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OLG Bremen, Beschluss vom 21. Juni 2023 – 2 W 31/23

Prozesspfleger Abberufung Geschäftsführer

§ 567 Abs 1 Nr 1 ZPO, § 567 Abs 1 Nr 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 35 Abs 1 S 1 GmbHG, § 46 Nr 8 GmbHG

1. Die sofortige Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers für die GmbH ist auch dann unstatthaft, soweit die Bestellung unter Verletzung des Anspruchs der Gesellschaft auf rechtliches Gehör erfolgte, da diese Entscheidung im Zwischenverfahren nicht abschließend ist und keine Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfaltet (Fortführung von BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – XII ZB 142/15, Rn. 24, juris).

2. Die GmbH wird, solange die Gesellschafter die Prozessführung nicht an sich ziehen, im prozess gegen einen Geschäftsführer um die Wirksamkeit dessen Bestellung oder Abberufung von einem weiteren bestellten Geschäftsführer vertreten, solange dieser bei Erfolg des Antrages der Gesellschaft als der zutreffende Geschäftsführer anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn der verbleibende Geschäftsführer bei Erfolg des Antrages der Gesellschaft zum Einzelgeschäftsführer erstarkte und nur als solcher nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages über eine Einzelvertretungsbefugnis verfügte (Fortführung von BGH, Urteil vom 14. Dezember 1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207, Rn. 5, juris; Urteil vom 10. November 1980 – II ZR 51/80, Rn. 7, juris und OLG Hamm, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743 [745]).

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Nebenintervenienten vom 21.04.2023 gegen den Beschluss der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bremen vom 24.03.2023 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Nebenintervenient.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Nebenintervenient wendet sich gegen die Bestellung eines Prozesspflegers für die Beklagte.Randnummer2

Die Klägerin ist Mitgesellschafterin und Mitgeschäftsführerin der beklagten Unternehmergesellschaft. Der Nebenintervenient ist der einzig weitere Gesellschafter und weitere Geschäftsführer der Beklagten.Randnummer3

Im Gesellschaftsvertrag der Beklagten (Stand: 02.03.2021) heißt es in § 5 – Geschäftsführung, Vertretung:Randnummer4

„Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer.Randnummer5

Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft alleine. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinsam oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten.“Randnummer6

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Nichtigkeitsfeststellung diverser auf einer Gesellschafterversammlung vom 16.09.2022 getroffener Gesellschafterbeschlüsse, mit denen die Klägerin als Geschäftsführerin abberufen wird und der verbliebene Geschäftsführer, der Nebenintervenient, angewiesen wird, Stammeinlagen beizutreiben und die Klägerin auf Rückzahlung verschiedener Zahlungen sowie auf Auskunftserteilung in Anspruch zu nehmen. Außerdem wird der Klägerin in den angefochtenen Gesellschafterbeschlüssen die Kontovollmacht über das Geschäftskonto der Beklagten entzogen und der verbliebene Geschäftsführer angewiesen, ein Gutachten über etwaige Straftaten der Klägerin zum Nachteil der Gesellschaft einzuholen.Randnummer7

Bereits mit Klageerhebung beantragte die Klägerin die Bestellung eines Prozesspflegers, weil die Beklagte in Ermangelung eines neben der Klägerin alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers ohne gesetzlichen Vertreter sei.Randnummer8

Mit dem angegriffenen Beschluss bestellte die Vorsitzende der 4. Kammer für Handelssachen Rechtsanwalt […] zum Prozesspfleger der Beklagten und stellte die Klage an den Prozesspfleger zu; dieser nahm die Klage am 31.03.2023 als zugestellt entgegen.Randnummer9

Mit Schriftsatz vom 21.04.2023, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, trat der Nebenintervenient dem Rechtsstreit bei und beantragte Klageabweisung. Zugleich legte er gegen die Bestellung des Prozesspflegers sofortige Beschwerde ein und begründete diese, nach dem die Kammer auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde hingewiesen hatte, mit Schriftsatz vom 23.05.2023. Der Nebenintervenient beanstandet, dass er vor Bestellung des Prozesspflegers hätte gehört werden müssen. Eine Befugnis des Nebenintervenienten, die Beklagte zu vertreten, ergebe sich bereits aus dem Rechtsinstitut der actio pro socio und im Übrigen daraus, dass eine Gesamtvertretungsberechtigung zur Einzelvertretungsberechtigung erstarke, wenn einem der Mitgeschäftsführer – wie hier – der Vorwurf einer unerlaubten Handlung gemacht werde, ähnlich wie im Fall eines Strafverfahrens gegen einen der Geschäftsführer.Randnummer10

Mit Beschluss vom 25.05.2023 lehnte es die Kammer ab, der Beschwerde abzuhelfen und legte die Sache dem Senat zur Entscheidung vor.

