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OLG Hamm, Urteil vom 11. April 2011 – I-8 U 100/10, 8 U 100/10

Art 12 Abs 1 GG, Art 14 GG, § 138 Abs 1 BGB, § 103 Abs 4 SGB 5, § 103 Abs 6 SGB 5

1. In einem Gesellschaftsvertrag über eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft zwischen einer MVZ-Trägergesellschaft (hier: GmbH) und einem Vertragsarzt kann über die Ausscheidensregelung faktisch ein (späterer) Praxisverkauf geregelt werden, insbesondere bezogen auf die Verpflichtung des Verkäufers, seine Vertragsarztzulassung zu „übertragen“.

Nach § 20 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages ist die Klägerin bei ihrem Ausscheiden verpflichtet, daran mitzuwirken, dass ihr Vertragsarztsitz von der örtlich zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung zur Nachbesetzung mit dem Ziel ausgeschrieben wird, eine Nachbesetzung mit einem von der Beklagen benannten Nachfolger zu erreichen (dagegen wendet sich der Antrag zu 5a). Dies bedeutet zunächst, dass sie gem. § 95 Abs. 7 S. 1 SGB V den Verzicht auf ihre Zulassung gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung zu erklären hat (dagegen wendet sich der Antrag zu 5b). Da eine Ausschreibung von Amts wegen dem eigentlichen Ziel widerspräche, die Überversorgung abzubauen, werden die frei werdenden Zulassungen in zulassungsbeschränkten Planungsgebieten von der Kassenärztlichen Vereinigung ausschließlich auf Antrag ausgeschrieben (Kaltenborn in Becker/Kingreen, SGB V, 2. Auflage (2010), § 103 Rdn. 9 m.w.N.). Dementsprechend ist auch ein Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes erforderlich (dagegen wendet sich der Antrag zu 5c). Allerdings werden neben dem ausscheidenden Praxisinhaber auch die verbleibenden Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft, aus der der Vertragsarzt ausscheidet, als antragsberechtigt angesehen (BSG NZS 1999, 470 f.; Kaltenborn in Becker/Kingreen, SGB V, 2. Auflage (2010), § 103 Rdn. 9; vgl. auch Fiedler, NZS 2003, 574 (577)).

Große Bedeutung kommt auch hier wiederum dem Umstand zu, dass zwischen den Parteien faktisch ein Praxiskauf gewollt war und die gemeinsame Gesellschaft nur deshalb gegründet wurde, um der Klägerin – wie bereits erwähnt – später nach Erreichen des entsprechenden Lebensalters die sich aus der Regelung in § 34 Abs. 3 EStG ergebenden steuerlichen Vorteile zuteil werden zu lassen. Dass die Parteien den eigentlich gewollten Praxiskauf in ein „gesellschaftsrechtliches Gewand“ gekleidet haben, macht den Gesellschaftsvertrag indes nicht unwirksam, zumal sie ihre Verbundenheit als Gesellschafter auch „gelebt“ haben.

2. Eine sachliche Rechtfertigung für eine (unbeschränkte) Hinauskündigungsklausel kann der eigene Wunsch des Betroffenen sein, aus der Gesellschaft aus einkommensteuerrechtlichen Gründen erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres auszuscheiden.

Der BGH hat eine solche eine freie Hinauskündigungsklausel rechtfertigende Ausnahme insbesondere (vgl. zu anderen Fällen BGH, Urteil vom 19.03.2007, II ZR 300/05 – zitiert nach juris Rdn. 9) für den Fall angenommen, dass das Ausschließungsrecht bei Aufnahme eines neuen Gesellschafters in eine Freiberuflerpraxis dazu dient, den Altgesellschaftern binnen angemessener Frist die Prüfung zu ermöglichen, ob zu dem neuen Gesellschafter das notwendige Vertrauen aufgebaut werden kann (BGH, Urteil vom 08.03.2004 – II ZR 165/02 – zitiert nach juris Rdn. 23). Auch wenn – worauf die Klägerin zu Recht hinweist – ein solcher Fall hier ersichtlich nicht vorliegt, da nicht die Klägerin in eine bereits bestehende Praxis eingetreten, sondern vielmehr die Beklagte zu der vormals maßgeblich von der Klägerin geprägten Praxis hinzugekommen ist, ist die Annahme eines die „Hinauskündigungsklausel“ rechtfertigenden sachlichen Grundes hierauf jedoch nicht beschränkt.

Die zwischen den Parteien getroffene gesellschaftsvertragliche Regelung war von der Klägerin gewünscht, um die mit einem eigentlich gewollten sofortigen Praxisverkauf einhergehende steuerliche Belastung der Klägerin zu vermeiden, da die Inanspruchnahme der steuerlichen Vergünstigung in § 34 Abs. 3 EStG an eine Abfindungsregelung und zudem an die Vollendung des 55. Lebensjahres des Steuerpflichtigen geknüpft ist. Dieses Lebensalter hatte die Klägerin seinerzeit noch nicht erreicht, da sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages am 15.02.2008 erst vor der Vollendung ihres 53. Lebensjahres stand. Auch wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang vorträgt, dass die genannten steuerlichen Vergünstigungen nicht der ausschlaggebende Grund für die gewählte Vertragskonstruktion gewesen seien, ist dies gerade mit Blick auf die bereits erwähnte e-mail der Klägerin vom 23.08.2007 an Rechtsanwalt G. wenig glaubhaft, da sie dort im Anschluss an ihren Wunsch, gern in ein Angestelltenverhältnis eintreten zu wollen, ebenfalls ihr Bedauern zum Ausdruck bringt, dass dies aus steuerlichen Gründen in der Übergangsphase leider nicht gehe. Für eine Änderung ihrer Motive gibt es keine plausiblen Gründe.

