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OLG Stuttgart, Urteil vom 30. März 1994 – 3 U 154/93

Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers aus wichtigem Grund

§ 38 GmbHG

1. Die Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung des Geschäftsführers
aus wichtigem Grund kann auch auf Gründe gestützt werden, die erst nach dem Abberufungsbeschluss entstanden sind, wenn sich aus der Gesamtbeurteilung ergibt, dass bereits im Zeitpunkt der Abberufung die Fortsetzung der Geschäftsführertätigkeit unzumutbar war.

2. Wichtige Gründe zur Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Abberufung des Geschäftsführers
sind gegeben, wenn dieser mehrfach versucht hat, sich unter Einsatz körperlicher Gewalt durchzusetzen und seinen Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer durch Tätlichkeiten einzuschüchtern.

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 10. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 12.05.1993 teilweise abgeändert:

 

1. Die durch Gesellschafterbeschluß vom 13.11.1992 ausgesprochene Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fristlose Kündigung
Kündigung
des Dienstvertrags des Klägers ist unwirksam.

 

2. Es wird festgestellt, daß das Dienstverhältnis des Klägers bis 14.09.1993 fortbestanden hat.

 

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

 

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10.

 

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 27.000,– DM, die Beklagte durch Sicherheitsleistung von 3.000,– DM abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in der entsprechenden Höhe leistet.

 

V. Beschwer des Klägers:

360.000,00 DM

Beschwer der Beklagten:

40.000,00 DM

                

Streitwert in beiden Rechtszügen:

400.000,00 DM

 

 

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob der Kläger als Geschäftsführer wirksam abberufen und sein Dienstverhältnis wirksam fristlos gekündigt worden ist.

Im Jahre 1925 gründeten die … die … mit paritätischer Beteiligung und jeweiliger Geschäftsführerstellung. … war der Vater des jetzt 55-jährigen Klägers, … der Vater des inzwischen … der seit 1949 Gesellschafter und Geschäftsführer war, inzwischen als Geschäftsführer ausgeschieden ist, nunmehr aber den vorliegenden Prozeß für die Beklagte als gemäß § 46 Nr. 8 GmbH-Gesetz bestellter Sondervertreter führt. Der Kläger ist seit 1966 Gesellschafter und Geschäftsführer der OHG. Die OHG wurde im Jahre 1979 aufgespalten in eine Besitzgesellschaft (OHG) und die Beklagte als Betriebsgesellschaft, ohne daß sich an der hälftigen Beteiligung und der beiderseitigen Geschäftsführung etwas änderte.

Nachdem … im November 1991 schwer erkrankt war und sich einer Operation unterziehen mußte, übertrug er durch notarielle Urkunde vom 10.02.1992 die Hälfte seines Geschäftsanteils im Nennbetrag von 75.000,– DM im Wege der Schenkung auf seinen am 24.04.1963 geborenen Sohn …, der im Dezember 1991 sein Studium als Diplom-Lebensmittel-Ingenieur abgeschlossen hatte.

Über die Teilübertragung des Geschäftsanteils auf … und insbesondere über den von … geplanten Eintritt seines Sohnes als Geschäftsführer der Beklagten gab es zwischen dem Kläger und … Meinungsverschiedenheiten. Mit Gesellschafterbeschluß vom 26.05.1992 wurde jedoch eine Einigung dahin erzielt, daß … zunächst als Assistent der Geschäftsleitung beschäftigt wird und ab 01.07.1993 anstelle seines Vaters alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer neben dem Kläger werden soll.

In der Gesellschafterversammlung vom 13.11.1992 wurde der Kläger mit den Stimmen der Gesellschafter … (zusammen 50 %) als Geschäftsführer abberufen und sein Dienstverhältnis fristlos gekündigt.

