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OLG München, Urteil vom 18.07.2018 – 7 U 4225/17

GmbHG § 47 Abs. 4 S. 1, S. 2; HGB § 116 Abs. 2; BGB § 181

1. § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG ist Ausfluss eines allgemeinen Grundsatzes, dass von einem selbst am Geschäft Beteiligten nicht zu erwarten ist, er werde bei der Stimmabgabe die eigenen Belange denen der Gesellschaft nachstellen, sodass diese verbandsfremden Sonderinteressen durch einen Stimmrechtsausschluss bei Insichgeschäften von der Einwirkung auf die Verbandsentscheidungen fernzuhalten sind. Die Vorschrift ist daher auch analog auf die Beschlussfassung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Beschlussfassung
Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
über einen Vertrag zwischen der Gesellschaft und ihrem Kommanditisten anzuwenden.

2. Das Stimmverbot des 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG besteht auch, wenn der Gesellschafter mit dem Vertragspartner der Gesellschaft wirtschaftlich so stark verbunden ist, dass das persönliche Interesse des Gesellschafters mit dem des Vertragspartners gleichzusetzen ist. Maßgebend hierfür ist das in der anderweitigen Beteiligung des Gesellschafters verkörperte Interesse, das bei der Entscheidung über Rechtsgeschäfte mit diesem Unternehmen eine unbefangene Stimmabgabe ausschließt und deshalb für die Gesellschaft eine erhebliche Gefahr bedeutet.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 29.11.2017, Az. 8 HK O 6624/17, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Endurteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Parteien streiten um die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 23.03.2017 über den Verkauf von Immobilien.

Die Beklagte ist eine Publikumskommanditgesellschaft, deren Zweck nach § 2 des „Kommanditgesellschaftsvertrages“ (Anl. A 3) es war, zur Bildung eines Immobilienfondsvermögens direkt oder indirekt über Beteiligungen unbebaute Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte zum Zwecke der Bebauung zu erwerben, Gebäude zu errichten oder bebaute Grundstücke anzukaufen, um diese Objekte oder Teile davon zu vermieten oder zu verpachten und alle damit zusammenhängenden Geschäfte zu tätigen. Mehrheitsgesellschafterin und nach § 4 Ziffer 3 des Kommanditgesellschaftsvertrages geschäftsführende Kommanditistin der Beklagten ist die F. V. R. AG mit einer Pflichteinlage von über 14 Mio. €.

§ 5 des Kommanditgesellschaftsvertrages (Anl. A 3) lautet:

1. (…) Die Komplementäre und die geschäftsführende Kommanditistin sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.

2. (…) Für alle außergewöhnlichen Geschäftsvorgänge ist ein Gesellschafterbeschluss erforderlichBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschafterbeschluss
Gesellschafterbeschluss erforderlich
.

Dies gilt insbesondere in folgenden Fällen:

a) Erwerb und Veräußerung von Grundbesitz; “

§ 6 des Kommanditgesellschaftsvertrages lautet:

1. Angelegenheiten, die das Verhältnis der Gesellschaft zu den Gesellschaftern oder der Gesellschafter untereinander betreffen, sowie sonstige, nach diesem Vertrag beschlussbedürftige Angelegenheiten bedürfen, vorbehaltlich anderweitiger Regelungen in diesem Gesellschaftsvertrag, der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung.

3. Alle Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, sofern in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist. Stimmenthaltungen gelten als nicht abgegebene Stimmen.

6. Folgende Maßnahmen bedürfen der Beschlussfassung durch 66% aller abgegebenen Stimmen, wobei zumindest ein persönlich haftender Gesellschafter oder die geschäftsführende Kommanditistin anwesend oder vertreten sein müssen:

a) Veräußerung und Erwerb von Grundbesitz oder Veräußerung von wesentlichen Teilen des Gesellschaftsvermögens; “

Die Klägerin ist als Direktkommanditistin mit einer Pflichteinlage von 79.793,78 € an der Beklagten beteiligt.

