Pflichtprüfung auch der durch Insolvenz aufgelösten Genossenschaft?

Beschluss des BGH vom 21.06.2011, Az.: II ZB 12/10

Der BGH hat mit dem Beschluss vom 21.06.2011 Folgendes entschieden:

a) Das Recht und die Pflicht des genossenschaftlichen Prüfverbandes, nach §§ 53, 54 GenG die gesetzlichen Pflichtprüfungen durchzuführen, besteht nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Genossenschaft jedenfalls dann nicht mehr, wenn der Geschäftsbetrieb der Genossenschaft eingestellt worden ist.

b) Sind in diesem Fall die Voraussetzungen für die Prüfung des Jahresabschlusses nach § 53 Abs. 2 GenG erfüllt, ist gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO auf Antrag des Insolvenzverwalters ein Abschlussprüfer durch das Registergericht zu bestellen. Der Insolvenzverwalter kann dem Registergericht den Prüfverband als Abschlussprüfer vorschlagen. Er kann aber auch eine andere Person vorschlagen.

Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beteiligten stritten darüber, ob im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen einer Genossenschaft eine Befreiung von den gesetzlichen Prüfungen des Prüfverbandes möglich ist.

Der Antragsteller war Verwalter in dem am 01.04.1997 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Konsumgenossenschaft Be. e.G. (im Folgenden: Schuldnerin), die ihren Geschäftsbetrieb 1997 eingestellt hat. Die Schuldnerin war seit 1991 Mitglied des K.-Prüfverbandes e.V., B., jetzt Prüfungsverband K. e.V., Berlin, dem Beschwerdegegner. Die letzte Prüfung des Prüfungsverbandes fand 2004 statt und bezog sich auf die Jahresabschlüsse 2002 und 2003.

Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 06.09.2007 beantragt, die Schuldnerin analog § 270 Abs. 3 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG von der gesetzlichen Prüfungspflicht für die Wirtschaftsjahre ab 2004 zu befreien. Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben, das Beschwerdegericht hat ihn auf die Beschwerde des Prüfungsverbandes zurückgewiesen. Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (ZIP 2010, 1459) wollte die weitere Beschwerde als unbegründet zurückweisen, sah sich aber daran durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Jena vom 16.03.2009 (ZIP 2009, 2105) gehindert und hat die Sache deshalb dem BGH vorgelegt.

Einschlägige Vorschriften und Einführung in die Problematik:

Die genossenschaftliche Prüfung ist in §§ 53 ff. GenG geregelt. Danach  reicht der Umfang der Pflichtprüfung weiter als die Abschlussprüfung von mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften gemäß § 316 ff. HGB, indem neben dem Jahresabschluss (§ 53 Absatz 2) auch die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung (§ 53 Absatz 1) erfasst wird. Die Genossenschaft muss einem Prüfungsverband angehören (§ 54 GenG), der die Prüfung durchführt (§ 55 Absatz 1 Satz 1 GenG). Die Prüfungspflicht entfällt nicht bei aufgelösten Genossenschaften (§ 64 c GenG). Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Genossenschaft aufgelöst (§ 101 GenG).

Dem steht § 155 InsO gegenüber. Danach hat der Insolvenzverwalter die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und Rechnungslegung in Bezug auf die Insolvenzmasse zu erfüllen (Absatz 1 Satz 2). Für die Bestellung des Abschlussprüfers im Insolvenzverfahren gilt § 318 HGB mit der Maßgabe, dass die Bestellung ausschließlich durch das Registergericht auf Antrag des Verwalters erfolgt (Absatz 3).

Es stellt sich die deshalb Frage, welche Auswirkungen die Insolvenzeröffnung auf die genossenschaftliche Pflichtprüfung hat. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten:

Teilweise wird aus § 64 c GenG i.V.m. §§ 53 ff. GenG gefolgert, dass auch die durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöste Genossenschaft verpflichtet ist, sich von dem Prüfverband, dem sie angehört, prüfen zu lassen (u.a. OVG Berlin, ZIP 1982, 1338 ff. mit zustimmender Besprechung Riebandt-Korfmacher, GWW 1983, 155 f.; LG Kassel, DZWIR 2002, 520; Korte in Lang/Weidmüller, GenG, 36. Aufl., § 64c Rn. 2; Cario in Lang/Weidmüller, GenG, 36. Aufl., § 101 Rn. 2; Eckhardt in MünchenerAnwaltsHandbuch, Sanierung und Insolvenz, 2006, § 24 Rn. 247). Nach der Gegenansicht unterliegen der Prüfungspflicht nur noch genossenschaftsinterne Organpflichten und freigegebene Massegegenstände  (OLG Jena, ZIP 2009, 2105, 2106 f.; Beuthien, ZIP 2011, 497 ff.; ders., GenG, 15. Aufl., § 64c Rn. 2, § 101 Rn. 4; Klotz, DZWIR 2000, 273, 277 f.; Gottwald-Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl., § 93 InsO Rn. 64, 66; Bauer, Genossenschafts-Handbuch, Stand März 2008, § 64c Rn. 8, Stand Januar 2010, § 101 Rn. 41). Weiter wird angenommen, dass eine Prüfungspflicht durch den Prüfungsverband (nur) bei einer Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 1 InsO bestehe (Beuthien/Titze, ZIP 2002, 1116, 1121 f.; Kreuznacht/Voß/Drille, ZInsO 2009, 2135, 2141 f.). Schließlich wird vertreten, dass eine Prüfungspflicht nur dann ausscheide, wenn die Genossenschaft endgültig abgewickelt werde (Bloehs in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG, 3. Aufl., § 64c Rn. 1).