II.

Die sofortige Beschwerde des Nebenintervenienten ist unzulässig, da sie nicht statthaft ist.Randnummer12

1. Gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist die sofortige Beschwerde statthaft gegen im ersten Rechtszug ergangene Entscheidungen der Landgerichte, wenn das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. Die Regelungen zur Bestellung eines Prozesspflegers, die hier Gegenstand der Beschwerde ist, sehen eine solche Anfechtbarkeit der Bestellungsentscheidung nicht vor.Randnummer13

Ferner ist die sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, soweit in einer Entscheidung, die keine mündliche Verhandlung erfordert, ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist.Randnummer14

Auch dies ist im Fall der Bestellung eines Prozesspflegers gemäß § 57 ZPO regelmäßig nicht der Fall. Zwar handelt es sich bei dem Antrag auf Bestellung des Prozesspflegers um ein Gesuch im Sinne des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, jedoch ist eine sofortige Beschwerde nur gegen die Ablehnung eines solchen Gesuchs eröffnet, nicht aber auch für den Fall, dass dem Gesuch des Antragstellers stattgegeben wurde. Auch wenn der Betroffene sich gegen eine solche Maßnahme wendete und einen Abweisungsantrag stellte, liegt in dessen Nichtberücksichtigung keine Ablehnung eines Gesuchs im Sinne des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, so dass die sofortige Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers regelmäßig unstatthaft ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – XII ZB 142/15 –, Rn. 12, juris, entgegen OLG München, Beschluss vom 12. März 2014 – 15 W 23/14 –, Rn. 9, juris; vgl. auch Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2015 – 4 WF 46/15 –, Rn. 11, juris).Randnummer15

2. Die sofortige Beschwerde gegen eine Prozesspflegerbestellung ist auch nicht ausnahmsweise statthaft, weil das Landgericht Verfahrensgrundrechte der Beklagten verletzt hat.Randnummer16

a) Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat in Einzelfällen die sofortige Beschwerde gegen an sich unanfechtbare Zwischenentscheidungen ausnahmsweise zugelassen, etwa, wenn die Anordnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Prozessfähigkeit einer Prozesspartei ohne deren Anhörung erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 – I ZB 93/08 –, Rn. 6, juris), wenn in objektiv willkürlicher Weise die ärztliche Untersuchung und Vorführung des Betroffenen zur Erstellung eines Gutachtens über die Betreuungsbedürftigkeit angeordnet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2007 – XII ZB 201/06 –, BGHZ 171, 326, Rn. 15) oder wenn die öffentliche ZustellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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eines Scheidungsantrages bewilligt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – XII ZB 242/14 –, Rn. 20, juris). Dabei geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, Zwischenentscheidungen zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung der gesonderten Überprüfung zu entziehen und deren Überprüfung dem Hauptsacherechtsmittel vorzubehalten, dann Einschränkungen unterliegen kann, wenn die Entscheidung in so einschneidender Weise in die Rechte des Betroffenen eingreift, dass ihre selbständige Anfechtbarkeit unbedingt geboten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – XII ZB 242/14 –, Rn. 20, juris). Ob dies auch dann gilt, wenn das Gericht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör bei Bestellung eines Prozesspflegers verletzt, hat der Bundesgerichtshof bisher ausdrücklich offengelassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – XII ZB 142/15 –, Rn. 24, juris). Dies ist jedoch nicht der Fall.Randnummer17

b) Allerdings liegt eine Gehörsverletzung vor.Randnummer18

aa) Das Grundgesetz sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG. Garantiert ist den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Der Einzelne soll nicht Objekt richterlicher Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 –, BVerfGE 107, 395, Rn. 42, juris; BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 – I ZB 93/08 –, Rn. 6, juris).Randnummer19

