Ausgewählte Entscheidungen

Entscheidungen zum Steuerrecht

BFH, Urteil vom 5. April 2022 – IX R 19/20

Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen des Privatvermögens I Kein Veräußerungsverlust wegen Ansatzes des gemeinen Werts der Anteile bei Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle

1. Eigene Anteile der Kapitalgesellschaft sind bei der Bestimmung der relevanten Beteiligungsquote i.S. des § 17 EStG nicht zu berücksichtigen (Bestätigung von BFH-Urteil vom 25.11.1997 – VIII R 36/96, BFH/NV 1998, 691).

2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist von den tatsächlichen Anschaffungskosten auszugehen; der Ansatz des gemeinen Werts der Beteiligung im Zeitpunkt des Erreichens der Relevanzschwelle kommt nicht in Betracht (vgl. ständige Rechtsprechung).(Rn.17) (Rn.18) Dies gilt auch für § 17 EStG in der seit 1999 geltenden Fassung.

3. Verfassungsrechtlich gebotener Vertrauensschutz nach Maßgabe des BVerfG-Beschlusses vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 (BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86) setzt u.a. voraus, dass die bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen im Falle einer Veräußerung nach dem 31.03.1999 auch im Zeitpunkt der Veräußerung nach der bis zum 31.03.1999 geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.(Rn.27) Ist das nicht der Fall, beruht die rückwirkende Verstrickung der Wertsteigerungen nicht auf der (dem Gesetzgeber zurechenbaren) Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle, sondern –wie hier– auf dem (der Sphäre des Steuerpflichtigen zurechenbaren) Hineinwachsen in die Wesentlichkeit; Vertrauensschutz ist insoweit nicht geboten.

4. Ist verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz geboten, werden die bis zum 31.03.1999 entstandenen Wertsteigerungen vom steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn abgezogen und insoweit von der Besteuerung ausgenommen. Gegebenenfalls wird der Veräußerungsgewinn bis auf Null gemindert.

5. Verluste, die sich ergeben, wenn der gemeine Wert der Anteile am 31.03.1999 dem Veräußerungserlös gegenübergestellt wird, sind nicht steuerbar.

BFH, Urteil vom 8. März 2022 – VI R 19/20

Kein Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 12 Nr. 3 EStG bei der Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers für Lohnsteuer, die auf den eigenen Arbeitslohn entfällt

Aufwendungen eines angestellten Geschäftsführers zur Tilgung von Haftungsschulden sind auch insoweit als Werbungskosten bei dessen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar, als die Haftung auf nicht abgeführter Lohnsteuer beruht, die auf den Arbeitslohn des Geschäftsführers entfällt. Das Abzugsverbot gemäß § 12 Nr. 3 EStG steht dem nicht entgegen.

BSG, Urteil vom 01.02.2022 – B 12 R 20/19 R

Sperrminorität eines Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers bei Einrichtung eines Aufsichtsrats

1. Ein Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist nur dann selbständig tätig, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Er muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist er nicht im eigenen Unternehmen tätig, sondern nach § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt.

2. Eine umfassende Sperrminorität muss sich, um eine abhängige Beschäftigung eines Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH nach § 7 Abs. 1 SGB IV zu verhindern, eine Rechtsmacht begründen, die ihm nicht nur bei allen Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Sperrminorität einräumt, sondern auch die gesamte Unternehmenstätigkeit erfasst. Er muss Gewinnchancen und Unternehmerrisiken mitbestimmen und damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschafts- sowie Personalpolitik.

3. Die Einrichtung eines Aufsichtsrats, der selbst nicht Gesellschafter einer GmbH ist und der die Geschäftsführung überwacht und Geschäftsführer von der gesellschaftsrechtlichen Weisungsgebundenheit befreien kann, führt nicht zu einem Mehr an Rechtsmacht und somit zu einer umfassenden Sperrminorität eines Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers, sondern zu einem Weniger an Rechtsmacht, wenn die Gesellschafterversammlung gleichwohl nicht gehindert ist, ihm nicht genehme Beschlüsse zu fassen.

BSG, Urteil vom 01.02.2022 – B 12 R 19/19 R

Sozialversicherungspflicht eines Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH

1. Ein Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist nur dann selbständig tätig, wenn ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Er muss in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit ist er nicht im eigenen Unternehmen tätig, sondern nach § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig beschäftigt.

