Ausgewählte Entscheidungen

Entscheidungen zum Steuerrecht

BFH, Urteil vom 10. April 2024 – II R 22/21

Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft als Schenkung

1. (Zu LS 1) Für die Einordnung eines Veräußerungsvorgangs als Leistung im Sinne des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG ist die Perspektive der zuwendenden Gesellschafter maßgebend.(Rn.16)

2. Die Anteilsabtretung der Miterben an die Kapitalgesellschaft im Streitfall stellt auch dann eine Leistung im Sinne des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG dar, falls dabei gleichzeitig der Besteuerungstatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG –„verdeckte Einlage“ als der Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile gleichstehende Tatbestandsverwirklichung– erfüllt sein sollte (hier: ob § 17 EStG verwirklicht wurde, konnte insofern offenbleiben(Rn.19) (Rn.31) ).(Rn.20)

3. (Zu LS 1 und LS 2) Die Werterhöhung des (Kapital-)Gesellschaftsanteils muss bei § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG durch die Leistung kausal verursacht sein. Auf eine „Entreicherung“ des Leistenden kommt es nicht an.(Rn.23)

4. Bei einer teilentgeltlichen Übertragung (hier: von GmbH-Gesellschaftsanteilen an die GmbH) bestimmt sich der gemeine Wert (vgl. § 9 Abs. 2 BewG) der bewirkten Leistung nach der Differenz zwischen dem gemeinen Wert des Anteils und dem von der GmbH gezahlten Entgelt.(Rn.24) Sind die Parteien in nachvollziehbarer Weise und unter fremdüblichen Bedingungen übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Leistungen insgesamt ausgeglichen sind, liegt eine Steuerbarkeit nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG grundsätzlich auch dann nicht vor, wenn sich dies anhand später gewonnener besserer Erkenntnis als unzutreffend erweist. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung kein offensichtliches Missverhältnis vorliegt.(Rn.25) (Rn.26)

5. (Zu LS 3) Bei einem Erwerb von eigenen Anteilen (hier: durch eine GmbH; Gesellschafter hatten Anteile teilunentgeltlich veräußert) kann sich eine Werterhöhung der Anteile der verbliebenen Gesellschafter im Sinne des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG –in Höhe des unentgeltlichen Teils– ergeben.(Rn.29) Allerdings kann sich dabei auch der Substanzwert der Gesellschaft über die Minderung des Geldbestands für den Erwerb der Anteile hinaus verringern.(Rn.30) Die Werterhöhung der Anteile muss somit nicht „denklogisch“ mit dem Wert des teilweise unentgeltlich auf die GmbH übertragenen Geschäftsanteils korrespondieren.(Rn.27) (Rn.31)

6. Eine Werterhöhung von (Kapitalgesellschafts-)Anteilen nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG, ist nicht nach den §§ 13a, 13b ErbStG begünstigt.(Rn.33) Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 13b Abs. 1 ErbStG liegen nicht vor.(Rn.35)

7. Parallelentscheidung: BFH-Urteil vom 10.04.2024 II R 23/21

FG Köln, Urteil vom 29. Februar 2024 – 7 K 95/23

Einkommensteuer I Zahlungen für die Ablösung eines Vorbehaltsnießbrauchs an Gesellschaftsanteilen in Form eines Verzichts als nicht steuerbare Einkünfte

1. Beschränkt sich ein Nießbrauch (hier: ein vorbehaltener Nießbrauch an GmbH-Anteilen) auf die Ziehung von Nutzungen aus Gesellschaftsanteilen und gehört hierzu zwar insbesondere der anteilige Bilanzgewinn, die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte aber ausdrücklich nicht, so führt der Nießbrauch beim Nießbraucher nicht zu steuerpflichtigen Einkünften nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG; der Gewinnanteil bleibt ertragsteuerlich dann beim Anteilseigener. Wird ein derartiger Vorbehaltsnießbrauch entgeltlich abgelöst (hier: in Form eines Verzichts), so kommt es infolgedessen auch zu keiner Besteuerung der Ablösungszahlung nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG beim Nießbraucher.

2. Bei einem Nießbrauch an einem Kapitalgesellschaftsanteil, der sich letztlich auf die Auskehrung der Dividendenansprüchen beschränkt, kommt es auch zu keiner Besteuerung der Ablösungszahlung für den Nießbrauch nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 24 Nr. 1 Buchst. b EStG beim Nießbraucher. Als Gewinnbeteiligung gem. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG kommen lediglich gesellschaftsrechtliche Beteiligungen in Betracht.

