft bürgerlichen Rechts
oder einer Kommanditgesellschaft“ der Anleger nicht einer bestehenden Publikumsgesellschaft Beitritt, sondern mit der „von dem Initiator des Anlageprojekts gegründeten Aktiengesellschaft eine neue – stille – Gesellschaft“ bildet; dabei beschränken sich seine Rechtsbeziehungen allein auf diese Aktiengesellschaft“ (BGH NJW-RR 2004, 1407). Diese Argumentation stellt maßgeblich darauf ab, dass die Rechtsbeziehung auf eine zweiseitige beschränkt ist, es somit an einer mehrschichtigen Interessenlage gerade fehlt. Da sich die Rechtsbeziehung der Stillen in einer mehrgliedrigen Gesellschaft nicht nur auf den Inhaber des Handelsgeschäfts beschränkt, sondern sich alle gleichermaßen schutzwürdigen Stillen zusammen mit dem Geschäftsinhaber in einem Verband befinden und die Interessenlage dementsprechend vielschichtig ist, können Schadensersatzansprüche, die aus einem auf fehlerhafter Willensbildung beruhenden Beitritt resultieren, nicht ohne Rücksicht auf die Interessen der Mitgesellschafter geltend gemacht werden (vgl. OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
ZIP 2013, 414).

10. Auch der Widerruf der Beteiligung führt nur zu einer Beendigung der Beteiligung ex nunc; dies gilt sogar für Haustürgeschäfte (BGH, Urteil vom 12.07.2010, II ZR 292/06, juris Rn. 10).

Schlagworte: Anlageberatung und Prospekthaftung, fehlerhafte Gesellschaft, mehrgliedrige stille Gesellschaft, Publikumsgesellschaft, Publikumspersonengesellschaft