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BGH, Beschluss vom 12. März 2024 – VI ZR 166/22

Restschadensersatzanspruch

GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2; BGB § 852

1. Zur Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Falle der Nichtberücksichtigung einer zwar rechtzeitig bei Gericht eingegangenen, aber nicht zur Verfahrensakte gelangten Stellungnahme zu einem gerichtlichen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

2. Zur Bestimmung des durch die unerlaubte Handlung Erlangten im Sinne des § 852 BGB im Falle von Schmiergeldzahlungen.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 6. Mai 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wird auf bis 290.000 € festgesetzt

Gründe

I.

Die Klägerin macht, nachdem sie sich mit den ehemals Beklagten zu 1, 2 und 4 außergerichtlich geeinigt hat, noch gegenüber der Beklagten zu 3 Ansprüche auf Schadensersatz geltend, die sie auf die vermeintliche Zahlung von Schmiergeldern durch die Beklagte zu 3 an den ehemals Beklagten zu 1, der für die Klägerin als Bau- und Projektleiter tätig war, stützt.2

Die Klägerin führte Bauprojekte zur Anbindung von Nordsee-Windparks an das Stromnetz auf dem Festland durch. Zwischen 2007 und 2014 waren zunächst der Beklagte zu 1 als natürliche Person, später die H. GmbH, deren Geschäftsführer der vormalige Beklagte zu 1 ist, selbständig als Bau- und Projektleiter für sie tätig. Die Beklagte zu 3 erbrachte ab 2008 als Subunternehmerin Leistungen für die Klägerin, die der Beklagte zu 1 bzw. die H. GmbH steuerten und überwachten. Am 29. Mai 2008 wurde zwischen der H. GmbH und der Beklagten zu 3 ein Vertrag betreffend Planungs-, Ausführungs- und sonstige Leistungen im Rahmen des Netzausbaus der Kabel Deutschland GmbH in einem Ausbaugebiet, für das die Beklagte zu 3 als Generalunternehmerin beauftragt worden war, geschlossen. In § 3 des Vertrages war eine feste monatliche Nettovergütung der H. GmbH in Höhe von 6.000 € vereinbart.3

Die Klägerin kündigte Anfang 2014 ihre vertraglichen Beziehungen zur H. GmbH bzw. zu dem Beklagten zu 1. Im Rahmen der Abwicklung der Zusammenarbeit erhielt sie Kenntnis von sechs Rechnungen über jeweils 6.000 € netto, die die H. GmbH im Jahr 2009 der Beklagten zu 3 unter Verweis auf eine vertragliche Vereinbarung gestellt hatte. Auch wurde der Klägerin eine von der Beklagten zu 3 herrührende Gutschrift vom 9. Januar 2012 über 7.140 € (entspricht 6.000 € netto) auf dem Konto des ehemaligen Beklagten zu 1 bekannt. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2014 erstattete die Klägerin Strafanzeige „wegen des Verdachts der Untreue gemäß § 266 StGB sowie der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB, jeweils im besonders schweren Fall“ gegen den Beklagten zu 1 und einen ihrer eigenen Mitarbeiter, der dessen Ansprechpartner im Hause der Klägerin gewesen war. In dieser Anzeige äußerte die Klägerin den Verdacht, dass mehrere von ihr beauftragte Nachunternehmen, deren Tätigkeit der Beklagte zu 1 zu überwachen hatte, darunter die Beklagte zu 3 und die Beklagten zu 2 und 4, dem Beklagten zu 1 und einem ihrer eigenen Mitarbeiter, die gemeinsam Aufträge vergeben und Zahlungen an Lieferanten hätten freigeben können, Vorteile gewährt hätten, um nicht gerechtfertigte Rechnungen freizugeben und vermutlich im Übrigen auch Aufträge zu vergeben.4

Die Staatsanwaltschaft H. nahm die Ermittlungen auf, in deren Rahmen es zu Durchsuchungen beim Beklagten zu 1 und bei der Beklagten zu 3 kam. Dabei wurde festgestellt, dass die Beklagte zu 3 an den Beklagten zu 1 bis September 2012 Zahlungen in Höhe von insgesamt 271.320 € geleistet hatte. Unterlagen zu Beratungsleistungen des Beklagten zu 1 für die Beklagte zu 3 wurden nicht aufgefunden. Die Klägerin nahm im Januar 2019 Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und beantragte im April 2019 Mahnbescheide gegen die (vormaligen) Beklagten. Aus den dagegen gerichteten Widersprüchen resultiert das vorliegende Verfahren.5