Das Immobilienvermögen der Beklagten besteht aus drei Grundstückskomplexen in Quickborn (P. 15/15a nebst Parkplatzgrundstücken) und Chemnitz (H.-L.-Str. 35 sowie B. 1-7/.T.straße 34a).

In der Gesellschafterversammlung vom 08.07.2015 fassten die Gesellschafter unter TOP 8 folgenden Beschluss:

„Der Vermarktung der Fondsimmobilien mit dem Ziel der Liquidation der Gesellschaft wird bei 4.181 Ja-Stimmen und 334 Nein-Stimmen mit 92,60% der abgegebenen Stimmen zugestimmt (67 Stimmenthaltungen und 0 nicht abgegebene Stimmen). (…)“ (Anl. B 2)

Im Rahmen der Umsetzung dieses Gesellschafterbeschlusses wurde ein Bieterverfahren durchgeführt, an dem sich auch die F. V. R. AG mit einem Angebot zum Kauf der drei Immobilienkomplexe der Beklagten zum Preis von insgesamt 20,5 Mio. € beteiligte (Anl. B 6).

Zum 31.12.2016 stellte ein Gutachter einen Marktwert der drei Grundstückskomplexe in Höhe von insgesamt 25,6 Mio. € fest.

Mit Schreiben vom 10.03.2017 lud die Komplementärin der Beklagten zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten am 23.03.2017 in München ein. Unter TOP 3 der Tagesordnung sollte eine „Beschlussfassung über die Veräußerung der Bürogebäude Chemnitz, H.-L.-Straße 35 sowie Chemnitz, T.straße 34a, B. 1 – 7 und Quickborn, P. 15, 15a nebst Parkplatzgrundstücken an die F. V. R. AG bzw. eine oder mehrere ihrer Tochtergesellschaften zu einem Verkaufspreis von 20,5 Mio. €“ erfolgen (Anl. A 4).

Auf der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 23.03.2017 waren von insgesamt 7.093 Stimmen 5.242 vertreten. Von den vertretenen Stimmen entfielen 2.836 auf die F. V. R. AG.

Mit 3.971 Ja-Stimmen bei 1.246 Nein-Stimmen und 25 Enthaltungen fasste die Gesellschafterversammlung zu TOP 3 folgenden Beschluss:

„Die Fondsgeschäftsführung wird ermächtigt, die Immobilien und Grundstücke in Quickborn (P. 15/15a nebst Parkplatzgrundstücken) und in Chemnitz (H.-L.-Str. 35 sowie B. 1-7/T.straße 34a) zum angebotenen Kaufpreis von insgesamt 20,5 Mio. EUR an eines oder mehrere Tochterunternehmen der F.V.R.-AG zu verkaufen, sofern die Finanzierung des Erwerbs gesichert ist“ (Anl. A 5).

Die Klägerin behauptete, der Beschluss sei nichtig, da die F. V. R. AG entsprechend § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG nicht habe mitstimmen dürfen, die sich aus § 179a Abs. 2 AktG ergebenden Informationspflichten nicht erfüllt worden seien, der Beschluss nicht notariell beurkundet worden sei und im Übrigen ein Treuepflichtverstoß der F. V. R. AG vorliege. Diese habe sich nämlich die drei Grundstücke zu einem 5,1 Mio. € unter dem Verkehrswert liegenden Preis „erschleichen“ wollen.

Die Klägerin beantragte daher:

Es wird festgestellt, dass der in der Gellschafterversammlung der Beklagten am 23.03.2017 zu TOP 3 mit folgendem Wortlaut:

„Die Fondsgeschäftsführung wird ermächtigt, die Immobilien und Grundstücke in Quickborn (P.15/15a nebst Parkplatzgrundstücken) und in Chemnitz (H.-L.-Str. 35 sowie B. 1-7/T.straße 34a) zum angebotenen Kaufpreis von insgesamt 20,5 Mio. EUR an eines oder mehrere Tochterunternehmen der F. V. R.-AG zu verkaufen, sofern die Finanzierung des Erwerbs gesichert ist.“

gefasste Beschluss nichtig ist.

