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OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.04.2013 – 2 (7) Ss 89/12 – AK 63/12

AktG §§ 241; BGB § 138Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 138

1. Unter dem Begriff der „Firmenbestattung“ wird im Allgemeinen die Abwicklung einer insolventen oder insolvenzgefährdeten GmbH außerhalb der dazu vorgesehenen gesetzlichen Vorschriften verstanden, die sich typischerweise durch folgendes Vorgehen auszeichnet: Die Geschäftsanteile werden – oftmals unter Einschaltung eines darauf spezialisierten Vermittlers – an einen Käufer veräußert, der zur Fortführung der Geschäfte weder geeignet noch willens ist und bei dem es sich in der Regel um eine – häufig im Ausland ansässige – vermögenslose Person oder Gesellschaft handelt. Gleichzeitig werden die bisherigen Geschäftsführer abberufen und neue Geschäftsführer (meistens der Erwerber) bestellt. Die Firma der Gesellschaft wird (wiederholt) geändert und der Sitz der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Sitz der Gesellschaft
(mehrfach) verlegt. Die Geschäftsunterlagen werden planmäßig beiseite geschafft oder vernichtet (vgl. zum Ganzen Wachter GmbHR 2004, 955; Kilper, Unternehmensabwicklung außerhalb der gesetzlichen Insolvenz- und Liquidationsverfahren in der GmbH, 2009, S. 7 – 26; Hey/Regel GmbHR 2000, 115; Hirte ZInsO 2003, 833).

2. Die Bestellung eines Geschäftsführers erfolgt nach § 46 Nr. 5 GmbHG durch einen Gesellschafterbeschluss. Die Wirksamkeit eines solchen Beschlusses beurteilt sich mangels Regelung im GmbHG nach allgemeiner Meinung in entsprechender Anwendung der Regelungen im Aktiengesetz (BGHZ 15, 382; 101, 113; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh. § 47 R, 44 ff.; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 5. Aufl., 2013, § 47 Rn. 85 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 47 Rn. 91 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, Anh zu § 47 Rn. 1 ff.; Wertenbruch in Münchener Kommentar, GmbHG, 2012, § 47 Anh. Rn. 1 ff.). Nichtigkeit kann sich danach in entsprechender Anwendung von § 241 AktG insbesondere daraus ergeben, dass ein Gesellschafterbeschluss mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren ist, durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind (§ 241 Nr. 3 AktG) oder durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt (§ 241 Nr. 4 AktG).

3. Zur Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 AktG führt ein Verstoß gegen zwingende Vorschriften, die entweder zu den Strukturmerkmalen der GmbH zählen (Zöllner, a. a. O., Anh § 47 Rn. 50; Raiser in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, Anh. § 47 Rn. 53) oder jedenfalls ihrem Schwerpunkt nach den Schutz der Rechte Dritter, besonders der Gläubiger, oder öffentlicher Interessen bezwecken (vgl. Raiser, a. a. O., Anh. § 47 Rn. 51, 54; Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 45 Rn. 75; Roth/Altmeppen, a. a. O., § 47 Rn. 97; Bayer, a. a. O., Anh zu § 47 Rn. 19). Die Abberufung des bisherigen Geschäftsführers in Verbindung mit der Bestellung eines neuen Geschäftsführers stellt aber den vom GmbHG vorausgesetzten Regelfall dar, so dass darin kein Verstoß gegen Strukturmerkmale der GmbH gesehen werden kann (vgl. Kilper, a. a. O., S. 146 – 153).

4. Soweit sich die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen drittschützende Vorschriften (§ 241 Nr. 3 AktG) oder wegen Sittenwidrigkeit (§ 241 Nr. 4 AktG) ergeben kann, muss der Verstoß sich aus dem Inhalt des Beschlusses selbst in der Weise ergeben, dass er ihm seinem inneren Gehalt nach anhaftet (Zöllner, a. a. O., Anh § 47 Rn. 51; Koppensteiner/Gruber, a. a. O., § 47 Rn. 100; vgl. auch KG GmbHR 2011, 1104 bei einer gegen § 4a GmbHG verstoßenden Verlegung des Sitzes der Gesellschaft); auf einen unsittlichen Zweck oder Beweggrund kommt es nicht an. Dies ist vom Bundesgerichtshof dahin erweitert worden, dass zur Nichtigkeit auch führt, „wenn der Beschluss seinem Wortlaut nach keine Sittenwidrigkeit beinhaltet, aber seinem inneren Gehalt nach in einer sittenwidrigen Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen besteht“ (BGHZ 15, 382; ebenso OLG DresdenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Dresden
NZG 1999, 1109; OLG BrandenburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Brandenburg
ZInsO 2005, 42) oder in unverzichtbare Rechte des Gesellschafters eingreift.

5. § 241 Nr. 4 AktG stellt im Verhältnis zu § 138 BGB die speziellere Regelung dar (Sack/Fischinger in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, § 138 Rn. 198; Palm/Arnold in Erman, BGB, 13. Aufl. 2011, § 138 Rn. 4; Wendtland in Bamberger/Roth, BGB, 2012, § 138 Rn. 14).