Ausgehend hiervon verletzt es die Verfahrensgrundrechte der betroffenen Partei, wenn ihr ohne vorherige Anhörung ein Prozesspfleger bestellt wird, der auf diese Weise in die Lage versetzt wird, die Partei vor Gericht wirksam zu vertreten und über prozessuale und materielle Rechte der Partei in dem Gerichtsverfahren zu verfügen.Randnummer20

bb) Eine solche Gehörsverletzung liegt hier vor. Der Akte ist nicht zu entnehmen, dass die Kammer für Handelssachen die Beklagte vor Erlass des Beschlusses vom 24.03.2023 angehört oder ihr auch nur den Antrag übermittelt hätte. Die Beklagte führt eine Geschäftsanschrift, an die eine solche Zuschrift hätte gerichtet werden können. Eine Anhörung der Beklagten war auch keinesfalls deshalb entbehrlich, weil die Klägerin behauptete, dass die Beklagte nicht gesetzlich vertreten sei. Vielmehr muss der Gegner Gelegenheit erhalten, zu dieser Darstellung Stellung nehmen zu können.Randnummer21

Es läge auch fern, anzunehmen, dass eine solche Anhörung der Gesellschaft überflüssig sein könnte. Schon weil die Möglichkeit besteht, dass die Gesellschafter einen weiteren oder anderen Geschäftsführer bestellt haben, dessen Vertretungsbefugnis auch nicht etwa von einer Eintragung im Handelsregister abhinge, ist die Gesellschaft vor Bestellung eines Prozesspflegers anzuhören. Hinzu kommt außerdem, dass die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG jederzeit die Möglichkeit hat, weitere Geschäftsführer zu bestellen. Schließlich hat die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG zudem die Möglichkeit, die Gesellschaft in einem prozess gegen einen Geschäftsführer selbst zu vertreten oder einen gesonderten Prozessvertreter zu bestimmen. Nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG unterliegt die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat, der Bestimmung der Gesellschafterversammlung. Die Vorschrift gilt sowohl für den Aktiv- als auch für den vorliegenden Passivprozess der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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(vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 2019 – II ZR 406/17 –, BGHZ 222, 323, Rn. 30, juris m.w.N.); die Regelung in der 2. Alt. bezieht sich auch keineswegs nur auf Ersatzansprüche, sondern gilt vielmehr für jeden Rechtsstreit mit Geschäftsführern (vgl. Noack/Servatius/Haas/Noack, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 46 Rn. 67; Altmeppen, 11. Aufl. 2023, GmbHG § 46 Rn. 82). Der Umstand, dass die Gesellschafter zerstritten sein mögen und dies möglicherweise eine wirksame Beschlussfassung der GesellschafterversammlungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung
Gesellschafterversammlung
hindern könnte, stellt ebenfalls keinen ausreichenden Grund dafür dar, eine Anhörung von vornherein als entbehrlich ansehen zu können.Randnummer22

Die Gehörsverletzung wurde auch nicht im Abhilfeverfahren geheilt. Die Kammer für Handelssachen hat eine Nichtabhilfe allein auf prozessuale Erwägungen gestützt und sich mit dem Vorbringen des Nebenintervenienten in der Sache nicht beschäftigt.Randnummer23

cc) Die sofortige Beschwerde des Nebenintervenienten wäre im Übrigen auch zulässig. Der Nebenintervenient, der dem Rechtsstreit – in Ansehung seines Klageabweisungsantrages – auf Seiten der Beklagten beigetreten ist, wäre gemäß § 67 ZPO nicht gehindert, diese Beschwer der Beklagten geltend zu machen. Zwar dürfen die Erklärungen und Handlungen des Nebenintervenienten nicht in Widerspruch zu denjenigen der Hauptpartei stehen (§ 67 2. Halbs. ZPO). Untätigkeit der Hauptpartei stellt jedoch kein Hindernis für eigene Prozesshandlungen des Nebenintervenienten dar; deshalb darf der Nebenintervenient Prozesshandlungen so lange vornehmen, wie sich ein – ausdrücklich erklärter oder aus dem Gesamtverhalten im prozess zu entnehmender – entgegenstehender Wille der Hauptpartei nicht feststellen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – VIII ZB 82/05 –, BGHZ 165, 358, Rn. 8; BGH, Beschluss vom 23. August 2016 – VIII ZB 96/15 –, Rn. 27, juris).Randnummer24