Die Beklagte beantragte

kostenpflichtige Klageabweisung.

Ein Stimmverbot zu Lasten der F.V. R. AG bestehe nicht, da § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG auf Gesellschafterbeschlüsse einer KG (auch analog) nicht anwendbar sei. Im Übrigen läge ein Grundlagengeschäft iSd. § 116 Abs. 2 HGB vor, bei dem alle Gesellschafter mitwirken dürften, ohne dass es auf Stimmverbote ankäme. § 179 a Abs. 2 AktG sei mangels vergleichbarer Lebenssachverhalte nicht auf Personengesellschaften übertragbar. Der Gesellschafterbeschluss bedürfe auch nicht der notariellen Beurkundung. Schließlich erstrebe die F. V. R. AG auch keinen ungerechtfertigten Sondervorteil für sich, da ein höherer Verkaufspreis als die 20,5 Mio. € nicht erzielbar sei. Dagegen spreche auch nicht die Schätzung des Wertes der drei Grundstückskomplexe zum 31.12.2016 auf 25,6 Mio. €, da eine Abweichung des Verkaufspreises vom gutachterlich festgestellten Marktwert um 20% nicht ungewöhnlich sei.

Das Landgericht hat mit Endurteil vom 29.11.2017, Az. 8 HK O 6624/17, festgestellt, dass der in der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 23.03.2017 zu TOP 3 mit folgendem Wortlaut:

„Die Fondsgeschäftsführung wird ermächtigt, die Immobilien und Grundstücke in Quickborn (P. 15/15a nebst Parkplatzgrundstücken) und in Chemnitz (H.-L.-Str. 35 sowie B. 1-7/T.straße 34a) zum angebotenen Kaufpreis von insgesamt 20,5 Mio. EUR an eines oder mehrere Tochterunternehmen der F. V. R.-AG zu verkaufen, sofern die Finanzierung des Erwerbs gesichert ist.“

gefasste Beschluss nichtig sei, da die F. V. R. AG entsprechend § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG nicht habe mitstimmen dürfen.

Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Endurteils wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ihr Klageabweisungsziel vollumfänglich weiter.

Sie beantragt,

Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I (8 HK O 6624/17) vom 29.11.2017 wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Das Gericht hat am 18.07.2018 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig aber unbegründet, da das Landgericht zu Recht ein Stimmverbot zu Lasten der F. V. R. AG angenommen hat.

I.

1. Das HGB enthält keine Regelung zum Ausschluss eines Gesellschafters bei der Beschlussfassung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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über einen Vertrag zwischen der Gesellschaft und ihrem Kommanditisten. Ob auf diese Fälle die Regelung des § 47 Abs. 4 S. 1 GmbHG analog anzuwenden ist, ist streitig. Während der BGH diese Frage in seinem Urteil vom 07.02.2012 (Az. II ZR 230/09, Rdnr. 18) ausdrücklich offenließ, bejaht die obergerichtliche Rechtsprechung (OLG HamburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Hamburg
, Urteil vom 29.10.1999, Az. 11 U 45/99, Rdnr. 35, KG, Urteil vom 18.12.2008, Az. 23 U 95/08, Rdnrn 22 f.) in Übereinstimmung mit dem weit überwiegenden Teil der Lehre (Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 4. Auflage, Köln 2014, Rdnr. 35 zu § 119 HGB, Klimke in BeckOK HGB, 20. Edition, Stand 15.04.2018, Rdnr. 12 zu § 119 HGB, Schäfer in Staub, HGB, 5. Auflage, Berlin 2009, Rdnr. 64 zu § 119 HGB, Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Auflage, München 2018, Rdnr. 8 zu § 119 HGB, Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Auflage, München 2014, Rdnr. 21 zu § 119 HGB, aA Enzinger in Münchener Kommentar zum HGB, 4. Auflage, München 2016, Rdnr. 33 zu § 119 HGB) ein § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG entsprechendes Stimmverbot für Gesellschafter einer KG.

