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OLG Stuttgart, Urteil vom 27.10.2009 – 6 U 60/09

§ 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 64 Abs 1 GmbHG

1. Die Bundesagentur für Arbeit, die im Wege des Schadensersatzes nach § 826 BGB Erstattung des an die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin gezahlten Insolvenzgeldes wegen Insolvenzverschleppung begehrt, muss darlegen und beweisen, dass ihre Zahlungspflicht gerade dadurch entstanden ist, dass die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin verspätet Insolvenzantrag gestellt haben.

1.1. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung und Ansicht in der Literatur, dass die Klägerin nicht zu dem Kreis der durch § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. geschützten Gesellschaftsgläubiger gehört (BGH II ZR 289/88 vom 26.06.1989 = BGHZ 108, 134 ff., Juris, Rdnr. 8; OLG SaarbrückenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, OLGR 2008, 817, Juris, Rdnr. 23; Scholz/Schmidt, GmbHG 9. Aufl., § 64, Rdnr. 37; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG 16. Aufl., § 64, Rdnr. 41; Wagner ZInsO 2009, 622, 623/624; Beck ZInsO 2008, 713/714).

Der Schutzzweck des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. beschränkt sich darauf, bei Insolvenzreife bereits vorhandene oder danach noch hinzutretende Gläubiger der Gesellschaft vor demjenigen Schaden zu bewahren, der darin liegt, dass die beschränkte Haftungsmasse der GmbH nach Forderungsbegründung infolge pflichtwidrig verzögerter Stellung des Insolvenzantrags weiter ausgehöhlt und dadurch die auf die Forderung des einzelnen Gesellschaftsgläubigers entfallende Insolvenzquote weiter geschmälert wird.

Aus diesem begrenzten Schutzzweck der Vorschrift folgt, dass zu dem nach dieser Vorschrift geschützten Personenkreis nur diejenigen Gesellschaftsgläubiger gehören, die ihre Forderung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworben haben. Dazu gehört die Klägerin jedoch nicht. Denn ihre Verpflichtung zur Zahlung von Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III setzt die vorherige Eröffnung des Insolvenzverfahrens notwendigerweise voraus. Sie konnte erst nach Insolvenzeröffnung und nur dadurch zur Gläubigerin der Gesellschaft werden, dass die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt, die den Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, kraft Gesetzes gemäß § 187 SGB III auf sie übergegangen sind (BGH a.a.O.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin rechtfertigt die Tatsache, dass sie als Insolvenzgläubigerin anzusehen ist, ihre Einbeziehung in den Schutzbereich der vorgenannten Vorschrift nicht. Denn wie oben ausgeführt, leitet sie ihre erst nach Insolvenzeröffnung erworbene Gläubigerstellung ausschließlich aus den auf sie übergegangenen Forderungen der Arbeitnehmer der GmbH ab.

1.2. Nach ganz überwiegender Rechtsprechung kommt eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB gegenüber der Klägerin allerdings grundsätzlich in Betracht. Danach kann der Geschäftsführer einer GmbH, dem eine Insolvenzverschleppung vorzuwerfen ist, der Arbeitsverwaltung für nicht vom Schutzbereich des § 64 GmbHG a.F. abgedeckte Vermögensschäden aus § 826 BGB haften.

Die vorsätzliche InsolvenzverschleppungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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in der Absicht, den als unabwendbar erkannten „Todeskampf“ eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, kann den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung im Sinne der vorgenannten Vorschrift erfüllen, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird (BGH VI ZR 231/06 vom 18.12.2007 = BGHZ 175, 58 ff., Juris, Rdnr. 14; BGHZ 108, 134, Juris, Rdnr. 13; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, Urt. v. 27.02.08, 20 U 3548/07, Juris, Rdnr. 28; OLG SaarbrückenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, a.a.O., Rdnr. 25; OLG KoblenzBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLGR 2009, 117, Juris, Rdnr. 23).

Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB sind vorliegend nicht erfüllt.

Ein Ursachenzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Schaden und der behaupteten Insolvenzverschleppung kann nicht festgestellt werden. Die Klägerin hat nämlich nicht ausreichend dargetan, dass die Zahlung des Insolvenzgeldes auf dem angeblich verspäteten Insolvenzantrag beruht.

Nach der von der Klägerin kritisierten Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 18.12.2007 (WM 2008, 456, Juris, Rdnr. 20, 21) obliegt es ihr, darzulegen und zu beweisen, dass sie gerade durch das Verhalten der Beklagten einen Schaden erlitten hat. Trage der Anspruchsgegner – wie vorliegend die Beklagten – vor, die Klägerin hätte das Insolvenzgeld auch bei rechtzeitigem Insolvenzantrag zahlen müssen, bestreite er das Vorliegen eines Ursachenzusammenhangs zwischen schädigender Handlung und Schaden qualifiziert.

Ein ersatzpflichtiger Schaden entsteht der Klägerin nach der vorgenannten Rechtsprechung nur dann, wenn ihre Zahlungspflicht gerade deshalb entstanden ist, weil der Geschäftsführer gegen seine Verpflichtung aus § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. verstoßen hat, den Insolvenzantrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung zu stellen (BGH a.a.O., Rdnr. 23). Dabei kommen der Klägerin keine generellen Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen zu, wie sie beim Vortrag einer Reserveursache oder eines rechtmäßigen Alternativverhaltens gelten.