Die sofortige Beschwerde wurde auch innerhalb der 5-monatigen Höchstfrist des § 569 Abs. 1 S. 2 ZPO eingelegt. Der Lauf der 2-wöchigen Notfrist des § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO wurde dagegen in Ermangelung einer Zustellung des angefochtenen Beschlusses nicht in Gang gesetzt. Der Beschluss wurde dem Prozesspfleger der Beklagten nur formlos mitgeteilt. Eine solche formlose Mitteilung setzt die Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht in Gang (vgl. BeckOK ZPO/Wulf, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 569 Rn. 4).Randnummer25

c) Es kann weiterhin offenbleiben, ob eine Verletzung des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör geeignet ist, die ausnahmsweise Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde gegen Zwischenentscheidungen zu begründen, gegen die der Gesetzgeber ein Rechtsmittel nicht vorgesehen hat. Denn für eine verfassungsrechtlich veranlasste gesetzeserweiternde Auslegung der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers besteht zumindest in einer Konstellation wie hier kein hinreichender Anlass, weil die Bestellung des Prozesspflegers für das weitere Verfahren nicht bindend ist und die hier betroffene Partei jederzeit die Überprüfung dieser Bestellung begehren kann.Randnummer26

aa) Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verlangt der grundrechtlich geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen gerichtliche Zwischenentscheidungen entgegen dem entsprechenden einfachgesetzlichen Ausschluss der Anhörungsrüge, wenn in diesem Zwischenverfahren abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über den Antrag befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 1 BvR 782/07 –, BVerfGE 119, 292, Rn. 22). Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, dass die einfachgesetzlichen Vorschriften zur Gehörsrüge nicht dahingehend ausgelegt werden dürfen, dass eine jede Anfechtung von Zwischenentscheidungen mit der Gehörsrüge ausgeschlossen ist.Randnummer27

bb) An einer solchen fachgerichtlichen, mit Verfassungsrecht unvereinbaren Rechtsschutzlücke, deren Schließung im Wege der verfassungskonformen Auslegung des einfachen Rechts geboten sein kann, fehlt es demnach dann, wenn die Entscheidung in dem Zwischenverfahren keine Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfaltet.Randnummer28

So liegt es hier. Der Betroffene, für den das Gericht einen Prozesspfleger bestellt hat, kann im weiteren Verlauf des Verfahrens jederzeit geltend machen, prozessfähig zu sein. Er hat Anspruch auf Klärung seiner Prozessfähigkeit durch das Gericht, wenn und soweit sein persönliches Vorbringen die Möglichkeit einer ihm günstigeren Entscheidung eröffnet; auch insoweit gilt er als prozessfähig (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2020 – V ZB 128/19 –, Rn. 32, juris; MüKoZPO/Lindacher/Hau, 6. Aufl. 2020, ZPO § 57 Rn. 21; BeckOK ZPO/Hübsch, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 57 Rn. 7; Musielak/Voit/Weth, 20. Aufl. 2023, ZPO § 57 Rn. 5). Liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Verfahrensbeteiligte prozessfähig ist, muss zudem das Gericht dem von Amts wegen nachgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2020 – V ZB 128/19 –, Rn. 33, juris).Randnummer29

Demnach besteht in der Frage der Prozesspflegerbestellung gerade keine Bindung des Gerichts an die eigene Entscheidung. Der Betroffene kann vielmehr jederzeit im Verfahrensverlauf eine Überprüfung begehren, so dass eine etwaige vorausgehende Gehörsverletzung im Bestellungsverfahren geheilt werden kann. Angesichts dessen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht eine erweiternde Auslegung des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht geboten.Randnummer30

Entsprechend hat die Beklagte in dem Verfahren jederzeit die Möglichkeit, das Fehlen eines gesetzlichen Vertreters überprüfen zu lassen; insoweit gilt sie als prozessfähig. Die Kammer für Handelssachen wird deshalb zu prüfen haben, ob der Vortrag des Nebenintervenienten – wie es naheliegt – dahingehend ausgelegt werden muss, dass er für die Beklagte eine Überprüfung der Prozesspflegerbestellung begehrt und geltend macht, dass seine Vertretungsbefugnis für die Beklagte fortbestehe und der Bestellung entgegensteht. Offenbleiben kann hier, ob eine etwaige Ablehnung der Aufhebung der Prozesspflegerbestellung gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar wäre.Randnummer31

