Aktienrechtlichen Beschlussmängelklage und Insolvenz, Meldepflichten nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)

Urteil des BGH vom 19.07.2011, Az.: II ZR 246/09

I.

Der BGH hat mit dem Urteil vom 19.07.2011 Folgendes entschieden:

  1. Eine aktienrechtliche Beschlussmängelklage wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Aktiengesellschaft nur dann nach § 240 ZPO unterbrochen, wenn der angefochtene Beschluss zu einer Vergrößerung der Insolvenzmasse führt.
  2. Im Rahmen eines fremdnützigen Verwaltungstreuhandverhältnisses werden dem Treuhänder Stimmrechte eines Dritten, der sein Verhalten mit dem Treugeber abgestimmt hat, nicht nach § 22 Abs. 2 WpHG zugerechnet.

II.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die drei Kläger sind Aktionäre der Beklagten, einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Sie haben Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen verschiedene Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 26.8.2008 erhoben. Der Kläger zu 3) hielt treuhänderisch für L. V. 52.262 von insgesamt 4.130.633 Stückaktien bei einem Grundkapital der Beklagten von ca. 4,1 Mio. Euro. Die Eheleute Dr. T.G. und S.G. (im Folgenden auch „Eheleute G.“) hielten 93.411 (Dr. T.G.) bzw. 93.410 Aktien (S.G.). Sie hatten ihr Stimmverhalten mit L. V. abgestimmt (sog. „acting in concert“).

Der Kläger zu 3) hatte der Beklagten und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mitgeteilt, dass ihm 52.262 Aktien direkt zustünden und weitere 186.830 Aktien gem. § 22 Abs. 2 WpHG zuzurechnen seien. Nachdem L. V. diese Mitteilung gegenüber der Beklagten und der BaFin zurückgenommen hatte, lagen zuletzt noch Meldungen von L. V. und der Eheleute G. vor, wonach u.a. L. V. sämtliche Aktien der Eheleute G. und des Klägers zu 3) wie folgt zuzurechnen seien:

direktzugerechnetdurch wenZurechnungsnorm nach WpHG
Dr. T.     G.93.41193.410S.   G.§ 22 Abs. 2
S.   G.93.41093.411

52.262

Dr. T.   G.

Kläger zu 3)

§ 22 Abs. 2
L.  V.052.262

93.410

(richtig: 93.411)

93.411

(richtig: 93.410)

Kläger zu 3)

Dr. T.   G.S.   G.

§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2

§ 22 Abs. 2

§ 22 Abs. 2

Kläger zu 3)00

Die Beklagte, die mit den Klägern zu 1) und 2) einen Vergleich geschlossen hat, ist der Auffassung, der Kläger zu 3) habe seine Mitteilungspflicht aus § 21 WpHG verletzt und sei daher gem. § 28 S. 1 WpHG nicht klagebefugt.

Das Landgericht München I und das Oberlandesgericht München als Berufungsgericht wiesen die Klage des Klägers zu 3) ab. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Während des Revisionsverfahrens ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet worden.

III.

Das Ergebnis und der Weg des BGH:

1.

Das Revisionsverfahren ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten nicht unterbrochen worden.

Aktienrechtliche Beschlussmängelklagen werden nach § 240 Satz 1 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Aktiengesellschaft unterbrochen, wenn sie die Insolvenzmasse im Sinne des § 35 InsO „betreffen“. Das ist der Fall, wenn durch den angefochtenen Beschluss Ansprüche der Masse begründet werden oder Verbindlichkeiten wegfallen. Denn dann zielt die Beschlussmängelklage darauf ab, die Insolvenzmasse zu verringern. Ein Beschlussmängelverfahren wird nach dem BGH dagegen nicht unterbrochen, wenn die Klage entweder keine Veränderung der Masse bewirken kann oder darauf abzielt, die Insolvenzmasse zu vergrößern. Im dem Fall, dass die Klage darauf abzielt, die Insolvenzmasse zu vergrößern, darf der Insolvenzverwalter nicht gezwungen werden, im Prozess einen für die Masse nachteiligen Beschluss zu verteidigen. Er kann sich stattdessen als Nebenintervenient auf Seiten des Klägers beteiligen.

Im Folgenden hat der BGH festgestellt, dass die angegriffenen Beschlüsse entweder darauf abzielten die Insolvenzmasse zu vegrößern oder masseneutral waren. Jedenfalls lag kein Fall einer Verringerung der Insolvenzmasse vor, der das Revisionsverfahren hätte unterbrechen können.

2.

Der Kläger zu 3) war klagebefugt, da kein Fall des Rechtsverlust nach § 28 WpHG vorlag.