Auch für Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt, dass die vorzutragenden Tatsachen außerhalb der Wahrnehmungssphäre der Klägerin lägen, bestehe kein Anlass. Die maßgeblichen Tatsachen seien im Regelfall aus den im Insolvenzverfahren erstellten Berichten unschwer zu ersehen, die der Klägerin als Insolvenzgläubigerin zugänglich seien. Ein beweisbarer Vortrag, dass bei rechtzeitiger Antragstellung die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse alsbald beendet worden wären oder die Forderungen der Arbeitnehmer noch aus Mitteln der Gesellschaft hätten befriedigt werden können, so dass es zur Zahlung von Insolvenzgeld durch die Klägerin nicht gekommen wäre, wofür allerdings im Regelfall nichts sprechen dürfte, sei generell möglich (BGH a.a.O., Rdnr. 25, 26). Es könne aber nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags Arbeitsentgeltzahlungen aus Mitteln der GmbH geleistet worden wären.

Gegen eine bei rechtzeitiger Antragstellung fortdauernde Zahlung könne – auch wenn die Insolvenzreife Gesellschaft das Arbeitsentgelt tatsächlich bis kurz vor der Antragstellung gezahlt habe – sprechen, dass die Gesellschaft im Zeitpunkt der Insolvenzreife zahlungsunfähig gewesen sei. Dann bedürfe es einer zusätzlichen Begründung dafür, dass der Anspruchsgegner unter Berücksichtigung seiner Pflichten aus § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. und sodann der vom Insolvenzgericht eingesetzte Insolvenzverwalter Zahlungen an die Arbeitnehmer hätten fortsetzen können und deshalb die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Insolvenzgeld nicht eingetreten wäre (BGH a.a.O., Rdnr. 28).

2. Selbst wenn die – zum Zeitpunkt der behaupteten Insolvenzreife überschuldete – Insolvenzschuldnerin die Löhne ihrer Arbeitnehmer bis kurz vor der angeblich verspäteten Antragstellung bezahlt hat, genügt die Bundesagentur für Arbeit dieser Darlegungslast jedenfalls dann nicht, wenn sie den Vortrag der Prozessgegner nicht substantiiert bestreitet, auch bei früherer Antragstellung wäre die Insolvenzschuldnerin dadurch zahlungsunfähig geworden, dass die Hausbank die gewährten Kreditlinien sofort gekündigt hätte.

Nach den vorgenannten Grundsätzen genügt der Vortrag der Klägerin deshalb nicht zur Darlegung eines Kausalzusammenhanges zwischen Insolvenzgeldzahlung und Insolvenzverschleppung.

Zwar hat vorliegend die Insolvenzschuldnerin ihre Arbeitnehmer bis kurz vor der Stellung des Insolvenzantrags am 29.08.2002 bezahlt. Ferner war sie am 31.12.1999 noch in der Lage, Rückstellungen für Resturlaubsansprüche ihrer Mitarbeiter zu bilden. Die Beklagten haben auch den Vortrag der Klägerin, es habe keinerlei Mahn- oder Vollstreckungsverfahren gegen die Insolvenzschuldnerin gegeben und sie habe ihre Sozialversicherungsabgaben gezahlt, nicht bestritten. Damit dürfte die Klägerin daher zwar zunächst ihrer Darlegungslast genügt haben. Eine zusätzliche Begründung ist nach der Entscheidung des BGH vom 18.12.2007 nämlich nur in dem – hier nicht gegebenen – Fall einer Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin bei Insolvenzreife erforderlich.

Vorliegend haben jedoch die Beklagten vorgetragen, die Insolvenzschuldnerin wäre bei unterstellter rechtzeitiger Antragstellung im Januar bzw. Juli 2000 dadurch zahlungsunfähig geworden, dass die Hausbank die der Insolvenzschuldnerin gewährten Kreditlinien sofort gekündigt hätte. Deswegen wäre auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter zu diesen Zeitpunkten nicht in der Lage gewesen, Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer zu begleichen (Schriftsätze vom 15.08.08 und 25.02.09, Bl. 102/103, 139 d.A.). Dass dieser Vortrag plausibel ist, zeigt sich darin, dass die Kreditkündigung seitens der Hausbank im August 2002 zur Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin und in der Folge zu dem Insolvenzantrag des Beklagten Ziff. 1 geführt hat.

Damit haben die Beklagten die Behauptung der Klägerin, die Insolvenzschuldnerin hätte bei rechtzeitigem Insolvenzantrag die Gehälter und Löhne ihrer Arbeitnehmer bezahlt, substantiiert bestritten. Es hätte nun wiederum der Klägerin oblegen, auf diesen Vortrag zu reagieren. Dies ist nicht geschehen. Die Klägerin hat zwar das „Gesamtkonzept einer Fremdfinanzierung des Schuldnerunternehmens“ bestritten (S. 8 des Schriftsatzes vom 19.11.08). Damit hat sie jedoch nicht ausreichend auf die Behauptung entgegnet, die Insolvenzschuldnerin habe Bankkredite in Anspruch genommen, die bei früherer Antragstellung gekündigt worden wären, was zu ihrer Zahlungsunfähigkeit geführt hätte. Die Kreditgewährung durch die Hausbank bestreitet die Klägerin nicht. Dass die Insolvenzschuldnerin Kredite bei der Kreissparkasse W. aufgenommen hatte, ergibt sich im Übrigen schon aus den vorgelegten Jahresabschlussberichten zum 31.12.1999 (Bl. 89, S. 4, 16, 31) und zum 31.12.2000 (Bl. 90, S. 4, 15, 29), welche „Kreditverbindlichkeiten“ und die Sicherungsübereignung des Warenlagers an die Kreissparkasse W. u. a. für Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin erwähnen.

Schlagworte: Darlegungs- und Beweislast, GmbHG § 64 Satz 1, Haftung nach § 826 BGB, Haftung wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB, Insolvenzgeld, vorsätzliche Insolvenzverschleppung, Zahlungen nach Insolvenzreife