Ausgewählte Entscheidungen

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Gesellschaftsrecht

BGH, Urteil vom 28. November 2023 – X ZR 83/20

Die zehnjährige Verjährungsfrist des § 852 Satz 2 BGB beginnt mit der Entstehung des ursprünglichen Schadensersatzanspruchs, nicht erst mit dessen Verjährung.

BVerfG, Urteil vom 15. November 2023 – 2 BvF 1/22

Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist nichtig

a) Über den Wortlaut von Art. 109 Abs. 3 Satz 2 und Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG hinaus ist ein sachlicher Veranlassungszusammenhang zwischen der Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenzen erforderlich. Bei dessen Beurteilung kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu.

b) Diesem Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum korrespondiert eine Darlegungslast im Gesetzgebungsverfahren.

a) Die Geltung der Grundsätze der Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit im Staatsschuldenrecht erstreckt sich auf die Ausnahmeregelung des Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen.

b) Sie können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass der Haushaltsgesetzgeber eine Gestaltungsform wählt, bei der Kreditermächtigungen für ein juristisch unselbständiges Sondervermögen nutzbar gemacht werden.

Das Gebot der Vorherigkeit ist grundsätzlich auch bei der Aufstellung von Nachtragshaushalten zu beachten. Ein Nachtragsentwurf ist demnach bis zum Jahresende parlamentarisch zu beschließen.

BGH, Urteil vom 9. November 2023 – III ZR 105/22

Schadensersatz wegen fehlgeschlagener Investitionen I Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Erbringung von Bankgeschäften ohne die erforderliche Erlaubnis für eine juristische Person I Verschulden des Organs I Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortung bei internen Zuständigkeitsregelungen – Haftung eines Organs für unerlaubte Bankgeschäfte

Haftung eines Organs für unerlaubte Bankgeschäfte

1. Wer entgegen § 32 Abs. 1 KWG ohne entsprechende Erlaubnis Bankgeschäfte erbringt, macht sich bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG strafbar. Wirken die Geschäfte berechtigend und verpflichtend für eine juristische Person, trifft die strafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB denjenigen, der in organschaftlicher Stellung für die juristische Person tätig ist (Bestätigung von BGH, Urteile vom 15. Mai 2012 – VI ZR 166/11, NJW 2012, 3177 Rn. 19 und vom 12. Dezember 2019 – IX ZR 77/19, NJW-RR 2020, 292 Rn. 35).

2. Die objektive Organstellung allein ist nicht hinreichend, um eine Haftung zu begründen. Es bedarf zusätzlich des Verschuldens, § 276 BGB, das gesondert festgestellt werden muss.

3. Interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung einer juristischen Person können zwar nicht zu einer Aufhebung, wohl aber zu einer Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Es bestehen jedoch in jedem Fall gewisse Überwachungspflichten, die das danach unzuständige Organ zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch das zuständige Organ nicht mehr gewährleistet ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 15. Oktober 1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 377 f).

BGH, Urteil vom 9. November 2023 – VII ZR 190/22

Eine Vereinbarung, durch die sich ein Architekt verpflichtet, eine von ihm selbst entworfene, der Interessenlage des Bestellers entsprechende Skontoklausel zur Verwendung in den Verträgen mit den bauausführenden Unternehmern zur Verfügung zu stellen, ist wegen eines Verstoßes gegen das in § 3 RDG geregelte gesetzliche Verbot nach § 134 BGB nichtig.

BGH, Urteil vom 26. Oktober 2023 – I ZR 107/22

energycollect.de

Bei der Prüfung einer unberechtigten Namensanmaßung (§ 12 Satz 1 Fall 2 BGB) durch die Aufrechterhaltung einer vor Entstehung des Namensrechts registrierten Internetdomain sind im Rahmen der Interessenabwägung auf Seiten des Domaininhabers nicht nur spezifisch namens- oder kennzeichenrechtliche, sondern sämtliche Interessen an der Aufrechterhaltung der Domainregistrierung zu berücksichtigen, deren Geltendmachung nicht rechtsmissbräuchlich ist. Hierzu zählt auch ein wirtschaftliches Interesse an der Fortführung eines Weiterleitungsgebrauchs, um durch eine Verbesserung der Trefferquote und des Rankings der Zielseite in Suchmaschinen das Besucheraufkommen zu erhöhen (Fortführung von BGH, Urteil vom 24. April 2008 – I ZR 159/05, GRUR 2008, 1099 [juris Rn. 30 bis 34] = WRP 2008, 1520 – afilias.de; Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 6. November 2013 – I ZR 153/12, GRUR 2014, 506 [juris Rn. 30] = WRP 2014, 584 – sr.de).

BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – II ZB 3/23

Auskunftsanspruch eines Gesellschafters hinsichtlich Namen, Anschriften und Beteiligungshöhe der Mitgesellschafter

Ein Auskunftsersuchen des Gesellschafters, das auch dem Ziel dient, die Namen, Anschriften und Beteiligungshöhe der Mitgesellschafter dazu zu verwenden, diese Kaufangebote für ihre Anteile zu unterbreiten, stellt keine unzulässige Rechtsausübung und keinen Missbrauch des Auskunftsrechts dar. Einem solchen Auskunftsbegehren stehen auch nicht die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung entgegen.

BGH, – Dienstgericht des Bundes -, Urteil vom 5. Oktober 2023 – RiZ(R) 1/23

1. Eine Versetzung nach § 31 DRiG kommt grundsätzlich in Betracht, wenn der Richter nicht mehr die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten wird. Das gilt nicht nur für die Berufung in das Richterverhältnis, sondern ist dauernde Voraussetzung für die Ausübung des Richteramts auf der Grundlage des Grundgesetzes.

2. Tatsachen, die eine Versetzung nach § 31 DRiG rechtfertigen, liegen im Falle einer politischen Betätigung des Richters vor, wenn er sich in herausgehobener Stellung bei einer politischen Gruppierung betätigt, die Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaats ablehnt. Weiter rechtfertigen Tatsachen eine Versetzung des Richters, wenn er durch sein Auftreten in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, er werde aus politischen Gründen sein künftiges dienstliches Verhalten an seiner persönlichen Einschätzung und nicht mehr allein an den Gesichtspunkten der Sachrichtigkeit, Rechtstreue, Gerechtigkeit, Objektivität und dem Allgemeinwohl ausrichten.

BGH, Urteil vom 15. September 2023 – V ZR 77/22

Aufklärungspflichten des Immobilienverkäufers bei Einrichtung eines Datenraums

Der Verkäufer eines bebauten Grundstücks, der dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zu der Immobilie gewährt, erfüllt hierdurch seine Aufklärungspflicht, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird.

BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – II ZB 6/23

Für die Bemessung des Geschäftswerts eines Beschlusses über die Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH ist innerhalb der durch § 105 Abs. 1 Satz 2 und § 108 Abs. 5 GNotKG vorgegebenen Grenzen der den Ausgabepreis übersteigende Wert des auszugebenen Geschäftsanteils maßgeblich. Für die Bewertung kann eine mit dem Übernehmer der Geschäftsanteile geschlossene Vereinbarung über eine Zuzahlung in das Eigenkapital gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB berücksichtigt werden.

BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – VI ZR 371/21

Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 2018 – VI ZR 378/17, juris).