§ 191 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 AO und § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB
Die Ehefrau haftet nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 AO und § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB für die betrieblichen Verbindlichkeiten aus Steuern und steuerlichen Nebenleistungen ihres Ehemanns, wenn sie das Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma des Ehemanns mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt.
Es bestehen keine Rechtmäßigkeitszweifel hinsichtlich der Inhaftungnahme der Antragstellerin (Ehefrau) nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 Abgabenordnung -AO- und § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB für die betrieblichen Verbindlichkeiten aus Steuern und steuerlichen Nebenleistungen ihres Ehemannes. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB haftet, wer ein unter lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt, für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB im Streitfall einschlägig. Zwar geht die Antragstellerin zutreffend davon aus, dass das Firmenrecht des Handelsgesetzbuches nur auf ein kaufmännisches Handelsgeschäft im Sinne dieses Gesetzes anwendbar ist (vgl. zuletzt FG Münster, Urteil vom 1. Juli 2010 3 K 2689/06 U m.w.N.). Allerdings war das bis zum 31.03.2008 vom Ehemann der Antragstellerin betriebene und sodann von ihr fortgeführte (dazu unten) Unternehmen ein kaufmännisches Handelsgeschäft im Sinne von § 1 HGB. Danach ist Kaufmann, wer ein Handelsgewerbe betreibt. Handelsgewerbe ist jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erforderte.
Entgegen dem redaktionell missglückten Wortlaut der Vorschrift muss sich die Erforderlichkeit eines kaufmännischen Geschäftsbetriebes aus dem Zusammenspiel beider Kriterien – Art und Umfang – ergeben. So reicht ein hoher Umsatz allein nicht aus, wenn die Art des Geschäftsbetriebes einfach ist, weil z.B. ohne Angestellte und ohne Kredite nur mit wenigen Kunden zusammen gearbeitet wird. Allerdings können sehr hohe Umsätze auf die Notwendigkeit einer kaufmännischen Organisation hindeuten. Denn Art und Umfang eines Geschäftsbetriebes beeinflussen sich häufig gegenseitig. Entscheidend ist das sich aus einer umfassenden Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ergebende Gesamtbild des Betriebes. Maßgeblich ist, ob es sich insgesamt um einen einfach gestalteten und leicht überschaubaren Betrieb handelt, für den eine kaufmännische Organisation nur eine unnötige Belastung wäre, oder ob der Betrieb nur mit Hilfe einer entsprechenden Organisation, insbesondere einer kaufmännischen Buchführung, einer kaufmännischen Organisation der Vertretung und kaufmännischer Firmierung, überschaubar und beherrschbar ist. Die Art des Unternehmens betrifft qualitative Merkmale des Geschäftsbetriebes. Sie umfasst einerseits den Gegenstand des Unternehmens – die gewöhnlich vorkommenden Geschäfte – sowie die Betriebsweise, also die organisatorische Abwicklung der Geschäftsvorfälle. Es geht darum, der Komplexität, dem Risikogehalt und der Schwierigkeit bestimmter Tätigkeiten branchenunabhängig Rechnung zu tragen. Von Bedeutung sind z.B. die Vielfalt der Erzeugnisse der Leistungen und Geschäftsbeziehungen, die Teilnahme am Wechsel- und Scheckverkehr, die Teilnahme am Frachtverkehr, überregionale oder gar grenzüberschreitende Tätigkeiten und die Inanspruchnahme oder Gewährung von Krediten. Der Umfang des Unternehmens bezieht sich dagegen auf quantitative Merkmale. Er wird bestimmt durch das Umsatzvolumen (Anzahl und Wert der Geschäftsvorgänge), die Höhe von Anlage- und Betriebskapital, Zahl und Funktion der beschäftigten Mitarbeiter, Größe, Zahl und Organisation der Betriebsstätten/des Geschäftslokals, eine überregionale Geschäftstätigkeit, den Ertrag, die Zahl der Geschäftspartner, das Inventar sowie den Umfang der Werbung. Insgesamt lässt sich dem vorliegenden Fallmaterial die Tendenz der Praxis entnehmen, sich am Umsatz des Unternehmens zur orientieren. Gegenwärtig dürfte spätestens ab 250.000 € Jahresumsatz ein handelsgewerbliches Unternehmen vorliegen (vgl. Kindler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Auflage 2008, § 1 Rz. 48 ff, m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben erforderte der Gewerbebetrieb des Ehemannes der Antragstellerin eine kaufmännische Einrichtung. Dafür sprechen insbesondere die für das Jahr 2007 anhand der Geldeingänge auf den Geschäftskonten ersichtlichen tatsächlichen Umsätze von netto nahezu 250.000 €. Soweit die Antragstellerin bestreitet, dass Bareinzahlungen und Scheckeinlösungen auf diesen Konten Betriebseinnahmen des Ehemannes sind, ist dies unbehelflich. Unstreitig handelt es sich bei den Konten um reine Geschäftskonten. Von daher ist davon auszugehen, dass Bareinzahlungen aus der Betriebskasse herrühren und Scheckeinreichungen auf Scheckzahlungen von Kunden beruhen. Die unrunden Summen sprechen dagegen, dass es sich um Einlagen handelt.
