Ausgewählte Entscheidungen
Entscheidungen zum Steuerrecht
FG Köln, Urteil vom 29. Februar 2024 – 7 K 95/23
Einkommensteuer I Zahlungen für die Ablösung eines Vorbehaltsnießbrauchs an Gesellschaftsanteilen in Form eines Verzichts als nicht steuerbare Einkünfte
1. Beschränkt sich ein Nießbrauch (hier: ein vorbehaltener Nießbrauch an GmbH-Anteilen) auf die Ziehung von Nutzungen aus Gesellschaftsanteilen und gehört hierzu zwar insbesondere der anteilige Bilanzgewinn, die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte aber ausdrücklich nicht, so führt der Nießbrauch beim Nießbraucher nicht zu steuerpflichtigen Einkünften nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG; der Gewinnanteil bleibt ertragsteuerlich dann beim Anteilseigener. Wird ein derartiger Vorbehaltsnießbrauch entgeltlich abgelöst (hier: in Form eines Verzichts), so kommt es infolgedessen auch zu keiner Besteuerung der Ablösungszahlung nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG beim Nießbraucher.
2. Bei einem Nießbrauch an einem Kapitalgesellschaftsanteil, der sich letztlich auf die Auskehrung der Dividendenansprüchen beschränkt, kommt es auch zu keiner Besteuerung der Ablösungszahlung für den Nießbrauch nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 24 Nr. 1 Buchst. b EStG beim Nießbraucher. Als Gewinnbeteiligung gem. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG kommen lediglich gesellschaftsrechtliche Beteiligungen in Betracht.
3. Die Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S. von § 17 EStG unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist als unentgeltliche Vermögensübertragung keine Veräußerung i.S. von § 17 Abs. 1 EStG. Wird das Nießbrauchsrecht später abgelöst und erhält der Nießbraucher für seinen Verzicht eine Abstandszahlung, liegt auch dabei keine Anteilsveräußerung vor. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Verzicht auf einer neuen Entwicklung der Verhältnisse beruht (im Streitfall bejaht). Sollte danach –bei einheitlicher Betrachtung des Rechtsgeschäfts– eine Anteilsveräußerung seitens des „bisherigen Nießbrauchers“ vorliegen, würde ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegen, sodass der Gewinn dann im Veranlagungszeitraum für die Übertragung der wesentlichen Beteiligung zu ermitteln und erfassen ist.
4. Die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts in Form des entgeltlichen Verzichts auf ein Nießbrauchrecht führt –mangels Rechtsträgerwechsels– nicht zu steuerbaren Einkünften i.S. von §§ 22 Nr. 2, § 23 EStG als privates Veräußerungsgeschäft (hier: § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).
5. Entspricht ein Verzichtsvertrag (hier: bezüglich eines vorbehaltenen Nießbrauchsrechts an einer Kapitalbeteiligung) unter Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände lediglich dem Normalbild einer (entgeltlichen) Vermögensumschichtung durch einen veräußerungsähnlichen Vorgang, so liegt hierin kein steuerbares Nutzungsverhältnis des Nießbrauchers nach § 22 Nr. 3 EStG.
6. Revision eingelegt (Az. des BFH: IX R 14/24).
BVerfG, Beschluss vom 28. November 2023 – 2 BvL 8/13
Ausschluss der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Personengesellschaften zum Buchwert (§ 6 Abs 5 S 3 EStG 1997 F: 20.12.2001) mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar – Verpflichtung des Gesetzgebers zu einer rückwirkenden Neuregelung
1. Zu den Anforderungen des Art 3 Abs 1 GG an die Steuergesetzgebung siehe bereits etwa BVerfG, 28.06.2022, 2 BvL 9/14, BVerfGE 162, 277 (308 Rn 75). Demnach ist der Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit gebunden und muss mithin insb im Einkommensteuerrecht die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausrichten.
2a. Die Vorschrift des § 6 Abs 5 EStG idF vom 20.12.2001 kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass diese Regelung auch die buchwertneutrale Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften ermöglicht. Einer solchen Auslegung stehen Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm entgegen.
