Keine Erweiterung des mitbestimmten Aufsichtsrats einer GmbH über die gesetzlichliche Höchstzahl von 20 Aufsichtsratsmitgliedern hinaus
Beschluss des BGH vom 30.01.2012, II ZB 20/11
I.
Der BGH hat mit Beschluss vom 30.01.2012 entschieden:
Die Satzung einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
, bei der ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zu bilden ist, kann nicht bestimmen, dass der Aufsichtsrat neben zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern aus weiteren Mitgliedern mit beratender Funktion besteht.
II.
Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Beteiligte ist eine Konzernobergesellschaft in Form einer GmbH (im Folgenden „GmbH“), deren alleinige Gesellschafterin die Stadt Essen ist. Sie beherrscht eine Vielzahl von Tochtergesellschaften, die insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Gemäß §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) ist bei der GmbH ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des MitbestG gebildet. § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages der GmbH in seiner bisher geltenden Fassung trifft dazu folgende Regelung:
„Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig Mitgliedern. Davon werden zehn Mitglieder von den Arbeitnehmern nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 gewählt. Die weiteren Mitglieder werden vom Rat der Stadt Essen entsandt, wovon eines der Oberbürgermeister oder ein von ihm vorgeschlagener Beamter oder Angestellter der Stadt Essen ist.“
Die Gesellschafterversammlung der GmbH beschloss, § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages wie folgt zu ändern [inhaltliche Änderungen vom Verfasser hervorgehoben]:
„Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern sowie aus bis zu vier Mitgliedern mit beratender Funktion. Von den zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern werden zehn stimmberechtigte Mitglieder von den Arbeitnehmern nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 gewählt. Die übrigen zehn stimmberechtigten Mitglieder werden vom Rat der Stadt Essen entsandt, wovon eines der Oberbürgermeister oder ein von ihm vorgeschlagener Beamter oder Angestellter der Stadt Essen ist. Ratsfraktionen, welche dem Aufsichtsrat nicht bereits nach Satz 3 angehören, benennen jeweils ein beratendes Mitglied, das vom Rat der Stadt Essen entsandt wird.“
Die Geschäftsführer der GmbH meldeten die Änderungen des Gesellschaftsvertrages zur Eintragung in das HandelsregisterBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Eintragung
Eintragung in das Handelsregister
Handelsregister
an. Das Registergericht hat die beschlossenen Erweiterungen in § 8 des Gesellschaftsvertrages als unzulässig beanstandet, weil die ständige Teilnahme von beratenden Mitgliedern an Sitzungen des Aufsichtsrats gegen § 109 AktG verstoße. Das Oberlandesgericht Hamm hat die Beschwerde der GmbH zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde beim BGH hatte keinen Erfolg.
III.
Der BGH gelangt zu seinem Ergebnis auf folgendem Weg:
1.
Die einschlägigen Vorschriften
§ 7 Abs. 1 MitbestG lautet wie folgt:
„(1) Der Aufsichtsrat eines Unternehmens
- mit in der Regel nicht mehr als 10.000 Arbeitnehmern setzt sich zusammen aus je sechs Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer;
- mit in der Regel mehr als 10.000, jedoch nicht mehr als 20.000 Arbeitnehmern setzt sich zusammen aus je acht Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer;
- mit in der Regel mehr als 20.000 Arbeitnehmern setzt sich zusammen aus je zehn Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer.
Bei den in Satz 1 Nr. 1 bezeichneten Unternehmen kann die Satzung (der Gesellschaftsvertrag) bestimmen, daß Satz 1 Nr. 2 oder 3 anzuwenden ist. Bei den in Satz 1 Nr. 2 bezeichneten Unternehmen kann die Satzung (der Gesellschaftsvertrag) bestimmen, daß Satz 1 Nr. 3 anzuwenden ist.“
§ 25 Abs. 1 MitbestG lautet wie folgt:
„(1) Die innere Ordnung, die Beschlußfassung sowie die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats bestimmen sich nach den §§ 27 bis 29, den §§ 31 und 32 und, soweit diese Vorschriften dem nicht entgegenstehen,
- für Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien nach dem Aktiengesetz.
[…]“
§ 109 AktG lautet wie folgt:
„(1) An den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sollen Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören, nicht teilnehmen. Sachverständige und Auskunftspersonen können zur Beratung über einzelne Gegenstände zugezogen werden.
(2) Aufsichtsratsmitglieder, die dem Ausschuß nicht angehören, können an den Ausschußsitzungen teilnehmen, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrats nichts anderes bestimmt.