3. Die Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S. von § 17 EStG unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist als unentgeltliche Vermögensübertragung keine Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 EStG. Wird das Nießbrauchsrecht später abgelöst und erhält der Nießbraucher für seinen Verzicht eine Abstandszahlung, liegt auch dabei keine Anteilsveräußerung vor. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Verzicht auf einer neuen Entwicklung der Verhältnisse beruht (im Streitfall bejaht). Sollte danach –bei einheitlicher Betrachtung des Rechtsgeschäfts– eine Anteilsveräußerung seitens des „bisherigen Nießbrauchers“ vorliegen, würde ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegen, sodass der Gewinn dann im Veranlagungszeitraum für die Übertragung der wesentlichen Beteiligung zu ermitteln und erfassen ist.

4. Die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts in Form des entgeltlichen Verzichts auf ein Nießbrauchrecht führt –mangels Rechtsträgerwechsels– nicht zu steuerbaren Einkünften i.S. von §§ 22 Nr. 2, § 23 EStG als privates Veräußerungsgeschäft (hier: § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

5. Entspricht ein Verzichtsvertrag (hier: bezüglich eines vorbehaltenen Nießbrauchsrechts an einer Kapitalbeteiligung) unter Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände lediglich dem Normalbild einer (entgeltlichen) Vermögensumschichtung durch einen veräußerungsähnlichen Vorgang, so liegt hierin kein steuerbares Nutzungsverhältnis des Nießbrauchers nach § 22 Nr. 3 EStG.

6. Revision eingelegt (Az. des BFH: IX R 14/24).

BFH, Urteil vom 12. Dezember 2023 – VIII R 17/20

Keine Korrektur der von einer Kapital- auf eine Personengesellschaft übergehenden Pensionsrückstellungen durch den Ansatz von Sondervergütungen

Zuführungsbeträge zu Pensionsrückstellungen für die Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft, die im Zuge eines Formwechsels auf eine Mitunternehmerschaft übergehen, sind für die zusageberechtigten Mitunternehmer weder zum steuerlichen Übertragungsstichtag noch danach anteilig in Sondervergütungen umzuqualifizieren.

BVerfG, Beschluss vom 28. November 2023 – 2 BvL 8/13

Ausschluss der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften zum Buchwert (§ 6 Abs 5 S 3 EStG 1997 F: 20.12.2001) mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar – Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer rückwirkenden Neuregelung

1. Zu den Anforderungen des Art 3 Abs 1 GG an die Steuergesetzgebung siehe bereits etwa BVerfG, 28.06.2022, 2 BvL 9/14, BVerfGE 162, 277 (308 Rn 75). Demnach ist der Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit gebunden und muss mithin insb im Einkommensteuerrecht die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausrichten.

2a. Die Vorschrift des § 6 Abs 5 EStG idF vom 20.12.2001 kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass diese Regelung auch die buchwertneutrale Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften ermöglicht. Einer solchen Auslegung stehen Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm entgegen.

2b. Auch eine analoge Anwendung des § 6 Abs 5 S 1 oder S 3 EStG idF vom 20.12.2001 auf die Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen den Gesamthandsvermögen beteiligungsidentischer Schwesterpersonengesellschaften kommt nicht in Betracht (entgegen BFH, 15.04.2010, IV B 105/09, BFHE 229, 199 <202 Rn 18f>). Es fehlt jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke.

2c. Insoweit § 6 Abs 5 S 3 EStG idF vom 20.12.2001 demnach keine Buchwertübertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften zulässt, verstößt dies gegen Art 3 Abs 1 GG. Die hierin liegende Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.

aa. Insb ist sie nicht von der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit bei der Einführung neuer Regelungen gedeckt. Denn der Ausschluss der Buchwertübertragung zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften lässt nicht das für einen zulässigen Systemwechsel erforderliche Mindestmaß an neuer Systemorientierung (vgl BVerfG, 09.12.2008, 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 <242>) erkennen.

bb. Die Benachteiligung von Wirtschaftsguttransfers zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften ist zudem weder im Verhältnis zu Wirtschaftsguttransfers zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen noch im Verhältnis zu den durch § 6 Abs 5 S3 EStG privilegierten Wirtschaftsguttransfers im Kreis der Mitunternehmerschaft gerechtfertigt. Es ist bereits kein sachlich einleuchtender Grund im Sinne des Willkürmaßstabs ersichtlich. Daher kann offenbleiben, ob Gründe vorliegen, die eine über die reine Willkürprüfung hinausgehende strengere Kontrolle erforderten.

BFH, Urteil vom 22. November 2023 -I R 9/20 

Irrtümliche Zuwendung und Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis (vGA)

Fehlt es an jeglichem finalen Zuwendungswillen in Richtung eines Vermögenstransfers zu Lasten der Gesellschaft und zugunsten des Gesellschafters und steht fest, dass die Vorteilsverschiebung nicht aus gesellschaftlichen Gründen erfolgt ist, kann eine vGA wegen fehlender konkreter Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis ausscheiden.