Der Senat teilt diese Auffassung. Denn § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG ist (ebenso wie § 34 BGB für den Verein oder Art. 49 BayGO) Ausfluss eines allgemeinen Grundsatzes, dass von einem selbst am Geschäft Beteiligten nicht zu erwarten ist, er werde bei der Stimmabgabe die eigenen Belange denen der Gesellschaft nachstellen, sodass diese verbandsfremden Sonderinteressen durch einen Stimmrechtsausschluss bei Insichgeschäften von der Einwirkung auf die Verbandsentscheidungen fernzuhalten sind (OLG HamburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamburg
, aaO, Rdnr. 35). Etwas anderes folgt auch nicht aus § 136 Abs. 1 AktG, der für den Aktionär kein dem § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG vergleichbares Stimmverbot vorsieht. Denn auch bei einer Publikumskommanditgesellschaft sind die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung eher mit den Kompetenzen der Gesellschafterversammlung einer GmbH als mit denen der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft vergleichbar. Die Gesellschafterversammlungen der KG und der GmbH können nämlich unmittelbar Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen, während dies der Hauptversammlung gemäß § 119 Abs. 2 AktG nur auf Verlangen des Vorstands erlaubt ist (vgl. KG, aaO, Rdnr. 23). Die Regelung des § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG ist daher sachnäher als die des § 136 Abs. 1 AktG und daher zur Füllung der regulatorischen Lücke im HGB entsprechend heranzuziehen (Schäfer in Staub, HGB, 5. Auflage, Berlin 2009, Rdnr. 64 zu § 119 HGB).

2. Die Annahme eines Stimmverbots scheitert im konkreten Fall auch nicht daran, dass der Kaufvertrag, zu dessen Abschluss die Geschäftsführung ermächtigt werden soll, nicht zwischen der KG und einer ihrer Gesellschafter, sondern zwischen der Gesellschaft und einer oder mehrerer Tochtergesellschaften einer ihrer Kommanditisten geschlossen werden soll. Denn auch in dieser Konstellation kommt es zu einem Ausschluss des Kommanditisten vom Stimmrecht entsprechend § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG, wenn der Gesellschafter mit dem Vertragspartner der Gesellschaft wirtschaftlich so stark verbunden ist, dass das persönliche Interesse des Gesellschafters mit dem des Vertragspartners gleichzusetzen ist. Maßgebend hierfür ist das in der anderweitigen Beteiligung des Gesellschafters verkörperte Interesse, das bei der Entscheidung über Rechtsgeschäfte mit diesem Unternehmen eine unbefangene Stimmabgabe ausschließt und deshalb für die Gesellschaft eine erhebliche Gefahr bedeutet (vgl. BGH, Urteil vom 07.02.2012, Az. II ZR 230/09, Rdnr. 32). Dies ist – wie hier – bei Vertragsschlüssen der Gesellschaft mit Tochtergesellschaften eines Gesellschafters der Fall, da, auch wenn die genauen Beteiligungsverhältnisse nicht vorgetragen sind, bei einer „Tochtergesellschaft“ der Kommanditistin letztere schon begriffsnotwendig eine Mehrheitsbeteiligung an ihrer „Tochter“ hält und deshalb ein dementsprechend starkes eigenes wirtschaftliches Interesse hat. Gegen die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts (S. 6 des Endurteils) hat auch die Berufung nichts erinnert.

