„Sanieren oder Ausscheiden“ – Grenzen der gesellschafterlichen Treuepflicht

Urteil des BGH vom 25.01.2011, II ZR 122/09

Der BGH hat mit Urteil vom 25.01.2011 Folgendes entschieden:

Regelt der Gesellschaftsvertrag einer Publikumspersonengesellschaft, dass eine Kapitalerhöhung auch im Krisenfall nur einstimmig beschlossen werden kann und das Nichterreichen der Einstimmigkeit zur Folge hat, dass die zustimmenden Gesellschafter berechtigt sind, ihre Einlagen zu erhöhen, während die nicht zustimmenden Gesellschafter eine Verringerung ihres Beteiligungsverhältnisses hinzunehmen haben, so sind die zahlungsunwilligen Gesellschafter nicht aus gesellschaftlicher Treuepflicht verpflichtet, einem Beschluss zuzustimmen, dass ein nicht sanierungswilliger Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

1.

Die Beklagte war ein geschlossener ImmobilienfondsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
geschlossener Immobilienfonds
Immobilienfonds
in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen RechtsBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft bürgerlichen Rechts
(im Folgenden auch „Gesellschaft“). Gesellschaftszweck war die Errichtung und Vermietung eines Wohn- und Geschäftshauses sowie zweier weiterer Wohnhäuser auf gesellschaftseigenem Grundstück.

2.

Der Kläger und seine Ehefrau waren an der Gesellschaft mit einer gemeinsamen Einlage beteiligt. Die Beklagte geriet in eine finanzielle Schieflage und beauftragte die Erarbeitung eines Sanierungskonzepts. Das Sanierungskonzept stellte die Sanierungsbedürftigkeit der Beklagten fest, weil sie eine wachsende strukturelle Unterdeckung erwirtschaftete. Ohne Umsetzung geeigneter Sanierungsmaßnahmen drohte der Gesellschaft spätestens 2009 die Zahlungsunfähigkeit. Als Sanierungsmaßnahme wurde vorgeschlagen, das Fremdkapital auf einen geringeren, leichter bedienbaren Valutenstand zu reduzieren. Das finanzierende Kreditinstitut stimmte der vorgeschlagenen Sanierung unter der Voraussetzung einer Kapitalerhöhung von 10.225.837,62 € um insgesamt 2.700.000,00 € auf 12.925.837,62 € zu. Daraufhin fasste die Gesellschafterversammlung der Gesellschaft mit der im Gesellschaftsvertrag für Satzungsänderungen vorgesehenen Stimmenmehrheit, jedoch ohne die Stimmen des Klägers und seiner Ehefrau, einen dahingehenden Kapitalerhöhungsbeschluss und beschloss des Weiteren eine Neufassung des § 18 Abs. 7 des Gesellschaftsvertrages, wonach ein Gesellschafter, der nicht spätestens bis zu einem festgelegten Stichtag einen seiner bisherigen Beteiligungshöhe entsprechenden Anteil am Neukapital von 2.700.000 € gezeichnet habe, aus der Gesellschaft ausscheide, ohne dass es einer weiteren Erklärung seitens der Gesellschaft bedürfe.

3.

Der Gesellschaftsvertrag enthält darüber hinaus folgende Bestimmungen:

§ 1 Abs. 2:

Halten mehrere Personen einen Anteil gemeinschaftlich, so gelten sie als ein Gesellschafter im Sinne dieses Vertrages. Sie können ihre Rechte nur einheitlich ausüben und haften gesamtschuldnerisch. Jeder von ihnen ist zur Abgabe und zum Empfang von Willenserklärungen für den anderen bevollmächtigt.

§ 4 Abs. 5:

Die Erhöhung des Gesellschaftskapitals ist nur mit Zustimmung aller Gesellschafterstimmen zulässig, sofern bei Überschreitung der Gesamtkosten für das gesellschaftseigene Bauvorhaben Eigengelder soweit zu erhöhen sind, wie es die Beendigung des Bauvorhabens erforderlich macht. Kommt ein einstimmiger Beschluss nicht zustande, so sind die zustimmenden Gesellschafter berechtigt, ihre Einlagen – soweit erforderlich – zu erhöhen. Die nicht zustimmenden Gesellschafter haben in diesem Fall eine Verringerung ihres Beteiligungsverhältnisses hinzunehmen.