BFH, Urteil vom 26. September 2023 – IX R 19/21

Keine Anwendung des KapErhStG auf Genossenschaftsanteile

1. Die Kündigung des Geschäftsguthabens an einer Genossenschaft nach § 65 GenG ist als Veräußerungstatbestand im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 7 EStG zu werten.

2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus der Kündigung von Genossenschaftsanteilen, die aus eigenen Mitteln der Genossenschaft geschaffen wurden, ist der Anwendungsbereich des § 3 in Verbindung mit § 1 des Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer (KapErhStG) nicht eröffnet.

3. Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG gebietet keine Einbeziehung von Genossenschaften in den Anwendungsbereich von § 3 in Verbindung mit § 1 KapErhStG.

4. Soweit die Gewährung von Vertrauensschutz wegen unechter Rückwirkung im Zusammenhang mit der Einführung von § 17 Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 7 EStG in Betracht kommt, gilt dies jedenfalls nur für bis zum Inkrafttreten dieser Regelung zum 13.12.2006 angefallene Wertsteigerungen.

BFH, Urteil vom 13. September 2023 – II R 49/21

Anwendung des 90 %-Einstiegstests bei Handelsunternehmen

§ 13b Abs. 2 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ist dahingehend auszulegen, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG besteht und nach seinem Hauptzweck einer Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes dient, für den dort verankerten sogenannten 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind.

BFH, Urteil vom 6. September 2023 – I R 16/21 

Sogenannter Blockerwerb kann § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG unterfallen

1. Zur Auslegung des in § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG verwendeten Tatbestandsmerkmals des unterjährigen „Erwerb(s) einer Beteiligung von mindestens 10 %“ ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Erwerb von jeweils unterhalb der genannten Beteiligungsschwelle liegenden Anteilspaketen von mehreren Verkäufern, wenn aber in der Summe der Erwerbe die genannte Beteiligungsschwelle überschritten wird, von der (begünstigenden) Norm erfasst ist.(Rn.16) Diese Auslegungsfrage zur generellen Anwendbarkeit des § 8b Abs. 4 Satz 6 KStG bei mehreren (Teil-)Erwerben konnte der erkennende Senat mit Blick auf die Besonderheiten des Streitfalls offen lassen.

2. Zum Leitsatz: Entscheidend muss sein, dass durch den Erwerb der Beteiligung von mindestens 10 % ein unternehmerischer Einfluss auf die Entscheidungen bei der Kapitalgesellschaft ausgeübt werden kann oder nicht. Das hängt nicht von der Zahl der Veräußerer, sondern allein von der erworbenen Beteiligung ab; dies muss jedenfalls dann ausreichend sein, wenn die maßgebliche Beteiligung von mindestens 10 % aus Erwerbersicht in einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang, damit aufgrund eines einheitlichen Erwerbsentschlusses in kausalem und zeitlichem Zusammenhang, erworben wird.

FG Hamburg, Urteil vom 11.07.2023 – 3 K 188/21

Gesetzeslücke bei der Schenkungsteuer ermöglicht steuerfreie Wertverschiebungen

ErbStG I Disquotale Einlage in eine KGaA durch einen Kommanditaktionär keine freigebige Zuwendung an den nicht am Grundkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschafter

Die disquotale Einlage eines Kommanditaktionärs gilt nicht nach § 7 Abs. 8 ErbStG als Schenkung zu Gunsten des nicht am Grundkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA. Dieser hält keinen Anteil an einer Kapitalgesellschaft im Sinne der Vorschrift, dessen Wert erhöht worden ist.
Erhöht sich der Wert der Beteiligung eines phG einer KGaA, der nicht am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt ist, dadurch, dass ein anderer Gesellschafter Vermögen in die KGaA einbringt, ohne eine dessen Wert entsprechende Gegenleistung zu erhalten, liegt keine freigebige Zuwendung des einbringenden Gesellschafters an den persönlich haftenden Gesellschafter vor. Wegen der rechtlichen Eigenständigkeit des Gesellschaftsvermögens der KGaA fehlt es unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Satzung an der Vermögensverschiebung zwischen den Gesellschaftern.

BFH, Urteil vom 18. Juli 2023 – IX R 21/21

Höhe nachträglicher Anschaffungskosten bei in der Krise stehen gelassener Darlehen nach § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG

1. Ein in der Krise stehen gelassenes Darlehen ist im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2a des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit dem zum Zeitpunkt des Eintritts der Krise bestehenden Teilwert zu bewerten.

2. Der bei § 17 EStG nicht abziehbare Verlust aus dem Ausfall eines stehen gelassenen Gesellschafterdarlehens wird nicht bei § 20 EStG berücksichtigt, wenn der Darlehensverlust vor dem 31.12.2008 eingetreten ist.