Die Klägerin behauptet, bei den Zahlungen der Beklagten zu 3 an den Beklagten zu 1 habe es sich um Schmiergeldzahlungen gehandelt; der Beklagte zu 1 habe sich dafür bei der Vergabe von Aufträgen und bei der Prüfung von Aufmaßen und Nachträgen für die Beklagte zu 3 einsetzen sollen. Die von der Beklagten zu 3 an den ehemaligen Beklagten zu 1 geleisteten Zahlungen seien anders nicht erklärbar. Die Beklagte zu 3 sei daher verpflichtet, den der Klägerin durch die von Dezember 2009 bis September 2012 von der Beklagten zu 3 an den Beklagten zu 1 geflossenen Zahlungen in einer Gesamthöhe von 271.320 € in gleicher Höhe entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Beklagte zu 3 bestreitet die Leistung von Schmiergeldzahlungen und behauptet die tatsächliche Erbringung von legalen Beratungsleistungen durch den Beklagten zu 1.6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin, die ihre geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgen will, mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Die gemäß § 522 Abs. 3, § 544 Abs. 1 ZPO statthafte Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.8

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung auf den Inhalt seines Hinweisbeschlusses vom 30. März 2022 verwiesen, zu dem sich die Klägerin trotz antragsgemäß verlängerter Frist nicht mehr geäußert habe. In diesem Beschluss hat das Berufungsgericht unter anderem ausgeführt, das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin jedenfalls verjährt seien und die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 852 BGB nicht vorlägen.9

Für die Frage des Verjährungsbeginns komme es – so das Berufungsgericht im Hinweisbeschluss – darauf an, wann die Klägerin im Sinne der Vorschrift des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt habe oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Entscheidend sei insoweit, zu welchem Zeitpunkt der Klägerin der anspruchsbegründende Sachverhalt in Grundzügen derart bekannt gewesen sei, dass ihr die Erhebung einer hinreichend aussichtsreichen, wenn auch nicht risikolosen Klage möglich gewesen wäre. Im Streitfall sei dies zum Zeitpunkt der Erstattung der Strafanzeige vom 25. Juli 2014 der Fall gewesen. Schon mit dieser Anzeige habe die Klägerin deutlich gemacht, Kenntnis davon zu haben, dass mindestens in den Jahren 2009 bis 2012 monatliche Zahlungen in Höhe von 6.000 € netto von der Beklagten zu 3 an den ehemaligen Beklagten zu 1 geflossen seien. Sie habe zudem von regelmäßigen Zahlungen gesprochen und deutlich gemacht, dass sie den Hintergrund dieser Leistungen in der Gewährung von Schmiergeldern sehe. Eben dies hätte unverändert zum Gegenstand einer schlüssigen Klage gemacht werden können. Soweit die Klägerin unter anderem darauf verweise, die Gesamtsumme der von der Beklagten zu 3 an den Beklagten zu 1 geflossenen Zahlungen sei erst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zu Tage getreten, verschließe sie sich zum einen der Erkenntnis, dass entsprechende sichere Feststellungen nicht Voraussetzung für die Möglichkeit einer Klageerhebung im dargestellten Sinne gewesen seien. Denn weder sei es für die den Beginn der Verjährungsfrist auslösende Kenntnis notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kenne, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben könnten, noch müsse er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Zum anderen blende die Klägerin aus, dass Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht erst dann anzunehmen sei, wenn eine bezifferte Zahlungsklage erhoben werden könne. Vielmehr reiche es aus, wenn eine Feststellungsklage hinreichende Erfolgsaussichten bieten würde. Hinzu trete im Streitfall, dass sich die Klägerin auf Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast hätte stützen können, die die Rechtsprechung für mutmaßlich von Schmiergeldzahlungen geprägte Sachverhalte entwickelt habe. Demnach habe die Verjährungsfrist betreffend mögliche der Klägerin zustehende Schadensersatzansprüche mit Schluss des Jahres 2014 begonnen und sei mit Schluss des Jahres 2017 abgelaufen, mithin bei Beantragung des Mahnbescheides gegen die Beklagte zu 3 im April 2019 bereits verstrichen gewesen.10