cc) Nicht zu verkennen ist allerdings, dass der Verweis auf den Hauptsacherechtsschutz auch die Gefahr unwiederbringlicher Rechtsverluste mit sich bringen kann. Käme es dazu, dass der Prozesspfleger der Beklagten, wie er es nach Darstellung des Nebenintervenienten bereits angekündigt haben soll, die Klage anerkennt, wäre der Nebenintervenient seiner prozessualen Einflussmöglichkeiten weitgehend beraubt. Zwar hat er die Möglichkeit, die Bestellung des Prozesspflegers im Zuge des Rechtsmittels in der Hauptsache zur Überprüfung zu stellen, auch wenn der Prozesspfleger selbst kein Rechtsmittel einlegt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – XII ZB 142/15 –, Rn. 19, juris; Beschluss vom 10. Dezember 2020 – V ZB 128/19 –, Rn. 31, juris). Jedoch führte die spätere Feststellung der Unzulässigkeit der Bestellung nicht dazu, dass die bisherigen Prozesshandlungen des Prozesspflegers unwirksam werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – XII ZB 142/15 –, Rn. 20, juris). Somit bliebe das Anerkenntnis des Prozesspflegers als Prozesshandlung bestehen. Der Anerkennende ist aber an seine Anerkenntniserklärung für den gesamten prozess gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1993 – XII ZR 256/91 –, Rn. 9, juris; BeckOK ZPO/Elzer, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 307 Rn. 26). Er kann das Anerkenntnis nur widerrufen, wenn es auf einem Restitutionsgrund beruhte oder eine der Abänderbarkeit gemäß § 323 ZPO unterliegende Leistung betrifft (vgl. MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 307 Rn. 20). Die Vertretung durch einen zu Unrecht bestellten Prozesspfleger stellt aber keinen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO dar. Ebenso begründet sie keine Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2020 – V ZB 128/19 –, Rn. 28, juris). Auch in der Berufungsinstanz, selbst wenn die Berufung vom Nebenintervenienten als solcher oder für die vermeintlich prozessunfähige Beklagte eingelegt werden würde, bliebe die Beklagte daher an ein vom Prozesspfleger erklärtes Anerkenntnis gebunden. Im Ergebnis würde dem Nebenintervenienten so die Möglichkeit genommen, für die Beklagte seine Rechtsauffassungen zur Abberufung der Klägerin und ihren vermeintlichen Verfehlungen in den prozess einzubringen und eine Entscheidung der Gerichte hierüber herbeizuführen, selbst wenn er der richtige gesetzliche Vertreter der Beklagten sein sollte.Randnummer32

Dies allein rechtfertigt es aber noch nicht, die Regelung des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO erweiternd auszulegen und die sofortige Beschwerde des Nebenintervenienten als statthaft anzusehen. Denn der Prozesspfleger ist verpflichtet, die Interessen des Vertretenen zu wahren (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2020 – V ZB 128/19 –, Rn. 34, juris). Damit ließe es sich kaum vereinbaren, sollte der Prozesspfleger im Namen der Beklagten die mit der Klage geltend gemachte Nichtigkeit der Gesellschafterbeschlüsse anerkennen, bevor nicht die Kammer für Handelssachen über den Überprüfungsantrag des Nebenintervenienten entschieden hat.Randnummer33

3. Für das weitere Verfahren, insbesondere mit Blick auf eine Überprüfung der Bestellung des Prozesspflegers, weist der Senat darauf hin, dass aus Rechtsgründen erhebliche Bedenken gegen die Annahme der Kammer für Handelssachen bestehen, dass der Beklagten ein vertretungsberechtigter Geschäftsführer fehlt.Randnummer34

Ohne gesetzlichen Vertreter ist der Prozessunfähige dann, wenn ein solcher entweder überhaupt fehlt oder der an sich vorhandene im Einzelfall rechtlich verhindert ist (MüKoZPO/Lindacher/Hau, 6. Aufl. 2020, ZPO § 57 Rn. 6). Die Unternehmergesellschaft wird gemäß §§ 5a, 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG durch die Geschäftsführer vertreten. Eine Prozesspflegerbestellung setzt demnach voraus, dass ein vertretungsberechtigter Geschäftsführer fehlt.Randnummer35

Dies dürfte vorliegend aber nicht der Fall sein.Randnummer36

a) Unstreitig ist der Nebenintervenient zum Geschäftsführer bestellt und ist als solcher gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG auch zur gerichtlichen Vertretung der Beklagten berufen.Randnummer37