6. Die Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen stellt nach der gesetzlichen Regelung die Ausnahme dar, was für eine enge Auslegung der Nichtigkeitstatbestände spricht (vgl. Raiser, a. a. O., Anh. § 47 Rn. 33).

7. Teilweise wird die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften angenommen, die im Rahmen einer „Firmenbestattung“ vorgenommen werden, wobei ganz überwiegend mit der Sittenwidrigkeit der Rechtsgeschäfte argumentiert wird (LG Potsdam wistra 2005, 193; AG Memmingen Rpfleger 2004, 223; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, Anh § 47 Rn. 55; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012 Anh zu § 47 Rn. 20; Wißmann in Münchener Kommentar, GmbHG, 2012, § 84 Rn. 64; Kilper, Unternehmensabwicklung außerhalb der gesetzlichen Insolvenz- und Liquidationsverfahren in der GmbH, 2009, S. 333 – 383; Kümmel wistra 2012, 165; Ries Rpfleger 2004, 226; differenzierend Wachter GmbHR 2004, 955). Ob der Zweck der „Firmenbestattung“ die Nichtigkeit eines Geschäftsführerwechsels begründet, ist in drei strafgerichtlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2003, 3787; NStZ 2009, 635 und ZIP 2013, 514) ausdrücklich offen gelassen worden.

8. Der Senat vertritt die Auffassung, dass der Wechsel des Geschäftsführers im Rahmen einer „Firmenbestattung“ nicht als nichtig bewertet werden kann, weil die Verfolgung des rechtsmissbräuchlichen Zwecks sich nicht bereits aus dem inneren Gehalt des die Abberufung des alten und die Bestellung des neuen Geschäftsführers beinhaltenden Beschlusses selbst ergibt (vgl. Wertenbruch, a. a. O., § 47 Anh. Rn. 56 f.; Koppenstein/Gruber, a. a. O., Rn. 105; Roth/Altmeppen, a. a. O., § 47 Rn. 99 f.; Schmidt, a. a. O., § 45 Rn. 76; ders., AktG, 6. Lfg. 1996, § 241 Rn. 65; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 241 Rn.24; ders. in Münchener Kommentar, AktG, 3. Aufl. 2011, § 241 Rn. 24; gegen Nichtigkeit auch Brand/Reschke ZIP 2010, 2134).

9. Gegen die Nichtigkeitswirkung sprechen auch die praktischen Auswirkungen der gegenteiligen Auffassung. Sie führt nicht nur zu dem widersinnigen Ergebnis, dass dem der Insolvenzverschleppung verdächtigten neuen Geschäftsführer die Möglichkeit eröffnet wird, sich zu seiner Verteidigung auf sittenwidriges Verhalten zu berufen. Sie beseitigt auch die Rechtsklarheit, indem sie die Feststellung der Verantwortlichkeit als Geschäftsführer, die – von den Fällen der faktischen Geschäftsführung abgesehen – an den formalen Bestellungsakt anknüpft, erheblich erschwert.

10. Die an den Erwerb des Geschäftsanteils geknüpften Rechte und Pflichten gehen auf den Erwerber im Verhältnis zur Gesellschaft unter den in § 16 Abs. 1 GmbHG aufgestellten Voraussetzungen über, ohne dass es dafür auf die Wirksamkeit der Übertragung ankommt (BGHZ 112, 103; GmbHR 1991, 311; OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
GmbHR 2001, 920; Winter/Löbbe in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG 2005, § 16 Rn. 5, 14). Nach der seinerzeit geltenden Gesetzesfassung war dies der Fall, wenn der Erwerb des Geschäftsanteils unter Nachweis des Übergangs bei der Gesellschaft angemeldet wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GmbHR 1991, 311) hängt es dabei von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Vornahme der Anteilsübertragung unter Beteiligung des bisherigen (Allein-) Geschäftsführers als konkludente Anmeldung i. S. d. § 16 Abs. 1 GmbHG a. F. zu bewerten ist.

Schlagworte: Abberufung, Beschlussinhalt allein maßgebend und nicht sittenwidrige Motive, Bestellung zum Geschäftsführer, Eingriff in unverzichtbare Mitgliedschaftsrechte, Erwerbsfiktion, Firmenbestattung, Geschäftsführer, Gesellschafterwechsel, Liste der Gesellschafter, Nichtigkeit aus Gründen des Gläubigerschutzes, Nichtigkeitsgründe, Sittenwidrige Beschlüsse nach § 241 Nr. 4 AktG analog, Sittenwidrige Schädigung nicht anfechtungsbefugter Dritter, Sittenwidrigkeit, Unvereinbarkeit mit dem Wesen der GmbH, Verletzung von Bestimmungen über den Schutz öffentlicher Interessen nach § 241 Nr. 3 Alt. 3 AktG analog, Verletzung von Bestimmungen über den Schutz von Gläubigern nach § 241 Nr. 3 Alt. 2 AktG analog, Verletzung zwingenden Rechts über tragende Strukturprinzipien, Verstoß gegen gesetzlich zwingende Kompetenzordnung