Namentlich bei der Planung und Lieferung von Schließanlagen und dem Führen der dazugehörigen Schließakten, dem wichtigsten Geschäftsfeld des Betriebes, handelt es sich um komplexe und schwierige Geschäftsvorfälle, die mit umfangreichen Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten und einem hohen Haftungsrisiko beim Verlust der im Betrieb verbleibenden Generalschlüssel z.B. für Banken einhergehen. Auch die Organisation eines zuverlässigen 24-Stunden-Notdienstes erfordert gerade bei wenigen Mitarbeitern eine akribische Planung der Einsatz- und Bereitschaftszeiten nach Maßgabe des Arbeitszeitgesetzes. Die neben diesen beiden Hauptbetätigungen angebotenen Türöffnungen, Gravuren und Schilder begründen zwar nicht gerade eine besondere Vielfalt der Erzeugnisse und Leistungen, hindern jedoch daran, von einer Einfalt derselben zu sprechen. Die Lagerhaltung im Betrieb war nach den Feststellungen aus dem Jahr 2009 jedenfalls umfangreich und mannigfaltig. Gleiches gilt für die Geschäftsbeziehungen, wie sich aus den Rechnungseingängen auf den Geschäftskonten des Ehemannes im Jahr 2007 ergeben. Zudem war der Betrieb des Ehemannes mit der sicherheitstechnischen Betreuung der I.-Heimwerkermärkte bundesweit tätig. Schließlich nahm der Betrieb am Scheckverkehr teil. Demgegenüber fällt nicht ins Gewicht, dass Zahl und Funktion der beschäftigten Mitarbeiter sowie Größe und Organisation der Betriebsstätte überschaubar waren.
Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB sind gegeben. Die Haftung nach dieser Vorschrift greift nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein, wenn zwar der Unternehmensträger wechselt, das Unternehmen selbst aus der Sicht des maßgeblichen Verkehrs aber im Wesentlichen unverändert unter der alten Firmenbezeichnung fortgeführt wird. § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB knüpft allein an die nach außen in Erscheinung tretende Kontinuität des Unternehmens als tragenden Grund für die Erstreckung der Haftung auf den Erwerber an. Von einer Unternehmensfortführung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB geht der maßgebliche Verkehr aus, wenn ein Betrieb von einem neuen Inhaber in seinem wesentlichen Bestand unverändert weiter geführt wird und der Tätigkeitsbereich, die innere Organisation und die Räumlichkeiten ebenso wie Kunden- und Lieferantenbeziehungen jedenfalls im Kern beibehalten und/oder Teile des Personals übernommen werden. Die Haftungsfolge aus § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB kommt daher auch dann zum Zuge, wenn einzelne Vermögensbestandteile oder Betätigungsfelder von der Übernahme ausgenommen sind, solange nur der den Schwerpunkt des Unternehmens bildende wesentliche Kern desselben übernommen wird, so dass sich der nach außen für die beteiligten Verkehrskreise in Erscheinung tretende Tatbestand als Weiterführung des Unternehmens in seinem wesentlichen Bestand darstellt. Die Frage, ob eine Firmenfortführung vorliegt, ist aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise zu beantworten, für die alleine entscheidend ist, dass die unter dem bisherigen Geschäftsinhaber tatsächlich geführte und von dem Erwerber weiter geführte Firma eine derart prägende Kraft besitzt, dass der Verkehr sie mit dem Unternehmen gleich setzt und in dem Verhalten des Erwerbers eine Fortführung der bisherigen Firma sieht. Dass die alte Firma nicht unverändert fortgeführt wird, ist unerheblich, solange der prägende Teil der alten in der neuen Firma beibehalten ist und deswegen mit dem jeweiligen Unternehmen in geschäftlichem Kontakt stehende Kreise des Rechtsverkehrs die neue Firma noch mit der alten