Ausgewählte Entscheidungen
Entscheidungen zum Steuerrecht
FG Hamburg, Urteil vom 11.07.2023 – 3 K 188/21
Gesetzeslücke bei der Schenkungsteuer ermöglicht steuerfreie Wertverschiebungen
ErbStG I Disquotale Einlage in eine KGaA durch einen Kommanditaktionär keine freigebige Zuwendung an den nicht am Grundkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschafter
Die disquotale Einlage eines Kommanditaktionärs gilt nicht nach § 7 Abs. 8 ErbStG als Schenkung zu Gunsten des nicht am Grundkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA. Dieser hält keinen Anteil an einer Kapitalgesellschaft im Sinne der Vorschrift, dessen Wert erhöht worden ist.
Erhöht sich der Wert der Beteiligung eines phG einer KGaA, der nicht am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt ist, dadurch, dass ein anderer Gesellschafter Vermögen in die KGaA einbringt, ohne eine dessen Wert entsprechende Gegenleistung zu erhalten, liegt keine freigebige Zuwendung des einbringenden Gesellschafters an den persönlich haftenden Gesellschafter vor. Wegen der rechtlichen Eigenständigkeit des Gesellschaftsvermögens der KGaA fehlt es unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Satzung an der Vermögensverschiebung zwischen den Gesellschaftern.
BFH, Beschluss vom 18. April 2023 – IX B 7/22
Erwerbstreuhand
1. NV: Sowohl der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung als auch die Revisionszulassung zur Fortbildung des Rechts setzen eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage voraus.
2. NV: Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist.
3. NV: Die Revision ist zur Sicherung der Rechtseinheit nur dann zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur wiederhergestellt werden könnte.
4. NV: Für eine einwandfreie Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens darf das Gericht weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden noch seine Überzeugung auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen.
FG Münster, Urteil vom 15. Februar 2023 – 13 K 391/20 K,G
Zur Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung anlässlich des Verzichts eines GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers auf eine Pensionszusage gegen Abfindung
1. Vereinbart ein GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer im Dezember 2012 mit der GmbH durch notariellen Vertrag seinen aufschiebend bedingten Verzicht auf eine Pensionszusage gegen Abfindung in Höhe des Wertes der Pensionsrückstellung durch Auszahlung eines Geldbetrags, so führt dies nicht zu einer verdeckten Gewinnausschüttung im Jahr 2012, wenn es in jenem Jahr noch nicht zu einer Verminderung des in der Steuerbilanz zu erfassenden Betriebsvermögens der GmbH gekommen ist.(Rn.29)
2. Zu einer Verminderung des in der Steuerbilanz zu erfassenden Betriebsvermögens der GmbH im Jahr 2012 ist es nicht gekommen, wenn aufgrund der aufschiebenden Bedingung bei Abschluss des Vertrags noch keine bilanziell zu erfassende Verbindlichkeit der GmbH gegenüber dem Gesellschafter-Geschäftsführer entstanden war, die rechtlichen Wirkungen erst bei Zahlung des Geldbetrags im Jahr 2013 eintraten und dementsprechend im Jahr 2012 die Abfindung weder durch Auszahlung tatsächlich durchgeführt noch in der Handelsbilanz und Steuerbilanz verbucht worden war.
BFH, Urteil vom 1. Februar 2023 – II R 36/20
Geleistete Anzahlungen als Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b ErbStG
Geleistete Anzahlungen sind jedenfalls dann keine „anderen Forderungen“ i.S. von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG a.F., wenn sie nicht für den Erwerb von Verwaltungsvermögen geleistet wurden.
BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. Januar 2023 – 2 BvR 364/13
Nichtannahmebeschluss I Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl der Ausweitung der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen durch § 17 Abs 1 S 1 EStG idF des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 (juris: StSenkG 2001/2002) – Willkürverbot als Grenze des gesetzgeberischen Ermessens – hier: keine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG durch Besteuerung des Wertzuwachses, durch Absenkung der Beteiligungsgrenze von 10% auf 1% sowie durch Differenzierung zwischen Beteiligungen unterhalb und oberhalb der 1%-Grenze
1. Zur Versteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen hat das BVerfG bereits ausgeführt, dass der Gesetzgeber nicht gehindert wäre, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern. Ob und inwieweit er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist eine Frage politischer Gestaltung (BVerfG, 07.07.2010, 2 BvR 748/05, BVerfGE 127, 61 <86> mwN). Das BVerfG hat nicht nachzuprüfen, ob der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat. Das gesetzgeberische Ermessen findet auch hier seine Grenze erst im Willkürverbot (vgl BVerfGE 27, 111 <127f> mwN).
2. Nach diesen Maßstäben ist die verfahrensgegenständliche Norm des § 17 Abs 1 S 1 EStG idF des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 Ausdruck der Steuerwürdigkeitsentscheidung des Gesetzgebers, dass Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Besteuerung unterliegen sollen, sofern die Beteiligung eine gewisse prozentuale Höhe erreicht. Damit hat der Gesetzgeber den Steuergegenstand in verfassungsgemäßer Weise gewählt.
2a. Die erweiterte steuerliche Erfassung gewinnbringender privater Veräußerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ist als solche einschließlich ihrer Zuordnung zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Insb beruht sie nicht auf sachwidrigen, willkürlichen Erwägungen (wird ausgeführt).