Dem steht auch § 46 Nr. 8 GmbHG nicht entgegen. Solange die Gesellschafterversammlung von ihrer Befugnis nach § 46 Nr. 8 Alt. 2 GmbHG, für den prozess der Gesellschaft gegen einen Geschäftsführer einen besonderen Vertreter zu bestellen, keinen Gebrauch macht, wird die GmbH vorbehaltlich einer – hier fehlenden – die Vertretungsbefugnis anders regelnden Satzungsbestimmung im prozess mit ihren gegenwärtigen oder ausgeschiedenen Geschäftsführern durch einen oder mehrere bereits zuvor oder neu bestellte (weitere) Geschäftsführer vertreten; eines entsprechenden (zumindest stillschweigend gefassten) Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedarf es für die Fortdauer der Vertretungsbefugnis der (anderen) Geschäftsführer nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2016 – II ZR 253/15 –, Rn. 10, juris; MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 35 Rn. 120).Randnummer38

b) Der Nebenintervenient dürfte auch nicht deshalb an einer Vertretung der Beklagten gehindert sein, weil er bei Fortbestand der Geschäftsführerbestellung der Klägerin nur gemeinschaftlich mit dieser zur Vertretung der Beklagten berechtigt wäre.Randnummer39

aa) Wird mit der Nichtigkeitsklage die Nichtigkeit der Bestellung eines Geschäftsführers geltend gemacht, so vertritt derjenige die Gesellschaft im Rechtsstreit, der im Falle des Obsiegens der Gesellschaft als deren Geschäftsführer anzusehen ist (BGH, Urteil vom 10. November 1980 – II ZR 51/80 –, Rn. 7, juris; Altmeppen, 11. Aufl. 2023, GmbHG § 35 Rn. 25). Es muss gewährleistet sein, dass die Vertretung während des Rechtsstreits durch alle Instanzen einheitlich geregelt ist und nicht bei Unterschieden in der materiell-rechtlichen Beurteilung der jeweils mit der Sache befassten Gerichte von Instanz zu Instanz wechselt. Auch muss vor Eintritt in die materiell-rechtliche Prüfung feststehen, ob die Klage zulässig oder unzulässig ist. Anderenfalls hätte vielfach, obwohl das Ergebnis der Sachprüfung feststeht und nunmehr rechtskräftig darüber entschieden werden könnte, ein nicht der Rechtskraft fähiges Prozessurteil zu ergehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1961 – II ZR 97/59 –, BGHZ 36, 207, Rn. 5, juris; Urteil vom 10. November 1980 – II ZR 51/80 –, Rn. 7, juris). Im Übrigen ist es auch nicht sachgerecht, dass die Vertretungsbefugnis davon abhängt, ob die Gesellschaft positive Feststellungsklage erhebt oder sich gegen die Nichtigkeitsklage verteidigt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1961 – II ZR 97/59 –, BGHZ 36, 207, Rn. 5, juris; Urteil vom 10. November 1980 – II ZR 51/80 –, Rn. 7, juris). Es kommt daher darauf an, wie die materielle Rechtslage ist, wenn der Antrag der Partei begründet ist, für die der gesetzliche Vertreter auftritt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1961 – II ZR 97/59 –, BGHZ 36, 207, Rn. 5).Randnummer40

Dieselben Grundsätze gelten aber auch dann, wenn die Parteien – wie hier – über die Wirksamkeit eines Abberufungsbeschlusses streiten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 07.10.1992 – 8 U 75/92 -, GmbHR 1993, 743 [745]).Randnummer41