Die insofern einschlägigen Vorschriften lauten auszugsweise wie folgt:

§ 21 Abs. 1 S. 1 WpHG:

(1)    Wer durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise 3 Prozent, 5 Prozent, 10 Prozent, 15 Prozent, 20 Prozent, 25 Prozent, 30 Prozent, 50 Prozent oder 75 Prozent der Stimmrechte an einem Emittenten, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, erreicht, überschreitet oder unterschreitet (Meldepflichtiger), hat dies unverzüglich dem Emittenten und gleichzeitig der Bundesanstalt, spätestens innerhalb von vier Handelstagen unter Beachtung von § 22 Abs. 1 und 2 mitzuteilen. […]

§ 22 WpHG:

(1)    Für die Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. 1 und 1a stehen den Stimmrechten des Meldepflichtigen Stimmrechte aus Aktien des Emittenten, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, gleich,

[…]

2.    die einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Meldepflichtigen gehalten werden,

[…]

(2)  Dem Meldepflichtigen werden auch Stimmrechte eines Dritten aus Aktien des Emittenten, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, in voller Höhe zugerechnet, mit dem der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf diesen Emittenten auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen in Einzelfällen. Ein abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung des Emittenten in sonstiger Weise zusammenwirken. Für die Berechnung des Stimmrechtsanteils des Dritten gilt Absatz 1 entsprechend.“

§ 28 S. 1 WpHG:

„Rechte aus Aktien, die einem Meldepflichtigen gehören oder aus denen ihm Stimmrechte gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 zugerechnet werden, bestehen nicht für die Zeit, für welche die Mitteilungspflichten nach § 21 Abs. 1 oder 1a nicht erfüllt werden. […]

2.1

Das Berufungsgericht nahm – aus Sicht des BGH zu Unrecht – an, dass der Kläger zu 3) als Treuhänder wegen einer „doppelten Zurechnung“ gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG ebenso wie L. V. als Treugeber an das „acting in concert“ mit den Eheleuten G. gebunden war und ihn deshalb eine Meldepflicht traf, die er nicht erfüllt hat. Daraus ergab sich wegen § 28 WpHG die fehlende Klagebefugnis des Klägers zu 3).

2.2

Dem hat der BGH widersprochen. Bereits der vom Berufungsgericht gewählte Begriff der „doppelten Zurechnung“ sei jedenfalls missverständlich. Der BGH führt wie folgt aus:

Bei der sogenannten (fremdnützigen) Verwaltungstreuhand würden allein die Stimmrechte des Treuhänders dem Treugeber nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG zugerechnet. In der umgekehrten Richtung bedürfe es keiner Zurechnung, weil der Treuhänder bei Überschreitung der Schwellen schon aufgrund seines Eigentums an den Aktien und seiner daraus folgenden Stimmrechte mitteilungspflichtig sei. Dies habe zur Folge, dass sowohl der Treuhänder – wegen der ihm gehörenden Aktien und der daraus folgenden Stimmrechte – als auch der Treugeber – wegen der ihm zuzurechnenden Stimmrechte – mitteilungspflichtig sein könnten.

Da der Aktienbesitz des Klägers zu 3) sich auf lediglich 52.262 Stück oder 1,27 % des Grundkapitals der Beklagten beliefe, komme eine Meldepflicht nur dann in Betracht, wenn dem Kläger zu 3) die Stimmrechte der Eheleute G. zuzurechnen gewesen wären. Dann wären bei ihm insgesamt 239.083 Aktien und Stimmrechte, also 5,79 % der gesamten Stimmrechte, zu berücksichtigen gewesen.

Eine „Weiterreichung“ der den Treugeber aufgrund seines „acting in concert“ treffenden Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 WpHG an den daran nicht beteiligten Treuhänder widerspreche aber – so der BGH – bereits dem Wortlaut des § 22 Abs. 2 Satz 1 WpHG. Für eine derartige Auslegung ergäben sich Anhaltspunkte weder aus der Begründung zum Regierungsentwurf des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3822), auf den die Zurechnung beim „acting in concert“ in § 22 Abs. 2 WpHG zurückgeht, noch aus dem Sinn und Zweck dieses Gesetzes. Mit den Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG solle die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzmarkts gestärkt werden. Dazu solle für die Anleger Transparenz über die wesentliche Eigentümerstruktur der börsennotierten Gesellschaft und die sonstigen Einwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, bedürfe es keiner Zurechnung von mit dem Treugeber verbundenen Stimmrechten zu dem Treuhänder. Maßgeblich für die Zurechnung nach § 22 Abs. 2 WpHG müsse wie bei § 22 Abs. 1 WpHG die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Stimmrechtsausübung sein. Der Treuhänder habe keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die übrigen Stimmrechte, wenn lediglich der Treugeber an dem „acting in concert“ beteiligt sei. Mit der Zurechnung bei dem Treugeber und dessen Mitteilung nach § 21 Abs. 1 WpHG seien die übrigen Aktionäre in diesem Fall ausreichend informiert.

Gegen die vom Berufungsgericht vertretene dem Wortlaut widersprechende Auslegung des § 22 Abs. 2 WpHG sowie gegen eine analoge Anwendung dieser Norm spreche, so der BGH, auch das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Bestimmtheitserfordernis, das gemäß § 3 OWiG auch für Ordnungswidrigkeiten gelte. Die Verletzung von Mitteilungspflichten aus § 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 WpHG sei nach § 39 Abs. 2 Nr. 2e WpHG eine Ordnungswidrigkeit. Wenn aber nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG insoweit eine über den Wortlaut hinausgehende Anwendung der §§ 21, 22 WpHG nicht zulässig sei, komme eine andersartige („gespaltene“) Auslegung oder analoge Anwendung auch für den Bereich des Zivilrechts grundsätzlich nicht in Betracht.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Erfurt/Thüringen Oktober 2011