Das Ergebnis und der Weg des BGH:

Der BGH änderte auf die weitere Beschwerde des Antragstellers den Beschluss des Landgerichts ab. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts wurde zurückgewiesen.

1. Ausschluss der Pflichtprüfung aufgrund des Zwecks der Pflichtprüfung und des Insolvenzverfahrens

Der BGH musste zu der obigen Streitfrage vorliegend nicht grundsätzlich Stellung nehmen. Die Schuldnerin hat bereits seit 1997 ihre Geschäftstätigkeit eingestellt. In einem solchen Fall ergibt sich durch eine am Sinn und Zweck  der einschlägigen Vorschriften orientierten Auslegung, dass eine Pflichtprüfung des zuständigen Prüfverbandes im Umfang des § 53 GenG ausscheidet.

Prüfungsgegenstände sind nach § 53 Abs. 1 GenG die Einrichtungen, die Vermögenslage und die Geschäftsführung der Genossenschaft. Hinzu kommt unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 2 GenG der Jahresabschluss. Damit geht die Prüfung einer Genossenschaft weit über die Abschlussprüfung nach §§ 316, 317, 336 ff. HGB hinaus. Der BGH hebt den Zweck der auch als Betreuungsprüfung bezeichneten Pflichtprüfung hervor, u.a. die Einhaltung des genossenschaftlichen Förderzwecks im Sinne des § 1 Absatz 1 GenG zu gewährleisten (BverfG, NJW 2001, 2617 f.). Der Prüfungsverband hat deshalb eine zukunftsbezogene Beratungsfunktion in bezug auf die gesamte Unternehmensorganisation einschließlich der Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung des Genossenschaftsvorstandes.

Dieser Zweck kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Einstellung des Geschäftsbetriebs nicht mehr erreicht werden, weil der Insolvenzverwalter gemäß § 80 Absatz 1 InsO – ebenso wie der Verwalter im Gesamtsvollstreckungsverfahren nach § 8 Absatz 2 GesO – die Aufgaben des Vorstands übernimmt. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist auf den Zweck des Insolvenzverfahrens ausgerichtet, die Gläubiger gemeinschaftlich zu befriedigen (§ 1 InsO, § 17 GesO). Dabei unterliegt der Verwalter der Aufsicht des Insolvenzgerichts (§ 58 InsO, § 8 Absatz 3 GesO) sowie ggf. des Gläubigerausschusses (§§ 69, 79 InsO). Dagegen hat er nicht den genossenschaftlichen Förderzweck nach § 1 Absatz 1 GenG zu verfolgen und wird nicht vom Prüfungsverband beaufsichtigt.

Deshalb kann hier eine Pflichtprüfung ihr Ziel, den Vorstand der Genossenschaft zu einer sowohl die Vermögensinteressen der Gläubiger und Genossen als auch den gesetzlichen Förderzweck angemessen verwirklichenden Geschäftsführung anzuhalten, nicht mehr erreichen. Zudem läuft es dem Zweck des Insolvenzverfahrens, die Gläubiger zu befriedigen, zuwider, für eine Pflichtprüfung zu Lasten der Masse eine Vergütungspflicht zu begründen. Ob die Prüfungskosten eine Masseverbindlichkeit oder eine Insolvenzforderung darstellen, lässt der BGH offen und verweist zum Meinungsstand auf Klotz, DZWIR 2000, 273 f.

2. Ausschluss der Pflichtprüfung nach § 155 InsO

Auch auf der Grundlage des § 155 InsO ist die Pflichtprüfung dem Einflussbereich des Prüfverbandes entzogen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Pflicht zur Buchführung und Rechnungslegung nicht mehr durch die Organe der Genossenschaft erfüllt, sondern durch den Insolvenzverwalter (Absatz 1 Satz 2). Dementsprechend regelt § 155 Absatz 3 Satz 1 InsO hinsichtlich der Prüfung des Jahresabschlusses, dass der Abschlussprüfer ausschließlich durch das Registergericht auf Antrag des Verwalters zu bestellen ist. Dabei steht es ihm frei, den Prüfverband als Abschlussprüfer vorzuschlagen oder nicht.

Dies hat zur Folge, dass der beschwerdeführende Prüfverband, soweit es um die Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses geht, durch die Entscheidung des Registergerichts bereits nicht beschwert ist. Aus dem Vorschlagsrecht des Insolvenzverwalters lässt sich kein Beschwerderecht ableiten.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

Erfurt/Thüringen September 2011