2b. Auch eine analoge Anwendung des § 6 Abs 5 S 1 oder S 3 EStG idF vom 20.12.2001 auf die Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen den Gesamthandsvermögen beteiligungsidentischer Schwesterpersonengesellschaften kommt nicht in Betracht (entgegen BFH, 15.04.2010, IV B 105/09, BFHE 229, 199 <202 Rn 18f>). Es fehlt jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke.
2c. Insoweit § 6 Abs 5 S 3 EStG idF vom 20.12.2001 demnach keine Buchwertübertragung von Wirtschaftsgütern zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften zulässt, verstößt dies gegen Art 3 Abs 1 GG. Die hierin liegende Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.
aa. Insb ist sie nicht von der dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsfreiheit bei der Einführung neuer Regelungen gedeckt. Denn der Ausschluss der Buchwertübertragung zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften lässt nicht das für einen zulässigen Systemwechsel erforderliche Mindestmaß an neuer Systemorientierung (vgl BVerfG, 09.12.2008, 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210 <242>) erkennen.
bb. Die Benachteiligung von Wirtschaftsguttransfers zwischen beteiligungsidentischen Schwesterpersonengesellschaften ist zudem weder im Verhältnis zu Wirtschaftsguttransfers zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen noch im Verhältnis zu den durch § 6 Abs 5 S3 EStG privilegierten Wirtschaftsguttransfers im Kreis der Mitunternehmerschaft gerechtfertigt. Es ist bereits kein sachlich einleuchtender Grund im Sinne des Willkürmaßstabs ersichtlich. Daher kann offenbleiben, ob Gründe vorliegen, die eine über die reine Willkürprüfung hinausgehende strengere Kontrolle erforderten.
BFH, Urteil vom 13. September 2023 – II R 49/21
Anwendung des 90 %-Einstiegstests bei Handelsunternehmen
§ 13b Abs. 2 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ist dahingehend auszulegen, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG besteht und nach seinem Hauptzweck einer Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes dient, für den dort verankerten sogenannten 90 %-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln in Abzug zu bringen sind.
FG Hamburg, Urteil vom 11.07.2023 – 3 K 188/21
Gesetzeslücke bei der Schenkungsteuer ermöglicht steuerfreie Wertverschiebungen
ErbStG I Disquotale Einlage in eine KGaA durch einen Kommanditaktionär keine freigebige Zuwendung an den nicht am Grundkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschafter
Die disquotale Einlage eines Kommanditaktionärs gilt nicht nach § 7 Abs. 8 ErbStG als Schenkung zu Gunsten des nicht am Grundkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA. Dieser hält keinen Anteil an einer Kapitalgesellschaft im Sinne der Vorschrift, dessen Wert erhöht worden ist.
Erhöht sich der Wert der Beteiligung eines phG einer KGaA, der nicht am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt ist, dadurch, dass ein anderer Gesellschafter Vermögen in die KGaA einbringt, ohne eine dessen Wert entsprechende Gegenleistung zu erhalten, liegt keine freigebige Zuwendung des einbringenden Gesellschafters an den persönlich haftenden Gesellschafter vor. Wegen der rechtlichen Eigenständigkeit des Gesellschaftsvermögens der KGaA fehlt es unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Satzung an der Vermögensverschiebung zwischen den Gesellschaftern.
BFH, Urteil vom 18. Juli 2023 – IX R 21/21
Höhe nachträglicher Anschaffungskosten bei in der Krise stehen gelassener Darlehen nach § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 EStG
1. Ein in der Krise stehen gelassenes Darlehen ist im Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2a des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit dem zum Zeitpunkt des Eintritts der Krise bestehenden Teilwert zu bewerten.
2. Der bei § 17 EStG nicht abziehbare Verlust aus dem Ausfall eines stehen gelassenen Gesellschafterdarlehens wird nicht bei § 20 EStG berücksichtigt, wenn der Darlehensverlust vor dem 31.12.2008 eingetreten ist.