§ 12:

(1)    Die Gesellschafterversammlung beschließt über

e)    die Änderung des Gesellschaftsvertrages;

f)    die Auflösung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auflösung
Auflösung der Gesellschaft
Gesellschaft
,

g)    die Festsetzung eventuell notwendiger Nachschusszahlungen sowie

(2)    Beschlüsse gemäß Abs. 1 e) und f) bedürfen einer qualifizierten Mehrheit. Die qualifizierte Mehrheit beträgt 75 % aller in der Gesellschaft vorhandenen Stimmen. Für Beschlüsse gem. Abs. 1 g) gilt die Regelung des § 4 Abs. 5 entsprechend.

4.

Der Kläger und seine Ehefrau zeichneten die Kapitalerhöhung nicht wie ihnen angeboten. Die Ehefrau des Klägers unterzeichnete die Kapitalerhöhungsvereinbarung mit dem Hinweis, dass sie die Erklärung allein für sich und auch nur für den hälftigen Geschäftsanteil abgebe. Der Kläger gab keine Zeichnungserklärung ab.

5.

Nach dem Stichtag betrachtete die Beklagte den Kläger und seine Ehefrau als ausgeschieden, da die Kapitalerhöhung nicht für den gesamten von ihnen gehaltenen Gesellschaftsanteil gezeichnet worden sei. Mit der Ehefrau des Klägers traf die Beklagte eine „Wiederaufnahmevereinbarung“ im Umfang der Hälfte der ursprünglich gemeinsam mit ihrem Ehemann gehaltenen Beteiligung. Insoweit nahm dann auch die Ehefrau an der beschlossenen Kapitalerhöhung teil.

6.

Das Landgericht hat auf Antrag des Klägers festgestellt, dass der gefasste Gesellschafterbeschluss zur Neufassung des § 18 Abs. 7 des Gesellschaftsvertrages unwirksam sei und das Gesellschaftsverhältnis der Beklagten zu dem Kläger und seiner Ehefrau unverändert fortbestehe. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Die zugelassene Revision der Beklagten beim BGH ist ebenfalls erfolglos geblieben.

Der BGH gelangt zu diesem Ergebnis auf folgendem Weg:

1.

Die Prozessführungsbefugnis des Klägers war gegeben.

Grundsätzlich ist nur der Inhaber eines Rechts befugt, dieses in eigenem Namen einzuklagen. Ausnahmsweise darf derjenige ein Recht einklagen, das nicht ihm selbst zusteht, dem dazu von Gesetzes wegen (sog. „gesetzliche Prozessstandschaft“) oder durch Ermächtigung des Rechteinhabers (sog. „gewillkürte Prozessstandschaft“) die Befugnis erteilt worden ist. Diese Befugnis zur Führung des Prozesses muss dargetan und erforderlichenfalls bewiesen werden.

Vorliegend stand dem Kläger das Mitgliedschaftsrecht in der Gesellschaft nur gemeinsam mit seiner Ehefrau zu. Der Kläger war in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis folglich nur teilberechtigt und verfolgte mit seiner Klage somit (auch) die Feststellung des Bestehens eines sog. „Drittrechtsverhältnisses“, nämlich das seiner Ehefrau zu der Gesellschaft.

Die Ehefrau des Klägers hatte die Kapitalerhöhungsvereinbarung mit dem Hinweis unterzeichnet, dass sie die Erklärung allein für sich und auch nur für den hälftigen Geschäftsanteil abgebe. Darauf kam es nach der Ansicht des BGH jedoch nicht an.

Nach feststehender Rechtsprechung können auch Drittrechtsverhältnisse Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wenn diese für die Rechtsbeziehungen der Parteien (hier: der Kläger, seine Ehefrau und die Gesellschaft) untereinander zumindest mittelbar von Bedeutung sind und ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Klärung besteht. Weil gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages (siehe oben) der Kläger und seine Ehefrau gegenüber der Beklagten gesamtschuldnerisch haften und von der Beklagten einzeln in Anspruch genommen werden können, hängt die Frage, ob und mit welchem Inhalt Rechtspflichten des Klägers und seiner Ehefrau gegenüber der Beklagten bestehen, vom Fortbestand ihrer gemeinsamen Mitgliedschaft in der Beklagten ab. Daraus folgt das erforderliche rechtliche Interesse des Klägers, den Fortbestand des Gesellschaftsverhältnisses der Beklagten zu dem Kläger und seiner Ehefrau feststellen zu lassen. Ein dem Vorgehen des Klägers entgegenstehender Wille seiner Ehefrau war in entsprechender Anwendung von § 744 Abs. 2 BGB unbeachtlich, da die vom Kläger erhobene Feststellungsklage zur Erhaltung der gemeinsam begründeten Mitgliedschaft in der Beklagten notwendig war.