Als wichtige Gründe wurden angeführt,

der Kläger habe unberechtigterweise Anwaltskosten in Höhe von 3.420,– DM zu Lasten der Beklagten verbucht, die ihm für die Beratung eines Vorschlags der Beklagten über die Umgestaltung der Gesellschaftsverträge der Beklagten entstanden seien;

trotz wiederholter Aufforderung sei der Kläger nicht bereit, verantwortlich einen bestimmten Geschäftsbereich zu übernehmen;

in der Woche vom 05.-11.10.1992 habe der Kläger … am Kragen gepackt und ihn bedroht, weil dieser die Begleichung der den Kläger betreffenden Anwaltsrechnung durch die Beklagte als unberechtigt bezeichnet habe;

am 13.10.1992 habe der Kläger … am Kragen gepackt und diesen zugedreht, bis … sich dagegen habe erwehren können.

In der Gesellschafterversammlung vom 15.01.1993 wurden zur Begründung der Abberufung des Klägers weitere, teilweise in den Zeitraum von Januar bis Oktober 1992 fallende wichtige Gründe nachgeschoben und der Kläger erneut abberufen und gekündigt.

Der Kläger hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes für seine Abberufung bestritten und die Auffassung vertreten, daß deshalb ein wirksamer Mehrheitsbeschluß gegen seine Stimme nicht habe gefaßt werden können.

Er hat beantragt,

 
1. die in der Gesellschafterversammlung vom 13.11.1992 gefaßten Gesellschafterbeschlüsse, nämlich seine Abberufung als Geschäftsführer und Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fristlose Kündigung
Kündigung
für unwirksam zu erklären;
 
2. den in der Gesellschafterversammlung vom 15.01.1993 gefaßten Beschluß über das Nachschieben wichtiger Gründe für unwirksam zu erklären und
 
3. festzustellen, daß die Kündigung seines Dienstverhältnisses unwirksam ist und das Dienstverhältnis unverändert fortbesteht.

 

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und auf die in den Protokollen der Gesellschafterversammlungen vom 13.11.1992 und 15.01.1993 angeführten wichtigen Gründe zur Abberufung des Klägers verwiesen und dazu weitere Ausführungen gemacht.

Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen der Klage stattgegeben und dazu im wesentlichen ausgeführt: Nach Würdigung aller Umstände und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile könne ein zur Abberufung und fristlosen Kündigung ausreichender wichtiger Grund nicht festgestellt werden, so daß der Kläger von den Abstimmungen am 13.11.1992 und 15.01.1993 nicht habe ausgeschlossen werden können, mithin seine Abberufung/Kündigung mangels Mehrheitsbeschlusses nicht durch die beiden Gesellschafter … und … rechtswirksam habe erfolgen können. Soweit die Abberufung auf Tätlichkeiten des Klägers gestützt worden sei, seien solche nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bewiesen, auch sei mit aller Deutlichkeit festzustellen, daß körperliche Auseinandersetzungen grundsätzlich nicht geduldet werden könnten, trotzdem erscheine bei Abwägung aller Umstände wegen dieser Entgleisungen eine Abberufung des Klägers nach über 20-jähriger Geschäftsführertätigkeit als Mitgesellschafter mit hälftiger Beteiligung nicht gerechtfertigt, wobei allerdings klargestellt werden müsse, daß der Kläger keinen Freibrief für sein Verhalten gegenüber dem Mitgesellschafter … erhalte. Die übrigen für die Abberufung/Kündigung des Klägers angeführten Gründe würden eine solche nicht rechtfertigen. Teilweise könnten diese wegen Ablaufs der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB hierfür nicht mehr herangezogen werden.

