Ausgewählte Entscheidungen

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Gesellschaftsrecht

BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – II ZB 6/23

Für die Bemessung des Geschäftswerts eines Beschlusses über die Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH ist innerhalb der durch § 105 Abs. 1 Satz 2 und § 108 Abs. 5 GNotKG vorgegebenen Grenzen der den Ausgabepreis übersteigende Wert des auszugebenen Geschäftsanteils maßgeblich. Für die Bewertung kann eine mit dem Übernehmer der Geschäftsanteile geschlossene Vereinbarung über eine Zuzahlung in das Eigenkapital gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB berücksichtigt werden.

BGH, Beschluss vom 12. September 2023 – VI ZR 371/21

Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 2018 – VI ZR 378/17, juris).

BGH, Urteil vom 8. August 2023 – II ZR 13/22

1. Bei der Beschlussfassung über die Einleitung eines Rechtsstreits gegen eine Drittgesellschaft oder über die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Drittgesellschaft unterliegen diejenigen GmbH-Gesellschafter einem Stimmverbot, die zusammen alle Anteile an der Drittgesellschaft innehaben.

2. Das Gericht darf im Rahmen der positiven Beschlussfeststellungsklage nicht an Stelle der GmbH-Gesellschafter entscheiden und einen Beschluss feststellen, der so nicht zur Abstimmung der Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung stand. Es kann nur das Ergebnis einer tatsächlich erfolgten Willensbildung feststellen.

BGH, Beschluss vom 8. August 2023 – VIII ZR 20/23

Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (Bestätigung von BGH, Urteile vom 9. März 2005 – VIII ZR 266/03, BGHZ 162, 313, 315 f.; vom 29. Juni 2016 – VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015 Rn. 26; Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2016 – VIII ZR 300/15, WuM 2016, 743 Rn. 23).

BGH, Versäumnisurteil vom 11. Juli 2023 – II ZR 116/21

Zwei-Personen-GmbH I Zulässigkeit einer Ausschließungsklage des Gesellschafters gegen den anderen Gesellschafter I Wirksamwerden der Ausschließung bereits mit Rechtskraft des Urteils

1. Der Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH kann unter den Voraussetzungen der actio pro socio die Ausschließungsklage gegen den anderen Gesellschafter erheben.

2. Wird ein Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ohne statutarische Regelung durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen, wird die Ausschließung des betroffenen Gesellschafters bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam und ist nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt (Aufgabe BGH, Urteil vom 01. April 1953 – II ZR 235/52, von BGHZ 9, 157, 174).

BGH, Beschluss vom 1. August 2023 – VI ZR 191/22

Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes in einem Schadensersatzprozess.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Art. 103 Abs. 1 GG dann verletzt ist, wenn der Tatrichter Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift
zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 2015 – VI ZR 490/13, NJW-RR 2015, 1278 Rn. 7 mwN).

BGH, Beschluss vom 27. Juli 2023 – I ZB 74/22 – Schiedsvereinbarung

Schiedsvereinbarung

Als Mindestvoraussetzung für einen zulässigen Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO muss eine konkrete Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien mit einem potenziell daraus erwachsenden Schiedsverfahren vorgetragen werden. Eine nur potenzielle oder zukünftige Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien genügt nicht.

BGH, Urteil vom 10. Juli 2023 – VIa ZR 1119/22

1. Die Sonderpflicht, für ein Kraftfahrzeug eine mit den gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft den Fahrzeughersteller, nicht den Motorhersteller. Der Motorhersteller kann, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, weder Mittäter einer diese Sonderpflicht verletzenden Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein (Anschluss an BGH, Urteil vom 26. Oktober 2004 – XI ZR 279/03, NJW-RR 2005, 556, 557).

2. Voraussetzung einer Haftung des Motorherstellers als Gehilfe des Fahrzeugherstellers nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ist, dass der Motorhersteller mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat. Bedingung einer Beteiligung ist weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht (Anschluss an BGH, Urteil vom 29. Mai 1964 – Ib ZR 4/63, BGHZ 42, 118, 122; Urteil vom 30. Januar 1967 – III ZR 185/64, VersR 1967, 471 und Urteil vom 8. Februar 2018 – IX ZR 103/17, NJW 2018, 2404 Rn. 66, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 217, 300).

3. Anders als im Verhältnis zum Fahrzeughersteller bleibt es im Verhältnis zum vom Fahrzeughersteller verschiedenen Motorhersteller bei dem allgemeinen Grundsatz, dass hinsichtlich der Schuldhaftigkeit des Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als anspruchsbegründender Voraussetzung einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast trifft (Fortführung von BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 59 f., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

BGH, Urteil vom 13. Juli 2023 – I ZR 152/21

a) Zu der mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der
Kommune gehören grundsätzlich auch das Stadtmarketing und die Tourismusförderung.

b) Eine Anzeigenwerbung ist in einer kommunalen Publikation nur als fiskalisch motivierte Randnut-
zung zulässig. Für die Bestimmung einer zulässigen Randnutzung ist auf den Umfang der Anzei-
genschaltung abzustellen. Die Randnutzung muss als Annextätigkeit eine untergeordnete, quanti-
tativ nachgeordnete Tätigkeit in innerem Zusammenhang mit der Hauptnutzung bleiben (Fortfüh-
rung von BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – I ZR 112/17, GRUR 2019, 189 [juris Rn. 41] Crailsheimer Stadtblatt II).

c) Nach allgemeinen Regeln unzulässige geschäftliche Handlungen der öffentlichen Hand sind bei
der Prüfung eines Verstoßes gegen das Gebot der Staatsferne der Presse nicht in die Gesamtwür-
digung einzubeziehen. Wettbewerbsverstöße dieser Art sind nach den allgemeinen lauterkeits-
rechtlichen Regelungen, wie zum Beispiel § 4 Nr. 4, §§ 4a, 5 Abs. 1 oder § 5a Abs. 4 Satz 1 UWG,
zu beurteilen; sie können zudem nur zu einem Verbot des jeweils konkret angegriffenen Beitrags,
nicht aber der kommunalen Publikation in der konkreten Verletzungsform insgesamt führen.

BGH, Versäumnisurteil vom 11. Juli 2023 – II ZR 98/21

1. Beschlüsse einer Aktiengesellschaft, die gegen körperschaftsrechtliche Satzungsbestimmungen verstoßen und bei denen die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften nicht eingehalten werden, sind jedenfalls anfechtbar.

2. Ist die Anfechtungsklage zulässig erhoben, bedarf es im Hinblick auf dasselbe mit Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage verfolgte materielle Ziel, nämlich die richterliche Klärung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses und somit seine Beseitigung mit Wirkung für und gegenüber jedermann, keiner Festlegung, ob der Satzungsverstoß zur Nichtigkeit oder nur zur Anfechtbarkeit führt.