Der Kläger war also prozessführungsbefugt.

2.

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Sanieren oder Ausscheiden
“ – die Ursprungs-Entscheidung des BGH vom 19.10.2009

In seiner Entscheidung vom 19.10.2009, II ZR 42/08, hat der BGH wie folgt entschieden:

„Beschließen die Gesellschafter einer zahlungsunfähigen und überschuldeten Publikumspersonengesellschaft mit der im Gesellschaftsvertrag für Änderungen des Vertrages vereinbarten Mehrheit die Gesellschaft in der Weise zu sanieren, dass das Kapital „herabgesetzt” und jedem Gesellschafter frei gestellt wird, eine neue Beitragspflicht einzugehen („Kapitalerhöhung”), dass ein nicht sanierungswilliger Gesellschafter aber aus der Gesellschaft Ausscheiden muss, so sind die nicht zahlungsbereiten Gesellschafter aus gesellschafterlicher Treuepflicht [Hervorhebung durch den Verfasser] jedenfalls dann verpflichtet, diesem Gesellschafterbeschluss zuzustimmen, wenn sie infolge ihrer mit dem Ausscheiden verbundenen Pflicht, den auf sie entfallenden Auseinandersetzungsfehlbetrag zu leisten, finanziell nicht schlechter stehen, als sie im Falle der sofortigen Liquidation stünden.“

Nach Ansicht des BGH war es den „risikobereiten” Gesellschaftern nicht zumutbar, die Gesellschaft mit den nicht zur Investition weiteren Kapitals bereiten Gesellschaftern fortzusetzen. Zwar mussten diejenigen Gesellschafter, die sich nicht an der freiwilligen Kapitalerhöhung beteiligten, dadurch zwar – wie stets bei einer nur von einigen Gesellschaftern gezeichneten Kapitalerhöhung – eine Verringerung ihrer quotalen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen hinnehmen (sog. „Verwässerung” des Geschäftsanteils). Der an der Kapitalerhöhung nicht teilnehmende Gesellschafter wäre aber – sobald die Sanierung erfolgreich sein würde und die Gesellschaft in die Gewinnzone gelangte – nicht nur (wenn auch im Vergleich zu vorher in geringerer Höhe) an dem Gewinn beteiligt.

„Die nicht zum Einsatz neuen Kapitals bereiten Gesellschafter wären obendrein bei erfolgreicher Sanierung vor allem ohne jeden eigenen über die ursprüngliche Einlage hinausgehenden finanziellen Beitrag allein aufgrund der Tatsache, dass ihre Mitgesellschafter das Sanierungsrisiko auf sich genommen und das Gesellschaftsvermögen durch eigene – weitere – finanzielle Mittel aufgefüllt haben, zusätzlich – zumindest teilweise – von den auf sie entfallenden Gesellschaftsschulden frei geworden.“

Eine solche Finanzierung der Schuldenfreiheit unter gleichzeitiger Ermöglichung einer Gewinnteilnahme hat der BGH für die finanzierenden Gesellschafter im Verhältnis zu den nicht zahlungsbereiten Gesellschaftern für nicht zumutbar gehalten.

3.

Grenzen der gesellschafterlichen Treuepflicht

An die vorgenannte Entscheidung knüpft nunmehr die Entscheidung des BGH vom 25.01.2011 an und verneint im konkreten Fall eine gesellschafterliche Treuepflicht des an der Sanierung der Gesellschaft nicht teilnehmenden Gesellschafters, einem Beschluss zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft zu zustimmen. Der BGH begründet dies wie folgt:

