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OLG Stuttgart, Urteil vom 29.02.2012 – 20 U 3/11

AktG §§ 111, 120,

1. Bei Geschäften, die wegen ihres Umfangs, der mit ihnen verbundenen Risiken oder ihrer strategischen Funktion für die Gesellschaft für die Gesellschaft besonders bedeutsam sind, muss jedes Aufsichtsratsmitglied den relevanten Sachverhalt erfassen und sich ein eigenes Urteil bilden; dies umfasst regelmäßig auch eine eigene Risikoanalyse.

2. Mitglieder des Aufsichtsrats, die durch öffentliche „pointierte Meinungsäußerungen“ im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft gefährden, verletzen grundsätzlich ihre Treuepflicht dieser gegenüber.

3. Lässt sich ein Sachverhalt zwar unterschiedlich interpretieren, ergibt sich aber in jedem Fall eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Entlasteten, fehlt es nicht an der für die Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses nötigen Eindeutigkeit einer Pflichtverletzung des Entlasteten.

4. Zwar setzt die Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses voraus, dass die eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung des Entlasteten dem objektiven Durchschnittsaktionär in der über die Entlastung beschließenden Hauptversammlung erkennbar war. Sind die tatsächlichen Umstände, aus denen die Pflichtverletzung abzuleiten ist, unstreitig, genügt dazu aber, dass sie den Hauptversammlungsteilnehmern durch den Redebeitrag eines Aktionärs vor Augen geführt werden.

5. Folgt eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung aus bestimmten Äußerungen des Entlasteten, schiebt der Anfechtungskläger jedenfalls dann nicht in unzulässiger Weise Anfechtungsgründe nach, wenn er zwar nach Ablauf der Anfechtungsfrist vorträgt, dass dem objektiven Durchschnittsaktionär diese Äußerungen in der Hauptversammlung vor Augen geführt wurden, aber bereits vor Ablauf der Anfechtungsfrist die Äußerungen und die Interpretationsmöglichkeiten, an die er den Vorwurf der Pflichtverletzung knüpft, vorgetragen hatte.

6. Werden alle Mitglieder des Aufsichtsrats durch einen Beschluss entlastet, obwohl Einzelentlastung beantragt worden war, ist der angefochtene Entlastungsbeschluss regelmäßig insgesamt für nichtig zu erklären, wenn in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds eine die Entlastung hindernde eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung festzustellen ist.

Schlagworte: Anfechtungsgründe, Anfechtungsklage im Sinne der §§ 243 ff AktG, Aufsichtsrat, Auskunfts-/Einsichts-/Informations-/Kontrollrechte, Entlastung, Entlastung der Geschäftsführer, Entlastung des Aufsichtsrats, Nachschieben von Gründen, Schadensersatzanspruch, Schwerwiegende Pflichtverletzung, Schwerwiegender Gesetzes- oder Satzungsverstoss, Treuepflicht