Wegen der Einzelheiten der Begründung und wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 14.05.1993 zugestellte Urteil am 09.06.1993 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Standpunkt, daß der Kläger durch die Gesellschafterbeschlüsse vom 13.11.1992 und 15.01.1993 aus wichtigem Grund wirksam als Geschäftsführer abberufen und sein Dienstverhältnis fristlos gekündigt worden sei, weiter. Zusätzlich macht die Beklagte geltend, daß der Kläger weitere Tätigkeiten begangen habe. Am 23.08.1993 sei der Kläger im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung über das Weinbuch und über Schreiben, die der Kläger an Banken versandt hatte, auf … losgegangen, habe ihn gewaltsam zur Tür gestoßen und ihn zwischen Tür und Türrahmen eingeklemmt. Am 31.08.1993 habe der Kläger … im Verlauf einer Auseinandersetzung wegen des Auftrags zur Reparatur einer Apfelpresse mit seinen Händen und seiner Körpermasse 2-3 m von sich weggestoßen. Am 01.09.1993 gegen 14.30 Uhr habe … dem Kläger die von diesem begehrten Bilanzunterlagen zur Einsicht vorgelegt. Der Kläger habe trotz des Hinweises, daß die Originalunterlagen im Büro belassen werden müßten, den Ordner genommen und sich mit ihm entfernt. Als … ihn verfolgt habe, habe der Kläger einen Besen gezielt auf … geworfen, mehrmals den Ellenbogen in die Rippen von … gestoßen und diesen mit dem Aktenordner ins Gesicht geschlagen. Nachdem der Kläger schließlich auf wiederholte Ermahnungen des … ins Büro zurückgekehrt sei, habe er diesen rückwärts gegen die Kante der geöffneten Bürotür gestoßen. Der Kläger habe außerdem trotz des Widerspruchs des … während dieser Auseinandersetzung ein in der Brusttasche mitgeführtes Diktiergerät mitlaufen lassen. Am selben Tag gegen 17.10 Uhr sei der Kläger gegenüber …, der Schwester des …, tätlich geworden. Diese habe dem Kläger, als er zu seinem Pkw gegangen sei, zugerufen, daß er eine Strafanzeige wegen Körperverletzung bekomme. Daraufhin habe der Kläger unvermittelt mit beiden Fäusten auf den Kopf von … eingeschlagen, habe die Arme um ihren Hals gelegt und ihr die Knie in den Rücken gedrückt. Als er mit seinem Pkw weggefahren sei, sei er mit links eingeschlagenen Rädern und Vollgas angefahren, so daß die beim Fahrzeug stehenden … und … hätten zur Seite springen müssen, um nicht von den Hinterrädern erfaßt zu werden. Bei … sei im Krankenhaus Schorndorf eine Gehirnerschütterung, eine Schädelprellung, eine Schulterdistorsion und eine Kiefergelenkdistorsion festgestellt worden.

In der Gesellschafterversammlung vom 14.09.1993 und (wegen formaler Beanstandungen des Klägers) erneuten Gesellschafterversammlung vom 01.10.1993 faßten die Gesellschafter … und … gegen die Stimme des Klägers den Beschluß, daß zur Begründung der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer (und Kündigung des Dienstvertrags) – neben weiteren Gründen, u.a. auch wegen unheilbaren Zerwürfnisses zwischen den Geschäftsführern und Gesellschaftern – die oben angeführten Vorfälle als wichtiger Grund nachgeschoben werden, hilfsweise, daß die erneute Abberufung und Kündigung des Klägers ausgesprochen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen
und im Wege der Hilfswiderklage

festzustellen, daß der Kläger aufgrund des Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 01.10.1993 als Geschäftsführer fristlos abberufen und sein Dienstverhältnis wirksam fristlos gekündigt wurde.

Der Kläger beantragt

Zurückweisung der Berufung und Abweisung der Eventualwiderklage.

Er bestreitet die ihm zur Last gelegten Tätlichkeiten und macht geltend, … habe sich ihm gegenüber provozierend verhalten. Auch das sonstige ihm von der Beklagten vorgeworfene Fehlverhalten bestreitet der Kläger. Für die Eventualwiderklage fehle es an einem wirksamen Gesellschafterbeschluß, da … unter Mißachtung der dem Kläger zustehenden Versammlungsleitung keine von der Gesellschafterversammlung gefaßten Beschlüsse habe feststellen können.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 09.06., 13.09., 19.10. und 25.11.1993 sowie auf die Schriftsätze des Klägers vom 10.08., 23.09.1993 und 11.01.1994 verwiesen.