identifizieren. § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB gelangt schließlich auch dann zur Anwendung, wenn eine „sukzessiv erfolgende Unternehmensübernahme“ vorliegt, es also zeitweilig zu einer parallelen Existenz von Alt- und Neuunternehmen kommt, sofern sich für den Rechtsverkehr die Betätigung des übernehmenden Unternehmens als Weiterführung des ursprünglichen Unternehmens in seinem wesentlichen Bestand darstellt (vgl. zuletzt BGH-Urteil vom 05. Juli 2012 III ZR 116/11 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben liegt im Streitfall offensichtlich eine Unternehmensfortführung vor. Die Antragstellerin übte vom selben Geschäftslokal dieselben Tätigkeitsbereiche aus. Jedenfalls dem wohl wichtigsten Kunden, der HH GmbH als Betreiber der I.-Märkte in ganz Deutschland, wurde bereits vor der Übernahme suggeriert, dass es lediglich zu einer Umstrukturierung des Betriebes komme. Auch sonst sind keine entscheidenden Veränderungen zum 01.04.2008 in den sonstigen Kunden- und den Lieferantenbeziehungen zu erkennen. Ferner hat die Antragstellerin sich keineswegs darauf beschränkt, denselben Nachnamen in der Firmenbezeichnung zu verwenden, was in der Tat bei Namensgleichheit zwangsläufig ist. Sie hat entgegen ihrem Vortrag der Firmenbezeichnung nicht ihren Vornamen hinzugesetzt. Vielmehr hat sie die gesamten wechselnden Unternehmensbezeichnungen, die auf dem Briefkopf ihres Ehemannes, auf dessen Visitenkarten und im Geschäftsverkehr verwendeten wurden, ebenso wie das Firmenlogo und die gesamte Gestaltung der Geschäftsunterlagen weiter geführt. Sie hat sogar nach der Geschäftsübernahme zunächst das noch vorhandene Briefpapier des Ehemannes unter Angabe der geänderten Bankverbindungen und der neuen Steuernummer aufgebraucht. Zudem hat die Antragstellerin durch den Einzug der im Unternehmen ihres Ehemannes begründeten Forderungen den Kunden gegenüber Unternehmenskontinuität dargestellt. Soweit sie dies mit einer Fehlleistung ihrer später entlassenen Bürokraft begründet, ist das unbehelflich. Die Bürokraft konnte die Forderungen nur anmahnen, wenn sie im Unternehmen der Antragstellerin bekannt waren. Auch die Excel-Tabellen zur Zahlungsüberwachung und zum Mahnwesen konnten nur weiter geführt werden, weil sie im Unternehmen der Antragstellerin vorhanden waren. Zumindest hinsichtlich des Fahrzeugs Opel Combo räumt die Antragstellerin selbst ein, dass dieses bereits zuvor im Unternehmen ihres Ehemannes genutzt wurde. Dass der Leasingvertrag auf sie umgestellt wurde, ändert nichts daran, dass sie hierdurch eine für ein Montage- und Schlüsselnotdienstunternehmen wesentliche Betriebsgrundlage übernommen hat. Noch vielmehr gilt das hinsichtlich des Geschäftslokals. Das ausschließlich eigenbetrieblich genutzte Gebäude war, so lange es im Eigentum des Ehemannes stand, bei diesem notwendiges Betriebsvermögen. Nachdem es auf die Antragstellerin überschrieben wurde, war es zwar bei ihr zunächst notwendiges Privatvermögen, wurde aber mit Beginn ihrer unternehmerischen Tätigkeit ebenfalls zum notwendigen Betriebsvermögen. Soweit die Überschreibung des Betriebsgebäudes mit Grundstück zeitlich vor der Unternehmensübernahme lag, liegt eine sogenannte sukzessive Unternehmensübernahme vor. Vor diesem Hintergrund ist unbeachtlich, dass die Antragstellerin tatsächlich neue Mitarbeiter eingestellt und eingearbeitet sowie neue Geschäftskonten eröffnet hat. Auf letztere musste sie, gerade weil sie im Geschäftsverkehr Unternehmenskontinuität darstellte, mit dem Hinweis „!!Achtung, neue Bankverbindung!!“ gesondert aufmerksam machen.
Schlagworte: Firma, Firmenfortführung, Firmenrecht, Firmenzusatz, Haftung Firmenfortführung, Kaufmannsbegriff