3. Allein die wirtschaftlichen Interessen des in einer Berufsausübungsgemeinschaft verbleibenden Gesellschafters rechtfertigen keine wirksame schuldrechtliche Zusage zum Belassen der Vertragsarztzulassung des Ausscheidenden (Aufgabe OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
, 10. Januar 2000, 8 U 91/99, OLGR Hamm 2001, 205).

4. In einem Gesellschaftsvertrag kann der ausscheidende Vertragsarzt seinen (ehemaligen) Mitgesellschafter (hier: MVZ-Trägergesellschaft) unwiderruflich bevollmächtigen, gegenüber Dritten, insbesondere der KV sowie dem Zulassungsausschuss, alle zur Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes und der Beibehaltung des bisherigen Abrechnungsvolumens erforderlichen Erklärungen abzugeben, und ihm das Recht auf Ausschreibung gemäß § 103 Abs. 4 SGB V übertragen.

Soweit der Gesellschaftsvertrag darüber hinaus in § 20 Abse. 1 und 2 zur Durchführung der Nachbesetzung auch vorsieht, dass die Klägerin die Beklagte unwiderruflich bevollmächtigt, gegenüber Dritten, insbesondere der örtlich für die Ausschreibung zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung sowie dem dortigen Zulassungsausschuss, alle zur Nachbesetzung ihres Vertragsarztsitzes und der zur Beibehaltung des bisherigen Abrechnungsvolumens erforderlichen Erklärungen abzugeben, und dass die Klägerin ebenfalls unwiderruflich das Recht auf Ausschreibung gem. § 103 Abs. 4 SGB V auf die Beklagte überträgt (hiergegen wendet sich der Antrag zu 6), hält dies ebenfalls aus den bereits genannten Gründen einer Wirksamkeitskontrolle gem. § 138 BGB stand.

5. Die Bevollmächtigung kann auch den Verzicht auf die Vertragsarztzulassung umfassen. Die Höchstpersönlichkeit der Zulassung (vergleiche BVerfG, 31. März 1998, 1 BvR 2167/93 und 1 BvR 2198/93, MedR 1998, 323; BSG, 10. Mai 2000, B 6 KA 67/98 R, MedR 2001, 159) steht dem nicht entgegen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Regelung auch nicht insoweit zu beanstanden, als die Beklagte durch sie ebenfalls bevollmächtigt wird, den Verzicht auf die Zulassung als Vertragsarzt gegenüber der zuständigen Stelle zu erklären. Zwar ist die Zulassung als Vertragsarzt höchstpersönlicher Natur und untrennbar mit der Person des Berechtigten verbunden (vgl. BVerfG, Urteil vom 31.03.1998 – 1 BvR 2167/93 + 1 BvR 2198/93 – zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 10.05.2000 – B 6 KA 67/98 R – zitiert nach juris Rdn. 20), jedoch hindert dies in erster Linie dessen Übertrag- und Pfändbarkeit, nicht aber die Bevollmächtigung eines Dritten, den Verzicht auf die Zulassung zu erklären. Anderes folgt auch nicht aus der bereits zitierten Entscheidung des BSG, in der es heißt, dass ein Dritter für oder anstelle des Vertragsarztes nicht wirksam gegenüber dem Zulassungsausschuss einen Verzicht auf die Zulassung erklären könne. Dort ging es nicht um die Erklärung des Verzichts kraft Vollmacht, sondern um das Schicksal der Vertragsarztzulassung nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Vertragsarztes.

6. Steht dem Gesellschafter gem. § 713 BGB i.V.m. § 666 BGB ein Anspruch auf Auskunftserteilung gegen die Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Gesellschaft bürgerlichen Rechts
zu, ist der geschäftsführende Gesellschafter nach § 713 BGB i.V.m. § 666 BGB verpflichtet, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen. Adressat der zu erteilenden Auskünfte ist die Gesamtheit der Gesellschafter. Ihre Geltendmachung kann auch im Wege der actio pro socio erfolgen, so dass in einer Zwei-Personen-Gesellschaft der Anspruch gegenüber dem verbleibenden geschäftsführenden Gesellschafter besteht.

Schlagworte: actio pro socio, Anspruch auf Auskunftserteilung, Auskunfts-/Einsichts-/Informations-/Kontrollrechte, Ausschluss, Ausschluss des Gesellschafters, Ausschlussklauseln in Satzung, Förmelei, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Gesellschafterklage, Hinauskündigungsklausel, Klage des Gesellschafters gegen Gesellschafter auf Auskunft, Wichtige Gründe für Ausschluss, Zwei-Personen-Gesellschaft