Der Senat hat die Zeugen …, …, …, …, …, … und … vernommen. Auf die Vernehmungsniederschrift vom 02.02.1994 (Bl. 367/387) wird Bezug genommen.

Nach Schluß der mündlichen Verhandlung hat der Kläger noch den Schriftsatz vom 23.02.1994, die Beklagte den Schriftsatz vom 04.03.1994 eingereicht.

Die Berufung hat im wesentlichen Erfolg. Der Kläger ist durch den Gesellschafterbeschluß vom 13.11.1992 als Geschäftsführer wirksam abberufen und sein Dienstverhältnis durch die in der Gesellschafterversammlung vom 14.09.1993 beschlossene und erklärte Kündigung wirksam fristlos gekündigt worden.

1.

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält zwar keine Einschränkung der gemäß § 38 Abs. 1 GmbH-Gesetz an sich gegebenen jederzeitigen Widerruflichkeit der Geschäftsführerbestellung. Auch für die personalistische GmbH gilt der Grundsatz der freien Widerruflichkeit (vgl. Hachenburg GmbH-Gesetz 7. Aufl. § 38 Rn. 29). Aus der Regelung im Anstellungsvertrag des Klägers, wonach das Dienstverhältnis nur aus wichtigem Grund und nur bei Widerruf der Geschäftsführerbestellung gekündigt werden kann, kann nicht auf eine Einschränkung der freien Widerruflichkeit der Geschäftsführerbestellung geschlossen werden (vgl. Hachenburg aaO § 38 Rn. 32). Ungeachtet der nach der Satzung nicht beschränkten freien Widerruflichkeit hängt aber die Wirksamkeit eines Abberufungsbeschlusses davon ab, ob ein wichtiger Grund zur Abberufung des Klägers vorgelegen hat. Denn nur in diesem Fall war der Kläger in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 4 GmbH-Gesetz bei der Abstimmung über seine Abberufung von der Abstimmung ausgeschlossen und konnte ein gegen die Stimme des Klägers gefaßter Abberufungsbeschluß Wirksamkeit erlangen (vgl. Hachenburg aaO § 47 Rn. 74; BGHZ 34, 367; BGH NJW 1969, 1483).

Im übrigen gehen beide Parteien im Prozeß übereinstimmend davon aus, daß die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraussetzt.

2.

Ein die Abberufung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Abberufung des Geschäftsführers
rechtfertigender wichtiger Grund liegt dann vor, wenn dessen Beibehaltung als Geschäftsführer für die Gesellschaft unzumutbar ist. Dabei sind die gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten zu würdigen. Dies gilt vor allem für die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers in einer zweigliedrigen GmbH. Dabei ist insbesondere auch die Dauer der Geschäftsführertätigkeit zu berücksichtigen (vgl. Hachenburg aaO § 38 Rn. 43 ff; BGH NJW 1960, 628; BGH LM Nr. 4 zu § 38 GmbH-Gesetz; BGH GmbH-Rundschau 1969, 37).

Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ist, wie bereits ausgeführt, der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer nicht stimmberechtigt.

3.

Hinsichtlich der zur Begründung des Abberufungsbeschlusses vom 13.11.1992 angeführten Gründe schließt sich der Senat im wesentlichen der Beurteilung des Landgerichts an.

Aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin … ist nachgewiesen, daß der Kläger in der Woche vor dem 12.10.1992 gegenüber dem (damaligen) Mitgeschäftsführer … tätlich geworden ist, indem er auf ihn zuging, ihn am „Kragen“ packte und „verschüttelte“. Es mag durchaus zutreffen, daß der Kläger verärgert war über die Vorhaltungen, die ihm … wegen der vom Kläger veranlaßten Bezahlung der Anwaltsrechnung … über ein Konto der Beklagten gemacht hatte. Auch wenn der Kläger – ob zu Recht oder zu Unrecht, soll hier dahinstehen – der Meinung war, er sei berechtigt gewesen, die Anwaltsrechnung von der Beklagten bezahlen zu lassen, war sein Verhalten dadurch nicht entschuldigt. Denn selbst wenn der Kläger die Vorhaltungen seitens … als ungerechtfertigt ansah, hätte er sich nicht zu einer Handgreiflichkeit gegenüber seinem (damaligen) Mitgeschäftsführer hinreißen lassen dürfen.