3. a. Die F. V. R. AG war auch nicht ausnahmsweise vom Stimmverbot ausgenommen. Eine solche Ausnahme wäre nach der Rechtsprechung des BGH nur bei Vorliegen eines sogenannten körperschaftlichen Sozialaktes, bei denen der Gesellschafter in erster Linie sein Mitgliedsrecht ausübt, gegeben (vgl. BGH, Urteil vom 31.05.2011, Az. II ZR 109/10, Rdnr. 15 f., Klimke in BeckOK HGB, 20. Edition, Stand 15.04.2018, Rdnr. 14 zu § 119 HGB: „organisationsrechtliche Entscheidungen“ und Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Auflage, München 2018, Rdnr. 8 zu § 119 HGB: Beschlüsse über die innere Ordnung der Gesellschaft“, Schäfer in Staub, HGB, 5. Auflage, Berlin 2009, Rdnr. 64 zu § 119 HGB: „Grundlagenbeschlüsse“). Der streitgegenständliche Beschluss vom 23.03.2017 ist jedoch kein solcher körperschaftlicher Sozialakt, da es lediglich um einen Kaufvertrag und damit um einen Vertrag geht, der mit dem Gesellschafter bzw. dessen Tochtergesellschaften genauso wie mit einem Dritten abgeschlossen werden kann (vgl. Drescher in Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Auflage, München 2016, Rdnr. 159 zu § 47 GmbHG).

Die mit dem streitgegenständlichen Beschluss der Geschäftsführung erteilte Befugnis zum Verkauf des gesamten Immobilienvermögens der Gesellschaft ist auch keine faktische Satzungsänderung dahingehend, dass nunmehr Zweck der Gesellschaft nur noch die Liquidation sein soll, und damit kein körperschaftlicher Sozialakt, bei dessen Fassung Stimmverbote nicht bestehen würden. Denn die „Vermarktung der Fondsimmobilien zum Zwecke der Liquidation der Gesellschaft“ wurde bereits mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 08.07.2015 (Anl. B 3) beschlossen. Dies war der körperschaftliche Sozialakt, bei dem kein Stimmverbot bestand. Bei dem Beschluss vom 23.03.2017 geht es dagegen nur noch um die Frage, an wen und zu welchem Preis die Grundstücke verkauft werden sollen.

b. Insofern unterscheidet sich der streitgegenständliche Fall auch von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG HamburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vom 29.10.1999, auf die sich die Berufung zur Stützung ihrer Rechtsansicht bezieht, zu Grunde lag. Denn dort ging es um die Kündigung eines Unternehmenspachtvertrages, durch die – anders als im vorliegenden Fall – gleichzeitig der Gesellschaftszweck faktisch geändert wurde (OLG HamburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Urteil vom 29.10.1999, Az. 11 U 45/99, Rdnr. 37).

Auch die Entscheidung des BGH vom 09.01.1995 (Az. II ZR 24/94), auf die sich die Beklagte des Weiteren beruft, betraf die faktische Änderung des Gesellschaftszwecks durch den Abschluss eines Vertrages über den Verkauf des gesamten Unternehmens der Gesellschaft (BGH, aaO, Rdnr. 7).

Im streitgegenständlichen Fall würde der Gesellschaftszweck dagegen durch den Verkauf der drei Grundstückskomplexe nicht verändert werden. Der Wechsel von einer werbenden Tätigkeit der Gesellschaft zur Abwicklung erfolgte nämlich bereits ausdrücklich durch den vorangegangenen Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 08.07.2015 (Anl. B 3). Der nunmehrige Verkauf aller drei Grundstückskomplexe änderte damit nicht mehr den Gesellschaftszweck, sondern diente vielmehr allein dem Vollzug des bereits vorher in Liquidation geänderten Gesellschaftszweckes.

4. Entgegen der Ansicht der Beklagten spricht auch die Regelung des § 116 Abs. 2 HGB nicht gegen die Annahme eines Stimmverbots. § 116 Abs. 2 HGB dient nämlich nur der Abgrenzung der Befugnisse der Geschäftsführung der KG einerseits von den der Gesellschafterversammlung vorbehaltenen Geschäften andererseits. Dem folgt auch § 5 Ziffer 2 S. 2 der Satzung, der für alle „außergewöhnlichen Geschäftsvorgänge“ einen Gesellschafterbeschluss erfordert. § 116 Abs. 2 HGB enthält dagegen keine Aussage, wann ein Stimmverbot nicht greifen soll. Dies bestimmt sich nämlich allein nach den oben unter 3 dargelegten Grundsätzen zu den körperschaftlichen Sozialakten. Auf die von der Berufung ventilierte Frage, ob der Verkauf der drei Grundstückskomplexe ein außergewöhnliches Geschäft iSd. § 116 Abs. 2 HGB darstellt, kommt es daher nicht an.