(3) Die Satzung kann zulassen, daß an den Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse Personen, die dem Aufsichtsrat nicht angehören, an Stelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern teilnehmen können, wenn diese sie hierzu in Textform ermächtigt haben.
(4) Abweichende gesetzliche Vorschriften bleiben unberührt.“
2.
Verstoß gegen die Höchstgrenze von 20 Aufsichtsratsmitgliedern nach § 7 Abs. 1 MitbestG
2.1
Bei der GmbH, die gemäß §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 MitbestG dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt, ist gemäß § 6 Abs. 1 MitbestG zwingend ein Aufsichtsrat zu bilden. Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder kann die Satzung auf höchstens zwanzig Aufsichtsratsmitglieder festlegen, je zehn der Anteilseigner und der Arbeitnehmer (§ 7 Abs. 1 Satz 1 bis 3 MitbestG). Abweichungen von dieser abschließenden Regelung sind nach allgemeiner Meinung nicht zulässig. Da § 7 Abs. 1 MitbestG lex specialis zu §§ 95, 96 AktG, dort insbesondere § 95 Satz 5 AktG, ist, kann aus der in § 95 Satz AktG festgelegten Höchstzahl von einundzwanzig Aufsichtsratsmitgliedern nicht hergeleitet werden, dass die Höchstgrenze von zwanzig Aufsichtsratsmitgliedern nach § 7 Abs. 1 MitbestG überschritten werden dürfe.
Nach der beschlossenen Satzungsänderung soll der Aufsichtsrat der GmbH aber aus zwanzig stimmberechtigten sowie aus bis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern mit beratender Funktion bestehen. Da auch die nicht stimmberechtigten weiteren Aufsichtsratsmitglieder Aufsichtsratsmitglieder im Sinne von § 7 Abs. 1 MitbestG sind, wird die zulässige Höchstzahl überschritten.
2.2
Die Möglichkeit, neben zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern weitere Aufsichtsratsmitglieder mit nur beratender Funktion vorzusehen, ergibt sich auch nicht aus § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG. Nach dieser Vorschrift dürfen Dritte zwar zu den Sitzungen des Aufsichtsrats hinzugezogen werden. Danach ist aber nur die Zuziehung von Sachverständigen und Auskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegenstände zulässig. Die geänderte Regelung in § 8 des Gesellschaftsvertrages der GmbH sieht dagegen die ständige Teilnahme von bis zu vier beratenden, nicht stimmberechtigten Mitgliedern an den Sitzungen des Aufsichtsrats vor. Die ständige Teilnahme einer die Höchstzahl von zwanzig Aufsichtsratsmitgliedern übersteigenden Anzahl von Mitgliedern mit beratender Funktion an den Sitzungen des Aufsichtsrats ist nach Ansicht des BGH mit § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 109 Abs. 1 AktG nicht vereinbar.
Die Regelung der inneren Ordnung des Aufsichtsrats der GmbH bestimmt sich, da §§ 27 bis 29, §§ 31 und 32 MitbestG nichts anderes vorsehen, unter anderem nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG in Verbindung mit § 109 Abs. 1 AktG. Die sich aus der Verweisung in § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG ergebenden Regelungen sind nach allgemeiner Meinung zwingend. Deshalb sind andere Regelungen in der Satzung der GmbH nur zulässig, soweit sie weder den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes noch den in § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG genannten gesellschaftsrechtlichen Vorschriften widersprechen (§ 25 Abs. 2 MitbestG).
Aus § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 109 Abs. 1 Satz 1 AktG folgt aber gerade, dass an den Sitzungen des Aufsichtsrates der GmbH keine Personen teilnehmen sollen, die nicht Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstandes sind. Aufgrund des zwingenden Charakters des § 109 Abs. 1 Satz 1 AktG kann die Satzung daher über die in § 109 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 AktG genannten Fälle hinaus den Kreis der zu den Sitzungen des Aufsichtsrats zugelassenen Personen nicht erweitern. Dahinter steht nach Ansicht des BGH der Zweck des § 109 Abs. 1 AktG, dass der Aufsichtsrat klar von gesetzlich nicht vorgesehenen Organen sowie anderen Personen abgegrenzt soll und somit dessen Arbeitsfähigkeit sowie die Vertraulichkeit der Sitzungen des Aufsichtsrats gesichert werden sollen. Die Vorschrift soll verhindern, dass nicht dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand angehörende Personen ständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen und so vergleichbare Einflussmöglichkeiten erlangen, ohne hierfür die entsprechende Verantwortung zu tragen.