Die Tätlichkeit gegenüber … am 13.10.1992 ist aufgrund der Aussagen der Zeugin … und … sowie der eigenen Einlassung des Klägers ebenfalls bewiesen. Diese Tätlichkeit erfolgte im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und …, die damit begonnen hatte, daß der Kläger … zur Rede stellen wollte wegen Vorhaltungen, die man ihm – dem Kläger – wegen des Äpfelauflesens gemacht hatte, worauf … entgegnete, es gehe um die Verteilung der Verantwortungsbereiche. Danach hat der Kläger … vorne am Revers gepackt und so „zugedreht“, daß … kaum mehr Luft bekam und sich erst nach geraumer Zeit und nur mit Mühe wieder befreien konnte. Der Kläger hat durch die beiden geschilderten Tätlichkeiten in ganz schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten als Geschäftsführer verstoßen. Es kann nicht angehen, daß der Geschäftsführer eines Unternehmens gegenüber dem Mitgeschäftsführer … oder gegenüber dem Assistenten der Geschäftsführung (… zum damaligen Zeitpunkt) tätlich wird, noch dazu in den Betriebsräumen und in Anwesenheit von Angestellten des Betriebs. Damit blieb die Tätlichkeit nicht nur eine „interne“ Angelegenheit, sondern störte auch den Betriebsfrieden des Unternehmens als Ganzes. Die Tätlichkeit gegenüber … ist dabei als erheblich schwerwiegender zu beurteilen. Der Kläger hat … ohne begründeten Anlaß körperlich angegriffen und ihn mißhandelt. Die vorangehende Auseinandersetzung war zwar der Anlaß, kann den Kläger aber in keiner Weise entschuldigen. Daß … den Kläger auf die Aufteilung der Verantwortungsbereiche angesprochen hat, stellte keine Provokation dar, zumal es der Kläger war, der auf einer Unterredung mit … wegen des Äpfelauflesens bestanden hatte. Erschwerend kommt hinzu, daß sich der Kläger dabei über … lustig gemacht hat, indem er – nach seiner eigenen Darstellung in der Klageschrift (Seite 16) – über dessen Versuche, sich aus dem Griff des Klägers zu befreien, „herzhaft lachte“. Die Mißhandlung war für … besonders demütigend, da noch zwei Mitarbeiterinnen anwesend waren.

4.

Das Landgericht hat allerdings die beiden geschilderten Verfehlungen des Klägers nicht als ein zur Abberufung und fristlosen Kündigung ausreichenden wichtigen Grund angesehen.

Für den Senat kann letztlich dahinstehen, ob diese Beurteilung richtig ist oder ob nicht schon diese beiden Vorfälle eine Abberufung rechtfertigen.

Denn der Kläger hat sich am 23.08., 31.08. und 01.09.1993 weitere Tätlichkeiten zuschulden kommen lassen. Diese weiteren Vorfälle rechtfertigen eine Gesamtbeurteilung des Klägers, aus der sich ergibt, daß im Zeitpunkt der Abberufung durch den Gesellschafterbeschluß vom 13.11.1992 die Fortsetzung der Geschäftsführertätigkeit des Klägers unzumutbar war. In einem solchen Fall können auch Gründe, die erst nach dem Abberufungsbeschluß entstanden sind, zur Begründung der Abberufung und fristlosen Kündigung herangezogen werden (vgl. BGHZ 27, 221/222; Hachenburg aaO § 38 Rn. 44; Fleck WM 1968, 14).