Dieselben Erwägungen dürften schließlich auch für die Frage gelten, ob eine gemeinschaftliche Geschäftsführung fortbesteht. Soweit nach dem Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit besteht, dass nur ein Geschäftsführer bestellt und als solcher alleinvertretungsberechtigt die Gesellschaft vertritt, führt der Wegfall eines Mitgeschäftsführers durch Tod oder Abberufung zur Alleinvertretungsmacht des verbleibenden Geschäftsführers (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2007 – II ZR 330/05 –, Rn. 7, juris in Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 8. Februar 1993 – II ZR 62/92 –, BGHZ 121, 263, Rn. 8; Altmeppen, 11. Aufl. 2023, GmbHG § 35 Rn. 43; Noack/Servatius/Haas/Beurskens, 23. Aufl. 2022, GmbHG § 35 Rn. 35; MHLS/Lenz, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 35 Rn. 50; MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 35 Rn. 145). Zwar hat der Bundesgerichtshof dies bisher nur für den Fall entschieden, dass die Gesellschaft in der Vergangenheit wenigstens zwischenzeitlich nur einen Geschäftsführer bestellt hatte. Ob dies vorliegend der Fall war, konnte der Senat nicht sicher feststellen, da die Parteien hierzu bisher nichts vorgetragen haben und eine Einsichtnahme in das Handelsregister, soweit die Gesellschaft ursprünglich beim Amtsgericht Osnabrück geführt worden ist, keine Ergebnisse erbracht hat. Selbst wenn aber vorliegend von Anfang an zwei Geschäftsführer bestellt worden sein sollten, unterscheidet sich diese Situation nicht maßgebend von derjenigen, wie sie der Bundesgerichtshof entschieden hat, wenn der Wegfall des zweiten Geschäftsführers auf einem – wenngleich hier in seiner Wirksamkeit bestrittenen – Gesellschafterbeschluss beruht (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. Dezember 2010 – 2 W 150/10 –, Rn. 20 f.; vgl. auch BGH Beschl. v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, BeckRS 1960, 31181046, beck-online).Randnummer42

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben spricht einiges dafür, dass der Nebenintervenient zur gerichtlichen Vertretung der Beklagten berufen sein dürfte.Randnummer43

Soweit der Antrag der beklagten Gesellschaft Erfolg hat, fiele die Klägerin durch Abberufung als Mitgeschäftsführerin weg, mit der Folge, dass der Nebenintervenient alleiniger Geschäftsführer der Beklagten und als solcher auch unter Berücksichtigung des Gesellschaftsvertrages zur alleinigen Vertretung der Gesellschaft berufen wäre. Denn der Gesellschaftsvertrag sieht keine Mindestanzahl von Geschäftsführern vor, sondern erlaubt die Alleinvertretung, soweit nur ein Geschäftsführer bestellt ist. Der Umstand, dass im Handelsregister eine gemeinschaftliche Vertretungsmacht eingetragen ist, stünde dem nicht entgegen. Denn maßgebend ist nicht die Eintragung im Handelsregister, sondern die Regelung des Gesellschaftsvertrages. Bei Erfolg des Antrages der beklagten Gesellschaft wäre der Nebenintervenient daher der gesetzliche Vertreter der Gesellschaft.Randnummer44

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.Randnummer45

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde folgt aus § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02 –, BGHZ 154, 288, Rn. 5 m.w.N.).Randnummer46

So liegt es hier. Die hier streitentscheidende Frage, ob eine Gehörsverletzung der sofortigen Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers ausnahmsweise zur Statthaftigkeit verhilft, ist ungeklärt und umstritten. In der Literatur wird die Auffassung, dass die Bestellung des Prozesspflegers unanfechtbar ist, ohne Einschränkungen vertreten (vgl. Zöller-Althammer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 57 Rn. 7; MüKoZPO/Lindacher/Hau, 6. Aufl. 2020, ZPO § 57 Rn. 18; Musielak/Voit/Weth, 20. Aufl. 2023, ZPO § 57 Rn. 4; BeckOK ZPO/Hübsch, 48. Ed. 1.3.2023, ZPO § 57 Rn. 6; Saenger/Bendtsen, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 57 Rn. 8). Dagegen hat der Bundesgerichtshof die Frage, ob eine sofortige Beschwerde gegen die Bestellung eines Prozesspflegers ausnahmsweise im Fall erheblicher Verletzungen von Verfahrensgrundrechten statthaft ist, auch mit Blick auf eine etwaige Gehörsverletzung aufgeworfen, letztlich aber offengelassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – XII ZB 142/15 –, Rn. 24, juris). Das Auftreten dieser Frage ist auch in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten.

Schlagworte: Abberufung aus wichtigem Grund Abberufung außerhalb des gesetzlichen Sofortvollzugs, Abberufung des Alleingeschäftsführers, Abberufung des Fremdgeschäftsführers Abberufung des Geschäftsführers, Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund, Abberufung des Geschäftsführers zu gesellschaftsvertragswidrigem Zweck; Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, actio pro socio, Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention, Einlegung von Rechtsmittel durch Nebenintervenienten, Geschäftsführer - Teilnehmer einer Straftat, Nebenintervenient, Prozesspfleger § 57 ZPO