2. Eine umfassende Sperrminorität muss sich, um eine abhängige Beschäftigung eines Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH nach § 7 Abs. 1 SGB IV zu verhindern, eine Rechtsmacht begründen, die ihm nicht nur bei allen Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Sperrminorität einräumt, sondern auch die gesamte Unternehmenstätigkeit erfasst. Er muss Gewinnchancen und Unternehmerrisiken mitbestimmen und damit auf die gesamte Unternehmenstätigkeit einwirken können. Dazu gehört insbesondere die dem Unternehmenszweck Rechnung tragende Bilanz-, Finanz-, Wirtschafts- sowie Personalpolitik.

FG Münster, Gerichtsbescheid vom 30. Dezember 2021 – 4 K 1512/15 F

Umwandlungssteuerrecht / Verfahrensrecht – Löst ein unmittelbar nach einem qualifizierten Tausch von GmbH-Anteilen i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 2006 erfolgter Formwechsel der GmbH in eine KG einen Einbringungsgewinn II aus und kommt insoweit ggf. eine abweichende Besteuerung aus Billigkeitsgründen in Betracht?

BFH, Urteil vom 8. Dezember 2021 – I R 47/18 

Offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO bei fehlender Erkennbarkeit des zutreffenden Werts

1. Allein der Umstand, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos nicht die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage ausreicht, sondern auf einer zweiten Stufe noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur tatsächlichen Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich sind, schließt eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO nicht aus.

2. Zumindest in denjenigen Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Werts in der Steuererklärung beruht, ist § 129 Satz 1 AO bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist (Anschluss an das BFH-Urteil vom 22.05.2019 – XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37). Entsprechendes muss gelten, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit 0 € erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist.

BFH, Urteil vom 17. November 2021 – II R 21/20

Schenkungsteuer bei Amortisation von Geschäftsanteilen

§ 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG erfasst die Werterhöhung von Anteilen der verbleibenden Gesellschafter durch jegliche Einziehung von GmbH-Anteilen nach § 34 Abs. 1, 2 GmbHG und ist nicht auf Fälle der Zwangseinziehung von Anteilen beschränkt.

Das in § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG geforderte subjektive Element ist weder Tatbestandsmerkmal in § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG noch beim Erwerbstatbestand des § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG.

BFH, Urteil vom 28. September 2021 – VIII R 25/19

Einkünfte aus Kapitalvermögen und deren Zufluss bei gespaltener Gewinnverwendung

1. Ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen.

2. Eine solche Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch beim beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.

BFH, Urteil vom 11. August 2021 – I R 39/18

§ 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 2006 ist kein eigenständiger, von Satz 4 losgelöster Ausschlussgrund

§ 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 2006 bildet nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 und ist kein eigenständiger Ausschlussgrund für eine Buchwertfortführung; es handelt sich um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4.

1. Dass nach der hier favorisierten Auslegung im Ergebnis „nur spaltungsfähige Körperschaften die Möglichkeit haben, die entsprechenden Vermögensbestandteile steuerfrei an einen Dritten zu veräußern“, ist Folge der gesetzlichen Vorgaben und begründet keinen erkennbaren Gleichheitsverstoß, der zu einer abweichenden verfassungskonformen Auslegung Anlass geben könnte.

2. Auf dieser Grundlage kommt es nicht mehr darauf an, ob die gegenteilige Ansicht zur Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG 2006 zu einem Verstoß gegen die sog. Fusionsrichtlinie (Richtlinie 2005/19/EG des Rates vom 17.02.2005 zur Änderung der Richtlinie 90/434/EWG über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, Amtsblatt der Europäischen Union 2005, Nr. L 58, 19) führen würde.

3. § 42 AO in der bis zum Veranlagungszeitraum 2007 geltenden Fassung (a.F.) bleibt im Streitfall unanwendbar, weil § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG 2006 eine sondergesetzliche Konkretisierung des allgemeinen abgabenrechtlichen Missbrauchstatbestandes in § 42 Abs. 1 Satz 1 AO a.F. beinhalten, deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 10.08.2021 – 1 K 528/20

Nach § 5 Abs. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) kann für einen Gewinn aus einer übernommenen Pensionsverpflichtung eine Rücklage gebildet werden.