5. a. Schließlich führt auch die in § 5 Ziffer 1 S. 3 der Satzung (Anl. A 3) enthaltene Befreiung der Komplementäre und der geschäftsführenden Kommanditisten nach § 181 BGB nicht dazu, dass der F. V. R. AG ein Stimmrecht zugestanden hätte. § 5 Ziffer 1 S. 3 der Satzung ist nämlich nicht dahingehend auszulegen, dass Gesellschafter bei Gesellschafterbeschlüssen auch im Falle von Geschäften mit sich selbst mitstimmen können und kein Stimmverbot greift.

Dies ergibt sich schon aus der systematischen Stellung des § 5 Ziffer 1 S. 3 der Satzung. Dieser befindet sich nämlich in § 5, der mit „Geschäftsführung und Vertretung“ übertitelt ist, sodass sich die Befreiung nach § 181 BGB nur auf die Berechtigung der Geschäftsführung zur Vornahme von Insichgeschäften und die Wirksamkeit derartiger Geschäfte im Außenverhältnis bezieht. Eine Regelung zur Befreiung der Gesellschafter von Stimmverboten hätte aber in § 6 der Satzung, der „Gesellschafterbeschlüsse“ zum Gegenstand hat, erfolgen müssen. Dort findet sich aber keine Befreiung der Gesellschafter nach § 181 BGB.

b. Selbst wenn man aber der Meinung der Beklagten folgen würde, dass sich die Befreiung nach § 181 BGB auch auf Gesellschafter bezieht, so würde dies zu keiner Ausnahme vom Stimmverbot entsprechend § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG führen. Denn wie sich aus § 5 Ziffer 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 lit. a der Satzung ergibt, bezieht sich die in § 5 Ziffer 1 S. 3 der Satzung vorgesehene Befreiung nach § 181 BGB ohnehin nicht auf die hier streitgegenständliche „Veräußerung von Grundbesitz“.

II.

Da nach alledem die F. V. R. AG bei der Beschlussfassung zu TOP 3 der Tagesordnung der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 23.03.2017 einem Stimmverbot unterlag, waren die von ihr abgegebenen 2.836 Ja-Stimmen bei der Auszählung nicht zu berücksichtigen. Unter Beachtung des Stimmverbots für die F. V. R. AG wurden damit 1.136 Ja-Stimmen (3.971 abzüglich 2.836 Ja-Stimmen) und 1.246 Nein-Stimmen abgegeben; die 25 Stimmenthaltungen gelten nach § 6 Ziffer 3 S. 2 der Satzung als nicht abgegebene Stimmen. Auf „Ja“ entfielen damit bei 2.382 insgesamt abgegebenen Stimmen 47,69% der Stimmen, auf „Nein“ 52,31%. Die nach § 6 Abs. 1 lit. a der Satzung für einen Beschluss betreffend die „Veräußerung (…) von Grundbesitz“ erforderliche Mehrheit von 66% aller abgegebenen Stimmen wurde damit nicht erreicht.

Nachdem der Beschluss der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 23.03.2017 betreffend TOP 3 der Tagesordnung demnach für nichtig zu erklären war, kommt es auf die weiteren von der Klägerin gerügten Beschlussmängel nicht mehr an.

III.

Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr nur die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die von der Klägerseite gegen den Beschluss der Gesellschafterversammlung vorgebrachten Anfechtungsrügen.

Schlagworte: Gesellschafterbeschluss, Gesellschafterversammlung, Kommanditgesellschfat, Selbstkontrahierung, Stimmrechtsausschluss, Stimmverbot, Wirtschaftliche Verbundenheit