2b. Für das Absenken der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % und die damit einhergehende Erweiterung der Besteuerung von Gewinnen aus privaten Veräußerungen von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften besteht ein sachlicher Grund; sie ist nicht willkürlich. Sie steht mit dem zugleich eingeführten Halbeinkünfteverfahren im Zusammenhang und dient dem legitime Ziel der Verhinderung oder zumindest Eindämmung steuerpolitisch unerwünschter Gestaltungsmöglichkeiten (vgl BVerfGE 127, 224 <257>; wird ausgeführt).
2c. Auch die gesetzgeberische Differenzierung zwischen Beteiligungen unterhalb von 1 % und oberhalb dieser Grenze ist mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar.
aa. Insofern ist der Gesetzgeber nur an den Willkürmaßstab gebunden. Es ist keine Prüfung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, wie sie der Beschwerdeführer in Anknüpfung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer (BVerfG, 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136) wegen des Ausmaßes der Ungleichbehandlung für geboten hält.
Die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung führt jedenfalls nicht zu einer strukturellen Ungleichbehandlung, die bei einem erheblichen Ausmaß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangen kann (vgl BVerfGE 138, 136 <185 Rn 131>; BVerfG, 10.04.2018, 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217 <248 Rn 117>). Der Gesetzgeber knüpft die Unterschiede in der Besteuerung nicht an absolute Beträge, sondern an das Gewicht der Beteiligung innerhalb der jeweiligen Kapitalgesellschaft. Dass dadurch in Relation zu dem Wert der jeweils veräußerten Anteile ein strukturell bedeutsamer Teil von Veräußerungsvorgängen von der Steuerpflicht befreit wäre, ist nicht ersichtlich.
bb. Für die Festlegung der Beteiligungsgrenze auf eine Mindestbeteiligung von 1 % bestehen sachliche Gründe.
Die Besteuerung soll nur solche Anteilseigner treffen, die aufgrund ihres Beteiligungsanteils ein gewisses Gewicht innerhalb der Gesellschaftsstruktur besitzen. Danach knüpft der Gesetzgeber weiterhin an eine strukturelle Vergleichbarkeit zwischen Mitunternehmern und Anteilseignern an. Zudem bezweckt die Beteiligungsgrenze, weitere, zum Teil aufwendige Folgen, die sich an das Vorliegen einer „gewerblichen“ Beteiligung knüpfen, etwa bei Auslandssachverhalten und im Umwandlungssteuerrecht, unterhalb einer Bagatellgrenze zu vermeiden.
Darauf, ob dem Gesetzgeber andere Gestaltungsmöglichkeiten, wie etwa eine Differenzierung anhand einer absoluten Beteiligungsgrenze zur Verfügung gestanden hätten, kommt es vor dem Hintergrund seiner Bindung nur an das Willkürverbot nicht an.
BFH, Beschluss vom 15. November 2022 – VII R 23/19
Geschäftsführerhaftung I Überwachungsverschulden I eigenes Unvermögen
Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.
BFH, Urteil vom 15. November 2022 – IX R 4/20
Vermietung und Verpachtung I Zurechnung der Einkünfte I Quotennießbrauch an einem Gesellschaftsanteil
1. Durch die Bestellung des Nießbrauchs an einem Gesellschaftsanteil an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft erzielt der Nießbraucher –anstelle des Gesellschafters– die auf den Anteil entfallenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wenn und soweit er aufgrund der ihm vertraglich zur Ausübung überlassenen Stimm- und Verwaltungsrechte grundsätzlich in der Lage ist, auch an Grundlagengeschäften der Gesellschaft mitzuwirken.
2. Entsprechendes gilt beim Quotennießbrauch an einem Gesellschaftsanteil. Der Quotennießbraucher erzielt nur dann die auf den Anteil entfallenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wenn die vertraglichen Regelungen über die Bestellung des Quotennießbrauchs sicherstellen, dass der Gesellschafter die Entscheidungen –und zwar auch solche, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen– nicht alleine und/oder gegen den Willen des Quotennießbrauchers treffen kann.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8. November 2022 – 8 K 8111/21
Nach § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG erhöhen verdeckte Einlagen grundsätzlich nicht das Einkommen. Eine verdeckte Einlage erhöht ausnahmsweise dann das Einkommen, wenn eine vGA das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG) oder wenn die verdeckte Einlage auf einer verdeckten Gewinnausschüttung einer dem Gesellschafter nahe stehenden Person beruht und bei der Besteuerung nicht berücksichtigt wurde, es sei denn, die vGA hat bei der leistenden Körperschaft das Einkommen nicht gemindert (§ 8 Abs. 3 Satz 5 KStG).
BFH, Urteil vom 28. September 2022 – II R 13/20
Welches Unternehmen „herrschendes Unternehmen“ und welche Gesellschaft „abhängige Gesellschaft“ i.S. des § 6a GrEStG ist, richtet sich nach dem jeweiligen Umwandlungsvorgang, für den die Steuer nach § 6a Satz 1 GrEStG nicht erhoben werden soll. Unerheblich ist, ob bei mehrstufigen Beteiligungen das herrschende Unternehmen selbst von einem oder weiteren Unternehmen abhängig ist.
BFH, Urteil vom 28. September 2022 – VIII R 20/20
Steuerliche Behandlung eines punktuell satzungsdurchbrechenden inkongruenten Vorabgewinnausschüttungsbeschlusses
1. Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen (entgegen BMF-Schreiben vom 17.12.2013, BStBl I 2014, 63).
2. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht.
3. Ob eine inkongruente Vorabgewinnausschüttung nach § 42 AO gestaltungsmissbräuchlich ist, ist bei zivilrechtlich wirksamen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüssen nach denselben Maßstäben zu beurteilen, die für satzungsgemäße inkongruente Ausschüttungen gelten.