Die regelmäßige Teilnahme von ständigen Beratern und Auskunftspersonen an den Sitzungen des Aufsichtsrats ist deshalb unzulässig, da diese Personen nach der gesetzlichen Regelung – die Aufsichtsratsmitglieder ohne Stimmrecht nicht kennt – nur von Fall zu Fall zu einzelnen Gegenständen hinzugezogen werden dürfen.
3.
Verstoß gegen den Grundsatz der paritätischen Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch Mitglieder der Anteilseigner und Arbeitnehmer
Nach der beschlossenen Änderung in § 8 Abs. 1 Satz 4 des Gesellschaftsvertrages soll nur der Alleingesellschafterin das Recht zustehen, neben den zehn stimmberechtigten bis zu vier beratende Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Dies verstößt nach Ansicht des BGH gegen den Grundsatz der paritätischen Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch Mitglieder der Anteilseigner und Arbeitnehmer, den § 7 Abs. 1 MitbestG sicherstellen soll. In den vom Mitbestimmungsgesetz erfassten Unternehmen sollen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat an den dort zu treffenden unternehmerischen Planungen und Entscheidungen grundsätzlich gleichberechtigt und gleichgewichtig teilhaben: Deshalb ist der Aufsichtsrat mit der gleichen Zahl der Anteilseigner und Arbeitnehmer zu besetzen. Demgegenüber muss die gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit durch Satzung zurücktreten, soweit durch sie der Paritätsgedanke sowie das im Mitbestimmungsgesetz geregelte Zusammenspiel der beiden Mitgliedergruppen im Aufsichtsrat verändert wird. Auch wenn diese von der Alleingesellschafterin entsandten Mitglieder nur eine beratende Funktion ausüben, so führt nach dem BGH dennoch die Entsendung von bis zu vier zusätzlichen Mitgliedern zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten Übergewicht der Arbeitgeberseite.
4.
Verstoß gegen den Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrates die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen.
Die in § 8 des Gesellschaftsvertrages vorgesehene Einführung von bis zu vier nur beratenden Aufsichtsratsmitgliedern neben den zwanzig stimmberechtigten Mitgliedern des Aufsichtsrates verstößt nach Meinung des BGH ferner gegen den Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrates die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen. Dieser in der mitbestimmungsfreien Aktiengesellschaft allgemein anerkannte Grundsatz ist auch in das Mitbestimmungsgesetz eingegangen.
5.
Gelten die vom BGH aufgestellten Grundsätze auch bei einem nicht mitbestimmten, fakultativen Aufsichtsrat?
Ob die oben genannten Grundsätze auch bei einem nicht mitbestimmten, fakultativen Aufsichtsrat der GmbH gilt, hat der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich offen gelassen. Er hat jedoch die von dem Rechtsbeschwerdeführer zum fakultativen Aufsichtsrat angeführten Gesichtspunkte insbesondere wegen der zwingenden Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes auf den bei der GmbH nach den §§ 6 ff. MitbestG zu bildenden Aufsichtsrat nicht durchgreifen lassen.
IV.
Praxishinweis
Die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages einer kommunlaen GmbH war auch Gegenstand des Urteils des OVG Bautzen vom 08.02.2011, 4 A 637/10. Dort hatte das OVG Bautzen zum einen entschieden, dass vor dem Hintergrund der Sächsischen Gemeindeordnung bei einer kommunalen Beteiligung an einem Unternehmen in einer Rechtsform des privaten Rechts durch die Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages die Bestellung der für die Gemeinde tätigen Aufsichtsratsmitglieder auf der Grundlage eines Stadtratsbeschlusses sicher gestellt werden muss. In dem hier vom BGH zu entscheidenden Fall war eine solche Entsendung durch den Rat der Stadt Essen vorgesehen, jedoch mit der Besonderheit, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats vom Oberbürgermeister der Stadt Essen vorgeschlagen werden durfte. Zum anderen hat das OVG Bautzen auch klargestellt, das die Festlegung „geborener Mitglieder“ eines Aufsichtsrats in dem Gesellschaftsvertrag unzulässig ist. Der im vorliegenden Fall gegenständliche Gesellschaftsvertrag sieht aber gerade den Oberbürgermeister der Stadt Essen oder einen von ihm vorgeschlagenen Beamten oder Angestellten der Stadt Essen als geborenes Mitglied vor. Es bedürfte sicherlich einer eingehenden rechtlichen Prüfung, ob der hier vom BGH unter Mitbestimmungsgesichtspunkten beanstandete Gesellschaftvertrag den Anforderungen der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen genügt.
Wir haben das Urteil des OVG Bautzen und seine Auswirkungen für Thüringen in unseren „Kommentierten Entscheidungen“ ausführlich dargestellt.
Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Erfurt/ Thüringen März 2012