Am 23.08.1993 suchten … und … den Kläger an dessen Arbeitsplatz im Labor auf und baten ihn um Aushändigung des Weinbuchs, weil es wegen dessen Führung Beanstandungen gegeben hatte. Im weiteren Verlauf dieser Unterredung verlangte … vom Kläger die Vorlage der von diesem an Banken versandten Schreiben betreffend die Beendigung der Vertretungsberechtigung des … Der Kläger ging daraufhin zum Fenster, öffnete dieses und rief:

„Hilfe, …, die verschlagen mich“. Daraufhin ging der Kläger auf … zu und stieß ihn zur offenen Tür. Dort klemmte er … zwischen Türrahmen und Türflügel ein und lockerte erst nach 10-15 Sekunden den Druck, so daß … hinausgehen konnte.

Am 31.08.1993 sprach … den Kläger auf den Auftrag zur Reparatur der Apfelpresse an. … hielt dem Kläger vor, daß sein Vater auf den Preis des Kostenvoranschlags einen Nachlaß von 5 % herausgehandelt habe. Daraufhin wurde der Kläger wütend und stieß … mit seinen Händen und seiner Körpermasse 2-3 m von sich weg.

Zu einer weiteren Tätlichkeit kam es am Nachmittag des 01.09.1993 im Zusammenhang mit der Einsichtnahme des Klägers in den Aktenordner mit den Bilanzunterlagen. … bestand darauf, daß der Aktenordner im Büro bleibe. Als der Kläger mit dem Aktenordner trotzdem das Büro verließ, folgte ihm … um ihn zum Zurückbringen des Aktenordners zu bewegen. Bei dieser „Verfolgungsjagd“ warf der Kläger einen Besen gezielt auf …, stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen und mit dem Aktenordner ins Gesicht. Nachdem beide wieder ins Büro zurückgekehrt waren, stieß der Kläger … rückwärts gegen die Kante der geöffneten Bürotür.

Die dargestellten Tätlichkeiten sind für den Senat aufgrund der Aussage des Zeugen …, welche bezüglich des zuletzt geschilderten Stoßes gegen die Bürotür durch die bei diesem Vorfall anwesende Zeugin … bestätigt wird, erwiesen.

Der Geschäftsführer … war als Zeuge zu vernehmen, da die Beklagte im vorliegenden Prozeß nicht durch den Geschäftsführer …, sondern durch den durch Gesellschafterbeschluß vom 18.12.1992 gemäß § 46 Nr. 8 GmbH-Gesetz als Sondervertreter bestellten … gesetzlich vertreten wird (vgl. Scholz GmbH-Gesetz 7. Aufl. § 46 Rn. 173; Zöller ZPO 17. Aufl. § 373 Rn. 5).

Der Zeuge … ist als Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagten am Ausgang des Verfahrens unmittelbar interessiert. Zudem ist er – zusammen mit seinem Vater – derjenige, der die Abberufung des Klägers als Geschäftsführers mitbetreibt. Es liegt deshalb auf der Hand, daß der Aussage dieses Zeugen mit größter Vorsicht zu begegnen ist. Trotzdem ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß die Angaben dieses Zeugen glaubhaft sind. Der Senat hat sowohl den Kläger – in der mündlichen Verhandlung vom 15.09.1993 – als auch den Zeugen … ausführlich gehört. Dabei hat der Senat die Überzeugung gewonnen, daß der Zeuge … die angeführten Vorfälle wahrheitsgemäß geschildert hat. Gegen die Darstellung des Klägers bestehen erhebliche Zweifel, zumal er bereits die Tätlichkeiten vom Oktober 1992, die durch anderweitige Zeugenaussagen bestätigt worden sind, in Abrede gestellt hat.