Das Landgericht habe auch einen Anspruch aus § 852 BGB zu Recht verneint. Dass die Beklagte zu 3 aus den von ihr an den Beklagten zu 1 geflossenen Zahlungen etwas erlangt hätte, sei nicht ersichtlich. Im Gegenteil habe die Beklagte zu 3 ihr Vermögen durch die Zahlungen zunächst einmal gemindert. Für die Klägerin Günstigeres folge in diesem Kontext auch nicht aus dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, dass für den durch Schmiergeldzahlungen Geschädigten deren Höhe als Mindestschaden angenommen werden könne, weil die von ihm bezogenen Leistungen ohne das deliktische Verhalten um eben jene Schmiergeldzahlungen billiger gewesen wäre. Denn diese tatsächliche Vermutung beziehe sich auf den Eintritt eines Schadens bei dem Gläubiger der durch die ihm verborgen gebliebene Schmiergeldzahlung überteuerten Leistung, nicht auf die – davon gänzlich verschiedene – Frage eines Vermögenszuwachses gerade bei demjenigen, der das Schmiergeld gezahlt habe. Ein solcher Vermögenszuwachs müsse auch nicht zwingend gegeben sein. Dass die vorgenannte Vermutung im Anwendungsbereich des § 852 BGB jedenfalls im Streitfall für das Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 3 auch tatsächlich keine Berechtigung habe, folge zudem auch daraus, dass das Schmiergeld gerade nicht im Vermögen der Beklagten zu 3 verblieben, sondern an den Beklagten zu 1 geflossen sei.11

2. Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht mit diesen Ausführungen in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.12

a) Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich die Klägerin innerhalb der (verlängerten) Stellungnahmefrist nicht mehr zum Hinweisbeschluss vom 30. März 2022 geäußert hat. Am letzten Tag der Frist (5. Mai 2022) ist ein Schriftsatz der Klägervertreter beim Berufungsgericht eingegangen, der eine Stellungnahme zum Hinweisbeschluss enthält. Dieser wurde allerdings, wie aus einem Berichterstattervermerk vom 9. Mai 2022 hervorgeht, aufgrund eines Schreibversehens der anwaltlichen Vertreter der Klägerin bei der Angabe des Aktenzeichens („99 U 25/22“ statt „9 U 25/22“) auf Geschäftsstellenebene zunächst dem falschen Senat (Eingangssenat) zugeordnet und dem Berichterstatter des Berufungssenats erst nach Versendung des Zurückweisungsbeschlusses vom 6. Mai 2022 vorgelegt.13

Grundsätzlich verstößt das Gericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es einen ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatz nicht berücksichtigt, wobei es auf ein Verschulden des Gerichts nicht ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2023 – VIII ZB 59/23, juris Rn. 7; BVerfG, NJW 2013, 925; jeweils mwN). Im Hinblick auf eine einzuhaltende Frist ist für den Eingang des Schriftsatzes und daher für die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das Gericht allein entscheidend, ob der Schriftsatz vor Ablauf der Frist an das zur Entscheidung berufende Gericht gelangt ist, was hier der Fall war. Unerheblich ist dagegen, ob der Schriftsatz innerhalb der Frist in die für die Sache bereits angelegte Akte eingeordnet worden ist. Da der Rechtsuchende keinen Einfluss darauf hat, welche Richter im Einzelnen durch die Geschäftsverteilung zur Bearbeitung der Sache bestimmt worden sind, braucht er keine Sorge dafür zu treffen, dass seine Eingabe innerhalb des angerufenen Gerichts unverzüglich in die richtige Akte gelangt. Demgemäß schreibt das Gesetz in den § 129 Abs. 1, § 130 ZPO die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist (vgl. BVerfG aaO mwN). Dem Schriftsatz muss jedoch zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren er eingereicht werden soll (vgl. für die Berufungsschrift bzw. -begründung BGH, Beschlüsse vom 14. März 2023 – X ZB 4/22, MDR 2023, 934 Rn. 19; vom 18. November 2015 – IV ZB 22/15, juris Rn. 11; jeweils mwN). Dies war vorliegend der Fall, weil die Parteien des Rechtsstreits im Schriftsatz der Klägerin vom 5. Mai 2022 korrekt angegeben waren und zudem durch die Bezugnahme auf den Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts vom 30. März 2022 deutlich wurde, welchem Verfahren die Ausführungen zuzuordnen waren.14

b) Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin zum Hinweisbeschluss vom 30. März 2022 sowohl hinsichtlich der Beurteilung der Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche (dazu unter aa und bb) als auch bezüglich der Frage des Bestehens eines Anspruchs nach § 852 BGB (dazu unter cc) zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.15

aa) Soweit das Berufungsgericht den Eintritt der Verjährung hinsichtlich sämtlicher von der Klägerin geltend gemachter Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung bejaht, geht es im rechtlichen Ausgangspunkt bezüglich des Beginns der Verjährungsfrist zutreffend davon aus, dass die hierfür nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners dann vorhanden ist, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Dabei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Die erforderliche Kenntnis ist vielmehr bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen. Die dreijährige Verjährungsfrist gibt dem Geschädigten dann noch hinreichende Möglichkeiten, sich für das weitere Vorgehen noch sicherere Grundlagen, insbesondere zur Beweisbarkeit seines Vorbringens, zu verschaffen (vgl. zur st. Rspr. des BGH nur Senatsurteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20, VersR 2021, 324 Rn. 7 f. mwN).16

bb) Das Berufungsgericht hat nach diesen Grundsätzen eine hinreichende Kenntnis der Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Anzeigeerstattung am 25. Juli 2014 hinsichtlich sämtlicher von der Klage umfassten potentiellen Schmiergeldzahlungen im Zeitraum Dezember 2009 bis September 2012 in Höhe von insgesamt 271.320 € angenommen. In ihrer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts hat die Klägerin allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass vorliegend die tatsächliche Frage, welche Zahlungen von der Beklagten zu 3 an den vormaligen Beklagten zu 1 geleistet wurden, bereits für die Darlegung der anspruchsbegründenden Verletzungshandlung und nicht allein für die Beurteilung der Höhe des aus ihr resultierenden Schadens relevant sein kann. Zur Begründung einer Kenntnis der Klägerin von den die Pflichtverletzung begründenden Umständen kann im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Klageerhebung nicht auf Darlegungs- und Beweiserleichterungen hinsichtlich der Schadenshöhe oder die Möglichkeit der Erhebung einer Feststellungsklage bei noch nicht bekannter Schadenshöhe abgestellt werden, wie es das Berufungsgericht getan hat.17

Was die Kenntnis der Klägerin von den die haftungsbegründende Verletzungshandlung der Beklagten zu 3 betreffenden tatsächlichen Umstände angeht, hat das Berufungsgericht lediglich festgestellt, dass der Klägerin zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung sechs Rechnungen der H. GmbH aus dem Jahr 2009 über jeweils 6.000 € netto „auf vertraglicher Grundlage“ und die von der Beklagten zu 3 stammende Gutschrift auf dem Konto des Beklagten zu 1 vom 9. Januar 2012 über 7.140 € (= 6.000 € netto) vorlagen. Auch wenn schon diese Kenntnisse den Schluss auf sieben Schmiergeldzahlungen in Höhe von jeweils 6.000 € netto hinreichend nahelegen können, um bezogen auf diese den Lauf der Verjährungsfrist in Gang zu setzen, gilt dies nicht ohne Weiteres für weitere unerlaubte Handlungen der Beklagten zu 3. Die Kenntnis von sonstigen insoweit relevanten Umständen hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass der Klägerin zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung der Inhalt der zwischen der Beklagten zu 3 und dem Beklagten zu 1 getroffenen Vereinbarung vom 29. Mai 2008, die eine monatliche Nettovergütung von 6.000 € vorsah, oder sonstiger Absprachen zwischen ihnen bekannt war. Dass die Klägerin in ihrer Strafanzeige den Verdacht äußerte, die Beklagte zu 3 habe regelmäßig Schmiergeldzahlungen an den Beklagten zu 1 geleistet, lässt für sich genommen nicht zwingend auf eine entsprechende Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB schließen.18