BFH, Beschluss vom 18. April 2023 – IX B 7/22
Erwerbstreuhand
1. NV: Sowohl der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung als auch die Revisionszulassung zur Fortbildung des Rechts setzen eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage voraus.
2. NV: Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist.
3. NV: Die Revision ist zur Sicherung der Rechtseinheit nur dann zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur wiederhergestellt werden könnte.
4. NV: Für eine einwandfreie Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens darf das Gericht weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden noch seine Überzeugung auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen.
BFH, Urteil vom 23. März 2023 – IV R 2/20
Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten – vollentgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens auf eine gewerbliche Personengesellschaft bei anteiliger Gutschrift des eingebrachten Werts auf dem Kapitalkonto I und dem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto
1. Die Übertragung eines Wirtschaftsguts des Privatvermögens auf eine gewerbliche Personengesellschaft gegen erstmalige Einräumung einer Mitunternehmerstellung ist auch dann ein vollentgeltliches Geschäft (Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten), wenn der Wert des übertragenen Wirtschaftsguts nicht nur dem Kapitalkonto I (Festkapitalkonto), sondern auch einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto gutgeschrieben wird (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Dieser Vorgang ist nicht in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuspalten; § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG ist insgesamt nicht anwendbar (Bestätigung der Rechtsprechung).
BFH, Urteil vom 15. März 2023 – I R 24/20
Verdeckte Einlage durch Zuwendung eines Anspruchs auf bereits aufgelaufene Zinsen an Tochtergesellschaft
Zinsansprüche sind unabhängig von ihrer Fälligkeit zu bilanzieren, soweit sie für einen Zeitraum geschuldet werden, der vor dem Stichtag der Bilanz liegt (Senatsurteile vom 24.05.1984 – I R 166/78, BStBl II 1984, 747; vom 18.12.2002 – I R 11/02, BStBl II 2003, 400). Insoweit kommt es bei der verdeckten Einlage nicht auf den satzungsmäßigen Bilanzstichtag, sondern auf die Bilanzierungsfähigkeit des zugewendeten Vermögensvorteils im Zeitpunkt der Zuwendung an. Liegt zu diesem Zeitpunkt ein kommerzialisierbarer Zinsanspruch vor, ist er als solcher einlagefähig.
FG Münster, Urteil vom 15. Februar 2023 – 13 K 391/20 K,G
Zur Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung anlässlich des Verzichts eines GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers auf eine Pensionszusage gegen Abfindung
1. Vereinbart ein GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer im Dezember 2012 mit der GmbH durch notariellen Vertrag seinen aufschiebend bedingten Verzicht auf eine Pensionszusage gegen Abfindung in Höhe des Wertes der Pensionsrückstellung durch Auszahlung eines Geldbetrags, so führt dies nicht zu einer verdeckten Gewinnausschüttung im Jahr 2012, wenn es in jenem Jahr noch nicht zu einer Verminderung des in der Steuerbilanz zu erfassenden Betriebsvermögens der GmbH gekommen ist.(Rn.29)
2. Zu einer Verminderung des in der Steuerbilanz zu erfassenden Betriebsvermögens der GmbH im Jahr 2012 ist es nicht gekommen, wenn aufgrund der aufschiebenden Bedingung bei Abschluss des Vertrags noch keine bilanziell zu erfassende Verbindlichkeit der GmbH gegenüber dem Gesellschafter-Geschäftsführer entstanden war, die rechtlichen Wirkungen erst bei Zahlung des Geldbetrags im Jahr 2013 eintraten und dementsprechend im Jahr 2012 die Abfindung weder durch Auszahlung tatsächlich durchgeführt noch in der Handelsbilanz und Steuerbilanz verbucht worden war.
BFH, Urteil vom 1. Februar 2023 – II R 36/20
Geleistete Anzahlungen als Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b ErbStG
Geleistete Anzahlungen sind jedenfalls dann keine „anderen Forderungen“ i.S. von § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG a.F., wenn sie nicht für den Erwerb von Verwaltungsvermögen geleistet wurden.