Hinsichtlich des weiteren von der Beklagten zur Begründung der Abberufung angeführten Vorfalls vom 01.09.1993 um 17.00 Uhr sieht sich der Senat jedoch nicht in der Lage, sichere Feststellungen über den Ablauf treffen zu können. Die Zeugin … und … haben zwar die von der Beklagten behaupteten Tätlichkeiten gegenüber der Zeugin bestätigt. Nachdem die von diesen Zeugen geschilderten „unvermittelten“ Faustschläge des Klägers auf den Kopf der Zeugin … als Reaktion auf deren Zuruf, diesmal gebe es eine Strafanzeige, schwer nachvollziehbar sind, und nachdem die Zeugin … den Vorfall so dargestellt hat, daß die Zeugin … den Kläger „von hinten angesprungen“ habe, bleibt für den Senat zweifelhaft, wie dieser Vorfall einschließlich dessen Fortgang am Auto des Klägers im einzelnen abgelaufen ist.

Die festgestellten Tätlichkeiten des Klägers am 23.08., 31.08. und 01.09.1993 um 14.30 Uhr zeigen, daß es sich bei den früheren Tätlichkeiten im Oktober 1992 nicht um einmalige Entgleisungen gehandelt hat, sondern daß der Kläger – jedenfalls in dem hier zur Entscheidung stehenden Bereich des Geschäftsbetriebs der Beklagten – dazu neigt, sich unter Einsatz körperlicher Gewalt durchzusetzen und seinen Mitgesellschafter und Mitgeschäftsführer durch Tätlichkeiten einzuschüchtern. Es wird nicht verkannt, daß sich die Situation erst zugespitzt hat, als der Gesellschafter … nach seiner Erkrankung die Aufnahme seines Sohnes als Gesellschafter und dessen Einsetzung als Geschäftsführer betrieben hat. Der Eintritt des … in das Geschäft war aber – u.a. durch dessen Ausbildung als Lebensmittelingenieur – vorprogrammiert und auch für den Kläger absehbar. Auf jeden Fall kann der dadurch heraufbeschworene „Generationenkonflikt“ den Kläger nicht entschuldigen. Auch wenn man berücksichtigt, daß der Kläger Gesellschafter der Beklagten mit hälftiger Beteiligung und seit 26 Jahren Geschäftsführer ist, ohne daß es bis dahin zu wesentlichen Störungen gekommen war, stellen die festgestellten Vorfälle so schwere Verstöße gegen die grundlegenden Verhaltensnormen eines Geschäftsführers dar, daß eine weitere Geschäftsführertätigkeit des Klägers für die Beklagte unzumutbar ist. Es ist für einen Geschäftsbetrieb untragbar, daß ein Geschäftsführer sich durch tätliche Angriffe auf den Mitgeschäftsführer durchzusetzen versucht. Eine gedeihliche Zusammenarbeit ist unter solchen Umständen nicht möglich. Deshalb hat die Beklagte den Kläger zu Recht in der Gesellschafterversammlung vom 13.11.1992 mit den Stimmen des … und … aus wichtigem Grund als Geschäftsführer abberufen.

Einer Erörterung der weiteren von der Beklagten zur Begründung der Abberufung angeführten Verfehlungen des Klägers bedarf es nicht.

Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 11.01.1994 und in dem nachgereichten Schriftsatz vom 23.02.1994 zu den Vorfällen vom 01.09.1993 das Abhören der von ihm erstellten Tonbandaufnahme beantragt hat, war diesem Beweisantrag nicht stattzugeben. Zum einen ist diese Tonbandaufnahme, da … ausdrücklich der Aufnahme widersprochen hat, in unzulässiger Weise hergestellt worden und deshalb als Beweismittel nicht verwertbar. Nach überwiegender Meinung ist eine Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Worts auf Tonträger auch dann unbefugt, wenn die Aufnahme zwar nicht heimlich, aber gegen den erklärten Willen der betroffenen Person aufgenommen wird (Dreher-Tröndle StGB 6. Aufl. § 201 Rn. 4; Leipziger Kommentar StGB 10. Aufl. § 201 Rn. 11; BGH NJW 1982, 277). Die Situation des Klägers kann auch nicht als „notwehrähnliche Lage“ angesehen werden, bei welcher von der Rechtsprechung die Verwertung unbefugt hergestellter Tonbandaufnahmen für zulässig gehalten wird (vgl. BGH NJW 1982, 277). Zum anderen hat der Kläger konkrete Tatsachen nicht angeführt, die durch Abhören des Tonbandes bewiesen werden sollen. Der Kläger hat nicht angegeben, was sich aus dem Tonband ergibt. Bei den Vorfällen am 01.09.1993, soweit diese Gegenstand des Parteivortrags und der Beweisaufnahme sind, handelt es sich im wesentlichen nicht um verbale Auseinandersetzungen, sondern um Aktionen, die durch ein Tonband nicht aufgenommen und wiedergegeben werden. Für die vom Kläger behaupteten „Provokationen“ durch … und … fehlt ein substantiierter Tatsachenvortrag.