„Grundlage solcher Treuepflichten eines Gesellschafters kann jedoch stets nur die auf dem konkreten Gesellschaftsverhältnis beruhende berechtigte Erwartungshaltung der übrigen Gesellschafter sein. Der Gesellschaftsvertrag bildet die Grundlage der gesellschafterlichen Treuepflicht und bestimmt damit auch deren Inhalt und Umfang; der einzelne Gesellschafter ist nur insoweit verpflichtet, wie er es im Gesellschaftsvertrag versprochen hat. […] Erlaubt das eingegangene Gesellschaftsverhältnis keine berechtigte Erwartungshaltung gegenüber einzelnen Gesellschaftern, besteht auch keine Treuepflicht, diese zu erfüllen.“

Nach dem BGH ist in dem vorliegenden Fall eine Erwartungshaltung dahin gehend, dass jeder Gesellschafter in der Schieflage der Gesellschaft weiteres Risiko auf sich nimmt und sich an einer Kapitalerhöhung beteiligt, durch das eingegangene Gesellschaftsverhältnis nicht begründet worden. Der BGH stellt dafür auf die Bestimmungen der § 4 Abs. 5 und § 12 Abs. 1, 2 des Gesellschaftsvertrages (siehe dazu oben) ab. Diesen Bestimmungen sei zu entnehmen, dass eine eventuell zur Aufrechterhaltung der Gesellschaft notwendig werdende Kapitalerhöhung oder Nachschusszahlung einstimmig beschlossen werden müsse, wenn sie alle Gesellschafter verpflichten solle. Für den Fall, dass eine solche Einstimmigkeit nicht erzielt würde, sollten die zustimmenden Gesellschafter berechtigt sein, ihre Einlagen zu erhöhen, während die nicht zustimmenden Gesellschafter unter Verringerung ihres Beteiligungsverhältnisses in der Gesellschaft verbleiben können sollten.

Mit dieser ausdrücklichen gesellschaftsvertraglichen Regelung habe sich, so der BGH, jeder Gesellschafter bei seinem Eintritt in die Gesellschaft einverstanden erklärt. Somit dürfe er nicht darauf vertrauen, einen Mitgesellschafter, der im Falle einer Schieflage der Gesellschaft zu weiteren Einlagen nicht bereit sei, unter dem Gesichtspunkt der gesellschafterlichen Treuepflicht mit einer anderen als der vertraglich vorgezeichneten Rechtsfolge – hier dem Ausscheiden aus der Gesellschaft – in Anspruch nehmen zu können. Jeder Gesellschafter müsse vielmehr damit rechnen, dass ein ggf. notwendiger zusätzlicher Kapitalbedarf der Gesellschaft nur von einem Teil der Gesellschafter aufgebracht würde, sich andere Gesellschafter dagegen nicht an der Kapitalerhöhung beteiligten und sich für den Verbleib in der Gesellschaft unter Verwässerung ihrer Gesellschaftsanteile entschieden.

Eine die Grundlage für eine gesellschafterliche Treuepflicht bildende Erwartungshaltung, ein nicht an der Sanierung teilnehmender Gesellschafter werde aus der Gesellschaft Ausscheiden, hat sich im vorliegenden Fall also gerade nicht bilden können.

Auch der eingetretene Krisenfall habe, so der BGH, eine über diese vertraglichen Regelungen hinausgehende Treuepflicht des einzelnen Gesellschafters nicht begründet, da die Bestimmungen der § 4 Abs. 5 und § 12 Abs. 1 Buchstabe g, Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages auch einen solchen Krisenfall regelten. Stelle sich die wirtschaftliche Schieflage der Gesellschaft nicht – wie in dem in § 4 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages explizit geregelten Fall – durch eine unvorhergesehene Erhöhung der Gesamtkosten, sondern durch den Wegfall geplanter Einnahmen ein, so bestehe eine sowohl für die Gesellschaft als auch für ihre Gesellschafter vergleichbare Interessenlage. Für diesen Sanierungsfall seien diejenigen Bestimmungen, die § 4 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages für den Fall einer unerwarteten Kostenerhöhung trifft, gemäß § 12 Abs. 1 Buchstabe g, Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages entsprechend anzuwenden.

Auf das Eingreifen dieser Regelungen der §§ 4 Abs. 5, 12 Abs. 1 Buchstabe g, Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages haben der Kläger und seine Ehefrau vertrauen dürfen. Sie waren nicht aufgrund seiner gesellschafterlichen Treuepflicht verpflichtet, einer diesem Vertrauen gerade widersprechende Regelung zuzustimmen, und sind dem zu Folge nicht als Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschieden.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Erfurt/ Thüringen April 2011