cc) Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Klägerin nach § 852 BGB, weil nicht ersichtlich sei, dass die Beklagte zu 3 aus der behaupteten unerlaubten Handlung etwas erlangt habe. Insoweit könne die Klägerin aus dem in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz, dass für den durch Schmiergeldzahlungen Geschädigten deren Höhe als Mindestschaden angenommen werden könne, weil die von ihm bezogenen Leistungen ohne das deliktische Verhalten um eben jene Schmiergeldzahlungen billiger gewesen wären, nichts für sich Günstiges herleiten. Denn diese tatsächliche Vermutung beziehe sich auf den Eintritt des Schadens bei dem Gläubiger der durch die ihm verborgen gebliebene Schmiergeldzahlung überteuerten Leistung, nicht auf die – davon gänzlich verschiedene – Frage eines Vermögenszuwachses gerade bei demjenigen, der das Schmiergeld gezahlt habe.19

Diese Auffassung wird – worauf die Klägerin in ihrer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts hingewiesen hat – der Rechtsnatur des Anspruchs nach § 852 BGB nicht gerecht. Die Bestimmung des § 852 BGB begründet keinen eigenständigen bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch, sondern gewährt einen sogenannten Restschadensersatzanspruch, also einen deliktischen Schadensersatzanspruch, der in Höhe der Bereicherung des Schädigers nicht verjährt ist. Sie hat den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 19 mwN). Bei dem Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB handelt es sich um eine Fortsetzung des Schadensersatzanspruchs in anderem rechtlichen Kleid (vgl. BGH aaO Rn. 68). Es wäre daher widersprüchlich, bei der Bestimmung des Schadens des Verletzten aufgrund der deliktischen Handlung die oben genannte Vermutung heranzuziehen („Schmiergeldzahlung in Vergütung eingepreist“, vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. März 1962 – II ZR 151/60, NJW 1962, 1099, 1100, juris Rn. 10; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, Urteil vom 9. Februar 2009 – 17 U 247/07, juris Rn. 84; MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl., § 826 Rn. 270), bei der Bestimmung des vom Schädiger aufgrund derselben unerlaubten Handlung Erlangten im Sinne des § 852 BGB – in Form der vom Verletzten gezahlten Auftragsvergütung – aber nicht.20

Im Übrigen deuten die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach gegen die Heranziehung der genannten Vermutung im Streitfall spreche, dass das Vermögen der Beklagten zu 3 in Höhe der an den Beklagten zu 1 geleisteten Zahlungen vermindert worden sei, darauf hin, dass es nicht – wie nach den über § 852 Satz 1 BGB anwendbaren bereicherungsrechtlichen Vorschriften erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 88) – zwischen dem erlangten und herauszugebenden Gegenstand (§ 812 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB) und der Beschränkung der Herausgabepflicht auf die dadurch eingetretene Bereicherung des Schuldners (§ 818 Abs. 3 BGB) unterschieden hat. Als erlangtes Etwas im Sinne des § 852 Satz 1 BGB ist jeder dem Ersatzpflichtigen zugeflossene Gegenstand – dem Umfang nach beschränkt durch den Schaden des Verletzten – anzusehen (vgl. BGH aaO Rn. 82 f.). Insoweit kommt im Streitfall – wie oben ausgeführt – als erlangtes Etwas die der Beklagten zu 3 zugeflossene Auftragsvergütung in Betracht. Erst im Rahmen einer möglichen Schmälerung der Bereicherung des Schuldners nach § 818 Abs. 3 BGB können sein Vermögen verringernde Gegenleistungen und Aufwendungen gegebenenfalls Berücksichtigung finden (vgl. BGH aaO Rn. 88 mwN). Das ist jedoch bei einer Bereicherung aufgrund einer Schmiergeldabrede nach § 818 Abs. 4, § 819 Abs. 1 BGB von vornherein ausgeschlossen.

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Schlagworte: Art. 103 Abs. 1 GG, GG Art. 103, rechtliches Gehör, Restschadensersatz, Restschadensersatzanspruch, Schmiergeld