5.

Die unter Ziff. 3 und 4 dargelegten Gründe rechtfertigen – neben der Abberufung als Geschäftsführer – auch die Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fristlose Kündigung
Kündigung
des Dienstvertrags aus wichtigem Grund.

Die in der Gesellschafterversammlung vom 13.11.1992 ausgesprochene Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fristlose Kündigung
Kündigung
ist allerdings nicht wirksam, da die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten ist. Diese Frist beginnt ab Kenntnis der Kündigungsberechtigten vom Kündigungsgrund. Dies war der 13.10.1992. Die Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Kündigung
erfolgte erst am 13.11.1992, also nach Ablauf der 2-Wochenfrist. Diese Frist muß zwar angemessen verlängert werden, wenn die Frist für die Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
satzungsgemäß zwei Wochen beträgt. Jedoch genügt es zur Wahrung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht, wenn innerhalb dieser Frist die Einberufung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Einberufung
Einberufung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
erfolgt (BGH LM Nr. 7 zu § 38 GmbH-Gesetz). Vielmehr muß die Einberufung unverzüglich erfolgen (vgl. Hachenburg aaO § 38 Rn. 60).

Die Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fristlose Kündigung
Kündigung
aus wichtigem Grund ist jedoch erneut in der Gesellschafterversammlung vom 14.09.1993 wirksam beschlossen und erklärt worden.

In dieser Gesellschafterversammlung hat der Gesellschafter … die Vorfälle vom 23.08., 31.08. und 01.09.1993 als weitere Gründe nachgeschoben und die erneute Abberufung und Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fristlose Kündigung
Kündigung
des Klägers zur Abstimmung gestellt. Mit den Stimmen der Gesellschafter … und … wurde der entsprechende Beschluß gefaßt und die Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Fristlose Kündigung
Kündigung
gegenüber dem anwesenden Kläger ausgesprochen.

Dieser Beschluß war wirksam. Daß die Vorfälle vom 23.08., 31.08. und 01.09.1993 sowie die erneute Abberufung und Fristlose KündigungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Kündigung
in der Einladung zu dieser Gesellschafterversammlung nicht als Tagesordnungspunkte genannt waren, steht der Wirksamkeit nicht entgegen. Denn nach § 6 Nr. 3 Satz 7 des Gesellschaftsvertrags können über Gegenstände, die in der Tagesordnung nicht angekündigt sind, dann Beschlüsse gefaßt werden, wenn alle Gesellschafter anwesend sind. Dies war bei der Gesellschafterversammlung am 14.09.1993 der Fall.

Der Streit der Parteien über die Frage, wem die Versammlungsleitung in dieser Gesellschafterversammlung zustand, hat keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der von der Versammlung gefaßten Beschlüsse. Abgesehen davon ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, daß der Kläger durch den am 13.11.1992 gefaßten Beschluß als Geschäftsführer wirksam abberufen war, so daß dem Geschäftsführer … die Versammlungsleitung zustand.

Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt, da bezogen auf den letzten Vorfall am 01.09.1993 die 2-Wochen-Frist auf jeden Fall noch nicht abgelaufen war.

Über die Hilfswiderklage war nicht zu entscheiden, da der Eventualfall, für den sie erhoben ist, nicht gegeben ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Entscheidung über die Vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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